Alleint unter "Normalen", was ist "normal"???

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Illy
Beiträge: 1
Registriert: 5. Jan 2010, 11:13

Alleint unter "Normalen", was ist "normal"???

Beitrag von Illy »

Hallo,
ich bin neu in diesem Forum und hoffe hier auf Gleichgesinnte oder Leidensgenossen zu treffen, die sich vielleicht ähnlich fühlen wie ich. Ich komme mir mittlerweile so unverstanden von meiner Umwelt vor, und denke, ich bin nicht normal. Dabei stelle ich mir oft die Frage, wer oder was ist denn eigentlich normal?

Zu meiner Person. Ich bin seit Juli 09 in Therapie und seitdem auch im Krankenstand. Die Diagnose die mein Therapeut gestellt hat ist Depressive Episode (mittelschwer) und psychovegetative Erschöpfung. Bei meinem Therapeuten fühle ich mich wirklich wohl und er erscheint mir auch sehr kompetent. Dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass ich mich "therapiert" fühle. Das was ich meinem Therapeuten erzähle, würde ich auch meiner besten Freundin erzählen. Setzt irgendwann das Gefühl ein, dass man sich therapiert fühlt oder liegt das Geheimnis einfach im Erzählen?
Ab Mitte Januar bin ich zu einer 6-wöchigen Reha in einer psychosomatischen Klinik. Davon erhoffe ich mir sehr viel.
Der Alltag fällt mir einfach schwer. Meiner Umwelt und Familie gegenüber habe ich den Fehler gemacht, so gut es geht am normalen Leben teilzunehmen. Das hat aber wiederum den Nebeneffekt, das viele schon gesagt haben "wie kannst du denn krank sein, du bist doch so wie immer". Es fragt aber auch keiner mal so wirklich nach, wie es mir geht, wie ich mich fühle. Ich fühle mich so oft allein gelassen, teilweise so, dass auch schon mal richtig düstere Gedanken gekommen sind.
Leider bin ich auch oft unbeherrscht in Diskussionen, und habe den Eindruck, dass ich mein Umfeld vergraule. Dann kommt wieder dieses schlechte Gewissen und das Gefühl, ich bin nichts wert, ich verletze andere immer nur und es hat alles keinen Sinn. Wenn ich versuche mich zu entschuldigen und zu erklären, wie es mir mit meinen Depressionen geht, habe ich schon die Antwort bekommen "Das kann kene Begründung für dein Verhalten sein!" oder auch "Was ist denn nur mit dir los, das wird ja immer schlimmer mit dir!".
Wenn ich in den Spiegel schaue mag ich mich selber nicht mehr.
Hinzu kommt die Angst, dass ich auch in der Reha nicht ernst genommen werde, weil ich nach außen hin beherrscht und normal wirke. Ich war noch nie in einer Reha und weiß auch nicht genau, was auf mich zukommt.

Es wäre schön, wenn ihr mir erzählt, ob ihr euch ähnlich fühlt oder welche Erfahrungen ihr gemacht habt. Wie gesagt, ich habe mittlerweile den Eindruck, dass ich von niemandem so richtig ernst genommen werde.

Gruß,
Illy
maki

Re: Alleint unter "Normalen", was ist "normal"???

Beitrag von maki »

Hallo und herzlich willkommen Illy,

Du bist so normal wie alle hier im Forum.

Ich kann dir nur von mir sagen, dass das, was du schilderst bei mir genauso war und teilweise auch ist.

Das Unverständnis für die Depression bekommen wir wahrscheinlich nie weggefegt. Dazu ist es zu komplex, zuerst müssen wir es verstehen, und dann ist es immer noch sehr schwer seiner Umwelt den Zustand zu erklären.

Ich denke, dass die in der Reha auch schon vor dir Menschen gesehen haben, die beharrlich ihre Maske aufbehalten. Da wird dich niemand als gesund einstufen und wieder nach Hause schicken.

Dass niemand nachfragt, wie's dir momentan geht, liegt auch am Mangel an Kenntnissen. Damit habe ich mich schon abgefunden. Ich frage mich jeden Tag selber, und gebe mir dann auch eine ehrliche Antwort.

Soweit mal für den Anfang,

Bis bald,

Milly
Babi
Beiträge: 1972
Registriert: 23. Jul 2009, 17:07

Re: Alleint unter "Normalen", was ist "normal"???

Beitrag von Babi »

HI Illy,
du machst dir viel zu viel Gedanken um alles. Die Leute da draußen verstehen unsere Krankheit nicht, und deshalb können sie auch nicht wissen, was mit der Krankheit alles zusammenhängt.
Hier wirst du verstanden, sei dir sicher.
Das Erzählen gehört bei einer Therapie dazu, den ein Therapeut muß doch wissen, woher die Krankheit kommt bzw. wie er dir helfen kann. Ich weiß nicht, wie lang du schon Therapie machst, aber am Anfang ist da viel viel Erzählen, damit sich der Therapeut oder die Therapeutin ein Bild von dir machen kann. Es ist auch normal, daß am Anfang jeder Sitzung nach deinem Befinden gefragt wird und bei mir ist es auch so, daß ich immer gefragt werde, ob es etwas gibt, worüber ich in der Sitzung reden will und das ich bearbeitet haben möchte mit der Therapeutin. Das ist ganz normal. Irgendwann zwischendurch werden dann mal Übungen gemacht, die helfen sollen, mit manchem besser klar zu kommen und die einem einiges bewußter und klarer machen, jedenfalls ist das bei mir in meiner Therapie so. Meine nächste Stunde ist morgen.
Ich würde mir auch wegen der Klink keine so großen Sorgen machen, du wirst da ernt genommen. Die sind alle geschult und können bei dir hintendran gucken, merken, wenn du
beherrscht und normal wirkst, daß das nur unter Anstrengung geschieht und was dahinter steckt. Du mußt nur ganz offen mit den Ärzten da sein, das ist wichtig.
Ich wünsch dir viel viel Kraft und alles gute für die Klinik.
Gruß Babi
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
(Exupery)
:) ;)
snaggels
Beiträge: 8
Registriert: 29. Apr 2006, 03:13

Re: Alleint unter "Normalen", was ist "normal"???

Beitrag von snaggels »

Hallo Illy,

es ist einerseits erschreckend anderseits aber auch beruhigend wie sehr ich mich in dem wiederfinde, was Du geschrieben hast.
Ich bin leider grad erst dabei, mir (viel zu spät) Hilfe zu suchen, kann Dir folglich nicht mit Erfahrungen dienen, hoffe aber trotzdem dass sich bei Dir alles in richtige Bahnen lenkt.
Grade der Aspekt der Art wie Du diskutiert und der, zumindest ist es so bei mir, eine berechtigte Angst alle zu vergraulen, die noch zu einem stehen, kann ich sehr gut nachvollziehen, vor allem der Selbsthass, der dabei in einem hochsteigen kann.
Mir fällt leider auch nichts ein, was ich da als Lösung presentieren könnte, ich empfinde sowas als eine Art Teufelskreis, den Selbsthass, den man über die Jahre aufbaut, lässt man immer mehr in Agressionen aus, was diesen wieder verstärkt.
Man muss es wohl irgendwie wieder schaffen, die Dinge zu erkennen, die einen Liebenswert machen um so wieder zu erfahren, das man selbst was wert ist.

Dass das nicht einfach ist, muss ich wohl nicht betonen, aber bestimmt auch nicht unmöglich. Neben uns vielen vielen "Normalen", die ähnliches erfahren und zeigen das man nicht allein ist auf dieser Welt, sollte man wohl alles tun, um seinen Liebsten zu zeigen, wie sehr man sie schäzt und braucht.
Wobei in meinem persönlichen Fall, auch wichtig ist, dass ich auch erkenne, was ich selber will, ohne immer auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht nehmen zu müssen, wenn man sich gar nicht selber verwirklichen kann, steigen die Agressionen auch immer weiter an.

LG
elke1
Beiträge: 22
Registriert: 9. Jan 2010, 11:58

Re: Alleint unter "Normalen", was ist "normal"???

Beitrag von elke1 »

Hallo Illy,
mir geht es ähnlich.
Ich gestehe mir manchmal selbst nicht, dass ich eine Depri habe, wie sollen es dann anderer verstehen.Es gibt tage an denen in ich denke es geht aufwärts, aber es gibt auch Tage an denen garnichts geht.
Mein Mann denkt auch, dass ich das Tief überwunden habe...
Mit meiner Mutter kann ich überhaupt nicht darüber reden, sie macht sich zwar Sorgen, man wird ja nicht umsonst solange krankgeschrieben, aber eine Depri, du doch nicht..,Sie denkt ich hätte Mist auf der Arbeit gebaut, dass macht ihr schlaflose Nächte, ist das nicht schlimm...
Liebe Grüße
elke
quarktasche
Beiträge: 299
Registriert: 9. Nov 2009, 12:18

Re: Alleint unter "Normalen", was ist "normal"???

Beitrag von quarktasche »

Hallo Illy,

wie Babi schon geschrieben hat, du kannst bestimmt davon ausgehen, dass die Leute in der Klinik dich ernst nehmen. Zu Beginn meiner Klinikzeit habe ich auch gedacht, die denken bloß, ich spinne...Liegt vielleicht auch an der Denkweise in der Depression.

In meinem privaten Umfeld fühle ich mich nur von meinem Mann verstanden. Allerdings fange ich auch erst wieder an, Kontakt zu meinen Freunden aufzunehmen.

Elke, du bist nicht allein mit einer wenig verständnisvollen Mutter. Meine schwankt zwischen Verständnis und Sorge und absolut dämlichen Druck, was meine Arbeitsfähigkeit anbetrifft. Falls ich es nicht schaffe mein Referendariat zu beenden, will sie sich von mir zurückziehen. Hat sie jedenfalls meinem Sohn(!) gesagt. Ich versuche, ihre Hammerreaktion möglichst zu ignorieren. Geht leider oft nicht...

LG Bohne
karlkraus
Beiträge: 86
Registriert: 12. Nov 2009, 18:48

Re: Alleint unter "Normalen", was ist "normal"???

Beitrag von karlkraus »

Hallo, Illy,

änder' doch 'nal Deinen Stand-Punkt und betrachte das ganze aus einer anderen Perspektive: Normal ist, was einer Norm entspricht. Eine Norm wird von wem definiert? Von den "Normalen". Sie bezeichnen sich so, weil sie in der Mehrheit sind. Ausschlaggebend ist also die Anzahl. Deshalb war bis vor einigen hundert Jahren die Erde auch eine Scheibe!
Depressionen zu haben gehört zum Leben, zum Menschsein, wenn auch nur für einen Teil.
Wenn WIR also "normal" sind, wer ist dann nicht "normal"?
Gruß



Tucho
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