Frage an Depri-"Erfahrene"

Antworten
SP2
Beiträge: 159
Registriert: 11. Sep 2008, 14:51

Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von SP2 »

Hallo

Ich habe wahrscheinlich schon seit meines Lebens eine Depression. Jetzt wurde sie diagnostiziert (schwere rezidivierende Depression mit erheblicher Somatisierung) und entsprechend stationär, therapeutisch und medikamentös behandelt. Ich stecke sozusagen mittendrin in meiner - nach Therapieergebnissen zufolge - dritten schweren Episode.

Ich nehme täglich 225mg Trevilor, abends Neuroleptika und - noch - Tavor. Meine Tage krieg ich mittlerweile ganz gut hin, ich habe viel an meinem Leben geändert und die Klinik hat mir unheimlich viel gebracht. Im Nachhinein kann ich gut sagen sie war lebensnnotwendig für mich!!!

Nun meine Frage an euch Erfahrene:

..merkt man das, wenn die Depression vorbei ist??
..wie kann ich sicher sein, dass es nicht nur die hohe Medikation ist??
..wann versucht man Medis mit dem Arzt zu reduzieren??
..ist so eine Phase irgendwann mal ganz vorbei oder kann man auch dauerhaft depressiv bleiben??
..nimmt man die Medis vorsichtshalber sein ganzes Leben lang, um keinen Rückfall zu bekommen??


Wäre um ein paar Ratschläge dankbar. Stehe ja noch ganz am Anfang meines Wissen..
______________________________

"Der Gesunde hat tausend Wünsche. Der Kranke nur einen einzigen: ..wieder gesund zu werden."
flocke
Beiträge: 3603
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von flocke »

Also ich kann nur von mir ausgehen und da ist es so... dass ich es nicht direkt merke, es ist eher so schleichend, aber manchmal auch "überraschend".

Irgendwass "stimmt nicht" ist "anders"...dann wiederum merke ich, wie ich ganz selbstverständlich draussen unterwegs bin und einfach mal lächle...

Wenn ich es dann merke, überlege ich wie lange das schon ist und dann kann es schon mal sein dass ich erkenne, dass es schon etwas länger so ist (ein paar Tage, manchmal Wochen), dass es "besser" ist...


Wenn es besser ist, kannst du runterdosieren.. musst aber darauf achten, wie es dir geht... vielleicht kommst du ganz ohne aus...

Wichtig ist auf sich zu achten, nicht zu warten bis man wieder ganz unten ist, sondern früheitig durch Sport, oder ähnliches oder aber eben auch durch unterstützende Medis einschreiten...

Was meinst du mit "dauerhaft"

Es gibt eine chromische Form der Depri, die dann immer da ist... aber Depriphasen selber können auch sehr laang sein...


ich hoffe das hat ein wenig geholfen...


Flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
ANOVA
Beiträge: 1137
Registriert: 22. Jul 2006, 21:27

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von ANOVA »

Hallo Goldstück,

>..merkt man das, wenn die Depression vorbei ist??

Da geht es mir wie Flocke, auch bei mir ist es nicht so, dass ich eines morgens aufwache und nicht mehr depressiv bin. Ich merke es irgendwann daran, dass mir die Welt wieder lebendiger erscheint, dass ich unbeschwerter durch den Tag gehe und nicht mehr überall Negatives sehe. Ich glaube, man merkt es an Kleinigkeiten, z.B. wenn man etwas Alltägliches wieder wirklich schön finden kann.

>..wie kann ich sicher sein, dass es nicht nur die hohe Medikation ist??

Medikamente allein bringen einen nicht aus der Depression, sie können allenfalls den Prozess etwas beschleunigen.

>..wann versucht man Medis mit dem Arzt zu reduzieren??

Das kommt darauf an, wie viele depressive Phasen Du schon in der Vergangenheit hattest; je mehr Phasen, desto länger sollte man ADs nehmen. Als Faustregel gilt, dass man nach Abklingen der Depression die Medis noch ein halbes oder ganzes Jahr mindestens weiter nehmen sollte.

>..ist so eine Phase irgendwann mal ganz vorbei oder kann man auch dauerhaft depressiv bleiben??

Ich kann nur für mich sprechen: Bei mir ist es so, dass die schweren depressiven Phasen definitiv ein Anfang und ein Ende hatten. Jedoch ging es mir lange Zeit auch zwischen den Phasen nicht wirklich gut, was jedoch m.E. hauptsächlich daran lag, dass ich keinen Sinn für mein Leben hatte. Seit ich diesen Sinn wieder gefunden habe, geht es mir meistens gut, eine wirklich depressive Phase, die länger als zwei Wochen ging, hatte ich seither nicht mehr. Was allerdings keinesfalls heißt, dass ich dauernd glücklich bin.

>..nimmt man die Medis vorsichtshalber sein ganzes Leben lang, um keinen Rückfall zu bekommen??

Das kommt ganz darauf an, wenn Du viele Phasen hattest, dann könnte es angesagt sein... Bei mir ist es z.B. so, dass ich die ADs vermutlich mein Leben lang nehmen soll. Ich bin jetzt zwar seit vier Jahren depressionsfrei, aber habe dermaßen viel Respekt vor der Depression, dass ich die ADs weiter nehme. Das macht mir auch nichts aus, ich habe keine Langzeitnebenwirkungen, meine Blutwerte sind gut und vor allem geht es mir gut.

Ich persönlich finde es echt nicht „schwach“ oder sonst wie schlimm, Medis zu nehmen. Mir ist ein lebenswertes Leben wichtiger.

Gruß
Xenia
lt.cable
Beiträge: 562
Registriert: 5. Mär 2008, 20:55
Kontaktdaten:

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von lt.cable »

Hallo Goldstück !

An erster Stelle meine wichtigste Erfahrung: Diese Krankheit hat immer einen individuellen Anteil, bei dem man selbst lernen muss, wie man damit umzugehen hat. Patentlösungen, die bei allen Betroffenen zu 100% funktionieren, gibt es meiner Meinung nach nicht, auch wenn zugestanden werden muss, dass sich bestimmte Maßnahmen (mehr oder weniger) bewährt haben.

Ich merke sowohl den Anfang als auch das Ende einer depressiven Episode. Beide bemerke ich, wenn ich nicht aufmerksam genug bin, eher schleppend, aber daran arbeite ich aktuell. Zu Beginn stelle ich einfach bestimmte Symptome fest (z.B.: Früherwachen; körperliche Unruhe, durch die ich die Tage kaum aushalten kann; starke Appetitlosigkeit; negative Sichtweise) und das Ende ist einfach dann erreicht, wenn diese Symptome wieder nachlassen bzw. verschwinden.
Meine Episoden oder Phasen waren (bisher) irgendwann vorbei und ich fühlte mich danach zumindest wieder wie vor dem Absturz, ohne dass mein Normalzustand besonders rühmlich wäre. Aktuell würde ich meine jüngste Episode für eindeutig beendet erklären, aber ich spüre bis heute noch Negativ-Ausläufer und kann z.B. nicht sagen, ob meine Medikation vielleicht weitere schwächere Episödchen in der Zwischenzeit maskiert hat. Ich kann immer noch sehr schwer entspannen und zwischen hundemüde und glockenwach im Kopf gibt es bei mir nicht viel. Ich vermisse es ganz stark, mich wie ein normaler Mensch über den Tag auszupowern und dann abends mit einer natürlichen Bettschwere einzunicken; ich lege mich einfach nur hin, weil es irgendwann Zeit dafür ist. Diese natürliche Selbstregulation der körpereigenen Bedürfnisse funktioniert irgendwie noch nicht so gut.
Über eine Reduktion der Medikamente denke ich momentan noch nicht nach, auch wenn mir klar ist, dass ich sie nach Möglichkeit nicht dauerhaft einnehmen möchte. Meine Fachärztin, die beharrlich behauptet, die Medikation bügele mich gefühlsmäßig nicht noch mehr platt, sagt an diesem Punkt einfach nicht die Wahrheit. Die Tabletten vermeiden die extremen Ausschläge der Stimmungskurve nach unten, aber sie kappen gleichzeitig auch die positiven Ausschläge nach oben zu sehr - zumindest für mich und meinen Geschmack. Diese willkommenen Krücken unterstützen mich in schlechten Zeiten und dafür bin ich auch dankbar, aber sie werden mich in der Regel - so auch die Meinung meiner Stationsärztin (nicht mit der aktuellen Fachärztin identisch) - bei der Bearbeitung meiner Probleme und Änderung schädlicher Lebensumstände hemmen bis behindern. Dieser spezielle Punkt ist sehr umstritten und es gibt sowohl für Befürwortung als auch Kritik viele Stimmen. Man einer sagt eben auch, dass es in bestimmten Fällen erst mit Medikamenten so richtig an die Bearbeitung der Probleme gehen kann. Ich kann hier nur festhalten, dass ich eher die kritische Sicht meiner Stationsärztin teile und beim unkritischen Duktus der anderen Fachärztin eher vorsichtig bin.
Für mich findet ein lebenswertes Leben - so weit wie möglich ! - ohne Medikamente statt. Ich teile eine Kritik, die ich kürzlich gelesen habe und die monierte, dass es aktuell in der Schulmedizin primär nur um die Verhinderung von Rückfällen und nicht um die Erreichung bestmöglicher seelischer Gesundheit geht. Ich hoffe, dass ich in dieser Hinsicht noch lange ein (im positiven Sinne) kritischer und unangenehmer Patient sein kann. Und ein Stück weit - so denke ich - habe ich das eben auch selbst in der Hand, womit wir den Bogen zum Anfang meines Beitrages und zur Gestaltungspflicht des Einzelnen für das eigene Leben schlagen.

Es grüßt
lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
DepriXX
Beiträge: 1498
Registriert: 5. Feb 2004, 10:57

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von DepriXX »

wenn es mir gutgeht, ich mich gut fühle, dann bin ich nicht mehr depressiv.
--

liebe grüße

.::. DepriXX .::.



manu37
Beiträge: 9
Registriert: 9. Okt 2008, 12:53

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von manu37 »

Hallo Goldstück,also ich kann von mir aus sagen,das ich die Medis wohl mein ganzes Leben nehmen werde,und das auch voll akzeptiere.Ein Diabetiker u.s.w.müssen doch auch ihr Leben lang Medis nehmen..da ist das wieder selbstverständlich.Nur beim Tavor würde ich einbischen aufpassen,da ich da mal abhängig von war..lg manu
BeAk

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von BeAk »

Hallo Goldstück,

ich habe auch eine rezidivierende Depression und eine Dysthymie (=chronische Depression) und eine PS. Meine letzte schwerdepressive Episode liegt 3 Jahre zurück. Ich nehme schon seit über 2 Jahren kein AD mehr, dafür aber ein pflanzliches Präparat. Wenn ich dieses nur wenige Tage absetze, kommen die Symptome der Dysthymie wieder zum Vorschein.
Ich werde mein Medikament wohl mein Leben lang einnehmen, habe ich beschlossen.
Und mit dieser Entscheidung fühle ich mich wohl.
ANOVA
Beiträge: 1137
Registriert: 22. Jul 2006, 21:27

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von ANOVA »

Hallo Lt. Cable,

> Diese willkommenen Krücken unterstützen mich in schlechten Zeiten und dafür bin ich auch dankbar, aber sie werden mich in der Regel - so auch die Meinung meiner Stationsärztin (nicht mit der aktuellen Fachärztin identisch) - bei der Bearbeitung meiner Probleme und Änderung schädlicher Lebensumstände hemmen bis behindern.

Wie begründet die Ärztin denn, dass ADs hemmend oder sogar hindernd wirken?

>Ich teile eine Kritik, die ich kürzlich gelesen habe und die monierte, dass es aktuell in der Schulmedizin primär nur um die Verhinderung von Rückfällen und nicht um die Erreichung bestmöglicher seelischer Gesundheit geht.

Hmm, also wenn Du unter ‚Schulmedizin’ ausschließlich Pharmakotherapie meinst, gebe ich Dir recht. Mehr als Verhinderung von Rückfällen bzw. eine Hilfe, um aus der akuten Depression rauszukommen, können Medikamente nicht leisten. Darüber herrscht jedoch – soweit ich weiß – inzwischen Konsens. Was die Erreichung bestmöglicher seelischer Gesundheit betrifft, so ist wohl Psychotherapie, evtl. kombiniert mit pharmakotherapeutischer Behandlung, zur Zeit Mittel der Wahl. Und es werden hier durchaus sehr gute Erfolge erzielt.

>Ich hoffe, dass ich in dieser Hinsicht noch lange ein (im positiven Sinne) kritischer und unangenehmer Patient sein kann.

Ich halte mich auch für einen kritischen und mitunter unangenehmen Patienten in Deinem Sinne. Jedoch musste ich nach x schweren depressiven Phasen und ‚verlorener’ Lebenszeit (allein insgesamt über 24 Monate stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie) einfach einsehen, dass mir (!) die ADs helfen, gesund zu bleiben. Absetzversuche in der Vergangenheit brachten halt leider eine Stimmungsverschlechterung mit sich, auf die ich extrem gut verzichten kann.

Gruß
Xenia
lt.cable
Beiträge: 562
Registriert: 5. Mär 2008, 20:55
Kontaktdaten:

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von lt.cable »

Hallo Xenia !

Ich möchte das auch ganz klar so verstanden wissen, dass ich nur über meine Erfahrungen und meine Meinung berichte. Über Details zur eigenen Behandlung und Medikation sollte bestenfalls mit Fachleuten beraten und dabei ausgelotet werden, wie viel Verantwortung man bei eventuellen Veränderungen übernehmen kann und will.

Deine Frage zur Hemmwirkung der Medikamente lässt sich gut beantworten, wenn ich auf die Angstgruppe meiner Stationsärztin und einer ihrer Kolleginnen Bezug nehme. Platt gesagt: Wenn ich meinen Ängsten oder schwierigen Situationen immer durch Pillen entfliehe, kann ich schwer auf einer realistischen Basis an ihnen arbeiten. Als absolute Krisenintervention sind Medikamente ggf. absolut notwendig, aber viele Mitpatienten haben sich spürbar zu sehr auf ihre Pillen verlassen. Auf mich persönlich bezogen kann ich ergänzen, dass meine Erfahrung mir eben zeigt, wie Medikamente meine Zeigerausschläge (positiv wie negativ) spürbar begrenzen und mir zudem weit weniger Anreiz geben, etwas an schädlichen Lebensumständen zu ändern.
Mein Hinweis auf die Schulmedizin bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf die Pharmakotherapie, sondern auf eine grundsätzliche Einstellung, die ich - ebenfalls aus meiner bisherigen Erfahrung - bei Ärzten und in Kliniken auszumachen meine. Mein Hausarzt ist der Einzige, der sich diese ganze letzte Krise hindurch regelmäßig Zeit für auch längere Gespräche genommen hat. Bei ihm habe ich den Eindruck, dass er an meinem inhaltlichen Fortschritt interessiert ist, weil er mir - fast wie in einer Art Gesprächstherapie - immer wieder wertvolle Denkanstöße für wichtige Umbaumaßnahmen auf dem Weg in ein gutes Leben liefert. Das habe ich bei Fachärzten und auch meiner letzten Therapeutin doch sehr vermisst. Da gab es zu oft nur die beiden Programmpunkte: Funktionsfähigkeit wiederherstellen und (baldige bzw. unmittelbare) Rückfälle verhindern. Und das gepaart mit einem für meinen Geschmack sehr unkritischen Umgang mit Medikamenten. Hier bleibt allerdings anzumerken, dass sich ein wirkliches Trauma aus meiner Vergangenheit unmittelbar an Medikamente und ihre Wirkungen und unerwünschten Nebenwirkungen knüpft. Es ist sicher so, dass dies zu einer größeren Vorsicht vor Pillen geführt hat.
Mich stützen die ADs, aber gesund gemacht haben sie mich nicht. Vielleicht habe ich einfach noch nicht die richtige Pille gefunden, aber ich möchte ohne zwingenden Grund auch gar keine Suche mit Nebenwirkungs-Horror starten. Vielleicht habe ich den Vorteil, dass ich nicht so dauerhaft und schwer erkrankt bin, dass ich es mir noch aussuchen kann. Ich beneide niemanden, der keine große Wahl mehr hat. Allerdings beneide ich schon ein bisschen die Menschen, die sich durch ihre Medikation gesund fühlen. Ich - so habe ich jedenfalls das Gefühl - bin über diesen Punkt längst hinaus, weil ich - auch durch Gesprächstherapie - schon zu sehr diesen analytischen Meta-Blick auf mein Leben habe. Ich kann der potenziellen Wunderpille, mit der ich dann wieder sanft ins normale Leben zurück gleite, keinen Glauben mehr schenken, was aber nicht heißt, dass ich irgendwie verloren bin. Momentan habe ich eher das Gefühl, zunehmend kompetenter beim Thema "Ich" zu werden, mich selbst allmählich zu entdecken. Das kann sich mit zukünftigen Krisen natürlich ändern, doch ich bin zumindest darin guter Dinge, dass einige bessere Weichenstellungen in meinem Leben diese so weit abfedern können, dass ich damit gut leben kann.

Es grüß
lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
ANOVA
Beiträge: 1137
Registriert: 22. Jul 2006, 21:27

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von ANOVA »

Hallo Lt. Cable,

> Platt gesagt: Wenn ich meinen Ängsten oder schwierigen Situationen immer durch Pillen entfliehe, kann ich schwer auf einer realistischen Basis an ihnen arbeiten.

Nun ja, das mag für Tranqulizer/Benzodiazepinen mit Sicherheit gelten, aber nicht für ADs. Durch die Einnahme von ADs lässt es sich nämlich nicht so gut vor den eigenen Ängsten oder Schwierigkeiten fliehen. Wer sedierende ADs als Tranqulizer missbraucht, um sich zu Hause schön ins Bett zu legen, der hat allerdings ein heftiges Problem, da stimme ich Dir zu.

>Auf mich persönlich bezogen kann ich ergänzen, dass meine Erfahrung mir eben zeigt, wie Medikamente meine Zeigerausschläge (positiv wie negativ) spürbar begrenzen und mir zudem weit weniger Anreiz geben, etwas an schädlichen Lebensumständen zu ändern.

Das finde ich interessant, denn in aller Regel ist es ja nicht so, dass ADs (und ich rede nur von ADs, die bestimmungsmäßig eingesetzt werden) demotivierend wirken sollen.

>Da gab es zu oft nur die beiden Programmpunkte: Funktionsfähigkeit wiederherstellen und (baldige bzw. unmittelbare) Rückfälle verhindern.

Wie lange hast Du denn Psychotherapie gemacht? Denn das, was Du beschreibst, spielt zwar in der Psychotherapie eine große Rolle, jedoch zielt eine wirkliche Psychotherapie immer auch auf die Verbesserung des eigenen Lebens, d.h. Veränderung schädlicher Umwelteinflüsse, neue Ziele für das Leben finden usw. ab. Aber erstmal geht es natürlich darum, die Funktionsfähigkeit im Alltag wieder herzustellen und Rückfälle zu vermeiden, das ist richtig. Alles andere würde in meinen Augen auch nicht wirklich Sinn machen, man kann kaum sein Leben verändern, wenn man depressiv ist und keine Energie hat.

> Allerdings beneide ich schon ein bisschen die Menschen, die sich durch ihre Medikation gesund fühlen. Ich - so habe ich jedenfalls das Gefühl - bin über diesen Punkt längst hinaus, weil ich - auch durch Gesprächstherapie - schon zu sehr diesen analytischen Meta-Blick auf mein Leben habe. Ich kann der potenziellen Wunderpille, mit der ich dann wieder sanft ins normale Leben zurück gleite, keinen Glauben mehr schenken, was aber nicht heißt, dass ich irgendwie verloren bin.

Hmm, wenn ich ehrlich bin hat mich dieser Absatz ziemlich geärgert. Denn er hinterlässt bei mir das Gefühl, dass Du meinst, diejenigen, die sich mit ADs gesund fühlen, nur nicht gerafft haben, was wirklich los ist. Und dass Du auch gerne so ‚dumm’ wärst. Das finde ich dann doch irgendwie überheblich. Zudem hier im Thread keiner geschrieben hat, er würde durch eine Wunderpille wieder ins normale Leben zurückgleiten.

Aber gut, es ist Deine Meinung, die ich natürlich respektiere. Aber ich glaube, wir reden hier auch aneinander vorbei, denn - wie gesagt - von einer Wunderpille war nie die Rede.

Gruß
Xenia
lt.cable
Beiträge: 562
Registriert: 5. Mär 2008, 20:55
Kontaktdaten:

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von lt.cable »

Hallo Xenia !

Der Absatz muss Dich nicht ärgern. Ich kenne zum Beispiel einen Fall, bei dem die betroffene Person der Erklärung ihres Facharztes bezüglich der chemischen Fehlregulation in ihrem Gehirn, die mit einem Medikament behoben werden kann, vollen Glauben schenken und das Mittel ab dann aus voller Überzeugung einnehmen konnte - ohne ständige Fragezeichen im Kopf. Ich möchte lediglich sagen, dass ich das nicht mehr kann. Ich bin über diesen Punkt hinaus - und das leidlich ! Was würde ich darum geben, wenn ich zurück könnte ! Aber meine Erfahrungen und Erlebnisse mit der Krankheit lassen sich weder auslöschen noch umattribuieren. Die Äußerung ist eben nicht Ausdruck einer großen Überheblichkeit, sondern vielmehr einer traurigen Gewissheit. Ich bestreite nicht, dass etliche Menschen auf ihre Medikamente angewiesen sind und vielleicht auch gut mit ihnen klarkommen. Aber ich verhöhne diese ja auch mit keinem Wort, sondern neide nur denen ihre Fähigkeit (aus meiner Sicht), die mit medikamentöser Korrektur wieder (mehr oder weniger) unbehelligt leben können.

Es grüßt
lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
Shay
Beiträge: 357
Registriert: 5. Jan 2007, 14:06

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von Shay »

Goldstück schrieb:

> ..merkt man das, wenn die Depression vorbei ist??

--- Ja, ganz sicher. Auch wenn es unglaublich langsam geht, aber irgendwann merkt man, dass zwischen den Wolken strahlend blauer Himmel ist - und freut sich drüber. Wenn das von heute auf morgen passiert, wäre ich wohl eher misstrauisch...

> ..nimmt man die Medis vorsichtshalber sein ganzes Leben lang, um keinen Rückfall zu bekommen??
>
--- Kann ich mir nicht vorstellen. Es wird sicher bei einigen Menschen so sein, wenn deren eigener Botenstoffhaushalt partout nicht klarkommt, aber die Regel ist das sicher nicht. Ich futtere noch eine Minimaldosis von kaum mehr messbaren 12,5mg Trimipramin am tag, aber das werde ich noch eine Weile tun - und sobald ich mich stabilisiert fühle, wird (unter Aufsicht) abgesetzt.

>
> Wäre um ein paar Ratschläge dankbar. Stehe ja noch ganz am Anfang meines Wissen..

--- Ach Du je - Ratschläge? Hmmmm... sei fröhlich, freu Dich am Leben, genieß die Sonne...? Nein, sowas willst Du sicher nicht hören. Nein, ich denke, Du solltest:
- geduldig mit Dir selber sein
- Deine Seele und ihre Nöte ernst nehmen
- ehrlich mit Dir selber sein
- Dir Schwäche und Angreifbarkeit zugestehen
- und die Hoffnung nicht verlieren, dass alles irgendwann besser werden wird - auch wenn grad wieder was den Bach runter gegangen ist.

Mehr kann ich Dir echt nicht raten...

Halt die Ohren steif!
Gruß: Martin





„A ship is safe in harbour - but this is not what a ship is made for."
ANOVA
Beiträge: 1137
Registriert: 22. Jul 2006, 21:27

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von ANOVA »

Hallo Goldstück,

>Wäre um ein paar Ratschläge dankbar.

- Nicht aufgeben, auch wenn man selbst keinerlei Hoffnung mehr hat.

- Psychotherapie machen.

- Rückschläge mit einplanen und eine Politik der kleinen Schritte verfolgen.

Mir hat auch geholfen, aus der Starre rauszukommen, Lebensperspektiven zu erarbeiten. Da hatte ich allerdings ziemlich Glück mit meinen Behandlern, die sich schlichtweg geweigert haben, sich mit meiner Hoffnungslosigkeit abzufinden. Das Wichtigste war für mich allerdings wohl, dass ich wieder irgendeinen Sinn für mein Leben gefunden habe. Dieser Sinn muss nicht unbedingt etwas Großes, Außergewöhnliches sein. Ich glaube, es geht vielmehr darum, wieder einen Grund zum Aufstehen zu haben, etwas das einen nicht (mehr) überflüssig fühlen lässt.

Schönen Tach wünscht die sich die Wanderschuhe schnürende Xenia
HelH3
Beiträge: 1030
Registriert: 20. Dez 2007, 16:09

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von HelH3 »

Hallo allerseits,

besonders die Frage, wann es vorbei ist bzw woran man das merkt, ist schwer bis gar nicht zu beantworten. Ich glaube auch, dass die Gesundung oder, vllt besser, Stabilisierung in längeren Phasen geschieht, und ich halte es für eher schädlich, allzu früh den Fokus aufs Absetzen von Medikamenten zu lenken, wenn sie einem geholfen haben und immer noch helfen. Es ist kein Selbstzweck, ohne Medikamente zu leben, und manch eine(r) sollte sie wohl wirklich lebenslang nehmen - es gibt Schlimmeres, zB schwerste Depressionen.

Ich nehme selber seit über 4 Jahren antriebssteigernde AD, vor einem halben Jahr wurde die Dosis verdoppelt, da ich einen schweren Rückfall hatte, nachdem sich meine Lebensumstände verschlechtert hatten. Das Gefühl, stabiler, psychisch und emotional gesünder zu werden, kann m. E. kaum ausschließlich auf die Medikation zurückgeführt werden, und doch ist sie für die meisten unverzichtbar. Ebenso unverzichtbar ist der Wille zur psychischen Wiederbelebung, die Rückkehr der hoffnungsvollen Neugier auf das, was einem das Leben noch bringen mag. Dabei sind verbesserte äußere Umstände natürlich hilfreich, zB eine neue Beziehung oder so. Ich halte es aber auch für gefährlich, den Heilungsprozess allein damit zu verknüpfen, da das Pendel bei Krisen, wie sie nun mal in Beziehungen vorkommen, dann plötzlich sehr schnell zurückschlagen kann und einem drastisch vorführt, dass man noch lange nicht durch damit ist.

Was genau die Medikation mit einem macht, ist natürlich individuell unterschiedlich. Ich selbst habe nicht die Erfahrung gemacht, dass sie lediglich die Zeigerausschläge nach oben wie nach unten begrenzt - das Gegenteil ist richtig, mir hat sie geholfen, gute wie auch schlechte Gefühle wieder wahr-/ annehmen zu können. Während meines letzten Rückfalls war ich quasi innerlich tot, da waren nur noch Apathie, Gleichgültigkeit, Lethargie - keine Hoffnung, keine Angst, kein Mut, keine Neugier, nichts, was einen eben im positiven wie im negativen Sinn antreibt. Irgendjemand hier hatte mich letztens freundlicherweise als "emotionsloses Stück Scheiße" bezeichnet, das gibt mein damaliges Lebensgefühl recht adäquat wieder.

Jetzt habe ich meine Emotionen wieder, und die Medikation stützt mich dabei, sie auch aushalten zu können. Ich kann Freude und Glück, ebenso Traurigkeit und Verzweiflung empfinden. Ich habe immerhin soviel Mut und Kraft schöpfen können, dass ich inzwischen sogar wieder arbeiten gehe und mich auf das Wagnis einer Beziehung eingelassen habe - mit dem Bewusstsein, dass es auch scheitern kann, und dem Willen, das meinige zu tun, damit es eben nicht scheitert. Dabei hatte mir vor knapp drei Monaten noch eine Psychiaterin den Stempel "totale Dekompensation" aufgedrückt und einen längeren stationären Aufenthalt empfohlen. Meine innere Stimme sagte mir etwas anderes, und ich bin immer noch froh, dass ich auf sie gehört habe.

Es hat nichts mit Selbstmitleid zu tun, sich dennoch seine Schwäche und Verletzlichkeit einzugestehen. Dies ist vielmehr unerlässlich für den achtsamen Umgang mit sich selbst. Dafür, unter anderem, ist man ja Mensch.

Das emotionale Gedächtnis hat die depressive Reaktion gespeichert, und man sollte sich der Gefahr bewusst sein, dass es sie auch wieder hervorbrechen lassen kann. Ich kann nicht darauf bauen, nie wieder Leid zu empfinden, aber ich kann es hoffentlich besser aushalten. Wann ich das mal ganz ohne Medikamente können werde, weiß ich nicht, aber das ist mir auch nicht so wichtig.

"Sag ja zur Zukunft, sag ja zum Leben." (aus 'Trainspotting') Wenn man das aussprechen kann und es sich wenigstens halbwegs glaubt, ist man auf jeden Fall auf dem Weg der Besserung.

Einen schönen Sonnentag wünscht Helena - und jetzt aber raus mit mir
lt.cable
Beiträge: 562
Registriert: 5. Mär 2008, 20:55
Kontaktdaten:

Re: Frage an Depri-"Erfahrene"

Beitrag von lt.cable »

Hallo La Helena !

Das ist es, was ich hier so unglücklich zu beschreiben versuche: Die innere Stimme, die sich zu vielen Dingen und eben auch zu Diagnosen und Behandlungsvorschlägen äußert. Und dazu der eigene Wille, gegen den ich mich nur ungern behandeln lasse, so lange ich wählen kann und darf.
Es ist wohl auch ein guter Ratschlag im Rahmen dieser Diskussion, sich diese beiden nicht nehmen zu lassen. Wobei auch hier wieder gilt, dass ich natürlich keine pauschalen Aussagen treffen will. Je nach der genauen Diagnose und dem Zustand des Patienten können beide vielleicht auch kontraproduktiv wirken.

Es grüßt
lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
Antworten