Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

quarktasche
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Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von quarktasche »

Hallo zusammen,

meine Überschrift liest sich etwas verquer, wusste aber nichts passenderes.

Nun also, ich nehme meinen Mut zusammen, weil es mir nicht leicht fällt, das hier zu schreiben.

Seit mehr als einem Jahr hält mich die Depression in ihren Klauen. Ich weiß schon, dass es mir nach langer Klinikzeit (stationär und TK) deutlich besser geht.

Inzwischen habe ich mein Referendariat wieder aufgenommen. Tue aber - inoffiziell - im Grunde nur ein Drittel von dem, was ich tun müsste (ist in der instutionellen Struktur begründet, nicht aus Faulheit). Und so habe ich das Gefühl, dass was ich geschafft habe, ist falsch. Ich spiele allen und mir was vor.

Zur Zeit sind Ferien - und kaum habe ich etwas Luft um mich, melden sich Versagenssängste und düstere Gedanken wieder laut und deutlich.
Ich soll was Schönes machen, meint mein Therapeut. Irgendwie fällt mir das so schwer, außerdem ist das Geld knapp...

Kurz und gut, ich frage mich, ob ich nicht eigentlich schon "gesund" bin und dieser Zustand eben so ist. Ich kann mich nur so schwer damit abfinden, dass schwarze Löcher, weniger Energie als vorher und all das zu meinem Leben und mir gehören.Ich hasse es!

Ich weiß nicht, ob jemand was mit meinem Text anfangen kann. Es tut zumindest gut zu schreiben.

Lg
Bohne
Grünäuglein
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von Grünäuglein »

Liebe Bohne,

ich kann Dich sehr gut verstehen. Ich hab mehr als 20 Jahre lang gedacht, dass alles würde zu meinem Wesen gehören, dass ich eben so sei, eine Achterbahnfahrerin des Lebens.
Dass diese tiefen, schwarzen Löcher der Verzweiflung und des ständigen Hinterfragens des eigenen Seins eben zu mir gehören, genauso wie die Phasen des Besserfühlens.

Aber nein! Seit ich Medis nehme und eine Therapie mache, merke ich, dass meine Verhaltens- und Denkmuster mich krank machen. Und ich fühle mich langsam und stetig besser und kraftvoller und fühle diesen gigantischen Unterschied zum "Vorher" sehr deutlich.

Du hörst Dich sehr traurig an, voller Selbstweifel. Ich kenne Deine Geschichte nicht, aber als einen "Normalzustand" musst Du das nicht akzeptieren, denk ich. Nimmst Du Medis?

Du fühlst es, wenn es Dir besser geht. Es ist nicht im Kopf, es ist überall und es ist wunderbar.

Viele liebe Grüße von Nina
himmelskörper
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von himmelskörper »

Hallo Bohne,

doch ich denke ich verstehe dich, weiß worauf du hinaus willst.

Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?
Merkt man überhaupt, dass man "nicht gesund" ist.

Wenn ich so zurückblicke auf mein Leben, es hat sich sehr viel verändert.
Früher konnte ich rund um die Uhr arbeiten, war doppelt so schnell, so fix wie heute.
Habe Nächte durchgearbeitet, dennoch in der Früh die Kinder versorgt.
War hier, war dort, war überall.

Jetzt, heute und bestimmt auch.....ja wahrscheinlich für immer.
Meine Leistung ist begrenzt, deutlich weniger, habe oft ein schlechtes Gewissen.
Bin nicht immer einsatzbereit, habe Tage, da komme ich nicht auf die Füße, habe keine Kraft, brauche Ruhe und Erholung.
Die Nächte durcharbeiten, könnte ich nicht mehr, höchstens dann wennn ich die nächsten vierzehn Tage frei bekäme zum erholen.

Zwischen diesen zwei Phasen war der Zusammenbruch, die Zeit wo alles in mir zusammenbrach.

Welche der zwei Phasen war oder ist "gesund" und welche war oder ist "nicht gesund".

Ich denke, das ich noch einige Zeit benötige mein Leben das ich jetzt führe, meine Leistung die ich jetzt erbringe, für mich als gut anzunehmen.
Denn ich bin der Meinung, das ich jetzt auf dem richtigen Weg bin, ich muss nicht hier, dort und überall sein.
Auch muss ich keine Leistung erbringen die zweihundert Prozent ist.
Diese Zeit ist vorbei, diese Zeit darf ich ablegen, diese Zeit war bedingt durch meine Kindheit, immer perfekt und besser sein zu müssen wie die anderen.

Aber es wird immer wieder Zeiten geben, an denen ich zweifle oder zweiflen werde, bin ich überhaupt auf dem Weg gesund zu werden, weil meine Leistung so deutlich weniger geworden ist.

Aber in solchen Zeiten muss ich mir dann vor Augen halten, die überhöhte Leistung damals war nicht normal, nicht in dem Ausmass und in der Dauer.
Es war ein Symptom meiner Krankheit, hinter der ich mich versteckt habe.


liebe Grüße sedna


quarktasche
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von quarktasche »

Liebe Nina, liebe Sedna,

herzlichen Dank für eure Antworten. Das tut so gut! Heute geht es mir auch viel besser als gestern.

Liebe Nina, du scheinst ja schon auf einem richtig guten Weg zu sein. Klasse! Davon bin ich noch weit entfernt, glaub ich.

Ja, ich nehme Medikamente (Elontril, Trimipramin und bei Bedarf Atosil, bin also gut eingedeckt) und mache eine Therapie. Inzwischen nehme ich schon über ein Jahr die Medikamente. Das einzige, was ich immer deutlich gespürt habe, war Tavor... Das habe ich aber nicht mehr, auch wenn ich's mir manchmal zurück wünsche.

Liebe Sedna,

was du geschrieben hast, kenne ich nur zu gut. Vor allem das ich deutlich weniger Energie als früher habe, macht mir zu schaffen.

Ich muss leider noch durch diverse Prüfungen und die Zeit wird bald wieder kommen, wo ich bis nachts am Schreibtisch sitzen muss. Meinen Kollegen, den gesunden, gehts genauso. Das ist m.E. eine Art Initiationsritus, durch den wir müssen, bevors das zweite Staatsexamen gibt.
Wie ich das schaffen soll, ist mir immer noch ein Rätsel.
Ich hoffe, dass ich die Warnzeichen diesmal nicht "übersehe". Wie bewerkstelligst du in deinem Beruf, dass weniger machst als früher????

Naja, ich fange jetzt erst mal an die Arbeiten zu korrigieren. Und versuche kein schlechtes Gewissen zu haben, dass ich sonst arbeitsmäßig nichts weiter mache und nur zwei Arbeiten angehe.

Liebe Grüße
bohne
BD
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von BD »

Hallo Sedna,

cih finde das sehr gut formuliert,mit den 2 Zeiten und der Frage war früher gesund oder ist es jetzt. Dass du dich v on der Zeit früher verabschieden darfst.. Mir fällt es nämlich sehr schwer meine Engergielosigkeit anzunehmen und ich will oft nicht wahrhaben, dass das jetzt zu mir dazugehört.
Deine Worte haben mich auf positive Weise nachdenklich gemacht...

Grüße
Waldsee
ben1
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von ben1 »

Hallo Bohne

ich finde, was Sedna geschrieben hat, genial !

Was oft in einer Depression passiert ist, das Leben, das man bisher geführt hat, komplett in Frage stellen zu müssen und eine neue, reifere, realistischere, MENSCHLICHERE Sicht seiner Selbst und der Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten, die man wirklich hat und erfüllen kann, zu finden.

Was bisher im Leben geschah, war zwar "effektiv", aber im wahrsten Wortsinn "lebensfremd" - nur die guten, effektiven Seiten des Selbst durften gelebt werden (mit hoher und höchster gesellschaftlicher Anerkennung) ohne zu wissen oder zu ahnen, das da viel mehr zu mir und meinem Leben gehört, als bisher angenommen. All die "schlechten" Seiten meiner Persönlichkeit (wie z.B. mal faul sein zu dürfen, Neid zu empfinden, etwas mal nicht zu schaffen oder sich überfordert fühlen, sich mal schlecht fühlen zu dürfen (auch ohne äußeren Grund)) wurde verdrängt und verleugnet.

Mensch sein bedeutet, all diese Formen des Erlebens auch erleben zu dürfen!

Somit steht am Ende der Depression NICHT wieder zu funktionieren, wie vorher, sondern eine realistische, menschliche Sicht eigener Möglichkeiten einzunehmen, die eben auch die "Schattenseiten" des Menschseins integriert - eben weil wir Menschen sind, dürfen wir scheitern, Fehler machen, je nach Tagesform mal mehr, mal weniger Leisten - sobald wir uns selbst das zugestehen, haben wir das Spiel zwar nicht gewonnen, aber durchschaut!

Ben
wennfrid
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von wennfrid »

Hi bohne
Ich denke, daß ich aus deiner Geschichte eine maskierte/larvierte Depression rauslesen kann. Nach außen, als wenn alles in Ordnung wäre, innerlich aber todtraurig. Dazu passen die Versagensängste, überhaupt Ängste aller Art. Meist hat man als Kind immer gute Miene zum bösen Spiel gemacht, seine Sorgen und Nöte aus Rücksicht auf andere (Eltern) nicht angesprochen. Die eigenen Bedürfnisse sind fast nicht vorhanden oder können überhaupt nicht gespürt werden. Dadurch ergeben sich die Probleme, irgendwas Schönes für sich zu tun. Diese Ängste werden verdrängt, brauchen dann zeitweise nicht gespürt werden, melden sich aber immer wieder. Ich denke, daß du dich nicht mit so wenig Energie abfinden mußt, denn jeder Mensch verdient ein erfülltes Leben. Alle Ängste verbrauchen sehr viel Energie, die zum Überwinden der Alltagssorgen abgeht. Vielleicht hilft dir meine Sichtweise ein bißchen.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
kormoran
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von kormoran »

hallo fridolin,

ich glaube, was du meinst ist nicht das, was man unter einer "larvierten depression" versteht.

hab nachgeguckt:
"Mitunter wird eine Depression von einer anderen Erkrankung überdeckt und nicht erkannt. Eine Depression kann sich auch vorwiegend durch körperliche Symptome – oft Schmerzen – äußern und wird dann als „larvierte Depression“ bezeichnet (die Depression versteckt sich hinter den körperlichen Symptomen wie hinter einer Larve)."
(aus dem wikipedia-eintrag zu depression)

nix für ungut,
liebe grüße
kormoranin
 http://www.depressionsliga.de
*** zurück ins leben!
Liber
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von Liber »

Hallo Bohne, hallo Ihr Lieben,

gute Frage!

Erst mal könnten wir definieren: was ist eigentlich "gesund"? Oder: was verstehen wir unter "gesund"?

Auch bei mir war viele Jahre DAS Kriterium für Gesund-Sein schlechthin die Leistung, die ich erbringe. Sie war DER Antreiber, der Anpeitscher in mir.

Heute meine ich, dass es darum geht, herauszufinden, wer ich eigentlich und wirklich bin. Mit allen Seiten, wie Ben es sagt. Und auch herauszufinden, wie "mein Licht leuchtet".

Da mag auch Leistung dazugehören, so wie sie für mich passt, so wie sie stimmig ist, sie ist aber nicht mehr das Kriterium. Das, meine ich, ist ein wesentlicher Unterschied zum Nicht-Gesundsein.

Liebe Grüße
Brittka
kormoran
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von kormoran »

hallo alle,

jetzt zum thema ... ich habe mich erinnert, mir über diese frage gedanken gemacht und etwas formuliert zu haben - ja, da gab's einen thread, vom ben (hoffe, es ist jetzt keine einmischung, das zu verlinken):

http://www.kompetenznetz-depression.de/ ... 1248720918

mit etwas anderer fragestellung (was erwarte ich vom gesundsein), aber viele der beiträge dort sind glaube ich von interesse für alle, die mit der definition ringen, ob sie denn schon gesund seien und woran man das dann erkennen könnte, und worauf alles man womöglich verzichten muss, wenn man als depressive/r "gesundet" ist.

ich würde es heute ähnlich ausdrücken wie damals - und es stimmt überein mit meiner spontanen antwort auf deine eingangsfrage, bohne :
mensch sollte es ohne zweifel spüren, wenn es soweit ist. solange du dich noch so eingeschränkt fühlst, solange du mit dir und deinem wirken/leisten nicht im reinen bist, bist du noch nicht wirklich draußen.
gesund sein hat für mich auch was von ja sagen können zu dem gesamtzustand - und das nicht mit einem resignativen unterton.

ich habe auch die erfahrung machen müssen, dass ein zu frühes sich dem leistungsdruck aussetzen (und "normalität" von sich verlangen, weil es doch endlich wieder fällig wäre) der gesundung entgegensteht und sie hinauszögert blöderweise konnte ich das damals nicht spüren, erst, wenn es wieder schiefgegangen war.

liebe grüße
kormoranin
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quarktasche
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von quarktasche »

Hallo an alle,

erst mal tun mir eure Antworten gut. Danke!

Lieber Ben, ich weiß, dass ich (noch) depressiv bin. Ich wäre nach über einem Jahr nur sehr gerne weiter...

Ihr habt recht, der Leistungsgedanke ist wohl das falsche Kriterium, um sich anzunehmen. Ich versuche mir auch tapfer zu sagen, dass 8 Punkte bei meinen Prüfungen auch ausreichen. Mal sehen, wie mir das gelingt.

Die Vorstellung an meine Ängsten zu "arbeiten" und dann wieder mehr Energie für den Rest zu haben, ist gut. Ohne mehr Energie schaffe ich mein Examen nicht. Also versuche ich mein Bestes.

Ist nur verdammt schwer, die eigene "Gedankenfolter" zu durchbrechen (Wenn ich's nicht schaffe, waren die letzten 5 Jahre, Schulden etc. alles umsonst und ich bin nichts und kann gehen uswuswusw ohne Ende)

War gestern zu Besuch in meiner TK. Meine Bezugspflegerin (ein blödes Wort) und mein Ex-Therapeut dort, meinten, ich hätte mich doch sehr verändert und würde auch mal lachen. Na fein, dann geht es vielleicht doch voran.

Danke für den Link, kormoranin. Werde ich mir mal ansehen.

Herzliche Grüße an euch alle
bohne
BD
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von BD »

HALLO;

auch was Ben geschrieben hat, finde ich ganz wichtig.Bei mir ist gerade oft das das Problem.Die Leistung die ich glaube erbringen zu müssen, besteht darin, gut drauf zu sein, eher negative Gefühle nicht zu haben. Wenn ich etwas mit Angst tue, denke ich oft, es ist nicht gut genug. Da muss ich glaube ich auch noch viel lernen, diese Seiten in mir anzunehemn.

Dir Bohne weiterhin viel erfolg!

Waldsee
ben1
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von ben1 »

Hallo an alle

@ kormoranin
Ich hab auch an den thread denken müssen - Danke für den Link

@ waldsee
Das is schon komisch mit den "negativen" Persönlichkeitsanteilen - man gesteht sie allen anderen ohne Problem zu, nur selber meint man, besser sein zu müssen ... Liebe Deinen Nächsten wie DICH SELBST - also liebe und behandle Dich, wie Du auch die anderen behandelst - mit so viel Nachsicht und Verständnis. Dieser religiöse Exkurs sei an Oster gestattet

@ Bohne
Na klar, man wäre gerne weiter, würde gerne wieder funktionieren. Das ist menschlich, keine Angst. Blöd ist nur (und ich spreche wie immer autobiographisch), wenn man auch die Therapie zu einem Projekt macht, das möglichst schnell und erfolgreich zum Abschluß gebracht werden sollte. Du kennst sicherlich den Satz "Der Weg ist das Ziel" - ziemlich abgedroschen steht er in jedem Selbsthilferatgeber - und dennoch birgt er einen Kern Wahrheit. Es kommt nicht darauf an, ein feststehendes Ziel zu erreichen (denn damit nimmst Du Dir von vornherein sämtliche Entwicklungsmöglichkeiten), sondern erst mal zu gehen, sich umzusehen, mal stehenzubleiben und die Landschaft auf sich wirken zu lassen. Und beim Gehen (nicht erst am Ziel!) erhältst Du viele wichtige Informationen über Dich! Du erlebst Dich in den verschiedensten Situationen, mal euphorisch, mal gelangweilt, mal verzweifelt, mal optimistisch - all das bist Du! Und Du entwickelst im Laufe der Zeit Strategien, mit diesem Auf und Ab, das das Leben nun mal ist, umzugehen. Du erkennst, das all Deine Launen und Gefühle (ob "gut" oder "schlecht") vergänglich sind. Wie das Wetter kommen und gehen sie - mal bleiben sie länger, mal nur ganz kurz. Natürlich kann man sich einen gut geheizten Bunker bauen, um den Widrigkeiten des Wetters zu entgehen - ob das dann Leben ist, bezweifle ich.

Ben
quarktasche
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von quarktasche »

Hallo zusammen,

erst mal schöne Ostern, mit allem, was euch gut tut.

@kormoranin
Deine Definition, dass man gesund ist, wenn man sich auch so fühlt und sich annehmen kann, wie man eben ist, ist ziemlich einleuchtend. Danach bin ich noch nicht soweit.Vielleicht bringt mich die Frage, was ich vom "Gesundsein" erwarte - wie in dem Link - weiter.

@ben
Klar (?) sehe ich meine Therapie gewissermaßen als Projekt bzw. kann nicht so gelassen sein, alles eben kommen zu lassen. Ob ich will oder nicht, es ist auch eine Frage der Zeit (schon allein, weil die Krankenkasse mitredet)...

Wie entzieht man sich dem Leistungsdruck, wenn der zu den Rahmenbedingungen dazugehört und es nur ein "Ja" oder "Nein" gibt???

Mein Therapeut in der Klinik hat mal zu mir gesagt, vielleicht könne ich mich ja auch mit einer weniger angesehenen Tätigkeit "begnügen".
Ich war ziemlich sauer, was weiß der, wie es ist jahrelang (mit Vergnügen) ein Ziel zu verfolgen und dann vor verschlossener Tür zu stehen, weil man nicht mehr so leistungsfähig ist. Plus - nicht zuletzt - sehr wenig Geld für mich und meine family.
Irgendwie muss die Miete gezahlt werden, Ganz zu schweigen davon, dass ich dann zum 3.mal in einen neuen Beruf reinkommen müsste.

Ich will endlich ankommen! (So viel zu der Sache mit dem Weg ...)

Liebe Grüße
bohne

PS Heute wenigstens entziehe mich mich dem Leistungsdruck und mache NICHTS für mein Referendariat.
ben1
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von ben1 »

Hi Bohne

ich denke, was ich hier schreibe, klingt für Dich ein wenig zynisch oder weltfremd - ich habs bei mir in der akuten Phase aber genau so erlebt. Auch ich habe jahrelang ein Ziel verfolgt, es dann auch noch (mit letzter Kraft sozusagen) geschafft, und dann gemerkt, das ich MICH SELBST bei der ganzen Anstrengung ziemlich aus dem Blick verloren hatte. Und da haben sich halt alle Persönlichkeitsanteile gemeldet, die ich schlicht nicht gelebt habe.
Natürlich schreibt sich das im Rückblick einfacher, als es jetzt bei Dir ist - die Sachzwänge sind sicherlich da, aber vielleicht gibt es doch noch andere Alternativen, als die, auf die Du selbst kommst (der Vorschlag von Deinem Therapeuten z.B.). Schließlich gilt es ja, ein Lebenskonzept zu entwickeln, das längerfristig trägt.
Dir Alles Gute

Ben
quarktasche
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von quarktasche »

Hallo Ben.

nein, was du schreibst klingt für mich nicht zynisch - nur sehr weit weg von dem, was ich jetzt kann. Irgendwie fehlt mir die Geduld, mich mit den "kleinen Schritten" zufrieden zu geben.
Mein Therapeut (ambulant) hat mich gefragt, was ich bereit bin für meine Genesung zu tun. Ehrlich gesagt, hatte ich keine rechte Antwort, weil mir nichts realisierbar erscheint. Trotzdem bohrt die Frage weiter in mir, vielleicht weil ich mich oft noch zurücksehen nach der Schonung in der Klinik und irgendwie der Gedanke auftaucht, vielleicht will ich die Depression noch gar nicht "loslassen". Ziemlich erschreckender Gedanke. Der Spruch "Wer bin ich und wenn ja wieviele?" ist gar nicht so blöd.


LG bohne
ben1
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von ben1 »

Hallo Bohne

es ist eine Zeichen der Depression, nicht zu wissen, was man für sich oder die Genesung tun kann. Denn schließlich hat alles das, was wir jetzt leben dürfen (und erlauben zu leben) einen Sinn. Wir haben genug schlechte Erfahrungen mit anderen Lebensweisen gemacht (ob real oder stellvertretend durch Ängste Anderer) und außerdem meistens den Draht zu unseren Gefühlen (die uns durchaus durchs leben leiten können) verloren.

Ein Ben-Bild:
Da hängt man also wie ein Kletterer in der Wand und sieht keinen neuen Trittpunkt (oder wie das in der Klettersprache heist). In der derzeitigen Stellung (die zwar schmerzt, aber dennoch irgendwie die größere Sicherheit bietet) kann man aber auch nicht auf Dauer bleiben. Der Berg wird sich aber auch nicht verändern. Eine blöde Situation. Ein Therapeut ist nun nicht der, der Dich am Seil zum Gipfel zieht, sondern der am Fuße des Felsens steht und mit Dir andere, mögliche Trittpunkte sucht. Die können auch mal seitlich sein oder ein wenig bergab gehen (nicht nur immer nach oben blicken) - wichtig ist, das Du wieder in Bewegung kommst! Dazu ist eben nicht nur Analyse wichtig, sondern auch Intuition.

Ich finde den Satz "Vielleicht will ich die Depression noch gar nicht loslassen" sehr mutig und wichtig. Wovor "schützt" Dich denn die Depression? Ich darf mal wild spekulieren - Vielleicht davor, sich der dünnen Luft auf dem Gipfel nicht aussetzen zu müssen oder vom Ausblick nach der langen, anstrengenden Tour enttäuscht zu sein?

Vielleicht passt das Bild - vielleicht auch nicht. Freu mich, wieder von Dir zu hören

Ben
BD
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von BD »

Hallo BEn,

ich finde deine Bilder immer wieder sehr gut und nachdenkenswert!

Grüße
Waldsee
quarktasche
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von quarktasche »

Hallo Ben,

das Klettererbild ist ganz passend. Allerdings wäre ich wohl ein Kletterer mit Höhenangst, jedenfalls z.Zt.

Dünne Luft auf dem Gipfel? Vielleicht, obwohl ich das nicht recht glaube.

Wovor mich die Depression schützt? Praktisch erst mal vor nix, weil ich nicht mehr krankgeschrieben bin. Vielleicht schützt sie mich vor dem Gefühl, allein aus Unfähigkeit heraus zu scheitern... Mein größter Horror, außer einem Rückfall.

Ich versuche nur den nächsten Schritt zu sehen, es sind nbloß so viele, die wollen, dass ich das -und- das -und- das- und -das- dann- auch-noch mache. Jeder Ausbilder, andere Vorstellung, aber alles immer oberwichtig.

Leider bin ich nicht mehr so schnell wie vorher. Mal eben eine Unterrichtseinheit zu planen, geht nicht. Mal ist der Kopf zu voll, mal zu leer oder ich verliere mich in einer Flut von Infos und Wenns und Abers.

Arbeitest du? Und wenn ja, wie kommst du damit klar?

LG
bohne
ben1
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von ben1 »

Hallo Bohne

ja, ich arbeite. Und ich würde mich nicht mehr als depressiv bezeichnen (meine Phase ist mittlerweile 8 Jahre her). Klar gibts auch bei mir heute noch Tage oder Stunden, wo sich die Depression meldet, und auch da hat sie mir immer noch was zu sagen, wenn ich hinhöre. Aber (um im Bild zu bleiben) ich hab mittlerweile für mein Arbeitsleben festgestellt, das ich auch auf dem Bergwanderweg zum Gipfel komme und nicht die steile Kletterwand bemühen muss - da komm ich nicht so schnell außer Atem. War am Anfang nicht ganz leicht, mich selbst als Wanderer zu akzeptieren, aber es geht seither sehr viel ruhiger und bewußter in meinem Leben zu.

OK, vielleicht schützt Dich die Depression "alleine aus Unfähigkeit zu scheitern" - vielleicht bist Du aber gar nicht unfähig (den Eindruck hab ich nämlich), aber die Erwartungen (Deine? die der anderen? die, die Du glaubts, das andere an Dich haben?) sind zu hoch.

Gerade Perfektionismus führt häufig zu Handlungsunfähigkeit, da ich den Berg ja nicht "irgendwie" bezwingen will, sondern auf direktem, optimalen Weg.

Wer sind denn die Ausbilder - sind das andere Lehrer? Nimm die nicht so wichtig - bei uns sind nur die Leute Lehrer geworden, die entweder zu blöd waren, was anders zu studieren oder die die Schule auch im hohen Alter einfach nicht verlassen wollten (das muss man aber nicht verallgemeinern, das ist nur meine ganz subjektive Erfahrung - es gibt auch sehr gute Lehrer). Auch Du musst oder darfst ja Deinen eigene Stil als Lehrer finden - da können von anderen gute Tipps dabei sein, mehr aber nicht!

Grüße

Ben
quarktasche
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von quarktasche »

Hallo Ben,

schön, dass du für dich bezüglich der Arbeit einen Weg gefunden hast.

Zu deiner Frage: Ja, die Ausbilder sind alle Lehrer, aber ich kenne nur zwei die noch in der Schule sind.
Zu den Ausbildern im Seminar kommen noch 1-2 Mentoren an der SChule und wenn man Pech hat, schaut auch noch die Schulleitung rein... Also ziemlich viele sehr unterschiedliche und unterschiedlich anspruchsvolle Menschen. Ach ja, außerdem kann man Pech haben und muss seine Stunde vor dem gesamten Seminar zeigen, das können dann mal 20 Leute und 10 Schüler sein... Was für ein Murks!

Naja, ich mag gar nicht darüber nachdenken. Irgendwie hat die Ausbildung etwas von einem Initationsritus, den man hinter sich bringen muss.

Meine eigenen Ansprüche versuche ich niedrig zu halten (kein Unterrichtsbesuch unter 5 Punkten, da fällt man durch). Es bleibt genug zu tun.

So, jetzt habe ich dir einen kleinen Einblick in die hessische Lehrerausbildung gegeben. Und auch ich kann sagen: es gibt superengagierte, nette Lehrer, die keineswegs um 13 Uhr die Kreide aus der Hand fallen lassen.
Ob ich jemals dazugehöre, weiß ich nicht, ich fühle mich durch die Depression disqualifiert.

Viele Grüße
bohne
ben1
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von ben1 »

Hallo Bohne

mir ist beim nochmal-lesen des Threads noch was aufgefallen, was ich auch aus meiner akuten Phase (aber auch heute noch) gut kenne - das Gefühl, das man weniger Energie hat als früher.
Meine (also völlig subjektiv, aber vielleicht kannst Du das nachvollziehen) Theorie dazu ist, das die Energie, die zur Verfügung steht, immer die selbe ist. Die Frage ist nur, wie viel Energie ich aufwenden muss, um mit mir selbst klarzukommen - der Rest steht immer für Tätigkeiten "außerhalb" von mir zur Verfügung.

Gerade in der Depression oder in depressiven Phasen werden wahrscheinlich 90% der Energie für "innere Prozesse" verwendet, daher fühlt man sich beim Funktionieren in der Außenwelt so eingeschränkt. Was mit sehr gut geholfen hat war die Beschäftigung mit dem inneren Team (siehe z.B. Schulz von Thun oder Voice Dialogue) - da wird die eigene Person nicht als Einheit gesehen, sondern viele, viele Interessensvertreter tummeln sich in jedem Menschen. Der Antreiber, der möglichst erfolgreich sein will, der Kritiker, der alles runtermacht, das ängstliche Kind, das sich vor allem neuen fürchtet, der Genießer, der das Leben in vollen Zügen genießen will, der Schmeichler, der es immer allen recht machen will, der Sandler, der gern in den Tag hineinlebt und einfach mal ruhig auf dem Sofa liegen möchte und und und.

Die Aufgabe jedes einzelnen ist nun, diesen Haufen verschiedenster Wünsche, Sehnsüchte und Ängste (wie ein guter Bürgermeister eines kleines Dorfes) unter einen Hut zu bringen - und das bedeutet, allen Persönlichkeitsanteilen auch Daseinsberechtigung, Rechte und Pflichten zuzugestehen. Wird diese Aufgabe nicht gesehen und angegangen, herrscht innerer Bürgerkrieg! Damit ist die Energie gebunden - und zwar in innerpersönlichen Prozessen - und man wundert sich, warum nicht mehr alles so leicht von der Hand geht, wie früher (als ein paar Schwergewichte die Macht übernommen haben und man sich komplett mit denen identifiziert hat). Es gibt z.B. viele Menschen, die denken, sie "sind" ihr Antreiber - von einer Aufgabe hetzen sie zur nächsten, immer höher, weiter, schneller - die lassen die anderen Anteile einfach nicht hochkommen - mit dem Ergebnis, das diese sich in den Untergrund verziehen und von dort aus agieren (die wecken Dich dann mitten in der Nacht auf oder melden sich gerade dann, wenns überhaupt nicht passt (Panikattacken, Sinnlosigkeitsgefühl, Verzweiflung usw.). Wenn Dich das interessiert, schau doch mal hier http://www.zeitzuleben.de/artikel/perso ... logue.html oder lies mal http://de.wikipedia.org/wiki/Inneres_Team . Ich finde diese Metapher sehr praktikabel.

Was sagt z.B. Dein ängstliches Kind zu der ganzen Ausbildung, was Dein Kritiker, was Dein Antreiber? Was würde der Sandler gerne tun?

Und Du hast natürlich recht - es gibt mit Sicherheit sehr viel motivierte Lehrer - und ich denke, Du kannst einer von denen werden (denn was Dich auszeichnet (und ein großer Gewinn der Depression sein kann) ist, das Du Dir eben Gedanken machst über Dich und das, was Du da machst, über Möglichkeiten und Grenzen - ein selbstreflexiver und dadurch sehr realistischer Ansatz.

Ben
wennfrid
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von wennfrid »

Hi Ben1
Deine Vorstellung von dem Bild des Bergsteigers hat mir bewußt gemacht, daß ich vermutlich meine Depression selber am Laufen halte. Im Unterbewußtsein will ich meine Depression festhalten, um dadurch nicht Zukunftsängste, Existenzängste und Angst von "vererbten Ängsten" spüren muß. So sind diese Ängste zu erst da, lösen dann meine Depression aus und "schützen" mich dadurch von den realen Gefühlen. Ich versuche jetzt, meine Ängste zu überwinden und hoffe, daß die Depression mit ihren Symptomen verschwindet. Der Satz: "Vielleicht will ich meine Depression gar nicht loslassen," trifft den Nagel auf den Kopf.
Schaun ma mal.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
ben1
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von ben1 »

Hallo Fridolin

freut mich, dass das Bild so viel auslöst.

Ich denke, Ängst wollen nicht (nur) überwunden, sondern erst mal verstanden werden (die sind nicht der Feind, sondern haben erst mal Sinn - in welchem (sehr subjektiven, lebensgeschichtlichen) Zusammenhang, muss jede/r für sich selbst rausfinden). Erst, wenn ich weis, warum ich Angst habe, das Motiv dahinter auch würdige und verstehe, kann ich mich der Angst (Schrittweise) stellen und andere Erfahrungen machen.

Alles Gute!

Ben
BD
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Re: Merkt man überhaupt, dass man gesund ist?

Beitrag von BD »

Hallo Ben,

cih habe in einer Reha auch die Arbeit mit dem inneren Team kennengelernt, merke aber wie es etwas in Vergessenheit geraten ist und es mir hier zu Hause schwer fällt, mich damit zu beschäften. Daher würde mich interessieren wie Du ganz praktisch damit arbeitest. Schreibst Du auf, was jeder Anteil denkt oder sich wünscht? Wie bekommt man die Anteile in Einklang? Denn das kam bei mir auch deutlich raus, dass "Bürgerkrieg" herrscht und der herrscht wahrscheinlich immer noch und raubt mir meine Kraft (finde das Bild, dass wir immer die gleiche Energie haben und es nur die Frage ist, wo sie hingeht gut).

Meine Therapetuin meinte erst gestern, ich müsste meinen eignen Standpunkt finden, meine ´Mitte, dass ich zu sehr nach andren gucke. Und im Grunde heißt das ja übertragen, wie kann mein Team zusammenarbeiten, oder?

Grüße
Waldsee
Antworten