Zeitempfinden und Depression

laudine
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Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Hallo miteinander….

Puuuh…. Ich hab im Moment manchmal ganz schön daran zu knacken, dass ich denke, ich stehe irgendwie außerhalb der Zeit.

Da „draußen“ flitzt die Zeit nur so … sie rast und alle rasen mit. Natürlich supereffektiv, wahnsinnig busy und nicht aufzuhalten in ihren Aktivitäten.
Oder sagen wir mal lieber: zumindest so, dass keiner merkt, dass es auch dort für viele ein mühsames qualvolles Hinterherlaufen ist. Immerhin geht es ja vielen mit dieser Hektik alles andere als gut.

Na, ich hänge jedenfalls in meiner wabernden zähen Depression und finde den Anschluss nicht. Ich gerate zunehmend in meine eigene Zeit.

Gibt es das? Gibt es eine Depressionszeitzone?

Beispiel Gartenarbeit:
Wenn ich mit mir allein bin, ertappe ich mich dabei, dass ich die Dinge langsamer tue, als gewöhnlich. Ich höre ab und zu auf und betrachte eine Weile, was ich gerade tue, oder nehme die Umgebung um mich wahr. Wirklich wahr. Dann arbeite ich weiter.

Es geht mir nicht schlecht damit. Ich habe das Gefühl, dass diese Langsamkeit viel eher meinem eigenen Tempo entspricht.

Aber ich empfinde zum ersten Mal diese ungeheure Diskrepanz zwischen meiner Langsamkeit und dem Tempo da „draußen“.

Das macht mir manchmal Angst. Es gibt mir das Gefühl, irgendwie .... schräg zu sein.
Oder vielmehr ... noch schräger...

Wie empfindet ihr das?

Und wie schafft ihr es, die verschiedenen "Zeitzonen" miteinander in Einklang zu bringen?

Liebe Grüße von
laudine
Cieloazul
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Cieloazul »

Hallo laudine

Mh.... gute Frage! Na ja, oft bring ichs nicht in Einklang. Es gibt Zeiten, da steht die Zeit still, d.h. ich arbeite, bin effizient u. die Zeit schreitet nicht vorwärts. Die Tage werden unendlich lang.

Dann aber gibts das Gegenteil; ich arbeite so vor mich hin und die Zeit rennt. Ich werde mit meinem Pensum nicht fertig. Mir fehlt die Zeit an allen Ecken u. Enden.

In all den vielen Jahren meiner Depression habe ich noch nicht herausgefunden, was diesen Wechsel der Zeitempfindung ausmacht. Sicherlich ist für mich die "Langsamzeit" kaum auszuhalten. Mir fällt dann die Decke auf den Kopf, bekomme das Gefühl, dass die Tage unendlich lang sind, dass ich sie nicht überlebe.

Bei der rasenden Zeit beschleicht mich das Gefühl, des Alterns, des nicht genügend Zeit habens.

Gesamthaft gesehen, fühle ich mich in beiden Zeitzonen nicht wohl. Das Hier u. Jetzt ist scheinbar überhaupt schwer für mich auszuhalten.
Herzliche Grüsse

Cieloazul



“Malen ist eine Sprache der Empfindung, die da anhebt, wo der Ausdruck mit Worten aufhört.” Asmus Jakob Carstens (1754-1798, Maler)

Germany
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Germany »

Guten Morgen laudine,

ich denke mir geht es ähnlich, wenn ich was im Garten arbeite oder wie zur Zeit renoviere, bin ich für mein Empfinden im Vergleich zu früher langsam. Meine Gedanken schweifen oft von dem ab was ich gerade tue.

>Es geht mir nicht schlecht damit. Ich habe das Gefühl, dass diese Langsamkeit viel eher meinem eigenen Tempo entspricht.
...und das ist wichtig, weshalb denn hetzen ?? ....früher habe ich bei meinen Besuchen in den USA die Leute immer bewundert mit welcher Gelassenheit die ihrem Job nachgehen ( Grossstädte ausgenommen ).

Solange man mit dem eigen Tempo zufrieden ist besteht kein Grund irgendwelche Ängste zu haben, oder ?? Man ist nicht gleich 'schräg' nur weil man etwas anderes Zeitempfinden hat, bei mir denke ich liegt es eben auch an der Depression, wir sind nun halt besonnener als viele andere ..

Liebe Grüsse, German and take it easy
kleene_sue
Beiträge: 418
Registriert: 28. Jan 2009, 19:27

Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von kleene_sue »

Hi,

dazu habe ich folgende Büchervorschläge:

"Entdeckung der Langsamkeit"
"Hector und die Entdeckung der Zeit"

LG

.
~ Denken ist schwer und das besonders für den, der es kann. ~
laudine
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Hallo ihr Lieben,

vielen Dank schon einmal für eure Antworten.

@sue: … ja, genau…. „Die Entdeckung der Langsamkeit“ ist ein grandioses Buch. Das andere kenne ich noch nicht… danke dir sehr für den Tipp.

@german: ich versuche mir das auch zu sagen. Aber es ist oft so verdammt schwer, wenn ich dann mit der „Draußen-Zeit“ konfrontiert werde.
Besonnen ist eigentlich ein schönes Wort. Sich eben besinnen auf das, was man gerade tut. Mit dem Tun verschmelzen. Eigentlich ja im Gegensatz zum Abschweifen. Denn da bleibt man ja nicht beim Tun, sondern das Tun treibt die Gedanken. Ein bisschen wie ein Wind … aber der kann ja auch segensreich sein… wem sag ich das?

@cieloazul: Du bringst da noch weitere Aspekte mit in die Überlegung. Mich würde interessieren, ob es bei dir auch Phasen gibt , in denen du die Langsamkeit gut aushältst? Oder kommt das gar nicht vor?
Das schreckliche Gefühl, alles zu verpassen, weil ich nicht ins Zeitkonzept passe, kenne ich auch.
Ja, du bringst mich da auch auf einen weiteren Punkt, den ich kenne. Die Phasen der nicht gut auszuhaltenden Langsamkeit.

Also:
1. Eine innere Langsamkeit, die zur meiner Situation zu passen scheint (siehe das Beispiel mit der Gartenarbeit) ---- tut mir eigentlich gut, sie anzunehmen
2. Eine innere Langsamkeit, die mich im Grunde aber zu drängeln scheint, weil sie mir ein schlechtes Gewissen macht, (ist wahrscheinlich nur eine verkappte Hektik, die mich von draußen her anbrüllt, schneller und effektiver unterwegs zu sein, was umgehend dazu führt, dass ich langsam wie eine Schnecke werde) ------ tut mir überhaupt nicht gut ….
3. Eine innere Langsamkeit, die aus einer Form der empfundenen Leere her kommt (Bild dazu: Ich bestehe nur aus einer Mühle von Gedanken, die sich unablässig im Kreis drehen) z.B. Früherwachen, Grübeln, Bewegungslosigkeit, innere Lähmung) ---- tut mir überhaupt nicht gut--- ist das Grauen. Deswegen ja auch Morgen-„Grauen“. (schiefes Grinsen)

Hmm…. Das war jetzt nur so mal weiter assoziert…

Liebe Grüße von
laudine
Michel5858
Beiträge: 2
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Michel5858 »

liebe laudine,
ich bin neu hier und habe doch zeit und mut gebraucht, mich hier anzumelden. durch viele belastende erlebnisse in meinem leben habe ich erkennen müssen, dass seit langem meine seelische struktur aus den fugen geraten ist. ich werde seit monaten medikamentös und psychotherapeutisch behandelt und habe oft ähnliche wahrnehmungen, wie du sie auch hast. in meinem früheren leben war alles begleitet von terminen, hektik, 14 stunden arbeitstage, arbeit an den wochenenden,zu kurz kommende familie, usw.usw....

jetzt stehe ich oft inmitten einer großen menschenmenge und nehme die menschen bewußter war, wie sie um mich herum rasen, angetrieben von einer betriebsamkeit, geschäftigkeit und mangelnder wahrnehmung, die mich schwindlig macht.

dann denke ich, bin ich außerhalb, sind sie außerhalb???? ich mag diesen mainstream nicht mehr mitmachen, ich kann es auch nicht und bemerke zunehmend, wie sich eine entschleunigung in mir ausbreitet.ob dies ein schützender regulationsmechanismus der psyche ist, wenn man innerlich psychisch ausgepowert ist?

Ja, ich habe auch meine eigene zeit, eine zeit, die mich vor dieser ungeheuren betriebsamkeit und dem psych.aussaugen schützt. Vielleicht heißt es nicht depressionszeitzone, aber ich glaube,dass es erholsam und irgendwie heilsam ist, dinge bewußter wahr zu nehmen und langsamer zu tun. oft gehe ich durch die stadt und bleibe unvermittelt im trubel stehen, sehe wachsende knospen oder blumen, ein schönes fachwerkhaus, spielende hunde, anrührende szenen, wie auch immer....lasse es auf mich wirken und scheine dann wie aus einer trance zu erwachen.....dann war ich in meiner zeit!!!
mir geht es mit dieser ganz eigenen wahrnehmung auch nicht schlecht und ich glaube auch, dass es eher meiner momentanen stimmung entspricht. senecas "carpe diem" nutze ich nicht mehr um so effektiv wie möglich durch den lebenstag zu düsen. seit meiner lang anhaltenden depression ist es eher so, dass ich den tag nutzen möchte, um ihn so intensiv und in all seinen farben und facetten zu erleben, auch wenn dies manchmal im eigenen zeittempo ( manchmal auch zeitlupentempo ) geschieht.
ich empfinde hierzu derzeit keine angst, sondern mein derzeitiges zeitempfinden als wohltuend und denke, dass die zeit einfach noch nicht für anderes "reif" ist. derzeit lasse ich alle sich da draußen abhetzten!!

ich lasse die zeit zeit sein, ich mag derzeit nicht die zeit der anderen, ich mag meine zeit!, weil sie mir hilft, wieder mehr zu mir zu finden, zu dem was mich ausmacht, was mich definiert und vielleicht bringt sie mich auch wieder auf den richtigen weg.

Viele Grüße
Michael
laudine
Beiträge: 237
Registriert: 9. Mär 2009, 20:12

Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Lieber Michael,

schön, dass du ins Forum gefunden hast. Ich wünsche dir eine gute Zeit hier.

Und ich danke dir für deinen Beitrag.

Ja, angenehm, dass du noch einmal den entlastenden Effekt des Ganzen bei dir schilderst. Ich finde es toll, dass du da keine Verunsicherung empfindest, sondern langsam sein kannst ohne das Empfinden, irgendwie verkehrt in der Zeit zu stecken oder auch ohne schlechtes Gewissen.
Manchmal funktioniert das bei mir ja auch. Und es stimmt ja auch. Ich nehme meine Umgebung und mich dann auch ganz anders wahr. Wenn’s die positive Langsamkeit ist. Langsam, aber auf gewisse Weise auch verhafteter im Sein.

Vielleicht handelt es sich bei meinen negativen Empfindungen in Teilaspekten der Langsamkeit auch nur um die negativen Auswirkungen der schnellen „Draußen-Zeit“. (Genau, die ist schuld! )

Immer ist es ja nicht möglich, so den eigenen Zeit-Turn zu fahren. Manchmal frage ich mich, ob durch die Depression mein Hirnstoffwechsel langsamer arbeitet und ich deshalb das Gefühl von Befremdlichkeit habe, wenn ich z.B. gezwungen bin, mich an die Tempi des „Draußen“ anzupassen. Ich bekomme ja mit, dass ich nicht wie früher, mit manchen Dingen so fix mithalten kann, oder so flexibel bin, wie in gesunden Phasen.
Ist das möglich?

Wenn das so ist und meine zunehmende Verlangsamung eine neurologische Folgeerscheinung ist und weniger etwas mit einer sinnvollen Lebensentschleunigung zum Zwecke der Lebensqualitätserhöhung zu tun hat, dann mache ich mir sofort wieder Sorgen, ob ich irgendwann wieder „schneller funktionieren“ werde.
Das macht mir deutlich, wie erschreckend festgelegt auf Funktionalität ich (immer noch) bin.

…. Hilfe….



Etwas verwirrt (oder sollte ich lieber sagen verworren) aber sehr herzlich grüßt
laudine
Michel5858
Beiträge: 2
Registriert: 15. Apr 2009, 08:51

Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Michel5858 »

hallo laudine,
danke für deine rückmeldung. ich denke mir, dass man/frau sich in vielen teilbereichen nicht ganz los sagen kann von der schnelllebigkeit ( immer und immer wieder mithalten zu müssen, sonst ist man draußen!!!), die jeder von uns in seinen lebensjahren erfahren hat. dies steckt immer noch tief drin und wird ja über die vielen jahre internalisiert. es wird ja fast schon mit der muttermilch aufgenommen, dass man dieses und jenes mitmachen muss/soll, wird in vereine gestopft, schon als kleinkind braucht man einen terminkalender!!!, die schulzeit bringt weitere hetzaspekte, immer nur erfolgsorientiert sein, die ausbildung, studium, lehre, was auch immer untermauert das ganze und zu guter letzt prägen die berufjahre ganz intensiv. deshalb habe auch ich immer wieder das gefühl, etwas verbotenes oder nicht normales zu tun, wenn ich meine entschleunigung annehme. aber ich kann auch nicht anders, sobald ich versuche mich dieser allgemeinen lebenshektik anzupassen, werde ich fahrig und unruhig, bekomme herzrasen und schweißausbrüche, es tut mir nicht gut.

Laudine: Manchmal frage ich mich, ob durch die Depression mein Hirnstoffwechsel langsamer arbeitet und ich deshalb das Gefühl von Befremdlichkeit habe, wenn ich z.B. gezwungen bin, mich an die Tempi des „Draußen“ anzupassen. Ich bekomme ja mit, dass ich nicht wie früher, mit manchen Dingen so fix mithalten kann, oder so flexibel bin, wie in gesunden Phasen.
Ist das möglich?

ja, es ist möglich, ich kann auch nicht mehr wie früher mithalten und derzeit überlege ich, ob ich das auch überhaupt noch will. meine flexibilität ist auch eingeschränkt, ich kann mich nicht wie früher so schnell auf etwas neues einlassen.ich glaube, dass es schon etwas mit dem gehirnstoffwechsel zu tun hat, verschiedene medis wirken ja auf unterschiedliche stofwechselkreise im gehirn ein. zur zeit nehme ich medikamente, die genau auf beide wichtige stoffwechsel, die für die depressionen verantwortlich sein sollen eingehen bzw. stimulieren. eine weitere, aber sehr harte therapie für depressiv erkrankte ( bei denen keine medis mehr wirken ) ist die elektrotherapie. durch die stromeinleitung soll der gehirnstoffwechsel angeregt werden.

Laudine:Wenn das so ist und meine zunehmende Verlangsamung eine neurologische Folgeerscheinung ist und weniger etwas mit einer sinnvollen Lebensentschleunigung zum Zwecke der Lebensqualitätserhöhung zu tun hat, dann mache ich mir sofort wieder Sorgen, ob ich irgendwann wieder „schneller funktionieren“ werde.
Das macht mir deutlich, wie erschreckend festgelegt auf Funktionalität ich (immer noch) bin.

ich denke, dass die krisen die wir durchleben auch chancen beinhalten. sicher ist die depression ein produkt von äußerer lebenseinwirkung auf die eigene psyche, aber auch von biologischen prozessen. Das entfernen von draußen kann auch ganz hilfreich sein um zu erfahren, wie es eben auch anders sein kann. eben langsamer und weniger hektisch....daraus nachher die richtigen schlüsse zu ziehen, z.b. aufrichtig nein sagen zu können, ohne ein schlechtes gefühl zu haben...mehr zu sich selbst zu stehen, und es anderen nicht laufend recht machen zu wollen...sich nicht mehr aussaugen zu lassen......anzunehmen, was man/frau will und nicht was andere von dir wollen....nicht als seelischer mülleimer mißbraucht zu werden usw....usw...können doch ganz hilfreiche erfahrungen daraus sein.

ich tue mich auch immer noch schwer, krankheit als chance zu sehen, aber ich denke, alles liebevoll für sich anzunehmen ist schon der erste schritt aus der dunkelheit.

liebe grüße
Michael
laudine
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Registriert: 9. Mär 2009, 20:12

Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Hallo Michael,

ich finde deine Einstellung zur Krankheit gut. Es hilft sicherlich, sie anzunehmen.

Ich versuche das auch, aber ich bin da, glaub ich, auch nicht immer ganz aufrichtig zu mir selbst.

Ich finde das auch sehr sehr schwer. Danke dir noch mal für deinen Beitrag und hab einen guten Abend...
ganz viele liebe Grüße von
laudine
anci1970
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Registriert: 29. Nov 2007, 20:57

Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von anci1970 »

Hallo zusammen!

Oh - spannend, spannend, spannend!

Ich habe innerhalb der Krankheit schon oft über die Zeitproblematik nachgedacht.

Mir ist diese "Welt da draußen" auch viel zu schnell. Zu schnell und auch zu laut. Es ist als würde ich immerzu geschubst, gejagt und angebrüllt.

Das was ich tue, mache ich gründlich aber eben nach objektiven Maßstäben sicher recht langsam. Es geht mir nicht gut damit, wenn ich Vieles gleichzeitig erledigen muss oder mehr als zwei Termine am Tag habe.

Kennt Ihr die Geschichte mit dem Indianer, welcher den Highway entlang wandert bis ein Auto hält und der Fahrer fragt, ob er ihn mitnehmen solle?! Der Indiander willigt ein, setzt sich auf den Beifahrersitz und sie fahren weiter. Nach kurzer Zeit bittet der Indianer den Fahrer auf offener Strecke aussteigen zu dürfen. Als der Fahrer verwundert nach dem Grund fragt, bekommt er zur Antwort: "Wir sind so schnell gefahren, dass meine Seele auf der Strecke blieb und nicht hinterher kam!"

DAS beschreibt, was ich fühle. Diese Welt hat inzwischen ein Tempo, bei dem ich mir oft überfahren vorkomme.

In der Ergotherapie geht es mir deshalb so gut, weil ich nicht funktionieren muss. Weil ich krank sein darf, keine Leistung bringen muss, in meinem Tempo etwas schaffen kann und auch mal "Löcher in die Luft gucken" kann.

Ich denke ja oft, dass nicht wir krank sind, sondern die moderne Industriegesellschaft...

Ich wünsch Euch einen ruhigen Abend.

Bianca


Wer meine Sehnsucht kennt, weiß wie ich leide!
laudine
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Hallo miteinander...

oh Bianca ... du sprichst mir sooooo aus der Seele.


Und vor allem... du sagst es...: auch zu laut da draußen. Viel viel viel zu laut.
Mit ein Grund, wieso ich mich vor einigen Jahren auf's Land verzogen habe. Hier ist übrigens auch das Tempo erfreulicherweise etwas geringer, aber für mich wohl immer noch nicht gering genug.

Zwei Termine am Tag ... das würde ich im Moment auch nur schwerlich schaffen. Ich bin nach einem schon für den ganzen Tag erledigt und habe dann auch den ganzen Tag damit zu tun, den gedanklich nachzubereiten usw.

Als ich beruflich noch selbständig war, habe ich mich oft gewundert, wie ich es überhaupt schaffe. Diese Effizienz war da meines Erachtens nur so mühsam antrainiert. Hat immerzu dafür gesorgt, dass, um bei deinem Bild zu bleiben, die Seele tausend Meter hinter mir japsend im Straßengraben lag. Sehr schöne Geschichte von dir übrigens, kannte ich noch nicht.

Seit dem Zusammenbruch ergebe ich mich der Langsamkeit oder versuche es zumindest und stelle fest, wie schnell ich reizüberflutet bin. Von Zeit, von Lärm und übrigens auch von größeren Städten. Ein Lauf durch eine Fußgängerzone und ich fühle mich komplett genervt, überfordert, überdrüssig und irgendwie verstört.

Das hängt alles miteinander zusammen.

Vielleicht ist diese Reizüberflutung in den größeren Städten auch ein Grund, warum es mir früher in depressiven Phasen (wohnte damals in großstädtischen Zusammenhängen) viel schwerer gefallen ist, nach draußen zu gehen als heute?

Ganz ganz viele Grüße von
laudine
laudine
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Und jetzt gehtb es ganz und gar nicht langsam weiter. Sondern eher beängstigend rasch.

Seit gestern geradewegs in den Keller. Heule eigentlich nur noch. War gestern schon in arger Not, konnte mich aber immer wieder selbst stabilisieren, hatte aber zunehmend Angst gegen Nachmittag. Habe dann in der Ambulanz angerufen, aber die waren da ziemlich unfreundlich und haben mich aufgrund einer fehlenden Überweisung vom Facharzt (die war vom letzten Quartal, wurde zu dem Zeitpunkt aber nicht benötigt) mal gleich gar nicht angenommen. Wahrscheinlich sind sie sehr überlastet da.

Sehr verzweifelt. Überweisung vom Hausarzt reicht denen nicht. Muss ein Facharzt sein.

Mein erster Besuch gleich bei diesem menschen vor einigen Wochen war aber eine einzige Katastrophe, so dass ich gewechselt habe. Der hat mich beim Sprechen nicht mal mehr angesehen. Und in all seiner Art mit mir umzugehen eine wirklich(!) panische Angst in mir ausgelöst. Ich würde da noch nicht mal mehr anrufen, wenn ich den Kopf schon unter dem Arm tragen würde. Ich weiß gar nicht, was der da in mir ausgelöst hat.

Habe versucht denen im Krankenhaus klarzumachen, dass die neue Fachärztin, die ich habe, in Urlaub ist, aber da ist nichts zu machen. Sie brauchen eine Überweisung vom Facharzt.
Hab denen gesagt, dass ich einen sehr guten Hausarzt habe, dem ich sehr vertraue. Hilft nix. Auf seiner Überweisung steht außer Psychotherapie und div. auch Psychiatrie. Es bringt nichts. Ich komm nicht in die Ambulanz.

Jetzt heißt es wohl durchhalten bis die Ärztin wieder da ist. Ich hab im Augenblick auch keine Kraft, mir andere Lösungen zu erstreiten oder zu erkämpfen.
Hat sich bei mir halt alles hingezogen, weil ich eh nie eine bin, die sich hinstellt und "Hier Hilfe!" schreit.

Ich hab Angst und meine Traurigkeit zieht mir gerade beängstigend schnell den Boden unter den Füßen weg.

Hoffen, dass es morgen besser wird. Ich will jetzt versuchen, in den Garten zu gehen. Das tut mir doch sonst immer gut.

Lieber langsam durch die Tage schnecken, als das hier jetzt wieder mal durchmachen.

laudine
laudine
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Habe es nicht in den Garten geschafft.

Habe bei einem anderen Facharzt angerufen und meine Situation geschildert, aber die Angestellte dort meinte, dass ich mindestens vier Wochen Wartezeit habe. Die Liste derer, denen es schlecht und/oder wahrscheinlich schlechter geht als mir, ist sehr lang.

Ich habe in einer weiteren Ambulanz in einer anderen Klinik angerufen und meine Situation geschildert, aber die sind nicht zuständig, weil ich in einem anderen Landkreis wohne.

Also muss ich es jetzt irgendwie so schaffen.

Ich habe in der Aufzählung der verschiedenen Zeitwahrnehmungen die Schnelligkeit vergessen, in der man in Seenot geraten kann und die Langsamkeit, mit der die Zeit vergeht, bis man so etwas wie ein rettendes Ufer erreicht.

Aber ich hab ja Übung im (Alleine-)Paddeln.

laudine
Dendrit
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Dendrit »

Hallo Laudine,

versteh ich das richtig, Du kommst in eine Ambulanz nur mit einer Überweisung eines FA rein? Ist das eine besondere Klinik? Denn eine Ambulanz ist doch für Notfälle da?!

Tut mir leid, dass Du so ein Chaos erleben musst.

Ich wünsch Dir viel Kraft, die vorübergehende Zeit auszuhalten.

Manuela
hap
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von hap »

hi Laudine,

kann es sein, dass du mit Ambulanz nicht die 1.Hilfe meinst?

Ich selber bin in Behandlung einer PIA (psychiatrischer Institutsambulanz) und diese machen ähnlich einer "normalen" Praxis Terminvergabe. Da kann es solche Wartezeiten geben. Allerdings kannst du dort auch einen Notfalltermin haben. In meiner ist das Gang und Gebe, was bedeutet ich "muss" trotz Termin mal ne gute Stunde warten, weil dringendes ansteht.

Für die PIA hole ich mir meine Überweisung pro Quartal von meinem Hausarzt. Da steht dann auch PIA drauf

Ansonsten kannst du jederzeit in dein zuständiges Krankenhaus in die 1. Hilfe gehen und wenn/falls du es möchtest, die Kapazitäten sind, aufgenommen werden. Das nennt sich dann oft Krisenintervention. Die Krankenkasse zahlt bis zu vier Tage vollstationär.

Villeicht wäre es hilfreich kurz zu erläutern, was du unter Ambulanz verstehst.

Liebe Grüße
Cieloazul
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Cieloazul »

Salü Laudine

Das hört sich nicht gut an... Ich kenne das deutsche System des Gesundheitswesen nicht. Was hältst du von hap (hope666) Vorschlag? In grosser Not u. wenn Leib u. Leben in Gefahr sind, dann sollte der Gedanke an eine Krisenintervention im Krankenhaus in Betracht - o. noch besser in Anspruch - genommen werden.

Zudem kenne ich die unheilvolle Mischung von Angst u. Depression.

Ist etwas vorgefallen, dass es dir so schlecht geht?

Ich möchte dir noch eine Antwort geben auf deine Frage, bez. des Aushaltens der langsamen Tage. Solche Tage kann ich aushalten, sind auch angenehm (nicht immer), doch oft geht dieses Gefühl verloren, sobald meine Familienmitglieder Termine haben u. Hektik verbreiten. Das betrifft mich oft auch, muss mich danach richten u. kann mich äusserst schlecht abgrenzen.

Das Dilemma an dieser Zeitwahrnehmung u. der gekoppelten Depression ist, dass ich entweder wie ein Schwamm bin, der sich ohne eigenes Zutun aufsaugt o. dann stehe ich unter einer Glasglocke, sehe u. registriere alles, aber bin abgeschnitten von dieser Welt.

Zudem geht es mir genau gleich wie dus beschrieben hast: Städte, Fussgängerzonen, volle Geschäfte, Trams u. Züge sind ein Horror, manchmal überfallen mich Panikattacken. Und wenn ich mich trotzdem mal in diese Situation begebe, brauche ich Tage um mich davon zu erholen.

Ich hoffe u. wünsche dir, dass du den Keller verlassen kannst u. deine Seele den Aufstieg ins Parterre gelingt.
Herzliche Grüsse

Cieloazul



“Malen ist eine Sprache der Empfindung, die da anhebt, wo der Ausdruck mit Worten aufhört.” Asmus Jakob Carstens (1754-1798, Maler)

Cieloazul
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Cieloazul »

Hallo Michael
".ich glaube, dass es schon etwas mit dem gehirnstoffwechsel zu tun hat, verschiedene medis wirken ja auf unterschiedliche stofwechselkreise im gehirn ein. zur zeit nehme ich medikamente, die genau auf beide wichtige stoffwechsel, die für die depressionen verantwortlich sein sollen eingehen bzw. stimulieren. eine weitere, aber sehr harte therapie für depressiv erkrankte ( bei denen keine medis mehr wirken ) ist die elektrotherapie. durch die stromeinleitung soll der gehirnstoffwechsel angeregt werden."

Na ja, ganz bin ich nicht deiner Meinung, denn die genauen Ursachen einer Depression bzw. depressiver Störungen sind immer noch nicht bekannt. Es gibt allerdings Modellvorstellungen, insbesondere solche, die auf der Annahme von Veränderungen im Hirnstoffwechsel und im Stoffwechsel der Botenstoffe beruhen und Grundlage für die Entwicklung moderner Antidepressiva sind. Bekannt sind in diesem Zusammenhang die Noradrenalinmangelhypothese bzw. die Serotoninmangelhypothese. Zudem gibt es viele Menschen, die an einen Serotoninmangel haben u. trotzdem nicht depressiv werden.
Der Wirkmechanismus der ADs ist relativ unspezifisch. Sie verändern das Gleichgewicht im Hirn. Aber warum u. wie genau, diese Veränderung zustande kommt u. warum bei gewissen Personen nicht, kann die Wissenschaft noch nicht erklären.

Ich habe in meiner langen Depression über 30 verschiedener Präparate eingenommen. Teils zwei bis drei unterschiedlicher Wirkstoffgruppen kombiniert. Antidepressiva aller Gruppen (alte u. neue), MAO-Hemmer, Lithium u. Neuroleptika. Nichts hat nachhaltig geholfen. Letztlich habe ich mich in meiner Verzweiflung einer EKT (Elektrokrampfbehandlung) unterzogen. Ich war bei Prof. Woggon. Bin in all der Zeit in psychotherapeutischer Behandlung gewesen. Der EKT-Erfolg hielt nur gerade fünf Wochen an u. dann schlitterte ich wieder in die Depression.

Es mag sein, dass es Patienten gibt, welche auf die Medikamente ansprechen. Bei mir wars nicht der Fall. Wie ists bei dir? Spürst du schon eine positive Wirkung? Wie steht es mit den Nebenwirkungen?

Ich vermute, dass die Seele nicht mit Medikamenten beeinflussbar ist. Die Hirnforschung hat bewiesen, dass Psychotherapie den Hirnstoffwechsel auch verändert.

Letztlich muss jede/jeder selber den Weg wählen, den er gehen möchte. Für mich ist das Thema Psychopharmaka erledigt, denn es hat sich gezeigt, dass ich mein seelisches Leiden an mir und der Welt, nicht mit Medikamten beeinflussen kann.
Herzliche Grüsse

Cieloazul



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laudine
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Vielen Dank für eure Anteilnahme und eure Gedanken zum Thema.

Mir ist das ganze Vorgehen mit Klinik usw völlig neu. Ich bin jetzt auch in einem anderen Bundesland, kann also zu meiner Psychiaterin von damals und der Therapeutin von damals keinen Kontakt mehr aufnehmen. Ach, das ist auch alles schon so furchtbar lange her.

Ich war in meiner Depressionsgeschichte bis jetzt noch nicht wegen der Depression im Krankenhaus, habe natürlich Panik und zwar nicht zu knapp, andererseits ist diese ganze Episode seit Herbst wirklich so heftig, wie nie zuvor, und ich habe heute so einen derartig schrecklichen Tag hinter mir... (heute abend gehts etwas besser, bin aber völlig erschöpft), dass ich denke, ich hätte heute einen Termin in einer Ambulanz gut brauchen können.

Ich hatte nicht vor, gleich stationär dort zu bleiben, ich habe mir von einem Besuch in der Ambulanz auch keine Wunder erwartet, sondern nur das Gefühl, im Notfall da einen Anker greifen zu können, vielleicht ein anderes Medikament, damit ich die grottigen Tage besser überstehe bis zum Anfang der Anamnesegespräche oder schlicht das Gefühl, da hingehen zu können, falls es noch schlimmer kommt. Das hätte mir vielleicht die Angst davor genommen, was passiert, wenn die Trauer und innere Erstarrung noch schlimmer wird.

Vielleicht ist es wirklich so, wie du schreibst hap. Und vielleicht liegt es an mir, wenn ich z.B. am Telefon immer noch ziemlich differenziert klingen kann und tapfer und so, als würde ich alles auf die Reihe kriegen und in relativ neutralem Tonfall, was mich Unmengen von Kraft kostet, dann muss ich mich nicht wundern.

Ich habe vor einigen Wochen (vielleicht februar?) dort schon einmal angerufen, und zwar direkt dort im Sekretariat und gesagt, dass ich eine vernünftige Diagnostik brauche, dass ich denke, dass ich dringend Hilfe brauche und mir schlecht vorstellen kann, so lange zu warten, bis ich einen Termin beim niedergelassenen Neurologen bekomme. Damals stand schon auf der Überweisung vom Hausarzt Psychiatrie. Damals schon hat man mir in der Klinik gesagt, dass ich aber erst zum Neurologen muss und der muss dann eine Überweisung schreiben für die Ambulanz in der Klinik. Und ich dachte immer, in eine Ambulanz könnte man notfalltechnisch auch so, aber auch da hab ich es wahrscheinlich nicht geschafft, meine Lage deutlich zu schildern.

Und ich habs ja auch ohne Ambulanz bis hierher geschafft.

Ich verstehe das alles nicht, dachte immer, eine Ambulanz wäre eine offene Notfallsprechstunde. Aber wahrscheinlich liegt es an mir, dass ich hier so im Chaos stecke. Na ja und sie sind halt alle auch sehr überarbeitet.

Heute habe ich das nicht geschafft, morgen will ich aber meinen Hausarzt anrufen und dort nachfragen, auch wegen deines Ratschlags, hap ... und sowieso noch einmal nachfragen.
Ich hoffe, ich schaffe das. Und ich habe mir auch fest vorgenommen, noch einmal in der Klinik anzurufen um mir das noch einmal erklären zu lassen ... ich will das schaffen.

Kann mich jetzt nicht mehr aufs Korrekturlesen konzentrieren und schicke den Beitrag so ab... oh Gott.. ist das heute eine Quälerei... ich berichte morgen weiter, was ich erfahren habe...ich wünsch mir so sehr, dass es mir morgen besser geht...

laudine
laudine
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Re: Zeitempfinden und Depression und Psychiatrieversorgung bei starkem Seegang

Beitrag von laudine »

Hallo miteinander,

es ist wirklich so.

Um in der hiesigen Psychiatrieambulanz einen Termin zu bekommen muss man eine Überweisung vom Neurologen haben. Eine Überweisung des Hausarztes reicht nicht.

Ambulanz ist auch nicht das, was ich irrtümlich darunter verstanden habe (also eine Art ambulante Notfallsprechstunde, wohin man gehen kann, wenn es einer sehr schlecht geht- DAS ist es nicht!). Es ist mehr so, wie hap es schon beschrieben hat.

Wie dem auch sei, jedenfalls kann man aber wohl (das habe ich dann heute bei meiner insgesamt dritten Nachfrage erfahren), wenn es einem ganz ganz ganz ganz schlecht geht, sich in der Psychiatrieaufnahme melden und dann kommt jemand und spricht mit einem. Ich nehme an, das bedeutet im Fall der Eigengefährdung. Ich bin nicht eigengefährdet. Mir geht es aber trotzdem ziemlich schlecht, besser allerdings als gestern.

Ich weiß nicht, wo ich mich da auf der Skala einordnen sollte. Ganz schlecht oder ganz ganz ganz schlecht?

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mich fühle, wie eine Bittstellerin in diesem System. Ich habe jedenfalls nicht das Gefühl, dort hingehen zu können. Ich habe im Moment eh schon nicht das große Selbstvertrauen oder die Energie, Dinge für mich durchzuboxen oder die Fähigkeit mich für meine Interessen einzusetzen. Das klappt im Moment alles nicht so gut.

In mir das Gefühl, wie so oft in meinem Leben, ungesehen unterzugehen und wieder allein mit mir und der Krankheit irgendwie rumwurschteln zu müssen.

Ich paddel weiter...

laudine
Leni_25
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Leni_25 »

Hallo Ihr Lieben,

ich kann nur all zu gut mit euch mitfühlen. Ich bin neu hier und schreibe zum ersten mal. Ich habe es schon seit längerem vor, aber mir fehlt irgendwie immer die Kraft oder der Mut.

Ich bin 25 und leide schon seit Jahren immer wieder an Depressiven Phasen, allerdings habe ich es irgendwie geschafft, damit im Alltag durch zu kommen und es alleine zu überwinden. Meine Kindheit war nicht einfach für mich, dazu kamen dann einige weitere Schicksalsschläge, so das ich immer das Gefühl hatte ich laufe immer nur im Regen; wann hat das alles ein Ende? Aber irgendwie konnte ich immer stärker sein und wollte es schaffen, eine bessere Zukunft.

Jedenfalls begann ich 2005 dann eine Ausbildung in einem Betrieb, der, na ja, wie soll man es in zwei Sätzen erklären... ? Die beiden Chefs haben eigentlich nichts anderes zu tun, ihre Angestellten zu mobben, verrückt zu machen. Ich denke es ist kein Zufall, dass mittlerweile schon 4 Leute in psychischer Behandlung sind, Arbeitsunfähig, etc... Ich wollte meine Ausbildung allerdings durchziehen, auch wenn ich in den drei Jahren öfters am liebsten alles hingeschmissen hätte und mit einigen Nervenzusammenbrüchen zu kämpfen hatte. 2008 war dann endlich alles vorbei und ich wollte einen Neuanfang, bin in eine neue Stadt gezogen und hab angefangen zu studieren. Das ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon am Ende war und zu wenig Kraft für eine solche Aufgabe hatte, war mir noch nicht bewusst. Mein Zusammenbruch kam dann auch ziemlich schnell, ich wollte immer weniger in die UNI gehen, nicht mehr aufstehen, ein Buch in die Hand zu nehmen war überhaupt nicht möglich, ich war nur noch am heulen und wollte einfach nicht mehr.

Seit Januar bin ich nun glücklicherweise in Behandlung, weil ich es endlich geschafft habe, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. (Psychiater, AD & Psychotherapeutin, einen Antrag auf Kur habe ich auch gestellt)

Ich kann Laudine total gut verstehen, ich habe auch das Gefühl, ein Bittsteller zu sein. Da wagt man endlich den Schritt und bittet um Hilfe, was meist sehr viel Kraft kostet und im Grunde wird man damit alleine gelassen... Ich ruder gerade ebenso im Nirgendwo, da ich das Gefühl habe, in einer anderen Welt zu leben. Dazu kommt, dass ich starken Druck von allen Seiten her habe (Familie & Freunde) so gut wie keiner weiß über meine Krankheit bescheid, und jeder erwartet natürlich, dass ich jetzt nach meinem Studienabbruch so schnell wie möglich einen Job in meinem Ausbildungsberuf finde. Sie denken alle ich sitze daheim rum und bin einfach nur faul! Ich gehe am liebsten auch gar nicht mehr ans Telefon, da ich weiß, welche Fragen mich wieder erwarten "hast du dich beworben, wo, wie, was, warum..!" Ich weiß zwar, sie meinen es nur gut, da sie ja nicht bescheid wissen, aber das zehrt noch mehr an meinen Kräften.
Ich kann mich immer noch sehr gut verstellen (das erwartet die Gesellschaft doch auch irgendwie) und daher denkt jeder es geht einem gut.

Sorry, ich wollte eigentlich gar nicht so viel schreiben... Obwohl ich noch viel mehr schreiben könnte! Mein Zeitgefühl schwindet jedenfalls auch dahin, ich bin richtig erschrocken, als ich feststellen musste, das schon bald wieder Mai ist! Was ist nur aus mir geworden, wo ist nur mein Leben hin? Im Moment sehe ich keine Perspektive für mich, habe Angst arbeiten gehen zu müssen, was kann ich, was will ich? Ich habe das Gefühl, alles "versaut" zu haben... und die Zeit rennt gegen mich, da die Gesellschaft keine Pausen zulässt...

Viel Energie euch allen, Leni
laudine
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Hallo Leni,

danke für deinen Beitrag... da sind wir in ganz ganz vielem einer Meinung.

Außerdem kommt erschwerend bei dir hinzu, dass du über deine Erkrankung nicht reden kannst im näheren sozialen Umfeld. Das macht alles noch schlimmer. Noch schwerer.

Gut, dass du professionelle Hilfe hast.

Viel mehr kann ich jetzt gar nicht schreiben. Mir gehts leider immer noch so ziemlich miserabel...

Ich wünsche dir jedenfalls auch ganz viel Energie und grüße dich herzlich aus den verschiedenen Zeitreisezonen
laudine
lt.cable
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von lt.cable »

Hallo laudine!

Ich bin hinsichtlich deiner Probleme doch etwas überrascht, denn ich habe in meiner Fachklinik mit Überweisungen des Hausarztes keinerlei Akzeptanzprobleme. Vielleicht habe ich es da auch einfach nur besonders gut getroffen, aber grundsätzlich habe ich nicht den Eindruck, dass dort Leute, die Hilfe benötigen, derart abgewiesen werden. Wenn dein Zustand nun doch schon sehr schlecht ist, wäre der Gang in die Klinik vielleicht gar nicht verkehrt, natürlich vorausgesetzt, dass die Klinik eine solche ist, in die du auch freiwillig gehen würdest. Ich bin seinerzeit auch freiwillig gegangen und hätte damit ja auch alle Freiheiten zum Abbruch gehabt, falls die Einrichtung nun eine totale Katastrophe gewesen wäre. Mit einer Einweisung meines Hausarztes habe ich recht zügig in die Klinik "einrücken" können. Ich bekomme bei meinen Terminen in der Ambulanz dort auch immer wieder mit, dass es Betten für solche dringenden Fälle gibt, die meist zeitnah belegt werden können.

Es grüßt
lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
Leni_25
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Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Leni_25 »

Danke, dass ist lieb von Dir Laudine. Es war eine gute Entscheidung mich in diesem Forum anzumelden. Es tut mir richtig gut, zu wissen, dass da noch andere da draußen sind, die das gleiche fühlen, die gegen das gleiche "etwas" ankämpfen, die mir einfach zuhören.

Meine Zeit hat sich gestern ausnahmsweise mal wieder weiter gedreht. Die letzten Wochen (oder Tage? - zeitlos) hatte ich das Gefühl, völlig "gefühllos" zu sein und konnte nicht einmal mehr weinen. Gestern hatte ich seit langem ohne irgend einen Auslöser einen Heulkrampf. Ich habe mich über mich und mein verpatztes Leben ausgeheult. War natürlich nicht schön, aber irgendwie war ich froh, überhaupt mal wieder weinen zu können... Ja, es ist sehr schwer, nicht nur im Supermarkt "normal" zu sein, sondern auch vor seiner Familie (zum Glück nur am Telefon) eine "heile Welt" vorzuspielen. Ich habe mir vorgenommen, noch diese Woche meiner Familie in einem Brief über meine Depression und meinen Gefühlszustand mitzuteilen. Anders schaff ich das nicht. Habe große Angst davor. Aber da die Zeit gegen mich läuft wird es das Beste sein, so habe ich vielleicht, wenn Sie es denn verstehen können, endlich Zeit in Ruhe "gesund" zu werden.

Schade, dass es Dir immer noch so schlecht geht... zu gerne würde ich Dir helfen oder ein paar "bessere Momente" rüber schicken. Auch wenn ich grad selber nicht besonders viel Kraft habe... mal mehr, mal weniger.

Es ist gemein und traurig, dass man in diesem System so alleine gelassen wird. Gibt es mittlerweile etwas neues bei dir? Ich hoffe für Dich, du findest einen Arzt (Psychiater) oder eine Therapeut/in, die Dir helfen und Deine Sorgen ernst nehmen. Gib nicht auf!

Mein Soziales Netz ist ebenfalls in dem letzten Jahr sehr geschrumpft, durch den Umzug noch mehr, wie bei dir auch. Aber es ist schön zu wissen, dass man wenigstens hier einen Anker hat und so nette Leute trifft, die einen verstehen.

" Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt. "

Lieben Gruß und eine ruhige Nacht, Leni
laudine
Beiträge: 237
Registriert: 9. Mär 2009, 20:12

Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von laudine »

Hallo miteinander,

@lt.cable ... ja, das ist wirklich, wie ich finde, nicht gelungen in puncto Patientenversorgung. Eine sonderbare Regelung, die ich aus meinem alten Bundesland auch nicht kenne. Es ist hier gerade für Patienten, die noch keine Klinikerfahrung haben, mit diesem ganzen procedere eine sehr hohe Schwelle zu überwinden, sich dort Hilfe zu holen.

@leni ... danke der Nachfrage ... ich hatte gestern einen Ternmin bei meiner Ärztin, die doch schon aus dem Urlaub zurück ist und jetzt fühle ich mich etwas besser, wenngleich ich hier immer noch über dünnes Eis tappse.
Wollte dir aber auf alle Fälle noch sagen, wie mutig und toll ich diese Idee mit dem Brief finde.
Du kannst ja mal posten, wie es damit gelaufen ist. Ich drücke dir jedenfalls ganz ganz doll die Daumen.

Herzliche Grüße und danke noch mal an alle
laudine
Chiron
Beiträge: 2006
Registriert: 14. Feb 2005, 15:45

Re: Zeitempfinden und Depression

Beitrag von Chiron »

Liebe Laudine,

ein Post von mir, hat Dich getriggert, was mir sehr leid tut, da es nicht meine Absicht war.
Nein, es sollte Mut machen, wie schnell sich eine Situation wieder zum guten wenden kann.
Bereits nach zwei Stunden saß die Nachbarin zufrieden und entspannt in ihrem Bett.

Auch Dir wird es wieder besser gehen, ganz bestimmt.
In welchem Bundesland lebst Du denn, wo anscheinend alles etwas schwieriger ist?

Bei einem Notfall kannst Du Dich an die Psychiatrie im Krankenhaus wenden, aber nicht`s beschönigen, sondern direkt von Deiner Verzweiflung erzählen und um Hilfe bitten.
Ich bekam nach einem Gespräch dann ein wirksames Medikament, das mir beim Beruhigen und Einschlafen half.
Nach dem Versprechen nicht mehr gefährdet zu sein, durfte ich nach Hause.

Du brauchst Dich nicht zusammenreißen (ach, wie ich das kenne) nein, fordere Hilfe massiv an, denn so schlecht wie es Dir geht, brauchst Du sie dringend.

Schöne Momente im Garten suchen und finden ist eine guter Erste-Hilfe-Tipp.
Mir geht es ähnlich wenn ich meine Blumen auf dem Balkon anschaue.

Alles Liebe und Gute für Dich,
viel Sonne und Lichtblick,

Chiron

P.S.: In der Ruhe liegt die Kraft!
Also lass Dich nicht mehr hetzen.
"Was mich nicht umbringt, macht mich noch stärker."
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