Outen?

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iffy04
Beiträge: 431
Registriert: 10. Mär 2010, 11:54

Outen?

Beitrag von iffy04 »

Hallo,
ich habe heute mit einer alten Freundin telefoniert und sehr offen über meine Depression- und Angsterkrankung gesprochen. Ich empfand es als sehr erleichternd.
Sie riet mir, mich auch bei meiner Familie (Eltern und Schwester) zu outen. Sie sagte, dass diese Maske tragen und dieses Verstellen so unendlich viel Energie kostet, die ich eh nicht hätte. Sie war selbst auch betroffen und hat gute Erfahrungen damit gemacht.
Sie meinte, es würde mir ein großes Stück weiter helfen. Jetzt bin ich am überlegen, ob ich es wirklich meinen Eltern sagen soll. Unser Verhältnis ist wirklich sehr angespannt, weil ich eben häufig Einladungen absage und sehr verschlossen und oberflächlich rüber komme. Klar machen meine Eltern sich Gedanken was mit mir los ist. Aber die Tatsache, dass meine Erkrankung einen Großteil mit meiner Kindheit und Erziehung zu tun hat, macht das Outen nicht leichter.
Wie habe Ihr es erlebt, wenn ihr offen über eure Probleme gesprochen habt?

LG
wennfrid
Beiträge: 799
Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: Outen?

Beitrag von wennfrid »

Hi iffy
Erstmal willkommen!
Ich bin für das outen. Damit verbrauche ich keine Energie für das Verheimlichen meiner Krankheit. Ich kann meine ganze Kraft zum Überwinden nutzen. Sollte sich jemand an meiner Krankheit stören, dann weiß ich, dass diese Beziehung für mich nicht wichtig ist.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Dendrit
Beiträge: 4976
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Re: Outen?

Beitrag von Dendrit »

Hallo iffy,

mir geht es so wie Fridolin: wer mich mit meinen Macken nicht mag, der solls halt lassen - (bewusst) Kraft für schauspielern will ich nicht mehr investieren. Auch in der eigenen Familie, so weh es auch tun mag.

LG, Manuela
Renchen
Beiträge: 5
Registriert: 1. Feb 2011, 20:53

Re: Outen?

Beitrag von Renchen »

Hallo iffy,
auch ich würde Dir raten Dich zu outen. Damit wird vieles leichter, Du brauchst Dich nicht mehr verstecken wenn es Dir mal wieder schlecht geht.

Ich wünsche Dir viel Kraft dafür, falls Du Dich dafür entscheidest. Glaub mir, hinterher bist Du eine riesen Last los...

LG Renchen
steppenwolf1

Re: Outen?

Beitrag von steppenwolf1 »

Hallo iffy,

hab auch immer versucht zu verheimlichen, bis ich das erste mal in der Klinik landete und die Therapeutin ein Familiengespräch anregte, was im ersten Versuch abgelehnt wurde.
Jetzt ist es zwar so, dass meine Familie davon weiß, ich es aber trotzdem nicht hinbekomme ehrlich zu sagen, mir geht es schlecht.
Ich denke, dass ich mit meiner krankheit meinen Eltern auch Schuldgefühle gemacht habe und bisher hab ich es mit der genetischen Disposition erklärt.
Ich denke auch, dass es zu viel Energie kostet, die Masken zu tragen und man diese anders verwenden kann.
Vllt. kannst Du Dich ja mit Hilfe einer Therapeutin outen, so dass ihr auch ins Gespräch kommt und Deinen Eltern klar wird, dass es nicht um Schuld geht.

Viele Grüße, wölfin
Secret
Beiträge: 1423
Registriert: 16. Dez 2010, 16:15

Re: Outen?

Beitrag von Secret »

Hallo Iffy,

ich schliesse mich meinen Vorrednern an. Seit ich mir über meine depri bewusst bin ist vieles mit meinen Partner leichter.

Meine Schwester hat mir erzählt, dass sie psychich krank ist, sie war schon mal in einer Klinik. Da hatte ich zum ersten mal den Mut jemanden zu erzählen, dass ich in Therapie bin.

Als meine Mutter vor 5 Jahren einen Schlaganfall bekommen hat habe ich erst bei der Suche nach einem Platz in einem Seniorenheim erfahren, dass sie Depressionen hat. Sie hat nie darüber gesprochen. Vielleicht war das früher in den 70er halt so, es gab auch kein Internet und jeder hatte für sich alleine gerübelt.

Als meine Mutter im November beerdigt wurde habe ich erfahren, dass ihr Vater, den ich nicht kennen gelernt habe an Suizid gestorben ist. Alles wurde verschwiegen. Jetzt ist mir einiges klar, einiges was in meiner Kindheit schief gelaufen ist passierte nicht mit Absicht, sie hatte nicht mehr Kraft für mich zu sorgen.

Will damit sagen: Wenn Du dich outest ist es möglich dass deine Familie Dir keine Absicht für einiges unterstellt, so wie ich es als Teenager bei meiner Mutter wegen Unwissenheit tat.
Sie hat mich in den Arm genommen und Gefühle gezeigt, doch sie hat auch oft geklagt und negatives wie z.Bsp "Jeder ist sich selbst der nächste", "Undank ist der Welten Lohn" usw. gesagt. Meine Hausaufgaben wurden nicht kontrolliert, keine Elternabende wargenommen, ich hatte keinen Ansprechpartner bei Mobbingsituationen auf dem Gymnasium usw.

Also zumindest den Erwachsenen würde ich es sagen, bei meinen Kindern lasse ich mir da noch Zeit. Habe in der Selbsthilfegruppe gehört dass dies nur Eltern von erwachsenen Kindern machen.

LG
M.
LG

Secret
Carrion
Beiträge: 317
Registriert: 13. Dez 2010, 08:13

Re: Outen?

Beitrag von Carrion »

Hey Iffy!

Obwohl ich schon jahrelang betroffen bin von verschiedenen psychischen Erkrankungen habe ich mich nie geoutet. Lag auch daran, dass meine Eltern beim "ersten Mal" sehr indifferent waren. Ich war von Magersucht betroffen und das kriegt man ja mit. Aber nichtmal als ich kurz vor der Einweisung war, weil mein Gewicht einfach zu niedrig war, hatten sie nicht den "Mut" mich darauf anzusprechen.

Daraus habe ich meine Lehren gezogen.Ich denke auch nicht, dass meine Eltern mir eine HIlfe wären.

Ich will nicht sagen, dass ich Recht habe und die anderen Unrecht, ich denke nur, dass jeder für sich entscheiden muss. Ein Abwägen zwischen "was bringt es mir" und "was kostet es mich". Ich habe für mich entschieden, dass die Kosten verdammt hoch und der "Payback" minimal wäre...

Liebe Grüße
Sophia
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Renchen
Beiträge: 5
Registriert: 1. Feb 2011, 20:53

Re: Outen?

Beitrag von Renchen »

@Carrion,
es kommt natürlich auch darauf an welch ein Verhältnis ich zu meinen Eltern habe.
Ich habe ein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen und sie sind in meinen schlechten Zeiten immer für mich da. Sie verstehen wenn ich allein sein möchte und kommen vorbei wenn ich sie brauche.
Von daher sehe ich es so das es besser ist mit offenen Karten zu spielen. Es wird sonst sehr schnell falsch verstanden wenn ich Verabredungen absage...

Ganz liebe Grüße von Renchen
Carrion
Beiträge: 317
Registriert: 13. Dez 2010, 08:13

Re: Outen?

Beitrag von Carrion »

Liebe Renchen!

Das ist es was ich meinte: Jedem seine eigene Lösung. Schön, dass deine so positiv ist!

Liebe Grüße
Sophia
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Stfn
Beiträge: 32
Registriert: 1. Okt 2010, 20:09

Re: Outen?

Beitrag von Stfn »

Hallo an alle,

das Thema Outen finde ich für mich persönlich auch ziemlich heikel.

Ich weiß schon ungefähr seit 10 Jahren, dass mit mir etwas nicht stimmt. Hatte aber immer die Einstellung, selbst damit fertig werden zu müssen (sicher auch von den Eltern impliziert). Nach diversen Umwegen, u.a. eine 1jährige Reise nach Australien in der ich mich auch viel gequält habe, hat mich meine Oma aus heiterem Himmel darauf angesprochen wie es mir so geht ... psychisch...

Daraufhin habe ich ihr dann erzählt was mein Problem ist und habe erfahren, dass sie als Studentin mit den gleichen Problemen zu tun hatte. Das war für mich der erste Schritt in die richtige Richtung.

Es hat aber noch sehr lange gebraucht bis ich meinen Eltern beigebracht hatte, dass es Depressionen sind, mit denen ich zu kämpfen habe. Und noch viel länger, bis ich mich ihnen in schwierigen Situationen anvertrauen konnte.

Vor kurzem habe ich das erste Mal mit zwei Freunden offen darüber gesprochen, was in mir vorgeht und es war erstaunlich befreiend. Ich finde es furchtbar eine Maske tragen zu müssen.

Auf Arbeit weiß es aber keiner und ich glaube, das ist auch gut so.

Liebe Grüße
Stefan
https://twitter.com/Depribird

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Stfn
Beiträge: 32
Registriert: 1. Okt 2010, 20:09

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Beitrag von Stfn »

https://twitter.com/Depribird

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iffy04
Beiträge: 431
Registriert: 10. Mär 2010, 11:54

Re: Outen?

Beitrag von iffy04 »

Euch allen vielen Dank für Eure ehrlichen Antworten.
@ Carrion
Unsere Parallelen sind ja interessant. Auch ich erkrankte an Magersucht, als ich damals von zu Hause auszog. Meine Mutter konnte sich nur ganz schwer von mir lösen. Ich habe es leider bis heute nicht geschafft (obwohl ich selbst verheiratet bin und zwei Kinder habe) mich von den Urteilen meiner Mutter über mich zu lösen.
@ All
Sie spielen das Spiel jetzt schon seit vielen Jahren mit. Ich denke schon, dass sie über mich reden, ich bin eben "etwas anders". Meine Eltern haben im allgemeinen nicht viel Verständnis für psychische Erkrankungen. Wenn sie über andere Leute sprechen, die depressiv sind, dann heißt es: "Wir hatten es auch schwer" oder "Die sollen sich zusammenreißen"...
Vielleicht wäre es auch eine Erleichterung für sie, wenn dieses "Heile-Welt-Spiel" endlich aufhören würde und sie hätten in der eigenen Familie mehr Verständnis als für Außenstehende......ich bin sehr unsicher
Ich werde mich und die Situation weiter beobachten und halte Euch auf dem Laufenden.

Vielen Dank.
LG
lucya
Beiträge: 1536
Registriert: 4. Aug 2010, 11:39

Re: Outen?

Beitrag von lucya »

Hallo!!
Auch ich bin für das Outen, habe lange damit gewartet und habe es dann irgendwie auch nur halbherzig gemacht (gerade bei meinen Eltern). Erst habe ich nur gesagt, daß ich Depressionen habe und deshalb krank geschrieben bin, dann bin ich rausgerückt, daß ich Medikamente nehme und dann habe ich sie angerufen, daß ich stationär in der Klinik bin... Wie schlecht es mir ging habe ich Ihnen nie gesagt, weil ich Ihnen nicht weh tun möchte, dabei wei ich ganz genau, daß sich meine Mutter das Hirn zermartert. Aber da kann ich nicht über meinen Schatten springen. Ich hatte einfach eine gute Kindheit und trotzdem sehe ich Ursachen in den frühen Jahren, dieses gut sein für andere, dieses perfekt sein, dieses stark sein, zum Kotzen...

Bei meinen Freunden habe ich mich auch nur halb geoutet, wie schlecht es mir wirklich ging habe ich immer runtergespielt. Das hat doch klar Ursachen in meiner Kindheit. Bloß nicht um Hilfe rufen, also mach es besser als ich sei ganz ehrlich...
Die lucya

_________________________________________

Nicht weil es schwierig ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen ist es schwierig!
Salvatore
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Registriert: 10. Feb 2010, 18:35
Kontaktdaten:

Re: Outen?

Beitrag von Salvatore »

Hallo @all,.

ich muss es leider noch einmal sagen: ich finde den Begriff 'outen' völlig unanangemessen. So wie es in Deutschland gebraucht wird, bedeutet es sinngemäßig 'bloßstellen' oder diffamieren und erzeugt den Eindruck, dass es etwas Peinliches oder Provokatives berührt.

Ich finde es nicht hilfreich bei der Entstigmatisierung dieser Krankheit, in diesem Zusammenhang von Outing zu sprechen.
Ich schäme mich nicht für meine Depressionen und es sollte auch sonst keiner tun.

Lg, Salvatore
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
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