...durchs Tal gehen........

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Christoph von der Heyden
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...durchs Tal gehen........

Beitrag von Christoph von der Heyden »

.......ich kann nur mittendrin anfangen, denn es ist weder ein Anfang oder ein Ende absehbar. Vielmehr fängt es langsam an zu fliessen, wie ein kleiner Bach, der dann immer weiter anschwillt, bis man einfach mitgerissen wird und sich nicht mehr wehren kann. Aber etwas fliesst, ich weiss es nicht, irgendetwas ist in Gang gekommen und ich habe viele blödsinnige Dinge gemacht. Blödsinnig? Zumindest so blödsinnig, daß mich grade diese Dinge in einer Art und weise zufrieden machten, wie ich es vorher nie erfahren habe oder vielleicht wollte? Angefangen hatte alles mit einem absoluten Tief im März. Nichts ging mehr. Ich sah keinen Licht am Horizont und ich war zum IRONMAN Deutschland in Frankfurt angemeldet. Das war's. Viel zu viel Arbeit. Zu Hause auch Krisen. Und kein Licht am Ende des Tunnels. Abtauchen die einzige Möglichkeit. Das Training kistallisiert sich als Haltepunkt heraus, alles andere wirkt vollkommen sinnlos. Arbeiten ist wie Prostitution, in der Familie bin ich nutzlos, da wenig vorhanden und so weiter. Man spinnt sich immer die Fäden die einen ins Dunkel ziehen. Diese kann ich hinter mir lassen wenn ich durch den Wald laufe. Die größte Angst, mehr unbewußt, ist aber die mit meiner Frau ein Leben lang verheiratet sein zu müssen. Die Ehre gebietet es hier nicht auch noch zu versagen. Versagen? Ja genau! Am 09.07.02 ist der erste Marathon zur Vorbereitung. Ich bin so vervös, das ich viel zu früh da bin. Es ist kalt, ich bin allein. Irgendwas schiebt mich da hin. Suche nach Gründen nicht zu laufen, finde aber keine und gehe atomatisch neben mir stehend zum Start. Peng. Laufen? Genau! Schön langsam. Uhr ist dabei. Die ersten 20 km sind kurzweilig länger werden die Km bis 35, danach tun die Beine weh und die Füße. Warum mache ich das? Ich weiss es nicht, werde geschoben und zähle mühsam die Schritte. Und plötzlich ist es da das Ziel. Und durch. Fühle mich stolz und die Augen füllen sich mit Tränen, gut das ich einen Sonnenbrille auf habe. Medaille wird umgehängt. Und vier Wochesn später kommt die Urkunde. Ich habe zum ersten mal im Leben das Gefühl etwas "sinnvolles" getan zu haben. Sinnvoll? 42,195 km laufen? Blödsinn. Ich melde mich noch zu vier weiteren Marathons an. Auf der Arbeit kann ich die Treppen nicht laufen. Aber ich bin motiviert. Was ist das? Ich weiss es nicht. Es ist so als ob ich was von dem Lauf mit auf die Arbeit, nach Hause genommen habe, eben etwas, was man nicht kaufen. Es fliesst. Ich freue mich auch den 18.08.02. Auch hier bin ich so nervös, daß ich die Schwimmbrille vergesse, und mein Partner mich zum Start "schleifen" muß damit ich überhaupt starte. Ohne Brille und mit roten Augen schwimme ich, dann Radfahren, dann noch ein Lauf durch die Hitze. 225 km bewegen. Wozu? Als die Beine nicht mehr laufen wollen, gehe ich ein Stück. Weihnachten pur, ich erhole mich und komme vorwärts. Das ist der Schlüssel. Die Haare als Regenbogen gefärbt (Wette verloren) komme ich gehend und langsam ins Ziel nach 13:42 Stunden. Dann geht alles recht schnell. Meine Frau und ich beschliessen die Trennung. Sogar friedlich. Ein weiterer Propf löst sich, und auf der Arbeit kann ich eine Aufgabe abgeben, so das ich alles in einer 50 Stunden Woche schaffen kann. Komisch wenn Dinge plötzlich funktionieren. Fühle mich unsicher. Aber wenn ich nicht mehr kann gehe ich ein stück und trinke und esse was, dann laufe ich weiter. Diese sechs "sinnlosen" Ereignisse waren wahrscheinlich das beste was ich machen konnte, denn sie waren nur für mich. Für niemanden sonst. Das nehme ich jetzt überall mit hin. Wenn ich auf dem Rad nicht mehr treten mag rolle ich ein Stück und kühle mich mit der Wasserflasche. Irgendetwas fliesst, ich weiss nicht wohin, aber das ist OK, schliesslich macht man die Schritte einzeln und nicht alle auf einmal. Mal sehen wo es hingeht, manchmal sind es die einfachsten Dinge im Leben, die es erträglich und dann freudvoll machen...... wennn ich nicht mehr kann, gehe ich ein Stück, trinke und esse was und dann......mal sehen wo es hingeht.......................
maggy
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Beitrag von maggy »

Lieber Christoph, ...ja, "irgendwas" kommt ins Fließen, wenn wir bereit sind die Angst (kommt von Enge,da kann nichts fließen) aufzugeben. Hat mich sehr berührt Dein Bericht und ich habe mich riesig gefreut von Dir zu hören. DANKE! Alles Liebe von Maggy
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
caroline

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Beitrag von caroline »

Hallo Christoph Etwas kommt ins Fliessen, und plötzlich fliessen andere Dinge mit. Ein Propf, wie du schreibst, löst sich, und ein weiterer auch, die Energien übertragen sich eben weiter. Die, die vorhin aufgebracht werden mussten, um in den Ängsten gefangen zu bleiben, können jetzt zu einer Befreiung genutzt werden. Ich gehe zur Zeit auch durch eine ähnliche Situation (obwohl ich kein "echter" Triathlet bin ), aber ich fühle diesen Fluss genau so Liebe Grüsse Caroline
Christoph von der Heyden
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Beitrag von Christoph von der Heyden »

Hallo Maggy, Caroline, ja die Angst loslassen, das ist eine Sache, die mich grade beschäftigt. Fast ist es so als ob ich sie brauche, weil ich sonst nichts anderes habe. Caroline, was ist ein "echter" Triathlet? :-) Machst Du auch Triathlon? Liebe Grüße Christoph
I.M.
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Beitrag von I.M. »

lieber christoph- ich habe oft an dich gedacht. danke für deinen bericht! gruß inka
maggy
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Beitrag von maggy »

Lieber Christoph, "Fast ist es so als ob ich sie brauche, weil ich sonst nichts anderes habe." Ja, dass hat mich über Jahre beschäftigt, aber irgendwann wurde mir bewußt, nur da wo etwas weg fällt ist Platz für was Neues. Solange mich die Angst ausfüllte war einfach kein Platz für was anderes. Und langsam...ganz langsam konnte das Vertrauen in mich und meine Handlungen den Platz der Angst einnehmen und je größer mein Vertrauen wurde, desto kleiner wurde die Angst (für sie war einfach kein Platz mehr). Heute treffe ich Entscheidungen von denen ich oft meine, dass sie mich ins Bodenlose fallen lassen, aber mitten im freien Fall wachsen mir auf einmal Flügel und ich weiß meine Entscheidung war die für mich richtige. Manchmal schlage ich aber auch hart auf, dann rappel ich mich auf und weiß, dass ich wieder was gelernt habe, nämlich die Wahl der Entscheidung war für mich zu diesem Zeitpunkt nicht vorteilhaft (sonst wären mir ja Flügel gewachsen). Alles Liebe von Maggy
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caroline

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Beitrag von caroline »

Lieber Christoph Nun, ein "richtiger" Triathlet ist halt ein Athlet, der schwimmt, radfährt und läuft, und das alles auch noch an einem Stück. Ich gehöre eher der Fraktion "Sport ist Mord" an, und deshalb sind "richtige" Triathleten für mich in einem andern Universum zuhause. Das betrifft aber nur die sportliche Einstellung;-))) Du schreibst, die 6 "sinnlosen" Ereignisse waren das beste, was du für dich machen konntest, denn sie waren nur für dich. Genau darum geht es ja: "sinnlos" ist gleichbedeutend mit SINNVOLL! Aber wir haben halt Angst, das zu glauben. Deshalb tun wir lieber Dinge, die für andere sinnvoll scheinen. Da kriegen wir Anerkennung dafür, das machen wir schon jahrelang so, das kennen wir gut, wir haben eben keine Angst davor. Und jetzt ist es auf einmal umgekehrt. Natürlich hast du Angst, du weisst ja nicht, was kommen wird, ob es dir gut geht dabei. Aber du merkst nach dem 1. Ereignis "hui, geht mir ja eigentlich gar nicht schlecht dabei". Deine Angst wird etwas kleiner, so dass es dir schon etwas leichter fällt, das 2. anzugehen. Und da bildet sich halt eben dieser Fluss, dass auf einmal mehrere Dinge wieder laufen. Anerkennung kriegst du "nur" von deiner Seele, aber dafür in einer Qualität, die unbezahlbar ist. Die Angst weicht, um andern Gefühlen Platz zu machen, Vertrauen in dich selber, Respekt vor dir selber. Und auch Gelassenheit, denn "ich weiss nicht, wohin es fliesst, aber das ist OK", das kann man nur, wenn man an sich selber glaubt, aber diesen Glauben zu finden, das ist ein ganz schön steiniger Weg, und puuuuhhhhh, da werd ich oft müde, und dann wärs vielleicht besser, ich hätte doch mehr Kondition, ich müsste mal meine "no sports" Mentalität in Frage stellen.... Dir einen lieben Gruss Caroline
waltraut
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Beitrag von waltraut »

Lieber Christoph, in gewissem Sinn mach ich eine ähnliche Erfahrung durch,etwas was ich noch nie gemacht habe. Ich hab mich zwar immer von fremden Bedürfnissen und Rücksichten leiten lassen,aber jetzt tu ich zum ersten Mal aus eigenem Antrieb und eigenem Wunsch etwas für jemanden anderen. Ich bin ganz für meinen Mann da,der mich jetzt braucht. Und ich geb mich nicht auf dabei - ich kann mich daran freuen und auch mich spüren. Die monate-,ja jahrelange Antriebslosigkeit ist plötzlich gegenstandslos geworden. Und ich fühl mich lebendig wie nie. Ich freu mich sehr,daß du wieder da bist! Liebe Grüße an euch alle Waltraut
lele
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Beitrag von lele »

Liebe Waltraut, alles Gute! L.
Marina
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Beitrag von Marina »

Hallo Waltraut, diese Erfahrung muß wunderbar sein für Dich. Die Tatsache, gebraucht zu werden, hat sicher etwas entscheidendes damit zu tun. Ich drück Dir die Daumen, dass Du das lange so durchhalten kannst und dabei an Kraft gewinnst. Ich hatte etwas Sorge um Dich, nun bin ich froh, dass sich die Dinge ins Positive wandeln. Ganz sicher wird Dein Mann auch diese Kraft spüren. Ich wünsche Dir und ihm alles erdenklich Gute. Liebe Grüße - Marina
Michaela
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Beitrag von Michaela »

Liebe Waltraut, schön von Dir zu hören! Und von Deinem Gewinn an Lebensfreude! Ich wünsche Dir und Deinem Mann alles Gute und viel Kraft, diese neue Situation zu meistern. Alles Liebe, Michaela
Christoph von der Heyden
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Beitrag von Christoph von der Heyden »

Hallo Waltraud, ich fand es sehr faszinierend, was Du da geschrieben hast. Es wirkte so geerdet und vor allem mit einem Fundament, das nicht von der Umwelt kommt. Also von Innen nach aussen. Ich denke das ist eine gute Sache. Von Innen nach aussen. Danke für den Hinweis! Liebe Grüße Christoph
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