Der ewige Zuschauer

Antworten
Pearl84
Beiträge: 6
Registriert: 13. Jan 2011, 20:11
Kontaktdaten:

Der ewige Zuschauer

Beitrag von Pearl84 »

Ich versuche mal so kurz wie möglich meine Situation zu erklären.

Eigentlich sollte ich mich glücklich fühlen. Ich bin in einer tollen Stadt (Berlin) aufgewachsen, in einem behütenden Elternahus. Hatte schon seit meiner Kindheit immer viele Freunde um mich herum und nie Probleme mit Leuten in Kontakt zu kommen. Ich studiere ein Fach, dass mir Spaß bereitet und mein Partner ist wirklich liebevoll.
All das wäre Grund genug mein Leben zu genießen aber ich kann es nicht. Schon als Kind habe ich mich immer von den Menschen in meinem Umfeld distanziert und konnte mich nie vollkommen öffnen. Meine Familie und Freunde sahen es als eine reine Schüchternheit an und das hat sich bisher auch nicht geändert.
Mit 14 kamen dann Panikattacken dazu und mit 19, als ich kurz vor dem Suizid stand, bin ich ins Ausland gegeangen. Ich dachte, ich könnte meine Probleme zu Hause lassen und die Ablenkung an einem neuen Ort zu sein und eine neue Sprache zu lernen funktionierte auch zu erst aber als das Leben dort auch Routine wurde, kamen auch wieder diese Ängste und Gedanken in mir hoch.
Ich fühlte und fühle mich auch immer noch, wie ein Zuschauer in einem Theater der allein in einer dunklen Lodge sitzt und die Schauspieler auf der Bühne beobachtet, wie sie im Rampenlicht miteinander agieren und jeder seine Rolle perfekt zu spielen weiß.
Als ich dann vor knapp einem Jahr meinen besten Freund verlor, der sich mit Medikamenten das Leben genommen hat und die einzige Person war bei der ich mich frei fühlte, fiel ich in ein Loch und die Sinnesfrage wurde nur noch größer. Ich bin in keiner Therapie weil ich mir dumm vorkomme, dass ich so unglücklich mit dem Leben bin ohne einen wahren Grund zu haben. Da mein Partner selbst an Depressionen leidet und auch in Therapie ist, dachte ich, ich könnte von ihm Unterstützung erhalten, aber er ist so fokusiert auf seine Krankheit und glaubt, da ich ja keine familiären oder beruflichen Probleme hatte, so wie er, gibt es auch keinen Grund für mich depressiv zu sein. So denkt wohl jeder, auch ich, aber ich kann meine Gefühle und Gedanken nicht ändern.
Ich bin erst Mitte 20 und habe die Hälfte meines Lebens mich mit dem Sinn des Daseins beschäftigt und versuche gegen diese negativen Gefühle anzukämpfen. Ich bin weder fähig enge Freundschaften zu schließen, noch meinem Partner gegenüber offen zu sein.
Ich schau neidvoll auf meine Mitmenschen, die mit Freude ihr Leben leben und es genießen könne während ich ein SChattendasein trachte und einfach darauf warte, dass ein Tag nach dem anderen vergeht.

Gruß

P.B.
Thaleia
Beiträge: 10
Registriert: 26. Jan 2011, 23:25

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von Thaleia »

Hallo Pearl!
Schön, dass du den Schritt in dieses Forum gewagt hast!
Für mich hört sich das aber doch nach einer Depression an, das weißt du ja selber, aber du solltest dich nicht schämen, eine Therapie zu beginnen. Ich habe z.B. erst in der Therapie gemerkt, wieso ich wirklich depressiv geworden bin. Vorher habe ich mir genau dieselben Gedanken gemacht: ich habe doch ein perfektes Leben, eigentlich dürfte es mir gar nicht schlecht gehen, ich habe nicht das Recht dazu.
Mich erstaunt etwas die Reaktion deines Partners, dass er dir nicht zugesteht, dass du auch krank sein könntest. Aber vielleicht hat er Angst, dass es dir dann genau so geht wie ihm.
Ohne Hilfe kommst du aus der Krankheit nicht heraus. Es gibt keinen Grund für dich, dir diese Hilfe nicht zu suchen oder dich zu schämen! Den Schritt hierein hast du ja schon geschafft, dann schaffst du den nächsten auch noch!
Liebe Grüße
ghm
Beiträge: 1665
Registriert: 25. Dez 2010, 12:38

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von ghm »

Hallo Pearl,

ob Du eine Depression hast oder nicht muss ein Fachmann klären.

Wegen des Gefühles, dein eigener Zuschauer zu sein, es ist nicht "zwingend" eine ungute Kindheit/ Jugend zu haben, um sich selbst fremd zu sein.
Auch eine stark behütete Kindheit kann Dich hindern, Dich selbst zu erleben.

Panikattaken scheinen aber darauf hinzuweisen, dass Du nicht Dein Leben führst, sondern das Leben, dass Du gelernt hast.

Was würdest Du anders machen, wenn Du heute die Wahl hättest?
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
Pearl84
Beiträge: 6
Registriert: 13. Jan 2011, 20:11
Kontaktdaten:

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von Pearl84 »

Es ist nicht so, als ob ich etwas anders machen würde. Ich bin viel gereist in den letzten Jahren und habe mich nie stark von den Meinungen anderer leiten lassen oder je versucht irgendwo dazu zu gehören. Ich habe nie etwas erzwungen und immer das getan, was mein Gefühl mir gesagt hat. Doch mein Gefühl verleitet mich dazu, einen emotionalen Abstand von allen zu halten und bringt diesen Drang hervor, vor vielen Situationen, mit denen ich eigentlich klar kommen sollte, zu flüchten.
Es ist wie ein Puzzle, dass sich nicht zusammensetzen lässt. Ich habe auch etwas Angst, dass eine Therapie mich von meinem Studium ablenken und mir Energie rauben könnte.
ghm
Beiträge: 1665
Registriert: 25. Dez 2010, 12:38

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von ghm »

Hallo Pearl,

wenn Dich Dein Gefühl "übervorsichtig" sein lässt und Du Dich damit wohl fühlst, musst Du ja nicht umgehend eine Therapie anfangen.

Wenn es Dich aber dazu bringt "normale" Dinge nicht zu tun (jemandem die Hand geben) oder zu häufig zu tun (Händewaschen), kann das im Laufe der Zeit eine Eigendynamik entwickeln.

Raten kann und werde ich nicht, dafür gibt es Fachleute, aber Du solltest Dich ab und an fragen, ob und wie lange Du Dich von Gefühlen hindern lassen willst.

Wenn Du einer Therapie bedarfst, wird Dich das sicher für 1 - 2 Jahre Kraft, Zeit und Energie kosten.

Andererseits, zur Zeit bist Du nur für Dich verantwortlich. Wenn Du einst Kinder zu versorgen haben solltest und dann eine Therapie auf Dich zu kommt, wird die Organisation etc. schwieriger.
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
Thaleia
Beiträge: 10
Registriert: 26. Jan 2011, 23:25

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von Thaleia »

Natürlich ist eine Therapie viel Arbeit und anstrengend. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, die Gründe zu klären, die dahinter stecken, dass es dir schlecht geht.
Ich stehe auch kurz vor dem Abitur und habe erst letztes Jahr im Oktober meine Therapie begonnen. Das war viel Arbeit, aber es hat mir geholfen, alles, was mir das Leben schwer gemacht hat, besser zu ertragen und besser damit umzugehen. Und schlechter geworden bin ich auch nicht. Aber ich kann dir nicht sagen, wie das bei dir laufen wird.
Meinst du denn, dass du einfach so weiter machen könntest, ohne dass es dir wieder so schlecht geht? Wenn du merkst, dass dein Leben keine Qualität oder nicht mehr die alte hat deswegen, dann würde ich wirklich mal darüber nachdenken.
2304.1900
Beiträge: 260
Registriert: 21. Nov 2010, 00:19

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von 2304.1900 »

Hallo Pearl ,


das ist halt das tückische an der Depression ,oder andere gleichartigen Krankheiten.

Sie haben keinen Grund nötig.

Du kannst alles Glück dieser Welt haben ,Millionen auf dem Konto ,überall beliebt und gerne gesehen.
UND doch kannst du an Depression Erkranken und kommst ohne Fachmänische Hilfe nicht mehr raus.

von aussen Glücklich ,heist nicht von innen Glücklich ,und selbst das innere Glück wird von Depressionen verdunkelt.
Ausserdem Blickst du ja auch auf eine lange Zeit der suche zurück ,

es wird Zeit für dich Fachliche Hilfe zu suchen und zu fordern.

nicht deine Lebensumstände ,sondern der Leidensdruck sollten für dich der Massstab sein.


viele Grüße und einen kurzen Weg,
Stefan
Perspektive08
Beiträge: 49
Registriert: 21. Jun 2008, 11:02

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von Perspektive08 »

Liebe Pearl,

allein das Thema des threads "Der ewige Zuschauer" hat mich schon angesprochen.

Ich kann dir leider keine Hilfen an die Hand geben, zumindest momentan nicht, weil es mir eben ganz genauso geht, wie du es von dir beschreibst.

"Diesmal", in dieser Phase, schaue ich von außen zu und spüre.........nichts.

Kein Gefühl - nicht traurih nicht fröhlich eben.......nichts.

Der Antrieb ist durch Medikation in fast gesundem Level, daher "verkümmere" ich diesmal auch nicht und kann mich um meine Kinder kümmern - aber eben (mal wieder) gar nicht um mich.

Wie bereits geschrieben: Hilfe habe ich keine, lediglich ein Zeichen, daß es noch andere Menschen gibt, denen es so ähnlich geht wie dir.

Aber: wenn mir was hilfreiches über den Weg schnellt, gebe ich bescheid hier.

Liebe Grüße,

Meer
Antiope
Beiträge: 1695
Registriert: 10. Jan 2011, 21:38

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von Antiope »

Hallo Pearl,

mein erster Eindruck war: Du zermarterst Dir ganz schön das Hirn ...

Jetzt eine Frage: gibt es Momente, wo Du *nicht* Zuschauer bist? Was erwartest Du in einem solchen Moment an Gedanken, Gefühlen, Sinnesreizen, ...?

Es gibt hier einen anderen Thread: 3 gute Dinge des Tages. Könntest Du auch für heute 3 solche Dinge nennen?

Du suchst nach einem Grund der Lähmung, einer guten Begründung, so sein zu dürfen/müssen. Ehrlich gesagt: in Wirklichkeit gibt es keinen. Viele Situationen können "Auslöser" werden und alles anstoßen, müssen es aber nicht.
Manche Menschen sind so, andere nicht - es ist wie mit der Augenfarbe.

Alleine, dass Du leidest, ist Begründung genug, sich Hilfe zu suchen.
Wenn Du Dich selbst vermisst oder einen Teil von Dir, ist es Grund genug, sich auf die Suche zu begeben und herauszufinden, was fehlt.
kormoran
Beiträge: 3276
Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von kormoran »

hallo pearl,

ich möchte dir in aller kürze mut machen, mit fachleuten für dich abzuklären, ob du depressiv bist und dann die entsprechende hilfe zu suchen, also v.a., eine therapie zu machen.

auch wenn die ursache nicht bekannt oder nach außen sichtbar ist - fest steht doch, dass es dir alles andere als gut geht und dass du dich so nicht in deinem leben entfalten kannst. vertraue dir selbst und deiner wahrnehmung, und sorge für dich!

alles gute und liebe grüße
kormoranin
 http://www.depressionsliga.de
*** zurück ins leben!
Pearl84
Beiträge: 6
Registriert: 13. Jan 2011, 20:11
Kontaktdaten:

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von Pearl84 »

Danke für die ganzen Antworten.

Mein Leben ist nicht durchgehend ein schwarzes Loch. Wie jeder andere habe ich auch Momente in denen ich mich wohl fühle aber leider zu selten. Ich versuche auch mich mit Dingen zu umgeben die mir gut tun und mich ablenken.
Ich sehe ja auch bei meinem Partner, dass ihm die Therapie sehr geholfen hat. Allein den Schritt zu wagen mich hier anonym zu öffnen hat Monate gebraucht.
Ich will auch nicht den Eindruck erwecken, dass ich in Selbstmitleid zerfließe. Mir ist bewusst, dass es Menschen gibt, denen es weitaus schlechter geht. Dann kommt oft der Gedanke, dass ich vielleicht einfach nur überempfindlich bin und mich einfach nur zumsammenreißen muss aber zusammenreißen bedeutet nur, dass ich meine Gefühle unterdrücke.

LG,

P.B.
PurpleRain
Beiträge: 213
Registriert: 29. Mär 2010, 22:02

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von PurpleRain »

> Dann kommt oft der Gedanke, dass ich vielleicht einfach nur überempfindlich bin und mich einfach nur zumsammenreißen muss aber zusammenreißen bedeutet nur, dass ich meine Gefühle unterdrücke.
Ich würde da mal reinschauen:
http://www.zartbesaitet.net/

Gruss,
PR
"Wozu ist das?" "Das ist blaues Licht." "Und was macht es?" "Es leuchtet blau."
Pearl84
Beiträge: 6
Registriert: 13. Jan 2011, 20:11
Kontaktdaten:

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von Pearl84 »

Danke für den Link, sehr hilfreich.
kormoran
Beiträge: 3276
Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von kormoran »

hallo pearl,

mit überempfindlich hast du wohl nicht das gemeint, was unter dem link von purple rain zu finden ist?

bei deinen schilderungen lese ich überhaupt keinen hinweis darauf.
und auch im anderen sinne glaube ich nicht, dass du da übertrieben besorgt wärest oder wehleidig oder zu wenig aushalten würdest, um das mal anders zu formulieren. eher weist vieles, das du beschreibst, sehr wohl darauf hin, dass brüche und spannungen durch dein leben gehen, eher verborgen, und von innen her druck erzeugend, und dass du für eine therapie schon sehr konkrete ansätze hättest.

aus meiner persönlichen erfahrung möchte ich dir nahelegen, diese gegenargumente à la: "anderen geht es noch schlechter", "irgendwie komme ich ja doch durch", "zwischendurch ist es eh wieder nicht so übel" mutig wegzuwerfen und dich an professionelle helfer (arzt, therapeut) zu wenden.

grenze dich da von deinem partner in dieser hinsicht mal ein bisschen ab, sprich vielleicht eher nicht darüber mit ihm, und sorge einfach mal nur für dich, schau, was für dich dabei herauskommt.

liebe grüße
kormoranin
 http://www.depressionsliga.de
*** zurück ins leben!
Antiope
Beiträge: 1695
Registriert: 10. Jan 2011, 21:38

Re: Der ewige Zuschauer

Beitrag von Antiope »

Hallo Pearl,

Vorgestellt hast Du Dich unter anderem mit diesem Satz:

Ich bin in keiner Therapie weil ich mir dumm vorkomme, dass ich so unglücklich mit dem Leben bin ohne einen wahren Grund zu haben. ... während ich ein Schattendasein trachte und einfach darauf warte, dass ein Tag nach dem anderen vergeht.

Was wäre für Dich ein "wahrer" Grund?

Für mich ist das "Schattendasein" weitaus mehr als genug.
Wenn Du schreibst, dass Dein Partner von Dir erwartet, glücklich zu sein, weil Du ja keine familiären und beruflichen Probleme hättest - ja, da zieht sich bei mir der Magen zusammen, weil es die Erwartungen Deines Partners ist, nicht die Deinen. Du merkst selbst, dass Du ein schweres, dunkles Paket mit Dir herumschleppst.

Dass Du Deinem Partner gegenüber nicht offen sein kannst, wäre für mich nachvollziehbar. Er ist selbst krank, kann Dich im Moment nicht verstehen, und Du fürchtest vielleicht auch, ihn mit Deinen Gedanken weiter zu beschädigen. Es gibt keinen Grund, sich hier einen Vorwurf zu machen. Brauchst du definitiv nicht.

Sehr viel in Deiner Schilderung ist von "Sollen" und "Müssen" die Rede, und davon, dass andere Erwartungen an Dich haben, denen Du nicht genügst, Du dem Bild der glücklichen Tochter, der freudig lebenden jungen Frau einfach nicht entsprichst. Das ist das Bild der anderen, und Du machst Dir Vorwürfe, dass Du so nicht bist, wie die anderen Dich haben wollen.

Krasses Beispiel: Wenn sich jemand das Bein gebrochen hat, wird niemand von ihm verlangen, normal zu gehen - obwohl der Mensch von Natur aus als Erwachsener auf zwei Beinen geht, ohne Hilfsmittel.
Auch Du hast eine Verletzung, eine Krankheit - sie ist nicht sichtbar, für Dich jedoch in ihrer Auswirkung deutlich spürbar.
Andere sehen die Verletzung nicht. Aber Du brauchst nicht deren Erwartung zu entsprechen.

Deine Befürchtung, dass eine Therapie Dir Kraft rauben könnte, kann ich nachvollziehen.
Aber eine Frage: wieviel Energie verbrauchst Du jetzt gerade, indem Du ständig zwischen dem Sollen und dem Nicht-Können zerrieben wirst? Glaubst Du, Du kannst diesen Zustand noch die nächsten Jahre aushalten?

Du schreibst später über Dein Leben, es sei
nicht durchgehend ein schwarzes Loch.

Aber dass da schwarze Löcher da sind, ist schon Hilfeschrei genug.
Im Moment stehst Du da, mit lauter Puzzleteilen in der Hand - ich würde Dich gerne soweit ermuntern, den ersten Schritt zur Hilfe zu machen. Du kannst immer noch später Dich entscheiden, ob es für Dich das Richtige ist oder nicht.

Es lohnt sich, es auszuprobieren.
Antworten