Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

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kiwilana
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Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von kiwilana »

diese meine geschichte begann als antwort an antiope an anderer stelle, wurde dann mehr und mehr die geschichte meines inneren kindes und langsam aber sicher eine billanz-ziehung der erwachsenen kiwi - die ihr dabei helfen und sie daran erinnern soll, zu sich selbst zu stehen und auf sich zu achten.

die kleine kiwi wuchs auf dem land und in der natur auf. sie war ständig in wald und flur unterwegs - und ständig dreckig sie liebte pferde, saß mit 5 zum ersten mal auf einem pony und erlebte in den folgenden 10 jahren "das glück der erde auf dem rücken der pferde".

die pupertät machte ihr dann ganz schön zu schaffen. auch das jungs pferdenärrinnen eher blöd fanden und alle anderen sie deswegen ebenso belächelten. als sie diesen druck nicht mehr aushielt, verkaufte kiwi zum ersten mal in ihrem leben ihre seele: sie versuchte sich anzupassen und zu integrieren - bei jenen menschen, die nicht so sind wie sie selbst ist und nicht jene werte mit ihr teilen, die ihr wichtig sind und am herzen liegen. aber sie brauchte diese druck-entlastung und diesen selbstgemachten - und leider selbst verratenden - schutz, nicht auch noch in der schule zu große probleme zu haben. denn zuhause stritten ihre eltern immer mehr.

kiwi wollte ursprünglich auch pferdewirtin werden. ihre mutter machte sich jedoch sorgen darüber: die ausbildungsstätten hierfür sind weiter weg und auch die frage, ob man mit dieser ausbildung danach eine stelle findet, sorgte kiwis mutter. verboten hat sie es ihrer tochter nicht, aber kiwi konnte sich von den gedanken ihrer mutter auch nicht gänzlich frei machen. dazu kam ja auch, dass kiwi bereits angefangen hatte, weniger bei den pferden zu sein, weil sie mit blick auf die schule und andere jugendliche auch gerne "normal" sein, anerkannt und gemocht werden wollte.

also verkaufte kiwi zum zweiten mal in ihrem leben ihre seele: und wurde keine pferdewirtin. sie wurde dekorateurin, weil dies bei einem test im arbeitsamt als zu ihr passender beruf heraus kam. dass bei diesem test nicht pferdewirtin heraus kam, zeigt wohl wie weit kiwis anpassungsmechanismen sich zum zeitpunkt des tests bereits ausgeprägt hatten.

die ausbildung fand kiwi trotzdem ganz gut. sie dachte ja auch nicht mehr an ihren ursprünglichen traumberuf. und es tat ihr gut, an diesem neuen ort in der stadt von anfang an irgendwie anerkannter zu sein - anders als zuhause im dorf, wo sie noch wohnte und komplett anders als es zuvor in der realschule war. die anpassung in der realschule hatte ja auch nicht wirklich geklappt. niemand hatte der ex-pferdenärrin so wirklich abgekauft, dass sie nun genauso war wie die "coolen von der schule". auch wenn sie die selben marken-klamotten trug und angefangen hatte zu rauchen, wie alle anderen "coolen" (und keine "wendy" mehr im schulflur las).

weil diese anpassung nicht wirklich geklappt hatte, war kiwi bereits ein zwei jahre vor der ausbildung eine art punk geworden. heute weiß kiwi, dass es ein pseudo-punk-dasein war - und in erster linie dem eigenen schutz diente. sie fühlte sich aber auch wohler in dieser punk-welt und in ihrer punk-rolle, als zuvor in der auf der schule anerkannten coolen-welt mit ihren marken-klamotten, etc. als punk musste sie nun nicht mehr all ihr geld für marken-klamotten ausgeben. hat ja eh nix gebracht. nun konnte kiwi die billigsten klamotten der welt anziehen - gebraucht war eh besser als neu - und man durfte sogar löcher in die klamotten schneiden

in dem punk-hippie-alles-mögliche-schuppen im dorf, wurde man auch nicht dafür ausgelacht, wenn man sich für umweltschutz einsetzte oder weil man vegetarier war. in der schule war kiwi dafür immer ausgelacht und belächelt worden. dabei beschäftigten sie diese themen schon länger. in der alternativen szene fühlte kiwi sich dann endlich verstanden und unterstützt, ihre werte zu vertreten. durch diesen rückhalt gestärkt, traute sie sich dies dann auch in der schule. ein punk-mädel, dass in diesen schuppen geht, wo lauter ältere sind, wurde auf der schule dann auch nicht mehr ausgelacht. sie gehörte zwar auch nicht dazu, aber man hatte respekt vor ihr (bzw. vor ihrem aussehen und ihrer szenen-zugehörigkeit).

all dies brauchte die kleine kiwi, um sich beschützt zu fühlen. und nun hätte sie sich auch wieder mehr den pferden zuwenden können. aber vermutlich hatte kiwi angst, dass es dann wieder wie vorher werden würde. und dieses gefühl der anerkennung oder des respekts - anstatt abgelehnt und ausgelacht bzw. belächelt zu werden - wollte kiwi auf gar keinen fall verlieren.

also machte sie in den darauf folgenden jahren genau so weiter. eine anpassung nach der anderen. im ausbildungsbetrieb trug man eher ordentliche kleidung? also gab kiwi irgendwann ihr punk-dasein doch auf und wurde schick. der erste freund mochte techno? also wurde sie ein techno-girl. als kiwi das dekorateurin-sein geistig nicht mehr anregend genug fand, traf sie zwar die richtige entscheidung etwas neues machen zu wollen. aber als sie dann zufällig in die boomende new economie branche hinein kam, wieder das selbe: alle arbeiten wie die bekloppten? also macht kiwi das auch. alle finden den lohn des schnellen aufstiegs, der großen coolen karriere, business flüge nach london und verantwortungsvolle aufgaben, in denen 20jährige kiwis 180.000-DM-druckaufträge komplett eigenverantwortlich unterschreiben dürfen als ausreichende bezahlung für 12-14 stunden tägliches arbeiten? dann findet kiwi das natürlich auch.

alle männer zwischen dem ersten freund und dem jetzigen wollten nur körperliches? dann macht kiwi auch das mit, obwohl sie sich etwas anderes wünscht.

kiwi wusste einfach nicht, welchen preis all das haben würde: nämlich, dass sie sich mehr und mehr von sich selbst entfernte. und dass genau dies dazu führen würde, dass sie sich immer schlechter fühlt, ihr körper irgendwann rebellieren würde (psychosomatische schmerzen) - und weil sie selbst DANN noch nicht verstand, was ihre zutiefst verschüttete seele ihr über ihren körper versucht mitzuteilen: kam der komplett-ausbruch der depression als endgültiger aufschrei meiner seele... dass sie sich tot fühlt, dass sie so nicht mehr weiter machen kann... dass ich sie beachten und wieder beleben muss... und endlich MEIN leben leben muss, damit es ihr und mir endlich wieder - oder erstmals in meinem ganzen leben - gut gehen kann. wirklich gut. innerlich. und nicht nur nach außen.

meine erste diagnose, als vor 12 jahren die schmerzen kamen (während der new economie sache) und ich meine erste psychotherapie machte, lautete: anpassungs-störung bzw. resozialisierungs-störung. das finde ich bei meiner biografie äußerst faszinierend - um es mal höflich auszudrücken. die lösung wurde also darin gesehen, mich therapeutisch dabei zu unterstützen, mich (wieder) anpassen und integrieren zu können. aha.

ich halte psychotherapie für absolut sinnvoll, hilfreich und wichtig. aber: gott sei dank hat sich in den letzten jahren auch hier so einiges getan. allerdings: nicht überall und nicht bei jedem therapeuten. meiner meinung nach wird in den klassischen psychotherapie-ansätzen noch viel zu selten auf den aspekt der eigenen werte, bedürfnisse und charakter-eigenschaften des patienten wert (!) gelegt. was natürlich auch damit zusammen hängt, dass therapien teuer sind und von trägern bezahlt werden, deren interesse auch darauf liegen muss, dass patienten (wieder) arbeiten können. dafür habe ich auch verständnis. und habe ja auch selbst das ziel arbeiten zu können. aber: ich möchte dafür nie wieder (!) den preis zahlen, mich zu diesem zweck auf eine art und weise anzupassen, die meinen innersten werten und meiner seele widersprechen - und demzufolge meiner psychischen und physischen gesundheit schaden. genau so, wie es all die jahre war, wenn ich dies genau so tat.

den kostenträgern brachte dies ja auch nichts. ganz im gegenteil. nach zwei ambulanten therapien hatte ich dann zwar ein studium abgeschlossen - was den trägern super toll und erwerbsorientiert gefallen haben muss. aber was brachte all das, wenn das studium nicht passte und ich immer noch nur nach dem schema "funktionieren" und "anpassung" handelte - ohne endlich mal einen plan davon zu haben, wer ich wirklich bin und was ich wirklich will: es brachte nichts! ich wurde immer kränker, bekam immer mehr schmerzen und symptome bis irgendwann gar nichts mehr ging: mittelschwere depression, nicht arbeiten können, ab in die klinik (sau teuer). was brachten also die vorherigen therapiemaßnahmen auf basis der diagnose "anpassungsstörung" dem kostenträger? nichts - außer noch mehr kosten. und mir noch mehr leid.

aber die klinik war gott sei dank etwas "weiter": dort spürte ich dann zum ersten mal und am stärksten den ansatz: "was wollen SIE denn, frau ...?". ICH??? hmm... stotter, stotter - schwer zu sagen nach all den jahren der anpassung

deshalb arbeite ich jetzt auch oft mit der act-therapie, die an den eigenen werten und bedürfnissen depressiver menschen - als lösung und ausweg aus der depression - orientiert ist. und achte darauf, dass meine therapeuten nicht (nur) auf ergebnisse und funktionieren, für den "preis der selbstverleugnenden anpassung", wert legen - sondern auch mich dabei nicht vergessen. so wie auch ich versuche, mich selbst nicht mehr zu vergessen und zu missachten bzw. überhaupt erstmal versuche, mich selbst kennen zu lernen und die zeichen zu erkennen, die von meiner seele her kommen. die mir sagen wollen: DAS bist DU - und DAS nicht. und mir sagen wollen: lebe DICH, liebe kiwi! dann kannst du auch gesund werden!

und das geht nur, wenn ich auf mein herz höre. und mein herz sagt nein zu der anwaltskanzlei, die mich zu einem vorstellungsgespräch einladen wollte. das bin nicht nur nicht ich - sondern es ist meilenweit (!) weit weg von dem, wer ich bin.

wenn ich aufgrund meiner (noch) trockenen augen schon nicht pferdewirtin werden kann: dann brauche ich wenigstens einen arbeitsrahmen und arbeitsinhalt, der nicht zu stark von meinen werten abrückt. deshalb habe ich mich als bürokraft auch schon in gärtnereien oder bei einer landschaftsarchitektin beworben. und nach vereinen im bereich umweltschutz oder soziales gesucht, wo ich auch als bürokraft helfen könnte. leider gab es da nichts, was bezahlt wird. ich bewarb mich auch als verkäuferin in bio-läden und hofläden in den umliegenden dörfern. aber niemand brauchte eine hilfskraft. nun ja. ich muss weiter suchen. und in zukunft die steuerberatungen und anwaltskanzleien weglassen

PS: zur überbrückung und zum üben würde ich natürlich auch andere dinge machen. z.b. nochmal in einem call center arbeiten (hab ich auch schonmal gemacht). oder in einem kiosk (da war ich ende letzten jahres bei einem vorstellungsgespräch - übrigens nur aufgrund der act-übung - obwohl sich alles in mir dagegen streubte). was ich damit sagen will... weiter weg von mir und anpassen: ja. zu weit weg von mir und verstellen: nein.

liebe grüße kiwi
Lulu_hofft
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Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von Lulu_hofft »

DANKE!!! ...für deine Geschichte. (mich beschäftigt dieses innere Kind grad sehr)

Außer DANKE fällt mir jetzt nichts nettes dazu ein. Hab eh das Gefühl, du machst es grad richtig.

Ähm... weisste, wovor ich manchmal bisken Muffe hab? Vor lauter Anpassungsabwehr ins Gegenteil zu rutschen. Weisste, wie ich meine? ppphhhhh... ganz schön schwer das.

Liebe Grüße
-------Ich bin wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich. (Adenauer)-------
ghm
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Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von ghm »

Hallo kiwilana,

Du hast in Deinem Leben schon so viel gelernt und erreicht.
Vielleicht auf Kosten Deines Selbst.

Ich erinnere mich an die Geschichte eines alten Häuptlings, ich glaube der Hopi.

Er wurde zum großen weissen Vater nach Washington DC eingeladen.
Er wurde von 2 Kavalerie Offizieren abgeholt, in einen Zug gesetzt und gut verköstigt.
Er reiste mit dem schnellen Eisenross mehrere Tage und erreichte Washington DC.

Er verliess den Zug und ging an den Beginn des Bahnsteiges
und stetze sich. Und dort sass er lange, noch länger.

Die Offiziere baten ihn aufzustehen und zum weissen Vater zu gehen.
Da sprach der Häuptling:
"Die letzten Tage bin ich mit Euch gefahren, schnell durch die Welt und jetzt bin ich hier angekommen.

Nun habe ich zu warten, bis mein Geist/Seele hinterherkommt".

Vielleicht solltest Du Dich auf den Bahnsteig Deines Lebens setzen und auf Deine Seele warten
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
paco
Beiträge: 310
Registriert: 19. Jan 2011, 11:06

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von paco »

Hi kiwilana,

ich erkenne in Deiner Geschichte so manche Parallele zu meinem Leben. Auch ich war ziemlich radikal darin, das zu tun, was ich für richtig und ethisch vertretbar halte.

Das tun zu können, setzt zweierlei voraus:
1. Man muss wirklich wissen, was man will. Und nicht nur, was man alles nicht will und nicht für richtig hält.
2. Die Realität, unsere Gesellschaft muss Dir die materielle Basis bieten, dieses Leben konsequent zu leben.

In den allermeisten Fällen werden die harten Realitäten die Menschen zu Kompromissen zwingen. Spätestens dann, wenn man, wie ich, Kinder in die Welt gesetzt hat, für die man dann verantwortlich ist.

Ich habe in den Augen meiner Mitmenschen "verrückte" Sachen gemacht, Sicherheiten verschmäht, weil ich dieses perverse Leben, zu dem unsere Gesellschaft die meisten Menschen zwingt, nicht mitmachen wollte. Meine Depri, glaub ich, ist ein Teil des Preises, den ich bezahle. Ich empfinde eine Diskrepanz zwischen Ist und Soll, die sich nicht ausgleichen lässt.

Ich wünsche mir eine andere Welt, und ich finde es irrsinnig schwer, "ich" zu bleiben in unserer Gesellschaft.

Vielleicht geht es anderen auch so??

Schönen Abend

paco
PurpleRain
Beiträge: 213
Registriert: 29. Mär 2010, 22:02

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von PurpleRain »

Kiwi, danke.

>... und ich meine erste psychotherapie machte, lautete: anpassungs-störung bzw. resozialisierungs-störung.
An dieser Stelle musste ich doch sehr grinsen,
PR
"Wozu ist das?" "Das ist blaues Licht." "Und was macht es?" "Es leuchtet blau."
Regenwolke
Beiträge: 2214
Registriert: 15. Apr 2006, 12:46

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von Regenwolke »

Hallo Kiwi und ihr anderen:

nur zur Info: Unter Anpassungsstörung versteht man eine länger andauernde, oft depressive oder durch Ängste geprägte Reaktion auf eine belastendes Ereignis, veränderte Lebensumstände, usw. Das hat mit "angepaßt" oder "unangepaßt" sein eigentlich nichts zu tun.
maribo
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Registriert: 10. Nov 2010, 00:24

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von maribo »

Hallo paco,

Ich habe in den Augen meiner Mitmenschen "verrückte" Sachen gemacht, Sicherheiten verschmäht, weil ich dieses perverse Leben, zu dem unsere Gesellschaft die meisten Menschen zwingt, nicht mitmachen wollte. Meine Depri, glaub ich, ist ein Teil des Preises, den ich bezahle. Ich empfinde eine Diskrepanz zwischen Ist und Soll, die sich nicht ausgleichen lässt.


Bei mir ist es ganz genau umgekehrt.
Ich bin lange Zeit immer mit dem Strom geschwommen und hab erst spät gemerkt, dass ich das so gar nicht will.
Rückblickend hätt ich gern "verrückte" Sachen gemacht…
Das versuch ich, wenn meine Depri mich lässt, ein ganz klein bisschen nachzuholen.

Doch klar ist auch, versäumtes im Leben lässt sich nicht nachholen
und Kompromisse sind fast immer nötig im Miteinander mit anderen Menschen.

Liebe Grüße __ maribo
______________________________
*ICH MUSS NICHT - ABER - ICH KANN*
maribo
Beiträge: 727
Registriert: 10. Nov 2010, 00:24

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von maribo »

Hallo kiwilana,

deine Geschichte erinnert mich sehr an selbst erlebtes.

Ich wünsche dir, dass du die richtige Entscheidung für dich triffst und DEINEN Weg findest.

Liebe Grüße __ maribo
______________________________
*ICH MUSS NICHT - ABER - ICH KANN*
StrP
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Registriert: 7. Mai 2010, 15:14

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von StrP »

Hallo Kiwilana,
seit einiger Zeit beschäftige ich mich auch mit dieser Thematik und habe mir das Buch von John Bradshaw "Das Kind in uns" gekauft. Kann ich sehr empfehlen. Die Übungen würde ich aber besser mit einer erfahren Person bzw. Therapeuten machen. Aber ich habe den Eindruck das schon das einfache lesen hilft....

Lg
Patricia
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„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.”



Reinhold Niebuhr <
Antiope
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Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von Antiope »

Liebe Kiwilana,

vielen Dank für Deine Geschichte der "kleinen Kiwi", die doch schon so groß und erwachsen geworden ist.

Ich kann manches besser nachvollziehen, "verstehen".

Darf ich dazu noch eines anmerken?
Als ich den Text das erste Mal gelesen hatte, dachte ich: da macht sich jemand aber ganz schön schlecht, verurteilt sich selbst.

Ich habe Mitleid mit der jungen Kiwi, die nicht Pferdewirtin gelernt hat und sich einen "vernünftigen" Beruf gesucht hat. Wie anders hätte sie schon agieren können? Sooo viele Möglichkeiten gab es wohl nicht, seinen Willen "durchzusetzen", vor allem, wenn man nicht genau wußte, dass es sein Wille war.

Dass das Mädchen sich "angepasst" hat, so sein wollte, wie die anderen - das darf man ihm nicht verübeln. Ein Mensch, jeder Mensch, ist ein soziales Wesen - und ohne seine Mitmenschen kann er nicht sinnvoll überleben. Zudem: Mädchen werden dazu erzogen, sich anzupassen.
Da war es ja schon ein großer Schritt, Punk zu sein, eine Gruppe zu finden, die Heimat bietet, auch wenn es Eltern oder Peer-group nicht schmeckt.

Und auch die nächsten Teile des Lebenswegs, obwohl nicht übereinstimmend mit dem Inneren Selbst von Kiwi, haben doch auch Bedürfnisse befriedigt, die Kiwi hatte: Sicherheit, Anerkennung, auch: neue mentale Herausforderungen durchs Studium, nachdem Dekorateurin dies nicht so verlangte, ...
All das hat eine Funktion gehabt.

Was ich sehr interessant finde, ist: in einem Call-Center arbeiten (wo sehr viel Streß herrschen könnte, oder?) als ÜBergangslösung, aber nicht als Aushilfe bei einer Steuerkanzlei.
Auch Call-Center stimmen ja nicht immer mit den moralischen Werten eines unabhängigen Bürgers überein?

Ich möchte der Kiwi von früher und von heute einfach meine Hochachtung aussprechen, sie hat einen tollen Weg gemacht, hat mit sehr vielen Fährnissen zu kämpfen gehabt. Sie ist auf dem Weg, sich selbst neu zu finden. Und dies auf einem inneren Weg, der nicht einfach ist.

Ich möchte die kleine und die große Kiwi umarmen, und ihnen die Kraft für den heutigen Tag geben ...
kiwilana
Beiträge: 1622
Registriert: 14. Nov 2010, 14:10

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von kiwilana »

Liebe Lulu, lieber Gregor, lieber Paco, lieber PR, liebe Wolke, liebe Maribo, liebe Patricia, liebe Antiope und alle,

vielen dank für eure lieben antworten! bei einer so langen geschichte, hatte ich gar nicht mit so viel resonanz gerechnet. um die es mir diesmal aber bewusster weise gar nicht ging sondern um ein bißchen freiheit und ausdrucksmöglichkeit meines inneren kindes und meiner selbst - und auch um das sich-selbst-verzeihen, dass man nicht alles kann - oder nicht alles möchte. denn das darf auch sein.

ich denke ich hatte eine sehr lange phase der inneren trauer und des nicht-verzeihen-könnens (die natürlich noch nicht überwunden ist - so etwas braucht ja zeit - aber die bereits etwas ausgeglichener ist). diese trauer und ablehnung sich selbst und der welt gegenüber... weil man sich selbst und der welt nicht verzeihen konnte/kann, dass man bzw. sie so war/ist, wie man selbst und diese umwelt nunmal war/ist... das alles - was meiner meinung nach durch die depression ausgedrückt wurde/wird - basiert für mich auf akzeptanz. erst als ich etwas mehr bzw. öfter akzeptieren konnte, dass die dinge nunmal so waren, wie sie waren - und sich so sehr ich dies auch wollte - einfach nicht mehr rückgängig und ungeschehen machen lassen... erst da entstand ein raum für trauer in mir. und nach dem ausdruck der trauer, dass die dinge so waren oder sind, entsteht ein raum für verzeihen. und nach dem verzeihen, entsteht der raum für handeln. so erlebe ich es zumindest.

(lesepause;)

ich habe bereits große trauer hinter mir bzw. große trauerarbeit geleistet. und ich habe mir selbst und anderen bereits vieles verziehen. sogar dinge, die mir gar nicht bewusst waren. zum beispiel auch, dass es nicht meine schuld war, dass ich zwischen dem dekorateurin-dasein und der new-economie-sache, durch einen sexuellen übergriff persönlich und körperlich-intim, grenzverletzend belästigt wurde. elf jahre später (ende letzten jahres), wachte ich aus einem traum auf und schrieb ohne unterbrechung dreizig seiten über dieses erlebnis nieder. und während ich schrieb, konnte ich endlich erkennen und mir selbst verzeihen, was ich mir jahrelang unbewusst zur eigenen schuld gemacht hatte. danach war ich erlöst. und frei. und hatte mich selbst unendlich lieb und nahm mich liebevoll und annehmend innerlich in den arm.

aber solche prozesse müssen und können auch nicht alle auf einmal passieren. es geht nur schritt für schritt und eines nach dem anderen. aber in jedem einzelnen noch so winzigen moment, in dem dieser prozess stattfindet (verdrängung/abwehr > akzeptanz > trauer > verzeihen > handeln), entsteht erlösung - und freiheit. und für jeden dieser momente, baustellen oder baustellen-teile, bei denen dies bereits möglich war, bin ich dankbar - und stolz auf mich. und schöpfe durch sie immer wieder neue kraft und hoffnung. denn diese momente gibt es auch und vor allem im kleinen rahmen. sie sind überall, so dass ich fast jeden tag - trotz allen leids und des weges, den ich noch gehen muss - auch erlösende und freie momente erlebe.

nicht nur mich, sondern einige von uns scheint dieses thema mit dem inneren kind ja zu beschäftigen. deshalb wünsche ich mir selbst, uns allen und jedem einzelnen von euch wertvollen seelen, ganz viele solcher momente!

> Ich möchte die kleine und die große Kiwi umarmen, und ihnen die Kraft für den heutigen Tag geben ...
und ich möchte auch euch umarmen - all die kleinen und großen Lulus, Gregors, Pacos, PRs, Wolken, Maribos, Patricias, Antiopes... genauso wie allen anderen betroffenen. und ihnen allen - also euch wertvollen seelen - kraft für den heutigen tag geben!

liebe grüße, kiwi
kiwilana
Beiträge: 1622
Registriert: 14. Nov 2010, 14:10

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von kiwilana »

PS: wundert euch nicht, wenn ich evtl. etwas seltener hier sein und schreiben sollte, als sonst. ich habe nämlich gestern einen alten freund (der vor vielen jahren aus deutschland abgeschoben wurde), im internet wieder gefunden *voll-freu* und auf der seite, wo ich ihn fand, ist auch meine schwester, mit der ich mich ja schon gut verstehe - die halt nur weiter weg wohnt und wir es per telefon und mail irgendwie nicht so richtig gebacken bekommen hatten, vor allem lockeren (!) kontakt zu haben. denn wenn, waren vor allem ihre mails (meine diesmal weniger;) seeehr lang - und so ernst (helfen wollen wegen depri? aus unsicherheit, etc?)... auf dieser seite dort ist das jetzt auf einmal viel lockerer zwischen uns - und kürzer in telefonaten hat sie auch meistens so viel geredet (net ich;), dass i schon gar net mehr bei ihr anrufen wollte.

jetzt können wir (ich auch;) dort ein bißchen logga-floggischen-kontakt miteinander üben und ich finde gut, dass sie und andere durch mein profil dort auch sehen, was mich noch ausmacht bzw. dass ich nicht nur depressiv bin (menschen, die mich kennen, wissen das natürlich - aber dort sage ich das ja nicht;)...

und wisst ihr, wer am erstauntesten über mein profil war, nämlich darüber, dass ich aus mehr bestehe, als nur negativem bzw. depressivem und belastenden dingen? genau: ICH das war echt interessant: erst nahm ich ein positiv farbiges profil-bildchen. dann postete ich ein paar bildchen von unserem hundi. meine kleine welt halt, gibt ja sonst nichts - dachte ich! aber dann postete ich auf einmal auch ein paar neuere natur-fotos, die ich gemacht hatte (mein inneres kind!? die land-und-feld-kiwi!?). und dann postete ich das schönste von ihnen sogar auf einer profil-seite für fotografie-interessierte - wo jeder seine schönsten fotos veröffentlicht (das mit der urheberrechts-abgabe ist mir bewusst - und ist mir wurscht-piep-egal, hihi - die fotos sind für mich und für JETZT - und wer was auch immer später damit macht, ist mir: schnuuuuuppppeeeee ...

(lesepause;)

also ich erlebe da gerade ganz neue (oder verschüttete?) dinge an mir dann habe ich nämlich noch einen für mir wichtigen, aber unaufdringlichen netten aufruf zum mitmachen bei einem kampagnen-netzwerk auf meine pinnwand gepostet. bei denen kann man petitionen unterschreiben und da mach ich schon lange mit und hab dann kurz gepostet, dass das total easy geht und schön wär, wenn noch andere mitmachen. sorry, jetzt schreib ich wieder soviel. weiß auch nicht - aber ist doch schön, dass ich net nur viel schreibe, wenn`s was negatives gibt

wie auch immer. auf jeden fall ist in diesem forum sogar noch mein bruder - was ich auch total schön finde. und dann noch ein paar entfernte bekannte von gaaanz früher (über meine schwester) - aber immerhin - und wir wollen ja offen sein und meine eine bekannte, mit der ich gerne enger befreundet gewesen wäre, die aber fast nie zeit hat, ist auch dort. find ich ok - muss halt nur gucken, dass ich mich da ggf. abgrenze.

ich will ja jetzt nicht übertreiben. aber im moment habe ich wirklich das gefühl, dass ich durch das gestalten meines dortigen profiles, mehr über meine identität erfahre und ihr noch etwas näher komme (was mich ausmacht, was mir wichtig ist, wie ich mich selbst sehe und positioniere - letzteres ist auch ein wichtiger aspekt aus meiner therapie: position beziehen, sich selbst vertreten - autonom werden). und durch das "mitbekommen", was gesunde menschen so machen, hatte ich verbunden mit dem guten gefühl mir ein stück näher gekommen zu sein, auf einmal lust rauszugehen deshalb: meine mom und ich fahren morgen wahrscheinlich zu einem hof-projekt, wo ehrenamtliche arbeiten und wo es tiere und natur gibt (leider zu weit weg, dass ich dort ehrenamtlich arbeiten könnte - deshalb nur kaffee trinken und rundgang - aber ich werde auf jeden fall fragen, ob es sowas auch bei mir in der nähe gibt). hoffe, ich kneife morgen nicht bzw. komme rechtzeitig aus dem bett

ganz liebe grüße und alles gute auf euren wegen! bis zum nächsten mal! love, kiwi
StrP
Beiträge: 49
Registriert: 7. Mai 2010, 15:14

Re: Mein inneres Kind - Eine Geschichte der Anpassung und Verleugnung des Selbst

Beitrag von StrP »

Ich find es wunderschön, wie sich die kleine und die große Kiwi entwickelt.
Ich wünsche Euch noch viele kleine und große wunderschöne Augenblicke in Eurem gemeinsamen Leben. Auch ich hoffe auf eine Loslösung von den Depressionen und und der jahrzehnte langen Anpassung. Nun bin ich endlich dabei mich wieder selbst zu finden. Denk ich mal so.
Ist manchmal nicht einfach, zu erkennen, was man denn wirklich möchte. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich denke, dies oder das kannst du nicht machen, was denken denn die anderen. Vor allem die, die einem wichtig sind.
Ruhst du dich aus bist du womöglich faul.
Die Vergangenheit ist wie eine eingefahrene Autobahn. Es wird Zeit sich wieder auf andere(Seiten)Wege zu wagen. Man muss ja nicht immer dahin fahren, wo alle anderen hin wollen.
Ein Kumpel von meiner Tochter hat mal gesagt: "nur tote Fische schwimmen mit dem Strom". Wie Recht er doch in seinen noch jungen Jahren hat.
Es ist schade, dass man nur wenig Chancen hat, sich zu einer eigenen Persönlichkeit zu entwickeln.
Nur wer angepasst ist, hat die Möglichkeit, anerkannt und akzeptiert zu werden. Die wenigsten haben den Mut dazu, sich zu sich selbst zu bekennen.
Ich bewundere die Menschen so sehr, die authentisch leben und mit sich selbst im Reinen sind. Unabhängig von dem, was andere sagen.
Was wäre die Gesellschaft ohne diese wunderschönen, authentischen Schmetterlinge?
Irgendwer muss uns doch vormachen, wie es geht.....
Euch allen alles liebe auf der Suche nach Euch selbst.....

Lg Patricia
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„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.”



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