Vorurteile

Ichbinich
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Vorurteile

Beitrag von Ichbinich »

Ihr Lieben,
ich möchte von euch gern mal wissen, ob ihr zusätzlich zu eurer Depression auch noch gegen Vorurteile von anderen ankämpfen müßt?
Ich habe schon seit einigen Jahren eine Depression. Zur Zeit hat sie mich wieder sehr im Griff. Ich bin dann nicht so leistungsfähig wie immer (oder vor meiner Depression) und muß mir solche Dinge anhören wie: "Mensch, geht mir doch auch ab und zu mal so und bin auch wieder aufgestanden" oder "Ich habe den Eindruck du bist faul und dir gefällt dein jetziges Leben so"...
Wie kommen andere, die keine Depression haben, nicht wissen, was ich trotzdem leiste und tue dazu, so über mich zu urteilen? Wieso erlauben sich ds andere? Ich war und bin noch nie faul gewesen...im Gegenteil! Vor meiner Depression habe ich mich teilweise kaputtgearbeitet, 50 Stunden Woche waren die Regel.Bin alleinerziehend, kümmere mich um meine schwerkranke Mutter und mache stundenweise noch was!! Vorurteile über Vorurteile und das kränkt! Oder bin ich nur zu empfindlich!?
LG Littlekat
hortensie
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Re: Vorurteile

Beitrag von hortensie »

hallo Littlekat,
warum die leute das tun,liegt wahrscheinlich daran,dass sie mit einer depression als krankheit nichts anfangen können.sie machen unser > falsches< verhalten für unseren zustand verantwortlich.>du mußt unter leute,geh in die frische luft,mach dies und das<,all das kenne ich.auf die frage,>wie geht es dir?< und meine ehrliche antwort,>mal besser,mal schlecht,aber niemals gut< bekomme ich gesagt,> ach,so geht es uns doch auch,das ist doch ganz normal<.wenn ich versuche,zu erklären,das mein zustand krankhaft ist und ich das sehr wohl beurteilen kann, weil ich ja immerhin 51 jahre nicht depressiv war,schauen sie mich an,als sei ich eine arme irre.deswegen sage ich mittlerweile auf die frage,wie es mir geht,>passt schon und wie geht es dir<? ich hab keine lust mehr,mit ihnen zu diskutieren, es bringt sowieso nix.außerdem hab ich durch die depression eine ziemliche sch...egalhaltung bekommen,es ist mir mittlerweile relativ wurscht,was andere über mich denken,es gibt schlimmeres.
lg,Fanny
Ichbinich
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Re: Vorurteile

Beitrag von Ichbinich »

Danke für deine Antwort, liebe Fanny.
Eigentlich sollten mir die Bemerkungen der anderen wirklich egal sein, aber es tut schon weh. Wenn man dann versucht es zu erklären, dann wollen die meisten keine tiefgründigen Probleme hören. Man kriegt dann gesagt, daß man sich nicht mit solchen Themen beschäftigen möchte, daß man ja auch einen 10-Stunden Arbeitstag hinter sich hatte usw.....Also man stellt praktisch so eine Behauptung auf, man wäre faul und will dann aber nichts hören.
Das kränkt und macht mich wütend!!
Nienor
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Re: Vorurteile

Beitrag von Nienor »

Ich denke, das ist ein Problem, das bei allen "unsichtbaren" Krankheiten zutage tritt.
Von meinen Depris wissen nur ein paar Leute, und die sind heilfroh, dass ich endlich was tue, aber ich habe auch Kinder mit einer Kombination aus ADHS und autistischen Sachen. Ich habe im Laufe der Zeit eine Menge netter Sachen zu hören gekriegt, und noch viel mehr nette Blicke. So viele Momente, wo man sich wünscht, das Kind hätte besser 3 Nasen im Gesicht oder man könnte ihm den Behindertenausweis auf die Stirn pappen.

Es gibt Dinge, die können Außenstehende sich einigermaßen vorstellen, Depressionen gehören nicht dazu.
Und wenn sie tausend mal was hören von Antriebslosigkeit als Symptom, davon, dass dem Kranken alles viel schwerer fällt als Gesunden: egal, alles nur Faulheit und Anstellerei.
Daher: Abhaken, Klappe halten gegenüber allen, die es nichts angeht.
DU weißt, wie es dir geht, und die anderen können dir egal sein.
Ichbinich
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Re: Vorurteile

Beitrag von Ichbinich »

Ja stimmt, Klappe halten, denn ich habe schon so oft versucht Außenstehenden zu "erklären" wies mir geht. Man erntet nur ungläubige Blicke. Man sollte eben darauf achten, wem man was erzählt und sich nicht ins Privatleben gucken lassen. Denn die, die so reden, sind die letzten, die ich in irgendeiner Form um Hilfe bitten würde, auch wenn sie sich als "Freunde" bezeichnen. Manchmal muß man eben auch erkennen, daß solche Menschen eben keine Freunde sind, die einen nicht ernst nehmen, sondern einfach nur Bekannte....und man wirklich die Klappe halten sollte.
LG Littlekat
Stone
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Re: Vorurteile

Beitrag von Stone »

Hallo Betroffene,
ich kann einen Teil von dem was ihr gepostet habt verstehen. Aber nur einen Teil !
Ich bin jemand, der mit Depressionen bis vor kurzem nichts zu tun hatte, sich dann aber gezwungen sah über dieses Thema zu informieren. Nicht, das ich betroffen war, nein jemand den ich persönlich sehr mochte schien Depressionen zu haben. Mit mir wurde nur zum Teil offen geredet. Ich bekam nicht die Informationen vom Betroffenen, die ich gebraucht hätte um eventuell mehr verstehen zu können. Ich bekam keine Hilfe ihr, wie ich mit ihr umgehen sollte, wann gute und wann schlechte Zeiten sind. Ich bekam zu wenige Informationen vom einzigen Menschen der sie mir hätte geben können.
Ich werde vermutlich nie in der Lage sein zu verstehen, was in solch einem betroffenen Menschen vor sich geht. Aber wenn ich ihn richtig behandeln soll, dann brauche ich Informationen. Ich habe dieses Forum durchgeackert und das Buch „Schattendasein“ gelesen. Aber in meinen Augen ist erst der Betroffene selbst der Schlüssel, wie man mit ihm, in dieser besonderen unfreiwilligen Phase seines Lebens umgehen muss und soll.
Wenn ich dann lese „Klappe halten“ bedeutet das, dass uns als den „Nicht Betroffenen“, jegliche Chance genommen wird, das Richtige zu tun.
Ich sage hiermit nicht, dass Ihr nun allen alles erzählen sollt, wie es Euch geht. Dafür gibt es zu viele oberflächliche Menschen, die dummes und falsches Zeug erzählen. Gegen allgemeine Vorurteile kann man nichts machen. Vieles ist aber auch kein Vorurteil sondern einfach „Unwissenheit“ der Menschen. Die Frage ist nur ob derjenige, der mit dem Thema in Berührung kommt auch bereit ist, sich auch damit zu befassen und damit Einblick zu gewinnen – so wie es mir erging.
Aber bitte gebt denen, die es Wert sind, und die Euch eventuell einen Teil eures schweren Weges begleiten wollen eine faire Chance einen Teil zu verstehen. Wir brauchen da Eure Hilfe und Mitarbeit.

Gruß Stone
misa

Re: Vorurteile

Beitrag von misa »

hallo !

ich glaub das sind nicht nur "vor"urteile, sondern "urteile". ich sag auch immer (wie fanny) 'passt scho' und mehr wollen die leuts doch auch gar nicht hören. 'unter die leut gehen / konversation / tut dir gut'. klar, das ist das mindeste was gut tut... ich bekam mal einen anruf von einer bekannten. sie erzählte in den höchsten tönen wie gut es ihr ging und was sie alles in ihrer freizeit neu angefangen hat. irgendwann fragte sie dann mal, wie es mir geht und ich sagte 'besch...', weil ich mich wirklich ganz übel fühlte. daraufhin hat sie das gespräch sofort beendet. es gab nichts mehr von ihrer seite zu erzählen und schluss aus. das hat mir auch furchtbar weh getan. zumal wir uns aus der klinik kennen. wenn es mir mies geht, dann vermeide ich auch jegliche begegnung, um gar nicht erst in diese 'wie geht's'-situation zu kommen.

denke auch, dass nur ausgesuchte spezies davon wissen sollten, und selbst das stell ich oft in frage.

lg misa
Nienor
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Re: Vorurteile

Beitrag von Nienor »

Hallo Stone,

als es mir so ganz richtig mies ging, wollte ich nicht mehr reden. Am liebsten mit niemandem und über gar nichts mehr.
Und was ich geredet habe, kam noch von der Maske, die ich aufgesetzt hatte, ich selbst und über mich, da war Funkstille.

Und als ich dann beim Doc war und es anfing, mir besser zu gehen, habe ich meinen Mann und 2 Freundinnen informiert, bei denen ich mir sicher war, dass sie keine Vorurteile haben. Sonst habe ich in meinem Umfeld niemanden informiert und habe auch nicht vor, das auszudehnen.

Seele ist ja noch mal viel intimer als das, was man sonst so unter Intimbereich versteht. Und darüber redet man auch nur mit sehr sehr ausgewählten Personen.

Sei also nicht böse, dass man dich nicht umfassend informiert hat, das ist nun mal kein Thema, über das man unbefangen reden kann.

Und selbst wenn man weiß, derjenige hat eine Depression, ist es ja nicht so, dass es eine Gebrauchsanweisung für alle Depressiven gibt. Jeder Mensch ist eigen und reagiert anders.
Ichbinich
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Re: Vorurteile

Beitrag von Ichbinich »

Hallo Stone,
danke auch dir für deinen Beitrag. Den anderen Schreibern natürlich auch!
Stone, du schreibst: "
Wenn ich dann lese „Klappe halten“ bedeutet das, dass uns als den „Nicht Betroffenen“, jegliche Chance genommen wird, das Richtige zu tun."

Stimmt, damit wird demjenigen, der sich wirklich damit beschäftigen will oder muß, weil es einen nahen Freund oder Verwandten getroffen hat, die Chance genommen, den Depressiven zu verstehen.

Ich kann dir aber leider versichern, daß es Depressiven noch viel schwerer gemacht wird, über die Krankheit zu erzählen (wenn dies überhaupt möglich ist).
Es sind eben diese Vorurteile, diese Urteile anderer, die blödes Zeug dazu sagen, die "uns" verstummen lassen. Dann lieber verstummen, unverstanden bleiben und nichts sagen und Klappe halten, als sich dummen Menschen auszusetzen, sich kränken und beleidigen zu lassen. Ja sicher, einige (die meisten) wissen es nicht anders und reden dummes Zeug, weil sie selber nicht betroffen sind. Selbst bei Freunden/Bekannten kommt Unverständnis und Beleidigungen rüber....und das kann man sich wirklich sparen, wenns einem eh schon besch....geht.
Ich werd in Zukunft einen großen Bogen um diejenige machen, die mir das sagte und den Kontakt einschränken oder abbrechen, denn dazu habe ich keine Kraft.....Kraft, die ich dringend für mich brauche.
LG Littlekat
Stone
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Re: Vorurteile

Beitrag von Stone »

Danke Euch für die Antworten, im Grunde habt ihr mich in meiner Auffassung bestätigt. Ich kann im Übrigen nachvollziehen, dass es für einen Betroffenen schwierig ist über das Thema, seine Gefühle und die Situation zu Reden. Aber genau wie ihr hier gepostet habt – jeder Mensch ist anders – und genau deswegen, so glaube ich zumindest, haben wir die wir uns ehrlich mit dem Thema beschäftigen nur die Chance wenn ihr uns helft etwas davon zu verstehen. Ihr könnt Verständnis nur verlangen, wenn ihr uns die Möglichkeit gebt zu verstehen. Natürlich gehört dazu eine Menge vertrauen. Wir haben in dieser Richtung vermutlich alle im Leben unsere Ohrfeigen bekommen und ein Betroffener in seiner Situation kann da auf zusätzliche negative Erfahrungen sicher gerne verzichten.
Auch bitte ich eines zu verstehen in Bezug auf Unverständnis und Beleidigungen: ich selbst habe meinem gegenüber Äußerungen gemacht für die man mir in dem Moment sehr dankbar war – ich wurde gelobt und sogar dafür umarmt. 12 Stunden später war ich – obwohl dazwischen kein Kontakt war – für die gleichen Äußerungen der Buhmann der andere nicht für voll nimmt und so tut als hätte der andere sein Leben nicht im Griff. So etwas kann man nicht verstehen – das geht einfach nicht. Wir brauchen ein ehrliches Feedback was wir glauben dürfen und was wir runterschlucken müssen weil es schlechte Zeiten sind. Nur dann können wir lernen damit umzugehen – Stichwort Empathie – glaubwürdiges Verhalten.
Und ihr müsst vertrauen wollen – das hat mit der Krankheit nichts zu tun.
Ich weiß – das klingt recht einfach – ist es aber nicht! Besonders nicht für euch!
Aber es ist ein ehrliches Feedback einen nicht Betroffenen damit ihr eventuell die Möglichkeit habt euch den Menschen zu erhalten der es ehrlich mit euch meint und der seinerseits auch eine Menge investiert um Euch beizustehen.
Ich mag in meinen Ansichten etwas eigen sein – aber ich bin kein Freund der Wegwerfgesellschaft – nicht wenn es um Menschen geht die mir nahe stehen.

Gruß Stone
Ichbinich
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Re: Vorurteile

Beitrag von Ichbinich »

Hallo Stone,
du schreibst: "Aber es ist ein ehrliches Feedback einen nicht Betroffenen damit ihr eventuell die Möglichkeit habt euch den Menschen zu erhalten der es ehrlich mit euch meint und der seinerseits auch eine Menge investiert um Euch beizustehen.
Ich mag in meinen Ansichten etwas eigen sein – aber ich bin kein Freund der Wegwerfgesellschaft – nicht wenn es um Menschen geht die mir nahe stehen.

So einen Freund/Freundin wie du hätte ich auch gern! Das ist aber eher die Ausnahme als die Realität!Gerade weil es so viele Menschen gibt, die Menschen wie eine "Ware" behandeln und "wegwerfen" gibt es ja so viele Betroffene, die mit diesem Verhalten nicht klar kommen und depressiv sind/werden.
Auch ich habe versucht, mich zu öffnen, habe auf Verständnis gehofft. Sogar von meinem Exmann...Nicht mal er machte sich die Mühe, die schwere Zeit mit mir zu durchstehen. Und wir hatten/haben sogar ein Kind miteinander. Keine Ahnung, wie ich die schwere Zeit damals mit kleinem Kind und dem Ausbruch meiner Depression überstanden habe. Aber ich habe sie überstanden. Mit vielen Kratzern und seelischen, tiefen Wunden. Weil ich auf Hilfe von einigen gehofft hatte, mich geöffnet hatte, um HILFE ZU BEKOMMEN-und um wieder enttäuscht zu werden. Ich habe immer und immer wieder gehört, daß ich mich doch zusammenreißen solle. Das habe ich getan, ich habe eine Maske aufgesetzt und weiter ging das Leben. Für mein Kind habe ich alles getan und ich liebe es sehr, doch diese Kraftanstrengung und die Vorurteile und Urteile anderer haben mich wahrscheinlich doppelt so viele Lebensjahre gekostet wie einem Nicht-Depressiven.
LG Littlekat
flora80
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Re: Vorurteile

Beitrag von flora80 »

Hallo zusammen,

also, das ist wirklich einerseits ein wichtiges, andererseits auch ein sehr schwieriges Thema. Oben hat schon jemand geschrieben, dass seelische Krankheit etwas sehr intimes sei. Ich sage sogar, dass jede Form von Krankheit höchst intim ist, denn sie macht uns verletzbar und schwach. Ich kenne mich nun in der Evolutionsgeschichte nicht ganz wahnsinnig gut aus, aber ich denke mal, dass es in der Steinzeit oder so einfach ein Todesurteil war, wenn man krank wurde und man Opfer für Tiere oder gar die Mitmenschen wurde. Ein schwaches "Tier" schwächt das Rudel... Also ist es ja gut und wünschenswert, sich la lange, wie möglich nichts anmerken zu lassen und so zu tun, als ob alles ok sei. Man ist damit zunächst einmal auf sich gestellt und ein sich damit nach außen öffnen bedeutet, dass man sich in große Gefahr begibt. Klar, das ist so nicht mehr komplett übertragbar, aber in der Arbeitswelt zum Beispiel trifft das weitestgehend zu.

Ich finde, dass man in der "Auswahl der Eingeweihten" recht vorsichtig sein muss. Da gibt es einerseits die Kollegen und den Chef. Da muss man meiner Meinung nach sehr genau abwägen, was man wem erzählt. Es ist natürlich sinnvoll, wenn man sich krankschreiben lässt oder wenn man merkt, dass man absolut weniger leistungsfähig ist, dsa Arbeitsumfeld zu informieren. Aber ich denke, dass man da nicht auf das allergrößte Verständnis stoßen wird und ich glaube, man kann auch einfach nicht erwarten, dass sich jeder dafür interesiert und ehrlich nachfagt. Es gehört zu den "Umgangformen" zu fragen, "wie gehts?". Aber diese Frage dient in den allemeisten Kontexten der Höflichkeit und niemand erwartet dann eine ausführliche und ehrliche Antwort. Wenn es mir schlecht geht, dann sage ich zwar nicht "toll", aber ich sage auch nicht"naja, mal besser, mal schlechter" oder gar "schlecht". Ich sage meistens etwas wie "geht, danke". Mal ehrlich: Wenn ihr auf dem Flur bei der Arbeit einen Kollegen trefft und sagt "hallo, wie gehts?", dann erwartet ihr auch nicht, dass er sagt "naja, nicht so toll, ich hab Probleme mit den Hämorrhoiden und muss da jeden Tag so ne Salbe draufschmieren, die tierisch brennt" (weitere Details kann man bei Charlotte Roche nachlesen.. ). ODER? Ich finde, mit einer Depression verhält es sich ähnlich intim. Ich selbst will von Leuten, die ich nicht sehr nah kenne, solche Details gar nicht wissen und würde da auch nicht nachfragen. Wenn mir jemand sowas erzählen würde, dann würde ich natürlich nicht sagen "och, blöd, aber dein Problem", aber vielleicht etwas wie "ui, das ist ja echt schlimm, ich hoffe, du hast gute Unterstützung. Alles Gute". PUNKT.

Anders ist es natürlich mit Menschen aus meinem engen Umfeld. Da finde ich es gut und wünschenswert, mich mitzuteilen und ein gewisses Maß an Verständnis zu erwarten. Dabei muss aber auch ganz klar sein, dass jeder Mensch Grenzen hat und auch ich, als kranker Mensch, diese zu respektieren habe. Wenn ich merke, eine gute Freundin ist damit überfordert, dann erzähle ich halt nur so viel, wie sie annehmen mag. Wenn mich jemand auf lange Zeit absolut nicht verstehen will und nichts von mir hören will, was Krankheit angeht, dann ist das für mich ein gaaaaanz deutliches Signal, dass es an der zeit ist, diese freundschaft zu beenden. Aber dabei ist auch nicht zu vergessen, dass auch Freundschaften keine Einbahnstraße sind. Wenn ich eine gute Freundin habe, mit der ich viel gemeinsam habe, viel erlebt habe, viele schöne Momente hatte, der ich auch viel gegeben habe, dann finde ich es ok, wenn eine Zeit lang ich und mein Problem (oder auch sie und ihr Problem) im Mittelpunkt stehen. Aber ich kann nicht erwarten, auf Dauer nur zu "nehmen", weil ich nichts "geben" kann. Krankheit hin oder her.... Das hält eine Freundschaft auf Dauer (nicht phasenweise!) nicht aus. Un dich finde es wichtig, das zu thematisieren und zu reflektieren. Es ist wichtig, auch in der Depression nicht nur um sich zu kreisen, sondern die andere Seite auch zu hören. Manchmal kann man das nicht mehr, das ist vollkommen klar. Aber sobald es dann wieder geht, sollte man darüber sprechen. Ich denke, dass man so einen guten Umgang finden kann. Ehrlichkeit auf beiden Seiten ist dabei unerlässlich und in meinen Augen ist es unerlässlich, den anderen auch dazu aufzufordern, nicht in eine Schonhaltung mir gegenüber zu verfallen, sondern offen zu sagen, was er/sie in einer Krankheitsphase leisten kann und was nicht. Wenn es nicht möglich ist, das offen zu thematisieren, dann stimmt mit der Freundschaft/Beziehung was nicht. Entweder thematisiert man dann das, oder man trennt sich. Kling hatr, aber was soll die Alternative sein? Sich ein Leben lang unverstanden, einsam und herabgesetzt fühlen?

Ein dritter Punkt sind Eltern und sonstige Verwandte, die man sich nicht "ausgesucht" hat, die aber nun mal irgendwie zu einem dazu gehören. Wenn es hier nicht möglich ist, offen zu sein (was ich bei meinen Eltern zum Beispiel sehr viel schwieriger finde, als bei Freunden, aber das hängt mit meiner eigenen Geschichte zusammen), dann muss ich entscheiden, auf welcher Ebene die Beziehung weiterlaufen soll. Ich habe mich zwischenzeitlich sehr von meiner Familie zurückgezogen, weil sie mich am gesund werden gehindert hat. Mittlerweile ist der Kontakt wieder enger geworden. Wenn man sich zurückzieht, dann finde ich es fair, die Entscheidung einfach zu akzeptieren. Genauso müssen wir aber auch akzeptieren, wenn der andere entscheidet, sich zurückziehen zu müssen. Das hat nicht zwangsläufig etwas mit kompletter Ignoranz oder Unverständnis zu tun, sondern manchmal auch einfach mit Selbstschutz. Unsicherheit, wie man mit dem anderen umgehen soll, ist allerdings ein grund, den es auszuschließen gilt. Und auch da ist es wieder so, dass man reden, aber auch zuhören muss.

Mensch, jetzt hab ich nen Roman geschrieben. Ich hoffe, es ist halbwegs strukturiert und verständlich, was ich sagen will. Das Thema ist komplex. Sehr komplex. Vorurteile wird es immer geben und auch das ist etwas, mit dem wir Leben lernen müssen und/oder etwas dagegen unternehmen. Aber Krankheit ist ein Thema, das viele einfach sehr überfordert und seelische Krankheit erst recht. Man will möglichst nichts davon wissen und ich bin der festen Überzeugung, dass dahinter die Angst steckt, "sowas" vielleicht auch mal zu bekommen. Aber Was ich nicht sehe, mach mir auch keine Angst.

Grüße von Flora

EDIT: Ich korrigiere jetzt nicht die tausend Tippfehler, bitte verzeiht!
rm
Beiträge: 2209
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Re: Vorurteile

Beitrag von rm »

>....Ich selbst will von Leuten, die ich nicht sehr nah kenne, solche Details gar nicht wissen und würde da auch nicht nachfragen. Wenn mir jemand sowas erzählen würde, dann würde ich natürlich nicht sagen "och, blöd, aber dein Problem", aber vielleicht etwas wie "ui, das ist ja echt schlimm, ich hoffe, du hast gute Unterstützung. Alles Gute". PUNKT.....<

Guten Morgen Flora,..

habe leider nur überflogen, deshalb kann meine Frage auch schon beantwortet sein: Wie siehst DU persönlich dann die Begegnung mit Menschen in diesem Forum hier, wie verhälst Du Dich in diesem Zusammenhang?

Liebe Grüße,
Reinhart
flora80
Beiträge: 3620
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Re: Vorurteile

Beitrag von flora80 »

Hallo Reinhart,

in diesem Forum ist die Begegnung eine ganz andere. Das wäre ein viertes Feld, das ich noch anfügen muss:

Hier leiden alle unter dem selben Problem, jeder weiß, wie es sich anfühlt und was es heißt, eine Depression zu haben. Das ist ein verbindendes Element und macht das Verständnis füreinander sehr viel leichter. Und ich halte mich hier auf, gerade weil ich einen Austausch über ein recht intimes Thema suche. Aber hier bin ich unter Gleichgesinnten und weiß, dass ich (meistens) nicht für das Verurteilt werde, was ich schreibe/sage. Ähnlich verhät es sich auch mit Menschen, auf die man in Therapiegruppen trifft.

Aber ich finde nicht, dass ich mit jedem Menchen, dem ich begegne, ganz offen über meine Depression sprechen muss [EDIT:] bzw. Verständnsi erwarten kann. Je nach Kontext ist das einfach unpassend. Und genauso verhält es sich auch umgekehrt. Es hat was mit der Situation zu tun und mit dem Grad an Intimität, die ich zu einem Menschen habe. Zum Beispiel gibt es ja auch durchaus Menschen, die mir extrem unsympathisch sind. Warum sollte es gut sein, wenn die über mein Seelenleben bescheid wissen?

Wenn man ein gemeinsames Problem oder Ziel hat, dann ist das ein Kontext bzw. Thema, bei dem man sich dann dementsprechend öffnet. Ein weiterer Aspekt hier im Forum ist die Anonymität. Man erzählt Menschn von sich, denen man nie gegenübergestanden hat und die man, so man sich nicht anders entscheidet, auch nie sehen wird. Das erleichtert es, zu sprechen. Und hier kann man dem thematischen Zusammenhang entsprechend auch sehr offen sein. Auf der Arbeit zum Beispiel ist das aber nicht so. Da geht es vorrangig nicht um persönliche Probleme, sondern um die tägliche Aufgabe.

EDIT: Ich halte ein allgemeine Aufklärung zum Thema Depression für unerlässlich und wichtig. Aber auch dazu gibt es dann wieder einen passenden Kontext und ich würde dann explizit eine Gesprächssituation zum Thema "anberaumen". Das kann in den meisten Fällen (noch) nicht im alltäglichen Miteinander geschehen, weil die Überforderung zu groß wäre. Da kann man sich nur ne blutige Nase holen. Ich habe früher auch immer gedacht, alle müssten Verständnis für mich haben. Aber das ist mein subjektiver Wunsch, dem in der Realität nun mal nicht immer entsprochen werden kann. Dazu muss es grundlegende Veränderungen geben, die nur langsam passieren können und teilweise ja auch schon passiert sind. Aber eine Sensibilität für die Situation ist dennoch immer wichtig. Ich habe in der Depression auch dazu geneigt, mich im Zentrum des Leidens zu sehen und zu erwarten, dass die Umwelt sich dafür interessiert und mich wichtig nimmt. Manchmal ist das auch durchaus angebracht und gut, aber eben nicht immer. Finde ich.

Grüße von Flora
flora80
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Re: Vorurteile

Beitrag von flora80 »

Ach so, und um noch die Eingansfrage zu beantworten:

Ja, ich habe auch viel gegen Vorurteile und Unwissenheit/Ignoranz gekämpft, vor allem in meiner Familie. Ich habe mich aus dem Grund zwischenzeitlich davon zurückgezogen, wie ich oben bereits schrieb.

Und was ich noch anfügen möchte: Nicht, dass jemand denkt, ich habe ihn oder sie persönlich gemeint und unterstelle, nicht kontextbezogen zu handeln... ich habe meine Gedanken zum Thema geschrieben. Alles das, was ich damit assoziiert habe. - Einiges natürlich angestoßen durch eure Beiträge.

Lieber Gruß, Flora
Ichbinich
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Re: Vorurteile

Beitrag von Ichbinich »

Hallo Flora,
finde gut, was du geschrieben hast....
LG Littlekat
horcars
Beiträge: 140
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Re: Vorurteile

Beitrag von horcars »

Ein wirklich wichtiges Thema, wichtig schon alles deshalb, weil wir,- so denke ich - sobald wir mit den Depressionen zu kämpfen beginnen, vielleicht nicht ganz unschuldig an diesen Vorurteilen sind. Mein Gott, was tat ich immer stark, blieb unnahbar, wirkte unverletzbar und starb innerlich fast an meinen Ängsten. Als ich dann vorsichtig anfing und auf die Frage, wie es mir geht, zu antworten, dass es mir schlecht geht, bezog das jeder nur auf meinen
Job und meine Rolle. Nur Stressschaden durch Ungerechtigkeit vom Vorgesetzten, wenig Verständnis von der Familie..... keiner hat mich wirklich lieb. Die Auswirkungen unserer Depressinen zu erklären
ist denke ich fast, unmöglich. Jeder der Betroffenen geht anders damit um. Denke ich an meinen letzten Akutklinikaufenthalt, was für ein bunter Haufen, welch unterschiedliche Verhaltensweisen. Mir geht es gut, ich bin ein Star, ach, ich habe mich halt wieder mal an den Medikamenten vergriffen und muss neu eingestellt werden und alles ist gut, meine Frau hat einen Freund und will ausziehen, ich habe meinen Job verloren, mein Argument war das bunout, klingt wichtig, aber .... alles nur äußere Einflüsse, die nichts, aber auch garnichts über unsere Gefühle, über unsere Ängste, über das Blei in unseren Adern, die Schlaflosigkeit oder über die Lust zu sterben aussagen. Reden wir nicht, weil wir die Vorurteile fürchten, oder reden wir nicht, weil wir uns selbst diese Krankheit nicht eingestehen können oder wollen? Klar, wer wegen Depressionen seinen Job nicht machen kann, hat ein Problem. Das ist bei Krebs nicht anders, doch Krebs kann man schneiden und wir habens nur an der Seele oder am Kopf.
Ich denke, die Menschen, die uns mögen, werden uns verstehen, können zwar oft nichts damit anfangen und bleiben sprachlos, doch Vorurteile schaffen wir auch mit unserem, für viele schwer nachvollziehbaren Verhalten. Akzeptieren wir die Krankheit, akzeptieren wir die sich daraus ergebenden Schwächen und Symptome, dann akzeptieren wir auch, dass es Menschen gibt, die damit umgehen können und welche, die sich davor fürchten.
Ich bin noch nicht soweit, beginne aber diesen Weg.
Das einzig Unveränderliche in unserem Leben ist die Veränderung, sagt schon Laotse
horcars
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Re: Vorurteile

Beitrag von horcars »

entschuldigt, ich vergaß Euch anzusprechen,
liebe Forenmitstreiter
Das einzig Unveränderliche in unserem Leben ist die Veränderung, sagt schon Laotse
Elisa_K
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Re: Vorurteile

Beitrag von Elisa_K »

rm
Beiträge: 2209
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Re: Vorurteile

Beitrag von rm »

>...dass sich mit einer (mir bis dato unbekannten) Freundin einer Freundin auf einer Party (!) ein ganz interessantes Gespräch über Depressionen ergab. (Es hat uns auch keiner das Thema übelgenommen.)...<

Guten Morgen Elisa und alle hier,

...find ich sehr gut und ansprechend, wie Du mit dem Thema Depression umgehst. Es erinnert mich in Teilbereichen an mich selbst und ich gestehe , daß ICH in Zeiten der Depression NICHT so eine Gelassenheit an den Tag legen kann wie Du es wohl konntest und kannst.

...hat wohl auch mit ganz persönlichen Erfahrungen zu tun, die ganz unterschiedlich sein werden und damit, wieviel 'blutige Nasen' (Worte von Flora *wink*) man sich in seinem 'Werdegang' schon geholt hat und wie ich diese Erfahrungen verarbeiten konnte...

..Grundsätzlich bin ich auch sehr für Offenheit und mache damit von Zeit zu Zeit immer bessere Erfahrungen, komme mehr in's Gespräch mit meinen Mitmenschen, entdecke dadurch weitere Seiten/ Optionen in mir, und das macht Mut, weiter auf diesem Weg zu gehen....

...bei mir heißt das aber auch, immer und immer wieder mein Mißtrauen anderen Menschen gegenüber überwinden zu müssen, auf die Gefahr hin, mal wieder in die 'Pfanne' gehauen zu werden... Ist nun mal so....

Einen gelingenden Tag
wünsche ich,
Reinhart
GibmirSonne
Beiträge: 1
Registriert: 19. Feb 2009, 11:47

Re: Vorurteile

Beitrag von GibmirSonne »

Hallo Elisa,

du siehst ja selbst, was es Dich für eine Kraft kostet,Kollegen, Familie etc. einzubeziehen bzgl. der Information über die Krankheit.
Kraft-die man eben manchmal gar nicht mehr hat.
So empfinde ich es jedenfalls.
Und obwohl alle meinen über das Thema weitestgehend aufgeklärt zu sein und obwohl so viele an Depressionen erkranken-trotzdem
so hab ich das Gefühl spricht man seltener über die Krankheit als über andere Krankheiten. Und wer es hat,ist mit der Weitergabe darüber vorsichtig-weil es eben noch so viele Vorurteile gibt.
Genau- wie du schreibst heißt es dann "Die war in der Klapse..." Ich käme schwer damit zurecht.....
Lilalaunebär
Beiträge: 114
Registriert: 7. Jan 2009, 12:31

Re: Vorurteile

Beitrag von Lilalaunebär »

Hallo Littlekat,
das die Mitmenschen so reagieren habe ich auch erfahren müssen, auch von meinen nächsten Verwandten. Mich kränkte auch dieses wegwischen, ich fühlte mich mal wieder darin bestätigt ungeliebt und unverstanden zu sein - dieser dämliche Kreislauf.
Ich glaube, dass die Menschen Angst vor der Depression haben und dieses Thema verdrängen, gerade weil sie ihre Gefahr kennen. Sie können auch nicht verstehen, dass ein Mensch, der noch zu antworten fähig ist, nicht wirr redet und bisher normal funktionierte, nun nicht mehr so sein soll.
Wütend macht mich aber, wenn diese Menschen dann noch gut gemeinte Ratschläge erteilen oder sogar behaupten: Quatsch, du hast doch gar keine Depression! Darauf keine Antwort zu geben oder mich sogar noch zu rechtfertigen muß ich noch üben.
LG, Marlene
Elisa_K
Beiträge: 172
Registriert: 6. Feb 2008, 14:53

Re: Vorurteile

Beitrag von Elisa_K »

Lilalaunebär
Beiträge: 114
Registriert: 7. Jan 2009, 12:31

Re: Vorurteile

Beitrag von Lilalaunebär »

Hallo elisa,
eigentlich verteile ich keine Ratschläge in Dingen mit denen ich mich nicht auskenne, sondern höre an dieser Stelle lieber zu.
Ob ich streng mit meinen Mitmenschen bin kann ich nicht beurteilen, das hat mir noch niemand gesagt. Aber einige sind mir so wichtig, dass ich mich mit mit ihnen auseinander setze, wenn mich etwas wütend macht. Bestimmt aber bin ich streng mit mir selber, sonst würde ich mich nicht über meine Rechtfertigungen für gutgemeinte Ratschläge oder Besserwisser ärgern.
LG, Marlene
Ichbinich
Beiträge: 106
Registriert: 30. Jan 2007, 09:19

Re: Vorurteile

Beitrag von Ichbinich »

Ihr Lieben,
danke euch allen für eure Beiträge.
Ich Schlußfolgere aus den vielen Beiträgen und was ihr geschrieben habt ne ganze Menge. Am meisten aber, daß ich nur den Menschen was von mir/meiner Depression erzähle, die mir sehr, sehr nahe stehen.
Niemals mehr würde ich Verwandten, Bekannten oder Freunden (mit denen ich nicht so eng zusammen bin)erzählen, was mit mir los ist.
Ich will mich nicht mehr rechtfertigen, nicht mehr verteidigen oder erklären müssen.
LG und viel Kraft euch allen.
Littlekat
Antworten