Depression - Krankheit oder Teil von mir?

ege0804
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von ege0804 »

hallo,

depression gehört zu meinem leben genauso wie lebensfreude und zufriedenheit. depression ist für mich keine krankheit.

ich kenne das auch, wie oben schon beschrieben wird; das gefühl als hätte ich einen schalter umgelegt und von einem moment zum anderen bewerte ich mein leben anders.

ich bin kein großer anhänger von autosuggestion (oder self-fulfilling prophecy).
aber ich finde mich in folgendem artikel gut wieder: http://www.scheinschlag.de/archiv/2001/ ... te/32.html

aus: 'kapitalismus und depression III' der ganz gut beschreibt, das ein starker aspekt der oder meiner depression, bin nicht so der anhänger der bio-chemischen theorie, auch die negative selbstbewertung meiner derzeitigen lebenssituation ist:


Ein Mann geht auf die Straße. An diesem Morgen fühlt er sich unerklärlich gut, hübsch, stark inspiriert und offen. Er zweifelt nicht daran, dass ihm gleich etwas Ungewöhnliches geschehen wird, eine Begegnung oder eine außerordentliche Situation. Jeder kennt einen solchen Zustand ­ das will ich zumindest hoffen. Eine Enttäuschung ist selten der Fall. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Mann tatsächlich jemandem begegnen wird. Zum einen wegen seiner in dem Augenblick anziehenden Ausstrahlung, zum zweiten, weil er wiederum ungewöhnlich aufmerksam auf seine Umgebung ist. Es ist ein typischer Fall der self-fulfilling prophecy, der sich selbst verwirklichenden Prophezeiung, in der der innere Zustand auf das Umfeld einwirkt.

Gleichzeitig geht ein zweiter Mann raus mit der festen Überzeugung, dass ihm nur Schlechtes geschehen wird. Er fühlt sich hässlich, alt und doof, die Welt ist zum Kotzen und die Mitmenschen nervige Idioten. Für ihn ist die Chance einer glücklichen Unterbrechung des Alltags quasi null. Die vorbeilaufenden Passanten werden wegschauen und die Beobachtung seiner unmittelbaren Umgebung wird nur das bestätigen können, wovon er ohnehin überzeugt ist. Das ist auch self-fulfilling prophecy, wenn auch eine negative. Wenn ich sage: Nichts wird mir passieren, passiert mir halt nichts.Was sagt uns diese Geschichte?


gruß ernie
tomroerich
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von tomroerich »

Ernie's Geschichte ermöglicht mir ganz gut, auszudrücken, in was für einem Verhältnis ich mich selbst zu Depressionen sehe.

Da wird gesagt, dass ich das wahrscheinlicher mache, was ich aufgrund meiner Absichten und Gestimmtheit favorisiere. Die Weise, wie ich nach außen schaue, bestimmt das, was zurückkommt. Zumindestens zu einem Teil zeigt mir die Welt dann das, was ich sehen will und wirkt zwar wie eine objektive Gegebenheit, ist es aber in Wirklichkeit nicht. Sowie man beschlossen hat, dass es da eine objektive Wirklichkeit gibt, die feindselig und verletzend ist, ist man in einer Illusion gefangen. Man versteht jetzt nicht mehr, dass es die eigenen Gedanken sind, die wie magisch das auf sich ziehen, was man befürchtet und als gegeben annimmt.

Depression ist nicht etwas, was Teil von mir ist sondern bildet sich aus meinem eigenen Urteil über das, was ich sehe und wie ich es sehe. Sie spiegelt Einstellungen wieder. Aber in einer überzeichneten und brutalen Art und Weise. Jetzt scheint sie Teil von mir zu sein, weil es ihre Eigenart ist, negative Gedanken zu verstärken, negative Haltungen zu begünstigen und so schafft sie selbst immer wieder die Umstände, die sie verursacht haben.

Um auf die Geschichte von Ernie zurückzukommen - negative Haltungen und Absichten beim Verlassen des Hauses treten jetzt pathologisiert auf und dann muss das geschehen, was erwartet wird.

Diese Schleifenwirkung ist es ja letzten Endes, was Depressionen so schwer überwindbar macht.




Thomas
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otterchen
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von otterchen »

Thomas,

wenn man relativ frisch die Diagnose Depression erhält, können die meisten mit Deiner Einstellung dazu wohl kaum was anfangen, hm?
Denke ich zumindest...
Also mir wäre zu Anfang "Dein Weg" eindeutig zu hoch gewesen, muss ich ehrlich gestehen. Da sieht man noch ganz andere Probleme.

Und selbst, wenn ich Dein Denken für mich übernehmen würde: ich bin halt oft antriebslos. Dies muss ich bewusst durchbrechen. Die Antriebslosigkeit als solche fühlt sich noch nicht schlecht an! Ich bin schlapp und liege gerne auf der Couch. Das ist ein Teil von mir - aber wenn ich das übertreibe, meldet sich die Depression.
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rajo1
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von rajo1 »

Mhm,

allein am Denken kann es wohl nicht liegen.
Ja, es wäre zu schön, wenn man damit all anderen Probleme beiseite schieben könnte.
Viele Faktoren tragen zum Ausbrechen und zur Aufrechterhaltung einer Depression bei. Das ist hier immer wieder zu lesen.
Gut, wir können unsere Aufmerksamkeit auf diese Auslöser lenken, was und wie wir etwas in unserem Leben verändern können und wollen.
Doch, das geht nicht ohne Anstrengungen, ohne Aktivitäten, es braucht viel Zeit, noch mehr Geduld und die entsprechende passenden Untertützung und individuellen therapeutische Maßnahmen.
Und es braucht auch Gelassenheit, die Situation, ob Krankheit oder Teil von mir anzunehmen. Und auch diese Veränderung der Einstellung geht nicht von heute auf morgen.

Ja, genau das, was komoranin am Ende eines anderen thread sehr gut dargelegt hat.

http://www.kompetenznetz-depression.de/ ... 1248191175
Jeder guter Therapeut sagt seinem Client zu Beginn, zu Veränderungen braucht es Zeit und viel Geduld.
Und das erklärt vielleicht auch, dass es mancher Depressive noch nicht geschafft hat.
Sowohl das innere Denken und auch das Außen beeinflussen unser Wohlempfinden.
Vieles schon gesagt von anderen Foristen in anderen Beiträgen.
Und es gibt weder ein Zeitlimit noch andere Kritereien, wann endlich der- oder diejenige nun endlich mal die Depression loslässt und überwindet.

Hängt man nämlich die Erwartungen, Ansprüche, Vorbilder zu hoch, geht das nämlich gerade nach hinten los.

rajo
Babi
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Babi »

He rajo,
ich muß dir recht geben....
ich habe Jahre gebraucht, bis ich jetzt die Krankheit als einen Teil von mir anerkennen kann. Und wenn man das kann - finde ich - ist man schon einen gewaltigen Schritt weiter. Dann kann man ganz anders mit der Krankheit umgehen. Ich habe die Krankheit vorher regelrecht als Feind gesehen, gegen den ich einen Krieg führen muß.
Das ist jetzt nicht mehr so und ich bin froh darüber, denn das ist ganz gewiss der falsche Weg gewesen.
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
(Exupery)
:) ;)
otterchen
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von otterchen »

Hm,

es ist vielleicht wirklich die Akzeptanz der Depression als was-auch-immer.

Hat das auch irgendwas mit dem inneren Kind zu tun? Ich stelle mir vor, dass da in uns das kleine Kind endlich mal gehört werden möchte und deshalb ganz schön rumort. Kinder haben oft einen starken Willen... zu Sachen, die - zumindest langfristig gesehen - nicht gut sind.
Wenn man sie ließe, würden sie sich nur von Pommes, Spaghetti, Eis und Bonbons ernähren. Abends wird lieber gespielt, als ins Bett zu gehen. Waschen wird auch lieber gegen Spielen ausgetauscht. Kindergarten oder Schule... könnte man auch austauschen gegen Spielen und Toben. Gefahren werden ignoriert; das Kind will impulsiv die Straße überqueren und rennt los.

Da liegt es an den Eltern, den Kindern wirklich GUTES zu tun, obwohl das Kind das in dem Moment bestimmt nicht so empfindet.

Vielleicht schleppen manche von uns noch Anteile davon mit sich herum? Das Kind in uns will endlich gehört werden - und wenn schon nicht mit seinen Ängsten und seinem Schmerz, dann vielleicht mit ungesunder Ernährung, Pflichtverweigerung etc.?

Ich habe jedenfalls die Frage "wer spricht gerade in mir - Kind oder Erwachsene" in mein Repertoire aufgenommen. Ich kann dann das Kind entsprechend behandeln und mich ihm später zuwenden, im entscheidenden Moment aber wie eine Erwachsene handeln und denken.

Der Depression begegnen heißt also für mich, wirklich gut (wie ein liebevoller Elternteil) mit mir umzugehen. Meine Grenzen zu erkennen, auch wenn ich die vielleicht nicht haben will. Das Kind, das in mir die Führung übernehmen will, anhören und mit ihm in Kontakt bleiben.




Mir ging es hier allgemein eigentlich nur um die Frage des "dagegen ankämpfens", weil ich persönlich den Eindruck hatte, dass dies einen länger in der Depression feststecken ließ.


Gelernt habe ich hier, dass es nicht wichtig ist, WIE ich die Depression sehe, sondern dass ich sie für mich annehmen kann.
Wichtig ist für mich aber auch, dass ich ihr auf dem für mich richtigen Weg begegne.
Ich will damit sagen... ich kann nicht nur mit ADs, Jogging und einer Tagesstruktur (plattes Beispiel) versuchen, die Depression loszuwerden. Ich könnte mir vorstellen, dass man dann, wenn man merkt, man fühlt sich wieder schlechter, diese "verordneten" Tätigkeiten mehr und mehr ausübt, um festzustellen, dass sie nichts bringen, und das lässt einen tiefer verzweifeln: so viele Anstrengungen, so wenig erreicht.


MEIN Weg kann ganz, ganz anders aussehen, und er hat viel damit zu tun, ganz tief in mich hineinzusehen und auch ganz viel Schmerz und Verletzlichkeit und Selbstvorwürfe und Scham etc. zu finden und zu bearbeiten. Und mich am Ende anzunehmen mit meinen Schwächen und Fehlern und Unzulänglichkeiten - mir aber auch meiner Stärken, Talente und guten Eigenschaften bewusst zu sein.


"Ich habe Depressionen, die sollen endlich verschwinden, ich will mich wieder so gut und lustig und leistungsfähig fühlen wie vorher" - das ist vielleicht ein Trugschluss, dem einige erliegen?
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tomroerich
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von tomroerich »

Moin Otterchen,

wenn man relativ frisch die Diagnose Depression erhält, können die meisten mit Deiner Einstellung dazu wohl kaum was anfangen, hm?

Na klar, weil sie viel zu ehrgeizig ist, relativ gesehen. Wenn man frisch die Diagnose hat und sich im Chaos der Gefühle und der Unsicherheiten befindet, kommt man vielleicht auch zu ganz anderen Deutungen darüber, was eine Depression überhaupt ist. Das zeigt sich ja auch deutlich an den unterschiedlichen Auffassungen darüber, die von "Aufforderung zu einer Änderung des Lebensstils" bis zu "Das steckt in meinen Genen" gehen. Warum sollte jemand mit Auffassung 2 etwas mit meinen Gedanken anfangen können? Er muss ja die Lösung des Problems an ganz anderer Stelle suchen.

Und warum sollte man, wenn man daran glaubt, die Depression sei man selbst oder ein teil von einem selbst, sich bemühen, sie nicht mehr haben zu wollen?

Meine Sichtweise der Dinge kommt nicht für jeden in Frage und auch nicht zu jedem Zeitpunkt. Sie spiegelt auch ein bestimmtes Menschenbild wieder, das auch nicht jeder teilen mag. Ich hätte mit meinem Geschreibsel auch in Zeiten tiefer Depression etwas anfangen können, hätte wohl aber gedacht, das ist gerade nicht drin, zu weit weg.

Aber du hattest ja danach gefragt, wie die es sehen, die schon weiter sind.




Thomas
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manos
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von manos »

ja, genau..
davon war doch schon öfters die rede
Reve
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Reve »

Thomas,

auch wenn ich glaube, dass Depression ein Teil von mir ist und ein Teil meiner Wesensart (mit Betonung auf „ein Teil“ das heißt also nicht alles von mir), schließt das doch nicht automatisch deine Gedanken bzw. Erfahrungen in Bezug auf „raus aus der Depression“ aus.

Wir bemühen uns doch genauso, andere Gedankenmuster zu entwickeln, andere Strategien, ich zum Beispiel schau, dass ich auf friedfertige Weise meine Bedürfnisse durchsetzen kann und versuche, mich nicht mehr andauernd als „angegriffen“ zu sehen. So wie du es beschrieben hast, <<<betrachte es als größten Verlust, wenn dich etwas beunruhigt und lehne es ab, beunruhigt zu werden.>>>

Und so mach ich es mit der „Depression“ auch, ich achte auf einen guten Umgang mit ihr, lasse mich nicht mehr zu sehr von ihr beunruhigen oder gar zu etwas aufstacheln, was ich wenig später wieder bereuen könnte (unsinnige Streitereien)und vielleicht verliert sie ja dann doch eines Tages die Lust an mir.

LG Carin
tomroerich
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von tomroerich »

Hi Carin,

ich dachte mir schon, dass es da auch ganz unterschiedliche Auffassungen gibt, was es denn überhaupt heißt: Teil von mir.

Du scheinst mit "Teil von mir" zu meinen: Depression ist gerade das, was geschieht und es ist besser, nicht dagegen zu kämpfen wie ein Blöder sondern zu sagen, so ist es gerade. Nicht zu hadern. Klar, sehe ich auch so.

Was anderes ist es aber zu sagen, Depression sei Teil meines Wesens. Wenn sie das ist, kann ich sie nicht gleichzeitig als eine Störung meines Wesens betrachten. Denn Wesen ist unveränderbar, so wie ich es verstehe.



Thomas
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rajo1
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von rajo1 »

Hallo,

hier ist ein Link:

http://www.psychiatriegespraech.de/psyc ... rblick.php

Darin finden sich die unterschiedlichen Auffassungen wieder.

rajo
Reve
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Reve »

<<<Was anderes ist es aber zu sagen, Depression sei Teil meines Wesens. Wenn sie das ist, kann ich sie nicht gleichzeitig als eine Störung meines Wesens betrachten. Denn Wesen ist unveränderbar, so wie ich es verstehe>>>

Doch Thomas, ich betrachte sie aber als Störung meines Wesens, weil sie mich ins Unglück zieht. Ich glaube es sind zwei Paar Dinge: auf der einen Seite die Depression, die reaktiv aufgrund einer schlechten Diagnose aufgetreten ist und sich nach und nach zurückgebildet hat. Aber irgend etwas –eine Art Persönlichkeitsstörung - sorgt dafür, dass die Symptome immer wieder aufflackern, ein maßloser Hang zur Melancholie, ich weiß nicht wie ich es anders nennen könnte. Ich beobachte es immer stärker, wie ich dieses Gefühl von Wehmut verspüre, Wehmut darüber, dass alles vorbeigeht, dass man sich von Menschen teilweise unversöhnlich trennen musste (Therapeut), dass die Kinder ausziehen werden, wie Gefühle verschwinden, wie sich die Jahreszeiten so rasend schnell verändern. Man könnte jetzt natürlich auch genau so gut sagen, es fehlt mir nur eine ordentliche Ladung Chemie, wie es mein Arzt so gerne von sich gibt…

Ob Wesen veränderbar ist, hab ich mir noch gar nie überlegt, was glaubt ihr, geht das?

Danke für den Link, Rajo.

LG Carin
Babi
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Babi »

He otterchen...
du hast recht!!
Ich habe in meiner ersten Therapie auch unterscheiden gelernt zwischen dem Kind in mir, das nach Liebe und Anerkennung schreit und dem erwachsenen Menschen.
In Depressionszeiten kommt immer wieder das Kind, dem Liebe und Geborgenheit gefehlt hat, in mir durch, das kleine Mädchen und die Traurigkeit des kleinen Mädchens, das nicht wirklich geliebt wurde, wie es geliebt werden wollte.
Und meine Therapeutin hat damals zu mir gesag,t auch dieses kleine Mädchen, dieses Kind, gehört zu mir und ich muß damit leben lernen und es akzeptieren, daß es da ist. Nur so kann ich mit der Krankheit umgehen lernen.
Da habe ich mich jetzt wieder total dran erinnert, als ich deine Zeilen gelesen hab.

Wünsche euch allen ein schönes Wochenende!
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für das Auge unsichtbar
(Exupery)
:) ;)
Liber
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Liber »

>Ob Wesen veränderbar ist, hab ich mir noch gar nie überlegt, was glaubt ihr, geht das?


Hallo Carin,

interessante Frage!

Wahrscheinlich müssen wir uns vorher fragen, was "Wesen" eigentlich ist bzw. was wir darunter verstehen.

Da gibt es einmal die Auffassung, dass Wesen eine Art "Veranlagung" ist ("er/sie hat ein heiteres Wesen"). Ein anderes Verständnis von "Wesen" bedeutet, dass es das ist, was allem innewohnt, das bei aller äußeren Veränderung unveränderlich ist.


Ich habe den Eindruck, Thomas sprach von der zweitgenannten Bedeutung, du eher von der erstgenannten.

Wenn mit "Wesen" meine Pesönlichkeit gemeint ist, glaube ich, dass Veränderungen durchaus möglich sind, dass ich aber manch anderes auch einfach so akzeptieren muss wie es ist, ähnlich wie vielleicht Augen- oder Haarfarbe.

Veränderbar sind "Wesenszüge", die ich mir aufgrund äußerer Einflüsse angeeignet habe, wie vielleicht Schüchternheit, Ehrgeiz usw.

Andere Wesenszüge dagegen sind "da", gehören zu mir und sind nicht zu ändern. Vielleicht Sensibilität, Art des Humors, usw.

Freilich mögen die Grenzen sehr fließend sein.

Ich würde Depression auf keinen Fall als Wesenszug beschreiben. Eine Grundstimmung zur Melancholie dagegen könnte meiner Meinung nach schon eine Art Wesenszug sein.

Hier wäre dann wichtig, besonders achtsam zu sein, wenn der melancholische Schleier sich wieder senken will (ich kenne das auch). ("Ah ja, weiß ich ja, dass mich dies oder jenes traurig macht ... jetzt schau ich mir mal ganz in Ruhe an, was mit mir los ist")

Das zweitgenannte Verständnis von "Wesen", das, was allem - also auch dir und mir - "innewohnt", das ist von Depression und auch von Melancholie dagegen völlig unabhängig und nie betroffen.

Verständlich, wie ich es meine ?


Lieben Gruß
Brittka
tomroerich
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Brittka,

Da gibt es einmal die Auffassung, dass Wesen eine Art "Veranlagung" ist ("er/sie hat ein heiteres Wesen"). Ein anderes Verständnis von "Wesen" bedeutet, dass es das ist, was allem innewohnt, das bei aller äußeren Veränderung unveränderlich ist.


Ich habe den Eindruck, Thomas sprach von der zweitgenannten Bedeutung, du eher von der erstgenannten.

Stimmt. Das unveränderliche Wesen zeigt sich in der Tatsache, dass der "Erfahrer" des Lebens immer der gleiche ist. Unabhängig von Schicksal, Eigenschaften, Krankheit, Glück und Unglück widerfährt all das immer dem unveränderlichen "Erfahrer", der z.B. auf den Namen Brittka hört.

Der Erfahrer erlebt sich selbst auf eine Weise, die durch seine Wesenszüge beeinflusst werden. Eher heiter, eher melancholisch, eher auf Gewinn aus, eher mitfühlend. Ich sage dazu "Wesenskern". Er stellt eine Art von Potenzial dar, innerhalb dessen sich ein Leben abspielt. Dabei können in verschiedenen Lebensphasen ganz verschiedene Potenziale wach werden. Der Wesenskern ist das, was einem Menschen wirklich gehört, was er wirklich ist.

"Persönlichkeit" entsteht auf dem Hintergrund des Wesenskern als Reaktion auf Umwelt. In der Persönlichkeit scheint der Wesenskern mehr oder weniger durch, weil ein Mensch immer etwas "auf seine Weise tut". Daher ist die Reaktion auf frühe Umwelteinflüsse auch verschieden. Sie kann in die kriminalität oder die Depression führen oder andere Ergebnisse haben.

Der Wesenskern kann durch Umwelt aber auch so unterdrückt werden, dass die Persönlichkeit in ganz erheblichem Maß durch Umwelteinflüsse geprägt ist. Dann ist ein Mensch in seinem Hezen leblos und marionettenhaft- wie tot.

Leid ist die Reibung zwischen Wesenskern und Persönlichkeit und daher ein "gutes Zeichen". Es bedeutet, dass der Wesenskern nicht völlig abgewürgt ist sondern sein Einfluss will das durchsetzen, was einen Menschen wirklich ausmacht.

Beim gesunden Menschen strahlt der Wesenskern aus der Persönlichkeit hervor, die ihn verkörpert - andere erleben das als Authentizität und Souveränität. Seine Persönlichkeit ist der Weg geworden, das Potenzial des Wesenskerns auf die Welt anzuwenden, ohne mit ihr im Konflikt zu sein. Diese Erfahrung fügt dem Wesenskern Neues hinzu, was fortan dem Menschen gehört und Teil seines Wesens wird. Die Reibung zwischen Persönlichkeit und Wesenskern ist der Weg, auf dem sich der Wesenskern erweitern und entwickeln kann.

Depression ist eine Verfinsterung des Wesenkerns durch eine übermächtige Persönlichkeit, in der die Prägungen der Umwelt den Wesenskern zu ersticken drohen. Depression ist immer auch eine Chance, sich selbst zu entdecken (den Wesenskern).

Somit sieht dieses Modell 3 Teile:

Das ewige Wesen, das werdende Wesen und die Lerneinrichtung Persönlickeit.


Ich glaube, Brittka, du siehst das sehr ähnlich wie ich.



Thomas
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Reve
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Reve »

Hallo Brittka,

also ich muss schon gestehen, dass ich die Unterscheidung Wesen, Wesenskern, Persönlichkeit,Wesensmerkmale erworben und geerbt... schwierig finde. Und somit tu ich mich auch schwer, das so zu sehen, dass "Wesen" unveränderbar sein und gar nie von Melancholie betroffen sein soll.
Hab mich damit aber auch noch nie ernsthaft auseinandergesetzt.
Danke dir.

LG Carin
Schnuck77
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Schnuck77 »

Hallo alle zusammen,

ich bin ein "Frischling", weiß von der Diagnose erst seit anderthalb Monaten.

Ich weiß nur, ich will die Depression loswerden. Vielleicht habe ich das "Kürzer treten" und "der schwarzen Dame zuhören" noch nicht gelernt - ich habe keine Zeit dazu. Ich habe zwei kleine Kinder im Alter von 3 und 5 Jahren, einen Mann, der zwar sehr lieb ist, aber oft beruflich unterwegs, und einen Teilzeitjob. Ich stehe immer unter Strom. Ich will aber keinen Krankenschein, weil das Arbeiten in meinem Alltag noch das Beständigste und Ruhigste ist.
Ich fühle mich wie ein SIMS-Männchen, immer mit einem leeren Energiebalken über dem Kopf).

Ich empfinde es auch nicht so, dass die schwarze Dame dann eben mal da ist und man ihr zuhört, was sie einem so sagen will. Ich will keine Heulkrämpfe vor meinen Kindern bekommen. Ich will mich nicht nach jedem Schimpfen der Seelenschädigung der Kinder schuldig fühlen. Ich will nicht nachts wachliegen und darüber nachgrübeln, was ich sonst noch alles falsch mache...
Das soll weg!

Ich fühle mich wie ein Segelschiff, dass in einen Sturm geraten ist, es wird alles durcheinandergebracht, aber ich muss jetzt den Kopf bewahren und die Segel neu setzen... Dabei schreit alles in mir nach einer Flaute...

Ich weiß nicht, wie man das macht, dass man die Depression annehmen kann und sie als Teil von sich sieht, als positives Warnsignal.

Ich hasse es, mich so zu fühlen.
otterchen
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Registriert: 3. Jan 2007, 10:43

Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von otterchen »

Ich weiß nicht, für mich stellt sich die Frage gar nicht so.
Selbstverständlich haben Thomas und ich einige ähnliche Denkweisen (wenn ich das mal so ausdrücken kann).
Aber - und vielleicht trifft dies auf mein Wesen zu - wohnt mir eine gewisse Lethargie inne? Und wenn ich der zu sehr nachgebe, vernachlässige ich mich selbst. Ich höre einfach nicht hin, wenn mein Inneres spricht. Ich muss mich schon aufraffen und mich mir bewusst zuwenden.

Das hat mit der Denkweise wenig zu tun, finde ich. Denn in diesen Momenten denke ich eigentlich nicht, ich höre nicht in mich hinein. Ich bin mit meinen Gedanken irgendwo, aber nicht bei mir. Vielleicht habe ich auch etwas von ADH in mir, ich weiß es nicht...

Wenn ich mich dann wieder mir selbst zuwende, dann durchaus mit "der Denkweise von Thomas". Aber bis es soweit kommt, dass ich dies wieder mache, kann es sein, dass ich wieder bis in eine (leichte) Depression abdrifte.

Und dieses Auftauchen der Depression werte ich dann für mich als Bremsschuh, der mich eigentlich nur wachrüttelt: du hast dich selbst wieder nebensächlich behandelt; wende dich wieder mehr dir selbst zu.


Ich hoffe, das kam verständlich rüber...
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
BeAk

Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von BeAk »

Liebe Schnuck,

>>>>Ich empfinde es auch nicht so, dass die schwarze Dame dann eben mal da ist und man ihr zuhört, was sie einem so sagen will.<<<<

Du wirst das zuhören schon noch lernen, denn es ist Vorraussetzung dafür, das es Dir dauerhaft besser geht. Eine Psychotherapie könnte dir dabei behilflich sein.
Schnuck77
Beiträge: 97
Registriert: 26. Jun 2009, 14:01

Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Schnuck77 »

Hallo Bea,

ich bin seit einem Jahr in Psychotherapie...

Seit zwei Monaten setze ich aus, weil sie mir im Moment zu anstrengend ist... Ich habe das Gefühl, erst durch die Therapie (und andere zeitnah veränderte Lebensumstände) hat sich die Depression rauskristallisiert.

Über die Depression habe ich mit meiner Therapeutin noch gar nicht geredet, ich projeziere im Moment noch und bin gekränkt, dass sie mir nichts davon gesgat hat - dann wiederum denke ich, dass sie mich schonen wollte - und dann wiederum denke ich, sie hat die Diagnose ja eh nur für die Kasse aufgeschrieben, vielleicht habe ich ja doch keine Depression...
Ist alles etwas verkorkst bei mir...
Schnuck77
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Schnuck77 »

gelöscht wegen Mehrfachposting
Liber
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Liber »

@Carin,

die Sache mit dem unveränderlichen "Wesen" hilft bei Depression natürlich nicht direkt weiter, das stimmt. Es ist eher eine Art "Hintergrund".

@ Thomas,

ja, ich sehe das ähnlich, wenn auch bisher noch nicht so differenziert. Das Modell der Reibung zwischen Wesenskern und Persönlichkeit leuchtet mir ein. Es gäbe ohne diese Reibung keinen Grund zur Veränderung


@Otterchen

vielleicht ist es gerade ein Zeichen dieser Reibung, wenn du feststellst, dass du dich in der Lethargie verloren hast und eine leichte Depression sich einschleicht? Und das bringt dich sozusagen wieder "zurück" zu dir?



Lieben Gruß
Brittka
otterchen
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von otterchen »

Hallo Brittka

irgendwie sowas... ich kann's halt nur so beschreiben, dass ich immer wieder von mir wegdrifte - aber wenn ich dann doch die Warnzeichen der Depression wahrnehme, dann bin ich eigentlich sogar dankbar dafür, denn dann kann ich mich bewusst wieder mir selbst zuwenden.

Wenn ich nicht auf die Depression hören würde, wenn ich ihre Zeichen ignorieren oder wirklich wegschieben würde, dann ginge es mir allmählich aber stetig schlechter.
Bei aller Lethargie, die ich habe: diese Anzeichen kann ich mittlerweile gut wahrnehmen.
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
BeAk

Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von BeAk »

Liebe Schnuck,

hat die Psychotherapie Dir denn bisher im Hinblick auf deine Depressivität geholfen?

Deine Therapeutin wuste ja das Du depressiv bist und hat somit auch die Depression therapiert, auch wenn sie es dir nicht gesagt hat.

Ein Jahr ist ein relativ lange Zeit, da sollte eine Psychotherapie schon für Besserung gesorgt haben.
Schnuck77
Beiträge: 97
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Re: Depression - Krankheit oder Teil von mir?

Beitrag von Schnuck77 »

Hallo Bea,

die Therapie hat für einige wichtige Erkenntnisse gesorgt, die mir IRGENDWIE auch gut getan haben, aber im Hinblick auf die Depression würde ich fast sagen, dass sie dadurch schlimmer geworden ist. Da ich zum Grübeln neige und außerdem immer versuchen muss, jede Erkenntnis und auch Selbstkritik gleich umzusetzen, hat sich der Druck verstärkt - denn man selbst und auch die Umwelt bzw. die Familiensituationen und familiären Rollen ändern sich nicht von heute auf morgen. Zum Ende habe ich die Therapie mehr als Belastung empfunden, im Alltag war ALLES bedeutsam, ich habe nur noch beobachtet und analysiert, man braucht aber auch mal Ruhe, deswegen habe ich um Abbruch "gebeten". Meine Therapeutin schlug dann vor, dass ich eine Pause mache, ich habe nun Anfang September einen Termin und soll dann sagen, ob die "Ruhe" eingekehrt ist (in dem Fall, sagte sie, sei es vielleicht gerade wirklich der falsche Zeitpunkt für eine Therapie), oder ob ich dem Termin entgegenfiebere, dann sei vielleicht schon soviel "losgetreten", dass es kein Zurück mehr gebe.
Erst NACH diesem "Abbruch" habe ich von der Diagnose erfahren - und bin hier aber auch noch unsicher. Eine Freundin brachte mich darauf, deswegen rief ich die Therapeutin nochmal an und fragte sie, ob ich eine Diagnose hätte. Sie antwortete, dass sie mich ja ohne Diagnose gar nicht behandeln dürfe, sie würde Dysthymia aufschreiben. nun weiß ich gar nicht, soll das heißen, dass das nur eine Pseudo-Diagnose für die Kasse ist oder habe ich wirklich eine Dysthymie - oder inzwischen gar eine "ausgewachsene" Depression? Im PC des Hausarztes stand, wie ich kürzlich lesen konnte, schon im Februar (wohl nach eingegangenem Bericht der PT) als Diagnose Depression, aber auch er brachte dann auf Nachfrage die Krankenkasse ins Spiel, eine Depression sei ja für die Finanzierung der Therapie ein sichererer Boden als "nur" eine Dysthymie (das waren nicht 1:1 seine Worte, aber sinngemäß). Ich bin deswegen sehr verwirrt. Ich merke so langsam, dass mein Denken, meine Gefühle, die ganze Heulerei usw. NICHT so normal sind, wie ich immer annahm, also MUSS da ja irgendwas sein.
Ich könnte sie einfach nochmal fragen, ich weiß, aber ich glaube, ich bin gerade noch etwas verstimmt.

Eien Freundin riet mir, es doch mal mit AD zu versuchen, ich nehme bislang "nur" Laif 900, also JK, ich sehe noch nicht, dass es mir hilft. Ich wünsche mir einfach mal ein wenig Ruhe vor diesen Gedanken und Gefühlen - und deswegen, um nun endlich auf deine Frage zu antworten, nein, ich glaube nicht, dass mir die Therapie bisher im Hinblick auf die Depression geholfen hat.

Entschuldigt das lange Posting, das hier wahrscheinlich vollkommen fehl am Platze ist...
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