Depressiver Charakter

flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von flower123 »

Hallo fletzy!

Tatsächlich habe ich früher überlegt, Psychiaterin zu werden

Aber dann dachte ich: du hast genug eigene Probleme; das Medizinstudium würde ausreichen

Du schreibst, dass dich Dinge wie reisen, Parties, usw., nicht mehr glücklich machen wie sie es einmal taten.
Aber warum? Hat sich die "schwarze Dame" namens Depression in diese Bereiche eingeschlichen oder hast du das Gefühl:
Ich verdiene es nicht, glücklich zu sein?

Zu deinem Vater:
Wurde denn jemals eine Dysthymie oder eine Depression bei ihm diagnostiziert?
Natürlich kann jemand Anzeichen einer Depression haben, allerdings kann dies nur ein Arzt feststellen.
Damit will ich nicht sagen, dass dies bei deinem Vater nicht der Fall sein kann, da ich ihn nicht kenne.

Was hierbei, aber auch genauso wie bei anderen Menschen (wie z.B. deiner Ex), die dir am Herzen liegen wichtig ist, ist, dass NUR SIE SELBST zu der Erkenntnis kommen können: Ich brauche Hilfe, in welcher Form auch immer.

Mich hat es sehr viel Kraft und sehr viele Tränen gekostet und man sagt ja immer: "die Hoffnung stirbt zuletzt", aber bei meiner Mutter habe ich wirklich kaum noch Hoffnung.
Trotzdem versuche ich es zu akzeptieren, wie sie ist.
Sie ist schwer depressiv und zu allem Überfluss auch noch Alkoholikerin.
Ich habe meine Familie jahrelang von einer Beratungsstelle zur nächsten geschleppt - ohne Erfolg.
Ebenso habe ich einen Brief an meine Mutter geschrieben - ohne Erfolg.

Vielleicht müssen Menschen, die ihr Problem nicht wahrhaben wollen, erst "auf die Schnauze fallen" und alles verlieren, bevor sie merken, wie schlecht es ihnen geht und dass sie etwas dagegen tun sollten.

DU KANNST KEINEN MENSCHEN ÄNDERN, AUSSER DICH SELBST!

Lass dir Zeit; du vergleichst dich wieder mit anderen mir fällt es auch nicht leicht, mal NEIN zu meinem Bruder zu sagen, vor allen Dingen nicht dann, wenn ich sehe, dass er droht, abzurutschen.
Glaube bitte nicht, dass ich das NEIN-Sagen an einem Tag oder zwei geschafft hab; ich bin auch schon ein paar Jahre auf dieser Welt.

Hör mal, ich kann doch nicht schlapp machen wegen Cipralex, ich muss dir doch schreiben

Im Ernst: es wird immer besser; die Müdigkeit kommt zum Glück verstärkt am Abend (wenn man sie auch braucht) und etwas Schwindel ist noch da.
Ansonsten keine Nebenwirkungen

Und ein Hallo an Salvatore!

Heute war mein erster Tag in der TK:
Zuerst war ich nervös, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde.
Meine Mitpatienten sind sehr nett und das Programm in der TK ist gut und breit gefächert (Ergotherapie, Sport, gemeinsames Backen, Progressive Muskelrelaxation, ...), allerdings finde ich es etwas schade, dass es so wenig Möglichkeiten für eine Einzeltherapie gibt...
Naja, man kann nicht alles haben

Erschrocken hab ich mich nur, als ich hörte, dass die meisten Patienten im Mittel 6 - 8, manche sogar 12 Wochen bleiben; der Arzt in der Ambulanz meinte mindestens 4 Wochen...

Naja, habe ja genug Baustellen, an denen ich noch arbeiten muss

Weiterhin dir viel Kraft, Salvatore!

@fletzy: habe einen Spruch etwas umgetextet:
Die Depression verfolgt mich, aber ich bin schneller!

Hoffe, ihr habt euch alle einen schönen Tag machen können!

GLG aus dem Ruhrpott
white orchid
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo w.o.!

Danke dir ganz herzlich für deine mail - immer wieder sehr informativ deine Zeilen zu lesen - ehrlich.
Also ich hab schon das Gefühl, es verdient zu haben, glücklich zu sein, daran liegt es nicht - so viel Selbstvertrauen hab' ich dann doch. Es ist wirklich diese 10000 X verflu..."schwarze Dame" - wie du es schreibst, die sich da eingeschlichen hat.

Ich bin schon früher nicht gerne zu Parties gegangen - hatte immer so'n flaues Gefühl im Magen, wenn ich nur daran dachte, unter viele fröhliche Leute zu müssen.
In den leicht hypomanischen Zeiten war das natürlich ganz anders - aber die werden nicht mehr wiederkommen, da machen mir die mich behandelnden Ärzte kaum Hoffnung.

Da hast Du ja ähnliche ERfahrungen in deiner Familie gemacht wie ich, und es ist natürlich auch so, dass du andere Menschen so gut wie gar nicht (?) ändern kannst, wenn DIE ES NICHT WOLLEN. DA beiß ich bei meinem Vater auf Granit und Du bei deiner Mutter.

Nein, Dysthymie wurde bei meinem Vater noch nicht diagnostiziert, aber er war ja praktisch noch nie bei einem Psychiater, der das Ganze diagnostizieren könnte.
Doch einmal war er, mit einem Zettel von mir, auf dem ich alle Symptome geschrieben hatte, die bei ihm so eindeutig sind und die ich quasi als Hobby-Psychiater - diagnostiziert hatte.
Dann hat er ganz brav den Zettel vorgelesen, bzw. ihn der Psychiaterin gegeben und hat dann nur gesagt, dass er sich ganz gut fühle. (Weil er ja NIE einen gesunden Zustand hatte, muß er wahrscheinlich so sprechen...)
Dss Ganze tut mir eben auch sehr für meine mutter leid, die immer mehr von zu HAuse flieht, weil sie seine Depris einfach nicht mehr aushält.
In Wahrheti hat er auch gar keine richtigen Freunde, aber das will er alles nicht wahr haben - er fühlt sich vollkommen gesund, wie er immer wieder betont.
Dabei fragte er mich sogar einmal selbst in eienr ruhigen Minute (nachdem wir eine längere Reise durch die U.S.A gemacht hatten): damals (während dieser Reise) war ich doch anders, oder nicht? Und das fragte er mit einer tränenerstickten
Stimme - also merkt er doch zumindest phasenweise selbst, dass etwas mit ihm nicht stimmt - aber ist nicht bereit, auch nur das Geringste dagegen zu tun.

Aber da ist wahrscheinlich echt nichts mehr zu machen, lieber würde er sich vermutlich die Zunge abbeißen, als "zuzugeben", dass er krank ist (dass er unter einer potenziell tödlichen Krankheit leidet)
Also hatte ich ähnlich viel "Erfolg" mit einem Brief, wie Du mit DEiner Mutter..
Vielleicht KÖNNEN gewisse Menschen einfach etwas nicht zugeben, weill sie sich ein Leben lang in die eigene Tasche gelogen haben, sich etwas vorgameacht zu haben und dass für sie wirklich eine Welt zusammen brechen würde, wenn sie etwas zugeben würden.

Das muß natürlich nicht für Deine Mutter gelten, die ich ja auch nicht kenne - aber für meinen Vater trifft das auf alle Fälle zu - er würde dann ja zugeben müssen, dass er mir diese Krankheit genetisch mit auf den Weg gegben hat und dass es keine Faulheit ist, warum ich den ganzen Tag nur rumhänge, wie er immer behauptet.

ZUnehmend werde ich auch aggressiv ggenüber ihm, so dass ich ihm so oft es geht aus dem We gehe ( ich gehe z.B. grundsätzlich fast immer aus dem Zimmer, wenn er eintritt)

So genug gelabert,
will dir nur noch sagen, dass ich dir das Allerbeste für deine TK wünsche (hab' ich auch schon mal gemacht für eine Woche, als es mir sehr vile schlechter ging als jetzt)
War allerdings nicht ganz so mein Ding - war mir alles zu handwerklich aufgebaut und ich bin halt doch eher 'n Kopfmensch - basteln ist nicht so mein Ding.

ABer Hauptsache DIR hilft sie - das wünsch ich dir von ganzem Herzen, weil DU hast es verdient, dass es dir bald besser geht.

GLG aus FRanken,

fletzy
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von flower123 »

Hallo fletzy!

Danke! Ja, auch wenn mir Vieles noch schwer fällt in der TK: trotzdem war es die absolut richtige Entscheidung

Es stimmt, dass es einige Menschen gibt, die sich eher die Zunge abbeissen würden, als zugeben zu müssen, dass sie unter Depressionen, verschiedenen Abhängigkeiten oder sonst etwas leiden.

Meine Mutter zählt da leider auch dazu.
Zu ihren Depris steht sie, aber nicht dazu, dass sie Alkoholikerin ist.
Und sie hält auch keinerlei Kontakte; sogar nicht mehr zu ihrer besten Freundin, und wenn die Familie meines Vaters anruft und sie die Nummer auf dem Telefondisplay sieht, geht sie erst gar nicht ran, weil "keiner aus der Familie sie mag"...

Und ich denke auch, dass meine Mutter deshalb nicht zugibt, Alkoholikerin zu sein, da für sie genauso ihre Welt zusammen brechen würde; sie hat etwas Familie, aber nicht viel und gar keine Freunde...

Für mich ist sie - Entschuldigung, wenn ich das so sage - das abschreckendste Beispiel.
Deshalb, weil ich nicht so werden will wie sie, versuche ich aus meinem Schneckenhaus der Sozialphobie (? - noch nicht diagnostiziert) herauszukommen, indem ich mich in Situationen begebe, wo ich wirklich niemanden kenne und mir alles neu ist.
Ist verdammt schwer, aber umso zufriedener bin ich mit mir selbst, wenn ich mich getraut hab

Und morgen schnapp ich mir mal vielleicht eine der Gitarren, die dort in der TK vor sich hinstauben und spiele mal ein bissl

Mach dir noch einen schönen sonnigen Tag!

"Egal, was du tust, tu es mit Leidenschaft"

In diesem Sinne
GLG white orchid
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo w.o.,

"weil ich nicht so werden will wie sie" hast Du in deiner letzten mail geschrieben und ich will AUF KEINEN FALL werden wie mein VAter - merke aber trotzdem, dass ich einfach gewisse Züge von ihm habe und mich nicht dagegen wehren kann! Auf der einen Seite tut er mir schon etwas leid, weil er nichts für seine Krankheit kann, auf der anderen werde ich eben unglaublich aggressiv, wenn ich ihn nur sehe und denke mir nur: (ich weiß, das klingt jetzt wirklich hart und gemein) warum hast Du deprssiver Mensch mich in die Welt gesetzt?
Hast Du manchmal auch solche Gedanken?

Er hat - in seinem Rahmen - viel für mich getan, da will ich nicht ungerecht sein und ich bin mir ganz sicher, dass er mich liebt, aber letztlich kann er das wegen seiner Depri nicht richtig zeigen und hat mir eine Veranlagung mitgegeben, die mich absolut verzweifeln läßt...
Jetzt geht es bei mir eben einfach nur noch darum, meine Depressivität anzunehmen und das Beste daraus zu machen - denn an eine Heilung glaub' ich einfach nicht mehr - es gibt Depressionen, die nicht mehr verschwinden, das ist ja kein Geheimnis, das schrieben mir auch immer wieder Psychiater, die ich kontaktierte und um ihre Meinung bat (und das waren weiß Gott nicht wenige!)
Aber damit will ich wirklich neimandem die Hoffnung nehmen, echt nicht - denn wie heißt es so schön: "die Hoffnung stirbt zuletzt."

In diesem Sinne, dir morgen einen schönen Tag in der TK und alles GUte,

GLG,

fletzy
wennfrid
Beiträge: 799
Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von wennfrid »

Hi fletzy
Durch meine Depressionen und die dazugehörige Denkstruktur habe ich mein Leben um ca. 180 Grad gedreht. Ich beachte und freue mich über die Kleinigkeiten des Lebens. Mir ist bewußt geworden, wie viele positiven Dinge mir geschenkt worden sind. Zusätzlich weiß ich jetzt, daß ich nicht perfekt sein muß und daß ich mir den meisten Druck selbst erzeugt habe. Zum Schluß noch eine Lebensweisheit:
"Weise Lebensführung gelingt keinen Menschen durch Zufall. Man muß, solange man lebt, lernen, wie man leben muß."
Viel Kraft und Energie

Fridolin
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von flower123 »

Hallo fletzy!

Ich kann deine Wut und Trauer im Bezug auf die Frage "Warum hat mein Vater mich in die Welt gesetzt?" verstehen;
allerdings denke ich, dass er nie beabsichtigt hat, es dir schwer im Leben zu machen, und zudem will er sich ja mit seiner Krankheit nicht auseinander setzen...

Wenn ich sehe, was die Depression aus meiner Mutter gemacht hat, würde ich am liebsten mit dem Finger schnippen und alles ist wieder gut.
Sie tut mir in diesem Punkt auch leid.

Was ich aber überhaupt nicht verstehen kann ist ihr Alkoholismus.
Dieser ist für mich unentschuldbar.
Und da habe ich absolut kein Mitleid mit ihr,
schon allein aus Selbstschutz mir gegenüber.
(Das musste ich auch erst lernen: Immer taten mir andere Leute leid, nur ich mir selbst nicht; ich verkrafte alles... wer's glaubt)

Mit dieser Krankheit hat keiner hier im Forum ein leichtes Los gezogen, aber genauso, wie man für andere Krankheiten genetisch anfälliger ist, kann man auch für Depressionen anfälliger sein.
Für seine Gene kann dein Vater auch nichts...

Bei mir war es eher der Gedanke: "Mir geht's so schlecht; ich habe das Gefühl, hier auf der Welt falsch zu sein, niemand versteht mich."

Natürlich haben meine Eltern ihren Beitrag dazu geleistet, dass es soweit kam.
Allerdings bezweifle ich, dass ich Depressionen erlebt hätte, wenn es keine gravierenden Probleme in meinem Elternhaus gegeben hätte...

Was du auch nicht vergessen darfst ist der eigene Charakter.
Der kann sehr stark eine Depression fördern oder hemmen.

Akzeptanz ist eine ganz wichtige Komponente, um ausgeglichen zu werden.
Deshalb finde ich deine Aussage, dass du deine Krankheit akzeptieren willst, sehr gut, denn sonst arbeitest du nur gegen deine selbst errichteten Mauern...

PS: Dein Vater mag krank sein; er mag dir die Anlage dafür mitgegeben haben, aber das heisst noch lange nicht, dass sich diese Krankheit bei dir genauso ausprägt wie bei ihm...

Schau nicht so sehr auf deinen Vater;
kümmer dich auch mal um dich

Dir einen wunderschönen Tag!
GLG white orchid
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo Fridolin,

Dir lieben Dank für deine intelligenten Worte!
Sie helfen mir glaube ich ein klein wenig weiter!

Ja, ja sich an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen, das kann ich manchmal ganz gut, manchmal weniger, aber ich "trainier" schon ganz fleißig!

Dass es mir egal ist, was andere Leute denken, daran arbeite ich ebenfalls, aber das schaff' ich leider noch ziemlich selten,
will einfach 'n Normalo sein, will so leben wie die anderen auch - das muß ich noch lernen zu akzeptieren, dass ich das wahrscheinlich nie ganz können werde...
Und trotzdem klammer' ich mich an alternative Heilmethoden wie die t-VNS, bei der der Vagusnerv transkutan, also durch die Haut stimuliert werden soll - vielleicht ist das ein Ansatzpunkt, um uns chronisch Kranken zu helfen...
Ich weiß, das ist alles noch Zukunftsmusik, aber an irgendwas muß man doch glauben, oder nicht?

Dir auch alles Gute und viel, viel Kraft,

LG,
fletzy
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo w.o.,

jetzt finde ich auch mal wieder Zeit, Dir auf deine so einfühlsamen und intelligenten Gedanken zu antworten.
An dir ist echt eine fähige Psychologin/Psychiaterin verloren gegangen!
Es ist so unglaublich interessant ,was du schreibst vor allem in Bezug auf meinen Vater - viele Freunde sagten schon zu mir: "Du mußt dir keine Sorgen machen, Du wirst garantiert nicht so werden wie dein Vater, Du hast eine eigene Persönlichkeit, einen eigenen Humor (den er überhaupt nicht hat) und schließlich, fletzy, läßt Du dich behandeln, was er ja nicht tut!
Du hast vollkommen recht, wenn du schreibst, dass er mir wohl das Leben nicht schwer machen wollte und er könne für seine depressiven Gene auch nichts, und trotzdem kommen einerseits Mitleid auf , wenn ich ihn sehe und andererseits diese Aggressionen, so dass es besser ist, wenn ich ihn nicht sehe.

Du müßtest mal seine starken Konzentrations-und Gedächtnisstörungen erleben, wenn er irgendwas erzählen will (was selten genug vorkommt) - da stottert und stammelt er bloß noch herum und sucht sekundenlang nach den richtigen Worten und dann kriecht diese Angst wieder in mir hoch, dass ich genauso werde wie er und das ist für mich eine wahre Horrorvorstellung, ehrlich!
Das mit deiner alkoholkranken und depressiven Mutter tut mir wirklich leid - manchmal möchte ich auch mit dem Finger schnippen und ich hätte einen normalen Vater und wäre gerne in eine nicht von Schwermut heimgesuchten Familie hineingeboren - aber dann gäbe es vielleicht wieder irgendwelche anderen Erbkrankhieten und trotzdem: warum muß es gerade Depression sein?
Ich weiß nicht, ob es unentschuldbar ist, dass sie alkoholkrank ist, wie du schreibst, irgendwie hat das ganze doch auch mit den Genen, mit der Veranlagung zu tun, findest Du nicht?

Meine Mitbeweohnerin , z.B., ist eine ganz feine ,liebe Frau, hat aber auch enorme Schwierigkeiten mit dem Alkohol (7-9 Bierchen im Schnitt JEDEN Abend sind bei ihr völlig normal, dazu kommt noch Whiskey und eben härtere Sachen) und ich glaube halt auch nicht, dass sie sich das Ganze ausgesucht hat, ich weiß es zwar nicht genau, aber in ihrer Familie gab es bestimmt auch schon alkoholische Fälle...
Auf jeden Fall möchte ich sie in den nächsten Tagen schon mal auf ihre Sucht ansprechen, zumal es ja auch gefährliche Aussetzer gibt! (Einmal war sie gestürzt und vergoß eine riesige Wasserlache im Wohnzimmer und einmal vergaß sie sogar, die Herdplatte auszumachen!)

Das Ganze ist also wirklich kein Spaß mehr!

Ach ja, Du schriebst kürzlich in einem neuen thread, dass Du das Reiten anfangen möchtest - tu das, ich bin früher auch geritten (auf Ponies und konnte es zum Schluß echt ziemlich gut!:-)
Ich beneide Dich für Deine Pläne, ehrlich, weil ich zur Zeit einfach kein Selbstbewußtesin und keinen Antrieb habe.

Und das sagten mir auch schon ganz viele Leute: fletzy, kümmer dich mehr um dich selbst, dein Vater kannst du nicht mehr ändern und irgendwie ist er ja auch bisher durchs Leben gekommen...
Das sagen mir oft ganz enge Freunde (von denen ich Gott sei Dank noch ein paar habe) und das hast Du mir ja auch geschrieben.

Ich wünsche Dir, liebe w.o., ganz viel Freude und ERfolg und Energie für deine nächsten Unternehmungen und überhaupt für alles was du planst und ich wünsche mir für mich einfach mehr Selbstsicherheit und SELBSTVERTRAUEN IN GEGENWART UND IM UMGANG MIT ANDERN MENSCHEN -DAS IST ECHT EIN TRAUM VON MIR ! Wie bescheiden man/frau doch mit dieser Krankheit wird...

GLG aus dem sonnigen Franken,

fletzy
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von flower123 »

Hallo fletzy!

Danke für deine lieben Worte ("An dir ist eine gute Psychologin/Psychiaterin verloren gegangen") !!!
Du glaubst gar nicht, was für ein Balsam das für die Seele ist!!!
Ich werd ganz verlegen...
Naja, im Medizinstudium kann ich mir das mit der Berufswahl noch überlegen
Aber es ist schon komisch: Meine Mutter wollte früher auch immer Medizin oder Psychologie studieren; meinem Bruder geht es da auch so

Diese ambivalenten Gefühle kann ich sehr gut nachvollziehen: Meine Mutter hat auch sehr starke Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, so dass sie für einen Satz vielleicht doppelt oder dreifach so lange braucht wie Andere.
Auf der einen Seite denkt man sich: Sie tut mir so leid; wie könnte man ihr nur helfen?
auf der anderen Seite macht es mich wütend und traurig, wenn sie über Suizid spricht oder mal wieder betrunken ist...

Und auch du hast Recht, denn der Vater meiner Mutter war ebenfalls Alki.
Also kommt es nicht ganz "von ungefähr"...

Deine Entscheidung, deine Mitbewohnerin auf ihren Alkoholkonsum hin anzusprechen, finde ich sehr mutig!
Ich wünsche dir, dass du Zugang zu ihr finden kannst, denn dies ist ja leider meist das Problem bei Alkis...

Ein Tipp: sachlich bleiben und darstellen, was die Sucht alles verändert und dass du besorgt bist um sie.
Vorwürfe prallen an Alkis komplett ab; sie sind sich keiner Schuld bewusst!
Oftmals fühlen sie sich allein und unverstanden: Ich denke, wenn, dann kannst du sie wahrscheinlich nur über diese Schiene erreichen.
Dafür wünsche ich dir von ganzen Herzen viel Kraft!!!

Das so eine Sucht schnell negative Folgen haben und gefährlich werden kann, habe ich schon sehr oft bei meiner Mutter erlebt:
Sie wurde schon zweimal von der Polizei aufgegriffen, wo sie sich dann mit Händen und Füßen wehrte und die Polizisten aufs Übelste beschimpfte und vor zwei Jahren hat sie ihren Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer verloren...
Und als mein Vater und mein Bruder kurz bei mir in der Wohnung waren, wollte mein Vater schnell wieder heim; tatsächlich noch rechtzeitig, da meine Mutter in ihrem betrunkenen Zustand die Tischdecke mitsamt brennender Kerze auf den Laminatboden geworfen hat....

Mittagessen ist auch schon unzählige Male angebrannt...

So etwas stellt nicht nur für die Abhängigen selbst, sondern auch für andere Menschen eine Gefahr dar!

Zu Hobbies: Ich wünsche dir sehr, dass du sehr bald wieder den Antrieb, das Selbstbewusstsein und die Energie hast, um ein Hobby wie vielleicht das Reiten wieder ausüben zu können!

Ich werde bei einigen Ställen, die ich mir ausgesucht habe, mal anrufen und mit meiner besten Freundin hingehen und reinschnuppern

Dies kann ich immer nur unterstreichen:
Kümmer dich mehr um dich selbst!
Es ist schwierig, aber man ist zufriedener, wenn man sich mal wieder etwas gönnt, seinen Hobbies nachgeht und das macht, worauf man gerade Lust hat!

Als meine beste Freundin heute anrief und meinte, ob wir nicht nach Düsseldorf ans Rheinufer fahren und uns dort bissl sonnen wollen, hab ich sofort ja gesagt
In dem Moment dachte ich: Naja, deine Wohnung putzt sich nicht von alleine, aber sch**ßegal, wer sieht das schon?
Ich muss mit meiner Wohnung nicht auf's "Schöner Wohnen"-Titelblatt

Und so gammelt meine Bude vor sich hin, aber putzen ist sowieso überbewertet
Putzen kann ich auch noch morgen, aber einen tollen, gemütlichen, sonnigen Tag mit meiner besten Freundin teilen kann ich NICHT jeden Tag!

Dir wünsche ich, fletzy, dass du das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein in dir selbst findest!
Ich denke, dass wir die Lösungen kennen; sie liegen in uns selbst, wir müssen sie nur an's "Tageslicht" bringen!

In diesem Sinne viel Kraft, Freude, Energie und Stärke!

Dir einen guten Start in die neue Woche!

GLG aus dem warmen Ruhrpott!
white orchid
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo w.o.,

Ich danke dir ganz herzlich für deine wiederum sehr einfühlsamen, treffenden und Mut machenden Ausführungen - echt immer wieder spannend, deine Kommentare zu lesen. Aber jetzt höre ich auf zu schwärmen, sonst wirst Du mir noch arrogant...gg
Mensch, dann hast Du ja schon so einiges mit deiner Mutter erlebt - das hab' ich ja Gott sei Dank mit meinem Vater nicht alles durchgemacht, er ist ja "nur" depressiv.
Werde am Do mal probieren, mit meiner Mitbewohnerin über ihren Alkoholmißbrauch zu sprechen - ein bißchen bang ist mir davor schon, ich möchte unsere Freundschaft nicht gefährden, aber wenn sie diese ehrlichen und diplomatischen Worte nicht aushält, die ich an sie zu richten gedenke, dann kann ich ihr auch nicht mehr helfen...
Danke auch für deinen Tipp, Du kannst da ja ziemlich gut mitreden, was dieses Thema angeht!
Ich hab' gestern auch noch mal mit meinem Psycho-doc über dieses Thema gesprochen und der meinte eben auch - so ähnlich wie Du - sehr behutsam und vorsichtig vorzugehen; von dieser Strategie, erst dann einzugreifen, wenn alles zu spät ist (Job verloren, keine Freunde mehr, usw.), sei man aber inzwischen aber auch schon wieder abgekommen.
Das mit dem Spontantrip an die Sonne zum R$heinufer hast du absolut richtig gemacht - wie oft sind die Tage, an denen man so spontan etwas machen kann? Wenn man so etwas tolles machen kann, dann kann auch eine Wohnung warten...
Ja,ja ich sollte mich mehr um mich kümmern, eigentlich hab' ich mich ein Leben lang nur um die Bedürfnisse anderer gekümmert (davon wirst Du auch ein Lied singen können), das Ding ist einfach, dass ich irgendwie gar nicht wußte, was meine Bedürfnisse eigentlich genau waren/sind....das ist einfach auf die Krankheit zurückzuführen.
Ich wache früh auf und hab' keinen Tagesplan, kein Ziel im Kopf, so wie z.B. meine Ex-Partenerin, die dann mir die Richtung vorgibt:Komm, fletzy jetzt fahren wir mal in dern Baumarkt, komm ,fletzy, jetzt mach mal das, mach mal jenes.
Mein Vater muß sich gewisse "Echpunkte" geben, damir er noch einigermaßen Struktur in seinen Tag reinbekommt: so bläst er einmal pro Woche im Kirchenchor, macht ab und zu mal 'ne Radtour mit dem ADFC oder hat einen Termin mit der Goethe-Gesellschaft...
Aber das Ganze macht er halt nur, weil er jetzt einen Termin hat, und dazu macht er es ohne Elan, ohne Schwung, ohne einen Funken Lebensfreude, sondern immer mit diesem gleichen, monotonen, starren, depressiven Gesichtsausdruck, den ich so an ihm hasse....
Na ja, genug gelabert, muß mal wieder etwas machen (meine Ex ruft..),
Hoffe sehr, w.o., dass Du noch viel, viel Spaß und Freude an dem hast, was Du in dieser Woche noch alles unternehmen wirst,
laß dich nicht unterkriegen, hörst Du?

Du bist auch mit der TK und deine Plänen mit dem Reiten , so denke ich auf einem sehr, sehr guten Weg, dieser sch... Krankheit die Stirn zu bieten.

GLG aus Franken,

fletzy
lila90
Beiträge: 9
Registriert: 23. Apr 2010, 02:26

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von lila90 »

Hallo Fletzy,

Ich habe mich neu registriert und verfolge den Thread seit ein paar Tagen, weil das Thema depressiver Charakter ganz genau auf mich zutrifft.
Hmm, ich weiß gar nicht so recht wie ich anfangen soll… ich schreibe jetzt wahrscheinlich zuviel, weil ich alles irgendwie erklären will. Ich kann mich so schlecht kurz fassen….tut mir leid.


Also mein Vater hat eine bipolare Störung, eine schizoaffektive Psychose. Jedenfalls hat er sich extrem verhalten, während meine Mutter mit mir schwanger war. Dazu kamen dann noch Probleme, wie Aufenthaltsrecht, Arbeit, Wohnung usw. Deshalb war meine Mutter während der zeit depressiv, was sich also schon auf mich im Bauch ausgewirkt hat.

Und ich kenne es eigentlich schon immer…Minderwertigkeitskomplexe, soziale Phobie, Einsamkeit, Außenseiter sein…ich war ein ruhiges Kind, ängstlich, habe mit fast niemanden geredet und war sehr oft für mich allein. Tja, als Jugendlicher wurde es schlimmer, ich habe mich sehr einsam gefühlt, inkompetent, habe jede Nacht geweint, weil ich keine Freunde hatte und Probleme mit meinen Eltern. Wir waren schon immer eher eine kaputte Familie. Meine Eltern haben mir und meiner Schwester öfters mitgeteilt, dass sie gerne tot wären, aber nur wegen uns noch leben. Damit habe ich mich also verantwortlich für sie gefühlt und gedacht, ich wäre daran schuld, dass es ihnen nicht gut geht.

Depression, Suizidgedanken, selbstverletzendes Verhalten, im Bett liegen, heueln, sich fragen, warum man noch lebt, wenn sowieso alle scheiße ist und schmerzt…hab ich alles durch…und irgendwann ging es einfach nicht mehr und ich habe mir Hilfe geholt. Erst Beratungsstelle und später Psychotherapie…bei mir wurde eine Major Depression diagnostiziert und ich musste ADs nehmen…erst Fluoxetin, dann Cipralex…hat auch angeschlagen, denk ich (kann auch Placebo sein), denn mir ging es besser und ich hab keine Nebenwirkungen gespürt. Ich habe in der Psychotherapie auch gelernt, dass ich nicht schuld an dem Leid meiner Eltern bin und dass alles besser wird, wenn ich da raus komme, weil es einfach ein schlechtes Umfeld ist.

Und jetzt studiere ich und es geht mir besser, also ab und zu habe ich diese depressiven Phasen, Heuel- oder Wutattacken, weil ich wütend auf mich selbst und mein Verhalten, meine Gefühle bin…ach es gibt so vieles. Die letzte ist einige Zeit her. Aber es geht auch vorüber. Ich komme mit meinem Leben zurecht. Auch wenn ich gerne rumgammel, alles aufschiebe, die Wäsche erst wasche, wenn ich fast nichts mehr zum Anziehen habe, viel und lange schlafe, dann wieder Stress habe, mir Gedanken mache, dass ich etwas nicht schaffe, dass mich die Leute nicht mehr mögen, dass ich ein schlechter Mensch bin … Ich habe wahnsinnig viele Fehler und Schwächen. Vielleicht mehr als andere. Aber Fehler und Schwächen sind menschlich. Ich habe gelernt, darüber zu reden. Und ich kann das sehr gut mit meinen Freunden und sie kennen viele Probleme auch. Sachen, wo man sich denkt, das macht (fühlt) „man“ nicht. Und ich weiß, ich bin nicht alleine damit. Einige meiner Freunde haben auch Depressionen. Und es ist okay. Es ist normal. Was ist denn schon normal? Parties, Feiern, immer unterwegs sein und Reisen und tolle Unternehmungen machen? Nein, muss es nicht. Mach einfach, was dir gefällt, wozu du Lust hast. Diese „tollen normalen“ Dinge mache ich auch ab und zu, aber sie sind gar nicht sooo toll, wie man immer denkt. Für mich ist es viel schöner, mit Freunden intime Gespräche zu führen, mit meinem Freund den ganzen Tag im Bett zu liegen und zu gammeln. Ich brauche sowas eben.

Nimm dich an wie du bist, stell nicht so hohe Anforderungen an dich. Ich weiß, ist einfacher gesagt als getan. Ich habe sehr lange gebraucht und ich habe immer noch Selbstzweifel und erwarte zuviel von mir.
Aber insgesamt, denke ich, ist es okay, dass ich einen depressiven Charakter habe. Es gehört zu mir und wird nie ganz weg sein. Zur Zeit bin ich stabil. Wenn ein kritisches Lebensereignis eintreffen sollte, dann kann es auch schnell bergab gehen. Auch Kleinigkeiten können mich depressiv machen und ich drehe eine Nacht durch und am nächsten Tag ist es etwas besser und nach ein paar Tagen vergessen. Es gehört zu mir und meinem Leben und mein Freund nimmt mich so wie ich bin…er musste wahnsinnig viel mit mir durchmachen und doch hat er mich nie aufgegeben. Er gibt mir auch viel Halt und hat mir sehr geholfen.

Die Dosis an ADs wurde halbiert und irgendwann habe ich sie selbstständig abgesetzt, weil ich zu faul war, einen neuen Termin zu machen. Jajaaaaa, die Faulheit…und Antriebslosigkeit.

Jedenfalls geht es so vielen Menschen so wie dir, also ich kenne so viele Leute, die rumgammeln, lethargisch sind, faul…dann auch mal depressiv sind…so was ist menschlich und NORMAL! Mach dich deswegen nicht fertig.

Ich vergleiche mich auch andauernd mit anderen Menschen und fühle mich schlecht und habe Angst zu versagen und nicht toll genug zu sein. Es gibt immer ein paar selbstbewusste extrovertierte lebensfrohe Menschen, die ich beneide. Aber ich bin zufrieden mit meinem Leben. Und auch diese Leute haben Probleme. Manche verbergen oder verdrängen diese.

Ich hoffe, mein Beispiel zeigt dir, dass man trotz familiärer Veranlagung für psychische Störungen ein „normales“ Leben führen kann. Ich hatte auch Angst, wie mein Vater und meine Mutter zu werden. Ein paar blöde Seiten meiner Mutter habe ich auch, aber ich bin nicht so extrem. Ein wenig kann man auch selbst beeinflussen und die räumliche Trennung von meiner Familie hat vieles verbessert. Ab und zu bin ich Zuhause und erinnere mich an die traurige Lage meiner Eltern, aber ich bin nicht schuld daran und kann nichts daran ändern. Das können sie nur selbst. Diese Situation belastet mich nicht mehr so sehr.

Du musst deinem Vater auch nicht aus der Depression helfen! Du kannst zwar mit ihm reden, aber nur er selbst kann sich da rausholen. Du bist nicht für ihn verantwortlich. Versuche erstmal dein eigenes Leben auf die Reihe zu bekommen und dich selbst anzunehmen, auch wenn du einen depressiven Charakter hast. Es ist wirklich okay so zu sein. Ich habe lange gebraucht, um das zu verstehen. Aber so lässt es sich viel leichter leben. Manche Menschen sind so, andere anders. Jeder hat Fehler und Schwächen. Bei uns ist es die Depression.

Umgebe dich mit Menschen, die dir gut tun. Die dir ähnlich sind. Rede mit ihnen. Und vielleicht schaffst du es auch bald mit deiner Depression „normal“ zu leben.

Du kannst es schaffen. Glaube an dich, nehme dich an wie du bist, niemand ist perfekt. =) Du bist ein toller Mensch!
Ich wünsche dir viel Kraft und Glück!

lila

PS: Sorry, dass ich mich nicht kürzer fassen konnte.
Blaumeise-umk
Beiträge: 85
Registriert: 2. Dez 2009, 20:31

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von Blaumeise-umk »

Hallo fletzy,
mit großem Interesse habe ich die Beiträge hier gelesen, denn die Frage des "depressiven Charakters" beschäftigt mich auch schon seit längerem.
Immer wieder erstaunlich finde ich es, wieviel Parallelen sich oftmals in den "Geschichten" der einzelnen hier finden... - auch ich habe einen depressiven Vater gehabt, aber leider war diese Krankheit zu der Zeit, wo ich Kind war, noch absolut "tabu"; d.h. im Grunde wußte niemand aus unserem Umfeld davon und "nach außen" mußte eben immer alles "funktionieren". Ich bin damit groß geworden, bloß nichts von meinem "Inneren", d.h. meinen Ängsten, meiner Trauurigkeit o.Ä. nach außen zu tragen - dabei hat die Krankheit meines Vaters mich oft tief verunsichert oder mir auch Angst gemacht. Leider war auch meine Mutter mit der ganzen Situation total überfordert und immer wenn ich gefragt habe "was ist denn mit dem Papa?" hat sie geantwortet: "er ist eben so, bitte nehmt ihn so hin wie er ist, wir können ihn nicht mehr ändern...". - Dabei war ich manchmal so traurig, wenn er zu Veranstaltungen, wo wir beteiligt waren, nicht mitgekommen ist, weil ihm immer alles zuviel war - was ich heute natürlich anders verstehe, aber damals habe ich mir immer so gewünscht, daß mir mal einer erklärt, was denn eigentlich los ist. Ich muß zugeben, daß es mich heute noch wütend macht, daß meine Mutter da so hilflos war, nicht gemerkt hat, wie sehr mich diese ganze Situation belastet und mir einfach nicht geholfen hat - in meinen Augen jedenfalls.
Wie Du, fletzy, habe ich bis heute eine riesige Angst davor, so zu werden wie mein Vater. Dass ich zu Depressionen neige, steht mittlerweile (leider) fest, aber wenn ich in diese Stimmungen rutsche, hasse ich mich immer selber, weil ich ja weiß, wie belastend das ganze für alle um einen rum ist und ich doch eigentlich auf keinen Fall so sein möchte...
Und auch diese Minderwertigkeitsgefühle kenne ich so gut, von Kind an...; auch mir geht es so, daß ich an meiner Arbeitsstelle nicht selten gelobt werde und im Grunde weiß, daß ich gute, wertvolle Arbeit mache - aber ich kann`s einfach nicht (für mich) annehmen bzw. denke immer, es reicht doch nicht, was ich tue, ich müßte noch besser werden oder noch mehr arbeiten... - und auch ich vergleiche mich viel zu oft mit anderen, denke so oft, ich bin einfach nicht gut genug, andere sind viel erfolgreicher, ihnen fällt alles leichter, sie sind viel beliebter...; ich weiß, daß es im Grunde Quatsch ist, aber irgendwie kann ich diese Gedanken auch nicht "abstellen".
Auch ich habe früher nie viele Freunde gehabt, war fast nie auf irgendwelchen Parties o.Ä., weil ich das einfach nicht aushalten konnte; irgendwie habe ich halt schon immer gespürt, daß mit mir "irgendwas nicht stimmt" bzw. ich einfach anders bin...; ich habe mich auch fast nie getraut, Freunde mit zu uns nach Hause zu bringen, denn ich hatte immer Angst, daß mein Vater dann gestört wird und es ihm dann schlecht geht - woran ich dann Schuld gewesen wäre.
Ja, diese Schuldgefühle sind auch noch so ein Punkt...; bis heute habe die, immer wieder und v.a. wenn es anderen nicht gut geht - dann hinterfrage ich sofort mich und grübele, was ich falsch gemacht haben könnte oder womit ich "gestört" haben könnte... - das Fatale ist ja: mittlerweile habe ich alle diese Muster erkannt, weiß um sie (vom Verstand her), aber ich kann sie trotzdem nicht einfach "abstellen" - was mich manchmal schlichtweg zur Verzweiflung bringt! - Ja, auch ich lerne erst jetzt ganz langsam, mich um mich, um meine Bedürfnisse zu kümmern und muß diese teilweise erstmal mühsam erforschen, weil ich das einfach gar nicht gewohnt bin - daß ich mir was "erlauben" darf oder daß es okay ist, wenn ich mir etwas gönne... - fast alles in meinem Leben war "nach außen" ausgerichtet bzw. damit beschäftigt, bloß nichts nach außen dringen zu lassen (was in der Familie los war) und andere bloß nicht (mit mir) zu belasten - denn dann wäre ich ja wie mein Vater und das will ich doch nicht!! - Tja, ein bißchen ein "Teufelskreis", aber ich hoffe, daß ich ihn - mit kompetenter Hilfe - vielleicht doch noch durchbrechen kann...?!
Ich wünsche Dir alles Gute und weiterhin viel Kraft für Deinen Weg! - Und Danke für die interessanten Beiträge hier!
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von flower123 »

Hallo fletzy!
Ne, ne, abheben tu ich nicht, höchstens, wenn ich im Flugzeug sitz

Natürlich ist es schwierig etwas für sich zu tun, wenn man sein Leben lang nur für andere da war.
Die Depression umklammert einen und ist ein ständiger Begleiter, der einem jegliche Freude, manchmal sogar jegliche Gefühle, ob positive oder negative, nimmt.
Allerdings denke ich, dass JEDER MENSCH, auch du, lieber fletzy, irgendwelche INTERESSEN hast;
auch wenn es schwer fällt:
HÖRE AUF DEIN HERZ; es gibt bestimmt etwas, was du vielleicht schon immer mal machen wolltest, oder irgendeinen Sport, ein Hobby, was dich schon immer fasziniert hat.
Auf diesem Wege schicke ich dir ganz viel Kraft, Energie und Lebensfreude, dass du deine Hobbies findest bzw. wiederfindest wie z.B. das Reiten.

Ich wünsche dir Standfestigkeit und Kraft, wenn du morgen mit deiner Mitbewohnerin sprichst.
Sachlich bleiben und vielleicht hilft es, wenn du ihr klar machst, was sie sich kaputt macht mit der Trinkerei:
einen (so nehme ich an) wunderbaren Menschen (sich selbst).
Zähl ihr ihre guten Eigenschaften auf und dass es schade wäre, wenn sie sich selbst so aufgeben bzw. "wegschmeissen" würde.

Was den Tagesablauf angeht:
Als ich eine Weile arbeitslos war, hatte ich gar keine Struktur in meinem Tagesablauf.
Fang vielleicht klein an, indem du versuchst mittels einem, vielleicht auch mehreren Weckern (ich habe 2), dir anzugewöhnen, jeden Tag um dieselbe Zeit aufzustehen.
Das wär ein erster Schritt.
Und denk dran: peu à peu...

Das nächste wär dann vielleicht nach dem Aufstehen sich unter die Dusche zu begeben.
Währenddessen und während des darauffolgenden Frühstücks kannst du dir ja überlegen und eventuell aufschreiben, was du alles heute erledigen willst.
Daneben kannst du schreiben, wie lange du wahrscheinlich dafür brauchen wirst und dir dann einteilen: "Erledigung 1 - 3 schaffe ich heute, Erledigung 4 & 5 morgen, ..."
Vielleicht bringt das etwas Struktur in deinen Tag.
Oder, wenn es zeitlich geht, mit deiner Mitbewohnerin morgens zu frühstücken.

Zur TK: heute habe ich mal wieder gemerkt, wie sehr mir die TK hilft
bei der Achtsamkeitsübung war ich fast völlig auf meinen Atem konzentriert und ich habe für mich wichtige Erkenntnisse mitgenommen: dass man manchmal einfach die Dinge so lassen muss, wie sie sind.
Von da an habe ich mir weniger Sorgen um meinen Bruder gemacht, der mir gestern noch von seinen Problemen erzählt hat.
Denn mit meiner Besorgnis kann ich auch nicht helfen; für jemanden da sein ist denke ich manchmal besser (war mit ihm Eis essen und wir haben so manches Mal gelacht )

Sommerliche Grüße aus dem Ruhrpott!
GLG white orchid
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo lila90,

hab' erstmal vielen, vielen Dank für deinen langen, aber mindestens genauso interessanten,informativen und hilfreichen Beitrag.
Ich glaub', ich hab' mit diesem Thema "Depressiver Charakter" ein ganz "heißes Eisen" angesprochen und die Reaktion auf diesen Thread-Titel zeigt mir, dass ich echt nicht ganz alleine bin mit dieser Veranlagung, die ich schon so oft verflucht und verdammt habe.
Nicht, dass ich irgendjemandem wünsche, ebenfalls depressiv zu sein, bitte versteh' mich nicht falsch, aber immer, wenn sich hier jemand "outet", auch von dieser Krankheit betroffen zu sein, geht's mir insofern ein klein wenig besser, als ich einfach weiß: fletzy, Du bist nicht allein, es gibt noch andere Schicksale außer deinem eigenen, die sich ebenfalls jeden Tag herumquälen, manchmal weniger, manchmal mehr.
Deswegen ist dein Beitrag so unglaublich wichtig für mich. Danke!
Du hast ja auch schon einiges hinter dir, soweit kam's in unserer Familie noch nicht, dass unsere Eltern uns eröffneten,dass sie nur noch lebten, weil es uns gab oder gibt.
Auch hatte ich nie Schuldgefühle gegenüber meinen Eltern oder meinem Vater, so wie bei Dir, in dem Sinne , dass ich Schuld hätte daran, dass es ihm so schlecht ging.
Ganz im Gegenteil: ich gab ja meinem Vater immer die Schuld daran, dass ich mich so schlecht fühlte, zumindest ab dem Tag, an dem meine Depression diagnostiziert wurde und mir ganz klar wurde, warum sich der Bruder meines Vaters mit knapp 19 jahren das Leben nahm. ( Ich hatte auch einige Briefe von meinem Onkel gelesen, die eine eindeutige Sprache sprachen, von dem allerdings mein Vater nichts wissen wollte, er behauptete stets , dass sich sein Bruder umgebracht hätte, weil er das Abitur nicht geschaftt habe, was wirklich völliger Blödsinn ist, aus den Briefen geht eine ganz andere Sprache hervor...)
Ja, ja Du hast schon recht, wenn Du behauptest, jeder hätte einen eigenen Charakter und wenn dieser eben depressiv sei, dann wäre das noch nicht das Ende der Welt - immerhin kannst Du studieren ( ich mußte mein Studium u.a. wegen dieser krankheit aufgeben und bereue das manchmal schon sehr, aber vielleicht sollte wirklich alles so kommen)

Du hast auch Recht, wenn Du behauptest, ich könne meinen Vater aus dieser Depression nicht herausholen, das müsse er schon selbst.
Nur kann ich ihn halt einfach nicht mehr sehen , ich ertrage ihn einfach nicht mehr, aber irgendwie haben die beiden ja schließlich mal geheiratet und sich geliebt und bestimmt nicht mit bösem Willen drei Kinder in die WElt gesetzt, von denen zwei schließlich depressiv wurden...
Ich fühle mich aber heute noch meiner Mutter gegenüber verpflichtet, sie zu unterhalten und mit ihr etwas zu unternehmen, weil sie dies alles mit meinem Vater wegen seiner Depressionen nicht mehr kann. Sie tut mir einfach unheimlich leid, unter dieser Krankheit so mitleiden zu müssen, verstehst Du was ich meine?
Du hast so süß und so aufbauend geschrieben, dass ich ein toller Mensch sei - das fand ich total rührend und ich bekomm' eigentlich so oft Rückmeldung von meinen Freunden, dass dies auch wirklich so ist, und trotzdem, mit dem Selbstvertrauen will das einfach nicht so richtig hinhauen...
Aber allein Deine Mail hat mir schon wieder ein klein wenig weiter geholfen, ehrlich.

Jetzt wünsche ich Dir zum Abschluß alles Liebe und Gute, und würde mich freuen, wieder mal einen Beitrag von dir in diesem thread zu lesen.

Viel Energie und ganz viel Kraft,

fletzy
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo Blaumeise,

hab' ganz, ganz herzlichen Dank für deinen so interessanten Beitrag. Die Qualität und Quantität der in diesem thread eingestellten Beiträge zeigen mir, dass ich mit diesem "depressiven Charakter" ein ganz "heißes" Thema angepackt habe und da bin ich auch ein klein bisschen stolz drauf, ja das kann ich dann trotzdem noch sein!
Du weißt gar nicht, wie sehr Du mir mit deinen ganzen Erfahrungen und Beobachtungen aus der SEele sprichst, es war so ein "Mensch, das kenn ich doch alles"-Erlebnis, als ich deine mail las, ehrlich.

Das mit dem Verschweigen und Vertuschen der Krankheit kenn ich nur allzu gut - nach außen muss man den Schein einer intakten Familie aufrecht erhalten - das ist besonders meiner Mutter wichtig, da wir in einer Kleinstadt leben (bzw. meine Eltern, nicht ich) und auf keinen Fall jemand erfahren soll, dass ich diese Krankheit habe, behandelt werde und Medikamente nehme..
Was sollen bloß die Leute denken?
Ja, auch ich war schon immer etwas anders als andere Kinder/Jugendliche in meinem Alter, ich merkte, dass irgendetwas nicht passte, konnte aber nie genau beschreiben, was es genau war, die Symptome konnte ich nicht genau beschreiben oder sie zumindest nicht einer Krankheit zuordnen.

Diese Minderwertigkeitsgefühle ziehen sich ebenfalls, wie bei dir, Blaumeise, durch mein gesamtes Leben: immer, immer schau ich nur auf das, was ich NICHT kann und nicht auf das was ich kann.
Das geht bei mir soweit, dass ich zum Beispiel, wenn ich Dachdecker sehe oder Schlotfeger meinen Weg kreuzen, immer denke: Mensch, was haben die nur für einen Beruf - könnt ich alles nicht. Alles irritiert mich, was ich nach meiner Meinung selbst nciht schaffe oder kann, weißt Du was ich meine?

Ja, ja, stets denke ich auch, ich bin nicht gut genug, 100 positive feedbacks bezüglich meines Unterrichts geben mir nicht so viel SElbstvertrauen wie eine EINZIGE negative mich runterzieht, und dieses Denkmuster kann ich einfach nicht abstellen und das bringt mich auch ganz oft, wie dich, zur absoluten Verzweiflung.

WEnn ich sehe, wieviel wirklich primitive, dumme Menschen es in meiner Umgebung gibt, aber mit welchem SELBSTBEWUßTSEIN die durch's Leben gehen, werde ich jedesmal ganz blaß vor Neid und denke mir nur: lieber ein wenig dümmer und dafür selbstbewußter. Denn nicht unbedingt die intelligenten Leute haben gute Posten inne, sondern die SElbstbewußten, die sich einfach gut darstellen können, ist doch so, oder?

Auch mit dem ANtrieb ist das so eine Sache, ich weiß einfach nicht, wie ich diese Energielosigkeit abstellen kann...Freilich komme ich irgendwie durch den Alltag, aber alles strengt mich so an, muß mich zu allem so aufraffen. Und dann schiele ich immer voller Neid auf meine Cousins und Cousinen, die t.w. im Ausland sind und alle einen prima Job haben (meistens Arzt oder Krankenschwester) und einige von ihnen auch eine eigene Familie - und was hab' ich? eine Depression! Das ist halt immer noch etwas, mit dem man einfach nicht renommieren kann, denn immer kommt doch versteckt der Vorwurf zum Tragen: der ist doch einfach bloß zu faul und behauptet einfach, er habe eine Depression, wie raffiniert!
Das kennst Du bestimmt alles auch, liebe Blaumeise, aber das dürfen wir einfach nicht ernst nehmen, denn solchen Leuten, die so reden, wünsche ich bloß einen einzigen depressiven TAg und sie würden für immer den Mund halten, ganz sicher, sie hätten wahrscheinlich sogar mehr Respekt gegenüber uns Depris.
Wie geht's dir so, Balumeise, schaffst Du es zumindest ab und zu, diese depressiven Denkmuster zu durchbrechen?
Lass es mich wissen, wenn DU das manchmal hinkriegst, aber auch wenn es dir schlechter gehen sollte,

sei ganz herzlich gegrüßt und ich wünsche Dir, dass Du hier und da dieser Krankheit die Stirn bieten kannst,

bis bald,

LG,
fletzy
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo w.o.,

puh, dann bin ich ja froh, dass Du mir nicht arrogant geworden bist,hab' ich aber auch gar nicht anders erwartet...gg

Tja, jetzt bist Du sicherlich ganz gespannt, was aus meinem Gepräch mit meiner Mitbewohnerin wurde, als ich sie vorgestern daraufhin ansprach (vielen Dank auch noch mal für deine Tips).

Ich fing das Ganze sehr diplomatisch an und erzählte ihr erstmal das erlebnis von vor ein paar wochen, als ich nachts nach Hause kam, diese Wasserlache in unserem Wohnzimmer entdeckte, das verschobene Regal, das Kissen auf dem Boden, usw., usf.
Ich fragte sie, wie sie sich das erklären könne, ob sie sich einen Reim drauf machen könne und weißt Du was sie gesagt hat?
Sie hat gelacht und gesagt: "Ich werde doch nciht wieder Schlaf gewandelt haben? Das hab' ich schon seit 8 Jahren nciht mehr und das Ganze wird doch hoffentlich nicht wieder anfangen? Das müssen wir mal beobachten und wenn's schlimmer werden sollte, müßte ich mal zum arzt"
Sie war wirklich mal Schlafwandlerin bis vor einiegn Jahren und zieht jetzt diese Geschehnisse , die schon ein paar Jahre zurück liegen hervor, um diese sache im wohnzimmer zu erklären, die EINDEUTIG auf ihren ALkoholkonsum zurück zu führen ist.
Was soll man da ncoh sagen?
Ich hab' mich dann nicht mehr getraut, weiter nachzufragen und nachzubohren, aus ANgst ihre positive Stimmung würde in eine zornige, wütende stimmung umschlagen und ichmüßte mir den Vorwurf gefallen lassen, mich allzu sehr in ihr Privatleben einzumischen...

Ich werd's aber doch noch mal probieren, zumal aus eigenem Interesse: mir geht's ziemlich auf die Nerven, ihr jeden driteen Tag einen neuen Bierkasten besorgen zu7 müssen. ( Ich hab ein Auto, sie nicht)

Na ja, ich halt dich auf alle Fälle auf dem Laufenden, ich könnte mir vorstellen, dich interessiert es auch, wie's so weitergeht in unserer Alki- und Depri-WG...

Anderes Thema: hab' auch ganz, ganz herzlichen Dank für deine so wertvollen Tips bezüglich meines Tagesablaufs und meiner -struktur.
Ich werde sie mir hoffentlich mal zu Herzen nehmen und versuchen, etwas mehr Struktur in meinen Tag zu bringen.
Ich denke nur immer wieder an meinen Vater, de ja auch jahrzehntelang Struktur in seinem Leben hatte und trotzdem depressiv war/ist ( er war auch LEhrer und hatte über Jahrzehnte immer den selben Tagesablauf).
Ja, ja ich höre ich dich schon wieder vor dich hinbrummeln: jetzt vergleicht er sich schon wieder mit seinem Vater...
Ja, ja Hobbies, auch so ein Thema. Ich würde ganz gerne wieder das Reiten anfangen, aber vielleicht nicht jeden Tag, und außerdem ist es ja so teuer und dann müßte ich mir auch wieder 'ne Ausrüstung zulegen...
Wie Du siehst, hab' ich immer wieder 'ne Ausrede parat,nur um nichts machen zu müssen - fürchterlich...
Immerhin bin ich in den letzten Tagen schon immer zurv selben Uhrzeit aufgestanden ( immer so gegen 7, 7.30 Uhr, einmal weil ich mußte (Prüfung und Besuch meiner Vermieterin, mit der ich zur Zeit auch noch Streß habe, zum anderen weil es ja draußen echt schön war und ich gar nicht so lange im Bett liegen bleiben konnte...))

Frühstücken mit meiner Mitbewohnerin? Na ja, ein Schluck Kaffe könnte ich schon mit ihr trinken, nu kann ich nicht garantieren ,dass ich danach gleich wieder ins bEtt schlüpfe...
Du siehst, ich bin ein schwieriger Fall, w.o., aber aufgegeben wird trotzdem nicht,
da schließ ich mich total dir an!

Hab' ein schönes Wochenende und einen erholsamen Feiertag, würde mich sehr freuen, von dir zu hören, aber mach' dir keinen Stress, hörst Du?

mit ganz lieben Grüßen aus Franken,

fletzy
Blaumeise-umk
Beiträge: 85
Registriert: 2. Dez 2009, 20:31

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von Blaumeise-umk »

Hallo fletzy,
ich danke Dir ganz herzlich für Deine nette, ausführliche und einfühlsame Antwort - ja, ich finde es auch immer sehr hilfreich, wenn ich hier Beiträge lese, wo ich denke: "Mensch, das kenne ich doch auch alles...!"
So ging es mir diesmal auch wieder mit Deinem Beitrag: wie schon neulich erwähnt, ich hatte ebenfalls einen depressiven Vater (er ist vor ziemlich genau 2 Jahren verstorben) und auch er war Lehrer und hatte somit Zeit seines Lebens einen überaus strukturierten Tagesablauf, der ihn wahrscheinlich halbwegs "gerettet" hat (zumindest erscheint es mir heute so), denn er hat soooviel Wert auf diese Struktur gelegt (z.B. war eine Mittagsruhe nach der Schule absolute Pflicht), daß es für uns Kinder manchmal im Grunde kaum zu ertragen war (nur wir haben uns natürlich nicht getraut aufzubegehren, denn Protest oder Kritik hat ja bewirkt, daß es ihm "schlecht" geht und wer wollte dafür schon verantwortlich sein...?!)

Ja, und auch ich bin in einer Kleinstadt groß geworden und der "gute Schein" der Lehrersfamilie sollte natürlich aufrecht erhalten werden...; nur als es meinem Vater ganz schlecht ging (da war ich allerdings schon in der Oberstufe), haben ein paar gute Freunde und Kollegen von seinen Depressionen Näheres erfahren; vorher wußte wahrscheinlich kaum jemand davon.
Mein Vater hat ebenfalls nie große Anstrengungen unternommen, etwas gegen seine Depression zu tun, obwohl er die Diagnose wohl schon als Student hatte - und genau das nehme ich ihm bis heute sehr übel bzw. manchmal könnte ich deswegen vor Wut platzen! Er hat immer nur still vor sich hin gelitten ("ich bin eben depressiv und dagegen kann man nichts machen") und uns dadurch ja "mit rein gezogen", bzw. wir mußten dadurch eben auch "leiden", zumal meine Mutter ja auch nichts dagegen unternommen hat. Außer in der eben schon erwähnten ganz schlimmen Phase, da hat sie ihn dann mal zum Psychiater "geschleppt"; wahrscheinlich weil sie es da auch nicht mehr ausgehalten hat.

Ja, meine Mutter, das ist auch so ein "heißes Thema". Ich habe immer gedacht, ich habe ein super Verhältnis zu meiner Mutter; manchmal kam sie mir wie eine beste Freundin vor und wir haben auch immer viel zusammen gemacht; aber seit dem Tod meines Vaters ist mit einem Mal alles anders. Ich mag kaum mit ihr zusammen sein und wenn, dann kostet mich das sehr viel Überwindung und Disziplin - weil ich auch auf sie (innerlich) so unheimlich wütend bin...; ich habe begriffen, daß sie mich von klein auf praktisch als Partnerin, Verbündete benutzt hat, die mit ihr durch alles Leiden gehen muß - eben diesen depressiven Vater mit- und ertragen muß und damit war ich aber als Kind völlig überfordert!
Ich habe soviel mit ihr gemacht, weil ich gedacht habe, ich muß sie schützen und dafür sorgen, daß es ihr gut geht; ihr das geben, was mein Vater ihr nicht gegeben hat - eben eine Partnerin sein, die was Schönes mit ihr unternimmt, was er eben nicht gemacht hat - aber das ist doch im Grunde gar nicht meine Aufgabe!
Tja, und nun schreibst Du auch, Du hast immer das Gefühl, Du mußt was mit Deiner Mutter unternehmen, es ihr "schön" machen und ich kann Dich da so gut verstehen... - aber machst Du es denn gerne?!?
Früher hat sich das irgendwie so gefügt, daß ich mit meiner Mutter viel gemacht habe, es war vielleicht auch schon so "eingespielt", aber nun sträubt sich in mir alles dagegen - ich habe begonnen, unsere Familiengeschichte zu verstehen und habe begriffen, daß ich im Grunde fast immer nur für andere da war; meine eigenen Bedürfnisse dafür auf der Strecke geblieben sind, ich sie teilweise auch gar nicht richtig "kenne", weil ich es gar nicht gewohnt bin, "für mich zu sorgen". - Aber das lerne ich jetzt so langsam...

Meine Mutter ist nun völlig irritiert, denn sie versteht das gar nicht...; ich habe ihr schon 2mal einen Brief geschrieben, darauf aber sehr enttäuschende Reaktionen erhalten, die mir zeigen, daß es ihr scheinbar nie wirklich um mich ging bzw. sie sich überhaupt nicht einfühlen kann und das war/ ist zugegeben auch eine sehr schmerzhafte Erkenntnis... - es kommt mir im Moment vor, als hätte ich fast mein ganzes bisheriges Leben in einer "Scheinwelt" gelebt, die nun nach und nach zerbricht - und ich bin mehr und mehr allein...; denn auf Familie lege ich gerade eigentlich gar keinen Wert (macht mich nur wütend und traurig). Zwar habe ich mittlerweile Menschen kennengelernt, mit denen ich recht offen und auch sehr persönlich sprechen kann und die mich zu großen Teilen auch verstehen, aber trotzdem ist da dieses Gefühl des "alleine sein" und der Wunsch irgendwie gehalten, getröstet oder aufgefangen zu werden - eben das zu erleben, was ich als Kind gebraucht hätte und mir aber niemand gegeben hat.

Ja, diese (blöden) Vergleiche... ; die kenne ich, wie gesagt, auch nur zu gut! "Dummerweise" gibt`s da bei mir noch einen jüngeren Bruder, dem scheinbar alles gelingen will im Leben...; von klein auf ist er der "Überflieger" schlechthin - immer nur gute und beste Noten, begabt in allen Bereichen: Sprachen, Naturwissenschaften, dazu auch noch musikalisch und sportlich..., bestes Abi im ganzen Jahrgang, sofort ein Stipendium bekommen und mittlerweile ist er (natürlich) auch promoviert. Er ist in der Forschung tätig und reist nicht selten in der ganzen Welt umher, wo er auf Kongressen seine Arbeit vorstellt (auf Englisch natürlich!). Eine Partnerin hat er schon seit über 10 Jahren und in diesem Jahr soll nun auch geheiratet werden. Bis heute habe ich das Gefühl, er ist der "Vorzeigesohn" der ganzen Familie, der Stolz aller und ich kann mich (bislang) nicht guten Gewissens oder mit einem guten, sicheren Gefühl neben ihn stellen. In Gesprächen fühle ich mich sofort unterlegen und denke immer: was bist Du nur ein kleines Licht gegen ihn...?? Früher war ich richtig neidisch auf ihn; ich würde sagen, Neid ist es heute nicht mehr unbedingt (denn ich bin mir sicher, daß ich in seiner Art Job nicht glücklich wäre und ein solches naturwissenschaftliches Studium meinen Interessen ja auch gar nicht entspricht), aber ich denke doch manchmal: ach, wenn ich doch nur halb so musikalisch wäre wie er, das wäre eigentlich schön... - also schon so ein bißchen das Gefühl: warum hat er alles und ich gar nichts?!?

Sorry, das ist jetzt sehr lang geworden mein Text, aber da gab`s soviele interessante Aspekte und Übereinstimmungen...!

Danke an alle "Mitschreiber" für den interessanten Austausch hier!
Dir, fletzy, einen schönen Sonntag und weiterhin viel Kraft!
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von flower123 »

Hallo fletzy!

Hast dir hoffentlich einen schönen Feiertag gemacht!
Heut ist es ja eher bedeckt, aber trotzdem werde ich mir gleich einen Stall anschauen

Du kannst stolz auf dich sein, so viel Mut aufgebracht zu haben, um deine Mitbewohnerin anzusprechen!
Tja, und leider hast du die typische Reaktion eines Alkoholikers/einer Alkoholikerin mitbekommen:
VERNEINUNG, VERLEUGNUNG der eigenen Sucht.

Dies, lieber fletzy, wird leider immer wieder vorkommen, aber bleibe stark!
Such dir einen Zeitpunkt aus, in welchem sie nüchtern ist (sonst hat jegliches Gespräch keine Wirkung) und sprich sie direkt darauf an.
So wie du sie jetzt angesprochen hast, war es genau richtig: sprich eine Situation an, in der sie betrunken etwas angestellt hat.
Frag sie, wie sie sich das erklären könnte und ob es vielleicht mit ihrem Alkoholkonsum zusammenhängen könnte.
Mach ihr klar, dass sie sich selbst damit schadet; dass ihre Probleme auch nicht durch das Trinken verschwinden und dass du nicht länger zusehen willst, wie es ihr schlechter und schlechter geht.

Vorwürfe machen keinen Sinn, auch wenn man vor Wut platzen könnte!
Gib ihr das Gefühl, dass sie dir wichtig ist; dass sie nicht allein ist.

Ich drücke dir alle Daumen, die ich hab!!!

Versteh dies bitte nicht falsch: Du weisst aber, dass du ihren Konsum unterstützt, indem du für sie die Bierkästen mit deinem Auto transportierst?
Mein Vater meinte irgendwann: "ob ich Bierkästen kaufe oder nicht: Mama holt sich so oder so Alkohol."
Das stimmt, aber du darfst dich nicht in ihre Sucht mit hineinziehen lassen!
Das nennt man Coabhängigkeit.
Lange Zeit habe ich meine Mutter auch hinsichtlich ihrer Sucht unterstützt; ich habe Sachen gemacht, die sie nicht mehr konnte, aber das schadet denjenigen nur.

Mitfühlen, aber nicht mitleiden.

Zur Tagesstruktur:
Ich klopf dir auf die Schulter
Das ist ein erster Anfang, wenn du zur selben Zeit aufstehen kannst!!!
Halte dir diesen Erfolg immer vor Augen, ganz wichtig!!!

Dein Vater ist depressiv und hatte als Lehrer seine Tagesstruktur; ich denke aber, dass er seinen Beruf pflichtbewusst ausgeübt hat und ihm dieser Beruf auch wichtig war; dieses Pflichtbewusstsein hat nicht unbedingt etwas mit der Depression zu tun...
Und eine Tagesstruktur zu haben bedeutet leider noch lange nicht, sich mit seiner Depression auseinanderzusetzen!

Zu Hobbies:
Die "Ausreden" benutzt man, um sich ja nicht bewegen, etwas voran bringen zu müssen.
Es sagt ja keiner, dass du jeden Tag zum Stall musst.
Du kannst ja mit 1x die Woche anfangen und dich später steigern.
Klar, kostet die Ausrüstung etwas, aber die kann man sich ja auch Stück für Stück kaufen oder nach gebrauchter Bekleidung Ausschau halten.

Das Wichtigste und der erste Schritt ist, dass du erkennst, was dir gut tut.
Der zweite Schritt ist sich zu überlegen: Wie kann ich mein Hobby finanzieren?

Alles Schritt für Schritt und IN DEINEM TEMPO.

PS: Habe mich gestern Abend mit meinem Bruder getroffen. Zu Beginn hab ich vorgeschlagen: Jeder von uns erzählt jetzt von einer Sache, die ihn/sie stört. Danach lassen wir das Thema Depris und alle anderen Probleme sein.
Es hat toll geklappt!
Wir haben sehr viel gelacht

Jetzt hoffe ich nur, dass ich heute mit meiner besten Freundin reden kann:
habe mich bei ihr entschuldigt, weil ich sie gestern versetzt hab (was ich eigentlich gar nicht wollte, mich aber von den Leuten, mit denen ich da gerade unterwegs war, nicht trennen konnte: ich hatte das Gefühl: "wenn ich jetzt geh, ist das unhöflich."

Total beknackt, oder?)

Ich hoff, ich kann das wieder hinbiegen...

Mach dir auch noch einen schönen Sonntag!
GLG white orchid
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo Blaumeise,

mensch, das hat mich jetzt doch beinahe umgehauen, wieviele Parallelen es in unserem Lebnsweg gibt - vei (wie wir Franken sagen) wirklich!
Da ist die Übereinstimmung bezüglich der Kleinstadt, des depressiven Vaters, der ebenfalls Lehrer ist/war und der Mutter, der man immer alles recht machen will, weil sie einem leid tut, weil sie doch immer diesen depressiven Vater ertragen muß(te).
Ob ich das alles gern mache für sie?
Das ist echt eine gute Frage und da muß ich mal ganz tief in mich hineinhorchen:
Im Prinzip schon, ich liebe meine Mutter sehr und bin sehr gerne mit ihr zusammen - aber sie hängt auch unglaublich, eigentlich sogar schon zu stark an mir. Wenn wir uns 2 Wochen lang nicht sehen, ist das schier unendlich für sie. (Als ich mal für sechs Monate ins Ausland ging, hat sie fast nur noch geheult, so unerträglich war der Gedanke für sie, dass wir uns längere Zeit nicht sehen würden - das hat mich damals richtig geschockt)
Aber manchmal ist diese Nähe, diese gute Beziehung dann doch zuviel und ich versuche ihr dann - möglichst diplomatisch und einfühlsam - klar zu machen, dass es vielleichtv doch etwas übertrieben ist, wenn wir uns nach 3 Tagen schon wieder sehen....
Aber sie ist dann sehr leicht enttäuscht und sogar traurig und deswegen sag' ich dann trotzdem noch einem Treffen zu, auch wenn es mir überhaupt nicht in den Kram passt.
Das hast Du wahrscheinlich auch gemeint, als Du geschrieben hast,dass du jahrelang deine Bedürfnisse nur hintenan gestellt hast und jetzt langsam herausfinden mußt, was überhaupt deine Bedürfnisse sind...
Da geht's mir schon wieder ähnlich wir dir - das ist echt ein ganz langer und langsamer Prozeß.

Ich hoffe, es geht mir eines Tages nicht so wie dir mit Deiner Mutter - dass es mich Überwindung und Selbstdisziplin kostet, dass ich sie überhaupt sehe, denn immerhin hat sie mich in gewissem Sinn ja auch als Ehemann "mißbraucht" (auch wenn das jetzt hart klingt), aber ich habe immer das Gefühl gehabt, mit ihr etwas unternehmen zu müssen, weil sie es ja mit ihrem depressiven Ehemann nicht mehr aushält, obwohl ich doch nur der Sohn bin und es wahrlich nicht meine Aufagbe ist, als "Puffer" zwischen den beiden und als Unterhalter zu fungieren. (was ja mein Vater überhaupt nicht ist, wenn er schon mal irgendetwas sagt, dann ist es irgendetwas depressives, negatives, destruktives - einfach fürchterlich und schwer zu ertragen, aber das wirst du ja auch von früher her kennen)

Also so einen Überflieger wie deinen Bruder gibt es in unserer Familie nicht, eher in der Familie meiner Tante und vor allem meines Onkels (dem Bruder meines Vaters, der eigenartigerweise von dieser Krankheit völlig verschont geblieben ist- Gott sei dank): meine beiden schwestern haben zwar alle ihren Job, aber schlagen sich so mehr oder weniger mehr schlecht als recht durchs Leben.
Ich vertstehe mich nur mit meiner älteren Schwester überhaupt nicht gut - da sie mich von klein auf nur gegängelt und getriezt hat, wo und wann immer sie konnte und das teilweise in der Gegenwart ihrer Freundinnen, was sich natürlich auf mein SElbstbewußtsein nicht gerade positiv ausgewirkt hat. Sie hat vielleicht nicht unmittelbar Schuld an meiner Krankheit , doch waren ihre Vorwürfe, permanante Kritik und regelrechte Hasstiraden gegenüber mir nicht gerade förderlich im Sinne einer antidepressiven Wirkung.
MEnsch ,wenn ich mich jetzt mit dir, oder lila90 oder w.o. auf diesem thread "unterhalte"; Dann ist das schon wie ein Gespräch unter guten alten Bekannten - das geht mir in den seltensten Fällen mit "Normalos" so, dass innerhalb kürzester Zeit so etwas wie absolutes Vertrauen, VErtrautheit und fast schon Freundschaft entstanden ist...
Denn immerhin erzählen wir uns hier - wenn auch anonym - sehr private, fast schon intime Detils aus unserem Leben, was ich "draußen" nur mache, wenn ich jemanden schon sehr, sehr gut kenne und selbst dann bin ich noch vorsichtig, weil ich manchmal auch schon mit so viel Offenheit hereingefallen bin...
So, jetzt hab' ich genug gelabert, jetzt bin ich schon wieder müde - dabei ist es doch gerade mal halb vier nachmittags - es ist zum K....das Ganze - verzeih mir diese ausdrucksweise, aber was hab' ich manchmal schon mit meinem Schicksal gehadert, warum es gerade diese Krankheit sein mußte, die dem Leben so konträr entgegen steht, bei der einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Ich will jetzt nicht zynisch klingen genüber denjenigen, die eine körperliche Krankheit haben, aber manchaml wünschte ich mir schon , "nur" eine körperliche Krankheit zu haben und dafür eine gesunde , belastbare Psyche mit auf den Weg bekommen zu haben, denn hat man eben auch die Kraft, gegen diese körperliche Krankheit zu kämpfen, oder denkst Du manchmal nicht geanuso?

Wie dem auch sei, ich wünsche Dir, Blaumeise, noch eine wunderschönen, wenn auch bedeckten Sonntag und einen guten Start in eine neue Woche,
sei ganz herzlich gegrüßt,

viel, viel Kraft und LEBENSFREUDE,

fletzy
lila90
Beiträge: 9
Registriert: 23. Apr 2010, 02:26

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von lila90 »

Hey fletzy und blaumeise!

Ich glaube, es gibt wirklich einige, die diese Erfahrungen gemacht haben, depressive Eltern oder Angehörige zu haben, ganz klar, wenn es viele depressiv Erkrankte in unserer Gesellschaft gibt.

Der Umgang mit Angehörigen ist natürlich sehr schwierig. Und ich weiß das sehr wohl, weil ich das alles sehr lange mitgemacht habe.
Für die Kinder depressiver ist das auch nicht von Vorteil, da die Eltern durch die Krankheit nicht die Möglichkeit haben, sich gut genug um das Kind zu kümmern, genügend Zuwendung aufzubringen und das Kind in den Vordergrund zu rücken. Dadurch kommt es dann dazu, dass das Kind sich vielleicht als nicht so viel wert ansieht, weil eher die Probleme der Eltern in den Vordergrund gerückt werden. Ich hatte auch immer Minderwertigkeitskomplexe und meine Eltern haben mich nie gelobt und haben mir immer von ihren Problemen erzählt und wie schwierig für sie alles wäre und wir uns als Kinder doch gut benehmen sollen, sie liebhaben, gehorchen…damit es für sie nicht ganz so schrecklich ist.

Damit kommen wir zu unseren Müttern. Also ich habe mich auch für meine Mutter verantwortlich gefühlt, weil sie wirklich schlimme Sachen mit meinem Vater ertragen muss. Er ist einfach eine Belastung und er ist auch schon handgreiflich geworden. Meine Mutter hat früher viel rumgeschrien und allgemein Stress gehabt. Irgendwann hat sie mir alles anvertraut…was mich auch ziemlich belastet hat, aber dadurch habe ich auch ihr Verhalten verstanden…

Was für mich wichtig ist, ist, dass ich mich nicht mehr verantwortlich fühle. Es gibt wahnsinnig viele Faktoren, die zu einer Depression führen und die meine Mutter unglücklich machen. Bei meinem Vater ist es sowieso somatisch bedingt. Ich tue das, was ich kann und was ich gerne mache. Ich fahre ab und zu nach Hause (auch wenn es nicht so oft ist), umarme meine Mutter oder trinke mit ihr einen Kaffee oder gehe shoppen.
Ihr solltet euch auch nicht schlecht fühlen, weil ihr nicht soviel macht, wie ihr denkt, dass ihr solltet. Achtet auf euch, ich glaube durch die Depression der Eltern wurden wir und unsere Bedürfnisse zu oft in den Hintergrund gerückt. Denkt an euch, denn sie können das vielleicht nicht in dem Maße, wie sie es gerne würden, weil sie die Krankheit haben.

Ihr seid manchmal wütend auf eure Eltern, weil sie euer Leben auch negativ beeinflusst haben…Eltern sind auch nur Menschen. Ich verstehe meine Eltern und warum sie so sind und ich habe mich früher oft gefragt, warum die Welt so ungerecht ist. Aber es gibt auch einen Grund, warum unsere Eltern depressiv sind. Ich habe mich damit abgefunden. Andere Menschen treffen andere Schicksale.

Und Lehrer ist ein echt harter Beruf, er kann psychisch sehr belasten. Bei uns sind schon Lehrer im Unterricht in Tränen ausgebrochen oder hatten einen Klinikaufenthalt. Das kommt nicht von ungefähr. Ich hätte nicht mit ihnen tauschen wollen. Die meisten sind frustriert oder einfach fertig…(Und das an einem Gymnasium!)

Was meine Schwester und ich meiner Mutter schon sehr oft gesagt haben, ist, dass sie sich von unserem Vater scheiden lassen soll, doch sie will nicht, weil es da finanzielle Probleme gibt. Sie haben zusammen ein Haus gekauft und es renoviert, aber es läuft auf den Namen meines Vaters. Aber wenn sie ein eigenes neues Leben beginnen würde, würde es ihr vielleicht besser gehen. Sie ist auch nur damit beschäftigt für andere da zu sein.

Aber wenn eure Väter eure Mütter sehr belasten, dann sollten sie so etwas vielleicht auch in Erwägung ziehen. Meine Mutter ist schon seit langem nur noch aus Mitleid und Zwang mit ihm zusammen, obwohl sie ihn einfach nicht mehr liebt, weil er nicht mehr der Mann ist, in den sie sich verliebt hat…die Krankheit hat ihn jetzt fest im Griff.

Bei meinem Freund und mir ist es anders. Er wusste schon von Anfang an, dass ich depressiv bin und auch extremes Verhalten an den Tag legen kann…Und mir tut es immer wieder leid, wenn mir so etwas passiert und oft denke ich, dass ich mich schon längst verlassen hätte und frage ihn dann, warum er es nicht tut und er sagt, dass er weiß worauf er sich mit mir eingelassen hat. Ich weiß also, dass ich auch eine Belastung für andere sein kann und es tut mir dann leid…aber ich bin froh, wenn mir dann auch Verständnis entgegengebracht wird.

Und ich fühle mich auch oft nicht gut. Wie heute, wo ich wieder nichts mache und den halben tag verschlafen habe und mich frage, wieso niemand am Wochenende was mit mir machen wollte. 3 Freunde (die, die ich fragen würde) sind nicht da gewesen und dann lebe ich in einer Studentenwohnung und hier unternehmen die Leute jeden Abend was, ich höre sie lachen und feiern und fühle mich scheiße…und denke, warum ich auch nicht so sein kann, warum sie mich nicht fragen, warum ich nicht so ne tolle Person mit, mit denen andere was unternehmen wollen…Es gibt so viele Eigenschaften, die ich gerne hätte…

Das mit den richtigen Krankheiten würde ich nicht überschätzen…also Krebs ist echt scheiße, kenne 3 Leute, die eine war noch in der Schule, die anderen 18,19…deren Eltern an Krebs gestorben sind. Bei mir in der Gruppentherapie war eine, deren Mutter hatte Krebs und deshalb eine Depression bekommen. Sie ist gestorben, bevor ihre Tochter ihr Abi hatte. Dann gibt es noch die psychischen Störungen, die wirklich körperlich bedingt sind, wie Schizophrenie oder eben so etwas, was mein Vater hat…die brauchen permanent Medikamente und diese machen müde. Mein Vater ist immer auf „Drogen“ und kann nichts machen, weil er so schwerfällig und gelähmt ist, wenn nicht kommen sonst die Psychosen mit ihm durch. Er hat nicht umsonst einen Behindertenausweis und ist arbeitsunfähig. Und er hat keine Freunde und ist jeden Tag zuhause und schläft oder wandelt durch die Gegend…und das sind die GUTEN Phasen…die schlechten sind, wenn die Psychosen wieder anfangen…
Eine Depression ist da nicht ganz so krass und trotzdem scheiße…aber ich hatte immer noch mehr Angst, wie mein Vater zu werden. Meine Mutter dagegen hat ihr Leben wenigstens ein bisschen unter Kontrolle…

Okay, ich schreibe schon wieder so viel. Aber mir kommen so viele Gedanken in den Kopf, wenn ich eure Beiträge lese.

Seid stolz auf das, was ihr bis jetzt geschafft habt! Es ist mehr als andere geschafft haben. So vielen geht es schlechter als uns…Wenigstens haben wir ein paar Freunde. (Auch wenn ich immer Angst habe, sie könnten mich nicht mögen und auch wenn ich nicht so oft was mit ihnen unternehme und es nur wenig sind…besser als keine…diese Phase hatte ich auch schon…)

Und vergleicht euch nicht immer mit den positiven Seiten anderer! (Dort läuft auch nicht alles so glatt wie ihr denkt. Und nur weil man nen tollen Job, eine tolle Familie usw. hat, heißt das nicht, dass man glücklich ist und keine Probleme hat. Oft sind es auch Fassaden. Denn nach außen tun alle, als wäre alles in Ordnung.)
Ihr seid toll wie ihr seid! =)
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von flower123 »

Hallo lila90!

Ich finde es super, wie du mit der Depression umgehst!
Bei mir hat es sehr lange gedauert bis ich begriffen habe, dass ich nicht für meine Eltern oder meinen Bruder verantwortlich bin...

Mit deinen Worten hast du wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen:
Stolz auf sich selbst zu sein und sich immer das vor Augen zu führen, was man bis jetzt geschafft hat!

Und nicht zu vergessen, dass man Freunde hat!
Es ist egal, wie viele Freunde man hat:
hier zählt auch eher Qualität statt Quantität.
Was nutzen mir 1000 dumme "Freunde", die oberflächlich sind und sich null für mich interessieren, wenn ich 2 einfühlsame und verständnisvolle Freunde haben kann?

@fletzy:
Dieses Gefühl der Vertrautheit empfinde ich auch, wenn ich in diesem Forum schreibe und auch, wenn ich in der TK bin.
Denn nur Depressive können wirklich nachvollziehen, was in anderen Depressiven vorgeht.

@all:
Natürlich ist man in diesem Forum anonym.
Aber ich glaube, wenn sich einige von uns im "echten Leben" begegnen würden, würden wir schnell merken, was für eine reflektierte Person uns gegenüber steht.
So was spürt man

Allen einen wunderschönen Abend!
GLG white orchid
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo lila90,

wollte diesen thread auf KEINEN FALL "austrocknen" lassen, da ich schon so viele, sehr, sehr einfühlsame, gute und unterstützende Beiträge hier gelesen habe, dass es mir leid tun würde, wenn das Ganze hier beendet werden sollte.
Aber natürlich bin ich auch mal wieder dran mit dem Schreiben, schließlich hab' ich diesen thread ja auch angestiftet...
Ich gebe w.o. absolut Recht, wenn sie schreibt, dass sie toll findet, wie Du mit der Krankheit umgehst.
Hast ja echt schon sehr viel mitgemacht in deinem Leben...
Ja, das mit der Scheidung hat sich meine Mutter bestimmt schon öfter überlegt, aber einmal hat sie es auch ganz deutlich ausgesprochen: das war an einem Sommertag vor knapp 20 Jahren, als meine Mutter (die meiste Last innerhalb der Familie mußte eigentlich schon immer meine Mutter tragen, weil ich und mein Vater ihr nicht richtig
helfen konnten und meine Schwestern machten jetzt auch nicht gerade extrem viel) eine Geburtstagsfeier für meine ältere Schwester organisierte und auch dann recht viele lustige und fröhlich gestimmte Leute unser Haus und unseren Garten füllten.
Da saß mein Vater, als ich in die Küche kam mit Tränen in den Augen meiner Mutter gegenüber und meinte zu ihr in vorwurfsvollem, depressivem, mißgelauntem Ton: "Warum machst Du denn nicht mal eine Feier für meine Freunde?"
Worauf meine Mutter, die selbst auch wütend war über seine negative Stimmung ihn fast schon anschrie:"Wo sind denn deine Freunde?
Du hast doch gar keine."
Das werde ich nie vergessen, weil diese Situation so exemplarisch steht für die Beziehung zwischen einem nicht depressiven und einem depressiven Menschen:
Meine Mutter hatte sich für diese Feier echt ins Zeug gelegt, gemacht, gekocht, eingekauft usw. usf. und dann kommt ihr die Depression meines Vaters (der damals bestimmt noch zusätzlich eine handfeste mid-life-crisis hatte) "in die Quere".
Und dann fragte sie mich, der völlig traurig und verstört war: "Wärt ihr einverstanden, wenn wir uns scheiden lassen würden?"

Ich war fix und fertig und ging sofort zu meiner Schwester und erzählte ihr die ganze Geschichte. Letzendlich haben wir doch noch die Feier "über die Bühne gebracht"- mein Vater schloß sich für mehrere Stunden in unserem Keller ein und meinte nur, als er mich endlich reinließ, mit dieser ganz traurigen, depressiven, destruktiven Stimme:
"Fletzy, such Dir auf jeden Fall gut die richtige Frau für's Leben aus und sag im richtigen Moment einfach "Nein.""
Das bezog sich natürlich auf sein Einverständnis meiner Mutter gegenüber, sie zu heiraten, auch wenn er, wie er mir damals eröffnete " sie nie richtig geliebt hatte".
Meine Mutter habe er mehr als "Kumpel" gesehen , aber nie als "Frau für's Leben".
Zum damaligen Zeitpunkt waren die beiden schon 25 jahre miteinander verheiratet, das mußt du dir mal geben!
Das hat mich so unheimlich traurig und vor ALLEM wütend gemacht, dass ich ihn am liebsten hätte anbrüllen mögen:

"Aber für Deine Depression ist meine Mutter doch nicht verantwortlich"

Irgendwie spürte mein Vater schon längst auch damals schon, dass irgendwas mit ihm nicht stimmte, dass er sich nicht so freuen konnte, wie andere Menschen, nicht so fröhlich war, usw., gab aber die ganze Schuld dafür meiner Mutter, bzw. sich selbst, dass er sich eben damals falsch entschieden hätte bei der Psrtnerwahl.

Das macht mich so unglaublich wütend, auch heute noch und ist der Hauptgrund für meine unheimlichen Aggressionen gegenüber ihm!
Noch heute verleugnet er die genetische Komponente seiner Familie, die Disposition zur Depression in seiner Verwandtschaft - es hat zwar 2 Selbstmorde in seiner Familie gegeben, aber depressiv sei niemand aus seiner Familie gewesen, nein, nein.
Das treibt mich heute noch zur Weißglut, wenn ich das höre.

Letztendlich haben sich die beiden nicht scheiden lassen, weil sie doch, und ich glaube da ist es ähnlich wie bei deinen Eltern, in einer gewissen WEise von einander abhängig sind und aufeinader angewiesen:

mein Vater macht die Steuer und bringt regelmäßig seine Pension "heim" und um den Rest kümmert sich meine Mutter.
Also da spielen so eingeschliffene Verhaltensweisen, Abhängigkeiten,usw. eine Rolle, dass das mit der Scheidung nichts mehr wird....
Wütend bin ich aber oft auch auf meine Mutter, die mir mit meiner Behauptung, die Depressionen meines vaters lägen in seiner Familie begründet, immer dann Recht gibt, wenn sie sich gerade mal wieder gestritten haben (was häufig vorkommt), ansonsten will sie von den Briefen an meinen Vater und von meiner Meinung nichts wissen...

In diesen Briefen und mails habe ich ihn schon zum x-ten Mal aufgefordert und gebeten, doch was gegen seine Krankheit zu unternehmen, sich behandeln zu lassen.
Den letzten schrieb ich gerade mal vor 3 Wochen. Reaktion: Null.
Als ob ich NIE einen Brief an ihn geachrieben hätte, ist er mit keiner Silbe darauf eingegangen.

Was soll man da noch machen?

Gut, mit meiner Äußerung, ich hätte lieber eine körperliche Krankheit muss man schon recht vorsichtig sein, da gibt's auch furchtbare Geschichten,sowas schreib' ich auch meist nur,wenn es mir nicht ganz so gut geht.

Ich will jetzt aber auch keinen ganzen Roman schreiben und Dich irgendwie "erschlagen" - deshalb hör ich jetzt lieber auf mit meinem Geschreibsel.

Hoffe sehr, dass es dir zur Zeit gut geht, Du genügend Kraft für den ALltag aufbringen kannst und vielleicht mal wieder 'nen Beitrag in diesem thread schreibst - würde mich auf alle Fälle sehr freuen.

Du bist übrigens auch toll, so wie Du bist:-)

LG,

fletzy
fletzy
Beiträge: 207
Registriert: 11. Apr 2010, 14:24

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von fletzy »

Hallo w.o.,

meine gute, "alte" Bekannte aus dem Internet - keine Angst, ich habe dich nicht vergessen.
War nur für 'n paar Tage in meinem Heimatstädtchen, wo wir zur Zeit keinen richtig funktionierenden Internetanschluß haben, deswegen hat sich das mit meiner Antwort etwas verzögert.
Danke dir ganz, ganz herzlich für deinen letzten, wieder so alles auf einen Punkt bringenden Beitrag!
Du willst bestimmt wissen, wie es mit meiner, dem Alkohol leider schon ziemlich verfallenen Mitbewohnerin weiterging, gell?
Also, ich nahm gestern meinen ganzen Mut zusammen und meinte, als sie nach Hause kam:"Komm lass uns einen Kasten Bier besorgen und danach lad' ich dich zu einem Kaffee ein, weil ich dir was erzählen muß."
(Mit 'nem Kasten Bier kann ich sie jederzeit locken, das weiß ich...)
Und als wir uns dann bei einer Tasse Kaffee gegenüber saßen, zitterte schon etwas meine Stimme, als ich ihr sagte, dass ich sie etwas als Freund fragen müsse,ich sie aber AUF KEINEN FALL beleidigen oder ihr zu nahe treten wolle,usw.,usf.
Ich war also so zurückhaltend, diplomatisch und einfühlsam wie möglich, als ich sie fragte, ob sie das mit ihrem Alkoholkonsum noch alles im Griff habe, da ich mir eben Sorgen mache, weil ich zur Zeit alle 3 -4 Tage losziehen dürfe, um ihr einen Kasten Bier zu besorgen, was vielleicht doch ein bisschen viel wäre.
Sie war zu meiner großen Erleichterung nicht eingeschnappt, wütend oder beleidigt, sondern sagte mir nur:" Du kannst dich darauf verlassen, dass ich jederzeit wieder aufhören kann - ich hab' das alles völlig im Griff, hoch und heilig versprochen."
Dann meinte sie noch, dass sie es hasse, wenn sie die Kontrolle über sich verlöre (oder: verliere? - Deutsche Sprache, schwere Sprache) - ich selbst habe sie mittlerweile schon zweimal schwankend und lallend in unserer Küche angetroffen.
Dann meinte sie noch: Ich kann überhaupt nicht verstehen, wenn Leute Schnaps und harte Sachen trinken (bis vor ein paar Tagen hatte sie selbst solche Flaschen in ihrem Regal gebunkert- mittlerweile sind sie verschwunden) .
Und außerdem sei es ihr unbegreíflich, wenn Leute bereits um 8,9 Uhr morgens das Trinken anfangen würden.
(Ich selbst habe es zumindest schon akkustisch mitbekommen, wenn sie morgens am WE die Korken knallen ließ.)
Und dann sagte sie noch , dass man ja das Zittern bekommen müßte, wenn man richtig alkoholabhängig sei und keinen Stoff bekäme und das kenne sie überhaupt nicht ( habe das aber selbst schon bei ihr anders erlebt)
Und dann sprach ich sie noch auf die nicht ausgeschaltete Herdplatte an, die Lache im Wohnzimmer, usw. - dies seien alles "Ausnahmen" und hätte nichts mit einer etwaigen Alkoholsucht zu tun,
da bräuchte ich mir absolut keine Sorgen machen.
Tja, und jetzt bin ich soweit wie am Anfang -alles hat sie schön und klein geredet und einen evtl. übermäßigen Alkoholkonsum strikt von sich gewiesen.
(Auch wenn sie immerhin zugegeben hat, in letzter Zeit den einen oder anderen über den Durst getrunken zu haben)
Der WITZ, BZW. DIE TRAURIGE WAHRHEIT IST ABER, dass sie gestern schon wieder 8 Bier abends getrunken hat, aber vier leere Flaschen wieder durch volle ersetzte (die sie sich wahrscheinlich in ihrem Rucksack
mit gebracht hatte):
Sie hält mich offenbar für total bescheuert, als ob ich nicht mitbekommen würde, was sie da praktisch täglich in ihrem Rucksack mit nach Hause schleppt...
(Als "Tarnung" hält sie dann oft demonstrativ ein Brot oder etwas Unverdächtiges in der Hand)
mein Eindruck ist eben, liebe w.o., dass sie das Ganze nicht mehr von allein aufhören kann, auch wenn sie gerne wollte. NAch meiner Meinung ist sie nicht mehr im Stadium "ALkoholmißbrauch", sondern bereits "Sucht" angekommen - aber das wüßte ich erst definitiv, wenn ich sie für 4 Wochen in ihr Zimmer einsperren würde, um zu sehen, wie sie darauf reagiert...
Na ja , ich bleib auf jeden Fall "am Ball" und berichte dir über die weitere Entwicklung hier auf diesem Kanal..
Auf alle Fälle werde ich ihr nicht mehr alle 3 Tage 'nen Kasten Bier mitbringen, denn dann wäre ich praktisch co-abhängig, wie Du völlig richtig schreibst. Und ob ich es dann vielleicht noch einmal pro Woche mache, muß ich mir noch sehr genau überlegen - denn co-abhängig wäre ich dann ja genauso...

Aber zurück zu unseren Depris:
schaffe es zumindest halbwegs, einigermaßen zum selben Zeitpunkt aufzustehen (bin schon etwas stolz darauf:-)
Aber ansonsten geht von mir halt immer noch recht wenig Unternehmungsgeist und Initiative aus - mache halt erst dann etwas, wenn es jemand zu mir sagt.

War aber alles schon mal wesentlich schlimmer und möchte jetzt auch nicht in Larmoyanz verfallen.

Aber dein Beispiel aus der TK macht mir eben schon etwas Mut, dass es noch etwas besser werden kann - mein Therapeut sagte mir gestern auch, dass ich vielleicht doch wieder richtig werde arbeiten können.
Natürlich könne er mir nichts versprechen, aber definiv gehe es mir besser als vor einem Jahr, als ich die Therapie begann(was ich ihm auch bestätigen mußte).

Danke der Nachfrage- hatte einen recht angenehmen Feiertag. (Bin mit meiner Mutter etwas spazieren gegangen und auf 'nen Kaffee)
Wünsche DIR auf alle Fälle noch ein sehr schönes, angenehmes und stressfreies Restwochenende, bin schon sehr gespannt, wieder von dir zu hören und wünsche dir einfach ganz viel Kraft und Beharrlichkeit -

Tapfer sein (wie mein Großonkel immer zu sage pflegte)

Ganz LG,

fletzy
ecureuille

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von ecureuille »

Hallo an alle,

Ich habe immer mal wieder in diesen Thread reingeschaut, aber mich bislang nicht getraut etwas zu schreiben: geht mich ja alles gar nichts an. Stimmt nur leider nicht. Ich bin wohl eher genau richtig hier.

In meiner Familie ist es mein Vater, der schwer depressiv ist, schwere Panikattacken hat und alkoholabhängig ist.
Wie schrecklich war und ist es bis heute ihn betrunken erleben zu müssen. Er ist allerdings der Meinung, er habe kein Problem. Wie oft habe ich nachts wach gelegen, um zu hören, wann mein Vater endlich nach Hause kommt, natürlich betrunken, weil er nach der Arbeit sofort in die Kneipe gefahren ist. Ich kann bis heute kaum fest und tief schlafen und den Geruch von Bier rufen Flash Backs bei mir hervor. Ich selbst trinke keinen Schluck, habe aber Probleme auf Partys zu gehen und Karneval ist der Horrortrip für mich, weil ich betrunkene Menschen nicht ertragen kann.
Bei uns zu zu Hause gab es immer nur lautes Geschrei und wie oft sind meine Eltern auch körperlich (teilweise mit Messern) aufeinander los gegangen. Und ich habe mich immer verantwortlich gefühlt, habe versucht zu schlichten, bin dazwischen gegangen. Hinzu kam, dass meine Mutter damit auch völlig überlastet war, einen Putzzwang, und ich schreibe bewusst Zwang, bei meiner Mutter ist es wie im Museum und sie sieht, wenn etwas nur einen Millimeter bewegt wurde, entwickelt hat und oft hysterische Anfälle bekommen hat, wegen irgendeiner Kleinigkeit (die Schuhe standen nicht gerade..) rumgeschrien hat.
Als ich 16 wurde, erfuhren mein Bruder und ich überhaupt erst, was da zu Hause los war. Meine Mutter wies meinen Vater in die Psychiatrie ein. Ich kann mich so gut daran erinnern, wie mein großer, starker Vater, den ich sooo liebe, in einem Krankenhausbett lag, am ganzen Körper zitterte und weinte wie ein Baby-schrecklich. Mein Vater kam nie wieder nach Hause. Meine Mutter trennte sich. Zu Hause blieb es laut. Wenn ich meinen Vater angekündigt besuchte, saß er dann doch oft in der Kneipe. sofort nach dem Abi zog ich aus. Aber dann stellte sich heraus, dass mein Vater sich um seine finanziellen Dinge nicht kümmert. Ständig Gerichtsvollzieher, Anwälte, Polizei etc. Ich fühlte mich immernoch verantwortlich und versuchte alles zu regeln. Den Höhepunkt erreichte es während meines 1.Staatsexamens, sodass ich den Beschluss traf eine gesetzliche Betreuung zu veranlassen. Viel Arbeit, alles blieb an mir hängen. Examen musste ich also nebenbei machen. Nun seitdem ist ein wenig Verantwortung von mir abgefallen, weil ich ja weiß, dass sich jemand anderes darum kümmert. Aber meinem Vater geht es ja trotzdem nicht besser. Und ich habe seit Jahren kaum Kontakt zu ihm. Von sich aus ruft er nie an und wenn ich anrufe geht er nicht ran und meldet sich nicht zurück.
Das tut mir so weh. Ich wünsche mir so sehr einen Vater, der sich um mich kümmert!

Seit 9Jahren bin ich erkrankt und es wird immer schlimmer statt besser. In so vielen Dingen bin ich meinem Vater ähnlich. Aber so will ich nicht werden.

Also doch genetisch? Vielleicht verstärkt durch Sozialisation?

Und wie schaffe ich es die Geister meiner Vergangenheit, die mich immer wieder einholen los zu werden?

So, nun hab ich so viel geschrieben und es gäbe noch so viel mehr.

Danke fürs Lesen und Danke, dass ich hier einen Raum habe, in denen ich es loswerden kann.

lg
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Depressiver Charakter

Beitrag von flower123 »

Hallo fletzy!

Keine Angst, ich hab dich auch nicht vergessen
Im Moment passiert jeden Tag so viel und dann noch den ganzen Tag Therapiestunden in der TK - da bin ich manchmal etwas kaputt, aber trotzdem ist die TK das Beste!!!

Leider muss ich dir da Recht geben:
Ich fürchte auch, dass sie mittlerweile süchtig ist und es nicht mehr unter Kontrolle hat, so wie du es schilderst...
Das kenn ich ebenso von meiner Mutter...

Vermutlich wird sie jetzt alles tun um dir ihre "Unschuld" zu beweisen:
Vielleicht wird sie auch netter zu dir sein als gewohnt oder zeigt dir noch öfter stolz ihr Brot, welches sie sich gekauft hat...

Das kann der Fall sein; so habe ich es zumindest mit meiner Mutter erlebt, dass sie dann unbedingt beweisen wollte, dass sie sich im Griff hat, was den Alkohol angeht.

Letztenendes kann sich deine Mitbewohnerin nur selbst helfen.

Nicht mehr ihren "Kisten-Schlepper" zu spielen, wäre der erste Schritt für dich heraus aus der Co-Abhängigkeit...
Überlege dir bitte auch, dass du dich damit ebenso unter Druck setzt, denn wenn du für sie Bierkisten transportierst, versuchst du, Reibereien zu vermeiden, die dadurch entstehen, dass sie keinen Alkohol mehr hat und ärgerlich wird...

ALSO DENK DABEI BITTE AUCH AN DICH!
SELBSTSCHUTZ!

Du kannst ihr natürlich anbieten (inwieweit es dir möglich ist und wie viel Kraft du hast - überlege dir dies bitte vorher auch!), dass du ihr bei der Suche nach Therapiestellen, Entzugskliniken, etc. hilfst und eventuell mal mitgehst -
zuweit sollte es allerdings nicht gehen,
denn es ist IHR PROBLEM, welches SIE LÖSEN MUSS...

Zu den Depris:
Ich freu mich so für dich, dass du Fortschritte gemacht hast!
Und vor allen Dingen, dass nicht nur dein Therapeut diese sieht, sondern auch DU!
Es ist viel wichtiger, dass DIR DEINE FORTSCHRITTE BEWUSST SIND!

Gut Ding will Weile haben!

Also hast du wieder ein Ziel vor Augen - wieder arbeiten gehen zu können?
Dafür drücke ich dir ganz fest alle Daumen, die ich hab!!!

Wer aufgibt, hat schon verloren!
DU jedenfalls, lieber fletzy, HAST NICHT VERLOREN!

Und egal, wie viele Baustellen es gibt:
Diese können und werden bearbeitet; vielleicht nicht alle auf einmal und alle gleich schnell, aber man hat sie im Fokus.

Dir, lieber fletzy, wünsche ich sehr viel Kraft und eine gewisse Leichtigkeit, dass du dich deinen Themen mit einem Lächeln und viel Gelassenheit und Selbstvertrauen stellen kannst!!!

PS: Bin am WE mal wieder viel umher gefahren und habe einiges mitgenommen:
ich habe den Moment genossen
z.B. als ich mit meinem Bruder im Lokal saß
oder aber als ich bei einer Kollegin war und merkte, dass ich mich ruhig öffnen kann, denn wenn ich vertraue in einem gewissen Maß, bekomme ich auch Vertrauen in eben diesem Maße zurück...

Unsere Mitmenschen sind schließlich Spiegel von uns selbst...

Fühl dich gedrückt!
Ganz ganz liebe Grüße!
white orchid
Antworten