Realitätsflucht - kennt das jemand?

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Shy
Beiträge: 17
Registriert: 21. Aug 2007, 22:22

Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von Shy »

Hallo zusammen,

in letzter Zeit bemerke ich bei mir immer häufiger, dass ich der Realität entflüchte. bei mir stellt es sich so dar, dass ich excessiv Serien im Fernsehen ansehe oder massiv viel lese. Klingt erstmal nicht so dramatisch oder nicht so nach Depression - oder?

Ich hatte eine schlimme Phase vor ca. 4 Jahren die ich mit Tabletten und Therapie in den Griff bekam. Als es mir besser ging begann ich wieder zu leben. ich hatte einen tollen Freundeskreis - der auch in diese schlimme Zeit überstanden hat.

Jetzt bemerke ich schon seit einiger Zeit, dass von meinem damaligen Leben eigentlich nichts übrig ist. Durch die o.e. Realitätsflucht habe ich einfach überhaupt keine zeit mehr mich um irgendwas zu kümmern. so sind denn auch viele Freundschaften eingeschlafen, weil ich es nicht schaffe Energie und zeit aufzubringen auch nur mal einen Anruf zu erwiedern bzw. anzunehmen.

Ich kann eigentlich nicht sagen, dass ich mich innerlich schlecht fühle - es sei denn in Momenten wo ich über dieses Thema nachdenke und daran denke, was an diesem meinem Leben denn eigentlich momentan qualitativ lebenswert ist.

Langsam bemerke ich auch, dass meine Partnerschaft darunter leidet - ich habe nämlich auch hier kaum noch Zeit - ich muss ja immer der Realität flüchten....

Kennt hier igendwer so was? Könnte dies auch ein zeichen einer depressiven Phase sein?
















Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben zu geben.

Alexis Carrel
irving
Beiträge: 13
Registriert: 22. Aug 2004, 11:30

Re: Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von irving »

Hallo Shy,

ja, das kenne ich sehr gut. Mir geht es genauso. Ich lese auch sehr viel und habe erst mit der Zeit festgestelt, dass mir das dazu dient, Realitätsflucht zu erreichen. Ich gehe ohne Buch auch nicht aus dem Haus und verbarrikadiere mich manchmal dahinter, um bloß nicht mit anderen in Kontakt treten zu müssen. auch mein ehemals guter Freundeskreis ist fast auf Null geschrumpft, weil ich es nicht schaffe, anzurufen (oder auch nur den Hörer abzunehmen). Am meisten Angst macht mir das, weil ich alleinerziehend mit zwei Kindern bin, die (noch) relativ unbelastet von dem Ganzen scheinen. Wie lange noch?
Liebe Grüße aus Bremen,
Imke
Sieglinde1964
Beiträge: 1267
Registriert: 30. Dez 2006, 19:31

Re: Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von Sieglinde1964 »

Ich weiß nicht, ob ich bei mir von Realitätsflucht reden kann. Ein anderer würde es bestimmt so nennen. Also - wenn es mir dreckig geht, flüchte ich in mein Bett und nehme mir das einlaminierte Foto der Raumstation ISS und schaue es mir an. Dann flüchte ich wohl in Gedanken von der Erde in den Weltraum zu "meiner" ISS.
Dido
Beiträge: 70
Registriert: 4. Nov 2008, 16:12

Re: Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von Dido »

Hallo shy
Ja, ich lese und träume auch extrem viel.
Am liebsten Kitschromane, weil ich mich eben so sehr nach Nähe sehne und nach "Seelenverwandten" oder einfach Menschen, die ähnlich ticken wie ich.
Realitätsflucht ist einfach wie der Seele eine Pause geben für mich. Wenn der Tagtraum oder das Buch sehr intensiv war, besteht aber leider die Gefahr, dass das innere Loch danach noch größer ist.
Gleichzeitig besteht aber auch die Chance, dass uns unsere Träume neuen Mut und neue Kraft geben. Uns einen Puffer gegen die Rückschläge unseres Lebens und unserer Krankheit geben.
Aber solch eine extreme Flucht, dass nur und immer träumt ist schon auffällig. Du scheinst deshalb deinen Alltag nicht mehr richtig bewältigen zu können.
Ich denke, du solltest dir Hilfe suchen, das Träumen musst du ja deshalb nicht aufgeben.
Ich denke, ein Therapeut könnte dir helfen, an den Gründen zu arbeiten, warum du so sehr fliehst und dein Träumen damit etwas eingrenzen. Aber ganz aufgeben musst du es nicht.
Würde ich persönlich auch nie, da es eine sehr schöne Art der Flucht ist. Die zwar, wie wohl jede Flucht, einige Risiken birgt, aber auch viele Chancen.
Liebe Grüße, Dido
My tears have gone cold, I'm wondering why got out of bed at all; Morning rain clouds up my window and I can't see at all but even if I could it would all be grey.
Wycombe1
Beiträge: 278
Registriert: 7. Dez 2006, 15:22

Re: Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von Wycombe1 »

Hallo,

ich finde eine "Realitätsflucht" nicht so fürchterlich tragisch. jeder muss mal abschalten und was spricht dagegen wenn man dies mit einem guten Buch, einem guten Film etc. macht? Andere gehen ihren hobbys nach (3 x oder mehr in der woche ins fitnesstudio, sport im allgemeinen etc.) - flüchten die auch?

ich bin berufstätig, habe 2 kleine kinder, welche wiederum sport/schwimmen/verabredungen haben und bin oft nur unterwegs.... wenn ich dann zur ruhe komme, möchte ich mal abschalten und nicht über irgendwas nachdenken - dann lese ich ein buch, gucke TV oder oder oder....

ich erwiedere auch nicht jeden anruf, nicht weil ich nicht will - manchmal kann ich einfach nicht, weil keine zeit, bin selbst innerlich zu angespannt oder schlicht und ergreifend einfach keine lust zu reden.

ich denke, wenn sich alles noch in "normalen" bahnen hält und der alltag nicht darunter leidet, sollte man sich keine gedanken machen. sollte man aber mehr in büchern/tv leben - dann wäre es an der zeit etwas zu unternehmen, denn dann stimmt irgendwas nicht.

viele grüsse,
wycombe1
Ich weiß freilich nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird.

Aber soviel weiß ich sehr wohl, es muß anders werden,

wenn es besser werden soll.



(G. C. Lichtenberg)
Shy
Beiträge: 17
Registriert: 21. Aug 2007, 22:22

Re: Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von Shy »

Hallo zusammen,

danke für die Antowrten.

@Imke
wie und woran hast Du bemerkt, dass das Lesen für Dich eine Realitätsflucht darstellt? Leidet Dein normaler Alltag? Schaffst Du Dinge nicht mehr? Und...hast Du versucht etwas dagegen zu machen?

@Sieglinde
von meinen schlimmsten Zeiten kenne ich nur dass ich kaum noch lesen konnte. Ich habe damals nur auf dem Bett gelegen und versucht das Denken sein zu lassen und habe fürchterlich gelitten. So geht es mir momentan eigentlich - zumindest bewusst - nicht. Schwermütig würd ich mich auch nicht nennen; und das obwohl November ist ;o)

@Dido
Ich träume eigentlich nicht so häufig. Also ich meine jetzt Tagträume, oder Hoffnungen auf irgendwas oder so. Lesen lenkt mich absolut ab - ich schweife in eine andere Dimension und schalte meine Realität ab. Was ich wohl kenne ist die Situation nachdem ein Buch beendet ist. Da steh ich dann auf einmal praktisch im leeren Raum....Bin weder da (weil ja zuende) noch hier. Dann fühle ich mich auch innerlich leer.

@Wyombe
Ich bin schon immer eine richtige leseratte gewesen. Seit ich Buchstaben entziffern kann begleiten die mich durch mein leben. Das hat mich aber früher nicht vom Leben abgehalten. Ja, mein Alltag ist massiv gestört - besteht eigentlich nur noch aus meinem Job und meiner Ablenkung. Und ja - meine Beziehungen leiden sehr darunter. Normal war anders.

Lieben Gruß euch allen
shy
















Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben zu geben.

Alexis Carrel
irving
Beiträge: 13
Registriert: 22. Aug 2004, 11:30

Re: Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von irving »

Hallo Shy,
sorry, dass ich jetzt erst antworte, hab hier lange nicht mehr reingeschaut. Woran ich merke, dass das Lesen Realitätsflucht ist: Ich schiebe einfach diverse ungelöste Probleme vor mir her (hauptsächlich dringend nötige Aussprachen mit verschiedenen Leuten, aber auch vieles Andere.) Sobald ich Leerlauf habe, macht mir das zu schaffen. Aber anstatt das anzugehen, lese ich dann lieber, um die unangenehmen Gedanken wegzuschieben. Ich mache schon die dritte Therapie inzwischen. 1.) Tiefenpsychologisch fundierte Gesprächstherapie. Zweitens eine weitere Gesprächstherapie, hieß aber irgendwie anders, momentan eine Verhaltenstherapie. Ich glaube, ich habe so eine Art Soziophobie abgesehen von den Depris. Ich bin total konfliktscheu und schaffe es nicht, mich mit Leuten auseinanderzusetzen. Das löst aber gleichzeitig starken Selbsthass aus, weil es schrecklich ist, wenn man sich nicht traut, für sich selber einzutreten. Kennst Du das vielleicht auch? Oder sonst jemand?
Lieben Gruß
Imke
Quiero
Beiträge: 6
Registriert: 16. Nov 2008, 00:48

Re: Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von Quiero »

Hallo Shy,

ich habe tagelang damit verbracht serien auf youtube (habe keinen Fernseher) anzusehen, komplette Playlists abgegrast, nur um nicht hingucken zu müssen. ich wollte und konnte nicht mehr hinsehen. habe tagelang entweder geschlafen oder vor dem pc gesessen.
mir gings dabei hundeelend aber gleichzeitig konnte und wollte ich nicht anders als in dieser serie leben, mitfühlen, mich wunderbar betäuben etc!immernoch besser in der serie mitzuleiden als an meinem zustand was zu ändern...

(Das alles obwohl ich zu der Zeit in Therapeutischer Behandlung war. als ich das meinem Thera erzählte hat er mir dann die ADs vorgeschlagen.)
das ging so lange bis mein freund mir das versprechen abgenommen hat die serie nie mehr zu sehen!
habs ihm versprochen und eingehalten!
ging irgendwie leichter es ihm zu versprechen als mir selbst und es dann mal wieder zu brechen.
jetzt lese ich sehr viel, aber auch da fällt es mir schwer ein Ende zu finden, daher geht das häufiger auch bis spät id Nacht...

hmm..
ist nicht alles was man exzessiv tut, egal was irgendwie eine art flucht aus der realität? muss ich grad so denken...

nachdenkliche Grüße
NIG
Caren
Beiträge: 73
Registriert: 6. Aug 2006, 10:24

Re: Realitätsflucht - kennt das jemand?

Beitrag von Caren »

Ja, das kenne ich auch - lesen oder fernsehen oder am PC hocken, nur, um sich nicht der rauen Welt stellen zu müssen

Aber das sind Phasen, in denen es mir zwar nicht soooo gut geht, doch auch noch nicht ganz schlecht. Richtig schlimm wird es erst, wenn ich auch nicht mehr lesen oder fernsehen kann, weil ich mich absolut gar nicht mehr konzentrieren kann.

Oder wenn ich am PC nicht mehr in meinen Foren schreiben kann, weil die Selbsthaß-Schraube schon zu fest gedreht ist und ich auch nicht mehr fähig bin, zu formulieren.

So ein bißchen Realitätsflucht mit Lesen, Fernsehen, PC, was weiß ich, tut mir persönlich gut - danach bin ich oft quasi wieder aufgeladen für den schnöden Alltag.
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