Verpflichtungen und Depression

Schlaflos02
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Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Schlaflos02 »

Manatee59
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Manatee59 »

Hallo Schlaflos02,

ich habe die Erfahrung gemacht, das es Dir niemand dankt, wenn Du auf dem Zahnfleisch an Deinen Job kriechst. Ganz im Gegenteil, letztendlich interessiert es später niemanden, warum der Job nicht 100% erledigt wurde. Wenn Du dich der Aufgabe momentan nicht gewachsen fühlst, dann LASS ES ! Man wird Dir in der Firma kein Denkmal errichten, weil Du heroisch Deine Pflicht erfüllt hast, so gut es geht. Wichtig ist jetzt Deine Gesundung absolut in den Vordergrund zu stellen. Ich weiß, das ist jetzt im Moment nicht so wirklich aufbauend, aber ich rede aus eigener leidvoller Erfahrung. Vielleicht nimmt es Dir aber etwas Druck ab.
Schlaflos02 schrieb:
> Hallo,
> ich bin neu hier, lese aber schon eine Weile mit und habe dadurch einige von Euch ein wenig kennen gelernt.
>
> Ich würde mich aus gegebenem Anlass gerne darüber austauschen, wie Ihr die Depression mit alltäglichen und beruflichen Verpflichtungen in Einklang bringt. Das ist immens schwer.
>
> Bei mir steht in wenigen Wochen ein wichtiger beruflicher Termin an, der mir viel abverlangt und auf den ich mich intensiv und mit aller Kraft vorbereiten müsste. Vor dem Termin habe ich aber in meiner derzeitigen Verfassung Angst und die Kraft zur intensiven Vorbereitung nicht wirklich.
>
> Bis vor einer Woche wollte ich mich einfach kurzfristig krank melden und abtauchen. Jetzt schwanke ich und habe Angst davor, dass sich die Depression dann noch einmal verstärkt, weil ich schon wieder versagt habe, unfähig bin, keinen Platz in der Gemeinschaft/Gesellschaft habe und mich von anderen wegdrängen lasse.
>
> Imgrunde sind das generelle Gedanken, die in unterschiedlichen Situationen immer wieder einen neuen Aufhänger finden und einen zur inneren Auseinandersetzung drängen.
>
> Wie geht Ihr damit um?
Schlaflos02
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Schlaflos02 »

Babi
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Babi »

Hallo schlaflos,
ja es ist oft schwer, Beruf und Depression zu vereinbaren, das kenne ich auch.
Aber wenn es gar nicht mehr ging, bin ich zum Arzt, denn mein Kopf war dann immer so voll mit depressiven Gedanken, daß ich gar nicht mehr in der Lage war, zu arbeiten.
Ich gehe jetzt zum ersten Mal offen mit meiner Depression auch auf meiner Arbeitsstelle um und bin erstaunt, wie viel Verständnis mir entgegenkommt.
Ich erzähle auch immer, wenn ich wieder mal unter der Depression zusammengebrochen bin und bekomme da sehr viel Verständnis.
Ich bin da echt sehr dankbar dafür.
Außerdem kann es auch gut sein, wenn man sich unter Druck setzt und weiterarbeitet, daß dann die Depression noch schlimmer wird.
Wenn man eine Depression hat, braucht man nämlich immer eher Ruhe wie Streß.
Lieber Gruß Babi
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
(Exupery)
:) ;)
Schlaflos02
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Schlaflos02 »

Geranie
Beiträge: 52
Registriert: 16. Sep 2009, 13:39

Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Geranie »

Hallo,

finde das auch ein interessantes (und schwieriges) Thema. Bin letzten Herbst so auf die Bretter gegangen, dass ich gar nicht mehr konnte. War monatelang krank geschrieben und bin immernoch nicht wieder richtig fit. Habe auch langsam die Sorge, dass ich meine ursprüngliche Energie nie wieder bekomme. Darum kann ich nur davor warnen, den Bogen zu überspannen (so wie ich es gemacht habe, habe den Schuss nicht gehört, hätte ihn aber deutlich fühlen können, wenn ich denn meine Gefühle ernst nehmen würde). Wir müssen (oder wollen) ja noch ne Weile arbeiten und da sollte man seine Lebenskraft gut und weise einteilen. Hatte am Anfang auch mit schlechtem Gewissen zu kämpfen, aber Existenzängste hatte ich komischerweise keine mehr, dazu war ich viel zu erschöpft. Lasst es nicht soweit kommen, wenn man eine einigermassen gute Ausbildung hat und ein bisschen flexibel ist, findet man auch wieder etwas. Aber bis es tatsächlich zu Jobverlust kommt, kann man ja mal das Neinsagen und Abgrenzen üben, vielleicht geht es ja. Wenn man erst einmal mit einem Burnout auf dem Zahnfleisch kriecht, kann man unter Umständen monatelang (manche sogar Jahre) nicht mehr arbeiten und danach auch immer nur halbe Kraft. Also, gut auf sich achten! (Das geht auch an meine Adresse...)
FönX
Beiträge: 3370
Registriert: 2. Jul 2008, 11:37

Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von FönX »

Hallo Schlaflos,

du schreibst:
> Allerdings habe ich mich ganz eindeutig dagegen entschieden, meine Depression zu thematisieren. Wie hier so oft geschrieben, ist es auch meine Erfahrung, dass niemand, der solch eine seelische Verfassung nicht erlebt hat, sie begreift. Ich fürchte, dass es sich herumsprechen könnte und potentielle Auftraggeber daran zweifeln würden, dass ich angesichts dieser Labilität zu einer verlässlichen Zusammenarbeit in der Lage bin.
Und was erwartest du jetzt? Dass alles gut wird? Das kannst du vergessen. Erstens thematisierst du deine Depression sehr wohl, und zwar hier. Wenn du so ein Doppelleben führen willst, führt es dich in die Sackgasse. Nämlich genau dahin, wo du nicht hinwillst. Diese Qual dauert u.U. sehr lange. Mehrere Jahre. Aber das Ziel steht fest. Wenn du schon jetzt so am Anschlag bist, brauchst du Ruhe und Zeit für dich. Ein Jahresurlaub von 6 Wochen am Stück wird nicht reichen, weil du anschließend gleich wieder in der Sch... sitzt. Spätestens am dritten Arbeitstag danach bist du wieder reif.

Mein Rat: Thematisiere die Depression. Sieh ihr ins Auge. Arbeite an ihr und dir.

Auch wenn es vielleicht hart geklungen haben kann, möchte ich, dass du dich gedrückt fühlst. Ich habe es so wie du erlebt und habe mich jahrelang erfolglos gewehrt.

Liebe Grüße
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
jolanda
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von jolanda »

Hallo!

Mir geht es ähnlich. Auch ich ignoriere die Depression, soweit es geht.
Momentan sind bei mir auch so viel Sachzwänge, dass es weitergehen muss.
Ich gehe zwar offen damit um, mein Arbeitgeber weiß Bescheid, denn ich habe einen Schwerbehindertenausweis und er bekommt Eingliederungszuschuss für mich. Aber 1. bin ich in der Probezeit und 2. sieht es gerade mit der Auftragslage nicht unbedingt gut aus, die betriebsbedingte Kündigung hängt immer über mir. 3. hat er gesagt, dass ihn eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall momentan in den Ruin treiben kann. Er sagte auch dazu, dass er weiß, dass das Druck mache, aber es sei nunmal so. Das glaube ich ihm auch, es ist ein Kleinbetrieb, der Chef, ein Kollege mit 75% und ich mit 50% Stelle. Wenn ich mich also Krankschreiben ließe, wäre mein Job auch weg.

Also so einfach ist das auch nicht, zu sagen, wenns nicht geht, dann geht es nicht und man lässt sich eben krank schreiben. Was meine Ärztin schon vor 3 Wochen wollte.
Und jetzt bitte nicht das Beispiel mit dem Beinbruch bringen, bei dem man auch ausfallen würde. Hätte ich jetzt einen Beinbruch, wäre mein Job nämlich genauso gefährdet.Dementsprechend Angst habe ich auch vor irgendwelchen Unfällen.
Des weiteren die Verpflichtung das neu gekaufte Haus bis Ende Oktober soweit fertig zu bekommen, dass wir einziehen können, denn die Wohnung ist gekündigt.
Also entweder kann ich arbeiten oder nicht. Und da ich sowohl im Job, als auch auf der eigenen Baustelle arbeiten muss, muss es nunmal gehen.

Gerade, wenn die Depressionen ein Dauerthema sind, ist das nicht so einfach. Entweder, man schafft es ausreichend zu arbeiten und zwar trotz Depression, oder man muss sich berenten lassen. Zumindest ist das bei mir so. Da ich ein bis zweimal im Jahr (also ca 3-6 Monate im Jahr) deutlich bis schwer depressiv bin, muss ich trotzdem arbeiten, sonst gibt es nur den Weg in die Rente und das möchte ich nicht, auch aus finanziellen Gründen, da ich mir noch keinen Rentenanspruch erworben habe.

Man muss lernen, trotz Depression seinen Alltag, und der hat nunmal Verpflichtungen, zu bewältigen. Mit gewissen Einschränkungen sicherlich. Drum arbeite ich z.B. nur 50%. Aber man kann sich nicht komplett raus ziehen. Andere Behinderte müssen sich auch mit ihrer Behinderung arrangieren. Jemand der chronische Schmerzen hat, kann sich auch nicht bloß ins Bett legen. Das ist bei (chronischen)seelischen Schmerzen genauso.

Krankschreiben lasse ich mich erst, wenn es wirklich gefährlich wird. Entweder wegen akuter Suizidalität (dann Klinik) oder eben weil ich so neben der Spur bin, dass ich nicht mehr verkehrstauglich bin und auch nicht mehr an Maschinen arbeiten sollte.
Alles andere MUSS einfach gehen.

LG, jolanda


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Feedom's just another word for nothing left to lose (Janis Joplin)
Geranie
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Geranie »

Ich denke, die Depression ist eine Krankheit, die man durchaus wie alle anderen ernst nehmen sollte (schliesslich kann sie auch tödlich verlaufen). Daher hat man hier meiner Meinung nach auch ein Recht auf Krankschreibung, Therapie, Medikamente.
Ich glaube auch, dass man trotz Depression gut arbeitsfähig sein kann. Es gibt aber auch Fälle, da kann eine gewisse Auszeit sinnvoll sein oder, wenn man das kann, mal einige Zeit lang teilzeit arbeiten, um Zeit zu haben für Erholung, Reflektion, Umdenken.
Letztendlich kann man ja auch bei einem totalen Zusammenbruch gar nicht mehr arbeiten, vor allem wenn sich noch etliche körperliche Symptome dazugesellen, die immer schlimmer werden. Aber zu so einem Zusammenbruch kommt es ja in der Regel nicht von einen Tag auf den anderen, nicht wenige haben davor jahrelang gerackert wie blöd. Seit meinem Abklapper glaube ich, dass eine der Bürgerpflichten die Sorge um die eigene Gesundheit ist, schliesslich wollen und sollen wir ja bis 67 (oder gar länger?) arbeiten
Hätte ich besser auf mich geachtet, wäre ich heute sicherlich arbeitsfähiger und stünde beruflich besser da. Das ist ja die Crux.
jolanda
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von jolanda »

Hi!

Wenn ich nur ein oder zweimal eine Depression gehabt hätte, dann würde ich das wohl auch so sehen. Dann ist man halt mal krank, vielleicht auch länger.
Aber wenn einen die Depressionen jahrelang (Jahrzehnte) begleiten, dann muss man wohl leider damit auch irgendwie klarkommen. Zumindest ist das meine Meinung. Entweder eben man kann Erwerbsfähig sein (vielleicht nur teilweise) oder nicht, dann muss man sich berenten lassen. Also lieber kämpfen. Allerdings weiß ich durchaus, dass ich mir damit enorm Druck mache. Mich selber unter Druck setzen, darin bin ich Meister.
Viele definieren sich ja auch über den Beruf, sich nützlich fühlen,seinen Beitrag leisten, sich selber finanzieren...
Ich habe nach einem kapitalen Crash vor 6 Jahren (5 Monate Klinik) ca. 4 Jahre gebraucht um ungefähr eine Vorstellung davon zu bekommen, was ich leisten kann, wo ich beruflich stehe. Davor bin ich jahrelang permanent über meine Grenzen gegangen und die Depressionen überhaupt nicht ernst genommen, geschweige denn behandeln lassen.
Und selbst heute noch stelle ich oft genug meine Erwerbsfähigkeit in Frage.Ohne Kampf wird es bei dieser Erkrankung nie gehen.

LG, jolanda


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Geranie
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Geranie »

Ich leide seit meiner Kinderheit, also gut 30 Jahre, unter Depressionen und weiss, was es heisst sich durchzubeissen Kampf und sich Druck machen müssen sind für mich Vokabeln, die ich gern von meiner Liste streichen möchte, da genau diese Dinge mich irgendwann kampfunfähig gemacht haben.

Klar für manche gibt es nur alles oder nichts: Entweder Rente oder sich Weiterschleppen und den Satz 'Ich muss mir unbedingt Druck machen' in Grossbuchstaben über das Bett hängen.

Also: wenn man mal ein Sabbatical macht (wie auch immer das aussieht und ermöglicht wird) und einige Zeit lang versucht mal etwas weniger zu arbeiten (sofern man ein Teilzeitangebot bekommt oder man das mit Teilarbeitsfähigkeit hinkriegt) und dadurch sein Innerstes für das weitere Leben wieder etwas mehr in die Senkrechte bekommt, heisst das nicht, dass man automatisch in Frührente muss Ich glaube auch nicht, dass es angemessen ist, den Menschen mit solchen 'Drohungen' Angst zu machen, gerade denen die eh schon massive Ängste haben, dass sie sich irgendwann nicht mehr selbst versorgen können.

Ich war vor lauter Anspannung schon so chronisch verspannt, dass mein Rücken bretthart war und der Arzt mit aller Gewalt die Spritze aus dem Rücken ziehen musste, die Nadel blieb trotzdem stecken. Mit so einer Verspannung ging es dann auch nicht lange gut, war irgendwann bewegungsunfähig. Und auf der Ebene die nächsten 30 Jahre weitermachen? Ist das schlau? Wenn man schon in jungen Jahren sieht, dass da etwas nicht funktioniert? Innehalten und Kurskorrekturen vornehmen ist da besser.
Hätte ich die Kurskorrektur viel früher vorgenommen, stünde ich wahrscheinlich schon längst besser da und evtl. wäre es auch schneller gegangen. So muss ich etwas länger knabbern.

Soweit ich weiss sagt die WHO ja auch schon, dass Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Erschöpfung und Depression stark zunimmt und weiter zunehmen wird. Und warum? Weil die Leute alle zu locker durchs Leben gehen udn sich zuwenig Druck machen? nach 6-8 Stunden Tag entspannt den Stift fallen lassen? Der Umgang in den Unternehmen ein zu herzlicher ist? Oder vielleicht alles Simulanten? Allesamt Schauspieler? Na, ich weiss nicht...
Geranie
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Geranie »

Die Frage, die sich mir auch manchmal stellt: Müssen wir eigentlich alle Karriere machen, Häuser bauen, 2 Autos fahren, Weltreisen machen, alle 5 Jahre neue Möbel anschaffen, fleissige Konsumenten sein? Welchen Preis zahlen viele dafür? Obwohl wir wissen, dass uns das an den Rande unserer Leistungsfähigkeit, bzw. auch sogar über den Rand hinaus bringt?

(Jetzt mal abgesehen von den Leuten im Niedriglohnsektor, die arbeiten ohne sich überhaupt irgendetwas leisten zu können)
tomroerich
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von tomroerich »

Hallo,

diese Fragen von Geranie sollten wir wirklich stellen. Man lebt so leicht am Leben vorbei, wenn man diese Themen zum Mittelpunkt macht.

Imgrunde sind das generelle Gedanken, die in unterschiedlichen Situationen immer wieder einen neuen Aufhänger finden und einen zur inneren Auseinandersetzung drängen.

Ja, und es sind fast immer sorgenvolle Gedanken. Ohne großartig darüber nachzudenken, was denn tatsächlich passieren würde, wenn man diesen "Verpflichtungen" nicht pünktlich nachkommt, erlaubt man ihnen, einen inneren Druck auszuüben.

Es kann sehr hilfreich sein, das alles zu hinterfragen mit der Frage: "Und dann?"

"Ich tue nicht, was mein Chef von mir erwartet."
"Und dann?"
"Dann wird er mich nicht mehr akzeptieren"
"Und dann?"
"Dann werde ich entlassen"
"Und dann?"
"Muss ich ALG beantragen"
"Und dann?"
"Habe ich weniger Geld"

u.s.w.

Am Ende steht immer die Angst: Ich werde sterben, weil ich nichts zum Essen habe.

Wird das je eintreten? In Wirklichkeit kettet sich an die Frage der Pflichterfüllung die Angst vor dem inneren Tod durch Nichtakzeptanz. Angst davor, ein unnützes Rädchen zu werden, das niemand mehr benötigt.

Das heißt aber im Umkehrschluss, dass ich selbst die Erfüllung meiner Pflicht zum Zünglein an der Waage dafür mache, ob ich existieren kann. Was soll das anderes erzeugen als Angst? Es ist eine dieser vielen Bedingungen, die ich selbst dem Leben stelle, damit ich es leben kann.

Fast alle in einer Gesellschaft von Besitz und Geltung haben diese Angst und viele werden daran krank. Man knüpft sein Überleben an Dinge, die unsicher sind, die sich ändern können, die Krisen ausgesetzt sind. Was soll das anderes ergeben als Angst?

Jedes vernünftige Maß geht dabei verloren. Wer von 10.000/Monat auf 3.000/Monat "abstürzt", erlebt diese Angst oft genauso intensiv wie jemand, der von 2000.- auf ALG umstellen muss. Es kann daher nicht wirklich um ein reales problem gehen. Das problem ist innen - ich selbst gebe diesen Verpflichtungen ihre Brisanz.



Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
Lulu_hofft
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Lulu_hofft »

Hallo Schlaflos.

Depressive Phasen zu ignorieren ist Mist! (Hab ich auch lange Zeit gemacht. Es fällt dir früher oder später auf die Füße.)

Nun ist da ja aber deine Selbständigkeit. Also nix mit mal eben ausfallen...

Du sagst, du müsstest dann vollkommen umstrukturieren und umdenken. Ginge das denn? Würde der Laden trotzdem laufen? Wenn ja, dann TU ES!

Nächste Frage. Hast du schon eine Behandlung deiner Depression angepeilt? Wenn nein, dann TU ES!

Und dann noch eine Meinung zum Thema, zur Krankheit stehen. Wir Betroffenen sind uns relativ einig, dass Depression in der Gesellschaft tabuisiert wird. Logisch, drum verschweigen wir es ja so gern.
Wenn aber doch auch niemand dazu steht, wird dieses Tabu auch nicht durchbrochen.
Ich habe es jetzt in meiner Umgebung offen gesagt und soll ich dir was erzählen, schlaflos? Auf einmal kommen Hilfsangebote aus Ecken, aus denen ich nie damit gerechnet habe. Und noch viel wichtiger: Es kommen Leute, die sagen "Kenne ich, hab ich auch. Ich weiss, wie du dich fühlst."

Ich wünsche dir alles Liebe und Gute, schlaflos.
-------Ich bin wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich. (Adenauer)-------
Geranie
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Geranie »

Die Sache mit 'Mein Haus, mein Auto, mein Boot...' lässt sich dann noch ein bisschen erweitern bezüglich zwischenmenschlicher Ebene. Sich ja keine Blösse geben, dem anderen keine Angriffsfläche bieten, immer oben schwimmen, immer einen guten Eindruck machen, bloss nichts nach Aussen sickern lassen, nur nicht versagen. Ich finde, in dieser Gesellschaft wird man erstaunlich schnell zum Loser abgestempelt. Aber wer sind eigentlich die Leute, die diese Stempel vergeben? Sind das nicht letztendlich wir selbst? Haben wir nicht selbst dieses Bild stark verinnerlicht 'wenn ich jetzt einen Schritt zurücktrete, wenn ich zugebe, dass es mir zuviel wird, dann habe ich versagt, dann nimmt mich keiner mehr ernst'. Klar kann man es erleben, dass tatsächlich einige Mitmenschen 'die Nase rümpfen', zuviel erwarten kann man von denen nicht. Aber im Grunde tragen wir ja dasselbe Bild mit uns herum und geben diesen 'Naserümpfern' doch eigentlich recht?!

Schlaflos02: bist Du ansonsten zufrieden mit dem selbständig sein?
ashleigh
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von ashleigh »

Hallo,
ich habe eure Beiträge ganz aufmerksam verfolgt. Ich selber bin auch seit sehr vielen Jahren depressiv, habe auch schon viele Behandlungen hinter mir, einschließlich Klinik. Tja, das Thema Depression und Beruf ist ein sehr heikles. Ganz besonders, wenn man einen sozialen Beruf wie ich hat. Da stellt sich zusätzlich immer die Frage: Kann ich mich anderen Menschen zumuten? Ich kann also sehr gut verstehen, wenn man das Gefühl hat, beides nicht unter einen Hut zu bringen. Keine Ahnung, wie es euch geht, aber ich habe immer so ein "Berggefühl". Alles erscheint mir unüberwindbar, selbst Kleinigkeiten. Dann kann ich mich schlecht konzentrieren und verzettle mich leicht. Erschwerend kommt hinzu, dass ich vor einigen Tagen weit weg ziehen musste wegen meiner neuen Arbeit. Jetzt fühle ich mich auch noch entwurzelt, was mich zusätzlich aus der Bahn wirft. Ihr kennt das sicher: Gerade in depressiven Zeiten hängt man so an Vertrautem. Es ist zum Mäusemelken. Aber dennoch muss man eben Leistung bringen. Die Frage ist nur: Um welchen Preis? Und vor allem: Ist Druck immer das richtige Mittel der Wahl? Meine Erfahrung ist, dass je mehr Druck ich mir selber mache, desto weniger bekomme ich auf die Reihe. Ich glaube, man sollte sich mit seiner Depression arrangieren, sollte hinhören, was sie einem sagen will. Sie ist ja auch immer ein Signal, dass etwas im Argen liegt. Oft ging es mir so, dass in dem Moment, in dem ich mir Ruhe gegönnt habe und die Situation akzeptiert habe, alles leichter von der Hand ging. So, als hätte meine Seele einfach nur eingefordert, an erster Stelle zu stehen. Viel Kraft für euch alle!
Schlaflos02
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Schlaflos02 »

Clown
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Clown »

«Warum funktioniert das bei mir mit der Kursivschrift nicht?»

Hallo Schlaflos,

vielleicht hast du das Häkchen bei ' HTML-Tags erhalten' vergessen, ist hier unterhalb dieses Schreibfeldes.

Gruß,

Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
Geranie
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Geranie »

@Schlaflos: ist ja schon gut, wenn Du Dir den Job auch mal so einteilen kannst, dass Du nur die weniger belastenden Dinge tust, um etwas zur Ruhe zu kommen. Bei mir selbst hatte sich 'mein Haus, mein Auto...' darauf bezogen, ob ich mir vorstellen kann, auf meine schöne Altbauwohnung zu verzichten und in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Meine Antwort war für mich ein eindeutiges 'ja'. Aber da muss wohl jeder für sich selbst prüfen, ob das Backen kleinerer Brötchen möglich ist. Das kann aber auch schon für das 'Druck ablassen' gut helfen.
Geranie
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Geranie »

@Thomas: Deine Darlegung klingt so nach RET (Albert Ellis) Ist ein guter Ansatz, der mir vor etlichen Jahren schon mal geholfen hat, leider habe ich es nicht intensiv genug betrieben, so dass es nicht ausgereicht hat, meine (Denk-)Muster längerfristig zu verändern
chimera

Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von chimera »

Hey, ich danke Euch für diesen Thread!

Mir geht's im Moment gut und ich habe, da ich momentan etwas müde dahingehend bin, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, diesen Thread auch nicht sehr aufmerksam mitverfolgt – und ich werde sicherlich auch nicht in der Lage sein, ein Posting zu schreiben, das irgendwie erhellt.

Ich hab' das Kleinere-Brötchen-Backen ja mittlerweile schon durch – und, nachdem ich nun zum einen das Leben in Saus und Braus, das zum Standard machte, jeden Abend in teuersten Restaurants zu speisen, als auch das (momentane) Leben in einer Studenten-WG, ohne Auto und ohne Komfort, kenne, möchte ich – für mich ganz persönlich – konstatieren, daß es irgendwie nicht so wirklich, wirklich wichtig ist, ob man nun in 'ner schnieken Altbauwohnung lebt oder nicht. Eigentlich isses heute schöner, so romantisch, in meiner aus der Not heraus geborenen Lebenssituation, die mich dem prallen Leben viel näher brachte als alles, was zuvor war – anderseits nervt und überfordert sie, an manchen Tagen.

Anyway, die Frage aller Fragen ist ja folgende: Was macht mich denn nun glücklich, also so wirklich – was ist keine Ersatzbefriedigung, was ist nicht nur hohler Schein, was brauche ich wirklich? Ich kann dennoch eindeutig sagen, daß es mir heute, mit vergleichsweise viel Kohle in der Tasche, viel besser geht als früher, mit generalisierter Pleitephase – aber natürlich geht es nicht um's Geld; es geht nur um die Freiheit, es geht um das Gefühl, tun und lassen zu können, was man möchte.

Aus dem Thread herausgegriffen, weil es sich im Anzeigebereich meines Bildschirmes befindet:

Aber im Grunde tragen wir ja dasselbe Bild mit uns herum und geben diesen 'Naserümpfern' doch eigentlich recht?!

Yeah, Geranie, that's the point: ich rümpfe über mich selbst nicht die Nase, mit Ende 30 in 'ner Studenten-WG zu leben, und irgendwie scheint es (deswegen?) auch sonst niemand zu tun – und wenn doch, wäre es mir ja egal, da es ja keinen wunden Punkt meiner berühren könnte, da es diesbezüglich ja keinen wunden Punkt in mir gibt.

Lebensglück ist also immer das, was wir für Lebensglück halten: das kann sein, viel Geld zu haben oder wenig Geld zu haben, in einer Beziehung zu leben oder nicht in einer Beziehung zu leben – eigentlich irgendwie alles egal.

Insofern stimme ich [wie eigentlich immer, und trotzdem ich mir nicht so sicher bin, ob er die grundlegenden Unterschiede zwischen 'Etwas-in-der-Lebenspraxis-erfahren-Haben und Nur-darüber-Philosphieren' wirklich (soll heißen: auch emotional) kennenlernte – kleiner freundschaftlicher Seitenhieb ] grundsätzlich dem zu, was der liebe Thomas so schreibt...


Einen herzlichen Gruß in die Runde,
Chimera
FönX
Beiträge: 3370
Registriert: 2. Jul 2008, 11:37

Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von FönX »

Hallo Schlaflos,

du fragst:
> P.S. Warum funktioniert das bei mir mit der Kursivschrift nicht?
Meinst du, dass dein Zitat über diesem Absatz kursiv erscheint? Das macht das "Größer-als"-Zeichen vor dem Text. Der macht die Schrift bis zum nächsten Zeilenumbruch kursiv.

HTH (Hope That Helps)

Liebe Grüße
FönX

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Schlaflos02
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Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von Schlaflos02 »

FönX
Beiträge: 3370
Registriert: 2. Jul 2008, 11:37

Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von FönX »

Hallo Schlaflos,

> Habe den heißen Tipp schon von Clown erhalten.
Nein. Das waren zwei verschiedene Tipps, die sich ziemlich unterscheiden. Der eine stammt von Clown, der andere von mir.
FönX

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jolanda
Beiträge: 1147
Registriert: 16. Okt 2003, 10:29

Re: Verpflichtungen und Depression

Beitrag von jolanda »

Hallo!

Sicherlich ist es richtig, auf die Belastungsgrenzen zu achten und die Verpflichtungen runter zu schrauben.
Ich habe der Erkrankung zu verdanken, dass ich meinen Traumberuf aufgeben musste. dann habe ich eine berufliche Reha gemacht für 15 Monate und danach eine Umschulung. Insgesamt 4 Jahre, in denen ich keinen einzigen Cent verdient habe (bin da durch alle Maschen des sozialen Netzes durchgerutscht). Das alles um meine Belastungsgrenzen zu finden, zu erproben, was ich leisten kann. Ich weiß es immer noch nicht so ganz genau. Ich arbeite 50%. Allerdings ist das unregelmäßig verteilt, da man im Handwerk schlecht halbe Tage arbeiten kann. Ich habe mit meinem Chef ein flexibles Arbeitszeitkonto vereinbart. 80 Stunden im Monat, abrufbar nach Auftragslage. Ich kann aber auch sagen, wenn ich mal frei brauche. Es können auch mal 100 Stunden sein und dafür im nächsten Monat nur 60. Das kommt beiden eigentlich sehr gelegen. Also ich habe wirklich schon alles so "gestrickt" dass es optimal passt. Trotzdem gibt es eben Phasen, in denen ich das kaum erfüllen kann. Aber auch welche, in denen ich entspannt bin damit und auch mehr machen könnte. Ich weiß, dass ich dazu neige, immer über die Grenzen zu gehen. Also zwinge ich mich dazu weniger zu machen, als ich meine, dass möglich wäre.
Sollte das so auf Dauer auch nicht hin hauen, dann sehe ich meinen Versuch, auf dem 1. Arbeitsmarkt zu bestehen, als gescheitert.
Man kann sich Verpflichtungen einfach nie komplett entziehen.Das sind ja nicht nur die beruflichen Verpflichtungen. Es gibt ja auch noch familiäre,soziale, finanzielle...
Selbst, wenn ich versuche mich dem zu entziehen und in die Klinik gehe, dann gibt es selbst dort noch ein Minimum an Verpflichtungen. Da muss ich mich an Absprachen halte, am Therapieprogramm teilnehmen etc.
Ich denke es ist eine Illusion zu denken, wenn man die Verpflichtungen los wäre, dann wäre alles besser.
Die Kunst ist, die Balance zu halten. Zwischen dem, was man einhalten muss und dem was man kann oder will.

LG, jolanda


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