Trennung, Tod und Abschiede

ghm
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Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ghm »

Hallo evelyna,

mein Vater war jahrzentelang erkrankt, starb aber für mich dann überraschend an Multiorganversagen, meine Mutter ein paar Jahre später an einem Bronchalkarzinom.

Beide Eltern wollten anonym beerdigt werden.

Aus Gründen meiner erziehung habe ich nicht lange genug getrauert, es blieb aber der Schmerz in mir.

Von meiner letzten Therapeutin bekam ich letztes Jahr die "Erlaubnis" weiterhin zu trauern.

Ich habe jetzt in meiner Wohnung ein paar Steinscheiben mit den Namen meiner Eltern als Ort meiner Trauer.

Das hilft mir.

Alles Gute für Deine Trauer und lass Dir die Zeit die Du brauchst.
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
strickliesel
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Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von strickliesel »

Hallo Gregor,

genau das wollten meine Eltern eigentlch auch. Das ist so ihre Erziehung. Bloss keinen Aufstand um mich, nicht auffallen, keinem zur last fallen. "schmeisst mich auf den Müll" sol mein Vater zu meinem älteren Bruder gesagt haben.
Mein Vater wollte auch keine Trauerfeier. Keinen Redner, keine Musik. Und so war es dann auch. Ganz kurz und schmerzvoll.
Ich hab danach mit meiner Mum gesprochen, dass es mir ganz schlecht geht damit.
Auf dem Friedhof wo meine Eltern beerdigt sind gibt es die Möglichkeit, den Namen der Verstorbenen auf einer grossen Steinplatte eingravieren zu lassen. Das haben wir dann gemacht.
Und bei meiner MUm und meiner Oma, die im Mai diesen Jahres gestorben ist, gab es auch eine Trauerfeier, die den Namen verdient. Nicht weil sich das so gehört sondern weil wir das brauchen für den Abschied.

Sicher, man soll die Wünsche des verstorbenen akzeptieren. Aber die Art der Beerdigung und die Formalitäten darum sind für die Angehörigen.

Ich hab zu meinen Kindern gesagt, wenn es bei mir so weit ist, dann sollen sie machen wie sie wollen. Wie sie es brauchen. Ich habe genug Geld über eine Versicherung, damit sie die Beerdigung organisieren können. Wenn sie ihrer Mutter ein Mausoleum bauen wollen, dann ist das so. Und wenn sie sich die Kohle teilen und Muttern preiswert anonym unter die Wiese bringen wollen, dann ist es auch gut.

Thema Patientenverfügung: ja, ich finde auch dass so eine Verfügung eigentlich nur das wieder herstellt was früher selbstverständlich war. Wenn jemand krank war und gehen wollte, dann lies man ihn gehen. Schon weil man die Möglichkeiten der Einflussnahme gar nicht hatte.

Ich habe eine recht rigide PV. Ich möchte nicht wiederbelebt werden, nicht künstlich beatmet und ernährt. Sprich, erleide ich beispielsweise einen Herzstillstand bei einem Herzinfarkt, dann wars das. Ich hab das damals mit meinem alten Hausarzt aufgeschrieben. mein Mann und meine Kinder wissen Bescheid. Und ich hoffe sie halten sich daran. So wie mein Papa will ich nicht sterben.
Es gibt für jedes Problem eine Lösung, die einfach, klar und falsch ist!







lg evelyna
ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Hallo Zwiebelchen,

Du störst nicht, im Gegenteil.

Als ich zum erstenmal schrieb hier, hatte sich sieben Wochen lang ein so enormer Schmerz angestaut, den ich so gut wie allein bewältigen musste.

Nicht, weil niemand da ist, sondern weil meine Bedürfnisse sehr gross waren und meine Trauer um meinen Vater ganz anders ist als beim Rest der Familie.
Das ist auch in Ordnung, ich schreibe ja für mich, ich brauchte ein Ventil.
Gut, dass es hier so nette Menschen gibt.

Ich war überfordert mit den Bedürfnissen meiner Mutter, war konfrontiert mit der Härte (äusserlichen sicherlich) meiner Geschwister und das alles.

Ich war so allein, wie man sich nur fühlen kann.

Bevor mein Vater starb, viel zu schnell, ich sehe ihn doch noch atmen und mich selber seine Hand halten, war das einfach.
Wie soll ich es beschreiben ?
Jeder "Fall" ist anders, jeder Mensch ist anders.
Das weiss ich doch.
Und auch, dass ich als Angehörige natürlich leide, ich kann eines Tages sicher sagen, dass war richtig so. Für Papa.
Von dieser Phase bin ich noch weit entfernt, ich leide einfach nur, er fehlt mir.
Das ist jetzt einfach so, da ist kein Platz für andere Dinge zur Zeit.

Über Grundsätzliches, also ist das richtig oder falsch, kann ich nicht diskutieren, die Möglichkeiten sind erlaubt, das hat zur Zeit keinerlei Bedeutung für mich.
Später wieder.

Ich bin einfach nur unendlich bestürzt und traurig, dass er tot ist.

So wie verliebte Menschen vollkommen unlogisch sind aufgrund der Hormone, sind es trauernde Menschen wohl auch.
Der Zugang zur Logik fehlt, Empathie auch.

Lieber Gruss

Christiane
LaLeLu

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von LaLeLu »

Hallo elas und auch alle anderen

gerade fand ich diesen Bericht:

http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/06/ ... gie-Trauer

Vielleicht hilft er ein wenig?!

Liebe Grüße
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von elas »

Guten Abend in die Runde


@Christiane, @evelyna, @Zwiebelchen und @Gregor
habt Dank für Eure Beiträge, die ich sehr wohl genau gelesen habe, und auch viel darüber nachgedacht habe.

Dieser Thread ist keiner, wo man, frau so schnell ein paar lockere Sätze los wird hier, sondern es macht so nachdenklich, in meinen Augen sehr konstruktiv nachdenklich, und deswegen geht es mit den Antworten jeweils, wie man ja sieht, nicht immer so schnell.

Und, so meine ich, ein jeder, eine jede hat halt dann doch diesen individuellen Umgang mit Tod, Trauer, Abschied und Trennung.

Es ist in meinen Augen tröstlich, zu lesen, wie damit umgegangen werden kann.

@LaLeLu, mal Danke für diesen Link.
Hab ich so interessiert und berührt gelesen, diesen Artikel.

Aber_______________ich kann momentan ein Wort nicht mehr hören, es ist das Wort "Resilienz".
Es suggeriert eben doch, so ein wenig, dass eine verlängerte Trauer,, oder eine erschwerte Trauer eben nicht normal ist.
Den Menschen, denen es so geht, denen fehle eben irgendetwas.
Also nicht im chemischen Sinne, sondern, eher im seelischen Sinne.

So untergründig kommt dann doch mit dem Wörtchen Resilienz so eine Art Norm durch, eben gesund, und ohne Hilfe über die Trauer hinweg zu kommen.

Bull_Shit.

Meine Meinung ist, dass in dieser schnell_lebigen Zeit, in der Fun_Zeit, in der Zeit des roboter_mäßigen Einsatzes von Menschen an diversen Arbeitsplätzen komplett
Werte verloren gegangen sind.
Und Rituale und Zusammenhalt.

Morgen Abend werde ich im Seniorenstift meiner Mutter an der Gedenkfeier teilnehmen.
Hab schon mal ein paar Takte mit der neuen Heimleiterin deswegen geredet.
Meine Mutter nimmt dezidiert nicht teil.
Hat sie vorhin noch einmal gesagt.

Kann sie so machen.
Ich nehme teil daran, und_______________das wird meiner Seele guttun.
Das weiß ich jetzt schon.

Ich werde Euch berichten.


Herzlich
Selas
________________________________

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ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Hallo Selas,

ich wünsche Dir heute etwas Besonderes, nur für Dich, dass die Gedenkfeier Dir etwas gibt.
Was das ist, wirst Du dann spüren.

Ich habe, nach grossem inneren Kampf, für mich seit ein, zwei Tagen entschieden, dass ich nun für meine Mutter da sein werde, so gut es mir eben möglich ist.

Sie nervt, sie ist anstrengend, und mein Vater war so etwas wie ein Filter für mich zwischen uns beiden.
Er war kräftig und interessiert, nervtötend und präsent.
Nun, wo Papa nicht mehr da, spüre ich langsam, wie traurig und allein sie ist.
Und sie verlässt sich auf mich.

Wenn es soweit ist, dass sie im Sterben liegt, würde ich mich exakt wieder so verhalten wie bei meinem Vater. Ich kann gar nicht anders, das weiss ich jetzt.
Ebenso wie meine Geschwister schnell reagieren, reagiere ich sehr langsam.

Ist ein Mensch erstmal tot, gibt es nichts mehr zu besprechen und zu klären. Es ist vorbei.

Die Trauer verläuft in Wellen, möglicherweise sind am Wochenende meine Wut und der Schmerz wieder so gross, dass ich niemanden sehen will.
Ich kann das überhaupt nicht steuern.

Es gibt nicht umsonst das Trauerjahr.
Nichts ersetzt den vertorbenen Menschen.
Kein neuer Job, der den alten ersetzt, kein neuer Partner, der die alte Liebe vergessen macht. Einfach gar nichts.

Dadurch entstanden Religionen, Bräuche und was weiss ich.

Ich sitze hier mit einem Pott Kaffee und Zigaretten und denke unablässig "so eine Scheisse". Papa, wo bist Du.
Schnuppere an seiner Strickjacke, die ich mir genommen habe, bevor alles entsorgt wurde.

Und ich finde das normal.

Alles Gute für Dich

Christiane
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von elas »

Hi in die Runde,

liebe Christiane,

ein schmerzhafter Zahnarztbesuch heute hat mich nun ausgeloggt. Werde nicht auf diese Gedenkfeirer gehen (gehen können).
Trotzdem, die Auseinandersetzung damit und mit dem Tod und mit Trennung und Abschied hier in diesem Thread hat mir gut getan.

Christiane, es berührt mich ungemein, was Du schreibst.

Auch an den vielen Menschen, die diesen Thread ankliqqen, lässt sich erkennen, wie wichtig dieses Thema, dieses totgeschwiegene Thema ist.
Jeden Tag hatte ich Angst, die Mods würden oder könnten dieses Thema sperren, um nicht andere Menschen zu triggern hier.

Der Thread lebt.

Ebenso leben wir, wir Trauernden, egal ob nah, weit oder entfernt, wir leben, unser Leben geht weiter.

Ich empfinde alle Beiträgge hier als so wertvoll.
Danke, dass dieser Austausch möglich ist.


Herzlich
Selas
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Reve
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Registriert: 4. Jun 2008, 17:35

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von Reve »

Hey, vielleicht speziell für Christiane,... ?

Mein Paps hat kurz vor Weihnachten letzten Jahres beschlossen, die Dialyse zu beenden. Durch einen Routineeingriff vor längerer Zeit musste er sich ungefähr vier Jahre lang der Prozedur unterziehen. Er war bis zuletzt fit und agil, niemals „alt“, so wie man sich das vorstellt. Das mussten wir akzeptieren,... ich persönlich dachte ja bis zu Moment X, es würde wieder werden,....

Jetzt bin ich kein besonders religiöser Mensch, aber enorm getröstet hat mich der Trauerspruch, den wir ausgesucht haben:

"Der Tod ist nichts,
das was ich für euch war, bin ich immer noch.
Sprecht mit mir, wie ihr es immer getan habt. Seid nicht traurig, lacht und denkt bei euren Entscheidungen an mich.
Ich bin nicht weg, nur auf der anderen Seite des Weges."

Nun denn, natürlich kann man das nicht alles so glauben und praktizieren, aber bei manchen Dingen denke ich mir schon „da wäre er jetzt stolz auf mich“, manchmal streift mich auch der Gedanke „liebe Güte, das wenn er jetzt hört,...“

So, und jetzt versuche ich wieder im Jetzt und Heute zu bleiben, nach wie vor ein Riesenproblem für mich. Meist bin ich in der Zukunft, in der Vergangenheit, überall nur nicht da, wo ich sein soll,...

LG, Carin
(Selas )
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von elas »

Hi Ihrs Alle,
liebe Carin,

nun sitze ich halt grad mit Zahnweh hier vor dieser elektonischen Maschine , und ich bin trotzdem froh, dass es diesen Austausch via Internet geben darf.

@Carin,
ich find es schön, was Du uns transportierst mit dem Tod von Deinem Vater, und der Umgehensweise, die Du versuchst.

@all
So, wie Carin schreibt, es gibt ein Gestern, ein Morgen, und trotzdem wäre schön, wenn ich, wir alle, so in der Mitte des Lebens verweilen dürften, könnten, also im JETZT.


Auch ist meine Erfahrung immer wieder, wenn ich, als Selas, meine ureigenes Tempo akzeptiere, mit dem ich Änderungen angehe, mit dem ich neue Beziehungen eingehe, auch Liebesbeziehungen, mit dem ich Trauer bewältige, dann, dann bin ich für mich und im Herzen ganz Selas.Ganz bei mir.
Autentisch eben.

Wollen wir denn nicht authentische Menschen in unserem Leben??
Stellt Euch vor, diese Tage werden immer häufiger, je älter ich werde.

In dem Moment, und diese Momente, die gibt es immer noch oft in denen ich nach den Anderen schiele, meine ich müsse, so oderr so sein, so oder so umgehen mit dem Schmerz, mit der Liebe, dann......und dann entferne ich mich wieder enorm von mir selber.

Könnt Ihr mir noch folgen ....ich bin halt einfach ich. Soviel wird sich da nicht mehr ändern .

Aber____________________komisch, oft und meistens, wenn ich einfach ich bleibe, so bin wie ich bin, es so mache, wie ich es kann etc. dann komme ich viel besser mit mir selber zurecht innerlich, und erstaunicherweise auch die Anderen im Äußeren.


Herzlichst
Eure Selas
________________________________

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ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Hallo Selas,

auch ich empfinde diesen Thread als sehr hilfreich.
Ich befürchte nicht, dass er gesperrt wird, geht es doch um eine ganz reale Trauer, die uns alle hier beschäftigt und belastet.

Vielleicht gibt es ja auf der anderen Seite irgendwo einen "Glücks-Thread", wo man nur über Lottogewinne, gelungene Schönheits-OPs oder ähnliches schreibt. Und jeder traurige Mensch wird dort gesperrt. Ich schweife ab, wollte eigentlich sagen, dass wir, die Hinterbliebenen, so freundlich und hilfreich miteinander umgehen, es ist einfach schön.

Carin,

seit dem Tod meines Vater vor genau zwei Monaten,am 18.09., passiert es mir ständig, dass ich im Alltag im Gespräch über alles mögliche unwillkürlich denke "da lebte Papa noch" oder z.B., als unsere Heizung Anfang Oktober abgelesen wurde, "da war Papa schon gestorben".
Ich weiss, das wird noch lange so gehen, ein innerer, tiefer Abschnitt, der einfach da ist. So ein Quantensprung im eigenen Leben.

Ich hoffe und bange auch, dass man selber genug Zeit bekommt, bevor der nächste nahe
Mensch geht.
Das ist auch so eine Angst von mir, die dazu führen kann, sich selber zurück zu nehmen. Daran arbeite ich gerade, dass ich das genau nicht mache.
Schwierig, schwierig.

Ich habe eine grosse Kerze angezündet vorhin, Heizung an, Kaffee und Kippen daneben.
Ich denke an uns Trauernden.

Liebe Grüsse

Christiane
ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Hallo,

heute ist es wieder schlimm, bin nur am Weinen, ich vermisse meinen Vater, gerade schwer, den Schmerz auszuhalten.

Meiner Mutter geht es ganz gut, haben vorhin telefoniert; sie hat Besuch, und das entlastet mich auch. Ich konnte ihr nicht sagen, wie es mir geht.

Wohl deshalb der Druck jetzt.
Ich möchte ganz stark sein.

Ich weiss, das sollte man nicht machen, aber mir ist es egal, was man sollte oder nicht, ich kann nicht anders.

Das Schreiben hier hilft, kein Stirnrunzeln vom Gegenüber, kein Unterbrechen.

Nur da sein und fühlen und aushalten.

Neele, meine Katze, schleimt sich gerade ein, sie lebt und sie hat Hunger.

Ich habe so viele Bilder im Kopf gerade von den letzten Tagen meines Vater, von dem lebenden Mann in seiner Situation, von meiner Ahnungslosigkeit, dass ich ihn in den letzten Tagen seines Lebens sehe, von meiner Liebe zu ihm.

Scheisstag.

Christiane
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von elas »

Hi @all und
Christiane , guten Abend,


nun hast Du heute wieder einen schweren Tag gehabt, was die Trauer wegen Deines Vaters anbelangt.
Aber Du spürst die Trauer, gehst durch sie durch.
Dies sind keine angenehmen Tage.
Die Trauer braucht Platz und Raum, und Du gibst sie ihr.

Glaub mir, irgendwann ebbt das alles einmal ab. Man spricht nicht umsonst von einem Trauerjahr, in dem früher die Menschen ganz in schwarz gingen. Als Signal, halt, ich habe einen Trauerfall, ein Signal, vielleicht ein klein wenig Rücksicht zu nehmen.
Eigentlich klasse, solche Rituale.
Leider ist da viel verloren gegangen in der heutigen Zeit von derart sinnvollen Ritualen.

@all
Etwas Interessantes ist geschehen heute zu diesem Thema.
Mein neuer Physdiotherapeut im neuen Stadtteil, bei dem ich schon Monate in Behandlung bin, der in letzter Zeit unglaublich angespannt, auch durcheinander wirkte, war heute ganz aufgeräumt, sah ausgeschlafen und zuversichtlich aus.

Seine Schwiegermutter durfte endlich sterben.
So hat er dann rausgerückt. Sie sei endlich erlöst worden. Nach Jahren im Rollstuhl und dann mit Leberkrebs. Seine Frau war in der Sterbephase dann nächtelang bei ihr, er konnte auch nicht mehr schlafen nachts etc. etc. weil alles so derart angespannt war.

Jetzt seien seine Schlafstörungen weg. Er sei froh, dass sie erlöst sei.

Ob einem als Mensch diese Einstellung dann dabei behilflich sein kann, der Trauer zwar einen Platz zu geben, aber nicht übergebührend darin zu versinken?
Dies frage ich mich für uns, für mich zu diesem Thema.

Eure Erfahrungen diesbezüglich würden mich interessieren.


Herzlich
Selas
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momadome
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Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von momadome »

Hallo Selas,

mein Vater ist 1983 nach zweijährigem Leiden (Darm- und Leberkrebs) gestorben, er wurde gerade mal 54 Jahre alt, ich war bei seinem Tod 23 und mit meinem ersten Kind schwanger.

Auch ich hatte damals die Einstellung, er wurde erlöst, er durfte endlich sterben.

Ich hätte ihn natürlich gerne noch viel länger bei mir gehabt, ihm seinen Enkel vorgestellt, ihm als erwachsene Frau gegenüber gestanden. Ich hätte gerne gesehen, wie er als alter Mann gewesen wäre, ihn noch so vieles fragen wollen.

Aber sein Lebenskreis sah das nicht so vor. Durch seine Krankheit war sein Tod ein langsames Dahinsiechen, schmerzhaft für ihn und uns, die Angehörigen. Für mich ist es auch Liebe einen Menschen gehen zu lassen, freizugeben, wenn seine Kraft zu Ende geht. Die Erlösung vom Leiden anzunehmen, die der Tod in solchen Situationen sein kann.

Ich habe mich viel mit Trauerarbeit und Hospizarbeit beschäftigt. Mir gibt der Gedanke an den Tod Kraft zum Leben. Ich bin der Meinung, daß wir heute den Gedanken an den Tod völlig aus unserem Leben verdrängen und dann richtiggehend von der Tatsache des Sterbens überwältigt werden, wenn sie eintritt. Der Tod gehört zu unserem Leben wie die Geburt. Um die Geburt wird ein riesiger Hype veranstaltet, der Tod wird "totgeschwiegen". Darum macht er uns soviel Angst und die Trauer ist so überwältigend, weil wir uns vorher keine Gedanken darüber gemacht haben.

Ein Thema über das wir Menschen viel mehr nachdenken sollten!

Lieben Gruß

jojoma
ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Selas,
Jojoma,

ich glaube, man "darf" die Einstellung haben, dass der Tod eine Erlösung ist für den jeweiligen Menschen. Es ist oft Tatsache, auch ich möchte nicht fremdbestimmt sein oder werden.

Ich stelle mir manchmal eine Pyramide vor, an deren Spitze das Grundsätzliche steht. Das Recht zu leben und zu sterben, wie und wann man will. Der Mensch.
Die tragenden Steine darunter sind vielfältig , sie beinhalten die Medizin, alle Krankheiten, das Alter, die Kultur, Erfahrungen, Gefühle, komplexe Zusammenhänge, Biographien und und.
Und ganz unten befinden sich die meisten Steine, jeder einzelne ist ein Mensch.
Von weitem betrachtet erkennt man nichts,es sieht alles gleich aus, geht man näher heran, sieht man Unterschiede und viel Bewegung. Kein Stein ist wie der andere.
Mein Stein unten ruckelt gerade gewältig unter der Last, und ich habe ihn herausgenommen und in die Mitte gepackt zu den Erfahrungen und Gefühlen.

Sorry, wenn das konfus klingt, das bildliche Denken ist etwas, das mir hilft , wenn die richtigen Worte fehlen.

Bei dieser Pyramide stehe ich immer ganz oben und nun bin ich einfach hinunter gestürzt auf den Boden.

Es ist nicht der Tod an sich, der mir persönlich Schwierigkeiten macht, sondern mein sicherlich ganz egoistisches Fühlen, dass ich meinen Vater brauchte.
Und dahinter steckt eine Biographie von uns beiden, die einzigartig und tief emotional ist bei uns beiden.
Und das ist Kern der Sache, ich komme schlechter zurecht ohne ihn, ich bin einsamer ohne "Alfi", meinem Gegenüber.

Nicht das Sterben und der Tod machen mir zu schaffen, eher das verlieren.

Ganz liebe Grüsse an Euch

Christiane
ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Hallo,

es wurde lange nichts mehr geschrieben in diesem thread, seltsam.

Ich hoffe es geht Euch gut in Eurem Leben
und dass Schmerz und Trauer erträglicher werden.

Wir in Lübeck bekamen heute den ersten Schnee, er bleibt nicht lange liegen, aber die Flocken vor meinem Fenster sind einfach schön. Das findet auch Neele, meine Katze:-)

Meinen Kampf gegen die Trauer über den Tod meines Vaters am 18.09. habe ich weitgehend aufgegeben.
Ich habe erkannt, dass es mich kaputtmacht, wenn ich viel über ihn schreibe oder rede. Er ist fort. Ich bin soweit, allein um Papa zu trauern auf meine Weise und die Tiefe meines Schmerzes zuzulassen.
Das fühlt sich dann auch mehr nach "Ich" an, nach mir.

In meiner Familie mit der Konstellation Mutter, Stiefvater, Halbbruder,Heimkind, zwei Stiefschwestern, alle in den sechziger Jahren geboren und auf unterschiedlichste Weise geliebt und behandelt, haben sich im Laufe der Zeit Animositäten entwickelt und so etwas wie Konkurrenz.

Jede/r auf verschiedene Art krank geworden, alle mit unterschiedlichen Bedürfnissen im Erwachsenenalter gegenüber unserem Vater.
Es ist kein Wunder, dass wir so sind wie wir sind.

Naja, dass ich am schlechtesten zurecht komme ist aus meiner Sicht logisch, ich habe die grössten Defizite.

Der Tod meines Vaters hat mit Wucht so vieles wieder erweckt, das ich glaubte überwunden zu haben.

Aufgrund meiner Geschichte in der Familie hatte ich unglaubliche Schuldgefühle entwickelt in jungen Jahren, ich war quasi verpflichtet dazu, eine meiner Stiefschwestern über 20 Jahre lang fast schon unterwürfig zuzuhören, sie zu verstehen.

Es ist alles auseinander gebrochen vor zwei Jahren, als ich spürte und zum erstenmal wahrnahm, dass meine Liebe zu meiner Schwester einseitig war.
Ich habe aus ihrer Sicht in einer bestimmten Situation versagt, aus meiner Sicht hat sie mich elegant abgeschossen.

Sie hält sich für "emotional intelligent", für mich der einzige Bereich, wenn überhaupt, in dem sie kompetent ist bzw. war.

Es gibt diesen Song von Tim Benzko "Wenn Worte meine Sprache wären".

Man kann einen anderen Menschen nicht erfassen, ich versuche es andauernd, es geht nicht.
Was meinen Vater betrifft, würde er noch leben, würde ich mit diesem inneren, menschlichen Wissen nun nach seinem Tod alles anders machen.
Hätte ich gewusst, dass er an diesem Abend stirbt, wäre ich niemals nachhause gegangen.

Ich wünsche Euch, den lieben Menschen hier im Forum eine fröhliche Weihnacht.

Christiane
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von elas »

Guten Morgen @all,

Hi Christiane

>es wurde lange nichts mehr gesschrieben in diesem thread, seltsam<
sagst Du.
Es ist nun manchmal so, dass Threads auslaufen, keine Antworten mehr kommen, schau Dir doch einmal dieses schnell_lebige Forum an, wieviele Thread_Neueröffnungen, ein , zwei, ein paar Antworten, und schwubbs, nach einem Tag schon auf Seite 2.

>Ich bin soweit, allein um Papa zu trauern auf meine Weise und die Tiefe meines Schmerzes zuzulassen.<
Wenn Dir Dein Bedürfnis im Moment signalisiert, lieber alleine zu trauern, als Dich anderen Menschen mitzuteilen, dann ist das ja in Ordnung so.
Trauer enthält immer beide Komponenten, das alleine Durchgehen und aber auch andere Menschen teilhaben zu lassen. Es ist ein fragiler Weg.
Und: der Schmerz, die Tiefe des Schmerzes zulassen ist gut, denn nur so ebbt der Schmerz allmählich ab, ganz allmählich.
So sind es jedenfalls meine Erfahrungen mit Trauer.

>Hätte ich gewusst, dass er an diesem Abend stirbt, wäre ich niemals nachhause gegangen.<
Schade, dass Du nun Schuldgefühle hast deswegen, denn kein Mensch, nicht einmal Ärzte oder Sterbebegleiter können den haargenauen Todeszeitpunkt eines Menschen voraussagen.
Du hast Deinen Vater doch noch davor besucht, und ihm sicherlich Deine Liebe gezeigt. Das ist sehr viel.

Einen schönen Sonntag.
Selas
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Clown
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Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von Clown »

Hallo Christiane,

>Hätte ich gewusst, dass er an diesem Abend stirbt, wäre ich niemals nachhause gegangen.
Ich habe irgendwo einmal gelesen, dass sogar viele Menschen, die eigentlich 'gehen' möchten, dies erst tun (können), wenn die Angehörigen nicht dabei sind.

Das kann ich mir irgendwie auch vorstellen, die Liebe zur Tochter, zum Sohn hält den Sterbenden in der Welt fest, aber eigentlich merkt er, dass er loslassen möchte ...

Liebe Grüße,

Clown

Selas
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Hallo Selas,
hallo Clown,

danke für Eure Antworten.

Ich bin mir darüber bewusst, dass ich zur Zeit als trauernder Mensch sehr hilfebedürftig,nervig, ohne Abstand und ohne Filter an alles herangehe, weil es gerade nicht anders geht.
Jeder Versuch das Gute zu sehen scheitert.
Möglicherweise rutsche ich gerade in eine Depression, und da ich dieses Gefühl kenne, bin ich alarmiert.

Ich glaube, ich bin einfach massiv erschrocken, ohne entsprechende Erfahrung einen Menschen sterben zu sehen. Es braucht Zeit, um das zu verarbeiten, was wir gesehen haben.
MRSA Bakterien und Darmkeime nach einem winzigen Eingriff.

Es muss mir niemand mehr antworten, ich weiss, dass ich aggressiv und traurig klinge, ich schreibe einfach ein bisschen weiter hier hin und wieder. Es hilft Druck abzubauen und den Schmerz zu formulieren, mehr erwarte ich nicht von einer Seite wie dieser.

Sorry, bitte.

Lieber Gruss
Christiane
ghm
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Registriert: 25. Dez 2010, 12:38

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ghm »

Hallo Christiane,

was mich an den Toden meiner Eltern so erschüttert hat (und später auch mal wütend) war die Endgültigkeit.

Diese Grenze ist nicht zu überwinden.
Ich bleibe auf dieser Seite und sie sind auf der Anderen.

Aber, es ist auch eine heilsame Erfahrung für mich.

Ich versuche mein Leben mehr als früher zu achten, denn irgendwann kann ich auch nicht mehr zurück.
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
Anne Blume
Moderator
Beiträge: 1701
Registriert: 7. Dez 2006, 13:25

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von Anne Blume »

Liebe Christiane L.,

dieser Thread war von Anfang an aufgrund des Themas sehr schwere Kost für dieses Forum. Wir haben ihn laufen lassen, weil es ein wichtiges Thema ist - immer mit der Sorge, andere Leser könnten doch getriggert werden.
In Ihren letzten Postings wird deutlich, dass Sie wahrscheinlich mehr Unterstützung brauchen als dieses Forum. Ich sage Ihnen das weil wir hier keine Kirisenintervention leisten können und dürfen. Deshalb bitte ich Sie, sich unbedingt auch "reale Unterstützung" in Ihrem Umfeld zu suchen. Vielleicht können Sie sich z.B. einer Trauergruppe anschließen?

Herzliche Grüße
Anne Blume
ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Liebe Frau Blume,

danke für Ihren Hinweis.

Ich habe das überhaupt nicht erkannt, was ich möglicherweise auslösen könnte bei anderen Menschen im Forum.
Das tut mir sehr leid.

Ich habe Hilfe gesucht und bin dabei auf diesen thread gestossen.

Ich hatte ihn für eine Art Krisenbewältigung gehalten, aber übersehen, dass ich nicht soweit bin mit Abstand und weniger traurig über meine Erlebnisse zu berichten und andere Menschen sehr belaste.

Wie gesagt, das tut mir sehr leid.

Ich habe von aussen Hilfe, manchmal reichte es nicht aus.

Das kommt nicht wieder vor.

Herzliche Grüsse

Christiane
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von elas »

An dieser Stelle danke ich der Moderation, diesen Thread bestehen lassen zu haben.

Es ist in der Tat ein schweres Thema, aber es gehört zum Leben, und gerade Menschen, die zu Depris neigen, für die, uns, ist es doch besonders wichtig, auch mit diesem Thema umgehen zu lernen.

Zweifelsohne ist die "Trigger_Gefahr" enorm dabei.

Aber bei einigen anderen Themen hier in den Foren doch auch. Und___ich gebe zu bedenken___jeder hat ja seine individuellen Triggerpunkte.

Also, nochmals Danke.

@Diese Tage habe ich mir den kompletten Thread noch einmal durchgelesen. Ich finde ihn gut, er hilft mir, so gute Antworten, tröstlich, keine Zickereien und Animositäten, wirklich am Thema...
......und wieviele Menschen diesen Thread schon angeclickt haben, das zeigt ja, dass es ein Thema ist, welches Viele beschäftigt.


Herzlich
Selas
________________________________

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ChristianeL.

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von ChristianeL. »

Hallo Leser/-innen,

ich bin auch sehr froh, dass dieser thread nicht geschlossen wurde.

Schwere Kost, traurige Menschen und hin und wieder (wie von mir z.B.) zu emotionale Beiträge, die zu hilflos und ohne Halt sind, können dauerhaft hier nicht sein.

Ist auch gut so, ohne diesen Hinweis von Frau Blume hätte ich selbst wohl immmer tiefer und endlos weiter gemacht und stünde bald am Abgrund.

Die Trigger-Gefahr besteht immer, in diversen anderen Rubriken könnte ich gerade nicht mitlesen, weil mich nur das Thema beschäftigt in diesem thread wie kaum ein anderes zur Zeit.

Mit persönlich ist es wichtig einen Schmerz auszudrücken, der beim Verlust eines bestimmten Menschen auftritt. Es sind ja mehrere Phasen, die wir durchlaufen in einer Trauerphase. Je nachdem, wie gross die Nähe war zu dem Verstorbenen.

Ich bin einfach nur traurig, dass mein Vater MRSA eingefangen und nicht überlebt hat. Er war zu alt.

Und drei Monate zuschauen, wie sich ein Mann quält und letztlich aufgibt, sind einfach Realität.

Diese Realität hat mich veranlasst hier zu schreiben, aber die Gefühle überwiegen natürlich.

Eine schöne Weihnacht und einen guten Start für 2012.

Christiane
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von elas »

Liebe Christiane,

schön, wie Du Dich immer erklärst und schreibst.
Ich hab Deine Beiträge nicht als belastend empfunden, obwohl ich im Moment sehr belastet bin.

Du siehst, es hat ein Jeder, eine Jede in unterschiedlichen Themen Belastungsgrenzen.

Hier in meiner Großstadt X schneit es wie Weltmeister, liegt schon feste und hoch Schnee.

Schnee hat sowas Leichtes, Zudeckendes, Versöhnliches. Und man, frau weiß auch, dass wieder ein rasant schöner Frühling kommen wird.

So denke ich es für alle Trauerphasen im Leben, egal ob für reale Todesfälle oder andere Dinge, die noch einmal betrauert werden wollen.

Nun denke ich, ist dieser Thread ausgereizt.
Auch ich wünsche allen Mitlesenden eine gute Zeit.

Herzlich
Selas
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Lioness
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Registriert: 29. Mai 2005, 23:21

Re: Trennung, Tod und Abschiede

Beitrag von Lioness »

Auf Wunsch von Selas kopiere ich meinen Kommentar aus dem Thread "Trauer muss nicht automatisch Depression bedeuten" gerne hierher:

"Liebe Forianer,

ich habe lange gezögert, mich in Selas' Thread "Trennung, Tod und Abschiede" einzuklinken, weil das Thema für mich noch zu frisch und schmerzhaft war. Mittlerweile habe ich das Bedürfnis, etwas dazu zu schreiben. Und da Selas ihren Thread zu einem guten Ende geführt hat, eröffne ich mal einen neuen!

Meine Mutter ist vor gut drei Wochen gestorben; es ging eine jahrelange schwere Herzkrankheit voraus, mit verschiedenen Krankenhausaufenthalten. In den letzten Wochen war sie dreimal kurz hintereinander im Krankenhaus, dazwischen immer wieder zu Hause - und bis zum Ende der festen Überzeugung, es trotzdem allein und ohne jede Hilfe schaffen zu können. Eine Einstufung in eine Pflegestufe etwa - für sie undenkbar. Daran habe ich mich sehr aufgerieben, ich fand mich stellenweise in Selas' Schilderungen ihrer Mutter wieder. Immerhin hatte ich dafür gesorgt, dass sie endlich! mal einem Psychiater vorgestellt wurde, und der diagnostizierte endlich! bei ihr die Depression, unter der sie meiner Wahrnehmung nach schon seit -zig Jahren litt (woher ich meine diesbezügliche Disposition wohl haben mag.....?) Das nur am Rande...

Ich hatte mich AU schreiben lassen (hätte nicht vor meinen Schülern stehen können) und konnte so dabei sein bis zum Ende, ihre Hand halten, sie begleiten...... Das Schwerste, was ich in meinem Leben bisher tun musste, und doch bin ich froh darüber, dass es so sein konnte.

Und nun sitze ich hier und trauere...... und breche nicht völlig zusammen. Ich trauere - und mache mir keine Vorwürfe. Ich trauere - und habe keine Schuldgefühle.

Es ist eine reine Trauer - zwischen uns war in den letzten Jahren alles gut. Und das, obwohl wir jahrelang eine schwierige, ambivalente Beziehung hatten. Obwohl sie mich manchmal verletzt hat; obwohl sie für meine emotionalen Bedürfnisse kein Feeling hatte; obwohl sie mich der herrschsüchtigen Großtante überlassen hat, die mich traumatisiert hat.

Aber all das hat sich in den letzten Jahren relativiert; ich bin auch innerlich erwachsen geworden; ich kann sehen, wo SIE ihre Traumata und schlimmen Lebensumstände hatte, die sie zu dem emotional dstanzierten Menschen gemacht haben, der sie nun mal war.

Und ich habe ihr verziehen - obwohl ich mich mit Wut im Bauch an gewisse Begebenheiten erinnere und diese auch äußere. Aber ich habe ihr verziehen.

Und nun sitze ich hier und trauere - und falle nicht in ein depressives Loch. Davor hatte ich im Vorfeld große Angst.

Trauer fühlt sich völlig anders an als Depression. In den Momenten, in denen sie mich überrollt, ist sie übermächtig, es zerreißt mich schier. Aber wenn sie sich zurückzieht, ist es auch erstmal wieder gut. Und noch während der Trauer sind da keine depressiven Gedanken oder Empfindungen. Meine Welt geht nicht unter. Mein Leben ist nicht zu Ende. Es geht weiter, für mich. Es gibt schöne Dinge, die ich geplant habe, auf die ich mich auch freuen kann. Es gibt schöne Dinge, die ich auch jetzt genießen kann, trotz allem oder gerade deshalb.

Ich sitze hier und trauere. Aber noch in der Trauer ist auch die Hoffnung, nein, die Gewissheit da: Die Nacht wird nicht ewig dauern. Ich darf trauern, ich darf weinen, ich darf sie vermissen, ich darf fassungslos gegenüber dem Phänomen Tod sein - es IST unfassbar, dass ein so naher Mensch einfach nicht mehr da ist.

Aber: Wo die Trauer ungehindert fließen kann und darf, setzt sich die Depression nicht so schnell fest. Wo gesunde Trauer ist, da ist Bewegung - und Depression ist Erstarrung.

Trauer bedeutet nicht automatisch Depression.....

Nachdenkliche Grüße"
Lioness



Wir brauchen den Blick nach hinten, um unser Leben zu verstehen. Wir brauchen den Blick nach vorne, um unser Leben zu LEBEN!
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