Traum und Alptraum im Beruf

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Antiope
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Traum und Alptraum im Beruf

Beitrag von Antiope »

Im Moment tobt in mir ein Gemenge von Zorn, Verzweiflung, bodenloser Enttäuschung und Trotz. Es wäre ja in Ordnung, wenn jetzt nicht andere in diesen Sturm mit reingezogen werden.

Sortieren wir mal das Chaos:
im letzten Jahr endlich die "Traumstelle" gefunden, tolle Kollegen, ein zugeneigter Vorgesetzter, nachdem ich die letzten Male Chefs hatten, die mich ins Gesicht angelogen oder mich hintergangen hatten.

Allmählich drehte sich das Bild, mein Vorgesetzter ist enttäuscht über meine Leistungen, gibt mir eine letzte Chance. Ich gebe wirklich alles.
Am letzten Arbeitstag des Jahres (22.12.) werde ich auf die Straße gesetzt, obwohl er mir noch einige wenige Tage zuvor ein Fortführen des Arbeitsverhältnisses zusagte. Die Begründung: ich habe ihn enttäuscht, ich würde niemals das leisten können, was er erwartet, obwohl er seine Ansprüche so weit heruntergeschraubt habe, dass es eigentlich nicht mehr vertretbar sei. Mir fehle das grundlegende Verständnis für die Maschinen.

Dies schließt er aus zwei Flüchtigkeitsfehlern auf den ersten 4 Seiten eines Dokumentes. Er hat den Rest des Dokumentes nicht mehr kontrolliert, weil es "ja nichts tauge". Er habe auch keine Zeit, es zu überprüfen. Es gab anderes, wichtigeres - z.B. eine Beerdigung zu besuchen, ein Telefonat mit seinem Gemeindepfarrer zu machen. Dieses Dokument war jedoch der Prüfstein, ob es weitergehen werde oder nicht.

Anfang November hat er mich gebeten, ÜBerstunden abzubauen, um sie nicht auszahlen lassen zu müssen. Mein Jahresurlaub konnte ich das ganze Jahr nicht nehmen, da er nicht wünscht, dass in der "erweiterten Probezeit" Urlaub genommen wird. Aber selbstverständlich werde mit dem Auszahlen so verfahren, wie ich es wünsche.

Mitte November wird meine Stelle im Internet ausgeschrieben, mein Vorgesetzter sagt nur, falls ich ihn nicht überzeuge, brauche er Handlungsfreiheit. Aber er geht fest davon aus, dass es nicht notwendig ist. Zugleich ist er "verwundert", dass mich die Stellenausschreibung mitnimmt - übrigens hat genau dasselbe mein vorhergehender Chef gemacht und mich abgefertigt, seine Pläne gingen mich nichts an.

Auf der Weihnachtsfeier am Freitag, 17.12. wurden alle Neuzugänge des Jahres namentlich begrüßt - außer mir. Auch am Montag war noch alles auf "volle Kraft voraus". Am Dienstag war plötzlich die Beerdigung eines Dorfmitglieds, am Mittwoch wurde ich abgeknallt.

Dass mich dies überrascht hat, ist vielleicht nicht ganz verwunderlich. Jetzt habe ich darum gebeten, dass die Firma wenigstens die Kosten für die Zweitwohnung (ca 260 EUR) für den Monat Januar übernehmen sollte, weil die Kündigung so spät kam.

Ablehnung: mir fehle jegliches technische Verständnis. Auf meinen Wunsch hin, Überstunden und Urlaub so auszuzahlen, dass nicht alles die Steuer bekommt, wird mir Lüge und Betrug unterstellt - es ist niemals zugesichert worden. Ein Gespräch mit meinem Vorgesetzten, um zu erfahren, was alles schiefgelaufen ist und warum, wird abgelehnt, mit dem Hinweis: allein die Frage zeige, dass er da ja wohl keinesfalls der passende Ansprechpartner sei (also: ich bin völlig durchgeknallt, psychotisch und krank - ich solle mal in die Psychiatrie).
Er selbst ist in der kirchlichen Seelsorge tätig.

Keinesfalls will ich Urlaub und Überstunden ausbezahlt haben (das bedeutet ca 1 EUR brutto pro Stunde). Ich weigere mich vollkommen, das irgendwie zu akzeptieren. Mein Vorgesetzter sagt selbstverständlich, dass alles nur falsche Aussagen sind, dass gar nichts in dieser Richtung irgendwie mal besprochen worden sei. Auch sei die "Forderung", die Kosten für die Wohnung zu übernehmen, völlig inakzeptabel - sprich ein Betrugsversuch. Mein Arbeitsverhältnis habe am 22.12. geendet und damit wäre genug Zeit für Kündigung und Räumung der Wohnung gewesen. Außerdem hätte ich ja wohl damit rechnen müssen.

In einer E-Mail habe ich meinen Vorgesetzten gefragt, zu wieviel Prozent ich für die Firma von Nutzen gewesen wäre, was ich gut gemacht hätte. (Naja, jetzt sieht man, wie wütend und verletzt ich bin). Es gab daraufhin keine Antwort.

Jetzt bin ich drauf und dran, den gesamten Lohn, den ich von der Firma erhalten habe, zurückzuzahlen. Ich will kein unrechtes Geld haben, ich bin keine Berufsprostituierte. Ich weigere mich, den nicht genommenen Urlaub mir auszahlen zu lassen, meine Überstunden. Es ist so entwürdigend, von meinem Chef ein vollkommmenes Versagen vorgeworfen zu bekommen, er habe sich soviel Mühe mit mir gegeben und ich habe nichts geschafft. All seine Hoffnungen habe ich zerstört.

Ich bin so müde. Ich möchte meinen Beruf, den ich gern, aber erfolglos, gemacht habe, aufgeben. Ich habe so sehr darum gekämpft, dieses Berufsziel zu erreichen, musste mich lange Jahre alleine durchbeißen, durch endlose Widerstände, durch viele Rückschläge und Krisen.
Jetzt will ich nicht mehr aufstehen. Und ich will keine mitleidige Spende haben. Lieber verhungere ich.
albert
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Re: @Moderatoren: Bitte Thread löschen! Vielen Dank.

Beitrag von albert »

Hallo chris – Antiope,

ich sehe den Inhalt deines Postings als das Übliche an.
Bitte jetzt nicht böse sein oder enttäuscht. Das ist einfach Lebenserfahrung.
Da sind zwei Menschen, die nicht auf gleicher Wellenlänge liegen.
Es gab einen Versuch des Miteinanderauskommens und das ging schief.

Wenn erst mal ein Vorurteil da ist, setzt sich das durch, egal was ich machen wollt.
Und in einer Organisation, die als Tendenzbetrieb fungiert, darf ich den hehren Anspruch nach außen nicht für die eigenen Leute in Anspruch nehmen. Zuallererst ist das eine hierarchische Organisation: der Chef hat immer recht (Par. 1).

Ich erinnere mich an die Meinung eines freiberuflichen Arbeitsvermittlers: beklage dich nie über vergangene Zeiten oder Zustände. Das sieht nach Bedauern aus, als hätte ich etwas falsch gemacht oder als hätte ich einen Groll auf meine frühere Firma und als würde ich Rachegedanken hegen.

Ich hatte auch schon Gelegenheit, mir den Frust von der Seele zu reden – als ich entlassen worden war. Die Begründung des Geschäftsführer war, dass ich zu langsam gewesen war. Und dann war da noch ein Unfall, den ich ihm nicht gemeldet hatte. Nachher habe ich mich gefragt, was ich alles melden müsse. Denn mein Begleiter für jenen Tag hatte den Unfall sofort seiner Geschäftsführung gemeldet. Ich war aber Zeitarbeiter. Man hat einfach nach einem Aufhänger gesucht, um mich loszuwerden. Entsprechend hat mein Freund, mit dem ich darüber gesprochen habe, das Ganze bewertet: wenn man jemanden loswerden will, dann tut man das auch, und da müssen oft fadenscheinige Vorwände = Ausreden herhalten. Als Arbeitsmediziner hatte er oft genug Einblick in solche Dinge erhalten. Und am Ende traf es ihn selbst.
<<<<<<<<<<<<Jetzt will ich nicht mehr aufstehen. Und ich will keine mitleidige Spende haben. Lieber verhungere ich. >>>>>>>>>>>>>>><<<<

Das kenne ich. Ich sehe diese Haltung an, als ein Streben nach Unabhängigkeit. Ich bin mittlerweise soweit, dass ich mir sage, von der Sozialhilfe zu leben, und pro Monat drei Bewerbungen zu schreiben, gibt eine gewisse unabhängige Stellung. Dann kann ich mir meine eigene Meinung erlauben und unmoralische Angebote, z. B. Bezahlung über einen Strohmann, ausschlagen. Im konkreten Fall habe ich einfach verlangt, dass ich nach den geltenden rechtlichen Vorschriften angestellt werde. Da war der Zapfen ab. Also bin ich weiter auf einem unbezahlten Arbeitsplatz und beziehe Sozialhilfe. Den Behörden ist alles bekannt.

Ich wünsche dir erstmal, dass du zur Ruhe kommen kannst. Nimm dir eine Auszeit, verschaff dir Abstand. Solche Situationen sind furchtbar. Die Institution und die Mitarbeiter darin sind dafür da, andren in Not zu helfen, aber sie dürfen das nur bedingt. Zuerst kommt der Chef.
Mich darf das nicht mehr stören. Ich zahle fast jeden Preis, um mein Helfersyndrom leben zu können. Das geht durch eine lange Depri-Karierre und hört erst dann auf, wenn meine körperliche Verfassung gefährdet ist.
Schau jetzt auf dich, pflege deine Kraftquellen, ich sende dir gerne auch ein Paket Kraft dazu.

Grüße
Albert


PS: an die Moderatoren!
bitte nicht löschen,
leider ist das die Situation, aus der oft Depressionen entstehen.
bradforhelp
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Re: @Moderatoren: Bitte Thread löschen! Vielen Dank.

Beitrag von bradforhelp »

Hallo Antiope,

das ist eine verfahrene Situation und ich weiß nicht, ob ich dir raten kann. Eines aber behaupte ich, du hast für dein Geld gearbeitet und es steht dir die Bezahlung zu. Auch der Urlaub und die Überstunden stehen dir zu und es gibt überhaupt keinen Grund darauf zu verzichten.
Unter Umständen solltest du überlegen, einen Fachanwalt einzuschalten. Ich gehe davon aus, dass kein Betriebsrat vorhanden ist.
brad
"In den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt."

Albert Camus
Antiope
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Kein Arbeitszeugnis ...

Beitrag von Antiope »

HAllo Brad, Hallo Albert,

vielen Dank dafür, euch auf diese Diskussion einzulassen.

Ja, sicher ist dies "das Übliche". Sicher hat es auch damit zu tun, dass mein Ego sehr verletzt worden ist und ich mich nun rächen möchte, meinem Vorgesetzten die Konsequenzen seines Tuns aufzeigen. Wie gesagt, er hatte den Anspruch, fair zu sein, objektiv zu bewerten und handeln. Aber ich bin abgewertet worden, seine Reaktionen sind nicht fair und nicht christlich gerecht. (Apropos: die Firma ist eine normale Maschinenbaufirma, keine religiöse GEmeinschaft. Jedoch ist der Inhaber und mein Vorgesetzter beide bei der gleichen freikirchlichen Gemeinde ...)

Klar, es ist zum einen Schwachsinn, sich zu weigern, die Überstunden auszahlen zu lassen. Damit habe ich den dreifachen Schaden: kein Geld, falsche Steuer, und Steuernachzahlung für Geld, das ich nie erhalten habe.
Zum anderen aber ist es soo einfach, mich gegen die Wand fahren zu lassen, und dann einfach ein paar Scheinchen oben drauf zu werfen.

Das ganze Thema wird nochmals hochkochen, da ich noch Anspruch auf ein Arbeitszeugnis habe. Ich kann zwar darauf verzichten - mein Vorgesetzter hat ja sowieso keine Zeit, es zu erstellen. Andererseits habe ich dann beim Bewerben Nachteile. Wenn mein Vorgesetzter das Zeugnis schreibt, werden seine falschen Bewertungen drinstehen. Und dann werde ich dagegen vorgehen müssen - und darauf habe ich keine Lust. Einfach nur wieder das Ganze aufzurühren, wieder in die Diskussion einsteigen zu müssen: er sagt, ich sei ein kompletter Versager, ein Vollidiot, ich sage, ich habe viel mehr geleistet, als Sie überhaupt sehen wollen. Ich habe die Position, die zwei LEute beschäftigen würde, zwar nicht ausgefüllt, aber auch nicht nichts geleistet.
Damit würde seine Entscheidung auch in Frage gestellt werden. Und das wird er nicht dulden. Vor allem nicht, weil er Gott auf seiner Seite hat.

Alleine die Bewertung, dass ich mich für meinen Beruf nicht eigne, tut weh. Aber vielleicht hat er wirklich recht, weil es immer anstrengend war, das zu leisten, was er von mir wollte. Wenn ich aber mich nicht eigne, wenn ich mir schon wieder Illusionen über mich selbst gemacht habe, wenn ich wirklich nur als einfache Verkäuferin tauge, dann muss ich gehen.

Albert, Deine Stärke und Position bewundere ich. Da hast Du sehr viel für Dich geschafft.
Für mich würde das nicht mehr gehen, ich fühle mich dann so abhängig von Behörden, dass es unerträglich wäre für mich.
albert
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Re: @Moderatoren: Bitte Thread löschen! Vielen Dank.

Beitrag von albert »

Hallo Antiope,

das Ganze reduziert sich auf einfache Fragen:
bin ich etwa am falschen Platz?

bin ich willkommen mit meiner Haltung gegenüber Abhängigkeit und meiner Sicht von Problemen?

Die Verletzung ist ein großes, ein Riesenproblem. Ich hatte vor vier Monaten geglaubt, ich hätte das überwunden und bin resilient geworden. Dann bin ich körperlich erkrankt als Folge des Stresses - was die Psyche noch aushält, muss der Körper nicht mittragen, dann zeigt er die Grenzen.
Und ich habe mir das neu angesehen und musste erkennen, dass ich doch wieder verwundet bin.
Dann kam der Unterschied: mit normalen Mitmenschen über Depressionen oder seelische Verletzungen zu reden, ist so gut wie unmöglich, aber über meinen Schlaganfall finde ich immer sofort Gesprächspartner.
Ob es damit besser wird, weiß ich nicht.

Ich kann seit einigen Jahren meine Situation akzeptieren, weil ich mir sage, dass die Gesellschaft einen gewissen Teil in ihrer Mitte braucht, der zum Opfer bestimmt ist. Also gut, dann will ich wenigstens ein anständiges Opfer sein - mit allen Konsequenzen.

Die Abhängigkeit von den Behörden reduziert sich heute für mich auf die Frage: wer bietet das kleinere Übel?
Die Agentur für Arbeit bietet Meldeauflagen und verlangt drei Bewerbungen im Monat, auf der anderen Seite wissen sie, dass ich auf einem unbezahlten Arbeitsplatz vollen Einsatz bringe.
Das ziehe ich vor, wenn mir jemand Bezahlung über einen Strohmann anbietet oder mir jahrzehntelang erprobte Standardvorschriften aufdrücken will.

Es ist ja so einfach: ich müsste nur ja sagen und akzeptieren, dass jener bestimmt, welches Stück gespielt wird, der die Musik bezahlt. Nur werden wir dann kaum mal ein neu komponiertes Stück zu hören kriegen.

Ich kann mich daneben stellen und das von der Seite betrachten, auch den Kopf darüber schütteln. Und kann nur noch sagen, das ist ein Problem für die Politik. Ich muss damit an die Öffentlichkeit.

Dir alles Gute,

Grüße
Albert
albert
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Re: @Moderatoren: Bitte Thread löschen! Vielen Dank.

Beitrag von albert »

Hallo Antiope,

noch eine Sichtweise, die an den Anfang einer Therapie für viele Depri-Betroffene gehört:

es ist sinnvoll, sich eine Positiv-Liste anzulegen.

Der Dauerbeschuss an Abwertungen durch einen Arbeitgeber kann zermürben. Ich muss solche Geschosse ins Leere fliegen lassen. Es gibt Menschen, denen ich es nicht recht machen kann, egal wie ich mich anstelle. Manchmal einfach nur wegen der Form der Nasenspitze.

Oder es gibt einen Unterschied in der Denkweise und Haltung, der mir nicht bewusst ist. Ein Vorgesetzter merkt das aber wohl und hat sein Vorurteil weg.

Halt die Ohren steif und lass wegen dem Arbeitszeugnis nicht locker. U. U. lohnt es sich, ganz brutal offen zu sein und zu sagen: ich bin so. Das können Sie nicht ändern. Ich will mich nicht verbiegen lassen. Wenn ich versuchen wollte, meinen Charakter zu ändern, würde ich krank und arbeitsunfähig werden.

Eine Trennung ist das Beste.
Ein angemessenes Arbeitszeugnis ist das Wenigste, was ich mitnehmen will. Alles andere können sie geschenkt haben.

Herzliche Grüße

Albert
Antiope
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Verletzung im Beruf

Beitrag von Antiope »

Hallo Albert,

danke Dir für Deine Worte.

Ich weiß, niemand hier kann eine Entscheidung für mich treffen oder mir sagen, wessen Sicht die der Sachlage angemessenere ist.
Deswegen ist dies alles auch so endlos verletzend, weil ich wirklich mein Bestes gegeben habe, und habe dafür nur böse Kritik und Vorwürfe und eine fristlose Kündigung erhalten.
Damit ist mein Wunsch, einen guten Beruf zu leben, am Ende angelangt. Viele Jahre des Mühens sind vergeblich gewesen.

Nun ja, das Leben ist kein Ponyhof. Die Welt dreht sich weiter.
albert
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Re: Traum und Alptraum im Beruf

Beitrag von albert »

Damit würde seine Entscheidung auch in Frage gestellt werden. Und das wird er nicht dulden. Vor allem nicht, weil er Gott auf seiner Seite hat.

Alleine die Bewertung, dass ich mich für meinen Beruf nicht eigne, tut weh. Aber vielleicht hat er wirklich recht, weil es immer anstrengend war, das zu leisten, was er von mir wollte. Wenn ich aber mich nicht eigne, wenn ich mir schon wieder Illusionen über mich selbst gemacht habe, wenn ich wirklich nur als einfache Verkäuferin tauge, dann muss ich gehen.
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Viele Jahre des Mühens sind vergeblich gewesen.
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Hallo Antiope,

ich komme noch mal auf deine früheren Aussagen zurück.
Ich bin selbst jahrelang durch die Welt gereist, habe geglaubt, trotz aller Zweifel an mir und an der Welt alles zu geben und bin damit gescheitert: ich wurde zwischen den Fronten zerrieben.

Dann habe ich eine Zeitlang freiberuflich gearbeitet, hin und wieder angestellt und bei solch einer Neuanstellung sagten mir zwei Freunde unabhängig voneinander: „Sei froh, dass du eine Anstellung erhältst, guck zu, dass du dort bleiben kannst.“

Und ich wusste vom ersten Tag an, dass ich dort nicht bleiben kann; ich fühlte mich am falschen Platz.

Ich muss mir wirklich eine Positivliste aufstellen, um zu sehen, dass ich in einen solchen Laden nicht hineinpasse. So war und ist heute das tägliche Denken immer wieder davon beherrscht und es dreht sich alles im Kopf nur um den einen Gedanken: wie komme ich ohne Beschädigung wieder heraus?

Das berufliche Umfeld meint, mich zu der Haltung eines Berufsstandes zwingen zu müssen, bzw. nimmt als selbstverständlich an, dass ich zu dieser Haltung finde. Heute arbeite ich ohne Bezahlung voll und das berufliche Umfeld kann mir nicht mehr.

Ich nehme zur Kenntnis, dass ich verletzt worden bin und ich sehe als wesentlich an, dass ich gelernt habe, mit Verletzungen umzugehen. Das war in einer Trommelgruppe, wir führten dort Traumreisen durch. Es ist wesentlich, den Takt im Ohr zu haben, das gibt den Druck für das Reisen. Als ich selbst einmal die Trommel geschlagen habe und nachher sagte, dass ich ebenfalls gereist bin, wurde der Gruppenleiter nervös und fuhr mich an: das ist gefährlich, da kann alles Mögliche passieren. Das ist so eine Haltung des sich Festklammern an äußere Regeln, die Angst, einen Schritt außerhalb des bekannten Weges zu gehen. Als ich dann in jener Gruppe mehr zufällig gefunden habe, wie ich meine psychischen Verletzungen behandeln kann, wurde das sehr reserviert, mit Schweigen, aufgenommen. Besser gesagt, man hat es ignoriert. Die Grundhaltung in jener Gruppe war esoterisch bestimmt. Später habe ich eine andere Gruppe besucht, deren Grundhaltung mir besser zugesagt hat und meine Traumreisen wurden dort aufmerksam registriert.

Ich habe mich daran gewöhnt, dass meine Grenzüberschreitungen, zuerst unbewusste, später recht geplante und gesteuerte, nicht beliebt sind, sogar unerwünscht, dass ich mir damit erst die größten Schwierigkeiten einhandele.

Im Rückblick ist das einfach zu sagen, und damals habe ich mich gefragt, warum ich so handele. Heute weiß ich, dass ein Streben nach Unabhängigkeit dahinter steht. Jeder Dienstvorgesetzte nimmt das mit Unwillen zur Kenntnis. Deshalb gelte ich als schwierig.

Mich hat beeindruckt, als der Vorsitzende des Vereins, in dem ich vier Jahre lang ehrenamtlich mitgearbeitet hatte, sagte: „Dank erwarten wir nicht.“
Danach wurde er schwer krank und äußerte vor dem Ableben seine Sorge um den Bestand und die Zukunft des Vereins. Sein Nachfolger hat den Verein an die Wand gefahren. Heute gibt es einen Notvorstand und die Liquidation steht vor der Tür. Manches, das ich damals schriftlich von mir gegeben habe, hätte mein Vorsitzender mir am liebsten um die Ohren geschlagen, auf der anderen Seite war es für mich eine Gelegenheit, fachlichen Austausch zu pflegen und mich zu stabilisieren. Ein Laufbahnmensch würde sagen, dass ich kein Ziel erreicht habe, weil ich heute ohne regelmäßiges Einkommen und ohne Anstellung bin. Ich betrachte solches als Äußerlichkeiten. Es geht um eine Aufgabe, die mache ich nicht von einem Vorgesetzten oder Vorsitzenden abhängig, sondern es geht mir um die Befolgung des moralischen Imperatives.

Ich weiß, dass ich wegen dieser inneren Unabhängigkeit immer wieder unter Generalverdacht stehe und ich kriege jeden Tag neu Verletzungen. Heute kann ich damit leben. Sei die Verletzung noch so schlimm, ich weiß, ich kann mich darum kümmern. Meine Helfer sorgen sich um mich, stellvertretend am Alter Ego und die Wunden heilen. Immer wieder neu. Das ist die Opfersituation ständig neu aufgelegt.

Ich war nie als Patient in einer Psychiatrischen oder Psychotherapeutischen Institution. Was ich mir erarbeitet habe an Heilungsmöglichkeiten, habe ich mir großenteils aus Wochenendseminaren, Literatur und Gesprächen in der SHG und in der Psychoedukation zusammengetragen. Austausch mit Professionellen ist eine Gelegenheit, die Reibefläche zu erproben. So wie das Reisen während des Trommelschlagen in manchen Gruppen als selbstverständlich und in anderen als gefährlich angesehen wird, darf ich mir bei Ermessensfragen ein eigenes Urteil bilden. Auch mein Aufenthalt im Forum ist solch eine Reibefläche. Im Hintergrund liest der Moderator mit und meldet sich, wenn ich etwas Falsches schreibe. Wenn ich schon allein auf meinem Weg bin, den ich mir mitten durch Gestrüpp bahne, dann vergewissere ich mich von Zeit zu Zeit, was sogenannte Fachleute dazu meinen, wo ich mich gerade befinde, und ob der letzte Schritt gut oder schlecht war.

Übrigens ist bekannt, dass die größten Streitigkeiten zwischen den Fachleuten stattfinden. Der Fortschritt lebt davon, dass kontroverse Standpunkte durchgesprochen und durchgearbeitet werden.

Wobei ich mit meinen Arbeitsergebnissen vor Ort wenig Resonanz finde. Ich bin glücklich, dass ich in einer Großstadt mit fast 300 000 Einwohnern, mit Fachbehörden und mit einer renommierten Universität eine Person finde, mit der ich mich über fachliche Probleme unterhalten kann. Die Anerkennung für meine Arbeit hole ich mir von Kollegen im Ausland. Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterland.

<<<< Ich weiß, niemand hier kann eine Entscheidung für mich treffen oder mir sagen, wessen Sicht die der Sachlage angemessenere ist.>>>>>>

Die Erkenntnis kann dir niemand nehmen. Ich weiß aus meiner Erfahrung, dass dies qualvoll ist. Es ist wie das Stochern im Nebel in einem Gelände ohne Weg. Jeder Schritt muss bedacht sein. Oft hilft mir, darüber mit anderen zu sprechen. Deshalb ist ein Netz von Personen, mit denen ich über solche Probleme mich austauschen kann, das Allerwichtigste. Das müssen keine Therapeuten sein, sondern ich spreche zuerst mit Menschen mit Lebenserfahrung, die in ihrem Leben einiges eingesteckt haben und es überlebt haben. Sie haben ihre Grenzen kennengelernt. Merkwürdig, das sagt keiner so schnell, aber ich spüre es mit der Zeit.

Darum geht es: sich zurücknehmen. Ich kann mir die Sache mit Abstand von außen betrachten.

Ich wünsche dir gute Zeiten und Erfolg auf deinem Weg.

Herzliche Grüße

Albert
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