Menschliche Nähe

Antworten
tallgirl
Beiträge: 340
Registriert: 25. Jul 2005, 07:46

Menschliche Nähe

Beitrag von tallgirl »

Warum ist mir menschliche Nähe so wahnsinnig unangenehm?

Ein Beispiel:

Beim Treffen am Sonntagmorgen war mir sehr kalt und ich hatte das Gefühl, dass meine Hände absterben.

Ilse war so lieb und hat meine Hände genommen und sie in Ihre gelegt um sie zu wärmen.
Meine erste Reaktion war, dass ich sie am liebsten sofort wieder reflexartig zu mir zurückholen wollte.

Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn man mich berührt.

Umarmen funktioniert.
Es funktioniert auch, wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre aber halt nicht so. Jede Faser meines Körpers wehrt sich dagegen....ist mir so unangenehm. Ich wehre mich dagegen.....innerlich....wie ein Kind, dass seine Suppe nicht essen will.

Aber ich kann anderen Gutes tun...ohne zu überlegen. Warum kann ich es nicht akzeptieren, wenn man mir etwas Gutes tun will?

So viele Fragen und ich glaube, dass Ihr mir genau bei dieser nicht wirklich weiterhelfen könnt.
Liebe Grüße



Angie



Du kannst die Wellen nicht stoppen. Du kannst nur lernen, auf ihnen zu reiten.
kormoran
Beiträge: 3276
Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von kormoran »

hm. liebe angie,

drei gute dinge ...

... du spürst dass dir etwas nicht gut tut
... du sprichst es an (vielleicht vorerst nur im forum - nächstes mal vielleicht direkt, wenn dir mal wieder eine mit-foristin aus lauter freude um den hals fällt )
... ein konkretes thema für eine therapie, wenn es denn einmal so weit ist.

bis dahin kann ich nur sagen: pass auf dich auf - nimm diese gefühle ernst und handle auch danach, setze auch die grenzen die dir wichtig sind und tu dinge für dich, die dir gut tun.

ganz lieber gruß
kormoranin
 http://www.depressionsliga.de
*** zurück ins leben!
muckelmaus
Beiträge: 211
Registriert: 4. Jan 2006, 21:03

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von muckelmaus »

aus Versehen doppelt ...
muckelmaus
Beiträge: 211
Registriert: 4. Jan 2006, 21:03

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von muckelmaus »

Hallo Angie,

Du schreibst: "Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn man mich berührt.
Umarmen funktioniert.
Es funktioniert auch, wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre aber halt nicht so. Jede Faser meines Körpers wehrt sich dagegen....ist mir so unangenehm. Ich wehre mich dagegen.....innerlich....wie ein Kind, dass seine Suppe nicht essen will.
Aber ich kann anderen Gutes tun...ohne zu überlegen. Warum kann ich es nicht akzeptieren, wenn man mir etwas Gutes tun will?"


Vielleicht weil es so ungewohnt ist? So vollkommen fremd, dass man davor reflexartig zurückzuckt/zurückzucken möchte (und sich nur unter extremen Mühen davor zurückhalten kann)?

So geht es mir jedenfalls immer und immer wieder.
Vorletztes Jahr in der medizinischen Reha habe ich Massagen bekommen und das war jedes Mal eine echte Nervenprobe für mich. Denn ich hatte eigentlich gar keine Zeit mich auf den jeweilig Massierenden einzustellen, eine Beziehung, Vertrauen aufzubauen. Und es war jedes Mal jemand anderes. Insgesamt ein für mich zweifelhaftes Vergnügen.

Bei mir ist dahinter kein Trauma, sondern Unvertrautheit mit zwischenmenschlichem Umgang (auch als soziale Phobie bekannt).

Vielleicht können Dir diese Zeilen ja doch ein wenig weiterhelfen ...

LG
muckelmaus
Knöpfchen
Beiträge: 192
Registriert: 22. Jul 2007, 21:55

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von Knöpfchen »

Hallo!

Beim lesen ist mir in Bezug auf mich folgendes aufgefallen:

Es hängt bei mir davon ab WER es ist, besser gesagt in welchem "Verhältnis" ich zu demjenigen stehe. Genauer:

Der Masseur darf mich ohne Probleme berühren, weil ich ihn nicht näher kenne, nicht kennen lernen will, zu ihm gehe, damit er mich berührt - weil das helfen soll. Also soz. rein "fachlich".

Jemand den ich mag, der mir nahe steht, kann mir jederzeit die Hände wärmen (das Beispiel war für eben sehr leicht nach zu empfinden, weil ich grundsätzlich Eisfinger habe, also solche Situationen gut kenne!), ich würde mich sogar darüber freuen.

Bei jemand der mir fremd ist, zu dem ich keine nähere Beziehung habe - vllt auch nicht haben will - reagiere ich genau wie du - ich ziehe mich sofort spontan in mein "Schneckenhaus" zurück...

Nachdenkliche Grüße
Knöpfchen
Gabriele
Beiträge: 663
Registriert: 11. Jul 2007, 22:18

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von Gabriele »

Liebe Angie,

Wenn umarmen funktioniert und nur das Hände festhalten ist Dir unangenehm, vielleicht hast Du das Empfinden handlungsunfähig zu sein?
Denn wenn Deine Hände festgehalten werden, dann hast Du sie nicht frei, für keine Handlung.
Du kannst Dich nicht wehren, nicht zupacken, dem der Dir Gutes tut etwas zurückgeben usw.

Lieben Gruß Gitte
Bellasus
Beiträge: 1628
Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von Bellasus »

Liebe Angie,

eine Umarmung und Hände von jemandem in die eigenen nehmen zum wärmen sind ja zwei ganz verschiedene Arten der Nähe. Eine Umarmung ist ja - so empfinde ich es jedenfalls - fast schon gesellschaftsfähig. Sie ist nicht nur engen Freunden vorbehalten, sondern man kann auch andere Menschen, zu denen man eine halbwegs persönliche Beziehung hat, durchaus etwas distanziert umarmen. Und sie dabei trotzdem nicht emotional an sich heranlassen.

Das mit den Händen sehe ich da ganz anders, da gäbe es in meinem real life nur sehr wenige Menschen, die das dürften. Es hat etwas sehr intimes. Bei euch, die ich von den Treffen nun kenne, ließe ich es vermutlich gerne zu, wenn mir gerade nach Nähe wäre.

Angie, ich kenne die Angst vor Nähe nur zu gut, die Angst davor, dass jemand mich mag, so wie ich bin, wo ich das aus meinem bisherigen Leben so gar nicht kenne, immer wurde nur das gemocht und anerkannt, was ich tue und leiste. Aber ich, einfach so, weil ich ich bin? Das ist eine so wunderschöne und gleichzeitig schmerzhafte Erfahrung! Warum es so weh tut, weiß ich bis heute nicht, aber es ist so. Es hat mit einlassen, annehmen (sich und den/die andere) zu tun. Und vielleicht fühlst du dich in deiner gewohnten Distanz einfach sicherer. Auch wenn die Sehnsucht danach, da herauszukommen, groß ist - es ist erstmal etwas neues und verunsichert.

Vielleicht kannst du damit ja was anfangen,

liebe Grüße
Annette




www.depressionsliga.de

- Betroffene für Betroffene -
Wycombe1
Beiträge: 278
Registriert: 7. Dez 2006, 15:22

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von Wycombe1 »

Hallo,

macht mich ganz traurig zu lesen wie es dir geht; vielleicht, weil ich mich darin wieder erkenne... Mir geht es ähnlich wie dir, für mich ist es ganz, ganz schwer Nähe zuzulassen; dabei wünsche ich sie mir sehr.

Mit meinen Kindern funktioniert es, die beiden kann ich knuddeln und liebkosen und es kommt so viel Liebe in mir hoch, wenn ich sie manchmal nur ansehe, das es regelrecht weh tut.....

Allerdings hab ich auch da Momente, wo ich es nicht sehr gut ertragen kann, sie zu halten oder zu küssen. Es passiert nicht oft, aber wenn es so ist, tut es mir leid und weh und ich frage mich, warum ich bei meinen eigenen Kindern so empfinde? Gott sei dank ist es nicht oft, aber trotzdem tuts weh.

In meiner Kindheit ist es versäumt worden auf meine Bedürfnisse einzugehen, ich konnte/durfte nicht Kind sein und habe es leider nicht wirklich gelernt meine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sie einzufordern.

Ich denke, es ist noch ein "Überbleibsel" aus dieser Zeit. Denn wenn mir heute jemand "zu dicht" kommen will, block ich ab. Nicht bei wirklich guten, jahrelangen Freunden. Aber bei meinem Partner z. B., wenn er mir seelisch zu nahe kommen will (oder könnte). Da provoziere ich lieber einen richtig miesen Streit, als ihn an mich ranzulassen.

Fremde Leute geht seltsamerweise. Vielleicht weil sie mich nicht interessieren, ich ihnen nicht mein Ich zeigen muss? Fremde dürfen mir auch nicht zu dicht ran (in meinen "privaten Kreis", diese besagten 60 cm die jeder als seine Intimsphäre empfindet), aber ich bin oft sehr herzlich zu Fremden, herzlicher als ich es je zu meinem Partner bin.

Leider konnte ich dir jetzt auch nicht helfen, aber vielleicht das Gefühl vermitteln, das du nicht allein damit stehst.

Vg,
Wycombe1
Ich weiß freilich nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird.

Aber soviel weiß ich sehr wohl, es muß anders werden,

wenn es besser werden soll.



(G. C. Lichtenberg)
Gabriele
Beiträge: 663
Registriert: 11. Jul 2007, 22:18

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von Gabriele »

Hallo Annette,

das verstehe ich nicht. Eine Umarmung ist doch viel körpernäher, viel näher an mir dran.
Mit den Armen kann ich beim Händereichen schon ein bisschen Abstand zwischen mich und den Anderen bringen. Aber wenn mich jemand umarmt, egal ob es nur so ein flüchtiges Wange streifen oder eine herzliche Umarmung ist, das lasse ich bestimmt nicht jeden zu. Wenn mich jemand umarmen will, bei dem mir das nicht Recht ist, da wird mein Rücken wie ein Brett.
Und meine Hände würde ich bestimmt auch nur Menschen überlassen, die mir angenehm sind. Eben um die Handlungsfreiheit zu behalten. Jemandem meine Hände überlassen, das wäre ein absoluter Vertrauensbeweis.

Dieser Schmerz, den kenne ich auch. Aber warum schmerzt ein so schönes Erlebnis so sehr? Uns widerfährt doch etwas sehr schönes.

Liebe Grüße Gitte
Knöpfchen
Beiträge: 192
Registriert: 22. Jul 2007, 21:55

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von Knöpfchen »

Hallo!

Ja, ne Umarmung ist näher. Aber durch dieses Brett kommt sie bei mir (so gut wie) gar nicht an... Allerdings muss ich zugeben, dass es mich sehr verletzt, wenn eine von mir wirklich herzliche Umarmung an einem Brett endet...

Das mit dem Schmerz kenn ich auch sehr gut, aber ne Antwort auf das "warum" hab ich auch noch nicht gefunden...

LG Knöpfchen
tallgirl
Beiträge: 340
Registriert: 25. Jul 2005, 07:46

Re: Menschliche Nähe

Beitrag von tallgirl »

Hallo zusammen,

erst einmal vielen Dank für Eure Antworten. Ich werde mich heute Abend dazu melden. Leider ging es gestern nicht. Mir fehlte die Kraft.

Ich habe so viele Gedanken dazu in meinem Schädel, die würde ich gerne mit Euch teilen.
Liebe Grüße



Angie



Du kannst die Wellen nicht stoppen. Du kannst nur lernen, auf ihnen zu reiten.
Antworten