Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

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Minja
Beiträge: 154
Registriert: 21. Mär 2011, 21:02

Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von Minja »

Ich habe heute das erste mal meinem Therapeuten was erzählen können, was bei mir schon immer passiert - jetzt aber im Moment wieder sehr schmerzlich ist.

Kurz zu mir:
Ich bin Anfang Februar nach 8 Wochen stationären Aufenthalt entlassen worden, war dann weitere 8 Wochen krank geschrieben und habe vor 3 Wochen mit Wiedereingliederung angefangen. Ich nehme Cipralex und Seroquel.

Mein Therapeut war mit meiner Beschreibung irgendwie leicht überfordert. Er fragte mich, ob ich viell. jemanden (im Internet oder so) kennen würde, der ebenso fühlt. Deshalb will ich Euch mal fragen.

1. Ich sitze mit meinem lieben Mann bei schönstem Sonnenschein im Café, lasse mir mein Essen schmecken, unser Sohn ist bei Oma und Opa gut versorgt, die Bäume und Blumen umgeben uns. Ich denke mir so: "Hm, schön." Und beginne, auch so zu fühlen. Aber sobald ich anfange, so zu fühlen, kommt sofort ein Dämpfer und ich werde traurig, hoffnungslos, teilweise gefühllos. Ich bin eigentlich aus der Depression ziemlich raus, aber das haut mich jetzt teilweise um. Denn wenn ich weiterhin nix wirklich mehr genießen kann, dann ist das nicht wirklich ein schönes Leben.

2. Nachdem ich sehr aktiv war, fühle ich mich aufgrund von Überforderung total traurig und will alles hinschmeißen. Hässliche Gedanken drängen sich mir auf. Von einem Moment auf den anderen.

3. Schon von Kindheit an, macht mich Musik traurig. Sie muss nicht mal wirklich traurig sein, aber dennoch werde ich total melancholisch. Ausnahme sind wirklich lustige/freudige Lieder.

4. Ich werde traurig, wenn ich in der Ferne ein Flugzeug oder die Autobahn höre - vorrangig nachts.

5. Ich werde traurig, wenn ich einen Krankenwagen höre.


Mein Therapeut will sich zu Punkt 1 mit seinem Supervisor besprechen. Er hat gesagt, er hat kein Patentrezept. Aber ich habe ihm auf seine Frage hin auch gesagt, dass ich dieses Gefühl loswerden will. Denn es zermürbt mich.

Kennt Ihr sowas? Ich meine auch außerhalb der Depression - wenn man denn überhaupt von außerhalb sprechen kann.


LG Minja
FönX
Beiträge: 3370
Registriert: 2. Jul 2008, 11:37

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von FönX »

Hallo Minja,

ich frage mal zum Punkt 1:
Hast du irgendwie das Gefühl, dieses Schöne nicht verdient zu haben? So empfinde ich, wenn mir Schönes widerfährt. Da ist im Hintergrund immer so ein "Aber". I.S.v. "das ist bestimmt bald vorbei", "ich verdiene das gar nicht" usw..

Zu den anderen Situationen kann ich nichts sagen.

Liebe Grüße
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Minja
Beiträge: 154
Registriert: 21. Mär 2011, 21:02

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von Minja »

Hallo Fönx,

ja, ich habe immer so ein Gefühl, als ob ich das nicht verdient hätte. Aber ich kann das nicht konkretisieren. Ist nur dieses Gefühl. So, als wäre es verboten, so zu fühlen.


LG Minja
Georgiana
Beiträge: 69
Registriert: 16. Mai 2011, 18:13

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von Georgiana »

Hallo!

Ich kenne alle deine Situationen. 1u.2ist typisch depri.

zu 3.: Ich fange bei jeden Lied an zu weinen. Weiß auch nicht warum...

Wenn ich ein Flugzeug höre, werde ich ganz traurig und bekommer Fernweh...
LG

Georgiana

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"Würdest du fühlen was ich fühle, würdest du unter den Schmerzen heulend zusammenbrechen!"

"Schweigen ist der lauteste Schrei!"
Phosphor
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Registriert: 5. Dez 2010, 14:19

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von Phosphor »

Zu 1. fällt mir noch ein weiterer Aspekt ein:
Kann es sein, dass Du dem angenehmen Zustand ein gutes Stück weit misstraust? Bei mir war es lange Zeit so (und ist es teilweise auch heute noch), dass ich mich quasi geweigert habe, schöne Augenblicke als solche zu genießen, weil ich befürchtete, dass sie ohnehin nur Illusion sind und sich gleich in Luft auflösen würden. Ich dachte: "Oh je, wenn ich mich darauf einlasse, nur um wenig später mit ansehen zu müssen, wie die schöne Illusion zu Staub zerfällt - diese Enttäuschung würde ich nicht ertragen." Und ließ es gleich ganz.
3. Weinen bei Musik: Ist da wirklich *immer* Meancholie im Spiel? Ich kenne das aus Situationen besonderer emotionaler Anspannung. Und zwar vermehrt in nicht-depressiven Phasen - wohl, weil ich dann einen besseren Zugang zu meinen Emotionen habe. Dann fließen die Tränen jedoch aus purer innerer Bewegung, etwa bei besonders bombastischen oder auch zarten Stücken. Oder bei solchen, die starke Erinnerungen wecken.
4. und 5. same here. Wirklich echte Traurigkeit? Oder vielleicht auch so ein Stück Wehmut, Sehnsucht nach der Ferne?
I-AAH
Beiträge: 347
Registriert: 2. Dez 2009, 16:34

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von I-AAH »

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Minja
Beiträge: 154
Registriert: 21. Mär 2011, 21:02

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von Minja »

Oh vielen Dank für Eure ausführlichen Antworten!

@jonojo:
Ich weiß eigentlich noch gar nicht richtig, warum ich so fühle. Also ich kann nicht sagen, welche Gedanken dazu führen. Ich habe das Gefühl, dass ich gar nichts groß denke, sondern einfach diese Stimmung über mich herfällt. Vielleicht komme ich aber noch drauf.

Mein Therapeut will das schon noch mit mir ergründen, aber da er selber noch in Ausbildung ist, will er erst mal mit seinem Supervisor sprechen, um mir besser helfen zu können.

@Georgiana:
Es tut echt gut, zu lesen, dass es auch anderen so geht. Danke dafür!

@phosphor:
Also wie schon gesagt, ich weiß nicht wirklich, warum ich bei Pkt. 1 so empfinde. Muss das noch bissl beobachten.

Tja, und wegen der Unterscheidung zwischen Traurigkeit, Melancholie und Wehmut, Sehnsucht: Ich glaub, ich kann das schlecht trennen. Hängt doch alles sehr nah beieinander, oder?

@I-Aah
Und nun zu Dir,
lieber I-Aah (bist Du eigentlich männlich oder weiblich?)

Vielen, vielen Dank für Deinen langen Beitrag.

Ja, ich liebe Musik auch total. Mein erste Erinnerung an meine Kinderzeit ist, dass ich im TV ein Lied gehört habe - es war eher nur eine Melodie - die ich sooo schön und zugleich traurig fand, dass ich ganz traurig dazu auf allen Vieren rumgekrabbelt bin und weinendes Kätzchen gespielt habe. Ich glaub, mich berührt Musik auch zutiefst. Vielleicht haben wir Depris einfach oft sehr sehr feine Antennen für das Emotionale und damit auch für Emotionen, die in Musik stecken.

Bei den Flugzeugen ist es bei mir eher so, dass ich mich in meinem Kinderzimmer wiedersehe, wie ich da so traurig und abgeschieden und allein mit meinen Gefühlen sitze. Vielleicht kommts daher.

Das was Du zur Überaktivität schreibst, kommt bei mir genauso hin. Wobei mir die genauen Gedankengänge in mir noch nicht so ganz klar sind.

Ja, Du hast recht. Wenn ich freudig werde, dann kommt wohl gleich der Gedanke, dass ich doch in letzter Zeit solche Momente überhaupt nicht mehr erleben konnte, und dann werde ich deshalb traurig. Einfach über die Tatsache, wie bescheiden die letzten Monate waren.

Und warum mich mein Therapeut fragt, ob ich jemanden mit diesen Symptomen kenne, weiß ich nicht. Ich hatte ihn so verstanden, dass er selber das Ganze nicht zuordnen kann und wissen wollte, ob ich mich vielleicht kundig gemacht habe und ihm irgendwie weiterhelfen kann. Wie gesagt, er ist noch in Ausbildung. Er ist zwar Dr. med, aber macht noch ne Zusatzausbildung zum Psychotherapeuten oder so.

Vielen Dank! Besonders Dein Beitrag war für mich sehr aufschlussreich! Danke!


LG Minja
Phosphor
Beiträge: 194
Registriert: 5. Dez 2010, 14:19

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von Phosphor »

@Minja: Du schreibst:
"Tja, und wegen der Unterscheidung zwischen Traurigkeit, Melancholie und Wehmut, Sehnsucht: Ich glaub, ich kann das schlecht trennen. Hängt doch alles sehr nah beieinander, oder?"

In dieser Frage lohnt es sich für mich, auf die kleinen, aber feinen Unterschiede zu achten - auch wenn es zugegebenermaßen nicht ganz einfach ist, den empfundenen Unterschied in Sprache zu formulieren.

Gerade bei 4. und 5. spielt für mich der Aspekt der Zukünftigkeit eine große Rolle.

Also beispielsweise der Wunsch, doch bitte bald einen Flieger an meinen Lieblingsort zu nehmen (was aus bestimmten Gründen so schnell nicht klappen wird). Oder andererseits (Rettungswagen) der Gedanke, dass vieles im Leben - manchmal sogar alles - sehr schnell zu Ende gehen kann.

Die "Traurigkeit" beim Musikhören empfinde ich übrigens auch als gleichzeitig angenehmes, dunkles Gefühl, das ich durchaus manchmal absichtlich herbeiführe. Also etwas völlig anderes, als die Traurigkeit bei einem Verlust, Beziehungsende o. ä.
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von anna54 »

Hallo Minja
ich habe nach einen langen Phase der Depression ein halbes Jahr gebraucht,bis ich wieder Musik auch als Musik gehört habe.
Das war sehr schmerzhaft,zugleich hoffnungsvoll.
Viele Lebenssituationen vertrage ich nur noch dosiert,mit jederzeitiger Fluchtmöglichkeit.
Ich kann den Schmerz nicht mehr ertragen,der nicht nur den Verlust zeigt,sondern auch,wie lange ich schon so abgeschnitten lebe.

Meine Schwerster hatte in ihrem wunderschönen Garten einen Hängesessel aufgebaut,man verschwand in dem Tuch ,wie in einer Schutzhülle,ich bin sofort rausgesprungen,konnte nicht ertragen gehalten zu sein.
Ich habe mir den Hängesessel selbst angeschafft und so übe ich,den Schmerz auszuhalten,nichts trägt dich,sagt der Schmerz.
Wenn ich eine Stunde schaffe,beginnt das Loslassen und Vertrauen,das tut mir gut.
Aber wie weit weg ist das.meine Körpersprache signalisiert oft,Vorsicht,niemand hält dich,niemand fängt dich auf.Du wirst noch tiefer fallen.
Wann ist das Vertrauen zerstört worden,eindeutig in der Geschlossenen.

Ich bin gern bei den traurigen-kranken-und alten Menschen,da fühle ich,da kann ich abgeben und nehmen.
Die"normalen" Menschen kommen mir vor wie Party---Party.
Ich bin super gut für die Vorbereitung von Festen,kann gut organisieren,habe gute Ideen,mache ganz viel,

Das Fest kann ich nicht feiern,wundere mich über die anderen,die das können und einfach genießen.
Das Ende der Festes ist dann wieder mein Ding,den Heimweg organisieren,aufräumen,wieder "Normalität" herstellen.

Das tut so weh,ich bin nie mehr dabei,aber was soll ich tun?
Je fröhlicher meine Umgebung,so trauriger und hoffnungsloser ist meine Wahrheit.
anna54
I-AAH
Beiträge: 347
Registriert: 2. Dez 2009, 16:34

Re: Bei beginnender Freude folgt Traurigkeit

Beitrag von I-AAH »

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