Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

uli2705
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Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von uli2705 »

Hallo,

ich möchte bereits hier anfügen, das dies ein sehr kritischer und knallharter Thread ist. Aber wenn es mir/Dir vielleicht jemals besser gehen soll, sollte man sich evtl. dieser Frage stellen.

Ich leide schon seit ca. 30 Jahren an Depressionen und habe mich nie damit abgefunden, das ich mit dieser Krankheit leben muß. Von irgendwo müßen diese ja her kommen!

Nun ist es so, das ich wohl lange die "Schuld" für diese Krankheit bei mir gesucht habe. Daran habe ich mit meinem Therapeuten intensiv gearbeitet, und:
als ich so allmählich diese Komplexe abgelegt habe, kommt nun heraus, das ich nicht sehen wollte bzw. konnte, das mein Vater mich früher in der Kindheit sehr stark unter Druck gestzt hat. Schläge ohne Ende und Sätze wie: "..kannst du ja doch nicht" oder "... schaffst Du ja doch nicht".
Das hat in mir starke Schuldgefühle und Minderwertigkeitskomplexe erzeugt.

Das alles wird mir nun langsam bewußt und ich muß leider fest stellen: ich konnte gar nicht anders reagieren. Der Druck war riesen groß und wehren konnte ich mich auch nicht, er war Stahlschlosser. Ein Kind versucht dann aus der Not alles so hin zu drehen, das die Eltern trotzdem "gut" sind und fängt an zu glauben, das der "Fehler" bei ihm liegt. Das ist leider ein "normales" aber grausames Verhalten.

Die Schuldgefühle nimmt man unter Umständen sein ganzes Leben lang mit!
So auch leider bei mir. Durch den ständigen Druck und Dauerangst vor Schlägen habe ich diese Anspannung mit in mein Leben genommen, eine ständige grausame Daueranspannung. Richtig entspannen geht nicht. Es ist quasi so, als würde man nicht merken, "das der Krieg aus ist".

Oft ist es leider so, das man das so nicht sehen will, weil: es sind Deine Eltern,Vorbilder an denem man sich orientiert (nur orientieren kann)! Wenn man ständig Schläge kriegt dann wohl, weil mit mir etwas nicht stimmt. Und die Schuld suchst Du bei Dir.

Es ist paradox, aber eine Art Schutzfunktion um das Leben zu ertragen, so auch bei mir geschehen. Man "liebt" quasi seine Peiniger. Und ich bin jetzt 42. Kann ich das nicht ablegen, trage ich die "Schuld" bis an mein Lebensende, das ist psychologisch erwiesen.

Aber: die "Schuld" habe ich nicht!!
Die tragen meine Eltern bzw. Vater.
Es ist leider wirklich so. Du hast in diesem Fall die Unfähigkeit Deiner Eltern auf Dich genommen. So war es jedenfalls bei mir. Und ich glaube (leider) auch, das es anderen so geht oder ging.

Ich möchte all diejenigen ermutigen sich diese Frage einmal zu stellen. Die "Schuld" daran trägst Du nicht! Die ist in Dir aufgrund äußeren Drucks entstanden. Du konntest nicht anders und nichts dafür!

Es ist sehr hart und kritisch, ich weiß. Ich selber lasse mich davon auch nicht mehr abbringen (bitte nicht versuchen). Letztendlich ist es eines jeden alleinige Entscheidung, und dies ist meine.

Ich gehe sogar noch weiter: habe mich mit Bach (Bach-Blüten) beschäftigt. Der sagte u.a.: muß ich meine Eltern lieben und ehren nur, weil sie mich geboren haben?
Ich frage: auch, wenn sie mich halb tot schlagen? Ich sage: nein.
Aber Fakt ist. das dies in der Bibel auch so hinterlegt ist und viele richten sich auch (unbewußt) danach.

Ich bin jetzt dabei mich von meinen Eltern konsequent zu distanzieren auch auf Anraten meines Arztes. 30 Jahre Depressionen sind genug! Und ich werde keine Sekunde zügern daran zu arbeiten und Schritte einzuleiten, das es mir besser geht.

Gruß
Ikarus
Denker
Beiträge: 645
Registriert: 11. Apr 2005, 13:55

Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Denker »

Hallo Ikarus,
dein Text könnte fast wörtlich von mir sein!

Auch ich hatte einen brutalen, gewalttätigen Vater und habe meine Kindheit in ständiger Angst vor ihm verbracht. Und ich denke, dass hat mein Stressregulationssystem nachhaltig geschädigt und damit die Depressionen verursacht.

Meine Mutter hat den gewalttätigen Vater als Erziehungsmittel mißbraucht ("warte nur, bis Vater von der Arbeit kommt"), was subtiler war, aber keineswegs besser.

Seit dem Tod meines Vaters vor 4 Jahren habe ich den Kontakt abgebrochen, was mir sehr gut tut.

Wichtig finde ich, dass man an diesem Punkt nicht stehen bleibt, sich quasi ein Leben lang für alles mit einer harten Kindheit entschuldigt.

Wichtig finde ich aber genauso, dass man seinen Peinigern nicht vorschnell vergibt und verzeiht. Denn dann unterdrückt man einen notwendigen Verarbeitungsprozess.

Und so empfinde ich diesen Verarbeitungsprozess:

1. Stufe
Intellektuelle Erkenntnis, was mit mir passiert ist. Gefühle sind dabei relativ unbeteiligt. Begann bei mir vor etwa 25 Jahren!

2. Stufe
Die Gefühle kommen dazu! Zunächst taucht bei mir eine gesunde und ehrliche Wut auf! Der Auslöser für Stufe 2 war bei mir das Begräbnis meines Vaters vor 4 Jahren.

3. Stufe
Die Wut verwandelt sich allmählich in Trauer. Trauer über eine Kindheit, die ich nie hatte und die ich nie mehr nachholen kann. Das ist der Punkt, an dem ich derzeit stehe. Danach kommt hoffentlich:

4. Stufe:
Loslassen!

Was meinen Vater angeht bin ich in dem Prozess weiter, als mit meiner Mutter.

Liebe Grüße
Denker
niederländer

Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von niederländer »

Hallo Ikarus, hallo Denker,

Ich kann mich bein euch anschließen. Fast dasselbe habe ich erlebt. Ich bin in 1957 geboren. Scheinbar eine weniger gute generation.......
Ich habe statt körperliche viel psychische Schläge bekommen die mich jahrelang herruntergezogen haben.
Immer hieß es : das kanst du nicht,du bist zu schüchtern usw.
Keine gute Voraussetzung für mein Selbstsicherheitsgefühl und positive Einstellung zum Leben.
In meine Pubertät hat sich die erste Depression entwickelt. Dann hat sich es jahrelang in eine art Schlummerfase gehalten.
Die Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühle blieben jedoch.

Erst als ich 50 war hab ich sie wirklich verarbeiten bzw besiegen können.
Viele verschwendete Lebensabschnitte sind mir über den Weg gekommen.
Ob die alle die Schuld meine Eltern sind ?

Machts gut ihr Beiden,

Gruss,

Dutchy
himmelskörper
Beiträge: 778
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von himmelskörper »

Hallo Ikarus,


ja, ich gebe mir auch an allem die Schuld, das es meine Schuld ist das ich an Depressionen leide.
Könnte ich dies, das oder jenes würde es mir besser gehen.

Ich bin ein sehr zurückgezogener, scheuer Mensch, bedingt durch mein Elternhaus.
Ich hatte zeitlebens, die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, die mir nicht erfüllt werden konnte, weil ich nicht so war, wie ich von den Eltern (Vater) gewünscht war.
Hab mir seit meiner Kindheitheit den Arsch aufgerissen um gesehen zu werden, aber ich war nicht gut genug.
Könnte noch mehr aufzählen.

Seit ich in Tiefenpsychologischer Therapie bin, wird mir so langsam bewußt, das ich daran keine Schuld habe, ich konnte nicht anderst, ich hätte machen können was ich wollte, es hätte mich nie zum Ziel geführt.
Meine Eltern waren nicht fähig mir das zu geben, was ich so unendlich vermisste.
In den ersten Lebensmonaten wurde mir die Depression und die Borderline Persönlichkeitsstörung, mitgegeben.

Aber, ja aber, ist es jetzt wirklich richtig, wenn ich meine Eltern verachte, beschuldige und mit ignoranz bestrafe.
Gewiss ich bin enttäuscht, verärgert, richtig wütend und sauer, dass meine Eltern nicht fähig waren mir ein solides Grundgerüst mit auf den Weg zu geben.

Aber ich bin der Meinung sie hatten es nicht anderst gekonnt, auch sie hatten eine Vergangenheit, auch sie hatten gelitten unter der Gefühlkälte ihrer Eltern, es waren Kriegzeiten als sie aufwuchsen, es war einfach eine ganz andere Zeit in der sie auch so vieles vermisst haben.

Meine Mutter gibt heute sogar zu, dass sie uns nie so ihre Liebe hat spüren lassen, sie war es nicht gewohnt und sie dachte dies wäre so o.k., sie weiß das es ein Fehler war, wenn sie mich und meine Kinder schmussen sieht.
Mein Vater, hat seine Fehler zeitlebens nicht eingesehen, er war immer der Meinung was er macht ist richtig, ich habe ihn gehasst dafür, aber auch er hatte eine schreckliche Kindheit, mit drei Jahren war er mit seiner Mutter auf der Flucht. Jetzt ist er Tod, warum soll ich ihn noch hassen, warum?

Jetzt bin ich alt genug, kann mein Leben selbst lenken, klar meine verloren gegangenen
Kindheitstage, die ich mir wünschte in Liebe und Geborgenheit, kann ich mir nicht mehr zurückholen, ob ich meine Eltern verachte oder nicht. Aber ich kann das bei meinen Kindern anderst machen, ich muss es nicht wiederholen, wie es schon Jahrzehnte in der Familie sich wiederholt hat, ich kann es ändern.
Ich habe viel zu Lange, verlorene Jahre waren es, immer geglaubt ich bin Schuld. Soll ich jetzt, wieder viele Jahre meinen Eltern die Schuld geben.
Wieder verlorene Jahre, wäre es nicht sinnvoll sich ganz auf mich zu konzentrieren und an mir zu arbeiten, das ich ein glückliches, erfülltes Leben habe, gefüllt von Geborgenheit, Liebe und Nähe so wie ich es mir immer gewünscht habe.

Also ich mache niemanden mehr verantworlich für meine Depressionen und meiner Pers.St., ich hab sie jetzt, ich kann es nicht mehr Rückgängig machen,aber ich versuche damit zu Leben, jetzt liegt es an mir den Weg zu suchen und zu finden, der zum Ziel führt, wenn ich das nicht tue, ja dann bin ich selber Schuld.


Liebe Grüße sedna


manos
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von manos »

Hallo,

Schuld oder Verantwortung der Eltern?

Gut, die Keime werden in der Kindheit gelegt.
Irgendwann wird man erwachsen, merkt, dass man Schwierigkeiten hat.
Irgendwann beginnt meine eigene Verantwortung für mein Handeln.

Wut, Hass oder Unverständnis und Abbruch der Beziehung?
Ändert das den Blick auf die Eltern, auf mich und hilft mir das wirklich?
Vor 50 bis 70 Jahren war vieles anders, "fehlerhaftes" Verhalten, PS und anderes wurde nicht erkannt, behandelt oder gar langandauernd, wie heute manches über 10 Jahre lang oder länger, therapiert.
Galten nicht noch ganz andere Erziehungsmaximen bei unseren Eltern und Großeltern? War nicht ein gehorsames nicht aufmütziges Kind besser erzogen als ein Rabauke und ständig quengelndes Kind?
Was wusste die einfache Bevölkerung über Erziehung? Wie war der Bildungsstand?
Heute haben wir massenweise Möglichkeiten uns zu informieren, beraten und therapieren zu lassen.
Ich bin total gegen Prügel. Wann gab es die letzten mit Rohrstock ausgestatteten Lehrer in Schulen?
Und Prügelstrafen, gar Folter und andere unmenschliche Maßnahmen gibt es noch heute.
Und erst in den 50-zigern Jahren wurde das Erziehungsvorrecht des Mannes in Deutschland abgeschafft.
Wie lange wirken jahrhundertlange Prinzipien, Anschauungen, Methoden in einer Gesellschaft nach?

Ganz klar grenze ich mich von Prügel und anderen sträflichen Erziehungsmethoden ab.
Sich aber Fragen zu stellen, warum dies und jenes so gelaufen ist, könnte auch von Nutzen sein.

Es liegt im Ermessen des Einzelnen wie er damit umgeht.
Es gibt auch das Bibelzitat:
Vergib ihnen, denn sie wussten nicht, was sie taten.

manos

Kaum zu glauben, aber wahr:
http://www.welt.de/wams_print/article33 ... hwand.html

http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,15 ... 94,00.html
manos
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von manos »

Liebe Sedna,

ich schließe mich deinen Auffassungen an.
Du hast das persönlich geschrieben, was ich versuchte allgemein darzulegen.

manos
Tonja
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Tonja »

das sind gute gedanken und es gibt auch bereits einen gleichlaufenden treat von steppenwolf auf der gleichen seite,eigentlich gehören die zusammen.
ich wurde in der kindheit auch emotional lieblos behandelt,nicht vernachlässigt oder geschlagen aber es gab halt nie in den arm nehmen,ein lob oder ein danke.noch heute gibt es kein in den arm nehmen und ich hab es auch nicht gelernt.mir ist noch heute unwohl bei jeder art von berührung,kuscheln fällt mir schwer.
aber ich weiß auch daß mein eltern es sehr schwer hatten,ebenfalls kriegsflüchtlinge als kinder und sie haben das alles unverarbeitet in sich.weichheit oder gefühlsduselei konnten oder wollten sie sich nicht leisten.
ich weiß sie meinten es nicht böse was sie falsch gemacht haben.sie wußten es nicht anders und dasist für mich leichter verständlich als wenn es zu roher gewalt oder vergewaltigong oder sowas gekommen wäre.ich entschuldige ihre emotionale kälte nicht aber ich gebe ihnen auch nicht die schuld.es ist quasi neutral.
ich habe leider keine kinder und werde nie welche haben,vielleicht hätte ich mit ihnen kuscheln oder liebhaben lernen können.meinem mann war ich immr sehr gehemmt und er hat mich dann wegen einer jüngeren internetbekanntschaft verlassen.
heute lebe ich seit jahren allein.
vg t.
tomroerich
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von tomroerich »

Liebe Sedna,

Aber ich bin der Meinung sie hatten es nicht anderst gekonnt, auch sie hatten eine Vergangenheit, auch sie hatten gelitten unter der Gefühlkälte ihrer Eltern, es waren Kriegzeiten als sie aufwuchsen, es war einfach eine ganz andere Zeit in der sie auch so vieles vermisst haben.

und

Also ich mache niemanden mehr verantworlich für meine Depressionen und meiner Pers.St., ich hab sie jetzt, ich kann es nicht mehr Rückgängig machen,aber ich versuche damit zu Leben, jetzt liegt es an mir den Weg zu suchen und zu finden, der zum Ziel führt, wenn ich das nicht tue, ja dann bin ich selber Schuld.

ich bin auch unter teilweise drastischer Vernachlässigung aufgewachsen. Meine Mutter hatte immer wieder Liebhaber und da war ich ihr schon als Kleinkind lästig. Mich an ein Tischbein zu binden war nur eine der Maßnahmen, mit denen sie versuchte, mich ruhig zu stellen. Hätte sich nicht die Kinderfrau rührend um mich gekümmert, wäre ich vielleicht nicht mit Depressionen davongekommen.

Ich war schon 30, als ihr aufging, was da vor sich gegangen war und da schmerzte es sie. Leider war ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage, darüber zu reflektieren und da sie wenig später starb, kam, es nie zu einer gemeinsamen Aufarbeitung.

Sie selbst war ein Kriegskind, musste als junges Mädchen russischen Soldaten zu Diensten sein.

Ich glaube heute genug von der menschlichen Seele verstanden zu haben um zu sagen, dass es nicht gerechtfertigt ist, von Schuld zu sprechen. Als Betroffener, der die Folgen als persönliches Leid zu tragen hat, stellt sich scheinbar die seltsame Frage, ob ich denn dann nicht selbst Schuld bin, wenn es nicht der andere ist. Die Annahme, dass ja irgend jemand Schuld sein muss, sitzt tief und ruft nach Vergeltung, Wiedergutmachung. Es ist die unausweichliche Folge der Schuld, dass jemand dafür zu büßen hat.

Aber ist das wirklich wahr oder ist es nicht so, dass die Vergewaltigung der Seele aus Opfern auch immer wieder Täter macht? Und wodurch lässt sich dieser unselige Kreislauf beenden?

Das Festhalten an der Schuldfrage bringt keine Heilung. Weder dann, wenn die Schuld außen gesehen wird noch dann, wenn sie innen gesehen wird. Heilung wird möglich, wenn die Schuldhaltung aufgegeben wird und man sich daran erinnert, dass Schuld ja eigentlich das ist, was uns so niederdrückt. Was man als Kind fühlt, wenn man vernachlässigt wird ist, dass man schuldig ist. Und diese drückende Last will man verständlicherweise loswerden, wenn man die schuldig spricht, die einem das angetan haben. Aber das bringt vielleicht Erleichterung aber keine Lösung, denn man besteht immer noch darauf, dass Schuld wirklich ist.

Schuld würde wenigstens eines voraussetzen, um überhaupt wirklich sein zu können: Es hätte auch anders laufen können, es gab eine Wahl - z.B. für meine Mutter.

Aber sie hatte keine, weil sie nicht in der Lage war zu sehen, was sie tat. Sie tat das, was sie für richtig hielt und erst sehr viel später konnte sie besser sehen. Das ganze Drama besteht garnicht darin, dass jemand falsch wählt sondern darin, dass keine Wahl besteht. Es geschieht einfach.

Ist unter solchen Umständen Schuld ein brauchbares Konzept? Für mich ist sie das ganz klar nicht und je eher man sie loslassen kann, um so besser.



Thomas
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Karla
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Karla »

Hallo Ihr Lieben,

in diesem Tread fühle ich mich zu Hause, denn ich habe das gleiche Schicksal.

Ich hatte eine schlimme Kindheit und Jugend. Ich gehöre noch zu der Generation, wo die Kinder unter den Folgen, der durch den Krieg ausgemerkelten Eltern leiden mußten.
Nach meiner 2 Depri machte ich eine Therapie, meiner Therapeutin ist es wirklich gelungen mich von den Schrecken in meiner Kindheit zu befreien. Sie zeigte mir Wege auf, die ich auch gehen konnte.
Dadurch war es mir gelungen, meinen Eltern zu verzeihen, meinen Vater, denn er war besonders anstrengend.

Ich habe mich mit dem Leben meiner Eltern, die 1908 und 1912 geboren worden, ihre Flucht und die ersten Jahre nach dem Krieg auseinandergesetzt und ich habe so viel Elend entdeckt.
Sie leben beide nicht mehr, ich verneige mich heute vor ihnen und beginne zu begreifen, da sie selber seelig krank waren, nicht anders handeln konnten.
Nach dem ich ihnen verziehen hatte, begann mein Heilungsprozess mit 56 Jahen.

Ich fühle mich innerlich befreit, mein Leben ist so verlaufen und daran kann ich nichts mehr ändern. Es war ein ganz langer Weg, bis dahin zu gelangen. Ich habe es geschafft, aber nie gedacht, dass ich es einmal schaffen werde.

Die Ursache für meine schwere Depression ist auch in meiner Kindheit zu suchen, laut Gutachterin.

HG von Karla
Denker
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Denker »

Also sind wir alle die Opfer einer Elterngeneration, die einfach keine Wahl hatte? Das ist mir zu einfach. Meine Eltern waren jedenfalls keine Roboter. Und spätestens bei der Erziehung der eigenen Kinder stellt man doch hoffentlich fest, dass Eltern sehr wohl eine Wahl haben. Sonst gibt es ja keine Hoffnung, diesen Kreislauf jemals zu durchbrechen!

Stellt euch mal folgende Situation vor: Ein besoffener Autofahrer fährt eines eurer Kinder tot. Kann man dem armen Mann wirklich eine Schuld geben? Er war gerade arbeitslos geworden und deshalb schwer gefrustet. Für so etwas muss man doch Verständnis haben, oder? Da muss man doch vergeben, sonst bleibt man nur in der Vergangenheit verhaftet.

Meine Eltern haben mich umgebracht und das werde ich ihnen nicht verzeihen, auch wenn ich heute sehen kann, dass sie ihre eigenen Probleme hatten, die sie ein Stück weit zu dem gemacht haben, was sie geworden sind.

Und trotzdem schaue ich in die Zukunft und versuche die Vergangenheit abzuhaken, nur eben nicht zu verdrängen!

Liebe Grüße
Denker
just
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Registriert: 21. Mär 2008, 18:59

Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von just »

Liebe Karla,
da ich mich in einem 'Dauertief' befinde und mich hier mal eingelesen habe, wollte ich dir einfach mitteilen, dass es mich freut von dir
zu lesen.
Grund: Meine (verstorbenen) Eltern sind 1907/1911 geboren.
Ich bin ein sog. (ungewollter) 'Spätnachkriegsankömmling'.
Schrieb es an anderer Stelle schon mal, dass ich meinen Eltern nichts vorwerfen kann.
Auch nicht, dass die für meine Mutter entsetzlichen Abtreibungsversuche und der Wunsch mich unter den gegebenen Bedingungen aus dem Fenster zu schmeissen verständlich waren/sind.
Die Auslöser meiner Depression liegen viel mehr in Ursachen, die in den letzten ca. 15y
auftraten.
aber ich weiss, dass mein Vater, zwei Geschwister (u.a. Familienmitglieder) ohne es zu wissen, depressiv waren/sind.
Das wurde mir aber erst so richtig bewusst, als ich mich intensiv mit dieser Problematik auseinander gesetzt habe.

Dazu gäbe es meinerseits noch viel zu schreiben, aber ich kann es momentan nicht.

Alles Liebe dir
und an alle Betroffenen
delta
Karla
Beiträge: 136
Registriert: 12. Feb 2009, 09:01

Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Karla »

Hallo Denker,

"Meine Eltern haben mich umgebracht und das werde ich ihnen nicht verzeihen, auch wenn ich heute sehen kann, dass sie ihre eigenen Probleme hatten, die sie ein Stück weit zu dem gemacht haben, was sie geworden sind."

Ich nehme an, dass Du ein ganz schlimmes Erlebnis in der Kindheit hattest, oder wie meinst Du das mit dem umgebracht?


"Und trotzdem schaue ich in die Zukunft und versuche die Vergangenheit abzuhaken, nur eben nicht zu verdrängen!"


Das was wir als Kind erlebt haben, kann man niemals vergessen, es wird in unserem Leben immer in uns sein, indem man verzeiht verdrängt man nicht, man vergibt, weil man sich sagt, warum soll ich mit Wut und Trauer durch das Leben gehen, wenn es sich leichter leben läßt, wenn ich es verarbeitete und keinen Hass mehr empfinde.

Das bedeutet auch nicht, alles im Leben verzeihen, wenn ein Mensch meine Tochter umbringen würde, dies könnte ich niemals verzeihen. Das Verzeihen hat auch seine Grenze.

Trotzdem hat man von den Eltern auch positive Sachen mitbekommen, es ist leider war. Ich habe den Biss und den Fleiß und Ausdauer von meinen Vater geerbt, nun bin ich sogar noch dankbar für diese Eigenschaften. Auch das Talent für das Zeichnen, oh Gott, das stammt von ihm.

Gerade bei Depressionen ist die Ursache der Erkrankung noch ziemlich unbekannt, so würde man auch voreilig denken, nur die einzige Ursache in der Kindheit zu suchen.
Da gab es sicherlich noch mehr negative Ereignisse, dass so eine Krankheit ausbrach.

HG Karla
manos
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Registriert: 29. Jul 2009, 16:42

Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von manos »

Hallo,
um es verständlicher zu erklären:

Meine Eltern, inzwischen verstorben, waren Jahrgang 1911 /14.
Und hätten sie die legitime Wahl gehabt, wäre ich eventuell nicht in die Kriegswirren hinein geboren worden.
Es besteht immer eine Wahl, nur sind die Folgen nicht absehbar und diffus.

Es ist heute eine andere Zeit und wir können uns nur schwerlich in die Alltagsproblematik und Nöte unserer Eltern zurückversetzen.
Manchmal ging es in den Nachkriegsjahren nur ums Überleben.

Wer darüber urteilt, man hätte usw.....
der möge doch mal all die Vorteile und Errungenschaften, die wir heute genießen können, Unterstüzung, Kindergeld u.v.a. mal beiseite rücken.. und dann selber sehen, wie er ohne Wahl klarkommt.

manos
Karla
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Karla »

Hallo delta,

das ist ja ein Zufall, dass unsere Eltern in dem fast gleichen Jahr geboren wurden.

Du schreibst, Du befindest Dich in einem Dauertief.
So möchte ich Dir Mut machen und schreiben aus einem Dauertief gibt es einen Weg nach oben.
Mir ist es jetzt im fünften Jahr nach Ausbruch der Krankheit gelungen, wieder ein Leben zu führen, das lebenswert ist.

Wie habe ich das geschafft?
Ich habe alle negativen Störquellen in meinen Leben beseitigt, ihnen die Nahrung verweigert, den Hahn abgedreht.

Nicht auf einmal, so nach und nach.
Nach jeder Störquellenbeseitigung wurde mein Zustand immer besser.

Mein Hauptstörenfried, meinen ehemaligen Chef habe ich abgestellt, in dem ich aufgehört hatte, in seinem Büro zu arbeiten.

HG Karla
just
Beiträge: 352
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von just »

Nachtrag @ Karla:
Das sehe ich (fast) genau so.
Wenn jemand (m)ein Kind o.a. Individuen mit Absicht umgebracht
hätte oder es tun würde, hört bei mir das
Verzeihen auf.
Das gilt für alle, die wissentlich! SCHULD auf sich geladen haben. Aber auch da gibt es Unterschiede.
(Folter, Mord etc.pp)
LG
delta
Tonja
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Registriert: 15. Apr 2008, 08:57

Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Tonja »

ja eben das ist schon nen unterschied ob ich passiv also durch unterlassen schuld auf mich lade weil ich es einfach nicht besser wußte oder konnte oder ob ich aktiv jemandem schade.durch schläge,durch gewalt oder sonstwas.
meine eltern sind zwar noch was jünger, in der direkten vorkriegs- und kriegszeit geboren aber das was sie erlebte hat sie geprägt.eigentilch hätten damals generationen von flüchtlingen,trümmerfrauen oder kriegsheimkehrern therapeutsiche hilfe gebraucht,doch keiner hat auch nur ansatzweise sowas erhalten weil es das damals nicht gab.
und ich glaub schon daß die generation die heute so ab 40 aufwärts ist (wie ich)erst die letzten jahre wirkliche hilfe und unterstützung erlebt.früher gab es kein forum,da waren psychische krankheiten stigmatisiert,man ging nicht zum "irrenarzt" oder ins "irrenhaus",solcherlei erkrankte wurden schamhaft versteckt oder bagatelisiert.
die jüngeren um 20, 25 oder jünger haben da viel weniger berührungsängste zu überwinden.
unsere eltern hatten diese chance nicht und wir ältern anfangs auch nicht oder nur sehr begrenzt.
verzeihen werde ich es nicht daß ich durch ihre emotionale kälte zu nen emotionalem krüppel wurde der vor allem angst hat,dazu hat es mein leben zu sehr beeinträchtigt.aber ich habe für mich akzeptiert daß sie es nicht aus böser absicht taten sondern überfordert waren,selbst hilfe gebraucht hätten aber keine bekamen oder nicht wußten wo.
das muß aber sicher jeder für sich entscheiden und wenn wie bei dir thomas gewalt im spiel war dann ist das noch um vieles schwerer.wobei wie ein vorschreiber schon schrieb auch subtile gewalt ganz ganz übel sein kann und nicht nur das offensichtliche wie schläge.
vg t.
himmelskörper
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Registriert: 10. Jul 2009, 14:13

Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von himmelskörper »

Hallo,

wenn ich niemanden mehr die Schuld gebe an meinen Depressionen, dann bedeutet dies nicht für mich , das ich meine Vergangenheit verdränge.
Nein, sie war da, sie bleibt ein Teil von mir. ob ich will oder nicht.
Ich setze mich mit meiner Vergangenheit auseinander, d.h. ich versuche es, ich möchte wissen warum ich so bin, wie ich bin, was waren die Ursachen.
Ich versuche herauszufinden, was mich eventuell in die Depression geführt hat, auch meine Mutter muß sich dazu einige Fragen anhören, aber es geht nicht mehr um Schuldzuweisung, nein, es geht darum mich besser verstehen zu lernen. Das brauch ich um mit meinen Depri. besser klar zu kommen.

Würde ich die Schuld, aber immer noch, nur bei meinen Eltern sehen, so würde ich gar nicht fähig sein, mich mit meiner Vergangenheit so auseinander zu setzen.
Je mehr ich mich damit befasse, sehe ich auch die guten Sachen, die waren da, sie wurden nur überdeckt von den vielen Dingen die mir soviel Schmerz bereitet haben und die ich so sehr vermisste.

liebe grüße sedna


tomroerich
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von tomroerich »

wenn ich niemanden mehr die Schuld gebe an meinen Depressionen, dann bedeutet dies nicht für mich , das ich meine Vergangenheit verdränge.

Nein, das bedeutet es ganz und gar nicht. Schuld zu sehen bedeutet eine bestimmte Bewertung dieser Vergangenheit. Wenn da jemand ist, der sich mir gegenüber schuldig gemacht hat, dann bedeutet das auch, dass es in Absicht geschah. Dann muss ich aber auch glauben, dass ich wirklich und tatsächlich gemeint war. Dann hat mich meine Mutter absichtsvoll vernachlässigt - sie hat darüber nachgedacht und kam zu dem Schluss: Dieser Junge muss vernachlässigt werden.

Daher steckt im Beschuldigen die Anerkennung, dass ich absichtsvoll verletzt wurde und man mir dadurch mitteilen wollte, dass ich schlecht bin. Das ist der Knackpunkt für mich dabei. Wenn ich meine Schuldzuweisung nicht aufgeben will, dann will ich auch nicht die Idee aufgeben, absichtsvoll verletzt worden zu sein und dann halte ich meine Verletzung aufrecht und will sie nicht aufgeben. Das ist der wichtigste Grund dafür, warum Vergebung heilt.

Ich versuche herauszufinden, was mich eventuell in die Depression geführt hat, auch meine Mutter muß sich dazu einige Fragen anhören, aber es geht nicht mehr um Schuldzuweisung, nein, es geht darum mich besser verstehen zu lernen. Das brauch ich um mit meinen Depri. besser klar zu kommen.

Das ist sehr konstruktiv und selbstzugewandt

LG

Thomas
Betroffene für Betroffene

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momadome
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von momadome »

Hallo,

Ich bin neu hier im Forum, hab allerdings schon längere Zeit mitgelesen.

Dieser Thread spricht mir aus dem Herzen. Auch ich bin Ende 40, meine Eltern waren Kriegskinder und haben ihr Erleben völlig verdrängt. Meine Kindheit war nach außen in Ordnung, doch im emotionalen nur von "du mußt..., Gefühle gehen keinen etwas an..., das kannst du nicht.... pass bloß auf... benimm dich.... mach uns keine Schande..." bestimmt. Ich kann mich nicht bewußt daran erinnern, jemals mit meinen Eltern geschmust zu haben, oder eine klitzekleine Zärtlichkeit zwischen ihnen wahrgenommen zu haben.

Das alles ist mir in der Therapie klar geworden und auch, daß meine Eltern nur das weitergeben konnten, was sie selbst erfahren haben. Und ich denke, daß sie viele ihrer Erfahrungen, die sie für sich als schlecht erkannt hatten, nicht an mich weitergegeben haben. Sie sind also nicht absichtlich schuldig geworden.

Ich bin jetzt damit beschäftigt um meine Kindheit zu trauern. Um all die Gefühle, die nie gewachsen sind oder die nicht ausgesprochen wurden. Es fällt mir sehr schwer meinem Mann und meinen Kindern gegenüber von meinen Gefühlen zu sprechen, die mich dabei beschäftigen. Und mich treibt die Angst, was ich meinen Kindern (sind schon aus dem Haus) in ihrer Kindheit unwissend angetan oder unterlassen habe.

Doch schuld an meiner Depression bin weder ich noch irgend ein anderer alleine. Es sind viele Bausteine, Veranlagungen und Auslöser die mich ins Loch getrieben haben. Und zur Zeit glaube ich, daß mein Loch mit Treibsand gefüllt ist, der mich immer wieder runterzieht, wenn ich mal über den Rand gucke.

Liebe Grüße
jojoma
tomroerich
Beiträge: 3102
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von tomroerich »

Hallo Jojoma,

habe die Ehre, dich hier willkommen zu heißen!

Das alles ist mir in der Therapie klar geworden und auch, daß meine Eltern nur das weitergeben konnten, was sie selbst erfahren haben. Und ich denke, daß sie viele ihrer Erfahrungen, die sie für sich als schlecht erkannt hatten, nicht an mich weitergegeben haben. Sie sind also nicht absichtlich schuldig geworden.

genau das denke ich auch. Im Grunde ist es doch so, dass man zunächst bestimmte Einsichten gewinnen muss, um sagen zu können: Das ist so nicht richtig, ich will es anderes machen. Früher hat man Einstellungen zu Kindern gehabt, die heute nur Kopfschütteln auslösen.

- Babies lässt man schreien, das gibt eine kräftige Lunge

- Wer sein Kinder liebt, der züchtigt sie
- Kinder soll man sehen aber nicht hören

Und all das hat man wirklich geglaubt und war sich sicher, dass es so richtig ist. Das alles ist nur Unwissenheit und die ist auch heute nicht behoben. Neben diesen gesellschaftlichen Glaubenssätzen gibt es auch noch persönliche. Die TV- und Killerspiel- Generation von heute wird auch ihre Schäden davontragen und wird auf ihre Elterngeneration zeigen, die zugesehen hat.



Thomas
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otterchen
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von otterchen »

Hallo,

natürlich spricht auch mich dieses Thema an... und das, was ich lese, ist ja durchaus richtig, dennoch bleibt in mir ein Aber stehen.

Aber: wenn WIR diesen Kreislauf durchbrechen konnten, wenn wir innerlich nach Liebe schreien, warum dann die Eltern nicht?

Aber: woher soll, woher kann ich wissen, dass nicht wirklich ich gemeint war? Ich war ungeplant und unwillkommen, ein kostenverursachendes Ärgernis. Gewiss - die Eltern waren geprägt von der Kriegs- und Nachkriegszeit (beide Jahrgang 1928) und haben wohl nur das weitergeben können, was sie selber erfahren haben.
Aber: 1928 war noch kein Krieg. Gewiss waren es keine rosigen Zeiten, aber demzufolge auch lieblos in der Konsequenz?
Ich könnte mir gut vorstellen, dass es in anderen Familien dennoch ein liebevolles, fürsorgliches Miteinander gegeben hat.
Gewiss überschattet von der Kriegs- und Nachkriegszeit - aber beherrscht davon? Alles Gute ausgelöscht?

Es ist und bleibt falsch, dass wir Kinder für das bestraft wurden bzw. zu leiden hatten, was die Eltern durchgemacht hatten.

Es stimmt, dass Schuld nach Wiedergutmachung verlangt, und die kann und will ich (zumindest an dieser Stelle, bei den Eltern) nicht suchen.
Aber es ist halt ein Fakt, und ich kann zumindest im Moment noch nicht sagen "ich verstehe sie". Vielleicht deshalb, weil ich selber so sehr auf Positives aus bin? Und weil ich deshalb sehe, dass man sich durchaus besinnen kann? Dass man die Weitergabe von Lieblosigkeit durchbrechen kann?

Ich weiß derzeit nur eines: ich konnte nichts dafür - und selbst WENN ich ein "schlimmes" Kind gewesen wäre, hätte ich doch Liebe, Fürsorge, Zuwendung, Verständnis, Willkommensein verdient gehabt.
Ich habe mich zu lange gefragt, ob ich nicht doch selbst Schuld daran getragen hätte, dass ich so behandelt wurde, wie es passiert ist. Und zumindest das weiß ich: nein!

Es ist passiert, es war ihnen nicht anders möglich... hm... so ganz mag ich dem nicht zustimmen.
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tomroerich
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von tomroerich »

N'Abend Otterchen,

Es ist passiert, es war ihnen nicht anders möglich... hm... so ganz mag ich dem nicht zustimmen.

die Alternative dazu ist aber, dass etwas mit dir nicht stimmt und dass deine Eltern daher Recht hatten, dir nicht das zu geben, was du verdienst. Das ist die unausweichliche Konsequenz daraus, wenn man schuldig spricht. Die andere Möglichkeit ist, einen Irrtum zu sehen. Aber wenn es ein Irrtum war, dich schlecht zu behandeln - und es war einer - gibt es nichts zu beschuldigen. Es war ein Irrtum, mehr nicht.



Thomas
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Guinevere
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Guinevere »

die Alternative dazu ist aber, dass etwas mit dir nicht stimmt und dass deine Eltern daher Recht hatten, dir nicht das zu geben, was du verdienst.

Hmm, irgendwie seh ich das anders *grübel*. Vielleicht liegt es auch daran, dass z.B. meine Mutter nicht mal wusste, was mir fehlte (wird mir eigentlich erst jetzt, so aus der Distanz betrachtet so richtig bewusst, dass die da null Schimmer hat), und somit, für nicht wissen, kann ich sie ja wohl schwer belangen.

Meine Schwester zwar auch mal meinte, durch ihr negatives Weltbild, traute sie man ja gar nicht zu fragen, seine Bedürfnisse zu äussern, sie um irgendwas zu bitten.

Ich weiß nicht, ob jeder Mensch die gleichen Bedürfnisse hat?
Aber, für sie, Mai 1945 geboren waren da eher so Themen wie z.B. was zu Essen haben zentral, und eben in anderer Leute Augen "gut" dastehn...

Schönen Abend Euch,
Guini
Guinevere
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von Guinevere »

Hmm, Schwiegermom, die ist 1924 geboren. Hat ihre Kinder an den Tisch angebunden, ihnen ab und an nen Schnapslolli verabreicht, damit sie in der Landwirtschaft in Ruhe arbeiten konnten.
Teebeutel nach dem Verwenden wieder getrocknet,... (hat mir mal einer von der Gewerkschaft bei nem Reden über die gute alten Zeiten verraten)...
Bei meinem ersten Besuch bei ihr, meine Verweigerung des Kakaos mit einem "Nein Danke, das vertrag ich nicht" , das war für sie ne Kriegserklärung , ein ihre Liebe zurückweisen,...
Naja, sie hätte sich das nicht ausreden lassen, dass Kinder nicht ans Tischbein gebunden gehören, und auch nicht mit Schnaps abgefüllt, weil ihre Erziehung in ihren Augen richtig war...hm, irgendwann ist man dann der Diskussionen müde, und Schwieger mom kommt halt nicht als Babysitter in Frage.

(Es sind viele Schwieger-/Mütter so -> stur, engperspektivig)
otterchen
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Re: Böse Erkenntnis - die "Schuldfrage" (sehr kritisch)

Beitrag von otterchen »

Ja Thomas,

Du hast schon Recht... aber... irgendwas in mir beharrt auf "es war aber nicht richtig".

Es hat nichts damit zu tun, dass ich Schuld zuweisen will, aber.. tja, was nagt noch an mir? Ich finde es einfach unverzeihlich, einem Kind sowas anzutun. Ich weiß aber selber, dass ich das nicht dauernd nachtragen sollte, damit ich selber frei werden kann. Da bin ich wohl noch nicht - obwohl ich jetzt alles selber in die Hand nehme. Dennoch - vielleicht weil ich immer noch spüre, dass teilweise noch ein kleines verängstigtes Kind in mir ist - kann ich das jetzt noch nicht umsetzen.
Vielleicht erst dann, wenn meine Kleine keine Angst mehr vor "Autoritätspersonen" hat, auch mal wirklich nein sagen und ihre Grenzen klar stecken kann und es riskieren kann, dass auch mal andere sauer auf sie sind (statt umgekehrt)?
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