Ich kann vor Therapeuten nicht weinen

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Jessi1980
Beiträge: 450
Registriert: 25. Jan 2010, 18:23

Ich kann vor Therapeuten nicht weinen

Beitrag von Jessi1980 »

Hallo,

ich habe ein Problem, dass mich schon seit Beginn meiner Erkrankung (2009) belastet: Ich kann vor Therapeuten nicht weinen, auch wenn mir danach ist. Ich fühle mich elend und habe absolut das Bedürfnis mich mal richtig "auszuheulen" aber es klappt nicht, ich bin wie innerlich blockiert. Es fühlt sich an wie eine innere Bremse. Die Ursache ist sicherlich darin begründet, dass ich von meiner Mutter früher immer ausgeschimpft, ausgelacht und nachgeäfft wurde, wenn ich geweint habe.

Kennt jemand das Problem und kann mir vielleicht einen Rat geben, wie ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen kann?
feelinga
Beiträge: 9
Registriert: 2. Mär 2011, 19:44

Re: Ich kann vor Therapeuten nicht weinen

Beitrag von feelinga »

Hi Jessy,

mir fällt dazu ein: Vertrauen, also fehlt es?
Und wenn ja, wodurch fehlt es?
Wenn es etwas gibt, was dir querliegt, was dich ärgert, sollte er es wissen, oder?

Ich habe mein Unwohlsein in einer vergangenen Therapie nicht artikulieren können. Stattdessen habe ich mich an ihn halbherzig anzupassen versucht.
Habe mich mit to do-Loisten gequält, und so getan, das mich das weiterbringt und anderen Mist.
Aber so macht das überhaupt keinen Sinn, finde ich.

Ich weiss allerdings überhaupt nicht, ob das für dich zutrifft.
heikeg
Beiträge: 568
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
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Re: Ich kann vor Therapeuten nicht weinen

Beitrag von heikeg »

Hallo Jessy,

ja ich kenne das und habe da auch noch immer Schwierigkeiten und genau wie du, hörte ich in meiner Kindheit immer: "Tu nich so leidend, alles gar nicht so schlimm" , "deshalb braucht man nicht zu weinen" etc. pp. Gefühle waren jedenfalls bei mir, tabu. So kann ich auch heute noch nicht in Gegenwart von Personen bewußt weinen. Mir kommen zwar gelegentlich kurz die Tränen, aber ich unterdrücke sie sofort. Leider ist es auch bei dem Therapeuten so obwohl das Vertrauen zu ihm da ist. Ich glaube es ist eben ein grundsätzlichs Problem. Was hilft weiß ich auch nicht, ich habe es aber auch in der Therapie angesprochen,dass es so ist.

Ich wünsche daher uns beiden, dass wir irgendwann lernen, dass Gefühle zu uns gehören und wir uns diesen auch nicht schämen müssen.

Viele Grüße Heike
-------- Signatur ---------

unipolar depressiv seit 2002
Jessi1980
Beiträge: 450
Registriert: 25. Jan 2010, 18:23

Re: Ich kann vor Therapeuten nicht weinen

Beitrag von Jessi1980 »

Hallo feelinga und Heike,

danke für eure Antworten.

Ich habe Vertrauen zu meinem Therapeuten, es wird immer größer. Trotzdem stocken bei mir die Tränen. Offensichtlich scheint die Angst vor Ablehnung größer zu sein als diesen Druck abzubauen. Ich höre schon traurige Musik, wenn ich auf dem Weg zu ihm bin, aber die Tränen sind wie versteckt. Auch in meiner Reha Ende 2009 war ich mit meiner Tränenlosigkeit konfrontiert und kam mir wie ein Stockfisch vor. War immer kurz vorm Weinen und hab es dann wieder ganz schnell verdrängt.

Ich bewundere Menschen, die ihren Tränen freien Lauf lassen können, die sich fallen lassen und sich danach besser fühlen. Und ich weiß, dass es auch mir gut tun würde. Habe mich das erste Mal vor einigen Wochen von meinem Freund trösten lassen. Es war fast unerträglich, obwohl er ja nichts tut. Ich komme mir so lächerlich und hilflos vor.

Und mein Thera ist sehr herzlich, gerade bei ihm sollte es mir doch möglich sein, aber es will nicht klappen. Wenn ich nun nichts zu weinen hätte, dann wäre es ja o.k. aber ich schlucke es hinunter und baue wieder einen Druck auf...
La_crimosa
Beiträge: 468
Registriert: 28. Mär 2010, 22:05

Re: Ich kann vor Therapeuten nicht weinen

Beitrag von La_crimosa »

Liebe Jessy,
ich hatte mal zwei Therapeuten parallel. Beide sehr nett und kompetent. Trotzdem gab es einen Unterschied:

bei dem einen Therapeuten saß ich immer und die Tränen, die in mir hochstiegen kamen "nur" bis zum Augenrand;

der andere Therapeut traf anscheinend mit seinen Worten mehr das, was ich fühlte und meine Tränen kullerten wie ein Wasserfall.

"Tränenlosigkeit" schreibst Du - aber Du sagst auch, dass Du voll von Tränen und Traurigkeit bist. Also eigentlich nicht Tränen-los. Sondern Tränen-voll. Sie können/wollen "nur" nicht raus. Kannst Du denn Deinen Tränen freien lauf lassen, wenn Du alleine bist?!

Was fällt mir zu Deiner Schilderung ein:
1. Dir ist zum Weinen zu mute - aber die Tränen laufen nicht. Warum sagst Du Dir dann nicht: Das ist okay so!
Gib Dir Zeit. Setz Dich nicht unter Druck - auch wenn Du meinst, Tränen würden befreiend wirken...

2. Als "Verfechterin" der - ich nennen es mal kurz: "Teile-Theorie" würde ich sagen: Sprich mit dem Teil in Dir, der früher, wenn sie weinte, ausgeschimpft, ausgelacht und nachgeäfft würde. Nimm den Teil ernst, die Angst, die dahinter steckt. Und versuche ihr Schutz zu versprechen, dass Du aufpasst auf sie und niemand sie jemals mehr ausschimpfen, auslachen und nachäffen wird.
Und nach und nach wird sie vertrauen fassen und sich nach und nach mehr trauen, die Tränen, die sie zurück hält, laufen zu lassen...

Soweit von mir!
Susanne
Clown
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Registriert: 8. Nov 2004, 18:22
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Re: Ich kann vor Therapeuten nicht weinen

Beitrag von Clown »

Hallo Jessy,

kannst du vielleicht den Moment, in dem du die Tränen wegdrückst, deinem Thera mitteilen?

Etwa in der Art: "Mir ist gerade zum Weinen zumute, aber ich will nicht weinen." ?

Grüße vom sonnigen Deich,

Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
Jessi1980
Beiträge: 450
Registriert: 25. Jan 2010, 18:23

Re: Ich kann vor Therapeuten nicht weinen

Beitrag von Jessi1980 »

Hallo Suse72 und Clown,

ich traue mich einfach nicht meinem Thera zu sagen, dass mir schrecklich zum Weinen zumute ist. Er merkt es sicherlich. Mir ist das alles so unangenehm. Ich weiß auch, dass der Schmerz raus muss, weil er mich sonst erdrückt und so fühle ich mich ja auch. Ich bin traurig und wütend zugleich. Aber meine Schamgefühle sind so groß. Ich bin in meinem innerern Kind gefangen, habe aber nicht den Mut es trauern zu lassen. Ich denke immer, ich schwappe dann über und komme nicht mehr nachhaus, weil ich nicht mehr aufhören kann zu weinen usw...

Alleine kann ich mittlerweile weinen, aber nur dann, wenn ich mich hineinsteigere, ein Glas Wein trinke und mir z.B. ein Musikstück auflege oder einen Liebesfilm gucke. Das geht aber auch nur alleine, aber selbst dann finde ich es sogar unangenehm vor mir selbst. Das ist doch nicht normal?

Ich befasse mich mittlerweile häufiger mit meinem inneren Kind, gucke mir Fotos an und versuche mich in meine damalige Lage zu versetzen.

Mein Thera fragt mich auch, ob ich Mitleid mit mir selbst empfinden würde. Manchmal ja, aber oft möchte ich auch mit allem abschließen und verschiebe die Erlebnisse in die unterste Schublade, in der Hoffnung sie ein für alle mal wegzusperren.

Es ist bei mir so als würde sich die Wut über die Trauer schieben und mich lahmlegen, ich sitze dann wie versteinert vor meinem Thera, voll von Angst vor meiner Wut und Trauer.

Und das Schlimmste ist, dass ich in meiner akuten Krankheitsphase vor 1 1/2 Jahren bei meinem Chef regelrechte Weinkrämpfe bekam, die mir total peinlich waren, zumal gerade er dieses Vertrauen nie verdient hätte!!!
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