wie lebe ich damit?

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fgregori
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wie lebe ich damit?

Beitrag von fgregori »

Hallo.

Ich lese schon seit einigen Tagen still mit und habe jetzt Kraft gefunden, selbst was zu mir zu schreiben, auch wenn ich mich schon in vielen Beiträgen selbst wiedergefunden habe und Antworten geholfen haben.

Vor 3 Jahren fing die Depression bei mir an, nach einer schmerzhaften Trennung, der vorher eine ebenso schmerzhafte 6 jährige Beziehung vorherrschte, meine erste im Leben.
2008 war ich dann das erste Mal in Gruppentheraphie, wo mir eine reaktive Depression diagnostiziert wurde. Ich habe die Theraphie nach 3 Monaten abgebrochen, da ich in der Gruppe der einzigst depressive war und die anderen Frauen mich nicht verstanden, so war damals mein Gefühl.
Nach der Trennung 2007 habe ich mich dann 3 Jahre lang in Alkohol, Partys und Männerbekanntschaften geflüchtet, was in einer Essstörung endete (verlor über 30 kg) und letztes Jahr kam dann der Zusammenbruch. Ich war die ganze Zeit nicht in ärztlicher Behandlung, hatte das Glück, eine gute Freundin und eine Schwester zu haben, die mich wenigstens oberflächlich wieder aufbauen konnten. Anfang diesen Jahres habe ich mich wieder zum Therapheuten begeben und mache seit Februar eine Verhaltenstheraphie.
Auch hatte ich dann letzten Sommer wieder eine neue, ernste Beziehung, die aber auch sehr schwierig ist, da mein Partner auch depressiv ist, und wir uns gegenseitig runterziehen. Momentan sind wir wieder mal getrennt, er ist in einer Klinik und ich mache das schlimmste Tief durch, das ich seit dem Zusammenbruch hatte.
Insofern hilft mir meine Theraphie, dass ich mich nun nicht mehr in Alkoholexcesse stürze und irgendwie versuche durchzukommen.
Aber das wars dann auch schon mit Fortschritten.

Ich habe in den letzten Monaten seit der Theraphie soviel nachdenken können, dass ich mittlerweile weiß, dass ich keine reaktive Depression habe, sondern dass diese Krankheit mich schon ein lebenlang begleitet.
Das Wort Selbstwertgefühl ist für mich eine Farce, schon seit Kindheit an, nie hatte ich das Gefühl, was wert zu sein, ich hätte mich dafür geschämt, wenn es gewesen wäre, hätte mich eingebildet gefunden. Habe jede Ablehnung und fehlende Anerkennung, sei es durch Eltern oder auch durch Schulkameraden damit abgetan, dass sie ja Recht haben damit, ich habe ja auch nicht verdient, zu erwarten, dass ich geliebt werde.
Meine Schwester wurde immer bevorzugt und ich war früh alleine und auf mich gestellt, war viel bei Freunden untergebracht, wo ich immer mitbekam, wie es in einer Familie laufen kann, und das meine Mutter mir das nicht gibt, lag wohl an mir. (Fortschritt heute: ich weiß, es war der Fehler meiner Mutter, zu jung und überfordert, alleinerziehend)
So wurde aus mir ein stilles Kind, das nie jammerte, nie weinte und viel allein war. Meine Mutter sagt heute, ich könne mich halt gut allein beschäftigen - naja, wenn man keine andere Wahl hat?
Und ein wütendes Kind war ich, scheinbar urplötzliche Wutausbrüche, die andere Menschen in meiner Umgebung überhaupt nicht verstanden und meinten, ich sei übergeschnappt. Das typische Verhalten eben.
In der Teeniezeit war es noch schlimmer,
Ablehnung über Ablehnung, glücklich verliebt war ich nie, in der Clique nur ein Mitläufer, immer ein Aussenseiter, der sich irgendwann mit dieser Rolle auch zufriedengab, weil ich ja nicht mehr verdient habe.
Ich glaub durch diese Stille und Verletzlichkeit wurde ich oft Opfer von Mobbing in der Schule, später in der Ausbildung und auch im Freundeskreis.
Ich lasse ja auch alles mit mir machen und wenn ich irgendwann einen Wutausbruch bekomme, sind die Menschen schlicht damit überfordert und meiden mich, was die Spirale ja nur weiterzieht.

Gut, worauf ich hinaus will, die negativen Gefühle, nichts wert zu sein, keinen Sinn für sich zu sehen, kenne ich schon immer, für mich ist das sozusagen normal.
Nur hatte ich als damals noch Kräfte eben durch diese negativen Gefühle, die ich heute nicht mehr habe. Ich hatte damals Ehrgeiz, es allen zu zeigen, war Klassenbeste, habe eine Ausbildung durchgezogen, die ich eigentlich nicht machen wollte, nur um allen zu beweisen , dass ich doch was kann.
Doch seit 3 Jahren ist dieser Ehrgeiz weg. Ich habe Studium abgebrochen, hatte mehrere Jobs, nie habe ich was lange durchgehalten. Immer wieder mit anderen Entschuldigungen, anderen Gründen. Mal war es der Chef, der mir nicht passte, mal war dies oder das.
Letzendlich war es aber so, dass ich einfach morgens nicht aus dem Bett kam. Ich habe mich daheim versteckt und alles verdrängt, nicht angerufen auf der Arbeit, mein Handy ausgemacht, war einfach nie erreichbar, weil ich mich dieser Scham, wieder mal nicht hinzukriegen, nicht ausliefern wollte.
Ich glaube, da fing es richtig an mit der Depression, da ich jetzt schon öfters gelesen So lebe ich jetzt seit 2 Jahren von Hartz 4, habe seitdem auch ständig Probleme mit dem Amt, weil ich Termine nicht wahrnehme, und schon oft sanktioniert wurde.
Mittlerweile wissen die auf dem Amt aber über meine Krankheit bescheid und lassen mich in ruhe, weitestgehend. Eine Krankschreibung meiner Therapheutin wäre da natürlich mal hilfreich, dass ich mich durch meine Tiefs nicht noch mehr in Schwierigkeiten bringe, aber ich will sie nicht fragen, weil ich mich schäme und das Gefühl habe, ich schiebe die Krankheit vor, um meine Faulheit zu begründen.

Ich habe natürlich Nischen gefunden, wie ich trotz Morgentief an Geld komme und arbeite oft abends in der Gastronomie, das macht auch
spaß, weil ich dort die Anerkennung bekomme, die ich brauche. In der Aussenwelt bin ich dann einfach mal ein Morgenmuffel, der lieber nachts arbeitet. Somit ist jeder zufrieden und keiner rollt die Augen und bezeichnet mich als faul.

Was jetzt momentan mein Problem ist, ich überlege, ob ich den Therapheuten wechsel, da sich für mich nichts gebessert habe. Ich habe immer nur alle 2 Wochen einen Termin und da geht es noch immer darum, rauszufinden, was mein Problem ist. Das weiß ich doch schon längst.
Ich mache ja schon Fortschritte, ich besaufe mich nicht mehr, suche keine Anerkennung bei Männern, aber konkrete Vorschläge, wie ich aus den Tiefs komme, oder wie ich mit Arbeit und den Ämtern umgehe, kommen gar nicht. Oft habe ich das Gefühl, meine Therapheutin vergisst in den 2 Wochen alles über mich, und fragt mich jedesmal dasselbe.
Ich habe nun eine Selbsthilfegruppe entdeckt, die es hier in meiner Stadt gibt und überlege, ob ich dort hingehe.
Das schlimme ist ja immer, sich mal zu überwinden.
Momentan sehe ich sowieso alles nur schwarz, schlafe 14 Stunden am Tag, gehe so gut wie gar nicht aus dem Haus, esse mal gar nichts, dann wieder zuviel, dass ich Durchfall bekomme, habe keinen Antrieb für nichts, kann nicht lachen und fühle mich alleingelassen und einsam.

Sollte ich mir einen anderen Therapheuten suchen oder das lieber mal ansprechen, dass ich unzufrieden bin, was aber auch wieder Kraftakt für mich wäre?

Schon mal danke fürs Lesen des doch ziemlich langen Textes und ich freue mich auf Antworten.

Liebe Grüße
kormoran
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Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von kormoran »

hallo hulahula,

willkommen im forum!

verzeih, wenn ich mich kurz fasse ... aber was ich so kurz und bündig zu deiner geschichte und deiner situation sagen möchte: dass ich sehr positiv finde, dass du schon viel geschafft hast in deinem leben (du hast das potenzial, gute leistungen zu bringen - nur hast du es bisher auf eine art nutzen müssen, die nicht wirklich dir selbst gedient hat), und dass du schon ein ziemlich klares bild davon hast, was schiefläuft und wo du mit der therapie ansetzen möchtest.

das ist ja schon mal was - nicht völlig im trüben zu stochern!

ich würde die unzufriedenheit mit der therapie auf jeden fall mal beim therapeuten ansprechen. du wirst ja sehen, was er dazu sagt. wenn du dann den eindruck hast, er kann dir nichts anbieten, wo du weiterkommst, wäre vielleicht wirklich ein wechsel angebracht. manchmal aber bringt so ein gespräch dann wieder eine neue wendung - oder man erkennt, dass man das, was doch passiert ist, gar nicht gesehen hat.

und gehe der idee mit der selbsthilfegruppe nach! ob die gruppe für dich passt, wirst du ja sehen - wenn ja, ist das einfach eine tolle möglichkeit, erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig zu stützen und so wie jetzt, wenn es dir nicht gut geht, doch wenigstens einmal die woche guten kontakt zu menschen zu haben. dort darfst du sein so wie du gerade bist.

alles gute!
kormoranin
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*** zurück ins leben!
fgregori
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Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von fgregori »

Hallo kormoranin,

Danke für die Antwort. Auch wenn sie mich erst mal etwas verwirrt, weil ich es anders sehe oder vielleicht auch nicht gewöhnt bin, was posititves zu hören, wie auch immer.
Sicher habe ich viel geschafft, habe mich durchgeackert und gekämpt, bin immer wieder aufgestanden, nach jedem Rückschlag bisher. Aber ich sehe für mich keinen Sinn darin. Ich habe das immer für andere getan, mir ist die Ausbildung egal, ich mag den Beruf nicht mal, will auch nicht mehr in meinem Beruf arbeiten. Ich frage mich nun schon seit Jahren, was ich eigentlich will, aber mir fällt einfach nichts ein oder der Weg dahin ist so beschwerlich, dass ich es als unmöglich ansehe. Das meinte ich damit, dass mir der Ehrgeiz fehlt, etwas zu erreichen zu wollen. Ich muss ja jetzt niemanden mehr gefallen, ich habe den Druck von zuhause nicht mehr, mir sind die Meinungen von Leuten mittlerweile egal, ob ich jetzt arbeite oder nicht.
Ich für mich selbst will was finden, was mich glücklich macht, aber ich weiß nicht, was mich glücklich macht, und dass ich dort im Dunkeln tappe, macht mich so traurig und wenn ich dann mal im Tief drinstecke, versperr ich mir selbst die Möglichkeiten, was gutes zu sehen.
Daher bin ich wohl so unzufrieden mit der Theraphie, weil wir immer noch im Ist oder war stecken und wenn ich frage, wie komme ich da raus? was kann ich denn tun, dass es mir besser geht? Nüschts...

Ich traue mir nichts zu, mir gefällt nichts, ich weiß einfach nicht weiter und fühle mich so wertlos, dass ich anscheinend an nichts Spaß haben kann oder mich nicht gut genug finde. Wo nimmt man Selbstvertrauen her, wenn man nie kennengelernt hat, wie es sich anfühlt? Wenn man es mit negativen Dingen behaftet?

Das mit der Selbsthilfegruppe werde ich jedenfalls machen, meine Schwester hat mir auch schon heute mittag dazu geraten (hat sie selbst hinter sich, nicht wegen Depressionen, anderer Krankheitsverlauf). Ich kann in der ersten Septemberwoche das erste mal hin und meine Schwester hat auch angeboten mitzukommen, wobei ich nicht weiß, ob ich das wirklich möchte, weil ich mich auch schäme, über diese Dinge zu reden.

Eins tut auf jeden Fall gut, sich den ganzen Kram mal wegzuschreiben, es fühlt sich an, als wär ein Teil der Last weg. Wenn der schlechte Gedanke nicht mehr im Kopf schwirrt, sondern aufgeschrieben ist, verliert er oft seinen Schrecken, zwar nicht ganz, aber ein bißchen schon...

Liebe Grüße
lt.cable
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Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von lt.cable »

Hallo hulahula!

Ich habe beim Kaffeeklatsch mit "meiner" Therapiegruppe diese Woche die These vertreten, dass viele Probleme auftreten, weil man mit sich selbst nicht im Reinen ist und seinen Wert irgendwie problematisch ermittelt. Das sind natürlich therapeutische Binsenweisheiten, aber ich habe für mich tatsächlich feststellen müssen, dass der Kampf mit meiner Erkrankung vor allem ein Kampf mit mir selbst ist. Mittlerweile habe ich den Kampf zum Glück zu den Akten legen können, jetzt befinde ich mich vielmehr im konstruktiven Dialog mit einem Ich, das ich angenommen habe und das ich schätze. Ich bin. Schöner können wir unseren eigenen Wert doch kaum noch ausdrücken!

Es grüßt
lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
fgregori
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Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von fgregori »

Schön gesprochen...ich bin...aber was tun, wenn das Ich, das man ist, abscheulich findet, ungenügend findet, ja fast schon hasst?

Ich hatte heute mittag zum Beispiel ein Telefongespräch mit meiner Mutter, sie fragte mich, wie es mir geht (ich habe ihr von allem erzählt, sie müsste also eigentlich wissen, wie es mir geht), ich wollte ihr erzählen, dass ich ein Tief habe, dass es mir schlecht geht und wollte einfach nur mal ein bißchen jammern. Sie kann allerdings damit überhaupt nicht umgehen, bezieht alles auf sich, meint, es wäre ihre Schuld, spielt alles runter alla "anderen Leuten gehts noch viel schlechter", womit sie mir ja nur helfen will, aber was passiert? ich fühl mich schrecklich, ich dumme Kuh geh auch noch hin und ruinier meiner Mutter den Tag mit meiner Jammerei. Ich fühl mich schuldig, weil sie sich schuldig fühlt und gib mir kein Recht, dass sich jemand wegen mir schlecht fühlt.
Ich weiß ja vom Verstand her, dass das alles Humbug ist und falsche Denkmuster, aber ich fühle nun mal so in diesen Momenten und im Selbstvormachen bin ich nicht gut, so dass ich jedesmal mir vormache, ich bin gut, ich werde geliebt. Wenn ich das Gefühl habe, meine Mutter fühlt sich jetzt schlecht, weil ich mal gejammert habe, fühle ich mich wie ein schlechter Mensch, nicht genügend Tochter, die es ihr nicht recht macht.
Teufelskreis, immer wieder...ich könnte noch stundenlang weiterschreiben und mich im Kreis drehen, aber was dabei rauskommt ist einfach nur Leere und Wut auf mich selbst.
Ich hoffe, dass ich eines Tages so denken kann und es auch wirklich fühle.
bebe58
Beiträge: 7
Registriert: 13. Aug 2010, 16:26

Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von bebe58 »

fgregori
Beiträge: 8
Registriert: 19. Aug 2010, 02:17

Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von fgregori »

@ Herr Rossi

Vielen Dank, du bist nicht der erste, der das sagt und seit ich dieses Forum entdeckt habe, ergreift mich auf einmal auch wieder Kraft zu schreiben und nachzudenken. Ich habe früher viel geschrieben und es war gerade in meiner Jugendzeit ein gutes Ritual um mit Schmerz umzugehen, aber irgendwann hab ich die Kraft verloren. Ich hoffe es jetzt durch diesen Weg, sie wieder zu finden.
Und wie gesagt, im Analysieren bin ich gut, Probleme aufzeigen und ausdrücken habe ich mittlerweile gelernt, das Ding ist das mit dem Lösen

Gute Nacht und Liebe Grüße
wennfrid
Beiträge: 799
Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von wennfrid »

Hi hulahula
Schön, daß du deinen Ärger und deine Sorgen beschrieben hast. Du hast in deinem Leben vieles ausprobiert aber trotz intensiver Suche die Zufriedenheit (noch) nicht gefunden. Eine Zufriedenheit mit hohem Selbstwert, großer Persönlichkeit und tiefer innerer Ruhe, nach denen Gefühlen sich jeder Mensch sehnt.
Sprich deine Unzufriedenheit an und schau mal, was sich entwickelt. Ein Therapeuten-Wechsel ist jederzeit möglich und ratsam, wenn man das Gefühl hat, nicht richtig verstanden zu werden.
Ich bin seit 6 Jahren in einer Selbsthilfegruppe und sehr froh darüber. Vor allem haben wir es geschafft, jahrelang Vertrauen und Verständnis in der Gruppe zu halten. So kann jeder seine Probleme ansprechen und wenn sie noch so selbstverständlich klingen. Ich wünsche dir, daß du in der Selbsthilfegruppe ähnliche Erfahrung machst.
Vielleicht tut es dir schon mal gut, deine Probleme nieder zuschreiben. Habe Geduld mit dir, du bist bereits auf dem Weg.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
fgregori
Beiträge: 8
Registriert: 19. Aug 2010, 02:17

Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von fgregori »

Danke für den Zuspruch, fürs Lesen und Antworten. Dadurch fühle ich mich sehr angenommen und ein klein bißchen befreit, dass ich diese Gedanken nicht so viel mit mir allein rumschleppen muss.

Ich bin gestern Nacht wirklich mit einem guten Gefühl ins Bett gegangen, doch dann ging es wieder los. Die Gedankenkreise, meine kleinen selbstgebastelten Träumereien, die sich verselbständigen und immer weiter drehen.
Das mache ich schon seit Jahren immer vor dem Schlafengehen. Es beginnt damit, dass ich Eindrücke und Erinnerungen sammel und sie revue passieren lasse, darüber nachdenke. Manchmal gutes, aber leider viel zu oft negatives.
Gestern zum Beispiel hatte ich mich ja über meine Mutter geärgert, weil sie mich so gar nicht verstehen kann und ich mich wieder schuldig fühle, weil ich krank bin und später bei einem Gespräch noch über meine beste Freundin, die, wie ich rausfinden musste, es genausowenig versteht und dieselben Phrasen rausposaunt. Wir waren im Gespräch über ihren Exfreund, der viele Probleme hat, komische Verhaltensweisen an den Tag legt und sie beschwerte sich darüber, dass das schon früher so war, sie sich deswegen getrennt hatte, er wäre ja total depressiv und hat das so klingen lassen, als wäre es eine Beleidigung. Ich saß dort, ziemlich getroffen und konnte nicht darauf antworten. Hab dann das Thema gewechselt, einen doofen Witz gemacht, und bin schnell wieder in mein Zimmer. Habe es dann im Laufe des Abends wieder vergessen, was dann aber vor dem Schlafengehen wieder hochkam. Ich ging also in Gedanken diese Situation wieder durch, und merkte, wie sehr ich mich darüber ärgere, habe dann weitergesponnen, was ich hätte sagen sollen. Das ganze ging dann soweit, dass ich mir vorstellte, vollkommen sauer und böse auf sie zu sein. Dass ich als ihre beste Freundin ja auch depressiv bin und sie so unsensibel ist. Habe geschimpft und war wütend in meinem "Traum", was natürlich mal wieder dazu führte, dass ich Magenschmerzen bekam und stundenlang nicht einschlafen konnte. Ich war bis heute morgen um halb 7 wach und quälte mich mit diesen Gedanken.

Kennt ihr das auch? Ich habe das bei meiner Therapheutin angesprochen, die sagte, ich solle jedesmal wenn das so sei, was anderes tun, oder ganz genau aufschreiben, was ich dort durchlebe, das schaff ich aber meistens nicht.

Woran genau liegt es, dass ich mir immer das schlimmste ausmale und es mir zurechtträume? Habe ich etwa Spaß am leiden?
kormoran
Beiträge: 3276
Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von kormoran »

hi hulahula,

oh, das kann ich total gut nachvollziehen. dass das positive, das du schon geleistet hast, oder die potenziale, die fähigkeiten, die du hast, für dich nicht wirklich positiv und nützlich erscheinen. auch, dass du ziemlich orientierungslos bist, was du denn eigentlich wirklich machen willst.

mir ging es lange, zu lange, ähnlich. ich habe mir auch das sehr lange vorgeworfen, warum ich nicht schon früher gewusst habe, was mir liegt und was ich vom leben will, warum nicht studium gewechselt, etc. nun, irgendwann konnte ich aufhören zu hadern. doch es hat sehr lange gedauert, bis es mir möglich war, über die zukunft nachzudenken. es war da einfach nur leere - unsicherheit darüber, was ich kann, null freude an dem, was positiv war, null interesse, null mut. eigentlich ging es für mich erst wieder auf einen konstruktiven weg, als mich das antidepressivum aus der anhaltenden schwere und leere herausgehoben hat.

du kannst ganz sicher sein, dass auch du deinen weg finden wirst: du wirst eines tages wieder spüren, was dir freude macht, was dich interessiert, was du dir zutraust, wofür es sich lohnt, auch anstrengung auf sich zu nehmen. jetzt ist aber höchstwahrscheinlich noch nicht der zeitpunkt dafür.

erst musst du dich selbst als person wieder spüren und annehmen, und nach und nach deine ressourcen wahrnehmen und schätzen lernen.

du könntest klein damit anfangen, indem du als abendliches ritual das, was dir gerade an negativem im bewusstsein ist, aufschreibst und weglegst, außerhalb vom schlafzimmer. und dann an etwas denkst, was du gut an dir findest, was du mal gut gemacht hast, was dir an dem tag gut getan hat, oder irgendwelche positiven erinnerungen. und lass es nicht zu, dass die stimme wieder spricht, die dir das kleinreden oder miesmachen will (was sie sicherlich probieren wird...).

liebe grüße
kormoranin
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Maximiliane
Beiträge: 159
Registriert: 6. Aug 2010, 19:45

Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von Maximiliane »

Hallo,

was mir eine Zeit lang gut geholfen hat, wenn schlimme Gedanken, Erinnerungen und so weiter mich zu überschwemmen drohten, dass ich mir vorgestellt habe, diese in ein imaginäres Wartezimmer zu setzen.
Ja, ich habe so richtig die Tür vor Augen gehabt, habe sie aufgemacht, alles da auf die Stühle gesetzt was an Gedanken und so da war, und ihnen ganz klar gesagt, jetzt nicht, jetzt seid ihr nicht dran, jetzt will ich meine Ruhe haben, ihr kommt später dran.
Die Tür habe ich im Geiste immer einen Spalt aufgelassen, weil ich gemerkt habe, dass sie dann Ruhe geben. War die Tür zu, stieg auch die innere Unruhe und der Druck, also auflassen, Tschüss, bis morgen oder so.
Je öfters ich das machte, um so besser funktionierte es. Es braucht halt ein wenig Training, ging aber recht schnell.
Wäre vielleicht ein Versuch wert. Die Dinge werden dann nicht einfach weggeschoben, sondern einfach nur auf später vertagt, wann, das bestimmst du, und nicht "Die" !!!!
Das war für mich die beste Methode von allen, die ich so ausprobiert habe. Das mit dem Aufschreiben und weglegen war für mich jetzt nichts, das hat zu lange gedauert und war zu aufwühlend.
Aber das musst du ausprobieren, was dir da am besten zusagt.
Was mir auch gut hilft:
Letzte Woche habe ich einige Fotos von Momenten und Situationen und Menschen, in/bei denen ich mich wohl gefühlt habe, entwickeln lassen und die hängen jetzt an meiner Wohnungstüre. Das ist ne schöne "Memorywand" geworden. Beim Vorbeigehen ist das wie auftanken.
Gestern hat es mir sehr geholfen, aus einer dunklen Stunde wieder aufzutauchen und die Welt wieder rosiger zu sehen. Und vor mir, auf den fotos zu sehen, dass es tatsächlich schöne Zeiten gab und nicht alles schrecklich war in meinem Leben. Das vergisst man leider allzuoft in einem depressiven Schub. Das ist ja das gemeine an dieser Krankheit. Ich glaube, es gilt, da alle möglichen Strategien und Tricks zu finden, wie man sie überlisten kann, so gut es geht.
Manches was gestern half, ist heute überholt, also für morgen was neues ausprobieren. Auf die Weise übt man sich unfreiwillig in kreativem Denken .
Ich bin sicher, du findest geeignete Methoden für dich, damit umzugehen, ganz, ganz sicher!!!!!!!!!!

Hoffe, ich konnte dir da ein wenig helfen.

Ich wünsche dir alle Kraft der Welt und schließe mich dem an, was dir Herr Rossi schon sagte. Da du hier schon angefangen hast zu schreiben, hast du dir schon ganz viel Gutes für dich getan. Raus mit dem ganzen Mist in dir, bis dieser merkt, dass er bei dir keine Chance mehr hat.

Alles, alles gute,
eine gute Nacht,

Häuptling
fgregori
Beiträge: 8
Registriert: 19. Aug 2010, 02:17

Re: wie lebe ich damit?

Beitrag von fgregori »

Hallo miteinander und danke nochmal für die tollen Antworten.
Fasse mich kurz, da ich gleich los muss zur Arbeit (zwinge mich gerade zwar mit null-Bock-Mentalität, denn am liebsten würd ich den Laden wieder runtermachen und den ganzen Tag verpennen).

Gestern hatte ich einen schönen Tag, war mit meinem (EX)Freund (wissen das alles noch nicht so genau ) lange spazieren und haben viel geredet. Die Sonne und das Gehen und sich mal richtig auskotzen haben gutgetan.
Aber schlafen konnte ich trotzdem nicht, obwohl ich diesmal nicht mal traumkarusell gefahren bin.
Mir schwirrt die ganze Zeit das Wochenende im Kopf herum, meine Mutter, bei der ich jetzt das Wochenende über bin, wegen der Arbeit, wieder der Zwang, ihr meine Probleme erklären zu müssen...hach, könnt ich doch einfach mal abschalten.
Die Tips von euch sind wirklich gut, aber richtig funktionieren tut es noch nicht. Habe mir jetzt vorgenommen, mich erst mal mehr um mich, meinen Körper und die Seele zu kümmern, sprich - die Wellness-Rituale von früher wieder einführen, was ich jahrelang hab schleifen lassen (wozu auch, macht mich eh nicht hübscher).
Habe jetzt mal erkannt, dass die Annahme von mir selbst, mit meinen Macken, meinem Körper für mich wohl das wichtigste ist momentan, muss anfangen, Schönes an mir zu finden.
Das Aufschreiben hilft mir besser als die Vorstellung was wegzuschieben, denke dabei nämlich immer an Selbstvormachung.

Nun ja, drückt mir die Daumen, dass ich das Wochenende gut hinter mich bekomme.
Habe mir noch ein Buch gekauft, dass ich heute abend anfangen werde zu lesen, die Empfehlung hab ich hier aus dem Forum, weiß jetzt nur den Titel nicht mehr. Hoffe, das hilft.

euch allen ein schönes Wochenende, danke für die Worte und alles Gute.
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