Wo fängt Depression an?

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nepomuck
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Wo fängt Depression an?

Beitrag von nepomuck »

Hallo zusammen! Ich (30 Jahre, männlich) bin neu hier und möchte gerne ein bißchen meine Erfahrungswerte mit euch austauschen. Zunächst mal würde ich gerne rausfinden, was mit mir los ist. Ich habe schon oft die Vermutung gehabt, dass das was ich habe eine Form der Depression ist, weiß aber nicht, ob ich vollkommen daneben liege.

Ich fange mal am Anfang an. Es gibt zwei Aspekte, die mein Leben mehr oder minder stark beeinflussen/beeinflusst haben bzw. symptomatisch waren. 1) Eine schwierige Beziehung mit meiner Mutter, die mich durch ihre Überbemutterung in meiner Entwicklung/Entfaltung eingeengt hat 2) Während der Zeit, wo ich noch zu Hause gelebt habe, war ich ca. 5 Jahre bulimisch. Diese Phase war eigentlich so eine Art Ur-Katastrophe in meinem Leben, ich kann es heut manchmal gar nicht für möglich halten, dass das real war, zumal es nie jemand in meinem Umfeld gemerkt hat. Und natürlich ging diese Krankheit mit solchen Dingen einger wie: zerstörtes Selbstwertgefühl, soziale Isolation, massive Verschlechterung der Schulleistungen, Zukunfts- und Lebens-/Todesängste usw.
Seit ich mit Anfang 20 wegen meines Studiums das Haus verlassen habe, haben sich die ersten beiden Probleme im Wesentlichen erledigt. Sicherlich denke ich manchmal daran, eine Therapie deswegen zu machen, aber dafür möchte ich die Zeit und Ruhe finden. Ich denke, sowas braucht seine Zeit und man muss sich längere Zeit an einem Ort aufhalten um mit einem Therapeuten zu arbeiten. Bei mir steht demnächst aber wahrscheinlich erstmal ein Umzug an. -Aber dieses Thema will ich hier auch gar nicht weiter breittreten.

Seitdem ich von zuhause weg bin, habe ich mein Leben allein gestaltet, weit weg von zuhause. Ich habe erfolgreich ein Studium abgeschlossen und noch ein Aufbaustudium drangehängt. Insofern alles bestens. Inzwischen klappt auch mein Beziehungsleben einigermaßen: zwar habe ich mich mit 17 bereits als homosexuell geoutet und keine grundsätzlichen Probleme damit gehabt, wegen meiner persönlichen Verfasstheit (schlechtes Selbswertgefühl und schlechte körperliche Selbstwahrnehmung) hat es aber lange bis zum ersten Freund gedauert und ich bin generell eher zurückhaltend, was Beziehungen oder angeht. In dieser Hinsicht habe ich mit Sicherheit kein vollkommen unkompliziertes Verhältnis zu mir selbst bekommen (eine Essstörung, wie ich sie damals hatte, hängt nunmal auch mit einer gestörten Selbstwahrnehmung zusammen). Alles in allem aber hat sich mein Bewusstsein in dieser Hinsicht sehr verbessert. Insofern ist die Bilanz also eher positiv.

Was aber diese Bilanz ein bißchen trübt, ist dennoch die Tatsache, dass bei dieser Gesamtbetrachtung ein störender Faktor auftaucht. Seit ich mich erinnern kann, habe ich in regelmäßigen Abständen diese mehr oder weniger massiven Stimmungstiefs, die sich durchaus über mehrere Wochen und Monate ziehen, und mich sehr teilnahmslos und lethargisch werden lassen. Meist tritt es in den Phasen auf, wenn der äußere Rahmen wegfällt (sprich: ich bin nicht beschäftigt mit Prüfungen, Jobs oder anderen Angelegenheiten mit verpflichtendem Charakter. Meist habe ich mir in den Semesterferien ein Praktikum gesucht, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wochenlang nichts zu tun). Fällt dieser Rahmen weg, ist es, als falle ich in ein Loch. Zum Beispiel im Moment: ich habe die letzten Prüfungen seit August beendet, eigentlich muss ich meine Masterarbeit schreiben, da ich aber noch keinen Job und somit keine Perspektive habe, kann ich mich in keinster Weise motivieren. Stattdessen zeige ich das typische Verhalten. Ich hänge auf dem Sofa vor dem TV, oder ich hänge den ganzen Tag vor dem PC und checke stumpfsinnig immer wieder die gleichen Seiten, während mein Kopf für sonstige Dinge weitgehend blockiert ist. Ich habe keine große Lust, Leute zu treffen und will eigentlich auch meine Mitbewohner gar nicht sehen. Oft habe ich nicht mal Lust, zum Einkaufen rauszugehen. Und in den Momenten, wo ich dieses erbärmliche Verhalten realisiere, könnte ich verzweifeln. Wieviel Zeit habe ich in meinem Leben schon mit diesem lethargischen Verhalten verschwendet. Aber es ändert sich nicht viel. Mein Kopf blockiert, bis auf wenige lichte Momente. Der Kopf dreht sich ansonsten immer wieder um die gleichen Gedanken (diesmal ist es, dass ich unbedingt einen Job finden muss, sonst geht nichts weiter. Es ist also wieder mal ein äußerer Rahmen, nachdem ich suche, und wodurch ich mich aufrecht erhalten kann). Ich habe dies schon oft während der letzten 15 Jahre erlebt, und ich muss zugeben, dass eine deprimierte Grundstimmung sowas ist wie der Soundtrack meines Lebens. Oft waren diese Phasen gar nicht mal so glimpflich wie im Moment, ich kann mich daran erinnern, dass ich zusätzlich tief verzweifelt war und öfter in Tränen ausgebrochen bin, vollkommen ohne äußeren Anlass. Meist hat sich nach einiger Zeit diese akutere Phase auch wieder gegeben, aber diese Grundstimmung geht nie ganz weg.
Und ich muss sagen, es kotzt mich an. Ich bin zeitweise ein Gefangener meiner selbst und meiner zum Teil obsessiven Gedanken bzw. dieser Gedankenblockade.

Ich habe Erfahrugen gemacht, wie ich dies teilweise durchbrechen kann, indem ich regelmäßig Sport mache (wozu ich mich aber auch erstmal aufraffen muss). Teilweise habe ich in den vergangenen 10 Jahren sehr obsessiv Sport gemacht. Das hat sich zum Glück ein bißchen normalisiert, wie ich insgesamt gelassener geworden bin. Ein anderer "Trick" ist bei mir das sehr früh aufstehen (sechs, halb sieben), was mir einen Kick gibt und wo ich oft recht produktiv bin (ich habe so am effektivsten für die Uni gelernt). Teilweise habe ich das mit einer Tageslichtlampe unterstützt (wofür Freunde mich teilweise belächelt haben), was ganz gut geklappt hat. Umgekehrt habe ich die Erfahrung, dass wenn ich etwas länger schlafe, bis acht oder neun oder noch später, ich das Gefühl habe, dass mein Tag im Eimer ist, mein Hirn eine träge Masse und ich schlecht drauf. Was im Moment der Regelfall ist Erst gegen Abend bin ich wieder besser drauf.

Ich könnte noch viel mehr über all das erzählen, aber das würde den Rahmen sprengen. Ich möchte erstmal auf Feedback warten und sehen, ob sich jemand in meinen Beschreibungen irgendwie wiederfinden kann. Und ich möchte gerne wissen, ob und wie ich mich an einen Arzt wenden sollte/könnte.
Ich habe bereits ab und zu irgendwelche Psychologen zu Rate gezogen, meist in irgendwelchen akuten Situtationen. So bin ich damals, als ich die Bulimie überwunden habe, zu einer Suchtberatungsstelle gegangen. Letztes Jahr war ich bei der psychologischen Beratugsstelle der Uni, weil ich mich auch wieder in so einem Stimmungstief befand. Nach 5 oder 6 mal war aber Schluss, weil die Psychologin sinngemäß meinte, wie ich denn jetzt weitermachen wollte, und ich darauf keine Antwort wusste. Ich sagte irgendwie: Ich habe Angst, dass dieses Stimmungstief mich mal irgendwann einholt, wenn es in meinem Leben einfach unpassend ist, wenn ich arbeite (als Student kann man das irgendwie immer noch "einbauen"), und dass es mich dann vollkommen aus der Bahn haut. Sie sagte, ich solle nach ein paar Wochen Bedenkzeit noch mal wieder kommen...aber wie es dann nunmal so ist, hat sich die ganze Sache "wie von selbst" wieder gegeben und war nicht mehr akut. Deshalb fühle ich mich in dieser Hinsicht auch ein bißchen unsicher. Ich weiß, ich habe was, und das ist teilweise ein großes Hindernis in meinem Leben und was mit Sicherheit in gewissen Situationen immer wiederkehrt. Andererseits weiß ich, dass es mir auch oft vergleichsweise gut geht und dass ich vermutlich nicht schwer depressiv bin. Ich habe einen Freund, der depressiv ist, und das unterscheidet sich. Aber ich hänge irgendwie dazwischen. Daher nehme ich das ganze manchmal selbst nicht so ernst, weil ich gar nicht weiß, wie ich das ganze einzuordnen habe, ob ich das "Recht" habe zu sagen: ich habe regelmäßig depressive Verstimmungen, ich bin krank (aber eigentlich geht's mir ja ganz gut, denn ich kriege mein Leben ja auch irgendwie auf die Reihe). Und dementsprechend, weiß ich nicht, ob ich deshalb Hilfe beanspruchen kann. Also weiß ich auch gar nicht, wie ich das ganze angehen soll. Zumal es mir auch manchmal selbst so unwirklich vorkommt: im Umgang mit anderen Menschen bin ich meistens freundlich, überaus sozial und kommunikativ. Frei nach dem Motto: sobald der Vorhang aufgeht, setze ich ein strahlendes Lächeln auf. Ich kann mir die Situation so schlecht vorstellen, wo ich einem Arzt gegenüber sitze, ihn fröhlich anlächle und sage: Ich glaube, ich bin depressiv...

Danke für eure Geduld!
nepo
Dohle
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Re: Wo fängt Depression an?

Beitrag von Dohle »

Hallo, Nepomuck,
ja, ich finde mich in weiten Teilen wieder, und bei mir ist dergleichen als schwere depressive Episode einer immer wiederkehrenden Depression diagnostiziert worden.
Was Du als Lethargie bezeichnest, dürfte Antriebslosigkeit sein - ein klassisches Symptom ebenso wie das Herumgrübeln und die Tatsache, dass es abends etwas besser geht.
Ich gebe Dir den dringenden Rat, einen Psychiater zu Rate zu ziehen, der dann mit Dir zusammen besprechen kann, wie es weiter gehen soll, ob und welche Therapien oder sogar ein Klinikaufenthalt nötig sind, ob und welche Medis Du nehmen sollst.
Im allgemeinen gilt Depression als heilbar, ein Gedanke, an den ich mich im Moment festklammere.
Jedenfalls alles Gute - Heike!
nepomuck
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Re: Wo fängt Depression an?

Beitrag von nepomuck »

Hallo Heike, vielen Dank für deine Antwort. Warum ich so unsicher bin, ist folgendes: ich stecke zur Zeit halt in so einer Phase. Aber wie gesagt, ich betrachte mich als lebensfähig. Ich tue schon Dinge, ich geh einkaufen, ich fahre zu meinem Partner, wenn ich bei ihm bin, kümmer ich mich ein bißchen um den Haushalt und koche mit ihm, genieße die Zeit einfach. Ich bin nicht zutiefst verzweifelt oder todtraurig. Und morgen könnte die Phase schon wieder vorbei sein, dann ist es so, als ob nichts gewesen wäre. Die Sache ist, die Dinge, die ich im Moment tun "müsste", auf die kann ich mich nicht konzentrieren (weil ich eigentlich keinen wirklichen Zwang habe).Ich weiß, dass sich die Situation ändern wird, sobald ich wieder einen Rahmen habe, eine Perspektive oder Frist. Ich weiß auch, dass ich morgen wieder gut gelaunt sein kann, als hätte ich nie ein Problem gehabt. Das, was mir Angst macht ist, dass ich aus meiner Erfahrung weiß, dass solche Situationen immer wieder eintreten und ich immer mal wieder an den Punkt gelange, wo ich in diese Stimmung verfalle. Schwer zu erklären.

Danke jedenfalls
LG
Zorra
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Registriert: 20. Nov 2005, 13:37

Re: Wo fängt Depression an?

Beitrag von Zorra »

Hallo Nepomuck,

ich höre schon heraus, dass dich die Situation nicht befriedigt und denke, dass du da dran bleiben solltest, ehe es auch schlechter wird.

Was genau die Aufgabe der Psychologin an der Uni ist, weiß ich einfach nicht. Ich stelle mir das als eine Art Krisenintervention vor? Oder würde sie auch längerfristig mit dir arbeiten?

Dass du ansonsten fröhlich, kommunikativ und offen bist ist kein Indiz dafür, dass du nicht auch depressiv sein kannst.

Wir sind ja nicht nur depressiv, wir haben ansonsten auch ganz viel andere Facetten unseres Lebens - Gott sei Dank.

Meines Erachtens kannst du dich genau mit dem, was du hier eingangs geschildert hast, an einen Psychotherapeuten wenden. Dann kann geschaut werden, was du genau möchtest, brauchst ...
Mit der Frage, was das Ziel ist - wurde ich vor der Psychotherapie allerdings auch konfrontiert. Wo du hinwillst, mußt du dann schon wissen; also nicht schon klein, klein, aber als grundsätzliche Idee ist das wichtig.


LG von Elke


Wir sind nicht die Masken, die wir tragen ... doch wenn wir sie zu lange aufhaben, werden wir dann nicht wie sie?

© Aya Yven

nepomuck
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Registriert: 7. Nov 2009, 14:08

Re: Wo fängt Depression an?

Beitrag von nepomuck »

Danke Elke! Ja, die Dame an der Uni ist schwerpunktmäßig wirklich dafür da, wenn man irgendwie mit der Uni an sich nicht klarkommt, Lernblockaden hat oder so. Das war bei mir nicht der Fall.
Wahrscheinlich war es wirklich das Problem, dass sie nicht wusste, wohin ich will, ich aber auch nicht. Ich hatte gehofft, sie würde mir sagen, was zu tun sei.

Was ist denn, wenn ich (zum jetzigen Zeitpunkt) keine Psychotherapie will oder einfach gerade nicht machen kann. Was könnte ich dann machen? Antidepressiva nehmen?

Grüße
nepo
Zorra
Beiträge: 300
Registriert: 20. Nov 2005, 13:37

Re: Wo fängt Depression an?

Beitrag von Zorra »

Hallo Nepo,

schwierig als Außenstehender zu sagen. Ich persönlich für mich habe die Psychotherapie als wichtig angesehen, weil ich an die Wurzel wollte.

Ich nehme seit ich mittelschwere Depressionen habe, auch Antidepressiva. Da war ich allerdings so am Ende, dass ich den Alltag nicht mehr bewältigt habe. Als Allheilmittel - und dann ist alles wieder gut - sehe ich sie aber nicht.

Vielleicht können da auch andere noch mal was dazu sagen?

Ich denke, dass die Depression ein Zeichen ist, dass es so, wie es in meinem Leben jetzt ist - krank machend ist. Also muss ich etwas verändern. Medikamente können da unterstützen, damit ich überhaupt wieder in die Lage gesetzt werde, etwas zu tun. Die Veränderung muss ich selber bewirken. Durch die Psychotherapie habe ich einige Möglichkeiten an der Hand ... das ist aber immer ganz individuell. Das heißt, da kannst du nicht eben mal bei einem anderen "abkupfern"

Es geht da schon sehr um dich - und die bist wie jeder andere Mensch sehr besonders und mußt deinen Weg finden und gehen. Psychotherapie ist da eine Hilfe, andere Menschen können es auch sein, die dein Vertrauen haben, mit denen du reden kannst ...

Weiß nicht, ob du damit was anfangen kannst?

LG Elke


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© Aya Yven

nepomuck
Beiträge: 53
Registriert: 7. Nov 2009, 14:08

Re: Wo fängt Depression an?

Beitrag von nepomuck »

Liebe Elke, doch, das hilft mir auf jeden Fall! Mir ist wichtig zu hören (lesen), was jemand zu dem Thema zu sagen hat. Es ist hilfreich, auch mal vom Erfahrungschatz anderer zu profitieren!

Also, nen schönen Sonntag abend...und Hände weg von der Lampe um die Zeit

LG
Zorra
Beiträge: 300
Registriert: 20. Nov 2005, 13:37

Re: Wo fängt Depression an?

Beitrag von Zorra »

Ja, ja,

schließlich will ich nachher schlafen


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© Aya Yven

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