Identitätsverlust

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Salvatore
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Identitätsverlust

Beitrag von Salvatore »

Hallo @all!
Ich habe zum ersten Mal Depressionen und kämpfe mich grade so durch. Ich nehme seit zwei Wochen ein niedrig dosiertes AD das, glaube ich, langsam wirkt. Trotzdem habe ich heute einen totalen Durchhänger.

Mich plagt schon seit längerem eine Identitätskrise. Ich habe jetzt so lange einfach funktioniert und versucht, es allen recht zu machen und niemanden zu enttäuschen oder zu verletzen, dass ich darüber ganz vergessen habe, was ICH eigentlich möchte. Und jetzt weiß ich es nicht mehr. Irgendwie fühlt es sich an, als wäre mein ganzes Selbst rein fremdgesteuert und selbst Hobbys, denen ich früher mal gerne nachgegangen bin, kommen mir jetzt zweckgebunden und wenig attraktiv vor.

Ich kann nicht mehr unterscheiden, ob ich bestimmte Dinge zu meinem Vergnügen mache oder weil ich denke, dass es so gehört oder weil es immer so gewesen ist oder weil man es so erwartet.

Ich bin ziemlich down und würde gerne wissen, ob manche von euch vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht (und vielleicht überwunden?) haben.
Sind diese Zweifel Teil einer Krise, die ich meistern kann? Wie macht man sich frei von den Erwartungshaltungen der Umwelt?

Ich wäre euch unendlich dankbar für Rückmeldungen...

CU, Salvatore
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wennfrid
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von wennfrid »

Hi Salvatore
Erstmal willkommen.
Ich denke, Andere nicht zu verletzen, für Andere mehr tun als für sich selber, werden hier viele nachempfinden können. Sehr oft verhält man sich so, weil man im Grund Liebe und Anerkennung möchte. Diese Liebe und Anerkennung sieht der andere Mensch als sehr angenehm, nimmt sie als selbstverständlich an und gibt sie aber nicht zurück. (Dieses Verhalten geschieht meist unbewußt)
Oder eigene Bedürfnisse können gar nicht gefühlt werden und so weiß man gar nicht, was will ich eigentlich. Bei mir war es so, eigene Bedürfnisse konnte ich gar nicht spüren und mir wurde auch klar, daß ich Änderungen einleiten muß. So habe ich mich mit Selbstwert, mit meiner Persönlichkeit und mit Abhängigkeiten beschäftigt. Sehr oft mußte ich feststellen, daß es mir viel zu langsam ging und Zweifel und Rückschläge stellten sich immer wieder ein.
Hier half mir die Vorstellung, wie ein kleines Kind das Laufen lernt, zigmal hinfällt, aber immer wieder aufsteht.
Außerdem hängt in meinem Wohnzimmer folgender Spruch: "Kümmere dich erstmal um dich selbst. Du wirst für niemanden Anderen etwas sein können, bevor du dich nicht um dich selbst sorgst."
Sich für sich selber sorgen und sich selber Anerkennung geben, Schuld-und Schamgefühle sind nicht berechtigt. Durch diese Änderungen entsteht ein großes Vertrauen zu sich und zu der Umwelt. Lebensfreude, Begeisterung, Zuversicht und Spaß am Dasein stellen sich ein.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Minze
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Minze »

hallo, Salvatore, herzlich willkommen

> Ich kann nicht mehr unterscheiden, ob ich bestimmte Dinge zu meinem Vergnügen mache oder weil ich denke, dass es so gehört oder weil es immer so gewesen ist oder weil man es so erwartet.


oh ja, das kenne ich.

Ich hab auch erst lernen müssen, genauer auf mich zu hören und was ich eigentlich möchte, was sind so meine Bedürfnisse und was kommt vielleicht eher von außen.

Also, ich kann mich da Fridolin nur anschließen, finde auch den Vergleich mit dem Laufen lernen sehr passend.

Das ist der Weg zu sich selber, der Zeit braucht, aber das ist auch super spannend und heilsam.

lg Minze
Salvatore
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Salvatore »

Hallo!
Vielen Dank für eure ermunternden Worte.
Das Bild mit dem laufenden Kinde ist sehr anschaulich, aber wie kann ich das für mich umsetzen? Wie sehen diese ersten, unsicheren Schritte aus?

Und wie habt ihr es gschafft, euch von anderen abzugrenzen?
Ich habe das schon öfter versucht und bin immer gescheitert. Es ist so, dass ich immer ein wenig Angst davor habe, andere zu enttäuschen. Also sind aber auch alle um mich herum es gewöhnt, dass ich "spure". Wenn ich dann aber mal einhake und mich dem verweigere, sind natürlich alle überrascht. Ich habe dann das Gefühl, dass der Betreffende verletzt ist und denkt, dass es was Persönliches gegen ihn ist, weil ich doch für alle anderen das gemacht hätte.
Ist das verständlich, ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll.

Ich bin vertraut mit Schulz von Thuns "Vier Ohren des Hörens" und konnte das normalerweise auch im Alltag anwenden und auch erkennen, wenn mein Gegenüber auf dem falschen Ohr hört. Trotzdem hat es sich in letzter Zeit so entwickelt, dass ich meinte, von meiner Umwelt immer irgendwie Kritik zu hören. Das plagt mich so, dass ich mich noch ewig lang frage, ob das jetzt so in Ordnung war oder ob ich einen Fehler gemacht habe.

Eigentlich fand ich mich irgendwann mal ganz ok. Das ist leider schon etwas länger her.
Gestern dachte ich, warum sagt nicht einer "Hokus pokus fidibus, hex hex" und schon bin ich wie früher. Und dann dachte ich, "Ja, aber ist das denn so erstrebenswert?"

Wie bin ich denn eigentlich, wie komme ich in der Wahrnehmung anderer rüber und würde ich mich (von außen betrachtet) eigentlich selber mögen?
Im Augenblick glaube ich, dass andere die Ambivalenz meiner Gefühle durchaus wahrnehmen. Meine Freunde jedenfalls, die sich um Verständnis bemühen, wirken irritiert. Was ich ihnen nicht verübeln kann, denn mir geht es ja selber genauso.

Trotzdem bin ich auch ein bißchen enttäuscht. Ich war bis jetzt immer das kleine Helferlein, und ich würde mir wünschen, dass das Mitgefühl der mir Nahestehenden größer wäre. Jetzt bin ich doch mal dran, jetzt besteht die Möglichkeit sich zu revanchieren.
Alle wissen zwar Bescheid, dass ich Depris habe. Dennoch scheinen die meisten zu glauben, ich mache mir eine schöne Zeit auf Kosten der Krankenkasse.

Ich danke euch.

Lg, Salvatore
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Babi
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Babi »

Hi Salvatore,
ich kann dich sehr gut nachempfinden.
Diese Situation, in der du jetzt steckst, hatte ich. als ich aus meinem Elternhaus ausgezogen bin.
Ich wollte auch immer allen alles recht machen und hab mich selbst dann nicht mehr gespürt, habe nur noch funktioniert.

Das liegt in meiner Kindheit begründet, ich habe schon von klein auf alles gemacht, um geliebt zu werden, denn meine Mum konnte mich nie richtig lieben, weißt du.
Und da habe ich gedacht, wenn ich alles brav mache, was sie will, kann sie mich irgendwann lieben.

Als ich dann aus meinem Elternhaus ausgezogen bin (da war ich 26 und schwanger) ist mir erst mal bewußt geworden, daß ich gar keine eigene Persönlichkeit mehr habe, daß ich so war, wie mich meine Familie und andere gern haben wollten, ich habe mich immer untergeordnet.

Selbst bei den Dingen, die ich eigentlich gern mache, habe ich überlegt, ob ich sie nur gern mache, weil andere es gut finden, daß ich das mache.

Es ist ein längerer Prozeß, sich selbst wieder zu finden, aber ich habe es geschafft und du schaffst das auch, du mußt nur Geduld mit dir haben.
Bei mir hat auch die Geburt meines Kindes viel ausgemacht, denn ich habe die Welt dann zusammen mit meinem Kind neu entdeckt und mein Leben neu aufgebaut, was auch Jahre dauerte.

Das wichtigste ist, daß du dich abgrenzt, das hast du richtig erkannst.
Es ist da ganz wichtig, daß du dir Zeit für dich selbst nimmst, ohne deine Bekannten und Freunde, und in dich hineinhörst.
Du kannst leichter auf dich achten, wenn keiner von deinen Freunden oder Bekannten dabei ist, denn dann kannst du dich voll und ganz mit dir beschäftigen und mußt auf niemand Rücksicht nehmen.

So habe ich das auch gemacht.
Ich hab mir viel Zeit für mich selbst genommen, mich weniger mit Bekannten und Freunden getroffen, um so Ruhe zu haben, rauszufinden, was ich selbst will.
Hätte ich mich getroffen, hätte ich mich da wieder verloren und mich wieder angepaßt.

Ich hoffe, du verstehst ein bißchen, was ich meine.
Ich habe das alles durch und es funktionierte bei mir, aus wenn es ein langer Prozeß ist.

Viel Kraft und lieber Gruß Babi
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
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:) ;)
Babi
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Babi »

Wollte noch was ergänzen:

Es kommt heute auch noch hin und wieder vor, daß ich mich selbst vergesse. So ganz abstellen konnte ich das bis heute also nicht.
Aber ich ziehe die Bremse, wenn ich merke, daß ich wieder da reinrutsche.
Bremse ziehen heißt bei mir, daß ich denen, die lieb habe, sage, daß ich im Moment Rückzug brauche, um wieder Kraft für mich zu sammeln.

Es gibt nicht viele, die das verstehen. Ich habe dennoch im Forum hier Menschen kennengelernt, die das akzeptieren, was sehr selten ist.
Ich danke euch - ihr wißt, wen ich meine - sehr für euer Verständnis und daß ihr mir immer wieder meinen Rückzug laßt.
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
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Salvatore
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Salvatore »

Hallo Babi,

herzlichen Dank für deine warmen Worte, das hat mir richtig gut getan.
Ich habe mich in deinem Posting auch wiedererkannt. Ich glaube auch, dass die ersten Grundsteine zu meiner heutigen Lage schon vor langer, langer Zeit gelegt wurden. Ich wurde von meinen Eltern sehr geliebt und hatte eine schöne Kindheit, aber ich hatte auch immer das Gefühl in Konkurrenz zu meiner zehn Jahre älteren Schwester zu stehen.
Es ist sicherlich nur eine Empfindung und möglicherweise ist es sogar ungerecht. Aber ich habe bis heute oft das Gefühl, dass alles was meine Schwester macht, von meinen Eltern wertgeschätzt wird. Und ich bin der Nachzügler, der eigentlich mehr erreichen könnte, wenn er sich nur anstrengen würde.

Jedenfalls bin ich des Kämpfens müde. Im Moment habe ich ja das Glück, dass ich krankgeschrieben bin und viel Zeit habe, nachzudenken.
Nächsten Freitag habe ich ein Erstgespräch in einer Tagesklinik und ich fürchte mich davor, aber ich hoffe auch, dass ich dort Hilfe finden kann.

Zur Zeit ziehe ich mich ziemlich zurück. Innerhalb des letzten Jahres habe ich sämtliche Kontakte auf ein Minimum reduziert. Ich zweifle aber auch ein bißchen, ob das so richtig ist.
Einerseits steht mir z.Zt. nicht der Sinn nach Geselligkeit, weil es sehr kraftraubend ist. Deshalb denke ich, es ist vielleicht ein Signal, dass ich mich zurückziehen sollte.
Andererseits bin ich im Grunde ein geselliger Mensch und ich möchte nicht eines Tages aufwachen und feststellen, dass ich alleine bin.
Ein sehr, sehr guter Freund von mir wird in wenigen Wochen das erste Mal Vater. Ich würde diese wichtige und aufregende Zeit gerne mit ihm genießen, aber es geht einfach nicht. Das ist schrecklich.
Es ist so frustrierend und verwirrend. Mein Selbstbildnis wurde in den wenigen Wochen nach meinem Zusammenbruch vollkommen zerstört. Jetzt suche ich die Puzzlesteinchen und weiß gar nicht, welches Bild eigentlich entstehen soll.

Danke fürs Lesen. S.
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Babi
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Babi »

He Salvatore,
die Gefühle die du bezgl. deiner Schwester beschreibst, kenn ich auch.
Meine Schwester war auch von klein auf Mamas Liebling und das war leider keine Einbildung.
Ich stand immer hinter meiner Schwester zurück, sie ist drei Jahre jünger wie ich.

Ich wünsch dir ganz doll viel Glück mit der Tagesklinik.
Du brauchst keinesfalls frustriert sein, weil du im Moment nicht so kannst wie du willst. Weißt du, es sind Signale die dein Körper aussendet, er braucht jetzt Ruhe.

Das was du tust, tust du aus Selbstschutz.
Du hörst auf dein inneres, das dir sagt, was dir gut tut, und das ist gut so.

Und ich glaube auch nicht, daß du eines Tages aufwachst und alleine bist. Richtige Freunde halten zu dir. Es ist nur wichtig, daß du mit ihnen darüber redest, was los ist, damit sie verstehen.
Wenn sie dich wirklich gern haben, nehmen sie Rücksicht und versuchen, dich zu verstehen.

Erlaube dir deine Auszeit, die du jetzt brauchst, das ist ganz wichtig.
Ich wünsch dir viel Kraft.
Fühl dich gedrückt.
Babi
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Salvatore
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Salvatore »

Hallo!

Babi, danke. Was man hier im Forum an Verständnis erfährt, ist einfach unglaublich und echt schön. Endlich mal jemand!

Ich glaube eigentlich auch, dass ich meinen Freundeskreis halten kann. Ich kenne die meisten seit ca. 15 Jahren, noch aus der Schulzeit. Wir haben zusammen viele schlimme Situationen erlebt und die Clique hat das ausgehalten.
Ich habe aber trotzdem wahnsinnige Angst. Vor allem, übrigens, nicht nur meine Freunde zu verlieren.
Ich habe dem Kumpel letzte Woche eine Email geschrieben und mich bei ihm entschuldigt, dass ich z.Zt. nicht für ihn und seine junge Familie da bin und versucht, es ihm zu erklären. Seitdem habe ich nichts von ihm gehört. Ich sage mir, das MUSS ja nichts zu bedeuten haben, vielleicht hat er viel zu tun. Bauchschmerzen habe ich trotzdem.

Ist das eigentlich normal, dass man sich einfach nicht entscheiden kann? FÜR nichts und GEGEN nichts? Ich kann mich morgens schon nicht entscheiden zwischen Aufstehen und Liegenbleiben, oder was ich frühstücken möchte oder was ich den Tag über machen soll,... Mann, ey.

Ich hab außerdem Angst vor dem Erstgespräch. Ich könnte verschlafen und ich könnte mich verfahren und zu spät kommen und ich könnte weggeschickt werden und was ist, wenn die doof sind oder gemein?
Ich würde am liebsten weglaufen.

Und ich bin froh, dass ich dieses Forum gefunden habe, es ist toll.

LG, S.
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Rosenkranz
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Rosenkranz »

Hey Salvatore!
Kann deine Gefühle voll nachvollziehen. Wenn es mir schlecht geht ziehe ich mich auch zurück, rede kaum noch ein Wort und will einfach nur meine Ruhe haben. Das mit den Entscheiden ist bei mir genauso, meine Standardantwort lautet meistens, weiß ich nicht, kommt mir vor als hätte ich gar keine eigene Meinung, aber ich denke das ist meine Unsicherheit. Wenn es mir besser geht, ist das aber wieder anders, da sieht man die Welt auch wieder mit anderen Augen und kann viel schneller und klarer eine Entscheidung treffen. Also kannst du optimistisch sein. Nach jedem Tief kam bis jetzt immer wieder ein Hoch, nur dauert es bei mir jetzt länger als früher, bis ich wieder aus der Krise komme. Mit deinen Freunden kann ich nur so viel sagen. Eine Depression kann nur verstehen, wer das auch hat. Es ist auch nicht so, daß jeder dafür Verständnis hat, weil man es eben nicht sieht. Ich habe aber auch die positive Erfahrung gemacht, das du Menschen kennenlernst, die dir in dieser Zeit auch ihre Hilfe anbieten, also es mir angesehen haben, das es mir schlecht geht. Menschen die sozusagen neben dir gelebt haben und von denen es du es am wenigstens erwartest hast. Ich habe früher immer gedacht, das müssen deine nächststehenden sein, ist aber nicht so, das ist auch ein Lernprozess, das zu erkennen und auch Hilfe anzunehmen. Deine wahren Freunde lernst du erst kennen, wenn es dir wirklich richtig schlecht geht.

Gruß Rosalie
Babi
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Babi »

Hi Salvatore,
es ist normal in einer Depression, daß man sich zu nichts entschliessen kann.
Und auch Ängste treten stärker auf als sonst in der Depression.
Mach dir da keine Gedanken, daß ist ganz normal, du bist einfach erschöpft und brauchst viel Ruhe.

Ich denke, du brauchst dir auch wegen deines Freundes keine Gedanken machen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, wird er zum ersten Mal Vater. Und wenn ein Mann zum ersten Mal Vater wird, dann ist das sehr aufregend für ihn, glaub mir.
Ist doch klar, daß er dann nichts anderes mehr im Kopf hat.
Mach dir da nicht zu viele Gedanken, ich denke, dein Freund ist da im Moment sehr gefordert auch von seiner schwangeren Freundin. Er wird einfach nicht so viel Zeit haben.

Du kannst ihm ja zeigen, daß du an ihn denkst, indem du immer wieder mal eine email an ihn schreibst, sagst, daß du an ihn denkst und hoffst, daß alles gut ist.
Du kannst auch nachfragen, wie es mit der Schwangerschaft geht.

Wichtig ist, daß du dich selbst nicht verurteilst, sondern Geduld mit dir selbst hast. Was nun mal im Moment nicht geht, geht halt nicht.
Es wird Zeit, daß du jetzt mal an dich denkst, du hast lang genug an andere gedacht und dich selbst vernachlässigt, oder?

Und vor dem Erstgespräch brauchst du auch keine Angst haben, du machst dir da viel zu viel Gedanken.
Damit du nicht zu spät kommst, kannst du dir auch einen Wecker stellen, und du wirst auf keinen Fall wieder rausgeschmissen.

Schau, ich war genau in der Situation wie du jetzt, als ich meine erste Therapie anfing. Und mir wurde so viel Verständnis entgegengebracht und das von Anfang an.
Du mußt nur offen mit der Therapeutin oder dem Therapeuten reden, das ist wichtig.
Und wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, merken das die Therapeuten auch und stellen dir Fragen, um dir auf die Sprünge zu helfen.

Ich wünsch dir weiterhin viel Kraft und alles Liebe.
Babi
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ben1
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von ben1 »

Hallo

und großes Respekt an Babi und Salvatore - ihr habt viel wichtiges und richtiges gesagt.

Wenn ich darf, noch ein paar Punkte zur Ergänzung.
Ich denke, es geht in der Individuation (wie CG Jung das wohl nennen würde) nicht darum, den eigenen Willen WIEDER, sondern ERSTMALS zu entdecken. Es ist für ein Kind völlig normal, sich an der Umgebung zu orientieren (woran denn sonst?) und seine Werte, Normen, Verhaltensweisen danach auszurichten. Daher steht man da auch an einem Nullpunkt - man weis, was andere gerne hätten, aber was man selber gerne machen würde, da kann man auf wenig Erfahrungen zurückgreifen.
Daher will und soll dieser Schritt sehr bewußt gegangen werden - und man soll sich alle Zeit dafür geben ... Reparenting finde ich einen schönen Begriff dafür - für sich selbst die Elternrolle übernehmen, das ins Leben zu integrieren, was bisher fehlte (ohne Vorwurf an die Eltern - die konnten nur das weitergeben, was sie sich selber erarbeitet hatten).
Was Du mit "Identitätsverlust" sehr treffen beschreibst ist der Zustand, zu erkennen, mit dem, was bisher die Identität beschrieben hat, nicht weiterleben zu können. Also auf zu neuen Ufern! Und dabei ist ein erfahrener Begleiter eine sehr gute und reife Wahl. Sich da Hilfe zu holen ist ein Zeichen von Stärke und nicht von Schwäche. Geh zur Tagesklinik, erzähl das genau so, wie Du hier erzählst. Du hast eine sehr reflektierte Sichtweise Deiner selbst und stellst die richtigen Fragen (die sind viel wichtiger, als vorschnelle Antworten).

Ich finde Dein Bild sehr schön - Du suchst die Puzzlesteine (und die wirst Du auch finden!) um ein neues Bild Deiner selbst aufzubauen, mit dem sich wieder Leben läßt. Da kannst Du auch vieles aus Deinem "bisherigen" Leben gut einbauen - ein paar neue Teile brauchts aber auch (und das ist gut so - denn sonst wird das Leben langweilig).

Dir alles Gute!

Ben
Salvatore
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Salvatore »

Hallo!
Rosalie, Babi, Ben - ihr habt alle völlig recht. Heute geht es mir ganz gut und ich sehe viele Dinge deutlich klarer als die letzten Tage. Heute habe ich auch eher das Gefühl, dass ich die Kraft finden werde, mich notfalls gegen den Wind zu stellen und zu kämpfen.

Heute nacht hatte ich eine Alptraum vom Erstgespräch und lag danach lange wach. Es ist ein bißchen wie eine Prüfung für mich, in der ich nicht versagen darf.
Jetzt aber empfinde ich das auch schon wieder anders und ich freue mich auf das Gespräch.
Und Ben hat auch recht, Einsicht ist besser als Nachsicht - und da Einsicht ja auch bekanntlich der erste Schritt zur Besserung ist, bin ich wohl schon einen großen Schritt weitergekommen.

Ich habe jetzt folgendes beschlossen: ich werde mal probieren, rein auf mein Bauchgefühl zu hören. Wenn ich zu etwas keine Lust habe, gönne ich mir ab jetzt den Luxus, es einfach sein zu lassen.
Und dann werde ich mal schauen, wie es sich damit lebt.

Und vielleicht starte ich gleich mal mit Eis, Pudding und Schokolade zum Mittag, denn ich müßte ja eh ein bißl zunehmen.

Es grüßt euch,

Salvatore
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Babi
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Re: Identitätsverlust

Beitrag von Babi »

Hallo Salvatore,
na das hört sich doch ganz gut an, was du da schreibst.

Ich finde gut, was du so für dich beschlossen hast, du wirst sehen, es hilft auch.
Es ist wichtig, daß man auch mal seinen Bedürfnissen nachgibt, finde ich.

Ich wünsch dir weiterhin viel Kraft.
Babi
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
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:) ;)
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