depression und alkohol

Horatio
Beiträge: 10
Registriert: 9. Okt 2011, 17:33

Re: depression und alkohol

Beitrag von Horatio »

Hallo Marie7,
Du hast bisher alles richtig gemacht. Gehe am besten zu Deiner hiesigen Suchtkrankenhilfe. Dort wird Dir mit Sicherheit weitergeholfen. Du schreibst, dass der Arzt zu dem Du gehen wolltest einen Aufnahmestopp hat. Vielleicht wäre es Dir geholfen, wenn Du einen anderen Arzt aufsuchen würdest. Ich selbst bin Alkoholkrank, bin aber seit 12 Jahren trocken. Seit Anfang letzten Jahres ist bei mir eine mittelschwere Depression diagnostiziert worden. Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt um in eine stationäre Therapie zu kommen. Ich war erfolgreich. Habe die Therapie abgeschlossen und bin mit vielen neuen Eindrücken zurückgekommen. Muss mich zwar noch erneut im Alltag zurechtfinden. Aber es wird von Tag zu Tag besser. Wenn Du noch Fragen hast, wirst Du sicherlich noch mal in diesem Forum schreiben.
Gruss v. horatio
Gruss Horatio
Erdgespenst
Beiträge: 99
Registriert: 2. Mai 2011, 16:52

Re: depression und alkohol

Beitrag von Erdgespenst »

Ich für meinen Teil habe trotz heftiger Depressionen nie besonders viel Alkohol getrunken. Wenn ich in einem Monat an 4 Tagen etwas Alkohol getrunken habe, ist das viel. Das hat damit zu tun, dass bei mir eine geringe Menge Alkohol keine Auswirkungen hat und eine große Menge Alkohol mich noch weiter runter zieht.

Allerdings habe ich mich in einer großen Zeitspanne meines Lebens in Kreisen aufgehalten, in denen massiver Alkoholkonsum Usus ist. Weil es vor allem depressiven Menschen schwerfällt, eine Aufforderung zum Trinken auszuschlagen, habe ich einige Strategien entwickelt, wie man auch mit einem relativ schwachen Ego alkoholfreie Abende geniessen kann, wenn sich die Gesellschaft von intoleranten Alkoholtrinkern nicht vermeiden lässt. Mein Beitrag hier beschäftigt sich daher ausschliesslich mit solchen Trink-Vermeidungsstrategien, die auch für Personen mit schwachem Durchsetzungsvermögen geeignet sind, was ja insbesondere auf die meisten Depressiven zutrifft.

1. Regel: Vermeide grundsätzlich "Gelegenheiten", bei denen der Konsum von Alkohol erwartet wird. Alle weiteren Punkte beziehen sich auf die unvermeidbaren Fälle.

2. Regel: Der Vorsatz überhaupt nichts zu trinken, lässt sich leichter einhalten, als der Vorsatz wenig zu trinken.

3. Regel: Es hilft, wenn vor Ort wenigstens ein Mensch Bescheid weiss, dass Du nichts trinken möchtest. Versuche, wenigstens eine Person ins Vertrauen zu ziehen.

4. Regel: Entscheide Dich, ob jeder wissen darf, dass Du keinen Alkohol trinkst oder ob Du Dich "tarnen" willst. Welche Entscheidung richtig ist, hängt sowohl von der Situation als auch von Deiner Persönlichkeit und Deiner Fähigkeit zu schauspielern ab. In keinem Fall ist es aber Betrug, egal welche Strategie Du wählst. Denn keinen geht es etwas an, dass Du nicht trinken willst. Wenn jemand kontrollieren will, ob Du wirklich genügend Alkohol trinkst, hast Du das gute Recht, Dich diskret vor ihm zu schützen!

Wenn Du öffentlich sagst: "Ich trinke keinen Alkohol" kommen manchmal blöde Fragen nach dem Warum. Nicht jeder hat dann den Mut, die Wahrheit zu sagen - und Du musst das auch nicht, wenn es Dir nicht passt. Gründe, warum man keinen Alkohol trinkt, könnte z.B. sein, dass Du sagst: Ich muss heute noch fahren. Dann bestehe darauf, dass Du nur mit 0,0 Promille fährst, da ja auch nüchtern schon genügend Unfälle passieren und Du als Autofahrer auch die Verantwortung für andere trägst. Argumentiere am Besten mit der Verantwortung für andere und nicht mit möglichen Polizeikontrollen. Verantwortungsgefühl für Mitmenschen wird normalerweise höher geachtet, als Angst vor der Polizei. Wenn Dir jemand anbietet, Dich heimzufahren oder ein Taxi zu rufen, wenn Du mit ihm trinkst, bestehe darauf, dass Du am nächsten Tag Dein Auto brauchst oder noch Leute mitnehmen musst. Bist Du mit dem Ehepartner unterwegs, sollte der sich in diesem Fall auch was einfallen lassen, warum er nicht an Deiner Stelle fahren will oder kann. Auf jeden Fall ist das Argument "Auto fahren" relativ mächtig, wenn man es mit Verantwortungsbewustsein unterfüttert.

Ein weiterer Grund, der vor allem in Osteuropa gut zieht, sind gesundheitliche Gründe. Nicht jeder sagt frei heraus, dass er Antidepressiva nimmt. Wenn Dir das schwerfällt zu einer psychischen Krankheit zu stehen, sage stattdesssen, Du hättest ein Magengeschwür und würdest dagegen Medikamente nehmen. Für die Story drumrum:
Magengeschwüre werden mit dem Medikament Metronidazol behandelt, das keinsfalls mit Alkohol kombiniert werden sollte. Die Kombination erzeugt Übelkeit und setzt die Wirkungsstärke des Medikaments stark herunter.
Bei dieser Version wird man Dich bedauern, aber nicht weiter nerven, Alkohol zu trinken.

Der schwierigere Weg ist es, sich als Alkoholtrinker zu tarnen, aber dennoch keinen Alkohol zu trinken. Diesen Weg würde ich nur im Notfall empfehlen, aber auch hier ein paar Strategien:

Trinke vorzugsweise Getränke, die optisch einem alkoholischen Getänk gleichen, etwa alkoholfreies Bier, Apfelschorle oder einen alkoholfreien Cocktail.
Es kann sein, dass Du dafür einen Kellner ins Vertrauen ziehen musst. Bedenke, dass Kellner auf Diskretion gedrillt werden und der Gast König ist. Du meinst, der Kellner würde es komisch finden, dass Du Deine Apfelschorle im Bierglas möchtest? Kellner haben in ihrem Leben schon ganz andere Wünsche gehört und mussten trotzdem diskret bleiben! Den Kellner interessiert eigentlich nur, dass Du am Ende zahlst, für alles andere gilt "der Gast ist König!

Wenn in einer Runde jeder ein Getränk vor sich hat, warte am Besten nicht, bis der Kellner zu Dir hinkommt. Dann musst Du nämlich vor allen Leuten Deine Bestellung abgeben. Besorge Dir besser Dein Getränk an einer Theke und geselle Dich dann zu jener Runde. Bei etwas feineren Abenden empfiehlt sich auch die Bestellung eines alkoholfreien Cocktails. Bei einem ausgefallenen Cocktail weiß kein Mensch, wie er normalerweise aussehen oder riechen muss und Du hast Deine Ruhe vor blöden Kommentaren.

Das sind so meine Strategien, mit denen ich mich durch Bundeswehr, Gastronomie, Alkoholindustrie und sauflustige Abende der "honorigen Gesellschaft" gehangelt habe, ohne etwas zu trinken wenn ich das nicht wollte. Und das zu einer Zeit, in der ich mir von jedem dubiosen Stand in der Fußgängerzone eine Fördermitgliedschaft oder ein Zeitungsabo aufschwatzen liess, weil ich Angst hatte, "nein" zu sagen.

Betrug ist das nicht, das sei Dir in jedem Fall tief im Herzen bewusst! Es wäre zwar leichter, wenn Du die Wahrheit sagst, wenn Du dazu aber keine Kraft hast, dann ist diese Form der Unwahrheit absolut in Ordnung. Du bringst damit niemanden um sein Geld, Du gefährdest niemanden, Du schützt nur Deine Gesundheit und Dein Wohlbefinden vor Leuten, die Dich mit ihrer Meinungsstärke zum Saufen überreden wollen. Diese Schauspielerei dient daher nur Deiner Notwehr. Übrigens eine besonders charmante Form der Notwehr, weil Du damit niemandem wehtun musst.
Sylvester
Beiträge: 11
Registriert: 25. Jan 2012, 23:21

Re: depression und alkohol

Beitrag von Sylvester »

Überwiegend wird hier Alkohol in Verbindung mit Depression als fatal hingestellt. Ich stimme dem ausdrücklich zu.
Aber was ist, wenn jemand, der seit Monaten trocken ist, und, dem das auch nicht schwerfällt, die Perspektive, nie wieder ein Glas trinken zu können, als bei Feiern oder im Urlaub, so schwer zu schaffen macht?
Ist das Sucht, oder Sehnsucht?
LG Sylvester
Horatio
Beiträge: 10
Registriert: 9. Okt 2011, 17:33

Re: depression und alkohol

Beitrag von Horatio »

Hallo Erdgespenst, Hallo Marie7,
Eure Beiträge waren für mich sehr interessant,diese durchzulesen. Kompliment an Erdgespenst, dass Du solche Regeln für Dich augestellt hast und diese auch konsequent verfolgst. Leider gelingt es nicht jedem Menschen. Gerade den Menschen, die eine Sensibilität in sich verspüren. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass ich an diese Regeln, als ich exzessive Alkoholkonsum betrieben habe, keine Beachtung geschenkt habe.
Du hast es schon erwähnt, dass gerade depressive Menschen schnell zu substanzbezogenen Suchtmittel greifen. Ist mir auch passiert. Heute denke ich aber anders. Seit 12 Jahren bin ich trockener Alkoholiker und bin an Depressionen erkrankt. Seit kurzem habe ich eine 4wöchige Rehabilitationsmaßnahme beendet und habe aus der Maßnahme sehr viele Erkenntnisse mitgebracht. U.a. dass meine Depressionen nichts mit meiner Suchtkrankheit zu tun haben. Auf jeden Fall nicht nach so langer Alkoholabstinenz. Trotz alle dem versuche ich mit meiner hinzugekommenen Krankheit "Depressionen" im Alltag besser umzugehen. Es gelingt mir nicht an jedem Tag. Ich muss noch sehr viel an mir arbeiten. Ich bin aber zuversichtlich, dass ich die Krankheit ebenso in den Griff bekomme, wie meine Suchtkrankheit.
Wenn Du, Marie7, diese Beträge liest, denke ich, dass Du die Kraft darin findest, das Richtige für Dich zu tun. Denn es gibt immer Hoffnung aus diesem Dilemma herauszufinden. Ich habe meinen Weg gefunden und ich bin überzeugt davon, dass Du Deinen Weg auch finden wirst.
Gruss Horatio
Horatio
Beiträge: 10
Registriert: 9. Okt 2011, 17:33

Re: depression und alkohol

Beitrag von Horatio »

Hallo Sylvester,
aus Deinem Beitrag entnehme ich, dass Du in der Vergangenheit Alkohol mehr getrunken hast, als Dir lieb war. Ging mir Anfangs genauso. Du schreibst, dass es Dir schwer fällt bei Feiern oder im Urlaub keinen Alkohol zu trinken. Würde mir zu denken geben. Deine Frage möchte ich nun ganz kurz u. konkret beantworten:

Wenn Du solche Gedanken hast, ist das kein Sehnsucht sondern schlicht eine substanzbezogene Sucht. Kleiner Tipp: Suche unverbindliche einmal einen Suchttherapeuten auf. Suchtberatungsstelle gibt es in jeder Stadt.
LG Horatio
Gruss Horatio
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