Trotz und Streitsucht im Alltag

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JJ
Beiträge: 14
Registriert: 19. Jul 2010, 14:42

Trotz und Streitsucht im Alltag

Beitrag von JJ »

Hallo Forum,

ich stelle in den letzten Tagen ein Verhalten an mir fest, mit dem ich fast noch schlecht umgehen kann als mit typischen Löchern.

Kurz vorab: Meine Psychotherapeutin versicherte mir Anfang dieser Woche, dass ich alle Symptome einer Depression zeige, dass sie sich momentan außerstande sieht, mit mir daran zu arbeiten, und ich solle ihrer Ansicht nach dringend und schnell einen Facharzt aufsuchen. Diesen werde ich frühestens in anderthalb Monaten sehen, deswegen muss ich halt in der Zwischenzeit zurechtkommen. Soweit der Stand.

Was ich nun feststelle seit einigen Tagen, dass ich in dem Sinne nicht wirklich verzweifelt oder in einem Loch bin, sondern einfach gesagt tierisch schlecht drauf. Ich würd am liebsten jeden anfahren, der mir über den Weg läuft. Aber es geht noch darüber hinaus. Es ist gerade so, als würde ein Teil von mir sich ganz explizit Sachen suchen, wegen derer ich noch schlechter drauf sein kann als ich es schon bin und wegen denen ich dann möglichst irgendwelchen Personen gegenüber beleidigt sein kann. Wie ein kleines Kind, dass sich von der Welt ungerecht behandelt fühlt. Z.B. war ich stinksauer, dass meine Mitbewohner nicht extra nochmal gefragt haben, ob ich nicht doch mit ins Kino will, obwohl ich ihnen (nicht gerade freundlich) bereits abgesagt hatten. Also so Sachen, bei denen ich, wenn ich darüber nachdenke, fast lachen muss, so absurd ist das zum Teil. Als würde ich versuchen, mit allem und jedem Streit anzufangen, um mich dann darin bestätigt zu sehen, dass die Welt ja soo furchtbar ungerecht zu mir ist. Ganz besonders schlimm trifft es meinen Freund, auf den ich seit Tagen durchgehend sauer bin.

Ich komm halbwegs damit klar, in irgenwelchen Denk- und Verzweiflungsstrudeln zu versinken, aber mit diese absurden Gefühlsregungen machen mich fertig, vor allem, wenn ich bedenke, dass das wohl noch eine Weile so weitergeht. Ich hab auch das Gefühl, dass mich das momentan definiert und gar nix mehr anderes übrigbleibt, und deswegen mag ich diesen Menschen nicht besonders, der ich momentan bin.

Kennt diese Gefühl jemand? Weiss jemand, wie man es schafft, dass im Alltag etwas zu regulieren?
Lise
Beiträge: 6
Registriert: 26. Nov 2010, 16:31

Re: Trotz und Streitsucht im Alltag

Beitrag von Lise »

Hallo JJ!

Und wie ich das Gefühl kenne. Wenn alle doch irgendwie gegen mich sind und ich zurückschieße, obwohl gar nicht geschossen wurde

Das allerwichtigste: Nimm dich selber nicht zu ernst!

Ich habe mir das gut sichtbar auf die Wand geschrieben, weil ich es selber immer wieder vergesse und meine Gedanken, wenn ich anfange zu grübeln, immer in die Abwärtsspirale führen, die mir manchmal die komplette Logik nimmt und jeder Blick, jedes Wort, Verhalten und Nicht-Verhalten so interpretiert wird, dass ich sauer werde. Letztendlich brauchst du Strategien, die dir helfen nicht in diese negativen Denkschema reinzukommen. Leicht gesagt und gedacht- seehr schwer umzusetzen. Dabei wirst du Hilfe brauchen. Eine immer-funktionierende Strategie habe ich auch noch nicht gefunden. Aber wie gesagt: das Mantra: Nimm dich selber nicht zuernst! OMMM...

Viel Erfolg! freue mich, wenn du mich auf dem laufenden hältst!

Herzliche Grüße

Lise
chrigu
Beiträge: 2081
Registriert: 20. Mär 2006, 12:20

Re: Trotz und Streitsucht im Alltag

Beitrag von chrigu »

Hallo JJ,

ich habe an mir vor einiger mal Zeit mal etwas ähnliches erlebt. Da war ich ständig auf Krawall gebürstet, wie man so schön sagt, und habe fast überall und mit fast jedem Konflikte und Streit gesucht. Für mich selbst war die Erklärung, dass ich aus meiner anerzogenen und lange gelebten Harmoniesucht ausgebrochen bin, das Pendel sozusagen in ein anderes Extrem ausschlagen musste, um sich dann in der Mitte einpendeln zu können.

Deine Erklärungssache scheinen aber für Dich doch schon ganz stimmig zu sein, oder? Für mich las sich es so, als müsstest Du Dein schlechtes Gefühl quasi im Nachhinein noch legitimieren und unterstützen und deshalb nach weiteren Verursachern für schlechte Gefühle suchen. Oder sie eben schaffen.

Die Frage nach der Regulation kannst Du ja vielleicht mit der Frage nach dem Ursprung beantworten. Wenn Du rausfindest, was da bei Dir abläuft, dann kannst Du die Ursache vielleicht auflösen. Lässt Du die schlechte Laune denn raus oder köchelst Du eher vor Dich hin?

Viele Grüße
Chrigu
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Trotz und Streitsucht im Alltag

Beitrag von anna54 »

Hallo JJ

das war bei mir vor Jahren oft der Beginn einer depressiven Phase.
Streitsucht,alles ist ungerecht,alte Konflikte wieder ausgraben und sich letztlich selber immer wieder an alten Scherben schneiden.

Inzwischen habe ich eine Medikation,die da ausgleichend wirkt.Bemerke ich die Streitlust und sie bleibt,wird die Dosis erhöht,oft nur für eine Woche.

Leider muss ich mich dann von vielen Menschen fernhalten,immer wieder alte Wunden aufreißen ist für alle schlimm.
Ich mache dann auch andere für meine Depression verantwortlich,letztlich ist es aber MEINE Krankheit.
Was ist zu tun-- schneller auf einen Arzttermin bestehen!!! Fast jede Praxis hat Notfalltermine! Die Ambulanzen der psychiatrischen Kliniken sind oft einfacher zu erreichen. Warte nicht länger,die Weihnachtszeit tut ihr eigenes noch dazu.
Du hast ein Recht auf Hilfe,fordere es ein.
Früher habe ich mich so aggressiv nicht gemocht,es ist ein Symptom meiner Erkrankung und lässt sich gut behandeln.
Nur Mut!
Alle guten Wünsche anna54
JJ
Beiträge: 14
Registriert: 19. Jul 2010, 14:42

Re: Trotz und Streitsucht im Alltag

Beitrag von JJ »

Erstmal danke für die lieben Antworten. Es tut schonmal gut zu wissen, dass es offensichtlich doch eng mit der Krankheit zusammenhängt, und anderen das durchaus auch bekannt vorkommt. Ich kenn mich seit Wochen selbst nicht mehr, bin weit von dem Menschen entfernt, der ich mal war, und meilenweit von dem, der ich gern wäre, und ich kann mir auch nicht mehr trauen. Irgendwie hab ich schon das Gefühl, ich spinn total rum (trotz des Bestätigung auch von der Therapeutin, dass das nun einfach auch auf körperlicher Ebene, also homonell zu begründen ist). Es ist so absurd, vom Verstand her beurteilen zu können, dass man sich total albern verhält, aber es dennoch nicht ändern zu können.

@Lise: Das mit dem selber nicht zu ernst nehmen versuch ich zu beherzigen. Das schreiben vorhin hat bereits geholfen, dass einfach in den Kontext einordnen zu können, dass das momentan eine "Fehlfunktion" ist und ich nix dagegen machen kann.
Das mit dem auf dem Laufenden halten werd ich mal versuchen, muss nur zugeben, dass ich es echt anstrengend finde, hier zu lesen und zu schreiben. Es interessiert mich zwar sehr, aber es kostet auch Kraft. Vor allem das lesen (dass ich bei der Sache auch noch egozentrisch wie noch mal was werde und sich alle Gedanken nur noch um micht kreisen, geht mir auch tierisch auf den Senkel.. hatte mich mal für nen recht empathischen Menschen gehalten). Na, mal sehen.

@chrigu: Nein, ich lass die schlechte Laune eigentlich eher nicht raus. Ich weiss, dass ich mich meinen Mitmenschen ggnüber unfair verhalte, deswegen versuche ich möglichen Konfliktsituationen auszuweichen. Ich fühle mich dadurch nicht besser, wenn ich sie anmache, ich weiss ja, dass es Blödsinn ist. Am besten hilft eigentlich ablenken, dann gehts auch.

Tja, die Ursache... das ist eine gute und berechtigte Frage. Sicher weiss ich es nicht, ich weiss nicht genau, woher eigentlich dieses "Bedürfnis" kommt, mir wehtun zu lassen (denn das ist es ja irgendwo, wenn ich dauernd absichtlich falsch interpretiere, bin ja nicht wirklich auf Streit aus).
Ich denke, ich bin mächtig enttäuscht von meinem Freund. Wir sind noch nicht so lange zusammen (1/2 Jahr), und ich hatte ihm von der Therapeutin erzählt und Anfang der Woche auch, dass sie will, dass ich zu nem Psychiater gehe. Er hat dadrauf fast gar nicht reagiert. Ich fühl mich von ihm mächtig im Stich gelassen, ich fühl mich verraten. Ich bin krank und ihn kümmert das nicht (so kommts an, obs stimmt, weiss ich nicht). Das so völlig zu erklären, könnte ich jetzt gar nicht, dazu ist die Beziehung zu kompliziert. Es ist eine Fernbeziehung und er hat seinterseits extreme Probleme, über tiefgehendere Sachen zu reden. Jedenfalls fühl ich mich von dem und früheren Sachen mächtig verletzt, und ich schätze, das strahlt auf sämtliche andere Sachen aus. Ganz sicher bin ich mir da nicht. Vielleicht ist es auch so, dass ich aus irgendwelchen Gründen wütend bin und er nur das "beste" Ziel darstellt. Denn wenn ich drüber nachdenke, was er konkret machen könnte, um micht zu besänftigen, fällt mir eigenltich nichts ein.
So richtig klar drüber nachdenken kann ich also nicht.

@Anna54: Das Problem mit dem Arzt liegt darin, dass ich für nen Monat daheim sein werde. Da könnte ich mir natürlich irgendwas suchen, aber das wäre genau für 1 mal. Das möchte ich eigentlich nicht. Da mein Vater bescheid weiss, und mich da momentan auch am meisten unterstützt, gehe ich davon aus, dass ich den Monat halbwegs OK überstehen werde, und wenn ich wieder daheim bin, direkt zum Arzt kann.
Der, zu dem ich will, hab ich empfohlen bekommen. Da ich mich mit Medis absolut nicht wohlfühle, aber einsehe, dass ich an nem Punkt bin, wo es wohl sein muss, möchte ich doch wenigstens zu einem Arzt des Vertrauens (in dem Fall der Therapeutin) gehen. Bei dem hat mir aber eine gelangweilte Sprechstundehilfte klargemacht, dass ich da keinen Termin vor Weihnachten bekäme.
wennfrid
Beiträge: 799
Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: Trotz und Streitsucht im Alltag

Beitrag von wennfrid »

Hi JJ
Nach meiner ersten richtigen Therapie, kam sehr viel Wut zum Vorschein. Wut, die ich gegen mich selber gerichtet hatte. Nach dieser Erkenntnis stellte ich fest, daß ich richtig agressiv gegenüber alles und jedermann war. Über diese Eigenschaft war ich anfangs sehr erschrocken, sowas kannte ich bei mir nicht. Heute ist diese Agression nur noch sehr wenig bei mir vorhanden, aber so 2 - 3 Monate hat es schon gedauert.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Lise
Beiträge: 6
Registriert: 26. Nov 2010, 16:31

Re: Trotz und Streitsucht im Alltag

Beitrag von Lise »

Hallo JJ!

Bin gerade ganz kribbelig geworden. Ich bin mit meinem Freund auch erst 1/2 Jahr zusammen und die Beziehung leidet stark unter meinen Depressionen. dadurch wird viel von der Leichtigkeit genommen, die wir anfangs hatten. Ich bin sehr froh, dass ich mit ihm sehr gut darüber reden kann. Bzw., er kann gut zuhören und möchte, dass ich darüber rede. Mir fällt es meistens schwer zu reden. Er fragt mich, wenn ich gerade mal wieder agressiv und streitlustig bin, wie ich mich gerade fühle und manchmal hilft es mir einfach über die Emotionen zu sprechen, die mich gerade im Griff haben. Es ist schwierig ihm zu erklären, dass es die Krankheit ist, die in solchen Momenten aus mir spricht. Ich habe ihn gebeten, mich dann auch nicht zu ernst zu nehmen. Ist aber schwierig. Ich komme ihm fremd vor und verletze ihn mit meinen Anschuldigungen. Bei mir kommen auch noch Ängste dazu. Die ständige Angst ich werde ihm zu psycho, zu anstrengend, zu emotional, tief verwurzelte Verlassensangst. Das fehlende Selbstvertrauen während einer depressiven Phase tut das übrige dazu. Mein Freund ist sehr geduldig und neugierig. Ich versuche mit ihm die Krankheit als ein Phänomen zu sehen, dass es zu verstehen gilt. Manchmal hilft das, mich von den Emotionen zu lösen und die Krankheit mit Abstand zu betrachten. Manchmal hilft auch gar nichts... Aber ich bleibe dran.

Wichtig für mich war, zu verstehen, dass das Ganze behandelbar und heilbar ist (habe nur auch noch niemanden gefunden, der das kann) und die ständige Hoffnung, dass es irgendwann besser wird. Bis dahin muß ich es annehmen. Ich versuche die Depressionen auch als Chance zu sehen. Wenn mein Freund und ich eine depressive Phase überstanden haben, hat es uns bis jetzt immer näher gebracht, weil wir viel übereinander erfahren. Vielleicht hat dein Freund, wenn er auch nicht über sich selber reden mag, Lust dich kennenzulernen und zu erfahren, was in dir vorgeht. Das kann etwas sehr intimes und unvergleichliches sein...

Herzliche Grüße

Lise
JJ
Beiträge: 14
Registriert: 19. Jul 2010, 14:42

Re: Trotz und Streitsucht im Alltag

Beitrag von JJ »

Nein, mit meinem Freund ist das anders. Wesentlich komplizierter. Ich weiss auch nicht, ob es nicht ein Riesenfehler ist, diese Beziehung weiterzuführen. Ich mag ihn unglaublich gerne, aber er hat seinen eigenen ziemlich schweren Knacks weg, der dazu führt, dass wir uns in unseren schlechten Eigentschaften quasi verstärken (ich mit meiner Unsicherheit, meinem Bedürfnis nach Bestätigung und Erklärungen seinerseits, er mit seiner Unfähigkeit, wirklich über mich und sich nachzudenken, geschweige denn mit mir darüber zu reden). Ich hab ihn die letzten Tage völlig gemieden. Ich will nicht, dass er mir wehtut, ich hab da panische Angst vor. Und ich habe gerade nicht die Kraft, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum ich ihm gegenüber so überempfindlich bin. Trotz Krankheit und allem bin ich ziemlich sicher, dass da ein ziemlich konkreter Grund dahintersteckt.
Auf der anderen Seite ist es ein unheimlich toller Mensch, der hinter diesen ganzen Schutzmauern und Masken steckt. Leider kriege ich den selten zu sehen, und bräuchte ihn momentan dringender als je zuvor.

Ich merke auch, dass ich langsam nicht mehr alles was vormachen kann. Ich habe gerade meine beste Freundin ziemlich grob abgewürgt, obwohl sie mir nur helfen wollte. Andere Leute stellen auch Fragen. Ich habe aber keine Lust, dass das bekannt wird. Das ganze sind MEINE inneren Dämonen, das geht niemanden etwas an. Noch mehr dummes Verhalten zu dem Thema würde ich nicht ertragen. Gleichzeitig will ich wirklich nicht meinen Freundeskreis völlig verschrecken und vergraulen ...
Heute ist mal wieder kein guter Tag.

Nachtrag: Gerade so beim quatschen nehm ich grad echt alles persönlich. Mich stört grad alles. Das ist schrecklich, wieso kann ich denn nicht diesen Menschen Mensch sein lassen und mich vielleicht sogar freuen? Ich hasse es!
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