Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

rm
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von rm »

>...Mir ist wichtig, im Auge zu behalten, dass das, was für den einen stimmt und eine "große Erkenntnis" ist, für den anderen noch lange nicht passen muss. Für absolute Wahrheiten sind Menschen einfach zu verschieden.....<

DAS ist ein Satz, den ICH sehr oft wieder vergesse in meinem 'Übereifer'...danke für diese Erinnerung im Vorbeiziehen, Wolke...

Um für mich im Bild zu bleiben: Wolken können vor zuuu viel Sonne bewahren.

Guten Wochanfang wünscht
Reinhart
tomroerich
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von tomroerich »

Liebe Wolke,

Allerdings kam es mir weiter oben so vor, als würdest Du deine eigene Sichtweise sozusagen als "höhere" Entwicklung betrachten, als z. B. die, die ich geschildert habe - so, als ob Du da irgendwie einen Schritt voraus wärest.


Das wäre eine wertende Sichtweise, die ich so nicht habe. Ich staune aber immer wieder darüber, welche Entwicklungsanstöße aus Depressionen entstehen können. Sie kann einem zu einem Studenten seiner selbst machen, und man geht durch verschiedene Stadien des Selbstverständnisses, von denen keines irgendwie höher oder besser ist als ein anderes, weil jedes davon einen Schritt bedeutet, der gegangen werden muss. Ich würde das nicht unter dem Gesichtspunkt von besser oder höher sehen, weil es hier garnicht darum geht, etwas zu entwickeln, was noch garnicht da ist, sondern etwas zu entschleiern, was schon immer da war, was aber verdeckt ist. Es ist eher wie das Auspacken eines Geschenkes, nicht wie das Konstruieren eines neuen Produktes.

Was da zum Vorschein kommt, kann nicht Gegenstand von Vergleich und Wertung sein. Vergleich und Wertung ist eher das, was es verschleiert hat.

Viele Grüße

Thomas
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Clown
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von Clown »

Lieber Thomas,

danke für das Wasser auf meine Mühlen, es tut so gut, deine Hinweise zu lesen! Irgendwie kommen die für mich oft zu einem guten Zeitpunkt.

Wie geht es dir denn inzwischen? Kein matschiges Hähnchen mehr?

Liebe Grüße aus dem Nebel,

Clown
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Regenwolke
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von Regenwolke »

Lieber Thomas,

>Ich staune aber immer wieder darüber, welche Entwicklungsanstöße aus Depressionen entstehen können. Sie kann einem zu einem Studenten seiner selbst machen, und man geht durch verschiedene Stadien des Selbstverständnisses, von denen keines irgendwie höher oder besser ist als ein anderes, weil jedes davon einen Schritt bedeutet, der gegangen werden muss.

Aber verstehst Du die Stadien nicht so, dass eins auf das andere folgt, d.h. dass das vohergehende sozusagen die Basis für das nächste bildet?

Ich will jetzt nicht so spitzfindig sein und vor allem nicht Floras Thread für diese Diskussion missbrauchen (hab schon ein ganz schlechtes Gewissen ). Aber ich hatte ja auch weiter oben geschrieben, dass die Art von Ich-Zerrissenheit, die ich meine, über das Thema Depression hinaus geht. Ich glaube nicht, dass ein dieser Art zerrissenes Erleben für Depressionen typisch ist - also möglicherweise sprechen wir auch einfach von zwei unterschiedlichen Dingen.

Wolke
tomroerich
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von tomroerich »

Liebe Clown,


danke für das Wasser auf meine Mühlen, es tut so gut, deine Hinweise zu lesen! Irgendwie kommen die für mich oft zu einem guten Zeitpunkt.

Wie geht es dir denn inzwischen? Kein matschiges Hähnchen mehr?

Das Wasser auf unsere Mühlen fällt ja eh vom Himmel.

Es geht täglich anders

Liebe Grüße

Thomas
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Zwiebel
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von Zwiebel »

Danke Clown,
für diesen Hinweis...

Danke Thomas,
für Deine Beträge, ja ein gutes bild, ich verstehe es...ist meins, kann es nur nicht so treffend ausdrücken...

Lieben Gruß Ruth
rm
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von rm »

>.....man geht durch verschiedene Stadien des Selbstverständnisses, von denen keines irgendwie höher oder besser ist als ein anderes, weil jedes davon einen Schritt bedeutet, der gegangen werden muss. Ich würde das nicht unter dem Gesichtspunkt von besser oder höher sehen, weil es hier garnicht darum geht, etwas zu entwickeln, was noch garnicht da ist, sondern etwas zu entschleiern, was schon immer da war, was aber verdeckt ist. Es ist eher wie das Auspacken eines Geschenkes, nicht wie das Konstruieren eines neuen Produktes…..<

Guten Morgen…

Ich komm damit nicht so recht klar, oder anders gesagt, ich hab große Schwierigkeiten, immer und immer wieder, das WERTEN, MESSEN, BE(Ver)URTEILEN, sein zu lassen, speziell bei mir selbst, als auch bei meinen Mitmenschen. Immer wieder tappe ich in diese Falle(?) und ich frage mich oft, ob es denn überhaupt auf Dauer OHNE Wertung geht, ob es lebbar ist, oder ob nicht diejenigen, die nicht werten, über kurz oder lang von den Wertenden überrollt werden…. Keine Ahnung im Moment und deshalb will ich mich hier ausklinken, um mich jetzt nicht noch weiter von mir zu entfernen (was nicht heißen soll, dass ich nicht bereit wäre für neue Erkenntnisse).

Habt alle hier einen guten Tag,
das wünsch ich Euch,
Reinhart
Liber
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von Liber »

>Es ist eher wie das Auspacken eines Geschenkes, nicht wie das Konstruieren eines neuen Produktes…..<


Ist das ein schönes Bild, danke, Thomas !

Es vermittelt auch, dass es nichts gibt, was nicht schon da wäre und dass es wirklich ausnahmslos jeder und jede schon hat.


Das Auspacken aber ist nicht immer einfach, weil um das Geschenk herum jede Menge verknotete Schnüre und viele Lagen Papier gewickelt sein können.

Das Wort "Ent-wickeln" bedeutet ja eigentlich vom ursprünglichen Wortsinn her auch nichts anderes als dass bereits in einem Kern (oder einem Päckchen ..)Vorhandenes entfaltet wird. Es bedeutet nicht Neu-Herstellen.


Lieber Reinhard, ich glaube man kann nur dann von Wertenden überrannt werden, wenn man sich selbst wieder unter die Wertenden begibt. Ich meine damit: wenn ich SELBST mir sage, das was ich mache oder das was dieser oder jener macht, ist nicht gut oder ist gut, also wenn ich selbst werte, dann erreicht mich auch die Wertung der anderen. Solange ich das nicht tue, kann mich die Wertung der anderen auch nicht erreichen.

Aber selbst nicht zu werten ist schwer! Wenn ich genau aufpasse, ertappe ich mich ständig dabei.

Lieben Gruß
Brittka
tomroerich
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von tomroerich »

Lieber Reinhardt,

Ich komm damit nicht so recht klar, oder anders gesagt, ich hab große Schwierigkeiten, immer und immer wieder, das WERTEN, MESSEN, BE(Ver)URTEILEN, sein zu lassen, speziell bei mir selbst, als auch bei meinen Mitmenschen.

ohne jetzt allzu tief einsteigen zu wollen:

Messen, Beurteilen, Verurteilen ist ein Verhalten, das ständig und überall für wahnsinnig wichtig angesehen wird. Kann man sich überhaupt eine Welt vorstellen, die das nicht tut? Sie wäre eine vollkommen andere. Die allermeisten Menschen glauben, man müsse diese Trennlinie zwischen gut und schlecht eben ziehen, weil man sonst ja nicht wissen kann, was richtig und falsch ist. Ich sehe das als eine innere Haltung von Verurteilung an, die sich durch eine Haltung von Akzeptanz ersetzen lässt - sich selbst wie anderen gegenüber.

Akzeptanz wirkt befreiend und bringt Frieden und Freundlichkeit. Es ist so befreiend, nicht zu allem eine Meinung haben zu müssen, nicht zu allem eine Position von Ja oder Nein zu haben. Ich weiß - es gibt jene Beispiele, die völlig unakzeptabel erscheinen. Doch ist das Gegenteil von Verurteilung nicht Befürwortung sondern das Zurückweisen innerer Beunruhigung und Gefühlen von Groll und Hass.

Liebe Grüße

Thomas
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cybolon
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von cybolon »

Hallo Thomas,

"Doch ist das Gegenteil von Verurteilung nicht Befürwortung sondern das Zurückweisen innerer Beunruhigung und Gefühlen von Groll und Hass.
"

Der ist in mein "Kästle" gewandert! Wow!

Eine Frage dazu, aus jüngstem Erleben heraus:
Birgt diese innere Zurückweisung, sei es die, anerzogener Verhalten oder die, natürlicher Gefühle, nicht die Gefahr, zu verdrängen?
Evtl. sogar aufzustauen?

Mein inneres Kindle schmollt und brüllt: "Ich will aber jetzt wütend sein, ich darf das nämlich..."
Gleichzeitig ist es aber mit mir stolz, wenn wir es schaffen cool zu bleiben.

Liebe Grüße
vom
cybolon
tomroerich
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von tomroerich »

Lieber Horst,

Eine Frage dazu, aus jüngstem Erleben heraus:
Birgt diese innere Zurückweisung, sei es die, anerzogener Verhalten oder die, natürlicher Gefühle, nicht die Gefahr, zu verdrängen?
Evtl. sogar aufzustauen?

Verdrängung ist verbunden mit einem Verbot oder einem moralischen Urteil über die eigenen Gefühle oder die Gefühle anderer und entsteht aus Nichtakzeptanz.

Zurückweisung von Groll und Hass ist eine erwachsene Entscheidung und kann nur auf der Einsicht beruhen, dass solche Gefühle innerer Freude und Gelöstheit entgegen stehen.

Mein inneres Kindle schmollt und brüllt: "Ich will aber jetzt wütend sein, ich darf das nämlich..."
Gleichzeitig ist es aber mit mir stolz, wenn wir es schaffen cool zu bleiben.

Das ist die Realität. Der Stolz ist berechtigt, weil er ein Erfolg beim Erreichen von Autonomie ist, zu der eine Entscheidung über die eigenen Regungen unbedingt gehört. Dass aber diese Regungen zunächst einmal gesehen und akzeptiert werden müssen, ist ebenso wahr.

Dass der kleine Plagegeist nicht so schnell aufgibt, ist eine Erfahrung, die jeder macht, der ernsthaft versucht, freundlichen und freudigen Gefühlen den Vorrang vor destruktiven zu geben. Man wird das aber automatisch tun, sobald man versteht, dass Selbstakzeptanz und Freude zusammengehören und dass Groll und Hass Nichtakzeptanz bedeuten. Von dieser Erkenntnis ist die Entscheidung gegen Groll und Hass getragen und daher bedeutet sie kein moralisches Urteil und keine Verdrängung sondern nur einen Schritt zur Selbstverwirklichung.

Thomas
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cybolon
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Re: Neue Ufer - Umbruch und das Gefühl damit mit und nach der Depression

Beitrag von cybolon »

Hallo Thomas,

wow!
Danke!

Der Kern-Knackpunkt ist also mal wieder die Akzeptanz, die gute.
Zugegebenermaßen meine größte Baustelle.

Eigentlich spürte ich, dass im angemessenen Rahmen(!) praktizierte Verdrängung einem wichtigen Filtersystem unseres Geistes angehört. Tatsächlich "schützte" sie mich Jahrzehnte lang vor traumatischen Erinnerungen.
Oder doch nicht?
Denn JETZT, ohne Wertung und mit Akzeptanz der komplett verschollenen Erinnerungen gewahrzusein, sie zuzulassen und auch noch zu verarbeiten, ist pure Schwerstarbeit in der Strafkolonie!

Mir gefällt das mit dem Zurückweisen von Groll und Hass nun erstrecht.

Bin froh, dass Du wieder schreibst, Thomas!

Liebe Grüße
vom
cybolon
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