Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

3241
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von 3241 »

Hallo Saida,

wie geht es Dir ?
Hast Du Deinen "Urlaub" inzwischen gut verdaut ?


@ dore
Hi, Du wolltest doch noch was von Dir hören lassen ?
Ist es immer noch so stressig bei Dir ?
Ich hoffe nicht.

Viele Grüsse Niniel
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dore
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von dore »

Hallo Niniel,
hallo @ all,

doch, leider habe ich viel Stress und komme zu wenig. Ich bin vom Arbeiten derzeit immer so müde und k.o., dass ich nicht viel Zeit habe, um hier zu schreiben. Haushalt etc. ist ja auch noch da.

Zur Zeit geht es mir nicht so gut, leide auch wieder stärker an Depersonalisation, was wohl eine Folge des ganzen Dramas ist und typisch für PTBS. Nervig...

Ich versuche ab und an, mein Trauma zu bewältigen und über einiges, was ich bisher schon erfahren und verstanden hab, nachzudenken.

Komisch ist nur, dass ich es immer noch lieber verdränge und mich lieber ablenke und mit anderen Sachen beschäftige. Gut, die Jobsituation brennt natürlich auch auf den Nägeln, aber wenn ich mich nicht mehr mit meiner Vergangenheit auseinandersetze, werde ich nicht gesund. Ich hab aber immer näher am Wasser gebaut und manchmal lichtet sich der Vorhang, dann begreife ich für kurze Zeit das Ganze und finde es einfach nur schrecklich und vor allem ungerecht. Momentan bin ich auch irgendwie wütend auf das Leben und mein Schicksal, dass ich so etwas erleben musste und andere nicht, andere eine "normale" und glückliche Kindheit und sowieso immer mehr Glück hatten und bekommen, was sie wollen. Ich nicht, ich fühle mich wie ein immerwährender Pechvogel.

Vielleicht kommen diese Gedanken aber auch von früher, dass ich meine, ganz besonders vom Unglück verfolgt zu sein und prädestiniert zum Leiden. Es ist ungerecht, keine Frage, aber ich weiß auch, dass ich es nicht mehr ändern kann. Es fällt mir einfach sehr schwer, meine Geschichte und somit meine Biografie zu akzeptieren.
Tja, und die Therapie ist natürlich auch noch da, ich hoffe, ich werde mal weiterkommen, möchte in dem Ganzen nicht steckenbleiben. Manchmal frage ich mich aber, ob man sowas wirklich überwinden kann oder die Narben und Wunden in der Psyche nicht zu krass waren.

Ja, also ich bin gerade nicht so froh, wie man unschwer sehen kann. Hhm, ich bin froh, dass mein Freund noch da ist und mir immer wieder zuhört und gute Denkanstöße gibt. Ich seh immer alles durch die schwarze Brille und brauch echt immer wieder eine Gheirnwäsche.

Wie kommt Ihr mit der Vergangenheit klar?Wie kann man aufhören, in Selbstmitleid zu baden? Und wie kann man Trauerarbeit leisten, ohne unterzugehen?

Das sind die für mich wichtigen Fragen zur Zeit...

LG, dore



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dore
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von dore »

Hab noch was vergessen:

vor kurzem habe ich in den Nachrichten gelesen, dass diese Mutter in SWH, in einem Ort namens Darry, die ihre 5 Kinder umgebracht hatte, an paranoider Schizophrenie leidet und deswegen jetzt schuldunfähig in der geschlossenen ist.

Das hat mich sehr aufgewühlt, weil meine Mutter ja auch schizophren war, zeitweise auch paranoid, und im Nachhinein habe ich dann beim Lesen dieser Meldung gedacht, wer weiß, ob die Situation damals, wenn mein Bruder und ich mit ihr alleine waren, nicht auch irgendwie gefährlich war. Kann mich zwar nicht an was wirklich Gefährliches erinnern, aber Kinder mit einem Schizophrenen allein zu lassen, das ist wahrscheinlich schon gefährlich.
Das ist auch so eine Sache, die ich meinem Vater, der ja damals gesund war, irgendwie nicht verzeihen kann...

Ja, das fiel mir noch ein, das hatte mich auch innerlich aufgewühlt, eine echt traurige Meldung war das, die Kinder hatten wirklich kein Glück.

So, ejtzt muss ich aber weiter arbeiten ...



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feuerfisch
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von feuerfisch »

Hai Dorenberg

Ich finde es auch recht schwierig mit mir umzugehen. Ich weiß dass ich an meine Emotionen dran kommen muß (und WILL) aber wenn sie hochkommen sind sie auch dermassen stark und negativ, dass ich `dem Mann im Nebel´ auch zu nahe komme.

Meine Therapeuten machen mir da Hoffnung. Ich muss einen Weg finden die Emotionen sozusagen Portionsweise hochkommen zu lassen und zuvor Anker für mich zu finden.
Allerdings hadere ich auch nicht mehr so mit dem Schicksal - oder vielleicht auch noch nicht? Vielleicht bist du ja schon viel weiter als ich und kannst schon Emotionen zulassen?

Wie auch immer, dein folgendes Post hat mich denn doch berührt, ich kann ganz klar sagen das damals mein Leben bedroht war. Nur halt etwas subtiler als bei dieser Frau - meine Mutter hat mich zum Beispiel gelehrt das man spitze Gegenstände - wie Messer und Scheren - immer mit der Spitze auf sich selbst gerichtet trägt, so dass man niemand andere verletzen kann.

Naja, eines meiner Ziele ist halt mit dem Kind das ich damals war ein wenig Mitleid zu empfinden. Bislang tut sich noch nicht viel, aber, dem letzten Klinikaufenthalt sei Dank, es tut sich etwas! Zumindest weiß ich das es nun möglich ist!

Zurück zu dir: kann es denn nicht sein das du erst einmal durch dieses `Selbstmitleid´ durch mußt, es in aller Tiefe erfassen mußt, bevor du die nächste Stufe erreichen kannst, die des Loslassens?

Alles Liebe

feuerfisch

.
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3241
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von 3241 »

Hallo dore !
Hallo @ all !

Das ist sehr schade, dass es Dir im Moment nicht so gut geht. Das Thema Selbstmitleid.... Das kenne ich auch sehr gut.
Ich denke inzwischen (manchmal) es gehört einfach dazu und man sollte es einfach mal zulassen. Wir haben ein Recht darauf. Und es ist nunmal Fakt, dass wir keine normale Kindheit mit den gleichen Chancen hatten.
Meine Feststellung ist, es geht auch wieder vorbei.

Vor ein paar Wochen hatte ich eine Phase, wo ich versucht habe, mich an glückliche Momente aus meiner Kindheit (bis 12 Jahre) zu erinnern. Die Ausbeute war sehr rar oder ernüchternd. Oder ich stellte mir Fragen als ich kleine Kinder gesehen habe, die lachten: habe ich auch so gelacht ? Oder wer hat mir das Laufen beigebracht (war ja im Kinderheim). Schlichtweg, ich habe nach meiner Vergangenheit gesucht und zu wenig gefunden.


Das Thema Gefühle zu erkennen und zu äußern ist auch einer der Hauptaufgaben in meiner Thera. Und es ist verdammt schwierig und harte Arbeit. Habe Geduld mir Dir.
Ich hoffe bei mir, dass, wenn ich am Ball bleibe, es irgendwann von alleine kommt. Mal schauen....
Es gibt leider keine Rezeptur dafür.

Der Vorfall in SWH (Darry) hat mich auch ziemlich betroffen gemacht. Auch mir taten die Kinder sehr leid. Wer weiß was die schon alles mitbekommen haben. Und es hat keiner gemerkt, trotz Mann und Psychotherapie...

Ich drücke Dir ganz fest die Daumen, dass Du die stressige Zeit durchstehst. Besprichst Du auch Stresssituation in Deiner Thera ? Weil, der Stress klingt sehr akut. Vielleicht helfen Dir Techniken oder Gespräche etwas leichter damit klar zu kommen ?
Mit hat es in der Thera schon manchmal geholfen.

Viele Grüsse Niniel.
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dore
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von dore »

Hallo,

nach etwas längerer Sendepause, als von mir eigentlich gewollt, hier nochmal eine kurze Wortmeldung von mir.
Zur Zeit drücken Jobsorgen und finanzielle Probleme, weshalb ich nicht so zum Schreiben kam. der Alltag nimmt viel Zeit in Anspruch, und nach wie vor schiebe ich die Auseinandersetzung mit meiner Geschichte/Biografie ein wenig vor mir her...

@feuerfisch
Mir geht es ähnlich wie Dir. Ich kann auch nicht so gut mit mir umgehen. Das mit dem portionsweise "Hochkommen" hat mein Thera genauso mal zu mir gesagt. Weil mehr verkraftet man nicht. Der Körper bzw. die Seele hat ja damals nicht umsonst das ganze abgespalten, sonst wäre man vermutlich zusammengebrochen. Dissoziation eben.
Kennst du Depersonalisation auch?

Ich will ja auch, genau wie du, dass das ganze bewusst wird und ich es verarbeiten kann. Aber ich habe das Gefühl, das geht echt superlangsam... selbst bei nur einem Satz zieht mich das so runter, mir wird schwindlig und ich habe das Gefühl, neben mir zu stehen und durchzudrehen. Mein vegetatives Nervensystem dreht dann ein wenig durch. Das zeigt mir dann, dass es reicht. Superempfindlich.
Das, was da hochkommt, fühlt sich sehr elend an, ja, extrem negativ. Ich fühle mich überflutet von miesen Emotionen und bekomme den Eindruck, sie nicht mehr in Kontrolle zu bekommen. Real passiert nichts, es ist eben ein Gefühl. kennt jemand ode rkennst du das?

Anker finden, das habe ich noch nicht gemacht. Was meinst du damit genau?

@niniel
Ja, ich versuche es in der Gruppentherapie zu besprechen, dazu ist es ja da , aber manchmal gelingt mir das nicht so, dann ist es mir zuviel. Kommt auf meine Tagesform an.

Momentan überlege ich, nochmal eine Einzelthera zu beantragen, weil das glaub ich, hilfreicher ist, manche schwierige Themen zu bearbeiten. Weiß nicht, ich hab vor Jahren schonmal eine Einzel gemacht, und die Gruppe hilft mir auch immens gegen Sozialangst, Mißtrauen, schlechtes Selbstbild etc. Am besten wäre beides , aber das geht nicht, oder??!


@all
Ein paar Fragen hab ich hier mal in die Runde derjenigen, die hier mitlesen.
Kennt jemand hier so Depersonalisation und Entfremdungserlebnisse?
Wie kann man es schaffen, mehr Vertrauen in sich und die Welt zu bekommen, ist das jemandem hier schon erfolgreich gelungen?

Erzählt Ihr Euren Freunden und Bekannten von früher und Euren Problemen? Habe nämlich den Eindruck, viele verschweigen es, aus Scham, und/oder aus Angst, abgestempelt zu werden. Viele Kinder von psychisch Kranken denken ja auch, sie wären selbst verrückt u.ä.
Das ist die größte Angst, oder zumindest eine der großen Ängste, die ich mit mir herumschleppe. Aber vielleicht kennt das jemand ja hier?

Freue mich weiterhin über Eure Worte!

Gruß, dore



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feuerfisch
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von feuerfisch »

Hai Dore

Sorry, ich hatte dir in den letzten Tagen einiges geschrieben.....abgestürzt -> Frust
konnt mich dann irgendwie nicht aufraffen *schäm*

Und zur Zeit, naja, bin gerade mit mir selbst beschäftigt, aber ich schreib dir noch!

Nur kurz zum Überlegen:
Anker - Dinge die mich im Leben halten, im Hier und Jetzt. Dinge, die ich mir in Erinnerung rufen kann, die positiv und/oder stabilisierend wirken.

Was ist das bei dir?

Liebe Grüße

feuerfisch

.
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von 3241 »

Hallo Dore,

sorry, dass ich so lange nicht geschrieben habe. Bin nach einem Telefonat mit meiner Mutter (ich rufe ja inzwischen 1x die Woche an -> Hausaufgabe Thera) so ziemlich abgestürzt. Ich habe mich gefühlt, als wenn ich das kleine Kind von damals gewesen wäre. Danach ging gar nichts mehr (kein Reden, keine Emotionen, einfach nur meine Muschelschale zugemacht). Meine Thera war natürlich im Urlaub. Gott sei dank habe ich am 15. Termin.

Nein, ich rede nicht mit anderen Personen (ausser ganz vage mit meinem Mann) über meine Probleme und Vergangenheit. Nicht unbedingt, dass ich denken würde ich wäre verrückt. Dafür lebe ich nach aussen hin viel zu "normal".
Ich denke mir, dass es andere Leute überhaupt nicht nachempfinden können. Und will es überhaupt jemand hören ? Können die Anderen mit sowas umgehen ? Und ich habe furchtbare Angst vor Aussagen wie
"es ist doch vorbei" oder "deine Mutter ist halt krank" etc. Sprich, das ganze wird klein geredet. Das würde mich (und hat es auch schon) sehr verletzen. Abgesehen davon, dass man damit sowieso alleine dasteht. Da sage ich lieber nichts.

Ob Gruppen- und Einzeltherapie gleichzeitig geht weiß ich nicht (Krankenkasse anurfen ?).
Wobei ich bedenken hätte, ob beides nicht zu viel wäre. Ich bin mit 1 Therapie vollkommen ausgelastet.

Viele Grüsse an Alle.
Niniel
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dore
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von dore »

Hallo zuammen,

wieder viel Zeit vergangen, und doch hab ich wieder was zum Schreiben.

Also, ich beende grad meine Gruppentherapie und mache nochmal eine Einzel. Denn die Gruppe bringt mich nach über 4 Jahren nicht mehr weiter und ich hoffe, in der Einzel meine tramuatischen Dinge besser besprechen zu können.

Ich habe erst gestern gemerkt, wie sehr ich noch am Beginn des Trauerprozesses stehe und wieviel ich noch verdränge. Wenn ich durch die Therapie mit der Nase quasi darauf gestoßen werde, da reicht dann nur ein Wort oder Satz, bin ich immer sehr traurig, verzweifelt und fast wie im Schockzustand, ich heule dann total. Komischerweise fühlt sich dann diese "Wahrheit" immer wieder neu an, als wenn ich es das erste Mal gehört hätte. Das ist sehr seltsam, kann ich nur sagen.

Mein großes Problem ist einerseits die noch nicht verarbeitet Trauer über meine Kindheit etc. und dass ich nicht genau weiß, wie ich die Trauerarbeit anstellen könnte.
das andere Problem ist zu verstehen und anzunehmen, nie eine Mutter und ein Nest gehabt zu haben, sondern eher das komplette Gegenteil, ja, und dass ich meine Biografie nicht annehmen will. Ich will nicht, dass es meine Geschichte ist und es zu mir gehört. Wieso kann ich nicht sagen, ich will es einfach (noch?) nicht.

Reden tue ich schon, zumindest mit meinem Partner. Sonst nicht, ich bringe es bei meinen Freunden kaum über die Lippen, fast alle wissen es noch nicht einmal.

Meine Frage in die Runde:
Wie habt ihr gelernt, eure Biografie, so schrecklich wie sie war/ist, anzunehmen und trotzdem hoffnungsvoll zu bleiben? Und sich nicht als Outsider zu fühlen?

Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen hier, der das nachvollziehen kann...

Liebe Grüße,
dore



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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von Clown »

Hallo Dore,

vielleicht bringt ein zusätzlicher spiritueller Blickwinkel auf deine Biographie dich weiter?

http://www.tipping-methode.de/Die_Tippi ... ine_f.html

Die Betonung liegt auf ZUSÄTZLICH, denn du BIST ein Mensch und auf der Ebene brauchst du viele Hilfen, wie du sie ja auch schon suchst und bekommst.

Grüße,

Clown
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feuerfisch
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von feuerfisch »

Hai Dore

2004 bemerkte ich bei meinem ersten Klinikaufenthalt das ich gar keine Erinnerungen an meine Kindheit hatte. Bis ich ca. 17 Jahre alt war (in etwa der Zeitpunkt als ich von `Zuhause´ auszog). Ich wußte dass meine Kindheit schlimm war, kannte auch Daten, jedoch fand ich keine dazugehörigen Erinnerungen.
Aber ich wollte unbedingt da dran, da mir nun bewußt war dass ich es wissen mußte, um einen Weg zu finden mit mir selbst umzugehen.

Also suchte und fand ich zunächst eine Möglichkeit an meine Erinnerungen dran zu kommen. Es waren die Erzählungen anderer die mir das ermöglichten. In den ersten Jahren kam nur vereinzelt etwas hoch, aber mithilfe der Therapien immer mehr und ich konnte auch einzelnes bearbeiten. Jetzt bin ich bei einem Thera, der bewirkt das die Erinnerungen (für mich) unglaublich rasch aufeinander folgen. Er spricht mich über Emotionen an.

Aber dennoch fühlt es sich alles für mich wie von Ferne an. Das Kind damals....ich WEISS das ich das war, ich leugne es nicht. Aber dennoch ist es für mich als ob ich über jemand anderes erzähle, wie ein Film den ich sehe. Das bin nicht wirklich ich.

Aber trotzdem scheint es der richtige Weg für mich zu sein, auch wenn er schwer fällt. Anfang des Jahres habe ich einmal mit dem Kind gefühlt das ich war. Habe Tränen geweint vor Trauer um das Kind, um mich. Es war nur einmal, aber ich trage es wie einen Schatz, denn wenn es einmal geschah, so ist es auch öfter möglich in der Zukunft. Und so muss ich wieder meinen Thera loben, denn er führt mich näher zu dem kleinen Kind. Ich bin noch nicht ganz da, aber dies kleine Kind kommt mir näher....

Wie ist es für dich, Dore, wie nimmst du deine Vergangenheit wahr?

feuerfisch

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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von 3241 »

Hallo Dore,

schön von Dir zu hören.

Um Deine Frage zu beantworten:
"Wie habt ihr gelernt, eure Biografie, so schrecklich wie sie war/ist, anzunehmen und trotzdem hoffnungsvoll zu bleiben? Und sich nicht als Outsider zu fühlen?"

Bisher fast gar nicht.

Ich hatte u.a. Situationen in meiner Kindheit, in den ich von einem Nachbarn, na ja, wie soll ich es schreiben, "belästigt" worden bin.
Ich habe diese Szenen bis heute nicht aus dem Kopf bekommen. Ich haben den 10jährigen Mädchen vorwürfe gemacht, dass es trotzdem immer wieder Kontakt mit diesem Nachbarn hatte.
In der Psychotherapie haben wir das Thema besprochen und mir wurde klar, dass ich mit den Vorwürfen das kleine Mädchen verurteile und beschuldige, obwohl es nichts dafür konnte. Ich "durfte" einen Brief an das Mädchen schreiben.
Ich kann mich gut daran erinnern (als wäre es heute) wie emotional die Sache an mich ging, dass ich das kleine Mädchen ja war.
Meine Therapeutin hat mir den Brief langsam vorgelesen. Es war ganz komisch für mich. Ich habe es mir angehört und war sehr betroffen. Ich hatte Mitleid mit dem Kind und Trauer.
Aber ich habe nicht mehr unbedingt das Gefühl gehabt, dass ich das Kind war. Es hätte auch ein Bericht in den Nachrichten sein können...

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung wie es sein sollte, wenn man die eigene Kindheit "angenommen" und akzeptiert hat. Trotz weniger Erinnerungen ist mir schon bewusst, dass ich eine beschissene Kindheit hatte und das ich daran nichts ändern kann.
Aber ich will es nicht akzeptieren. Bei mir liegt es glaube ich daran, dass ich wie die "Anderen" sein möchte. Eine Vergangenheit/Kindheit, aus der man in der "Runde" erzählen kann wie anderen Leute es eben auch tun.
Wenn ich aus meiner Kindheit erzählten sollte, könnte ich es entweder nicht, andere Personen wären ggf. total irritiert bzw. können es nicht verstehen oder man kann sich halt überhaupt nicht erinnern.

Man hat ständig Kontakt mit Personen, die eine normalere Kindheit hatten. Da wird sich regelmäßig mit den Eltern getroffen, die auch noch das Lieblingsessen kochen, auf Geburtstagsfeiern dabei sind, sich halt echt Mühe für die erwachsenen Kinder geben. Das erzeugt dann bei mir Wut, Traurigkeit ja sogar Neid. Ich fühle mich dadurch sehr einsam und allein gelassen.

Bei mir ist es so, dass ich noch nicht mal drüber Weinen kann.
An den Grundfesten meiner Gefühle (Seele ? )
komme ich nicht ran. Derzeit mache ich (noch) Verhaltenstherapie. Ich habe diese Problematik auch angesprochen, dass mir dieses Thema eben sehr wichtig ist und ich hier noch nicht weitergekommen bin.

Leider kann mir meine Therapeutin hierbei nicht wirklich weiterhelfen, da sie als VTlerin kognitiv und vorrangig gegenwarts- und zukunftsorientiert arbeitet.
Sie will mich aber so lange begleiten, bis ich eine neue Therapie/Therapeutin gefunden habe.

Sie sieht mich in der "Gestalttherapie". Hat jeman von Euch schonmal Erfahrung mit dieser Therapieform gemacht ?
Habt Ihr ggf. noch andere Ansätze ?
Für rege Antworten bin ich dankbar.

Viele Grüsse
Niniel
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Beitrag von petzi »

Clown
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von Clown »

Petzi, grüß dich!

Du schreibst über deine Eltern:

«Sie wollten es so, sonst hätten sie es anders gemacht.»

Ich möchte dich gerne erinnern, was Thomas (schon wieder ist mir ja fast selbst ein bisschen peinlich, aber ich habe eben durch seine Postings einfach viel kapiert!) über freien Willen, Schuld und 'wach sein' geschrieben hat. Ich sehe inzwischen sowohl mein eigenes Handeln (und nicht nur das Fehlerhafte!) als auch das meiner Eltern unter diesem Blickwinkel und es macht mich frei, einerseits, und fordert mich auf, mich um mein 'Bewusstwerden' zu bemühen.

Grüße in den Süden vom Norden! (© Friedrich) Habt's ihr auch so Schietwetter?

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petzi

 

Beitrag von petzi »

Clown
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von Clown »

Hallo Petz(i),

«kannste konkreter werden»

Leider nur mit viel Mühe und Zeitaufwand, das mag ich jetzt nicht einsetzen.

Deinen Ansatz verstehe ich nun ein bisschen besser, er kommt mir sehr differenziert vor, vielleicht meinen wir sogar dasselbe, bin nicht sicher. Egal, wie gesagt, soviel Zeit möchte ich jetzt hier nicht investieren - vielleicht ergibt sich beim Wintertreffen eine Gesprächsrunde dazu? *freu*

Lieben Gruß,

Clown

PS: Den Regen schicken wir euch schon noch!
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von flora80 »

Ihr Lieben,

ich habe nur das Eingangsposting gelesen und die letzten aktuellen Beiträge. Also nicht steinigen, wenn ich auf vieles nicht eingehe. Aber trotzdem fühle ich mich gerade igendwie angesprochen, getriggert durch Petzis "Abi 200X" Geschichte.

Meine Mutter ist seit ich denken kann ein hysterisches Nervenbündel gewesen. Neurotisch, ungerecht, egozentrisch. Als Kind habe ich immer versucht, es ihr recht zu machen, ihre Anerkennung, ihren Stolz zu spüren. Aber das habe ich nie geschafft. Heute weiß ich, dass sie es einfach nicht konnte und bis jetzt nicht kann. "Gefüttert" wurde ich stattdessen mit allerlei Materiellem. Mein Vater hat sehr gut verdient, als ich Kind und Jugendliche war, so dass ich auf dieser Ebene wirklich nichts vermissen konnte. Und ganz selbstverständlich habe ich auch mit 18 mein erstes Auto bekommen. Ich hatte ein Auto, ich hatte alles, was man sich wünschen kann. Aber eigentlich wollte ich viel leiber die Anerkennung, das Lob, das Gefühl, etwas gut gemacht zu haben, etwas zu schaffen, etwas zu erreichen, meine Eltern stolz zu machen.

Bis heute habe ich aber immer das Gefühl, das alles, was ich tue und schaffe, nicht genug ist. Dass ICH nicht genug bin, dass ich keine Anerkennung verdiene, weil ich eh nie den Ansprüchen (von wem auch immer) genügen kann. Und ehrlich gesagt (und jetzt kommt der "Aufkleber Teil") wäre ich NIE auf die Idee gekommen, mir einen Abi 1999 Aufkleber auf mein Auto zu kleben. Das öffentliche zur Schau tragen eines Bildungsgrades käme mir nie in den Sinn. Nicht etwa, weil ich bescheiden wäre, sondern vielmehr, weil ich mich dafür schämen würde. Weil ich das Gefühl hätte, trotzdem NICHTS geschafft zu haben, weil ein Abi nicht reicht. Mein Bruder hat mal wörtlich zu mir gesagt: "Auf dein Abi brauchst du dich nichts einzubilden, damit hast du GAR NICHTS erreicht." Zu dem Zeitpunkt war er bereits Diplom Ingenieur. Und nun habe ich mein Studium abgeschlossen mit einem einigermaßen ordentlichen (und für die Umstände sogar guten) Staatsexamen und ich fühle mich immernoch wie ein NICHTS. Ich habe NICHTS. Weil ich ja immer noch kein zweites Staatsexamen habe. Ich bin ja immer noch nicht "fertig". Also NICHTS. Und deshalb käme ich auch niemals auf die Idee ein "Uni Dortmund" Sweatshirt zu tragen oder so. Ich würde mich dafür verachten, dabei ist es doch eigentlich etwas tolles und positives, auf etwas, das man erreichthat, stolz zu sein. Ich kann es nicht. Aber ich wünsche mir sehr, dass ich das irgendwann können werde.

Meine Eltern, vornehmlich meine psychisch kranke Mutter (was sie bis zum heutigen Tag NIE zugeben würde...), habe mich von frühester Kindheit an gelehrt, dass ich nicht "richtig", nicht gut genug bin, dass es nicht reicht, dass ich nicht perfekt genug bin. Sie haben das nicht bewusst getan, aber sie haben es getan. Und ich wünsche mir nichts mehr, als endlich einmal erleben zu dürfen, gut genug zu sein. Aber noch kann ich mir das nicht erlauben.

Flora
flora80
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von flora80 »

PS:

Nicht, dass jetzt jemand glaubt, ich würde immernoch auf die Anerkennung meiner Eltern warten: Ich weiß, dass ich das nicht bekommen werde, zumindest nicht in der Form, in der ich es als Kind gebraucht hätte. Aber ich würde mich gern einmal selbst wirklich anerkennen können, ohne immer noch irgendwo im Hinterkopf zu haben, dass das sicher einen Haken hat. Ich kann es nicht. Zumindest noch nicht ganz. Einiges kann ich mittlerweile sehen, anderes fällt mir schwer.

Grüße, Flora
dore
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von dore »

Hallo zusammen,

schön, dass hier noch mitgelesen wird und neue Beiträge kommen, das hat zumindest mir persönlich schon etwas geholfen, immer wieder zu sehen, dass ich mit dem Schicksal nicht die Einzige bin... (das wusste ich auch schon vorher, aber gefühlsmäßig ist das ja alles nicht so einfach, wie Ihr wisst...)

@feuerfisch

Deine Worte haben mich sehr berührt. Ich weiß nicht, wie ich meine Vergangenheit wahrnehme, vielleicht als beängstigendes Dunkel irgendwo in der Erinnerung. Aber auch manchmal schöne Erinnerungen, meistens so Kinkerlitzchen, aber trotzdem. Ich bin froh über jede noch so kleine schöne Erinnerung aus meiner Kindheit.
Ich kenne das, kaum Erinnerungen an die eigene Kindheit zu haben. Mir war bis vor 2 Jahren gar nicht bewusst, wie wenig Erinnerung da ist (so bis 12 Jahre etwa) und vor allem, dass das nicht normal ist!!!!
Ich habe eine teilweise Amnesie laut Therapeuten, ich finde das schlimm. Ja, und mithilfe der Therapie komme ich auch dem damaligen Kind episodisch näher, also sozusagen in Durchbrüchen, und das ist dann ziemlich schlimm und fühlt sich sehr verzweifelt an.
Bei mir geht die "Erinnerung" auch den Weg über die emotionalen Erinnerungen, die dann hochkommen und die ich oft nicht einordnen kann. Oft weine ich dann und schaue mir dabei zu (bildlich gemeint), ich weiß dann oft nicht, was mit mir los ist. Ein seltsames Gefühl. Ich weiß auch, dass es meine Kindheit ist etc., aber das mit dem Film schauen ist bei mir ganz genauso.- als ob es nicht ganz mich betrifft, etwas Trauriges ist, dass ich einmal gesehen habe. Und wenn dann "rauskommt", dass es doch ICH war und bin, dann ist Polen offen, wie man so schön sagt. Leider sind das nur bishe rgefühlsmäßige Momentaufnahmen, die kurz anhalten und dann ist alles wieder wie vorher. Ich hoffe auch sehr, diesen Nebel immer öfter und nachhaltiger durchbrechen zu können. Aber das muss portionsweise passieren, weil es sonst viel zu schmerzhaft ist und ja auch viel Kraft kostet. Käme alles auf einmal hoch, würde ich, glaube ich, zusammenbrechen. Und um genau das zu verhindern, hat die Seele ja damals auch alles abgespalten. Furchtbar... ich wusste bis vor kurzer Zeit gar nicht, dass Depersonalisation, also Entfremdungsgefühle gegenüber sich selbst, Spiegelbild, Körper etc. und Derealisation typische Symptome für ein Trauma bzw. einer Posttraumatischen Belastungsstörung sind. Sie sind die körperlichen und seelischen "Beweise" dafür, dass in meiner Vergangenheit irgendwas Schlimmes passiert ist. Das muss ich mir immer wieder vor Augen halten....ich hoffe, dass ich irgendwann das Kind von damals in meine Persönlichkeit integrieren kann und akzeptiere, dass es so war, wie es war.

@ niniel
Wenn du es bisher auch kaum annehmen konntest, und so habe ich es verstanden, geht es dir ja auch so wie mir.
Genau, du hast es auf den Kopf getroffen, es ist Neid und Trauer, die hochkommt, nicht so zu sein wie die Anderen, Denn heute leidet man ja auch noch unter der Geschichte, indem man eben keine Familie hat etc. Genau das ist wirklich schlimm, ich finde es immer traurig, mitzubekommen, wie es auch heute als Erwachsene normal wäre, mit Mutter shoppen zu gehen, die Eltern Weihnachten zu besuchen etc. Übrigens ist Weihnachten bei mir auch ein ganz heikles Thema, ich bin ein großer Weihnachtsfan und habe diesbzgl. in der Kindheit viel Schlimmes erlebt. Ja, Familie ist mir wichtig, und heutzutage habe ich kaum jemanden, mein vater ist ganz weit weg und interesisiert sich kaum für mich, besucht habe ich ihn das letzte Mal vor 4 Jahren. Mein Bruder hat auch psychisch schwer einen weg mittlerweile und hat sich von mir losgesagt. Mit der Familie meiner Mutter hab ich gar nichts mehr zu tun.
Ich fühl mich heute auch wieder allein gelassen und einsam, trotz Partnerschaft. Familie ist ja doch noch was anderes.Vielleicht sehe ich das auch zu eng, ich weiß es nicht.
Mir fehlt eine "normale" Familie heute immer noch sehr, dass sie mir als Kind damals gefehlt hat, brauch ich bestimmt nicht zu betonen.
Ich wollte immer eine normale Familie haben, wo es Mittagessen gab und Rituale und Zusammenhalt und vor allem Wärme und so weiter. Ich musste schon als 8-jährige verantwortungsbewusst und "vernünftig" sein und mich um mich selbst kümmern. Später mussten wir vor Gericht aussagen, damit nicht unsere psychotische Mutter, die heftig intigrierte, das Sorgerecht bekam, sondern unser Vater. Und das als 11-Jährige.
Ergo hatte ich kaum eine Kindheit im eigtl. Sinne, kaum unbeschwerte Momente und Entspannung oder Freude. Und das wird mir erst heute, mit 32, so halbwegs bewusst. Und es tut so weh, weil man es nie wieder haben wird, die Chance, eine Kindheit zu haben, nie zu wissen, wie es hätte sein können. Nie die Chance, feste Grundpfeiler für eine stabile Persönlichkeitsentwicklung und Vertrauen in die Welt zu bekommen.
Und zu wissen, schwerste Narben davongetragen zu haben, die mich immer begleiten werden, mal mehr, mal weniger schlimm. Aber geprägt bin ich, und dieses Stigma werde ich nicht ändern können, und ich kann es noch nicht annehmen. Ich will immer noch so tun, als wäre ich "normal". Ich erzähl heute oft noch Kollegen o.ä. von meinen "Eltern", obwohl es die gar nicht gibt.
Das mit dem drüber weinen können kommt noch, das konnte ich auch das erste Mal mit knapp 30 Jahren vor 2 Jahren mithilfe der Therapie. Dass es einen selbst irgendwie emotional berührt, ist der erste, wichtige Schritt raus aus der Ferne.

Mir hätte eine VT wohl auch nur bedingt geholfen, ich hab bisher eine tiefenpsychologische Therapie gemacht, die mich schließlich auf diesen Weg brachte.


@flora
Das mit der Anerkennung und dem schlechten Selbstbild kenne ich auch, die Handschrift der Eltern, sozusagen, die einem dieses Mist eingebläut haben, begleitet einen heute immer noch. Auch mein Thema das ganze....


Ich hoffe, dass wir hier noch weiterlesen und schreiben werden und dass es in dem einen oder anderem etwas bewegt, ich grüße ganz lieb,
dore



Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.

-Immanuel Kant-
Dido
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von Dido »

Hallo alle zusammen
dann will ich mich auch mal einreihen bei jenen, die psychisch kranke Eltern hatten.
Mein Vater ist, immernoch, Alkoholkrank. Er trinkt jeden Abend sehr viel und hat das schon an mir "ausgelassen" (nur verbal, was aber schon reichte) als ich in die Grundschule ging (er wird dann sehr aggressiv). Er hat mich zu dieser Zeit auch öfter mal einfach vergessen. Ich stand da und niemand kam. Der "Höhepunkt" dieser Auseinandersetzungen wurde wohl an meinem 13./14. Lebensjahr erreicht. Ich habe mir damals selbst weh getan (physisch), da diese Wut und Verzweiflung in mir war und ich niemanden hatte. Meine Mutter hat sich auf seine Seite gestellt. Ich kann mir das nu so erklären, dass sie froh darüber war, nicht selbst das Ziel zu sein. Dazu kam, dass sie auch auf der Arbeit gemobbt wurde und mit sich selbst wohl genug zu tun hatte. Daneben gab es dann auch noch meinen (mittlerweile verstorbenen) herrschsüchtigen Opa, der meinen Vater und meine Mutter tyrannisierte. Ich wurde damals nur nach Schulleistungen "gemessen", weshalb ich mir heute wohl selbst viel Druck mache. Ich musste damals schnell erkennen, dass ich von niemandem Hilfe erwarten konnte - außer mir selbst. Das lässt einen schneller altern und nimmt die Kindheit. Ich war also nie "normal". Glücklicherweise lernte ich damals jemanden mit ähnlichen Interessen kennen, mit dem ich auch reden konnte. Er ist mein bester Freund geworden. Aber allein war ich auf eine Weise dennoch, da ich zu Hause das "schwarze Schaf" war und alles auf mich abgeladen wurde. Meine Eltern mochten auch damals, natürlich, meinen älteren Bruder viel lieber als mich, weshalb es auch heute manchmal noch zu Streitigkeiten kommt, da ich immer denke, ich werde benachteiligt, auch wenn das vllt gar nicht (mehr) so ist. Ich muss aber sagen, dass ich meinen Eltern mittlerweile verziehen habe. Sie sind nur Menschen. Ich habe mir damals eine Menge Gedanken zur Erziehung gemacht und mir geschworen, was ich nie tun werde. Ich hatte die "perfekte" Erziehung in meinem Kopf und wie Erwachsene sein sollten, bis mir ein paar Jahre später aufgegangen ist, dass auch Erwachsene nur Menschen und keine Über-Menschen sind. Das macht es für mich nicht weniger schrecklich, was geschehen ist. Wie hätte ich das erkennen sollen, als ich so jung war? Ich war 12, 13, Emotional total in die Situation verstrickt und dadurch sowieso unbeholfen, nicht nur durch mein Alter. Das heißt, es hat mir natürlich sehr geschadet, wobei ich nicht weiß, ob mich eine frühere Erkenntnis dessen den Schaden gelindert hätte. Ich glaube, ich erinnere mich so ziemlich an alles, was damals passierte, bin mir aber nicht sicher (ich mein, woher soll ich wissen, was ich vergessen habe, wenn ich es vergessen habe?). Ich vermute, dass das daran liegt, dass ich damals schon die Situation und die Menschen in meiner Umgebung akribisch zu analysieren versucht, dass ich nicht daran zerbreche. Ich habe versucht zu verstehen und analytisches Denken, sich dem stellen, es verstehen, sah ich als meinen Ausweg. Es ist noch heute das, was ich (meiner Meinung nach) am besten kann und es hat mir gute Dienste geleistet. Ich kann mich wie ein Chameleon anpassen etc. jedoch hätte ich das nicht erst lernen müssen, wäre ich nie krank gewesen. Diese bittere Pille meiner Kindheit, die wohl die Weichen für mein depressives Leben gestellt hat, muss ich jetzt wieder schlucken. Es ist mir durch einen Rückfall im Moment unmöglich zur Schule zu gehen. Am Montag werde ich es versuchen, aber mal sehen. Ich hab mir aufgrund meiner "Fähigkeiten", die ich durch das damals geschehene erworben habe, einen Beruf ausgesucht, der genau das erfordert, was ich (meiner Meinung nach) kann. Aber dazu muss ich studieren. Zum Studium braucht man ein Abitur. Ich kann im Moment aber nicht in die Schule. Das lässt mich sehr verzweifeln und mich fragen, ob ich meine Vergangenheit je wirklich abstreifen kann; ich weiß es nicht.
Liebe Grüße
D
My tears have gone cold, I'm wondering why got out of bed at all; Morning rain clouds up my window and I can't see at all but even if I could it would all be grey.
Dido
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von Dido »

Ohje, entschuldigung für diesen Text komplett ohne Absätze. Da bekommt man ja Augenschmerzen beim Lesen =/
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3241
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von 3241 »

Hallo Dido,

ja, wie soll man schreiben: "herzlich willkommen". Eigentlich wäre es ja schöner, Dich hier nicht "herzlich willkommen" heißen zu müssen.
Aber leider war Dir ja eine schöne normale Kindheit ebenfalls nicht vergönnt. Also doch herzlich willkommen hier im Thread von dore.

Das Lesen ist kein Problem....

Im diesem Thread haben wir ja alle ähnliche Erfahrungen sammeln dürfen, aber noch vielmehr ähneln unsere Reaktionen darauf. Das finde ich immer noch sehr erstaunlich, man ist überhaupt nicht alleine und man kann viel mehr verstehen und sich verstanden fühlen.

Was mir an Deinem Beitrag aufgefallen ist, Du hast durch diese Erlebnisse eine sehr hohe Anpassungsfähigkeit gewonnen. Ich finde es gut, dass Du diese Eigenschaften erkannt, als positi bewertet hast und auch für deine Zukunft nutzt (auch wenn es immer mal wieder Tiefen gibt, aber danach geht es auch wieder bergauf, halte durch !).

Ich durfte in meiner Therapie mal meine positiven Eigenschaften erarbeiten. Gute Anpassungsfähigkeit war auch dabei. Klar, immer schön unauffällig bleiben wenn man tyrannisiert wird (bei mir war es in der Schule und meine Mutter konnte mir keinen Schutz bieten, da sie selbst betroffene war und nicht ernst genommen wurde). Immer schön mitschwimmen im Strom. Und heute will ich ja gar nicht mehr anders sein. Also kann man sich sehr gut anpassen, auch wenn man nicht so ist.

Und noch eines ist mir deutlich geworden.
Ich bin als Einzelkind bei meiner depressiven Mutter aufgewachsen, recht isoliert ohne soziale Kontakte. Ich stand also alleine da mit den Problemen, Ängsten etc. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn noch Geschwister und ein weiterer Elternteil dagewesen wäre, der nicht zu einem steht. Dies stelle ich mir noch viel schlimmer vor. Bisher habe ich immer gedacht, das wenn noch jemand da ist, Ängste etc. besser hätten durchgestanden werden können. Das setzt natürlich voraus, der Der- Diejenige auf deiner Seite ist. Hmm...

Außerdem finde ich es fantastisch, dass Du deinen Eltern bereits verziehen hast. Da bist du schon sehr weit.
Ich habe inzwischen Verständnis für meine Mutter entwickelt. Aber verzeihen.....

Ach ja, vielleicht sieht man sich ja mal in der Frankfurter Runde (siehe anderen Thread). Wollte schon 2x dabei sein, hat bisher noch nicht geklappt.

Gruß Niniel
Es ist Zeit, mein Schatz es ist Zeit,

zu gehen und zu schweben

Zeit, mein Herz es ist Zeit,

zu sehen und zu leben

(Auszug Songtext "Auf zum Mond" UH)
Dido
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von Dido »

Hallo Niniel
Ich weiß nicht, was schlimmer ist - allein zu sein oder noch mehr Menschen "gegen" sich zu haben oder solche, die zusehen.
Ich denke, es ist beides gleich schlimm.
Man ist ja sozusagen seine eigene Maxime.
Ich kann nicht durch die Augen anderer sehn/fühlen, d.h. das Päckchen, das ich trage, kann auf andere kleiner scheinen als das, welches ein anderer trägt. Aber es kann für mich trotzdem genauso schwer wiegen.
Man kann Leid ja auch nicht in einem Messbecher messen.
Und man muss seinen Eltern auch nich verzeihen. Ich brauche sie im Moment und sie löffeln mit mir die Suppe aus, die sie mir eingebrockt haben.
Gut, das war nicht der Grund, aus dem ich ihnen verziehen habe, das war eher eine rationale Entscheidung, aber man hat auch das gute Recht, weiterhin verletzt zu sein.
Verständnis entwickeln hilft einem beim Verarbeiten des Vergangenen, aber so wie deine Mutter das "Recht" hatte so depressiv zu sein und dich allein zu lassen, so hast du jetzt das gute Recht, sie zwar zu verstehen, ihr aber nicht zu vergeben.
Ja, ich kann mich wahrscheinlich ganz gut anpassen, aber im Moment bin ich mir dessen sehr unsicher.
Ich seh mich mit vielen neuen Menschen konfrontiert und bin einfach eine nicht genug gefestigte Persönlichkeit, um das auszuhalten. Im Moment.
Ich denke auch darüber nach, nicht evtl. einige Wochen eine Klinik zu besuchen, in der ich auch Unterricht bekomme.
Ich muss ein Selbstbewusstsein entwickeln, das mich über meine Selbstzweifel auch mal erhaben sein lässt. Mein Selbstbild ist nämlich äußerst kritisch.
Was manch einer vielleicht nicht macht, mache ich zu extrem - ich hinterfrage mich und mein Verhalten ständig und setze mich enormem Druck aus.
Ich wünsch dir ganz viel Kraft, die man braucht um an seinen eigenen großen und kleinen Baustellen zu arbeiten.
Liebe Grüße
D
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3241
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Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von 3241 »

Hallo Dido,

oh, ich habe sehr lange gebraucht für eine Antwort.

"Ich weiß nicht, was schlimmer ist - allein zu sein oder noch mehr Menschen "gegen" sich zu haben oder solche, die zusehen.
Ich denke, es ist beides gleich schlimm.
Man ist ja sozusagen seine eigene Maxime."


Ja, da hast Du wohl recht. Jeder kann nur sein eigenes Päckchen tragen und dessen Größe bemessen. Ein Vergleich ist nicht möglich und unsinnig. Aber dennoch hat es mir eine neue Sicht der Dinge gegeben, die sogar einen positiven Anklang bei mir hat.

"Und man muss seinen Eltern auch nich verzeihen."

Nein, muß man nicht. Dennoch bedeutet "Verzeihen" für mich auch "abzuschließen" um einen Neuanfang starten zu können. So lange ich nicht vergeben kann, erscheint mir ein Abschluss der Thematik "Mutter" als Teil meiner Vergangenheit unmöglich.

Das Selbstbild. Da kann ich nur sagen, ich kann gut schauspielern. Da hilft mir meine Panzerschicht. Trotzdem arbeite ich natürlich dran. Und das funktioniert inzwischen ganz gut, was sicherlich damit zu tun hat, dass es mir in den letzten Wochen recht gut geht und ich auch Erfolgserlebnisse genießen durfte.

Auf jeden Fall wünsche ich Dir auch viel Kraft, Mut und Ausdauer.

Liebe Grüße
Niniel
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dore
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Registriert: 15. Mär 2006, 11:29

Re: Kindheit mit psychisch kranken Eltern - jemand ähnliches erlebt?

Beitrag von dore »

Hallo an alle noch Mitlesenden und Schreibenden hier!

Jetzt so in der Vorweihnachtszeit habe ich zwei Dinge, die mich belasten und hier mal loswerden möchte. Vielleicht kennt jemand die Gefühle und Probleme hier auch in einer ähnlichen Art und Weise...

Zunächst noch kurz zum letzten Beitrag von niniel:
Das mit dem Verzeihen ist meiner Meinung nach so eine Sache. Natürlich können die psychisch kranken Eltern nichts für ihre Krankheit und so, aber was man als Kind erfahren hat, ist paradoxerweise trotzdem schmerzhaft und schwer zu verzeihen. Eigentlich hat ja niemand "Schuld" an dem Ganzen.
Vielleicht kann man dem kranken Elternteil eher verzeihen als den Gesunden, die es mitangesehen haben und nicht geholfen haben. In meinem Fall gibt es da einige Familienmitglieder, allen voran mein werter Herr Vater, denen ich das nicht werde verzeihen können, dass sie zugeschaut und mich nicht herausgeholt haben. Denn im Gegensatz zum psyisch kranken Elternteil waren sie noch in der Realität und nicht unzurechnungsfähig. Das sind meine Gedanken noch zu diesem Thema, sehr bitter, und vielleicht ebbt das in ferner Zukunft irgendwann ab, wenn die Trauer nachlässt und ich meine Biografie mehr akzeptieren kann als heute. Aber momentan steht die Wut noch ganz weit oben und an Verzeihen ist nicht zu denken.

Das, was ich hier aber ursprünglich kurz ansprechen wollte, sind zwei Sachen:

Zum Einen: ....gerade heraus: wie beziehungsfähig seid Ihr, also welche Probleme habt Ihr mit Beziehungen und in Euren Beziehungen?
Ich erlebe immer wieder, wie mein Mißtrauen alles immer wieder ins Schwanken bringt und andererseits ich auch keine wirkliche Nähe zulassen kann und will. Das belastet meine Beziehung mehr und mehr.
Also, wie liebesfähig seid Ihr geworden? Das ist sehr privat, aber vielleicht gibt es ja doch noch jemanden,der mir hierzu etwas schreiben mag.

Und zweitens:
Wie erlebt Ihr die Weihnachtszeit? Bei mir ist es so, dass gerade jetzt mir schmerzlich bewusst wird, dass ich nur eine kaputte, eigtl. nicht existente Familie habe, und ich mir so sehr eine wünsche bzw. gewünscht hätte. Vor allem als Kind!
Ich bin total empfindlich und harmoniesüchtig an Weihnachten und werde dann äußerst melancholisch und rührselig.
Es ist jedes Jahr das gleiche, und ich muss jedes Jahr dann dauernd weinen und kann mich nicht damit abfinden, dass ich nunmal allein dastehe, von meinem Freund mal abgesehen. Alle anderen haben irgendwie Familien, und natürlich sehe ich jetzt v.a. die "idyllischen" und "heilen" Familien, die grenzenlosen Neid und grenzenlose Trauer in mir hervorrufen.
Wie geht es euch damit und wie geht ihr damit um?

Würde mich freuen, nochmal von dem einen oder andern hier zu lesen!

Liebe Grüße,
dore



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