Eine vorsichtige Frage ...

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Mareice
Beiträge: 219
Registriert: 27. Jun 2010, 19:25

Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Mareice »

Liebe Forumsleser und -schreiber,

ich selbst bin "Angehörige", und ich habe lange überlegt, ob ich es wagen sollte, hier zu schreiben. Ich weiß, dass das manchmal Diskussionen hervorruft, und ich möchte auf keinen Fall jemandem zu nahe treten. Ich hätte nur so gern einmal eine Sichtweise aus Betroffenensicht, um besser verstehen zu können...

Ich versuche, ganz kurz zusammenzufassen: Es geht um meinen derzeitigen Ex-Freund, der sich vor nunmehr 6 Monaten getrennt hat. Neben der Diagnose "Dysthymie", die ihm von ärztlicher Seite gestellt wurde, gibt es zahlreiche Anzeichen, dass er in einer chronischen Depression steckt, derzeit wieder mit einer akuten Phase (er geht nicht zum Sport, er ist sehr reizbar, vernachlässigt seine Arbeit etc.). Wir haben in der Beziehung viele Probleme gehabt, an denen nicht nur einer Schuld hatte, ich war seine erste richtige Freundin, und ich war (und bin es immer noch) die einzige, der er sich öffnen kann. Es gab in der Beziehung zwei Nervenzusammenbrüche, aber ich selbst habe nicht früh genug erkannt, worum es sich eigentlich handelt, und nicht dementsprechend reagiert, bis es dann zur Trennung kam. Wobei wir noch zwei Wochen vorher Pläne geschmiedet haben und auch ein sehr liebevolles Verhältnis hatten (die Emotionen waren in der Beziehung immer entweder ganz weit oben oder ganz weit unten).

Über die letzten Monate habe ich immer wieder und kontinuierlich den Kontakt gehalten, letztendlich mit dem Erfolg, dass wir wieder lockerer miteinander umgehen können und auch offen sprechen können. Er ist mittlerweile an dem Punkt, an dem er sagt, er weiß, dass sich etwas ändern muss, aber er möchte es gern allein versuchen, ohne Therapie. Ich habe ihm immer wieder meine Hilfe angeboten, und vor etwa 3 Monaten auch gesagt, dass meine Gefühle natürlich noch da sind. Er sagt nun, was er mir erzählen kann oder nicht, hängt davon ab, was "mit uns" ist, er will mich nicht verletzen, aber er konkretisiert diese Sätze auch nicht. Seine Worte bzgl. der Beziehung waren, WENN er denn einmal darüber gesprochen hat, immer negativ, aber gerade in der letzten Zeit ist sein Verhalten sehr undurchsichtig (für mich), da er mich teilweise sehr lang und sehr fest umarmt, seinen Kopf auf meine Schultern legt, Fingerkontakt mit mir sucht, eifersüchtig auf andere Männer reagiert etc. Auf der anderen Seite bekomme ich immer sehr genau mit, wenn seine Stimmung extrem schlecht ist, denn dann ist er mir gegenüber wortkarg und teils verletzend-beleidigend. Andererseits aber sehr fürsorglich, wenn ich mal Hilfe brauche.

Bei jedem, der bis hierhin gelesen hat, möchte ich mich schon einmal ganz herzlich bedanken. Wenn ich das so schreibe, klingt das für mich selbst wirr... Gibt es jemanden, der sein Verhalten nachvollziehen kann und mir vielleicht erklärend weiterhelfen kann? Ich würde mich so freuen, die ein oder andere Sichtweise zu bekommen, denn ich will ihm wirklich helfen, ich erwarte auch derzeit keine Beziehung von ihm, weil ich weiß, dass er das gerade nicht geben kann, aber ich bin auch verzweifelt, denn neben der menschlichen Zuneigung für ihn sind meine Gefühle für ihn weiterhin da.

Ganz herzlichen Dank im Voraus,
Mareice
Kodiak
Beiträge: 428
Registriert: 3. Okt 2010, 16:55

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Kodiak »

Liebe Mareice,

auch ich lebe mit der Diagnose Dysthymie. Ich gehe davon aus, dass Du weißt, was das bedeutet. Wenn Dein Ex jetzt noch eine schwere Depression dazubekommt, ist das eine Double Depression. Das wäre aus meiner Sicht absolut behandlungsbedürftig. Sich das als Betroffener einzugestehen, ist sehr schwer.
Wenn Dein Freund von Dir Ratschläge entgegennimmt, dann gib ihm das zu verstehen.

Ich lese aus Deinem Beitrag heraus, dass Dein Freund eine klare Standortbestimmung braucht. Er will wissen, wie Eure Beziehung nun ist. Wäre ich an seiner Stelle, wäre es mir eine große Hilfe zu wissen, dass da ein ganz verläßlicher Mensch an meiner Seite steht. Also meine Freundin!
Wenn das so ist, mußt Du Dich entscheiden. Für ihn ist es ein Unterschied ob ihm seine Ex oder seine wirkliche Freundin hilft.
Deine Gefühle für ihn sind da, Du weißt, dass er sehr krank ist. Du hast Mitleid.
Versuche zu trennen und steh dann als Freundin zu ihm, oder als Ex.
Wenn Du die Ex bleibst, aus Überzeugung oder weil Du Dich momentan nicht entscheiden kannst, kannst Du ihm helfen, indem Du Ihm kompetente Hilfe zukommen läßt. Sein Hausarzt, sein Facharzt, ist egal.

Als Freundin wird er Dir gerne folgen!

Ich glaube, Dir liegt sehr viel an ihm. Sonst wärst Du nicht hier. Lass seinen Kopf an Deinen Schultern und tröste ihn.

Liebe Grüße

Dietmar
Mareice
Beiträge: 219
Registriert: 27. Jun 2010, 19:25

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Mareice »

Lieber Dietmar,

vielen Dank für Deine schnelle, einfühlsame und vor allem hilfreiche Antwort!

Ich muss gestehen, ich hatte es von der Warte aus noch nicht wirklich betrachtet, oder mich nicht getraut es zu tun. Ich habe mittlerweile wohl auch einfach selbst zu viel Angst vor Zurückweisung... Ich bin mir sehr sicher, dass meine Gefühle für ihn auch eine schwere Zeit überdauern, und ich könnte mir kaum etwas Schöneres vorstellen, als diese Zeit mit ihm gemeinsam, als Frau an seiner Seite zu meistern. Und dabei, denke ich, bin ich nicht naiv - ich weiß schon, was da alles auf uns / mich zukommen kann.

Unabhängig davon wollte ich ihm ein paar Tage Zeit geben, das letzte ernste Gespräch zu verdauen, und ihn dann immer wieder darauf hinweisen, dass eine Therapie die richtige Wahl wäre (guter Hinweis mit der Double Depression - das wäre etwas, was ich anbringen könnte). Hoffentlich ohne bedrängend zu wirken.

Du hast Recht, mir liegt sehr viel an ihm...

Ich werde noch viel über Deine Worte nachdenken... Danke dafür!

Einen schönen Abend,

Lieben Gruß
Mareice
wennfrid
Beiträge: 799
Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von wennfrid »

Hi Mareice
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, Dysthymie und Depression ohne fachkundige Hilfe, in den Griff zu kriegen. Natürlich wäre es bequem und man bräuchte sich niemand zu öffnen. Meist sind die Schuld-und Schamgefühle zu groß, um kompetente Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diese Denkweise hat der Patient, Therapeuten wissen um dieses Gefühl und gehen in der Regel sehr einfühlsam mit den Patienten um. Der wichtigste Punkt ist aus meiner Sicht, daß der Betreffende bereit ist, Hilfe anzunehmen und Veränderungen zu zu lassen.
Durch eine neue Lebenseinstellung lösen sich viele Probleme automatisch auf.
"Aber, nicht das Wissen, das Tun führt zum Erfolg."
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Armageddon
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Registriert: 1. Jul 2010, 19:00

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Armageddon »

Hallo Mareice,
Aus der Sicht eines " Kranken ", kann ich Dir nur sagen, bei mir hats ewig gedauert, bis ich mir überhaupt klar wurde was ich hab, dann den Mut zu finden, nen Termin beim Psychologen zu machen, daß ist echt schwer, ich hab meinen erst im Dezember, egal.
Ich denk mal, wenn Er schlecht zu Dir ist, will Er eigentlich Abstand, aber nur um Dich nicht zu belasten, daß iss wien Teufelskreis, denn in dem Moment, wo Er Dich wegstößt, braucht Er Dich am meisten.
Ich kann wie gesagt nur von mir ausgehn, ich hab manchmal die selbigen " Macken".
Was trotzdem wichtig ist, bleib dran, wenn Er in Behandlung geht, wirds besser.
MfG Armageddon
ghana
Beiträge: 686
Registriert: 6. Feb 2006, 20:22

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von ghana »

Hallo Mareice,

ich könnte mir vorstellen, dass Begriffe wie "Psychotherapie", "Psychiater" und "Therapeut" deinem Freund Angst machen, weil er damit ggf. auch falsche Vorstellungen verbindet.

Vielleicht würde ihm ja der Schritt zu einem ganz normalen Hausarzt zuerst einmal leichter fallen? Eventuell mit dir als Begleitung (ich habe meinen Mann auch schon gebeten, mich zum Arzt zu begleiten, das war mir eine große Hilfe).
Wenn der Hausarzt sein Handwerk versteht, wird er deinen Freund entweder erst mal selbst behandeln können oder dir dabei helfen, ihn davon zu überzeugen, sich in fachärztliche Behandlung zu begeben



Alles Gute,
ghana
"Am dunkelsten ist es immer vor der Dämmerung." (Eoin Colfer)
68
Beiträge: 57
Registriert: 1. Mär 2010, 12:00

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von 68 »

Hallo Mareice,

ich finde es ganz toll von Dir, dass Du trotz allem zu Deinem Freund stehst, Dir Gedanken um IHN machst und ihm helfen willst! Für einen Menschen mit Depressionen ist es sehr wichtig so einen Menschen wie Dich an der Seite zu haben, und ich zieh den Hut vor Deiner Stärke!!!

Wenn ich in einer schlimmen Phase bin, brauche ich die Zuneigung von Menschen, die mir sehr wichtig sind. Aber gleichzeitig habe ich Angst davor, gerade von diesen Menschen enttäuscht zu werden. Deshalb distanziere ich mich auch gerade von den Menschen, die mir sehr wichtig sind. Die Angst vor Verletzungen ist so groß, dass ich durch Distanz versuche mich vor denen zu schützen, die mir am wichtigsten sind, weil die Verletzungen gerade von den Menschen am meisten weh tut. Dadurch kommt diese ständige Nähe-Distanz zustande, die ein Nicht-Betroffener nicht verstehen kann. Auch ein Betroffener kann es ohne Therapie nicht verstehen und es wird selber für ihn eine Quälerei.

Ich habe sehr lange gebraucht, bis mir das klar wurde und auch, dass ich dadurch andere sehr verletzt habe und damit einen Teufelskreis gezogen habe.
Ohne Therapie wäre ich heute nicht da, wo ich jetzt bin! Das erste halbe Jahr der Therapie war sehr anstrengend und schmerzhaft. Erst dachte ich, dass alles schlimmer anstatt besser wird. (Ich glaube, es war auch so.) Aber dann wird es besser und es tut einfach nur gut, sich selber zu verstehen.
Dein Freund wird fühlen, dass etwas mit ihm nicht stimmt und es ist eine Qual für ihn, weil er nicht weiß, was nicht stimmt. Dabei kannst Du ihm nicht helfen, das kann nur ein Therapeut. Er muß lernen die "Schatten" in seinem Leben zu sehen und damit zu leben. Du kannst ihm nur zur Seite stehen und ihm zeigen, dass Du in JEDER Situation an seiner Seite bleibst. Irgendwann wird ihm bewußt was Du für ihn tust und er wird die Angst vor Verletzungen und seine Distanz Dir gegenüber aufgeben. Aber er braucht eine Therapie dazu! Er sollte keine Angst vor einer Therapie haben, sondern lieber neugierig darauf sein, was er durch die Therapie über sich selber erfahren wird. Für mich war es eine Art Befreiung. Bei mir hat sich der Knoten gelöst und der innere Druck ist wesentlich weniger geworden.

Halte weiter durch, das ist wichtig für Deinen Freund!

Liebe Grüße,
Schneeball
Mareice
Beiträge: 219
Registriert: 27. Jun 2010, 19:25

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Mareice »

Hallo zusammen,

ich bin unglaublich gerührt davon, dass ich hier so viele hilfreiche Antworten und so viel Zuspruch bekomme, das hilft mir wirklich sehr, und ich habe das Gefühl, dass sich alles langsam etwas ordnet.

Ich würde gern auf den ein oder anderen Punkt von Euch näher eingehen, wenn das geht:
Ich verstehe den Aspekt gut, dass er sich aus Angst vor Verletzung von mir distanziert, er sagte einmal, ich sei der wichtigste Mensch in seinem Leben, und auch wenn er das jetzt wahrscheinlich so nicht mehr aussprechen würde, glaube ich schon irgendwie, dass das auch nach der Trennung so geblieben ist. Zumal es natürlich -leider, leider - in der Beziehung auch Verletzungen gegeben hat, in Streits etc. Und natürlich merke ich auch seine Stimmungen, und er ist besonders dann sehr abweisend, wenn es ihm gerade insgesamt nicht gut geht. Nur weiß ich manchmal nicht, wie man am besten reagiert, wenn er zum Beispiel sehr wortkarg ist, ich will ihm auch nicht "zu viel" werden, ihn nicht nerven. Meist versuche ich das zu ignorieren, ihm trotzdem von meinem Tag zu erzählen, ihn nach seinem zu fragen, irgendwie dem Gespräch ein bisschen Positives zu geben... Aber das geht natürlich auch nur begrenzt. Ist das im Ansatz richtig so, was meint Ihr?

@ghana: Den Ansatz, es mit einem Hausarzt zu versuchen, finde ich nicht schlecht - leider hat er keinen eigenen Hausarzt (mehr), dem er wirklich vertraut, aber vielleicht reicht der Begriff des Allgemeinmediziners, um die Ängste abzubauen...

@schneeball: Dir auch vielen Dank für Deine erklärenden Worte, ich weiß jetzt, dass ich einfach (ich versuche das schon) über Übellaunigkeit von ihm hinwegsehen muss und ihm zeigen muss, dass ich ihn nicht verurteile, sondern dass ich ihn so akzeptiere, wie er ist... Das mit der Stärke ist nicht immer einfach, und an manchen Tagen fühle ich mich auch nach Aufgeben (es geht ja auch schon so lange, zumindest für mich fühlt es sich sehr lang an), aber Worte, wie ich sie hier bekommen haben, helfen ungemein, weiter stark zu bleiben!

@armageddon: Ich wünsche Dir viel Erfolg für Deinen Therapiebeginn / -termin im Dezember, schön, dass Du das geschafft hast!

Ich danke Euch allen sehr!
Viele Grüße,
Mareice
68
Beiträge: 57
Registriert: 1. Mär 2010, 12:00

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von 68 »

Hallo Mareice,

ich freue mich, dass ich Dir etwas "Klarheit" geben konnte.

Es ist absolut der richtige Ansatz, wenn Du "normal" weiter machst! Betroffene sind sehr sensibel und wenn sich irgendetwas ändert, z. B. Du redest weniger weil Du ihn nicht nerven willst, stellt sich ein Depressiver die Frage, warum Du auf einmal anders bist, ob es an ihm liegt, ob er Dir zur Last wird...
Depressionen ist wirklich eine ätzende Krankheit!!!

Als Betroffene kann ich Dir leider nicht sagen, wie Du Dich am besten als Angehörige verhalten solltest. Ich denke auch, dass es individuell ist. Mir ist es aber sehr wichtig, dass meine Angehörigen sich über Depressionen informieren und vielleicht einbißchen verstehen können, was in mir abläuft. Aber das Allerwichtigste ist, das Dein Freund sich für eine Therapie entscheidet.

Ich denke, für Dich selber ist es sehr wichtig, wenn Du Dich mit anderen Angehörigen ausstauscht. Und das, was ein Depressiver erst wieder lernen muß, gilt auch für Dich als Angehörige: PASS AUF DICH AUF!!!
Wenn Du auf der Nase liegst wird Dein Freund Schuldgefühle gekommen, weil ihm bewußt ist, dass er die Ursache ist. Dann wird es für Euch noch schwieriger.

Lass alles so wie er es von Dir kennt weiterlaufen und tausch Dich mit anderen Leuten aus. Das ist wichtig für Dich!

Aber ich finde es ganz toll, dass Du Dir über das Forum Rat holst und Dir Gedanken um Deinen Freund machst. Du setzt Dich mit dem Thema auseinander und guckst, was Du für ihn machen kannst. Das ist sehr viel Stärke!!!

Ich drücke Euch beiden ganz fest die Daumen, und melde Dich hier im Forum, wenn Dir die Sachen über den Kopf wachsen!!!

Liebe Grüße,
Schneeball
ghana
Beiträge: 686
Registriert: 6. Feb 2006, 20:22

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von ghana »

Hallo Mareice,

es freut mich zu hören, dass du die Ratschläge hier im Forum hilfreich findest. Auch ich finde es super, dass du als Angehörige dich informierst!

Vielleicht hilft es, wenn du auch noch mal im Unterforum "Angehörige" postest.
Das ist der Ort, an dem sich Angehörige Depressiver austauschen. Vielleicht kann dir da noch jemand Tipps geben.

LG, ghana
"Am dunkelsten ist es immer vor der Dämmerung." (Eoin Colfer)
Kodiak
Beiträge: 428
Registriert: 3. Okt 2010, 16:55

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Kodiak »

Liebe Mareice,

ich finde es mutig von Dir, dass Du Dir von Betroffenen Hilfe holst. Es macht schon Sinn, besonders in diesem Fall. Denke ich.
Es freut mich auch, wenn meine Antwort für Dich hilfreich war.
Wenn es mir schlecht geht, ist es für mich wichtig, dass meine Freundin einfach da ist. Es ist gut, wenn sie mich fragt, wie es mir geht und ich dann einfach die Wahrheit sagen kann, ohne darüber diskutieren zu müssen. Wenn sie dann über ihren Tag erzählt höre ich zu, auch wenn ich vielleicht garnichts aufnehmen kann.
Für mich ist es wichtig, dass sie sich "normal" verhält. Mich nicht unter Druck setzt etwas tun oder sagen zu müssen. Wenn ich mich zurückziehe, kommt sie mal kurz fragen und dann ist das schon in Ordnung so. Sollte es mir besser gehen, kann ich auf sie zugehen, ohne etwas erklären zu müssen.
Setz Dich nicht unter Druck. Du bist für die Depression nicht verantwortlich und kannst sie ihm wahrscheinlich auch nicht nehmen.

Sei einfach da.

Liebe Grüße

Dietmar
Mareice
Beiträge: 219
Registriert: 27. Jun 2010, 19:25

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Mareice »

Hallo zusammen,

zunächst einmal (auch wenn es schon etwas spät ist), möchte ich Euch gern noch ein frohes Weihnachtsfest wünschen.

Eure Sichtweisen und Ratschläge haben mir, vielleicht sogar uns, vor ein paar Wochen sehr geholfen, deswegen möchte ich mich gern noch einmal an Euch wenden, da sich unsere Situation etwas geändert hat.

Vor etwa 5 Wochen gab es einen Abend, an dem wir uns, ohne dass ich damit gerechnet hätte, wieder näher gekommen sind - es ging alles ausschließlich von ihm aus, und es war auch kein Alkohol etc. im Spiel. Ich war natürlich zunächst einmal sehr irritiert, es beschränkte sich auch ziemlich auf Körperlichkeiten (schon aber auch mit vielen zärtlichen Gesten und Dingen, die mir gezeigt haben, dass es ihm tatsächlich um mich ging / geht). Er sagte (wortwörtlich), vielleicht sei es das einzige, was er gerade geben könne, garantierte mir aber, er spiele keine Spielchen (denn ein wenig misstrauisch war ich schon). Wir verbrachten dann auch noch fast den ganzen nächsten Tag miteinander, anschließend sagte er dann, dass er "gerade nicht bereit" sei für eine Beziehung mit mir, er wisse auch nicht, und "vielleicht können wir... erstmal... gute Freunde sein, die ab und zu miteinander schlafen". Und er wisse nicht, ob ihn das zu einem "Ar..." mache. Ich habe ihn in den Arm genommen und ihm gesagt, dass es doch eigentlich klar sei nach den Gesprächen, die wir geführt haben, dass er das gerade nicht geben kann, aber dass er nicht so naiv sein solle zu denken, dass ich keine Gefühle für ihn hätte. Daraufhin nahm er mich ganz fest in den Arm und sagte "Ich weiß, und ich muss jetzt gehen, sonst fange ich an zu weinen".
Ziemlich bald danach war er zwei Wochen weg, wir hatten in dieser Zeit keinen Kontakt (ich hab ihn auch nicht gesucht), und sobald er wieder da war (er hatte noch nicht mal ausgepackt), rief er mich an und fragte mich, ob wir uns abends treffen könnten. Dieses Treffen hatte zwar durchaus auch sexuelle Komponenten (ich hoffe, dass ich darüber hier so offen sprechen darf), war aber deutlich mehr geprägt von Zärtlichkeiten, einfach nur im Arm halten, guten Gesprächen, er hatte mir auch von seiner Reise etwas mitgebracht ... kurz gesagt, es ging weitaus über das hinaus, was er da angedeutet hatte, wie er das Verhältnis gern hätte, und seit langem hab ich ihm mal wieder in die Augen geschaut und wirkliche Gefühle gesehen (und ich bin SEHR vorsichtig und kritisch, mir sowas einzubilden, bin mir also sehr sicher). Ich habe seitdem nicht wieder mit ihm über ihn, Therapien, Hilfe etc. gesprochen (ich gebe zu, auch, weil ich die schöne Situation genießen wollte, ich bin ja auch nur ein Mensch ), habe aber bei ihm ein Buch zur Selbstfindung liegen sehen, er scheint sich also schon damit zu beschäftigen.

Nun ist das Problem, dass es immer wieder Momente gibt, in denen er sich (trotzdem) sehr kühl mir gegenüber verhält. Zum Beispiel haben wir uns noch am letzten Wochenende gesehen und einen schönen Abend verbracht, haben uns dann aber bis gestern zu Weihnachten gar nicht gehört, und er schrieb mir gestern eine sehr kurze, knappe und kühle SMS zu Weihnachten. Nun weiß ich (wir hatten gestern Kontakt), dass gerade sehr viel bei ihm schief läuft, dass er einen sehr disharmonischen Heiligabend bei seiner Familie hat, und ich vermute, dass er gerade wieder in eine akute Phase abrutscht.
Gestern rief ich ihn dann an und fragte, ob ich vorbeikommen könne, und er sagte, "Nein, lass mal lieber, mir ist übel" - weil ich mir Sorgen machte, fragte ich nochmal nach, ob ich dann nicht vielleicht erst recht zu ihm kommen solle, worauf er irgendwann nur sagte, er habe "keinen Bock". Daraus entspann sich dann ein ziemlich kritisches Telefongespräch (das erste seit langem), weil er sich in die Ecke gedrängt fühlte und sich zu einer Rechtfertigung genötigt fühlte. Ich habe versucht, ihm zu verdeutlichen, dass ich es so nicht meine, und ihn gebeten, wenigstens zu versuchen anzunehmen, dass ich es nicht böse meine und sein Leben nicht noch schwieriger, sondern leichter machen möchte. Ich glaube aber nicht, dass es in der Situation gestern so sonderlich bei ihm angekommen ist.

Was mich zusätzlich belastet ist, dass er gerade so sehr seine Maske allen anderen gegenüber trägt, dass ich die Sorge habe, dass er sich dabei irgendwie selbst verliert, den Menschen, der er eigentlich ist. Hab ich das verständlich ausgedrückt? Er lenkt sich ab mit irgendwelchen Sauf- und Kiffparties (nicht gestern, allgemein) und "spielt" dabei den Starken, Coolen... Wobei ich sagen muss, dass er keine Abhängigkeitsprobleme hat (Gott sei Dank).

Ich dagegen bekomme auch einfach mal eben gar keine Antworten auf Fragen, die ich habe... Zum Beispiel habe ich ihn vor einer Woche in einer sehr schönen Situation gefragt, was er eigentlich Silvester macht, und er sagte, er fährt vielleicht da und da hin (wieder auf eine solcher Parties). Ich habe erstmal nicht gesagt, und als er zweimal nachfragte, ergänzt, dass ich ihn gefragt hätte, ob wir zusammen feiern wollen, wenn er nicht schon was vorgehabt hätte. Seine Antwort war ein Seufzer, nichts weiter.

Ich bin derzeit hin- und hergerissen zwischen einem gewissen Harmoniebedürfnis und dem Drang, mit ihm zu sprechen. Ihm zu sagen, wie ich seine Situation empfinde, aber ich weiß gar nicht, ob er derzeit dafür überhaupt empfänglich wäre. Ich würde (um meinetwillen) auch gern nochmal Silvester ansprechen und ihm sagen, dass ich einfach nur gefragt habe, weil ich überlegt habe, mit welchem Menschen ich gern in das Neue Jahr starten würde, und dass das nun mal er war, nicht mehr und nicht weniger - aber ich weiß nicht, ob ihn das nicht auch schon wieder bedrängen würde.

Jetzt ist der Text leider ziemlich lang geworden, ich hoffe, ich hab mich damit jetzt nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt. Es ist so schwer, zu verstehen, wie der andere reagiert, und vor allem zu wissen, wie man richtig reagiert, ohne es dem anderen noch schwerer zu machen.

Ich freue mich über jede Sichtweise und jeden Rat und danke Euch schon mal jetzt ganz herzlich fürs Lesen!!!

Viele Grüße
Mareice
Kodiak
Beiträge: 428
Registriert: 3. Okt 2010, 16:55

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Kodiak »

Hallo Mareice,

ich finde die Frage, ob er mit Dir den Jahreswechsel begehen möchte, durchaus legitim. Die Antwort hast Du schon erhalten. Dennoch würde ich es auch in Ordnung finden, ihm Deinen nachvollziehbaren Grund für Deinen Wunsch mitzuteilen.

Es scheint so, dass Du eine ganze Menge Zugeständnisse machst. Wenn das für Dich so ok ist, ich weiß nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass Deine Bedürfnisse dabei auf der Strecke bleiben. Rücksicht nehmen ist ja gut, aber eine Dysthymie rechtfertigt nicht alles.

Was möchtest Du wirklich für Dich?

Liebe Grüße

Dietmar
Mareice
Beiträge: 219
Registriert: 27. Jun 2010, 19:25

Re: Eine vorsichtige Frage ...

Beitrag von Mareice »

Lieber Dietmar,

vielen Dank für Deine Antwort. Über Deine Frage habe ich mir auch schon oft Gedanken gemacht, gerade in der letzten Zeit. Sicher ist das langfristig keine Situation, die mich glücklich macht - aber so lange ich immer wieder einen Funken davon sehe, dass er etwas versucht, habe ich noch ein bisschen Kraft zum Kämpfen. Manchmal wirkt er so verzweifelt, dass ich denke, er würde vielleicht gern selbst mehr geben und kann nur nicht.

Aber dass das gerade ein Riesenzugeständnis ist, weil ich immer da bin, während ich selbst nichts fordern kann, das ist mir bewusst... Deswegen hoffe ich so sehr, dass er früher oder später doch eine Therapie beginnt, damit wir da gemeinsam raus kommen und doch wieder eine richtige Beziehung führen können.

Jedenfalls hast Du mich ermutigt, ihm meine Beweggründe nochmal darzulegen - es wird wohl an seiner Entscheidung nichts ändern, aber es ist wichtig für mich.

Vielen Dank und liebe Grüße
Mareice
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