Wie ernst nehmt ihr euch?

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skippie
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Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von skippie »

Hallo,
die Frage stelle ich mir aus folgender Aussage meiner Thera:"Wie soll ich sie für ernst nehmen, wenn sie es selber nicht tun?"

Erst war ich total böse über ihren Satz, doch dann ging er mir all die Tage nicht aus dem Kopf. Ich hatte ihr etwas erschütterndes erzählt, was mich selbst betrifft und es aber so gesagt, als wenn eine Bekannte davon betroffen wäre und nicht ich.
So kam es also bei ihr an, als wenn ich alles nur ins Lächerliche ziehen würde.

Nun nach ein paar Tagen ist mir bewusst geworden, dass ihre Frage doch berechtigt war und mein "mich selber nicht ernst nehmen" ein ganz extremer Selbstschutz ist.

Ich zwar vieles durchstehen muss, es aber sobald es vorbei ist, meine eigene Betroffenheit ablege. So empfinde, als wenns nicht mir, sondern jemandem anderen passiert wäre und einfach nicht Hinsehen will.
Weil das Hinsehen mich zerbrechen würde.

Nun würde ich gerne wissen, ob es jemandem von euch ähnlich ergeht und vielleicht sogar schon jemand Erfolg mit anderen Wegen hat.

Danke für eure Stellungnahme
Skippie
cybolon
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Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von cybolon »

Hallo Skippie,

vor ein paar Tagen erst, schrieb mir hier jemand, dass ich mich nicht ständig hinter meinem Witz und Charme verstecken solle.

Tja, das war ein Volltreffer, ein Blattschuss.
Denn genau das tue ich ständig und immerdar.

Aber ist es nicht eine logische Folge auf die Erfahrung, dass vieles leichter zu ertragen ist, wenn wir es mit Humor betrachten (verdrängen, runterspielen, kleinmachen, abtun)?

Deine Frage ist dennoch berechtigt und wichtig. Es gibt ja schließlich noch einen Unterschied, zwischen Humor und Sich-nicht-ernst-nehmen. Ja, besonders ernst scheine ich mich selbst nicht zu nehmen, denn ich neige dazu, lieber über jede Ungemach hinwegzutänzeln, anstatt hinzusehen.

Liebe Grüße
vom
cybolon
skippie
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Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von skippie »

Hallo Horst,

ja, es ist nicht das selbe, aber dennoch ähnlet es sich sehr.
Weist du, beim Witzeln fällt mir gerade ein, dass ich bei guter Laune echte Witze erfinde, die zu meinem Leiden passen, die aber ganz schön unter die Gürtellinie gehen können. Mein Mann sagt immer, ich soll das niemals in Anwesenheit anderer Leute machen.

Aber im Prinziep gehts mir nicht um diese Witze macherei, sondern um das, was ich oben geschrieben habe.
Weil ich einfach unsicher bin, ob es ein Schutzwall oder etwas anderes ist.

Habe heute abend Thera und bin mal gespannt, was sie sagt, wenn ich nochmal darauf eingehen will.
Aber es kann doch nicht nur mir so ergehen.

Grüsse und danke für deine Antwort
skippie
DYS-
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Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von DYS- »

Hallo skippie

Nur ganz kurz (hab keine Zeit, sorry). Nein, es geht nicht nur dir so. Bei mir ist es ähnlich.

Mehr wenn ich wieder Zeit habe, kann aber auch bis zum WE dauern. Bekomme gleich Besuch bis zum Sonntag!

Liebe Grüße
Dys
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Gerade weil wir alle in einem Boot sitzen,

sollten wir heilfroh darüber sein,

dass nicht alle auf unserer Seite stehen.
Ragnar
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Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von Ragnar »

Hallo Skippie,

Wie lange bist du den schon in Therapie?
Die meisten Menschen haben einen Selbstschutz, bei dir ist es die Sichtweise, bei mir ist es Gefühllosigkeit und der berühmte letzte Ausweg. Um diesen Selbstschutz zu senken oder gar fallen zu lassen braucht man entweder die Stärke die bittere Wahrheit zu ertragen oder aber wenn man darüber reden soll einen Menschen dem mehr oder weniger bedingungslos vertraut.
Vielleicht ist das bei deiner Thera einfach noch nicht der Fall.

Erfolg ist immer relativ... ich kann meine Probleme und Ängste oft verdrängen und ausblenden. Aber eigentlich sollten wir uns ihnen stellen. Hoffen wir das wir die Stärke und die Hilfe finden um das zu schaffen

Gruß Ragnar
Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.
ben1
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Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von ben1 »

Nur ganz kurz eine Meinung von Ben

Es ist ein SEGEN, sich nicht ernst nehmen zu müssen und ein FLUCH, sich nicht ernst nehmen zu können - ebenso ist es ein FLUCH, sich immer ernst nehmen zu müssen! Schön ist, wenn man wählen kann ...

Ben
DYS-
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Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von DYS- »

Hallo skippie

Besucher werden auch mal müde und wollen schlafen . Nun kann ich doch noch antworten.

Meine jetzige Therapeutin ist eine ganz klasse junge Ärztin. Hätte nie gedacht, das ich je einer so jungen Frau so vertrauen könnte. Aber trotzdem, meistens wenn ich Geschichten von mir erzähle, erzähle ich es aus einer irgendwie „objektiven“ Ebene. Als wenn ich die Geschichte bei jemanden anderen beobachtet hätte.
Ich denke auch dass dies ein Selbstschutz ist. Womöglich ein Relikt aus Kindheitstagen. Man brauchte diesen „Abstand“ zu den Gefühlen um zu überleben??!!
Wenn mir jemand erzählt, was so in seinem (ihren) Leben so passiert ist, empfinde ich starkes Mitgefühl. Das Gleiche passiert mir bei so manchen Beiträgen hier im Forum. Ich bewundere so manchen Schreiberling hier, wie sie (er) das alles nur überlebt hat.
Bei meinen Beschreibungen über Menschen, die mir fleißig IN die Depression geholfen haben, empfinde ich keinen Groll. Denke eher: So schlimm kann es nicht gewesen sein, empfinde nichts.
In der Therapie habe ich zwar teilweise erarbeitet, was mir nicht gut tat, was mir genommen wurde und wie ich wurde was ich bin, aber die Gefühle dazu fehlen mir.
Es gibt 1-2 Menschen (leider weit weg und wir telefonieren selten), mit denen ich mich über Vergangenes unterhalten kann und wo ich dann auch an meine Gefühle „ran“ komme.

Aber ich setze auch viel Hoffnung in meine Ärztin. Wir arbeiten noch nicht sehr lange zusammen, aber irgendwie stimmt die Chemie!

Liebe Grüße
Dys
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skippie
Beiträge: 21
Registriert: 23. Okt 2007, 11:29

Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von skippie »

Hallo,

also ich mache ja nun schon viele Jahre (mit Pausen) Thera.
Habe genau das was auch ihr schreibt gestern in meiner Stunde besprochen.
Meine Thera meinte ihr Satz sei reine Provokation gewesen, damit ich mal darüber nachdenke wie ich auf Ärzte ect. wirke.

So nach dem Schema: Ich gehe zum Doc, bei dem Gefühl einen Schlaganfall (TIA) gehabt zu haben und sage ganz lässig das es mir nicht gut geht, erzähle mit einem Grinsen die Sympthome usw.
Wie soll der Doc mich dann ernst nehmen?

War zwar nicht in dieser, aber in ähnlicher Situation, und das nicht das erste mal.

Oder mein Psychater fragt mich: Wie geht es Ihnen? Ich sage "gut"..........weswegen bin ich dann da, nehme jede Menge Tabletten um jeden Tag neu zu überstehen????????

Meine Thera sagt, es ist ein Selbstschutz, der aber auch gefährlich werden kann.
Den man gut einsetzen kann, aber eben nicht immer, denn sonst läuft man vor verschlossene Türen.

Mich wirklich zu Öffnen habe auch ich bis heute nicht geschafft, es ist eben der Schutz vor dem Schmerz und dem danach.

Gut zu lesen, dass ich damit nicht alleine stehe und gleichzeitig die Frage ob man das ändern kann um endlich vorwärts zu kommen und mit einem gesunden Schutz leben kann?

Grüsse skippie
Liber
Beiträge: 1491
Registriert: 4. Jun 2006, 18:09

Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von Liber »

Liebe Skippie,

ich glaube auch, dass dieses Nicht-Ernst-Nehmen ein Selbstschutz ist, um die eigenen Gefühle, den Schmerz, die Trauer, die Wut, nicht wirklich fühlen zu müssen.

Ich kenne das sehr gut von mir selbst. Meine Therapeutin sagte immer wieder zu mir: "Warum lächeln Sie, wenn sie so Schlimmes erzählen? Das passt nicht zusammen!"

Für mich war sehr hilfreich, als ich für die Analyse auf die Couch gewechselt bin. Solange ich der Therapeutin gegenüber saß, hatte ich dazu nämlich auch noch starke Schamgefühle, meine Gefühle zu zeigen. Auch das ein Relikt meiner Kindheit.

Auf der Couch jedoch sah ich meine Therapeutin nicht an und ich konnte endlich ganz bei mir sein und da flossen dann auch reichlich die Tränen.

Fluch oder Segen:

Oh ja, es ist beides! Am Anfang des Weges ist es ein Segen, sich endlich ernst nehmen zu dürfen. Es ist wichtig, um meine Gefühle, die ich verleugnet und verdrängt hatte, endlich anzuerkennen. Doch dann, wenn der Weg weitergeht, wird es zu einem Segen, sich nicht mehr in allem so bitterernst nehmen zu müssen .

Aber der zweite Schritt ist meiner Erfahrung nach nicht ohne den ersten möglich. Und zwar beobachte ich das bei mir jeden Tag, es ist immer wieder von Neuem nötig, erst mal den ersten Schritt zu gehen.


Viele Grüße

Brittka
dolittle909
Beiträge: 296
Registriert: 14. Sep 2008, 18:00

Zu ernst!?

Beitrag von dolittle909 »

Hallo,

es kommt - wie bei fast allem - auf die Dosis an. Ich kann das derzeit sehr gut in der Tagesklinik beobachten, in der ich stecke:

Da gibt es auf der einen Seite diejenigen, die scheinbar immer gut drauf sind, die lachend zusammen sitzen, Witze machen und scheinbar nichts wirklich ernst nehmen. Da fragte ich mich schon so manches mal, warum die überhaupt in der Psychatrie sind.

Und dann gibt es Leute wie mich (ich bin scheinbar der Schlimmste, aber dazu noch später...), die alles furchtbar ernst nehmen. Für mich ist alles eine Existenzfrage: die Krankheit, die Gefühle, die Arbeit, die Liebe, das Leben. Und weil ich so viel nur mit zusammen gebissenen Zähnen aushalte und Angst habe, weil so viel so schmerzt und ich das auch nicht zeitweise weg- oder unterdrücken kann, nehme ich alles ernst. Viel zu ernst, wie mir Leute sagen. Und da ist natürlich was dran. Wobei ich nicht weiß, wie ich diese Eigenschaft, die mich bereits mein ganzes Leben begleitet, mildern kann, zu mehr Leichtigkeit und Spaß finden könnte (besonders schwer in der Depression...).

Vor zwei Tagen wurde mir von zwei oben beschriebenen lustigen Mitpatienten in der Gruppentherapie vorgeworfen, ich würde sie mit meinem zur Schau gestellten Leid, mit meinem Pessimismus und meinem gnadenlosen Ernst runterziehen und würde ihnen das kleine bisschen Glück und Freude, das sie sich manchmal erkämpften, kaputt machen. Zudem würde ich mich damit selbst quälen.

Diejenige, die mir die härtesten Vorwürfe gemacht hatte, brach kurz darauf in Tränen aus und geißelte sich übel mit Selbstvorwürfen und Selbsthass, weil sie eine Situation falsch eingeschätzt hatte. Beides zeigte mir, welche unerwarteten Abgründe sich hinter der unernsten Maske verbargen.

Ist Ernst, Schwere, Beklagen und Bejammern ein legitimer Hilfeschrei und ein Weg zu objektiver Selbsteinschätzung? Oder ist es besser gute Miene zum bösen Spiel zu machen und durch Selbstsuggestion zu besserer Stimmung zu kommen?

Das fragt sich angesichts Deiner Frage

d.
Bellasus
Beiträge: 1628
Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: Wie ernst nehmt ihr euch?

Beitrag von Bellasus »

Liebe Skippie,

bis vor 4 Jahren habe ich mit dem Gedanken gelebt: Nimm dich nicht so wichtig, nicht so ernst, sei nicht so empfindlich, stell dich nicht so an, was ist denn schon dabei usw usf. Das alles hat sich bei mir eingebrannt, ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, habe es meine Kindheit und Jugend oft genug gehört. Es ging nie darum, wie etwas für mich ist.

Und nun, seit dem Zusammenbruch, ist das irgendwie ins Gegenteil umgeschlagen, es sit eigentlich nichts wichtig außer wie ich mein Leben bewältige, wie es mir geht. Egal worum es geht, immer beobachte ich mich, frage nach Bedeutungen für mich - so wie dolittle es beschreibt.

Und wenn ich mcih dafür schon wieder verurteile, erhalte ich aber Unterstützung von profesioneller Seite, dass diese Reaktion erstens verständlich aus meiner Geschichte und zweitens völlig i.O. ist! Und das sich das irgendwann von alleine wieder auf ein gesundes Maß einpendelt, wenn ich wieder Kapazität frei habe und Reserven und nicht mehr so auf mich aufpassen und mit meinen Kräften haushalten muß.

Dann kommt sicher auch wieder die Gelassenheit, sich mal nicht ernstnehmen zu müssen, was bestimmt eine Wohltat ist - aber nur dann, nicht wenn es als Maske benutzt wird.

Das sind meine Erfahrungen damit.

>>>Oder ist es besser gute Miene zum bösen Spiel zu machen und durch Selbstsuggestion zu besserer Stimmung zu kommen?<<<
Ich denke, das kommt drauf an - mal kann das klappen, und mal ist es das verkehrteste was man machen kann. Wenns mir richtig dreckig geht und ich oder jemand anders das versucht, mich da so herauszuholen, wirds noch schlimmer, weil ich mich nicht gesehen, ernstgenommen fühle mit dem, was gerade ist. Das ist für mich ein ganz zentraler Punkt: anerkennen, was ist. Und es ernstnehmen.

Liebe Grüße
Annette




www.depressionsliga.de

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