Wie kann ich meinen Vater entmachten?

FönX
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von FönX »

> dass sehr viele von uns depris sich "fremd bestimmen" lassen
Das ist ja einer der Gründe, weshalb wir depressiv geworden sind. Vielleicht hilft dir das Bild, das mir im Gespräch der Freund, den ich oben erwähnte, gebrauchte:

Ich stehe einem Menschen gegenüber. Ich bin 100%, er ist 100%. Der Gegenüber bläst sich auf 150% auf. An mir liegt es, zuzulassen oder nicht, ob ich auf 50% schrumpfe. Vielleicht schaffe ich es schrittweise, erst nur noch auf 60, auf 80, 90% und schließlich gar nicht mehr zu schrumpfen, sondern "bei mir zu bleiben" und vollwertig. Vermutlich ist das ein hartes Training. Wahrscheinlich braucht man Hilfe, Therapeuten und/oder Antidepressiva.
FönX

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bradforhelp
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von bradforhelp »

Hallo,

ich glaube, ich möchte einfach mal ein "gut" wie in der Schule. So in der Art wie "Ich bin stolz auf dich, du hast was aus deinem Leben gemacht! Du hast einen Mann, der zu dir passt und wohlgeratene Kinder!" So ist das nämlich.
Ich glaube, ich bin meiner Mutter manchmal unheimlich. Durch Bildung bin aus einer eher bildungsfernen Schicht gesellschaftlich "aufgestiegen". Meine Mutter stellt aber alles, was ich weiß, in Frage.
Never ending story.

brad
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Albert Camus
Clown
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von Clown »

Liebe Brad, FönX, alle,

ich erlebe ungemein befreiende Dinge mit der Arbeit mit dem 'Wunderpunkt'.

In deinem Fall, Brad, was du gerade geschrieben hast, würde, das so aussehen:

Du reibst (kleine Kreisbewegungen) mit angenehmem Druck den Wunderpunkt links unter deinem Schlüsselbein. Dabei sagst du dreimal (oder öfters) mit richtig deutlich lauter Stimme: "Ich liebe und akzeptiere mich von ganzem Herzen, auch wenn es für meine Mutter nicht gut ist, wenn ich etwas aus meinem Leben gemacht habe."

Mache diese Übung öfters, besonders dann, wenn du das Gefühl hast, jetzt erwischt dich wieder das alte Muster ...

Du kannst auch die Inhalte (den ... auch wenn ...-Teil) variieren. Es ist gut, den Satz so genau und treffend für dein Gefühl/deine Situation wie möglich zu formulieren.

Viel Spaß beim Ausprobieren!



Clown

Wunderpunkt ist da: (scrollen zur 8./9. Seite)
http://www.brigitte-heyden.de/energetische-praxis.pdf
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Eckhart Tolle
FönX
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von FönX »

@brad und alle anderen, die sich nach Lob sehnen:

Und auf einmal steht es neben dir

Und auf einmal merkst du äußerlich:
Wieviel Kummer zu dir kam,
Wieviel Freundschaft leise von dir wich,
Alles Lachen von dir nahm.
Fragst verwundert in die Tage
Doch die Tage hallen leer.
Dann verkümmert deine Klage...
Du fragst niemanden mehr.
Lernst es endlich, dich zu fügen,
Von den Sorgen gezähmt.
Willst dich selber nicht belügen
Und erstickst es, was dich grämt.
Sinnlos, arm erscheint das Leben dir,
Längst zu lang ausgedehnt. — —
Und auf einmal — —: Steht es neben dir,
An dich angelehnt — —
Was?
Das, was du so lang ersehnt.

(Joachim Ringelnatz)
FönX

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Babi
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von Babi »

Hallo FönX,
das Gedicht ist sehr sehr schön!
Fühl mich da verstanden!
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
(Exupery)
:) ;)
karlkraus
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von karlkraus »

Hallo, FönX,

Paradigmenwecsel, Du hast es an- und ausgesprochen, einfach 'mal die Sichtweise ändern. Mir hilft das meist viel, doch die Schwierigkeit besteht eben darin, auf diesen Gedanken zu kommen, wenn man eben einen Standpunkt eingenommen hat und von seinen Ängsten umringt scheint. Und dann, diesen Ring zu durchbrechen. Nicht immer tritt die Wirkung sofort ein, manchmal muss man sich an die neue Sichtweise auch erst gewöhnen.

Zu Beginn meiner ambulanten Suchttherapie, die mir - so schien's - von meinem damaligen Chef "aufgezwungen" war, sollte eventuell ein recht schwazhafter "Kollege" ebenfalls daran teilnehmen (was aber dann doch nicht geschah). Tagelang hatte ich nur den Gedanken, was wird sein, wenn bei den Kollegen "herauskommt", was ich mache. Bis mir der Gedanke kam, dass das "Problem" nicht meines sei, sondern das meines Chefs. Mir ging's direkt besser, und nach einem Gespräch mit meiner damaligen Therapeutin darüber ging's mir gut.

Deine Ängste wiegen schwerer, doch ich meine, es ist einen Versuch wert, und hoffe, dass Du da raus kommst - wie auch immer.
Gruß



Tucho
momadome
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von momadome »

Hallo Fönx, brad, elas und alle anderen!

Ein Thema das wohl sehr viele von uns betrifft, so auch mich und das Verhältnis zu meiner Mutter.

Ich habe vieles von dem, was hier angesprochen wurde kennengelernt und versucht anzuwenden, z.B. das innere Kind, sich selbst zu lieben und dadurch nicht mehr so bedürftig zu sein....

Jedes dieser Puzzleteilchen hat mir einen Schritt weitergeholfen, doch mir fehlte immer das "warum?". Warum kann meine Mutter keine Gefühle zeigen, woher kommt dieses übersteigerte Sicherheitsdenken und nur das gelten lassen als Erreichtes, was man materiell vorzeigen kann. Woher kommt diese Haltung "Augen zu und durch", ohne Rücksicht auf die Gefühle ihrer Kinder.Und viele ähnliche Fragen mehr.

Zwei Bücher haben mir jetzt geholfen ein wenig Licht in dieses Warum zu bringen.
-Kriegsenkel von Sabine Bode
-Wir Kinder der Kriegskinder von Anne-Ev Ustorf

Beide Bücher beschäftigen sich mit der Generation der zw. 1955 und 1970 geborenen.
Deren Eltern waren im Krieg Kinder und haben dadurch und durch die Not der Nachkriegsjahre Dinge erlebt, die Kinder weder verstehen noch verarbeiten können. Diese Erlebnisse prägten oft das ganze weitere Leben, ohne daß den Menschen dieses bewußt war. Und hat sich über das Verhalten der Eltern uns gegenüber auch auf unsere Generation fortgepflanzt.

Ich hatte beim Lesen dieser Bücher mehrere Aha-Effekte, die mir geholfen haben, das Verhalten meiner Mutter einzuordnen und für mich abzuhaken. Auch sie war und ist ein Produkt ihrer Zeit und ihres Erlebens, was nicht alles entschuldigt, aber einiges verständlich macht.Und mir im Endeffekt geholfen hat einen anderen Umgang mit ihr zu finden.

Nicht immer - aber immer öfter!

Grüße ins Rund

jojoma
Clown
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von Clown »

Jojoma's Hinweis finde ich gut. Dazu hätte ich auch noch den Buchtipp:

Wolfgang Schmidbauer:
Ich wußte nie, was mit Vater ist. Das Trauma des Krieges.



Clown
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FönX
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von FönX »

Hallo jojoma,

das war auch meine Erkenntnis. Meine Eltern waren kleine Kinder, machten noch in die Windeln, als Adolf +++ kam. Als sie in der Pubertät waren, war Krieg. Und so waren sie eigentlich ihrer Kindheit beraubt. Ich glaube, sie haben das auch nur ertragen können, indem sie ihre Gefühle verdrängten. Also auch bei ihnen ein erlerntes Verhalten. So war ihnen das Erleben von Gefühlen und besonders das Zeigen derselben fast unmöglich. Dafür kann ich Verständnis aufbringen.

Dass wir heute Verletzungen haben, ist Tatsache. Ob unsere Eltern sie uns willkürlich oder unabsichtlich beigebracht haben, oder ob sie durch andere Umstände entstanden sind, ändert an den Verletzungen nichts. Mit ihnen müssen wir fertig werden und sie in unser Leben integrieren.

Ein querschnittgelähmter Rollstuhlfahrer kann sein Gefährt verfluchen oder es zum Freund machen, das ihm eine gewisse Mobilität verleiht, auf die er sonst verzichten müsste. Auch hier eigentlich "nur" Sache unserer Sichtweise, Blickrichtung.
FönX

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Andreas01

Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von Andreas01 »

Hallo jojoma,
Deinen Beitrag finde ich einfach klasse, weil es so ist !!!!!!
Wenn bei mir mal wieder die "Unzufriedenheit"
überhand nehmen will, dann lese ich ein paar Seiten im Buch "Die große Flucht" (Das Schicksal der Vertriebenen) von Guido Knopp,
das hilft um festzustellen das es uns heute verdammt gut geht.

ISBN 3-430-15505-3

Nun was die Eltern angeht leide ich eher darunter dass sie sehr früh starben, als das ich warscheinlich mit ihnen Probleme hätte wenn sie noch leben würden.

Gruß
Andreas
tomroerich
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Jojoma,

Jedes dieser Puzzleteilchen hat mir einen Schritt weitergeholfen, doch mir fehlte immer das "warum?". Warum kann meine Mutter keine Gefühle zeigen, woher kommt dieses übersteigerte Sicherheitsdenken und nur das gelten lassen als Erreichtes, was man materiell vorzeigen kann. Woher kommt diese Haltung "Augen zu und durch", ohne Rücksicht auf die Gefühle ihrer Kinder.Und viele ähnliche Fragen mehr.


Warum hilft das Wissen über die möglichen Gründe dieses Verhaltens? Weil man sich dann sagen kann: "Hatte ja nichts mit mir zu tun"

Und ich denke mir, solange ich das immer noch nicht verstanden habe, dass es ja sowieso nie etwas mit mir zu tun gehabt hat, ist auch das nur eine gedankliche Beruhigung, die nicht an die Wurzeln des Problems geht. Ich nehme dann immer noch an, dass eine besondere Bedeutung darin steckt, warum mich jemand wie behandelt hat.

Wenn dann z.B., wie hier berichtet wurde, der spätere Partner Macht auszuüben scheint, wird wieder eine Erklärung benötigt.



Thomas
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Regenwolke
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von Regenwolke »

Hallo Thomas,

>Warum hilft das Wissen über die möglichen Gründe dieses Verhaltens? Weil man sich dann sagen kann: "Hatte ja nichts mit mir zu tun"

Ich denke, es hilft hauptsächlich, weil man sich mit Hilfe dieses Wissens besser in ein Elternteil einfühlen kann, und das bringt einander näher.

LG, Wolke
FönX
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von FönX »

Zumindest hat mir mein Wissen über die Lebenshintergründe meiner Eltern mich davor bewahrt, mich in einen Hass-Wahn ihnen gegenüber hineinzusteigern, der auch unrealistisch und schädlich wäre. Wie gesagt, wenn meine Eltern Scheiße gebaut haben, sind Verletzugngen die Folge, mit denen ich heute real zu tun habe, egal ob meine Eltern böse, unfähig, bescheuert oder durch die Situation überfordert waren. Wenn ich mich bemühe, meine Eltern aus damaliger Sicht zu verstehen, heißt das noch lange nicht, ihnen eine Absolution zu erteilen.
FönX

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tomroerich
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von tomroerich »

Wenn ich mich bemühe, meine Eltern aus damaliger Sicht zu verstehen, heißt das noch lange nicht, ihnen eine Absolution zu erteilen.

Was ist dann "Verstehen" für dich? Kann man jemanden verstehen und ihn trotzdem für schuldig halten?

Wenn man aus heutiger Sicht sagt, dass etwas schief gelaufen ist und damit eine Schuld verknüpft, dann sagt man damit auch, dass es hätte anders laufen können.

Ebenso wie Menschen von Kriegen heimgesucht werden, durch die sie in die tragischsten Situationen geraten, werden sie auch von allen möglichen anderen Unglücken heimgesucht. Hunger, schlechte Kindheit, Krankheit, Verlassenwerden... die Liste ist lang.

Es hat noch nie geholfen, das Schicksal dafür anzuklagen und nach Schuldigen zu suchen. Durch andere Menschen verletzt zu werden ist nicht wesentlich anders, als in Chile das Haus durch ein Erdbeben zu verlieren. Die Katastrophe kann ähnliche Ausmaße haben. Nur denken wir gerne, die Verletzung durch einen Menschen könne man durch eine Schuldzuweisung irgendwie bewältigen. Einem Erdbeben kann man nicht böse sein, in dem Fall wird ein imaginärer Gott angeklagt.

Aber in keinem Fall wird irgendetwas bewältigt, solange man nicht bereit ist, die Folgen des Unglücks herzugeben und zu vergeben. Jedes schlechte Gefühl, das man in ein Unglück investiert, ist wiederum ein Unglück und nährt es. Wenn man nicht will, dass es einen bis an das Lebensende verfolgt und in tausenfacher Weise das Leben vergiftet, sollte man es ad acta legen und vergeben.

Es werden raffinierte Gedanken um ein Unglück drumherum gestrickt, die sich um Gerechtigkeit, Schuld etc. drehen. Alles nur, um nicht sagen zu müssen: OK. Es war einmal. Ab heute will ich nicht mehr, dass mein Leben vergiftet wird. Und alle Spekulation darüber, ob jemand auch anders gekonnt hätte, als er einmal gehandelt hat, soll mich nicht mehr interessieren.

Wenn ich mein eigenes leben anschaue, dann habe ich Dinge getan, die ich so heute nie tun würde. Aber damals schien es eben eine gute Ideee zu sein, die durch irgendwas gerechtfertigt erschien. So geht es eben jedem.



Thomas
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FönX
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von FönX »

Hi lieber Thomas,

> Was ist dann "Verstehen" für dich? Kann man jemanden verstehen und ihn trotzdem für schuldig halten?
Ich denke schon. Mir geht es darum, meinen Eltern in die Augen sehen zu können, ohne sie zu hassen. Mit Hass tue ich niemandem Gutes. Schaden tute ich nur mir damit. Ich kann an ihrer Schuld so wenig ändern wie an anderen vergangenen Umständen. Wenn ich mir die Mühe gebe, den Hintergrund der Eltern anzusehen, fällt es mir leichter, sie heute zu akzeptieren.

> Aber in keinem Fall wird irgendetwas bewältigt, solange man nicht bereit ist, die Folgen des Unglücks herzugeben und zu vergeben. . . .
So isses! Und dazu muss ich verstehen. siehe oben. Ist das für dich ein Widerspruch? Für mich passt das gut zusammen.

Im Übrigen geht es mir wie dir. Durch eigene, neuere Fehler habe ich mich selbst in die Depression manövriert. Berufliche Fehl- oder Nicht-Entscheidungen waren da. Warum habe ich z.B. nicht loslassen können vom falschen Beruf? Auch das hatte seine Gründe, die nicht nur bei mir liegen. Heute weiß ich das alles. Ich kann daran nichts ändern. Aber ich verstehe es und kann es akzeptieren und werde nach und nach auch meine Vergangenheit loslassen können. Das gelingt mir heute schon besser als gestern. Morgen wird es mir noch leichter fallen.
FönX

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bradforhelp
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von bradforhelp »

Hallo,

ich frage mich manchmal, was dieses Wissen nützt? Hilft euch, eure Eltern zu verstehen? Mein Vater war im Krieg Soldat in Russland (Stalingrad) an der Front und ist nur nicht im Kessel umgekommen, weil er rechtzeitig Heimaturlaub antreten durfte. Er war Musiker und hatte mehr Urlaub als andere. Er hat erst sehr spät, ich war lange erwachsen, über seine Erlebnisse im Krieg ernsthaft gesprochen. Mein Vater hat mir aber, zumindest direkt, gar nichts "angetan".
Meine Mutter hat im Krieg Schlimmes erlebt, Flucht, Vertreibung, Vergewaltigung ihrer Schwester. Aber man konnte nie mit ihr darüber reden. Meine Geschwister und ich haben auch das so nach und nach erfahren. Was ich total merkwürdig finde, dass sie keinen Kontakt zu ihren 5 Schwestern gehalten hat, immer nur sporadisch.
Ich fühle mich in alles auch ein und kann mitleiden. Ich finde es auch absolut spannend und interessant, aus der Jugend, den Kriegstagen usw. zu hören. Aber so richtig nützt mir das alles nicht.
Was hat meiner Mutter das Recht gegeben, mich wie eine Freundin zu behandeln, wenn es ihr genehm war und wie ein Kind, wenn es besser passte? Da war gar keine Linie. Sie hat für mein Leben einen Plan entworfen, ein Leben, das sie gern gelebt hätte. Ich musste mir alles erkämpfen. Jede/r, der die mir nahe kam, war nicht gut genug für mich.
Ich hoffe, ich strapaziere euch nicht über. Ich kann über meine Mutter sagen, sie hat es so gut gemacht, wie sie eben konnte.

brad
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elas
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von elas »

Guten Abend, in die Runde,

diese Eltern, diese Kriegseltern.
brad, was Du erzählst, haben meine Eltern ähnlich erlebt.

Mein Vater war kriegstraumatisiert , körperlich, und ist deswegen, morgen ist es 20 Jahre her, sehr früh nach ganz langer Krankheit gestorben.
Er hat mich nie dirket durch Klagen belastet.
Aber es war doch trotzdem spürbar, dieses Leid, diese Trauer, obwohl er ganz ganz gut das alles gemacht hat.
Also ich erwachsen war, haben wir dann doch mal über einige Eckpunkte geredet.

Bei meiner Mutter kommt die eigene Vergewaltigung neben dem von brads Mutter Erlebtem noch dazu.

Ich erzähle Euch das jetzt nicht deswegen, um so eine Rangliste aufzustellen, welche Eltern haben mehr erlebt, welches Kind hat deswegen mehr erlitten etc.

Natürlich hat mich meine Mutter missbraucht, weil sie mir als Kind und in ihrer eigenen Not viel zu viel Schlimmes erzählt hat.
Das hätte keiner Tochter zugemutet werden dürfen.

Als junge Frau war ich nicht frei von Hassgefühlen etc. etc.

Und je älter ich werde, umso mehr bin ich auch froh, dass ich mich, auch in den letzen Jahren noch einmal auf Spurensuche gemacht habe.

Es gibt mir ein besseres Verständnis auf meine Herkunft.

Thomas, für mich geht es schon lange, sehr lange gar nicht mehr um die Schuldfrage.
Diese Dinge sind geschehen.

Aber, und nun komme ich zu des Pudels Kern.
Meine greise Mutter lebt fast nur noch in der Vergangenheit. Und bei den Besuchen bei ihr, kommt immer wieder ihr unverarbeitetes Schicksal hoch. Sie erzählt halt von den Sachen, je älter umso mehr.
Abwürgen mag ich diese psychotische und greise Mutter nicht mehr mit diesem Thema.
Bei jedem 2.mal schon. Manchmal werde ich auch wütend.

Und, es triggert mich dann doch ab und an.
Nicht immer, ober doch viel zu oft.
Wenn es mir richtig gut geht, dann kann ich auf Durchzug stellen. (Tiefgrund).

Aber manchmal habe ich ja auch meine eigenen Sorgen und Probleme.
Und dann bin ich sozusagen mit meinem Schmerz und den Defiziten dieser Lebenssituation konfrontiert.

Und dann sind vorallem nachts, nach solchen Besuchen die Phantasien und Gedanken da, wie schade das alles ist, dass es meinen Eltern nicht besser gehen durfte, und dass dadurch auch soviel Mist in der Familie passiert ist.

Es ist Wehmut und Trauer. Immer noch, längst kein Hass mehr.

In guten Phasen kann ich sehen, dass genau dieser Lebensweg und diese Erfahrungen mich zu der Frau gemacht haben, die ich bin.
Mit diesen Stärken auch, die ich ja auch mag an mir.

Aber auch mit meinen nicht zu knappen Unzulänglichkeiten.

Und dann gibt es diese Phasen, wo ich erkennen muss, dass ich stärker mein eigenes Leben leben muss und auch darf,
und nicht mein Leben und meine Energien an meine Mutter geben darf.

Es ist ein Ringen, eine Gratwanderung. Jedenfalls solange meine Mutter noch lebt.

Falls irgendwas, was ich hier erzähle die Grenzen des Forums überschreitet, dann sagt es.

Herzlich
elas
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elas
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von elas »



...jetzt habe ich es rund für mich.

Aus all dem, was ich eben (und auch in meinen beiden Threads) erzählt habe, ist diese tiefe Sehnsucht nach einem guten Ende für meine Mutter (Eltern) entstanden und eben auch das tiefe Bedürfnis nach einer gemeinsamen Grabstätte, die ich hier in der Nähe vielleicht ab und an, auch vielleicht mit meinem Bruder besuchen könnte.

Aber da habe ich ja jetzt losgelassen.


Insofern, überschneidet sich mein Thread dauernd mit Deinem FönX.

Ich weiß, Du bist nicht zornig deswegen. Danke.
________________________________

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tomroerich
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von tomroerich »

Was hat meiner Mutter das Recht gegeben, mich wie eine Freundin zu behandeln, wenn es ihr genehm war und wie ein Kind, wenn es besser passte? Da war gar keine Linie. Sie hat für mein Leben einen Plan entworfen, ein Leben, das sie gern gelebt hätte. Ich musste mir alles erkämpfen. Jede/r, der die mir nahe kam, war nicht gut genug für mich.
Ich hoffe, ich strapaziere euch nicht über. Ich kann über meine Mutter sagen, sie hat es so gut gemacht, wie sie eben konnte.

Hallo Brad,

was hat meiner Mutter das Recht gegeben, mich als Kleinkind an ein Tischbein zu binden oder mich ins dunkle Badezimmer zu sperren? Später im Leben hat sie sehen können, wie dumm sie war.

Um ein Kind günstig aufwachsen lassen zu können, muss eine menschliche Reife dasein, die es nicht sehr häufig gibt. Wie will ein Elternteil verstehen, was ein Kind braucht, wenn er sich nicht selbst versteht? Wie will jemand ein Kind als einzigartiges Wesen respektieren, der garnicht versteht, was das ist?

Wer zu sich selbst findet, wird von selbst auch den Umgang mit anderen und seinen Kindern finden, weil er in sich selbst die Vorlage dazu hat. Und umgekehrt wird jemand, der sich selbst nicht schätzt, auch sein Kind nicht schätzen und ihm alles mögliche überstülpen wollen an Ideen, wie jemand zu sein hat. Alle diese Schwierigkeiten lassen sich darauf zurückführen, dass Menschen neben sich stehen und von unsinnigen Ideen geprägt sind. Aber jemand, der sich selbst wirklich gefunden hat, weiß aus sich selbst heraus den Umgang mit anderen.

So pflanzt sich diese Selbstverlorenheit eben
fort. Selbstverlorene bringen andere so durcheinander, dass die sich dann auch verlieren und erst unter Schmerzen zu sich zurückfinden müssen. Das alles ist keine Frage von Wollen und einer freien Enscheidung. Es geschieht unter Zwang und aus Unwissenheit. Wie eine ansteckende Krankheit.

Du hast ganz Recht, deine Mutter hat es so gut gemacht, wie sie konnte. Und meine auch.



Thomas
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bradforhelp
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von bradforhelp »

Hallo,

es tut mir sehr gut, dass ich mich euch mitteilen kann. Es ist für mich so wertvoll zu wissen, dass bei euch Parallelen gibt und ich nicht allein da stehe mit meinen Gefühlen und meinem Verstand. Das dachte ich eine Weile, dass man durch Nachdenken zu Lösungen kommen kann. So ganz geht das eben nicht.

brad
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Albert Camus
Zorra
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von Zorra »

Hallo Thomas,

was du schreibst ist richtig.

Trotzdem merke ich so ganz stark, dass etwas Wesentliches mir fehlt: Ich wollte LIEBE von meinen Eltern. Das ist schlicht ein Gefühl. Das ist nicht kopfgesteuert, sondern vom Herzen. Und ich habe nichts gegen Kopfsteuerung - bin selber so.

Aber insofern ist für mich die Frage, wann hat ein Mensch die nach deinen Worten erforderliche Reife?

Du kannst mir gern widersprechen, aber für mich ist es so, dass mein Kind deutlich spüren muss, dass ich es liebe - und zur Liebe gehört für mich Annahme in seinem ganz besonderen Sein.
Und es stimmt aus meiner Erfahrung nicht, dass ich mich selber lieben muss, um das weiterzugeben. Das ist natürlich das Optimale - das ist schon richtig. Aber ausschließlich würde ich es so nicht formulieren.

Als ich meine Tochter bekam, war das insofern ein großer Wandel, dass ich beschlossen, habe: ich breche den Kreislauf der Generationen vor mir, wo über Gefühl nicht geredet wurde, wo andere Werte galten, streng, unnachsichtig ...

Ich hatte Glück, ich konnte mein Kind vorbehaltlos lieben und habe über sie auch viel in dieser Richtung gelernt. Sie sollte das, was ich erlebt habe, nicht durchmachen - das ist mir gelungen.

Ich habe natürlich auch nicht immer alles richtig gemacht - aber sie hat mal zu mir gesagt, sie hat sich immer geliebt gefühlt. Und wenn ich sie heute sehe, fühle ich mich darin bestätigt, dass diese Liebe, die gegeben wird, eine wesentliche Grundlage für ein glückendes Leben ist.

Aber mich selber lieben gelernt habe ich erst in vielen Jahren danach und mit Hilfe der Therapie.

Nicht böse sein, aber das lag mir jetzt mal so auf dem Herzen - mal weg vom Kopp

LG von der Maskentänzerin


Wir sind nicht die Masken, die wir tragen ... doch wenn wir sie zu lange aufhaben, werden wir dann nicht wie sie?

© Aya Yven

momadome
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von momadome »

Hallo Thomas und alle anderen!


-Warum hilft das Wissen über die möglichen Gründe dieses Verhaltens? Weil man sich dann sagen kann: "Hatte ja nichts mit mir zu tun"-

Das denke ich nicht. Denn wenn ich verstehen kann warum meine Mutter so ist, wie sie ist,dann kann ich verstehen was viele ihrer Handlungen verursacht hat. Und wie du auch geschrieben hast:

-Wie will ein Elternteil verstehen, was ein Kind braucht, wenn er sich nicht selbst versteht? Wie will jemand ein Kind als einzigartiges Wesen respektieren, der garnicht versteht, was das ist?-

Die wenigsten aus unserer Elterngeneration werden die Hilfe eines kompetenten Fachmanns gehabt haben, der mit ihnen ihre Erlebnisse und Traumata aufgearbeitet hat. Wie sollten sie sich selbst verstehen und wissen, das Kinder einzigartige Wesen sind, wenn sie selbst mit der schwarzen +++-Pädagogik aufwachsen mußten, deren erklärtes Ziel eben gerade keine!! einzigartigen Menschen waren.Sie mußten ihr Leben irgendwie leben und bekamen ihre Handlungen nicht von Psychologen erklärt.

Wir, die Kinder dieser Eltern, sind unter anderem auf Grund unsrer Erziehung durch diese Eltern krank geworden. Doch wir haben eben auch durch die Therapie, die wir machen konnten, gelernt was uns schadet und was gut für uns ist, warum wir Dinge getan haben und wie wir Dinge in Zukunft anders oder besser machen können. Und wir können vielleicht auch irgendwann, wenn für jeden einzelnen von uns der richtige Zeitpunkt gekommen ist, die Verletzungen vergeben, gerade auch weil mancher verstanden hat wie es dazu kommen konnte.

Liebe Grüße

jojoma
bradforhelp
Beiträge: 344
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von bradforhelp »

Hallo,

ich denke aber, dass ja nicht jedes Kind aus dieser Elterngeneration depressiv geworden ist. Liegt da nicht der Hase im Pfeffer? Die meisten Menschen sind doch psychisch gesund und nicht an Depressionen erkrankt. Haben es diese Eltern besser hinbekommen?
brad
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Albert Camus
FönX
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von FönX »

Hi brad,

schmeiß mal deine Suchmaschine ein und tipp "Vulnerabilitäts-Stressmodell" ein. Sowohl hier als auch im ganzen Netz. Vielleicht findest du darin die Antwort.

Liebe Grüße
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
momadome
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Re: Wie kann ich meinen Vater entmachten?

Beitrag von momadome »

Natürlich ist nicht jeder Kriegsenkel depressiv geworden.

Es ist für mich einer von mehreren ursächlichen Gründen. Z.B. wenn so ein Kind um Liebe ringt, kann es zum 150prozentigen Perfektionisten werden, weil es meint mit "perfekt sein" sich diese Liebe "verdienen" zu können. Der Perfektionismus wird ins Erwachsenenleben übernommen weil sich die Gedankenverbindung "perfekt sein ergibt geliebt werden" verselbständig hat. Daraus kann sich dann eine Überforderung herleiten, die dann irgendwann in eine Depression mündet. Das ist nur als ein Beispielweg gemeint, es gibt bestimmt viele andere und jüngere Menschen haben wahrscheinlich ganz andere Gründe.

Und andere bleiben mit einem ähnlichen Lebenslauf gesund, weil sie einfach eine stabile Psyche mit in die Wiege gelegt bekommen haben.

Liebe Grüße

jojoma
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