"Vorleben"

Liber
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"Vorleben"

Beitrag von Liber »

Hallo Ihr Lieben,

Otterchen hat uns gebeten, das Thema "Eltern-Sein" aus ihrem Thread "Keine Liebe für die Eltern" herauszunehmen, was ich hiermit tue.

Dort habe ich folgenden Satz geschrieben, den ich gern noch ein wenig beleuchten möchte:

>Wenn ich von meinen Kindern geliebt werden möchte, muss ich ihnen vorleben, wie man seine Eltern liebt. Wie sonst sollen sie es lernen?

Dieser Satz war vielleicht etwas kurz gegriffen und missverständlich.

Ich habe mir die Tage Gedanken gemacht, was ich eigentlich damit gemeint habe. Es ist für mich selbst noch nicht so ganz klar und ich würde mich über eure Meinungen dazu freuen.

Mir kommt dazu in den Sinn: wir vermitteln unseren Kindern auch das, was wir unbewusst sind und leben. Unsere Kinder spiegeln uns das - gerade auch die eigenen Anteile, die wir nicht wahrhaben wollen, die wir ablehnen - manchmal auf erschreckende Weise. Mein Sohn, zu dem ich eine emotional enge und sehr liebevolle Beziehung hatte, sagte mal, als er vielleicht 6 oder 7 Jahre alt war: "Mama, manchmal habe ich Angst vor dir und glaube, du bist eine böse Hexe". Ich erschrak. Mich, die ich ja sicher war, mit ihm nur liebevoll umzugehen, nahm er in manchen Momenten als "Hexe" wahr?! Später wurde mir klar, dass er meinen "Schatten" wahrgenommen hatte, den, den ich selbst an mir nicht wahrnehmen konnte, weil er nicht sein durfte, weil ich ihn abgelehnt, abespalten hatte. Das Dunkle, die Kehrseite. Mein Sohn spiegelte ihn mir.

Auch wenn wir mit unseren Kindern noch so liebevoll umgehen - sie nehmen auch das Dunkle wahr. Sie spiegeln es uns oder sie leben es auch selbst, solange es unbewusst bleibt.


Auch wenn wir den Kontakt mit den Eltern abbrechen, bleiben wir weiterhin Bestandteil dieses fortwährenden Prozesses, der über die Großeltern, die Eltern, uns selbst und weiter zu den Kindern und den Enkeln usw geht. Der Abbruch der Beziehung zu den Eltern ändert daran nichts. Unsere Kinder spiegeln uns dann vielleicht gerade diese Kehrseite, indem sie den Kontakt zu ihren eigenen Eltern, eben uns, auch abbrechen müssen.

Ich meine damit nicht, dass dieser Prozess unveränderlich ist, ganz im Gegenteil! Er verändert sich fortlaufend und genau da liegt auch die Chance!

Wenn ich nämlich selbst meine dunklen Anteile, meine Hexen-Anteile in mich integriere, sie annehme, muss mein Sohn sie mir nicht mehr spiegeln. Oder sie selbst leben.

Wenn ich die Wut auf meine Eltern, all das Dunkle, was mit der Beziehung zu ihnen zusammenhängt, integrieren und lösen kann - muss mein Sohn es nicht mehr spiegeln und an mir ausleben.

Jeder hat die große Chance, bei sich selbst anzufangen. Und genau DAS können wir unseren Kindern vorleben.


Was meint ihr dazu?

Liebe Grüße
Brittka
Wycombe1
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Wycombe1 »

Hallo,

ich wollte nie Kinder, aufgrund meiner eigenen Kindheit (Mutter war schwerst alkohol- und tablettenabhängig) und im Alter von 10 bin ich zu meinem Vater gekommen, der Gott sei Dank dafür gekämpft hat, das ich zu ihm komme. Trotzdem habe ich Jahre gebraucht um damit fertig zu werden - ich hatte dann keinen kontakt mehr zu meiner mutter und selbst das gericht hat entschieden, das sie mich nicht sehen darf.... also eine echt beschi**ene Kindheit.

da ich immer angst hatte, genauso zu werden wie meine mutter (ich sage nur "anteile" von ihr in mir), wollte ich keine kinder.

nun, mit 30 wurde ich doch mutter und mit 34 noch einmal.

ich habe gelernt und akzeptiert (und es kommt mir heute noch oft wie ein wunder vor) das ich zwar anteile meiner mutter in mir habe, aber doch eine EIGENSTÄNDIGE person bin. ich kann meine kinder lieben, so endlos lieben, das es mich selbst erschrocken hat, ich dachte nie, das ich dazu in der lage bin.

ich erziehe meine kinder so wie ich das für richtig halte, habe aus meiner eigenen kindheit gelernt und gehe ganz anders mit ihnen um.

besser kann ich es nicht umschreiben. ich denke, meine kinder sind das beste was mir je passiert ist und ich jeden tag dankbar bin, das ich mich für sie entschieden habe (trotz meiner eigenen erfahrung).

Vg,
Wycombe1
Ich weiß freilich nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird.

Aber soviel weiß ich sehr wohl, es muß anders werden,

wenn es besser werden soll.



(G. C. Lichtenberg)
niederländer

Re: "Vorleben"

Beitrag von niederländer »

Hallo Wycombe,

Ich bin die letzte Wochen ziehmlich aktiv mit schreiben.Damit schüttele ich so manche Depressionstropfen aus meinen Pels.
Deine Zeilen sprechen mir aus dem Herzen.Ich habe es anders gemacht wegen der Erziehung meine drei Kinder.Sie sind mittlerweile Erwachsen.
Trotzdem haben zwei von ihnen im Moment psychische Probleme.
Vor noch nicht so lange Zeit habe ich mich dazu Vorwürfe gemacht.Das war mein Fehler.
Heut weiss ich ,das eine Erziehung von viele Komponenten zusammenfegasst ist und nicht nur die(fast zu) gute Absichten der Eltern.
Machts gut,

Liebe Grüsse,

Benny
Wycombe1
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Wycombe1 »

Hallo Benny,

das man sich als Elternteil Vorwürfe macht ist völlig normal, man liebt seine Kinder und will nur das beste für sie - aber auch wir Eltern sind nicht perfekt. Wir können in schwierigen Momenten und Zeiten für sie da sein, auffangen, helfen, Rücken stärken - da sein.

Das ist mein "Credo", denn ich hatte dies von meiner Mutter nie und dieses Gefühl war schrecklich.

Ich möchte, das meine Mädels selbstbewusste, ehrliche, zielstrebige Menschen werden, das sie wissen das sie geliebt werden und so wie sie sind "richtig" sind - das sie ihren weg gehen.

VG,
Wycombe1
Ich weiß freilich nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird.

Aber soviel weiß ich sehr wohl, es muß anders werden,

wenn es besser werden soll.



(G. C. Lichtenberg)
Zehlendorf
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Zehlendorf »

Hallo Brittka,

ich finde es ganz toll, dass du diesen Thread eröffnet hast!

Benny:

Es gibt bei sowas ja immer "Kopf" und "Bauch". Mit dem Kopf weiß ich genau, dass ich vieles völlig anders gemacht habe, als ich selbst erleben musste, keins meiner Kinder ist geschlagen, vernachlässigt, lächerlich gemacht worden, sie haben auch nie Szenen miterleben müssen, wie ich sie mit meiner kranken Mutter erleben musste. Ich habe mit ihnen bis weit Jugendalter hinein sehr viel gespielt, geredet und vorgelesen. Mein Mann hat sich auch um seine Kinder gekümmert, angefangen damit, dass er damals vor über 30 Jahren als einziger Mann im Wickelkurs von der Kursleiterin höchst erstaunt begrüßt wurde. In der Therapie hat meine Therapeutin immer wieder mit mir durchgesprochen, welche anderen Kräfte (Vater, Mitschüler, Veranlagung, Schicksalsschläge usw.) mit "Schuld" sind, die ich gar nicht beeinflussen konnte. Ich kann das alles auch anderen erklären, die in ähnlicher Weise betroffen sind.

Bei dir sind auch zwei von drei Kindern krank? Wie hältst du das im "Bauch" aus? Ich kann es nicht.

Anna
Lee
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Lee »

Hallo, Brittka!

Ich habe keine Kinder - aber Eltern. Daher würde ich trotzdem gerne etwas zu deiner Frage sagen:

>>> Wenn ich von meinen Kindern geliebt werden möchte, muss ich ihnen vorleben, wie man seine Eltern liebt. Wie sonst sollen sie es lernen?

Als kleines Kind dachte ich: "Eltern sind so." Wie meine eben. Lieblosigkeit war normal für mich. Aber mit den Jahren habe ich gelernt, dass dem nicht so ist. Wie? Durch Beobachtungen anderer Familien in der Schule, zu Hause bei meinen Freunden etc. Das hat vieles ohne Zutun meiner Eltern korrigiert.

Herzliche Grüße

Lee
Gabriele
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Gabriele »

Hallo Brittka,

wir haben doch in dem anderen Thread gesagt, dass wir unseren Eltern nicht verzeihen können. Ich gehöre auch dazu die das nicht können. Zumindest jetzt noch nicht.

Wie will ich aber meinem Sohn vorleben, dass ich meine Eltern liebe? Ein Unding, nicht möglich.
Aber wie gehen wir als Ehepaar miteinander um? Das wollten wir ändern, anders machen als meine Eltern.
Wir wollten liebevoll miteinander umgehen, uns achten, zeigen, dass wir uns lieben, Verständnis füreinander haben.
Meiner Meinung nach, lebe ich meinem Kind in meiner Ehe vor, was Liebe ist, nicht nur wie ich mit den Eltern umgehe.
Das Kind spürt doch meine Sorge, wenn mein Mann krank ist. Oder es hat gesehen, wenn ich am Abend das Frühstücksgeschirr für meinen Mann zurechtstelle, weil er früh aufstehen muss. Oder es spürt meine Unruhe, weil mein Mann sich um Stunden verspätet hatte, weil sein Auto eine Panne hatte.
Ich muss ihm nicht eine geheuchelte Liebe zu meinen Eltern vorspielen, sondern eine liebevolle Beziehung mit seinem Vater vorleben und das Kind mit einbeziehen in unsere Gemeinschaft. Der Familienzusammenhalt ist maßgebend.
Außerdem sieht ein Kind nicht, dass das die Omi die Mutti der Mutti ist. Ein Kind weiß erst einmal nur von der Mutti und der Oma.

Also haben wir versucht, meinen Eltern „neutral“ zu begegnen.
Das war schon manchmal sehr eigenartig und oft nicht Fisch und nicht Fleisch. Wir wollten, dass sich unser Sohn eine eigene Meinung über den Großvater bildet.
Zum Glück waren wir ein gutes Stück von meinen Eltern weggezogen. Wir konnten also unser eigenes Leben führen.
Versuche sich bei uns einzumischen haben wir erst ignoriert, später abgewiesen und unterbunden. Ein langwieriger Prozess, aber es wurde und wird immer besser.
Wenn wir etwas zu besprechen hatten (die Eltern betreffend), haben wir gewartet, bis unser Sohn außer Hörweite war.

Und eines Tages kam es dann: „Mutti, warum behandelt der Opa die Oma so?“
Da hatte doch der Opa gewagt, seine Oma in einem derartigen barschen Ton anzufahren, dass es ihr glatt die Sprache verschlagen hatte.
Ja, da schlug die Stunde der Wahrheit. Wir habe die Fragen, die er uns gestellt hat, vorsichtig und der Wahrheit entsprechend beantwortet. So ist er hineingewachsen.
Das endgültige Aus hat sich mein Vater bei unserem Sohn selbst bereitet, als er ihn versuchte hinter unserem Rücken auszufragen und zu beeinflussen. Da war er zehn Jahre alt und konnte weiter denken und fühlen als wir vermuteten. Er ist in den Ferien nie wieder zu meinen Eltern gefahren und über Nacht dort geblieben.
Also ich kann nur sagen, dass das ein schweres Stück Arbeit war und noch immer manches Mal ist, aber es hat sich gelohnt.
Der Lohn ist für mich, dass unser Sohn, der inzwischen erwachsen ist, immer noch gern zu uns nach Hause kommt, sehr vertraut mit uns ist, liebevoll mit uns umgeht, Rat bei uns sucht und meine Eltern mit Distanz aber respektvoll behandelt.

Liebe Grüße Gitte
Regenwolke
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Regenwolke »

Hallo Brittka und ihr anderen,

ich finde sehr wichtig, was Gitte geschrieben hat.
Ich bin nicht Mutter, daher kann ich nur aus der Perspektive der Tochter schreiben. Mich hat als Kind kaum beschäftigt, wie meine Eltern mit ihren Eltern umgegangen sind, aber sehr, wie sie miteinander umgegangen sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ersteres mich in irgendeiner Weise geprägt hat, letzteres (leider) schon.

LG, Wolke
niederländer

Re: "Vorleben"

Beitrag von niederländer »

Hallo Anna,

Danke für deine Zeilen. Ja, zwei meine Kinder sind psychisch krank . Meine älteste Tochter hat(te) Magersucht, ihre Schwester einen compulsive disorder (Zwangsneurose).
Zur Zeit hab ich streit mit meine Älteste,weil ich sie in die vergangende Monaten scheinbar nicht genug angerufen hab (Sie leben in Holland)Meine Zweite Tochter ist schlimmer dran und muss ist schon ein Jahr in eine Klinik.
Natürlich macht es mir Sorgen, gehe aber anders damit um. Ich lasse sie, aus Selbstschutz, nicht so nahe heran als früher.
Das hilft.Mann sagt das heisst positive Egoismus.

Machts gut,

Gruss,

Benny
Liber
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Liber »

Hallo,

danke für eure Meinungen!

Ich hatte ja versucht, diesen Satz im ersten Posting noch etwas näher zu erläutern. Ich habe ihn nicht als konkrete Frage gemeint, sondern wollte die Eltern-Situation eher als Beispiel für unsere unbewussten Anteile, die unsere Kinder spiegeln, betrachten.


Liebe Grüße
Brittka
Regenwolke
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Regenwolke »

Oh ja, Brittka, das stimmt, tut mir leid. Ich hatte dein Posting auch heute morgen gelesen, dann aber eben, als ich gepostet hatte, nicht nochml und hatte irgendwie vergessen, dass Du da noch ein paar wichtige Ergänzungen gemacht hast.
Zehlendorf
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Zehlendorf »

Hallo,

die Diskussion hat mich die letzten Tage ziemlich beschäftigt. Ich kann mich inzwischen – das ganze Problem mit der Krankheit meiner Kinder geht ja nun schon über 12 Jahre – über lange Zeit distanzieren und das Ganze aus meinen Gedanken verdrängen. Unterschwellig begleitet es mich aber natürlich permanent und kommt speziell nachts immer wieder hoch. Zurzeit besonders durch eines der ganz selten möglichen Telefongespräche mit meinem Sohn (und natürlich spielt auch der Muttertag – den wir, als die Kinder noch zu Hause, waren nie irgendwie „begangen“ haben – eine Rolle).

Mir geht besonders der Aspekt der „Isolation“ durch den Kopf, den ja etliche Schreiber in Erinnerung an ihre Kindheit als besonders schrecklich empfanden. Dies war bei mir auch so. Meine Eltern hatten praktisch keine Freunde und Verwandte gab es, als ich älter wurde, auch nicht, bzw. diese wohnten sehr weit entfernt. Folglich war ich meiner Mutter ausgeliefert und diese hatte niemanden, auf den sie sich stützen konnte (außer mich).

Bei meiner eigenen Familie war es ähnlich: Da wir aus beruflichen Gründen aus dem Umkreis unserer Familien wegziehen mussten, konnten unsere Kinder Oma, Tanten usw., die es ja gab, nie selbständig ansprechen. Ich war lange arbeitslos und wir hatten große Geldsorgen. Außerdem passten wir beide nicht aufs „Dorf“, waren in jeder Hinsicht „Außenseiter“. D.h. ein soziales Netz, das in Krisenfällen Kinder auffangen kann, gab es nicht. Es gibt doch dieses schöne afrikanische Sprichwort: „Man benötigt ein ganzes Dorf, um ein Kind aufzuziehen!“ Da ist was Wahres dran. Entsprechend wächst die Verantwortung und die Belastung der Eltern, auch ihre Bedeutung für die psychische Entwicklung der Kinder.

Ich glaube, dass dieses Problem heute sogar immer noch zunimmt durch den Zwang zur beruflichen Mobilität und weil die Leute sich aus der Öffentlichkeit (Vereinen, Nachbarschaft usw.) immer mehr zurückziehen ins Privatleben und in den Medienkonsum. Das beobachte ich sehr stark bei den Kindern, mit denen ich beruflich zu tun habe bzw. in unserem Sportverein, wo es kaum noch Freiwillige gibt, die sich z.B. ehrenamtlich in der Kinderarbeit einsetzen mögen. Ich weiß nicht, ob das in der Stadt auch so ist.

Nochmal zu den Schreibern, die ihren Eltern „nicht verzeihen können“. Ich wollte ganz bestimmt nicht sagen, dass man sich mit seinen Erzeugern, wenn die sich unmöglich benehmen, auf Teufel komm raus vertragen muss. Und selbstverständlich ist es notwendig, den Kontakt abzubrechen, wenn z.B. Missbrauch oder Misshandlungen geschehen sind.

Ich selbst habe seinerzeit den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen, weil ich damals (ich war noch sehr jung) ihre Wahnvorstellungen nicht mehr ertragen konnte, Angst hatte, mich selbst zu verlieren. Das war praktisch Notwehr. In den späteren Jahren, als ich selbst gefestigter war, hätte ich gerne wieder Kontakt gehabt, aber mein Vater ist gestorben, als ich 18 war, und meine Mutter hat in den späteren Jahren niemanden mehr erkannt, auch ihre Kinder nicht. Von daher war es nicht möglich. Meine Kinder haben nicht beobachtet, dass ich meine Eltern gemieden hätte, weil es diese gar nicht mehr "gab". Ich dachte mehr an meine innere Einstellung.

Ich habe heute in vielen Situationen den Wunsch, ich könnte meine Eltern wiedertreffen, so wie sie waren, bevor meine Mutter krank wurde, und mich mit ihnen aussprechen. Ich glaube, dass das für meine eigene Stabilität sehr wichtig wäre.

Entschuldigt, dass das so lang wurde!

Anna
Emely
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Emely »

>>danke für eure Meinungen!<<

>>Ich hatte ja versucht, diesen Satz im ersten Posting noch etwas näher zu erläutern. Ich habe ihn nicht als konkrete Frage gemeint, sondern wollte die Eltern-Situation eher als Beispiel für unsere unbewussten Anteile, die unsere Kinder spiegeln, betrachten.<<

Hallo liebe Brittka,

nach unserem missglückten Doppelzimmerversuch haben wir ja lange nichts voneinander gehört. Deine Frage interessiert mich.

Im Eingangsposting sagtest du, unsere Kinder könnten uns nur lieben, wenn sie sähen, dass wir unsere Eltern liebten. Und sagtest, so ganz verstehest du die These selbst nicht. So, wie sie da steht, verstehe ich sie auch nicht. Und so, denke ich, stimmt es auch nicht. Es könnte zum Beispiel ja sein, dass es eine sehr intakte Eltern-Beziehung zu den eigenen Eltern geben könnte, diejenige zu den Kindern aber trotzdem gestört wäre - und die Kinder unter Umständen keine Liebe für die Eltern empfinden. Da wäre für mich aber ohnehin die Frage: Wann lieben Kinder die Eltern? Wie wäre Liebe zu unterscheiden von der Widerspiegelung der Elternliebe oder von einem bloßen Abhängigkeitsverhältnis?
Ich denke, an der These stimmt aber auch etwas, nämlich dass man durch das, was man im Alltag als Kind erlebt und fühlt, ein Gefühl dafür bekommen kann, was Liebe ist, wie sie sich anfühlt. Dies zum einen, als Reaktion auf dein anfängliches Posting.

Dann zum hier von dir Zitierten eine Frage: Wie meinst du das? Die Eltern als Beispiel unserer unbewussten Anteile? Meinst du vielleicht unsere gespeicherten Reaktionen auf sie, deren wir uns nicht - mehr - bewusst sind, und die andere manchmal umso schärfer an uns wahrnehmen? Oder meinst du das, was wir unbewusst von ihnen übernommen haben?

Danke, wie immer, für deine Anregungen

Emely
niederländer

Re: "Vorleben"

Beitrag von niederländer »

Hallo Anna,

Du sprichst mir mit dein Posting grad aus der Seele.Ich hatte auch eine nicht starke emotionale Bindung zu Meine Eltern. Über Gefühle wurde schon gar nicht gesprochen. So hatte ich in meine Pubertät meine erste Depression, fand michselbst blöd, unfähig und total unsicher.
Das hab ich Jahre lang einigermaßen im Griff gehabt.Dürch viel Sport, Arbeit und meine Kinder hab ich vieles verdrängt.
An mein 45 Geburtstag kamen die Depressionen in voller Wucht zurück. Das war nachdem meine Firma auf Konkurs ging und ich getrennt bin von meine erste Frau.
Mit 49 Jahre hab ich wieder geheiratet und bin glücklich. Trotzdem wieder depr. geworden.
Jezt such ich eine geeignete Psychotherapie.Vorerst bin ich aber in der Warteschleife.


Machts gut,


Herzlichst,

Benny
Liber
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Liber »

Liebe Anna,

auch mich beschäftigt das Thema dieser Diskussion nach wie vor, darum freut es mich sehr, dass du noch einmal darauf eingegangen bist.

Du erwähnst die Krankheit deiner Kinder - ich vermute, sie leiden an Depressionen, oder?

Was ich mit meinem Posting ganz oben eigentlich sagen wollte, ist dies: ich habe beobachtet - in der Abfolge der Generationen meiner eigenen Familie, die ich beobachten konnte - dass ungelebte, verdrängte Anteile nicht verschwinden, sondern "weitergegeben" (natürlich unbewusst!) werden, solange sie nicht integriert, aufgelöst werden können.

Wenn nun Eltern die Knoten in der Beziehung zu ihren eigenen Eltern nicht "auflösen" können, schwingt da in ihrer Beziehung zu ihren Kindern irgendetwas von diesem Schweren, Dunklen, Unaufgelösten mit. Das wird meist nie offensichtlich - aber es ist trotzdem da.

Dies habe ich, was mich selbst betrifft, ausgelöst durch meine PA und die Beobachtung meiner heranwachsenden Kinder, erkennen können. Einschränkend möchte ich noch sagen, dass ich diese Erfahrung auf mich selbst beziehe und keine Allgemeingültigkeit daraus ableite.

In letzter Zeit wurde mir noch etwas Wichtiges dazu klar: nicht bei meinen Kindern kann ich irgendetwas "auflösen", was mit diesen Knoten aus der Elternbeziehung zu tun hat - sondern ausschließlich bei mir.

Das heißt: solange in mir noch Ungelöstes in meiner Elternbeziehung vorhanden ist, muss ich es DORT auflösen. In mir. Nicht in meiner Beziehung zu meinen Kindern. Das ist der falsche Ort dafür.

Ich habe in meiner PA versucht, so manches aufzulösen - bei weitem nicht alles, das spüre ich deutlich. Es war aber nicht in erster Linie der direkte Kontakt zu meinen Eltern nötig, obwohl sie noch leben. Es war und ist nötig, dies in MIR zu tun.

Vielleicht könntest du an dieser Stelle noch einmal ansetzen, liebe Anna? Zu versuchen, die Knoten in DIR aufzulösen, was deine Eltern betrifft? Vielleicht mithilfe einer Therapie?

Es wird sich auf die Beziehung zu deinem Sohn auswirken - vielleicht einfach, indem es die eigenen Erwartungen verändert. Vielleicht erwartest du ja noch etwas von ihm, was er dir einfach nicht geben kann, wenn er jetzt in sein eigenes Leben gehen will (das ist jetzt eine reine Vermutung von mir)

Lieben Gruß
Brittka
912318798
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Re: "Vorleben"

Beitrag von 912318798 »

Schönen Abend zusammen!

Erstmal danke an Brittka für diesen schönen Faden und an die Anderen für so viele schöne Beiträge!!

Ich hatte ja im anderen Faden schon erwähnt, daß mein Elternhaus noch das patriarchale System handhabte,
und daß, wie auch schon oben (Wycombe?) erwähnt wurde,
weggeschwiegene Lebensanteile nicht zur Lösung von Problemen führen konnten, können.

Trotzdem versuche ich, eine Brücke hinter mir abzubrechen,
und beim Zurückblicken über die besagte Schlucht das Schöne zu sehen...

Ich habe längst aufgegeben, zu versuchen.

Jeden Morgen, wenn ich meine Kinder sehe und spüre,
liebe ich sie aus ganzer Kraft.
Was der Tag bringt, liegt manchmal an mir, manchmal an äußeren Umständen oder den Launen der Kinder,
mal gut, mal schlecht, auch böse manchmal...

Aber jeden Tag kommt ein Abend und bis jetzt konnte ich spätestens zu diesem Zeitpunkt
Schlechtes vergessen, Böses vergeben (soferne ich dazu berechtigt war) und für Gutes danken.
Dann konnte getrost der neue Morgen kommen.

Wenn ich diesen Kreislauf transportieren kann, meine ich, einen Teil von Brittka's gegenständlichem Satz erfüllt zu haben.

Ich meine schon, daß das VORLEBEN das Seine zu einer gesunden Zelle dazu tut,
wenngleich jedes Kind seine eigene Persönlichkeit mit auf diese Welt bringt.


Schönen Abend noch

Jojo
Liber
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Liber »

>Wann lieben Kinder die Eltern? Wie wäre Liebe zu unterscheiden von der Widerspiegelung der Elternliebe oder von einem bloßen Abhängigkeitsverhältnis?

Liebe Emely,

ich habe es schon mal in Otterchens Thread so geschrieben: ich glaube, dass im Erwachsenenalter Liebe zu den Eltern nur in Freiheit von der emotionalen Abhängigkeit von den Eltern spürbar werden kann. So erlebe ich es jedenfalls selbst.



>>Ich hatte ja versucht, diesen Satz im ersten Posting noch etwas näher zu erläutern. Ich habe ihn nicht als konkrete Frage gemeint, sondern wollte die Eltern-Situation eher als Beispiel für unsere unbewussten Anteile, die unsere Kinder spiegeln, betrachten.<<

>Wie meinst du das? Die Eltern als Beispiel unserer unbewussten Anteile? Meinst du vielleicht unsere gespeicherten Reaktionen auf sie, deren wir uns nicht - mehr - bewusst sind, und die andere manchmal umso schärfer an uns wahrnehmen? Oder meinst du das, was wir unbewusst von ihnen übernommen haben?


vielleicht ist es aus meiner Antwort an Anna schon ein bisschen ersichtlich geworden, was ich gemeint habe?

Ich meinte es nämlich noch ein bisschen anders. Nämlich, dass die unbewussten ungelösten Anteile meiner Beziehung zu meinen Eltern sich auf meine Beziehung zu meinen Kindern auswirken können, indem ich ihnen unbewusst etwas weitergebe, was ich eigentlich in mir selbst lösen müsste.


Ich hoffe, es klingt nicht zu verworren

Lieben Gruß
Brittka
Liber
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Re: "Vorleben"

Beitrag von Liber »

>Trotzdem versuche ich, eine Brücke hinter mir abzubrechen,und beim Zurückblicken über die besagte Schlucht das Schöne zu sehen...

Liebe Jojo,

danke für deine Antwort!

Das Abbrechen der Brücke mag wirklich nötig sein. Trotzdem aber hast du ja vieles von dort jenseits der Schlucht, auch ohne es zu wollen, "mitgenommen". Und um das geht es mir in diesem Thread hier.


>Jeden Morgen, wenn ich meine Kinder sehe und spüre, liebe ich sie aus ganzer Kraft.

Wunderbar . Das geht auch mir mit meinen Kindern so. Sie sind es, die mich Lieben gelehrt haben. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich ihnen möglichst wenig "Knoten" weitergeben möchte, die zu mir gehören. Ich wünsche mir einfach, dass sie frei für ihr Leben werden können.

Lieben Gruß
Brittka
otterchen
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Re: "Vorleben"

Beitrag von otterchen »

Hallo Ihr Mütter (+ Väter)

ich denke gerade, es ist schon ok für Kinder, wenn man sich von dem "Bösen, Ungesunden, Giftigen" abwendet - solange sie die Gründe dafür nachvollziehen können.

Denn auf Biegen und Brechen - wegen Tradition, Moral, Religion - seine Eltern lieben und ehren zu müssen, das sollte niemandem abverlangt werden.

In der Praxis stelle ich mir dies natürlich recht schwierig vor, aber so rein generell gefällt mir dieser Gedanke.
Natürlich sollte Kindern vorgelebt werden, dass sie trotz ihrer Fehler und Unzulänglichkeiten geliebt werden und dass man nicht den Kontakt zu ihnen abbricht (wie man es womöglich bei den eigenen Eltern gemacht hat), wenn sie etwas "Böses" tun!
Wenn die Kinder wahrgenommen werden, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnen kann, wenn man ihnen vorlebt, wie man Fehler eingesteht und sich wieder verträgt, wenn sie vorgelebt bekommen, dass man sich entschuldigen kann (usw.), dann sollte das auch klappen.

Wenn etwas schlecht für einen ist, darf man sich nämlich davon distanzieren - auch wenn es die eigenen Eltern sind.

Wenn man dies allerdings noch als dicken, belastenden Rucksack mit sich herumträgt, kann es natürlich schwierig werden - vor allem, wenn man "blind" den eigenen Kindern das gibt, was man sich selbst als Kind gewünscht hat - ohne das eigene Kind wirklich wahrzunehmen.


Aber ach - wer bin ich, darüber was zu schreiben?!
Ich habe doch selbst keine Kinder und bastel mir gerade eine ideale Eltern-Kind-Beziehung zurecht, die natürlich rein theoretisch bleibt.
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
kleene_sue
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Re: "Vorleben"

Beitrag von kleene_sue »

Hallo alle miteinander,

seit ich in meiner Depression bin, habe ich öfters Angst überhaupt Kinder zu bekommen, weil ich 1. Angst haben, dass es weitergegeben wird, 2. ich damit überfordert wäre UND 3. ich so werde, wie meine Mutter: keine Liebe zeigen können, keine Zuneigung und Mutterliebe eben ..
Ich weiß, ich bin erst 23, aber ich bin eben in einer Phase, wo ich noch mehr nachdenke als sonst und natürlich nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch die Wünsche meiner Zukunft

Liebe Grüße
~ Denken ist schwer und das besonders für den, der es kann. ~
1970
Beiträge: 375
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Re: "Vorleben"

Beitrag von 1970 »

Hallo kleene Sue,
Ich glaube, wenn du erst einmal ein Kind hast, „erledigt“ sich die Frage von selbst.

Wenn du dieses kleine Würmchen in deinen Armen hälst, Tag und Nacht umsorgst, kannst du gar nicht anders als es zu lieben. Und gerade weil du diese Liebe vermisst hast (deine Mutter konnte sie nicht zeigen, meine auch nicht u. doch bin ich überzeugt, dass sie mich geliebt hat) wirst du alles tun, damit dein Kind deine Liebe spürt und du wirst es lieben!!!!!!!!

Ich habe nicht geglaubt, dass ich jemanden so lieben könnte, ohne WENN und ABER. Aber es geht und ganz von alleine!!!!!!!! Ich konnte ihn von Anfang an drücken, knuddeln, Küsschen geben, ohne Probleme, weil das richtige Gefühl einfach da war.

Das einzige was schwierig war und ist, es auch auszusprechen.
Mir war es wichtig, es auch zu sagen, viell. weil ich selber als Kind weder mit Worten noch mit Taten (Umarmungen…) Liebe spüren konnte..Ich sag es nicht oft und das ist auch nicht nötig, aber einmal, als ich es ihm sagte, hat er mich ganz erstaunt angeschaut und gesagt:“ Das weiß ich doch, Mama“
Das war f. mich das wundervollste, was er überh. hat sagen können. Ich weiß jetzt, das ich wenigstens das mit der Liebe hinbekommen habe und dazu noch ganz selbstverständlich, ohne mich zu verbiegen.

Und deshalb glaube ich, dass du deinem Kind/Kindern nicht das vorenthältst, was du dir selber so sehr gewünscht hast.

Mein Mutter hat mal gesagt(da war ich schon erwachsen), ihr wisst doch, dass ich euch gern habe ), ich konnte es nur nie so zeigen("liebe" konnte sie nicht sagen!!)Sie wäre von ihren Eltern auch nie so geherzt und gedrückt worden. Ich denke ihre Eltern haben es ihr trotzdem irgendwie anders vermitteln. Oder sie war einfach selbstbewusster als ich und sie hat nichts vermisst. … Ich denke genau deshalb hat sie diesen „Erziehungsfehler“ begannen und nicht aus Mangel an Liebe oder Herzlosigkeit. Ihr hat nichts gefehlt.

Wie bereits im anderen Thread erwähnt, sie wussten es nicht besser.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich glaube deine Befürchtungen sind völlig umsonst und werden sich in Luft auflösen, wenn es soweit ist.

Sollte nicht so lang werden, konnte aber nicht in weniger Worten vermitteln, was mir wichtig war.
Gr. Dori
kleene_sue
Beiträge: 418
Registriert: 28. Jan 2009, 19:27

Re: "Vorleben"

Beitrag von kleene_sue »

Hallo Dori,

vielen Dank für deine lieben Worte und viell. weiß ich das alles auch in meinem Inneren, tief drin, wie alles Andere, aber die Therapie und die Zeit mit mir selber ist noch nicht soweit
~ Denken ist schwer und das besonders für den, der es kann. ~
912318798
Beiträge: 1590
Registriert: 28. Jul 2007, 13:39

Re: "Vorleben"

Beitrag von 912318798 »

Grüß Euch nochmal alle!


Brittka!

"Ich wünsche mir einfach, dass sie frei für ihr Leben werden können."...

...ja,
dies sollte wohl das allerwichtigste Ansinnen einer Mutter oder eines Vaters sein;
aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das auch gewährleisten kann!
Mein Größtes, am Highway in Richtung Pubertät unterwegs, beginnt bereits,
die Anforderungen des Mainstreams auf uns zu verlegen.
Tja, da sind wir, bin ich nicht gerade gut gerüstet dafür.

Hoffentlich sieht es rechtzeitig, BEVOR es uns dafür zur Rechenschaft zieht, daß wir kein cooles Auto haben, oder auf Urlaub in Griechenland können,
daß es gilt EIGENE Werte zu vertreten;
wie soll ich das transportieren?

VORLEBEN ist hier ziemlich schwer,
nicht weil sich für das Kind alles erst später zur Klarheit fügt und man mit seiner Reife kalkulieren darf,
sondern weil sie JETZT richtig unter diesem unseligen Wettbewerb leiden
und in Kasten eingeteilt werden...
unseretwegen.

Ob sie uns dereinst ebenso veruteilen werden, obwohl wir im JETZT uns alle Mühe geben,
es allerdings eben nicht besser können?


Das soll jetzt natürlich den grundsätzlichen Wert des "Vorlebens" nicht in Frage stellen,
es ist nur eine Schiene von besonderer Aktualität, die sich neben tausenden Anderen als besonders schwierig erweist.



Du erwähntest oben noch die "Mitgift", die uns bliebe,
auch nachdem wir die Brücken abgebrochen hätten.

Da bin ich nochmal auf Deinen Beitrag oben

"erstellt am 09/05/2009 17:34-
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Liebe Anna, ....." zurückgegangen, in dem Du das Thema "auflösen" ansprachst.

Ich wage, Deine These auch im Umkehrschluß anzuwenden
und kehre zum Verständnis nochmal zu meiner sehr komplizierten und ebenfalls unaufgelösten und anscheinend gefühlslosen Beziehung zwischen meinen Eltern und mir zurück.

Dabei kommt auch Annas Erlebtes hinzu, wenn sie da sagt, sie hätte nochmal gerne die Chance, ihre Eltern wieder zu sehen, wie sie dereinst gewesen waren:


Da stand ich nun eines Tages da, und sie waren beide gestorben.
Es hatte beim einen Teil aus der Dramatik eines plötzlichen Todes heraus zu keiner Aussprache mehr gereicht,
beim anderen, weil der Geist einfach nicht mehr mitgemacht hat, oder das Patriarchat zu lebendig war,...wer weiß?
Tatsache ist, daß vieles, ja eigentlich alles an Aufgebrochenem eben so liegengeblieben war,
vor mir ganz allein, und da begann ich, zu Deiner Methode zu greifen und die Dinge mit mir und an mir zu regeln.

Da spielte natürlich kein Intellekt mit, keine psychiatrischen Kunstgriffe oder Denk-Strategien,....
sondern einfach vergessen, oder auch Probleme anders bewerten.

Ich hatte keine andere Chance mehr, sie konnten nicht mehr erklären, erwidern,...

Es ist nur eine ganz simple Entwicklung, ich hätte ganz am Anfang nie erwartet, je Erfolg damit zu haben,
oder mehr noch, ich hatte gar nicht bemerkt, daß sich da in mir so etwas abspielte wie eine "Aufarbeitung",
allerdings war wesentlich zu "wollen".

Damit weise ich eine angeborene Liebe in Kindern ihren Eltern gegenüber nach.

Obwohl ich wie erwähnt genau wie Viele hier kaum oder nie Streicheleinheiten ernten durfte,
gelebte Zärtlichkeit,
eben nur jene redliche und diskrete Elternschaft, ohne Worte,
und mir dies alles genauso gefehlt hat, wie vielen von Euch allen hier,

wenn ich heute an ihrem Grab stehe,
ist meine Sehnsucht nach ihnen so groß,
daß ich am liebsten runterbuddeln
und mich zwischen die beiden kuscheln möchte...




Liebe Grüße allen hier

Jojo
Zehlendorf
Beiträge: 86
Registriert: 6. Feb 2008, 18:22

Re: "Vorleben"

Beitrag von Zehlendorf »

Hallo,
ich weiß ja nun nicht, wie das bei Vätern ist, aber ich bin davon felsenfest überzeugt, dass bei Müttern die Bindung an das Kind angeboren ist. Ich denke, der "Fortpflanzungstrieb" ist einer der stärksten beim Menschen überhaupt. Ich möchte bezweifeln, dass es halbwegs "normale" Mütter gibt, die den ersten Augenblick, in dem sie ihr Kind sahen, nicht für den Rest ihres Lebens erinnern. Und all die Monate vor der Geburt, wenn man die ersten Bewegungen spürt, eine solche Beziehung hat man zu keinem anderen Menschen auf der Welt. Die Nacht, in der mein Sohn, der jetzt sagt, ich hätte mich nicht um ihn gekümmert, geboren wurde, erinnere ich als eine der allerschönsten im Leben. Wenn das Kind weint, tritt die Milch automatisch ein und wenn es mehrere Nächte hintereinander schreit und man ist so müde, dass man denkt, man fällt im nächsten Augenblick um, steht man trotzdem auf und versorgt es.

Ich werde im Leben nie die Augenblicke vergessen, wenn ich z.B. meinen Sohn im Kindergartenalter aus dem Mittagsschlaf geweckt habe und der lächelte mich an, kaum dass er die Augen aufschlug, und sagte "Mama, ich bin so froh, dass es dich gibt!" Er war ein ungewöhnlich liebevoller, sehr "verschmuster" Junge. Ich weiß, dass ich viele Jahre lang automatisch lächeln musste, wenn ich meine Kinder beobachtete, und noch heute, wo sie lange erwachsen sind, auch wenn ich eigentlich furchtbar zornig bin, weil sie sich etwas selbst eingebrockt haben oder ich mich von ihnen schlecht behandelt fühle, habe ich sofort das Bedürfnis zu helfen, wenn ich höre, dass es einem von ihnen schlecht geht. So etwas empfinde ich ebenfalls gegenüber keinen anderen Menschen auf der Welt.

Was bitte ist für euch denn überhaupt "Liebe"?

Eine ganz andere Frage ist doch, ob man dieses Gefühl der Zuwendung auch zeigen kann bzw. ob die Kinder es wahrnehmen oder ob man sich ihnen gegenüber immer richtig verhält.
Ich kann mich erinnern, dass ich früher oft das Gefühl/Wissen hatte "Das, was du jetzt tust, ist nicht richtig." Aber ich konnte nicht anders, z.B. weil ich andere große Probleme hatte.

Wenn ich Kindern aus schwierigen Elternhäusern beobachte, habe ich sehr oft den Eindruck, sie "lieben" ihre Eltern, obwohl diese es (mein Vorurteil) "eigentlich" nicht verdient haben. Vielleicht sogar mehr, als Kinder, die sich auf die Zuwendung ihrer Eltern verlassen können. Kinder sind sehr abhängig, "Liebe" ist eine Form des Überlebens in dieser Situation. Ob dieses Gefühl dann im Erwachsenenalter bestehen bleibt, ist eine andere Frage.

Ich denke auch, das Gefühl, dass wir uns um ihn nicht gekümmert haben, ist bei meinem Sohn erst viel später, bei Ausbruch der Krankheit entstanden. Und es liegt auch daran, dass er damals nicht die Hilfe bekommen hat, die er benötigt hätte, um heute nicht krank zu sein. Das hat nicht in erster Linie nur mit dem zu tun, was wir damals objektiv getan haben, sondern mit der Tatsache, dass unsere Zuwendung eben nicht ausgereicht hat. Und dass diese schmerzlichen Gefühle im Nachhinein das Positive, an das er sich heute nicht mehr erinnern kann, überlagert haben.

Anna
otterchen
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Re: "Vorleben"

Beitrag von otterchen »

Hallo Anna,

ich empfinde Deinen Beitrag als ziemlich idealistisch.

Es gibt durchaus Mütter, die ihre Kinder nicht "erwarten", sondern für die ein Kind ein Problem darstellt - z.B. bei ungeplanter/ungewollter Schwangerschaft.

Oder die Mütter, die sich vielleicht ein Kind gewünscht haben, weil da "was zum liebhaben" ist, die dann aber schnell merken, wieviel Verantwortung dies bedeutet und die dann lieber das Kind an die Oma abgeben, um selber auf die Rolle gehen zu können.

Was ist mit Brooke Shields, die eine postnatale Depression bekam, weil sie keine liebevollen Gefühle für ihr Neugeborenes entwickeln konnte?

Was ist mit einer Bekannten, die ihr Kind nach der Scheidung unbedingt behalten wollte, weil "das Kind zur Mutter gehört" - die dann aber lieber nachts durch Kneipen zog, ihr Kind abends mit einem Viererpack Pudding abspeiste und es danach vor dem Fernseher parkte oder - bei Kneipenbesuchen - das Kind spätabends am Tisch auf 2 Stühlen schlafen ließ, nur weil sie die gesellige Runde nicht verlassen mochte?



Liebe ist nicht nur ein GEFÜHL für jemanden - es ist auch - oder vor allem? - Handeln und Zum-Ausdruck-Bringen.
Was bringt es, wenn ich jemanden liebe, ihn das aber nie spüren lasse?
Was, wenn mein "Ausdruck der Liebe" ist, ein Kind mit Ohrfeigen zu strafen? Fühlt das Kind sich dann geliebt??


Es mag wohl bei Dir stimmen, es stimmt bei sehr vielen Müttern - aber nicht bei allen. Es gibt halt auch Mütter, die keinen Draht zu ihren Kindern aufbauen können, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht, weil sie selber keine Liebe empfangen haben? Vielleicht, weil das Kind absolut nicht in ihr Leben passt, Träume zerstört, ans Existenzminimum bringt... oder aus sonstigen, vielfältigen Gründen?
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
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