Abendtief statt Morgentief?

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Cheyenne
Beiträge: 4
Registriert: 8. Jul 2010, 20:09

Abendtief statt Morgentief?

Beitrag von Cheyenne »

Hallo an alle!

Allgemein ist es ja so und wird auch oft hier berichtet, dass es einem schwer fällt, morgens in die Gänge zu kommen wenn man an einer Depression leidet.

Bei mir ist es komischerweise genau andersrum: Morgens bin ich fit und kann gut aufstehen, aber abends spüre ich die Anforderungen des Tages, bin einfach platt und fange an zu grübeln, Zukunftsängste, drohende finanzielle Sorgen usw.

Ich muss dazu sagen, ich war fast anderthalb Jahre wegen meiner schweren Depressionen krank geschrieben und habe zuletzt meinen sicheren Job im öffentlichen Dienst geschmissen, da ich einfach in meinem Beruf nicht mehr arbeiten kann.
Jetzt bin ich freigestellt und kann eigentlich machen "was ich will" um es mal so salopp zu sagen.

Deshalb sorge ich für eine gute Tagesstruktur, bin viel und gerne draussen, treibe viel Sport, gehe Einkaufen usw. Geht alles ohne Probleme. Ich habe auch einen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 50.

Nur, alles was über das private Umfeld hinaus geht, wird mir zuviel. Daher sehe ich mich auch ausserstande in absehbarer Zeit jemals wieder Vollzeit zu arbeiten.

Das alles kommt mir jeden Abend irgendwie hoch, obwohl ich mich endlich von meinem Arbeitgeber befreien konnte.

Kennt Ihr das auch? Ich bin jetzt Ende 40 und stelle leider fest, dass sich dieser unangenehme Zustand in den letzten Wochen stark verschlimmert hat. Morgens ist dann wieder alles O.K. und ich kann mit Elan in den neuen Tag starten und Dinge angehen.

Eure Meinung hierzu würde mich sehr interessieren und wie Ihr damit umgeht, welche Strategien Ihr habt.

Vielen Dank fürs Lesen,
Spirit
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If the music doesn´t whisper in your ears and helps you to create your own images, then it has failed.

Jon Lord (Ex-Deep Purple)
misswillswissn
Beiträge: 18
Registriert: 3. Jan 2011, 01:13

Re: Abendtief statt Morgentief?

Beitrag von misswillswissn »

Hallo Spirit,

bei mir ist es zwar nicht so, dass ich am Morgen voller Energie stecke und abends im total depressiv bin, aber ich kann durchaus sagen, dass es mir abends wesentlich schlechter geht als morgens. Wie du auch schon geschrieben hast ist es normalerweise wirklich andersherum, ich dachte schon ich wäre die einzigste der es so geht. Genauso häufig hört man aber auch, dass die Symptome einer Depression sehr unterschiedlich sind, fast so individuell wie jeder Mensch.

Ich wünschte mir ich könnte dir einen Rat geben wie du am besten damit umgehen kannst, aber leider bin ich selbst total ratlos.

Alles Gute!
Reve
Beiträge: 754
Registriert: 4. Jun 2008, 17:35

Re: Abendtief statt Morgentief?

Beitrag von Reve »

Hi,

ich hab das auch, das Nachmittags-Abendtief. Verstärkt freitags, Wochenende, Feiertag…
Hinzu kommt bei mir, dass ich immer etwas zu tun brauche. Ist Leerlauf, geht’s los, massiv,…

Was mir offenbar ein wenig hilft, ist in der Gegenwart zu bleiben. Die Gedanken an die heile Vergangenheit zu unterdrücken, an die Zukunft auch.
Und vielleicht den Gedanken weiterzufolgen, jeden Tag einzeln zu bewerten. Notfalls auch im Stundenrhythmus. Also auch im Sinne „jeden Tag kompletter Neustart, jeden Tag neue Chance.“

Ich mach viel Kreatives, was anstrengend, aber auch sehr antidepressiv wirksam ist. Dafür bleibt aber für soziale Kontakte wie Freundinnen etc. oder auch Reisen wenig Lust und Energie, um nicht zu sagen 0 Energie.

Ich glaub, mein größtes Problem ist derzeit die Norm, das Abweichen von der Norm,...

LG, Carin
Kathryn
Beiträge: 236
Registriert: 1. Dez 2010, 14:41

Re: Abendtief statt Morgentief?

Beitrag von Kathryn »

hi,

ich kann bei mir eigentlich überhaupt keine phasen feststellen...bin eigentlich von morgens bis abends in einem tief...kann da keinen unterschied erkennen bei mir.

kate
Wer kämpft, kann verlieren- Wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Dendrit
Beiträge: 4981
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Re: Abendtief statt Morgentief?

Beitrag von Dendrit »

Hallo Spirit,

mir ging's ebenso (im Moment hab ich keine Depri): morgens voller Elan und was ich alles machen will, meist um 16.00 h gings bergab.

Das war immer das Problem, wenn mich am Tag jemand fragt, wie's mir geht und ich sag "gut!" gelt ich dann schon irgendwie unglaubwürdig, wenn ich am nächsten Tag sag, mich hat's wieder runtergezogen, aber jetzt fühl ich mich gut. Ich hab mir dann einfach angewöhnt zu sagen: "Man soll den Tag nicht vor den Abend loben - im Moment gehts."

Dagegen getan? Ferngesehen oder irgendein Projekt oder Spiel am PC. Je tiefer, desto mehr bloß berieseln lassen oder stupider ein Spiel.

LG, Manuela
Zarra
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Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Abendtief statt Morgentief?

Beitrag von Zarra »

Hallo Spirit,

der Morgen ist definitiv nicht meins (doch ich bin echt froh, wenn nicht noch die bei mir glücklicherweise doch seltenen Phasen mit Früherwachen dazukommen) ..., doch in den letzten Jahren ist mit mir abends auch nichts mehr anzufangen, kein Grübeln wie bei Dir, ich bin einfach von der (so nicht erklärbaren) Erschüpfung her "platt", k.o., ausgelaugt, kann nicht mehr klar denken, habe zu nichts Lust, nichts macht wirklich Spaß, alles ist mir zuviel, kein Aufatmen, nur Last. Dazu passend: Wenn ich die Gelegenheit dazu habe, schlafe ich auch nachmittags oder frühabends für eine Zeit ein.

Gut wäre es für mich, sehr früh ins Bett zu gehen. Doch das ist für soziale Kontakte absolut unverträglich. Und Zwickmühle, weil ich mich dann ja nicht wirklich wohlfühle. Momentan sehe ich keine andere Chance, als das weitestgehend - mit Ausnahmen - hinzunehmen. Denn anders geht dann gar nichts mehr.

Vielleicht kommst Du am Abend ja aber auch erst so zur Ruhe, daß dann die eigentlichen Probleme hochkommen? Man kann sich mit Alltag und Aktivitäten ja auch gut ablenken. Was Du genannt hast, könnten ja realistische Realitäten sein.

Zarra
Cheyenne
Beiträge: 4
Registriert: 8. Jul 2010, 20:09

Re: Abendtief statt Morgentief?

Beitrag von Cheyenne »

Danke schön an Alle die geantwortet haben.

Der Teufelskreis ist für mich, dass wenn ich abends müde bin vom Tag, mich zu nichts mehr aufraffen kann. Dabei wäre gerade dann eine ablenkende Beschäftigung sinnvoll, aber es geht einfach nicht.

Mehr als 1 bis max. 2 Stunden Arbeit am Tag ist nicht drin. Ist schon nicht einfach, dann nicht als Drückeberger angesehen zu werden.

Vielen Dank und Gruß,
Spirit
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Jon Lord (Ex-Deep Purple)
Nico Niedermeier
Moderator
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Re: Abendtief statt Morgentief?

Beitrag von Nico Niedermeier »

In den alten psychischen Klassifikationen dachte man immer, dass ein Morgentief typisch ist für eine biologische Depression, ein Abenttief typisch für eine lebensgeschichtliche Depression...
Grüße
Dr. Niedermeier
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