Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

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RoadToNowhere
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Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von RoadToNowhere »

Moin zusammen,

wenn man sich so durch das Netz gräbt stolpert man gelegentlich über den Hinweis, daß ein Schlafentzug helfen kann aus dem Tief rauszukommen bzw in Kombination mit Medikamenten stabilisierend wirken kann.

Habt ihr das schon mal ausprobiert?

Nach dem was ich gefunden habe, funktioniert es folgendermaßen: Man steht am ersten Tag normal auf, macht die darauffolgende Nacht komplett durch und geht am Abend danach "normal" ins Bett, so daß man etwa zwischen 36 und 40 Stunden nonstop wach war. Läuft unter der Bezeichnung völliger oder totaler Schlafentzug.

Das macht man in der Startphase zweimal die Woche über zwei bis drei Wochen, danach nur noch einmal, gegebenenfalls auch kombiniert oder abwechselnd mit partiellem Schlafentzug..

Als Abwandlung gibt es noch den partiellen Schlafentzug, dabei geht man entweder sehr früh ins Bett, also etwa zwischen 17 und 18 Uhr, steht dann gegen 1 Uhr nachts auf und macht den folgenden Tag normal durch bis zur üblichen Schlafenszeit. Auch eine Variante mit Schlafengehen zwischen 20 und 22h und Aufstehen um Mitternacht bis 1h, dann durchmachen bis zur normalen Schlafenszeit habe ich gefunden.

Auch ein Verschieben der Schlafphasen soll helfen, dabei soll man ein bis zwei M`Nächte normal schlafen, dann, eine Nacht Schlafentzug, darauf um 16 Uhr ins Bett und bis Mitternacht schlafen, danach die Schlafenszeit jeweils um eine Stunde verschieben, bis die normale Zeit wieder erreicht ist.

Nun ja, gerade diese letzte Variante klingt reichlich kompliziert, zumindest für Berufstätige wohl kaum bis gar nicht praktikabel.

Egal wie, was mich interessiert: Habt ihr sowas schon mal gemacht, welche Erfolge hattet ihr?

Was hat euer Arzt in einem solchen Fall zum Thema Medikamente gesagt? Schlafanstoßende AD's in der durchgemachten Nacht weglassen? Antriebssteigernde Medikamente beim Aufstehen kurz nach Mitternacht nehmen statt zur normalen Aufstehzeit vormittags?
otterchen
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von otterchen »

Hallo Road,

gelesen habe ich nur folgendes:
soll helfen bei Schlafstörungen (habe ich nicht, deshalb war das bei mir nie Thema)
wird beim stationären Aufenthalt gemacht

Ich würde nie auf die Idee kommen, das im Alleingang auszuprobieren.
Hast Du das etwa vor?
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
cool
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von cool »



Schlafentzug habe ich in zwei verschiedenen Kliniken gemacht.
In der einen war das zweimal in der Woche, in der anderen 1 mal in der Woche.

1 x pro Woche war für mich besser, da es doch etwas anstrengend ist.

Man geht zur normalen Zeit ins Bett, so gegen 22 Uhr.
Um 00:30 wird man geweckt, zieht sich an und trifft sich mit den anderen "Schlafentzüglern".
In der Gruppe macht man dann zusammen die Nacht durch.
In der einen Klinik war eine Begleitperson dabei. Da konnten wir auch in die Turnhalle zum Tischtennisspielen und am frühen morgen raus zu einem Spaziergang.
In der anderen Klinik saßen wir in der Cafeteria und ab und zu kam die Nachtschwester vorbei.
Wir haben Monopoly oder Karten gespielt, Musik gehört, geredet, gelesen, gestrickt,......
Zu essen und zu trinken gab es auch, aber Koffein ist in der Nacht verboten.

Ganz wichtig ist, dass man nicht mal kurz wegdöst. Also auch nicht Augen zumachen. Ausser zum zwinkern natürlich.

Morgens gehts dann zum Frühstück und der Kaffee ist dann erlaubt und schmeckt besonders gut.
Jetzt darf man bis zur gewohnten Schlafenszeit, also ca. 22 Uhr nicht schlafen, nicht wegdösen.
Man ist also ca. 21,5 Stunden am Stück wach.

In der Gruppe ist es etwas einfacher. Man kann aufeinander aufpassen, sich gegenseitig motivieren. Besonders am Tag ist es wichtig, sich zum Beispiel mit den anderen zu verabreden, etwas zusammen zu unternehmen, damit man wach bleibt.

Manche spüren bereits nach dem ersten Schlafentzug eine deutliche Stimmungsaufhellung, andere erst nach mehreren.
Ich glaube in meinen Gruppen habe alle bereits nach dem ersten Schlafentzug außerdem sehr gut geschlafen.
Die Stimmungsaufhellung hält zwar nicht unbedingt länger als 1-2 Tage deutlich an, aber allein schon das Gefühl sich mal wieder gut zu fühlen gibt unheimlich viel Auftrieb.

Ich habe es auch schon alleine zuhause probiert, aber das ist unheimlich schwer. Es war mit meinem Arzt abgesprochen und ich hatte am nächsten Tag einen Telefontermin bei ihm, um zu sagen wie es mir geht.

Ohne Schlafentzugerfahrung bitte nicht alleine zuhause probieren. Und auch mit Erfahrung nur, wenn man am nächsten Tag mit seinem Arzt telefonieren kann oder vorbeigehen kann.

Ein Mitpatient hatte nur eine Nacht Schlafentzug und es ging ihm ab dem nächsten Tag sehr viel besser. Er musste keine weiteren machen und wurde recht schnell entlassen.
Andere haben es mehrere Wochen gemacht und es ging stufenweise immer besser.
Bei manchen wirkt es auch nicht. Das merkt man aber erst nach ein paar Versuchen.

Ich selbst fühle mich am nächsten Tag recht beschwingt. Um es zu umschreiben, vielleicht so wie mit 2 Gläschen Sekt.
Allerdings habe ich eine bipolare Depression.
Bipolare müssen besonders aufpassen, bzw. Schlafentzug kann in diesen Fällen sogar "verboten" sein. Es besteht die Gefahr in eine hypomane oder manische Phase zu rutschen.

Wenn ihr es mal ausprobieren möchtet, fragt einfach in einer Klinik, ob die das anbieten.
Manche bieten das auch ambulant an.

Ich hatte übrigens keine Schlafstörungen vor oder nach dem Schlafentzug. Es wird also auch angewandt wenn man "nur" depressiv ist.

Viele Grüße Cool
Grenzgängerin
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von Grenzgängerin »

In einer Klinik, in der ich war, gab es auch Schlafentzug, allerdings komplett. D.h. die Teilnehmenden gingen gar nicht erst ins Bett, sondern machten die komplette Nacht durch.

Ich würde davon abraten, das so ganz allein daheim einfach mal auszuprobieren, das wurde in der Klinik auch gesagt.

Ich habe dort den Schlafentzug nicht mitgemacht, das hätte ich zu der Zeit gar nicht gepackt.

Die Reaktionen der Miktpatienten waren sehr unterschiedlich, einige hatten am folgenden Tag eine Stimmungsaufhellung, einige nicht und einigen ging es richtig mies, die waren vollkommen am Ende ihrer Kräfte und haben sich durch den Tag gequält.

Für alle, die ich dabei gesehen habe galt aber, dass die bessere Stimmung maximal am Tag nach der durchgemachten Nacht und vielleicht noch den folgenden Tag anhielt.

Aber es ist sicher nicht schlecht, als kurzes Aufatmen aus der Schwere, zum Hoffnung tanken.

Ich habe mal ungeplant in einer Klinik eine Nacht durchgemacht (ich konnte einfach absolut nicht schlafen) und war am nächsten Tag (vor allem gegen Abend) extrem aufgekratzt. Ich bin hin- und hergesprungen wie ein Flummiball. Abends um 21 Uhr hat es mich dann allerdings umgehauen, da ging nichts mehr.

LG,

Alex
Dendrit
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von Dendrit »

Hallo RoadToNowhere,

ist aber wohl tatsächlich nicht für jedermann. Wenn ich ziemlich unten bin und/oder 4-7 d ein Neuroleptikum oder Schlafmittel nahm bzw. nimm, schlaf ich automatisch so ungleichmäßig bzw. wenn ich in der ersten oder zweiten Nacht kein Medi nimm. Statt einer können auch schon 2-3 durchwachte Nächte sein. Vllt. mal ne Std. Erholungsschlaf, wenn ich überhaupt einschlafen kann.

Egal wie, stimmungsaufhellend war's/ist's bei mir nicht.

LG, Manuela
Knöpfchen
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von Knöpfchen »

Hallo RoadToNowhere!

Also ich hab wegen etwas anderem - also nicht wegen der Depression - Schlafentzug in einer Klinik machen müssen. Morgens normal aufgestanden bzw. aufgewacht, aber abends nicht einschlafen bis zum anderen Morgen. Wobei ich das allerdings total allein im Bett durchstehen musste, also nix Ablenkung, Gemeinschaft oder so...

Ich persönlich war fix und fertig. Der Arzt musste/wollte mich nach 1 Std. Schlaf morgens dann wieder wecken. Das hätte er fast nicht geschafft. Dann hab ich mich nur noch durch den Tag geschleppt und hätte im Stehen einschlafen können. Also von einer evtl. Stimmungsaufhellung war da nix zu merken - eher umgekehrt...

LG Knöpfchen
Schnarchi
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von Schnarchi »

Hey Moin

Hab' nur allerbeste Erfahrungen mit "Schlafentzug". .....Aber bei mir heißt das Ding Nachtangeln und ist somit für mich kein Entzug, sondern, ganz im Gegenteil, eine Bereicherung.
Als Schlafentzug würde ich eher das morgendliche Aufstehnmüssen bezeichnen .

Wundert mich ein wenig, wovor manche diesbezüglich so'n Schiss haben. Sind doch unsere ureigensten Drogen, die wir so mobilisieren. Muss man doch keine Angst vor haben, oder ? ......Vor sich selbst....?

Nachts wach zu sein ist für mich ein ......hm......ganz großes Mehr an Leben.

Man trifft auf eine viel natürlichere und ausgeglichenere Welt. Kann ewig in den Sternenhimmel gucken, bis er einen förmlich aufsaugt, die Ohren werden nicht belästigt sondern verwöhnt von dem unablässigen Trällern von Nachtigallen im Mai/Juni oder dem Zirpen der Grillen, und die Augen nicht überschwemmt mit Hektik und Kaufrauschgrütze.
Und weil die Sinne viel klarer und überschaubarer wahrnehmen (möchten), bleibt dem bekloppten Denken auch nur noch wenig Raum um einen zu belästigen.

Wenn ich dann morgens nach Hause komme, dann möchte ich auch gar nicht schlafen. Erscheint mir dann irgendwie als Verschwendung. Haue dann meist nach ein paar Stunden auch wieder ab. .....Noch ein bisschen saugen am Leben.

Leg' mich dann erst so gg. 19 Uhr hin.......und es ist ein Hochgenuss, dieser dann gefüllten Leere nachzugeben und ganz langsam die Augen zu verdrehen

Weiß nicht, aber wäre ich Psychodoc , ich würd' die Patienten sich nicht, im wahrsten Worte des Sinnes, die Nacht totschlagen lassen. ....Da fand' ich das mit der Nachtwanderung schon klasse.

Depression ist ja irgendwie sowas wie nicht leben können. Dem kann ich nur mit Leben begegnen.
Weiß nicht, ob da durchgequälte Nächte in einer kranken Umgebung, die sich obendrein auch noch an starren Mustern orientiert, wirklich so dolle sind.
Struktur ist gut, aber sie sollte der Meinen doch schon nahe kommen.

Wie ich schon sagte......allein das Wort "Schlafentzug" ist völlig daneben.

Schlafentzug war's, wenn morgens um 5:30 die Getränke mit lautem Geklirre angeliefert wurden, die Schwestern einen dann spätestens um 6:30 mit bettenmachen terrorisieren (hallloooo.......was soll sowas ? Zig Patienten wünschen sich sehnlichst mal einen kleinen, gemütlichen Schnack am Morgen, aber nein, es müssen ja Betten gemacht werden, weil Betten gemacht werden müssen, ob sie's nun müssen oder nicht ...krank sowas), und man sich um 7:00, noch bevor man sich wat in'n Mund stecken kann, erstmal ein Thermometer hinten reinschieben soll. ....Also, das is' doch echt für'n Arsch sowas
Mannnnnn, was hat mich das zermürbt damals. Ich war echt am Ende als die mich wieder ausgeliefert ham.

Ich weiß nicht, ob man Depressionen wirklich zielführend chemisch-"technisch" begegnen sollte (von ganz schweren Fällen natürlich abgesehen).

Ich komme aus einer krankmachenden Welt voller Ge-/Verbote, Grenzen und wat weiß ich noch alles, und dann sollen mich neue Grenzen, die völlig an meiner Persönlichkeit vorbeigezogen wurden, wieder gesunden lassen .......? *koppkratz*...Na, ick wees nich'.... .

Man darf dieses und jenes nicht, keinen Kaffee und bloooooß nicht vor x Uhr einschlafen....(wobei...'ne ganze Nacht Tischtennis is' cool) .
Also.....Kaffee war z.B. nie hinderlich auf den Effekt bezogen.

Was mir wirklich geholfen hat, dass war, mich "gehen" zu lassen. Mich von den ganzen Fesseln im Kopp zu lösen. Meinen eigenen Rhytmus wahrzunehmen und zu leben, und nicht den, den andere für richtig halten.

Was machts schon, wenn man's nicht schafft die Nacht durchzuhalten ? Is' doch scheißegal. Dann versucht man's halt ein anderes Mal.

Aber deshalb war ich wohl auch nie ein passender Therapiekandidat. Hatte immer schnell das Gefühl, als wollten mich Gefangene befreien.

Naja, was ich sagen will ist, ......habt doch keine Angst davor, mal 'ne Nacht durchzumachen. Lasst es Euch nicht erlauben. Macht was Ihr wollt.
Wenns Ihr wieder "gesund" seid, dann kräht auch kein Hahn danach, ob Ihr vielleicht Nachtschicht machen könnt oder nicht.

Oder anders gesagt......sprecht mit Euch, und lasst Euch Euch nicht allzuviel von Leuten übersetzen, die Eure innere Sprache nicht verstehen (können).

Einfach machen halt, und nicht soviel drüber nachdenken, denn genau das ist das Gift. .....Meine Meinung.

Ich wünsch' Euch 'nen prima Sonntag
RoadToNowhere
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von RoadToNowhere »

Nun ja, die starken Warnungen einen Schlafentzug keinesfalls allein zu versuchen verstehe ich auch nicht so recht. Was mir sinnvoll erscheint ist der Hinweis daß bei Bipolaren das ganze in eine manische Phase kippen kann und die Tatsache daß mit einer Stimmungsaufhellung jemand der S...gedanken hat möglicherweise das bißchen Antrieb bekommt um solche Gedanken in die Tat umzusetzen.

Aber ansonsten? Da halte ichs dann doch mal mit Michael - sind Depressive eigentlich Kleinkinder denen man sagt was sie zu tun und zu lassen haben?

Nun gut, ich habs inzwischen allein zuhaus getestet. Bin auch weder bipolar noch suizidal - das zur Beruhigung der Zweifler. Mein Vorteil ist dabei sicher, daß ich aus jahrelanger beruflicher Praxis an ständige Verschiebung von Wach- und Schlafphasen oder längeres Durchmachen gewöhnt bin. Für mich war es lange Zeit normal, freitags irgendwann zwischen spätem Vormittag und Mittag aufzustehen, den Tag über bis in den Abend/Nacht hinein zu arbeiten und schließlich irgendwann zwischen 2 und 6 Uhr früh nach einer kompletten Woche Abwesenheit zuhause anzukommen. Je nachdem wie es mir ging, kam es durchaus vor, daß ich dann beschlossen habe gar nicht erst ins Bett zu gehen, weil ich sowieso viel zu aufgedreht dazu war, sondern zuhause angekommen die Waschmaschine in Gang gesetzt habe, je nach Laune die angesammelte Post durchging, nebenbei irgendetwas gegessen habe und recht früh den nächsten Supermarkt gestürmt habe bevor die ganzen Normalos das taten. Der Samstag verging dann meistens mit den Haushaltsarbeiten, einigen Telefonaten, vielleicht nachmittags etwas Sport und abends ging es entweder noch auf ein Treffen mit Freunden (wo ich dann doch irgendwann schwächelte und vor allem mit Alkohol sehr vorsichtig sein mußte - wenn man so lange wach ist haut einen ein halbes Bier aus den Schuhen) oder relativ früh, sprich zwischen 20 und 22 Uhr ins Bett, dafür aber auch Sonntags recht früh wieder raus.

So sehr ich es gehaßt habe, Wochenenden auf diese Art durchzustrukturieren und zu planen - was mir im Nachhinein auffällt ist, daß ich an Wochenenden dieser Art egal wie frustrierend die Woche gewesen war recht gut gelaunt und zufrieden war und das Gefühl hatte, meine ohnehin knappe Freizeit optimal nutzen zu können. Die Samstagmorgende waren meist recht effiziente Phasen, in denen ich schnell und zielgerichtet die ohnehin zu meinen bestgehaßten Hobbys zählende Hausarbeit und Wäschewascherei erledigt habe. Und der Sonntag blieb für einen schönen Ausflug mit Freunden, danach gelegentlich 3 bis 4 Stunden Schlaf bevor irgendwann zwischen spätem Sonntagabend und Montag früh der Start in die nächste Arbeitswoche kam. Diese Wochenenden waren zwar durchorganisiert, aber durchaus befriedigend für mich.

Nun ja - da ich momentan in einem tierischen Tief bin, mit völlig verschobenem Tagesrhythmus, langem Im Bett liegenbleiben und vor mich hin dösen und im Haushalt gar nichts klappt, dachte ich mir, daß es schlimmer gar nicht werden kann und ein Schlafentzug vielleicht auch hilft wieder zu einem halbwegs normalen Tagesrhythmus zurückzufinden. Als ich mein Eingangsposting geschrieben habe, war ich schon mitten drin im Schlafentzug - Experiment.

Die Tage zuvor verliefen üblicherweise so, daß ich von irgendwann zwischen 4 und 7 Uhr früh bis ungefähr mittags schlief, Schwierigkeiten hatte hochzukommen, meist irgendwann zwischen 14 und 17 Uhr endlich schaffte aus dem Bett zu kommen und wenigstens mal einen Kaffee zu trinken, bis 19 Uhr oder so mit mir selber kämpfte ob ich mich nun endlich aufraffen könnte mich anständig anzuziehen und wenigstens mal Obst und ähnliches verderbliches Zeugs zu kaufen, feststellte daß ich das sowieso nicht vor Ladenschluß schaffe und mich frustriert vor den Rechner, die Glotze oder ein Buch hängte auf der Suche nach Ablenkung und der Möglichkeit wenigstens etwas vor dem "Versager, Versager, alles ist scheixxe, du machst es alles falsch" - Gehämmer in meinem Kopf davonzulaufen und irgendwann zwischen 4 und 6 Uhr früh müde und fertig genug zu sein, um wieder ins Bett zu gehen.

Toll. Eigentlich weiß ich ganz genau, daß solch ein Tagesrhythmus allem was mir gut tun könnnte von rausgehen über Sport machen bis versuchen Termine für Erstgespräche bei Psychotherapeuten zu kriegen völlig entgegensteht, aber so wirklich das Muster zu brechen ist mir seit Wochen nicht gelungen. Das läuft so sehr gegen das normale Leben, daß es kaum die Möglichkeit gibt, etwas gegen die mich nur weiter frustrierende Rumhängerei zu tun oder sonstwas in Angriff zu nehmen was mir gut tun könnte.

Also fiel so irgendwann zwischen 4 und 6 Uhr früh am Sonntag die Entscheidung, daß ich ja sowieso nichts zu verlieren habe und vielleicht einfach mal probieren kann, bis zum "normalen" Abend irgendwann zwischen 22 Uhr und Mitternacht durchzumachen, was so etwa 36 Stunden wach am Stück bedeuten würde.

Gesagt, getan, irgendwann zwischen 6 und 8 begann ich seit Wochen nicht geöffnete Briefe zu lesen (hmmmpfff, nix erfreuliches, aber es dürfte wohl noch ärgerlicher werden wenn ich mich gar nicht drum kümmere, insofern ein kleiner Erfolg), im weiteren Verlauf des Vormittags begann ich halbherzig mit dem Abwasch, nahm einen Anruf von einem Menschen entgegen, dessen Anrufe ich seit Monaten boykottiert habe aus Angst angegriffen, runtergemacht oder bevormundet zu werden. Im Vergleich zu dem völligen Stillstand vorher ein Riesenfortschritt. Der Rest des Tages verlief etwas ruhiger, eher Richtung Glotze und Rechner, aber insgesamt war ich zufrieden mit der Bilanz. Ich bin dann recht spät ins Bett, vielleicht so zwischen Mitternacht und 2 Uhr Sonntag zu heute, hab gepennt bis weit nach Mittag und bin noch nicht allzuviele Stunden raus aus dem Bett. Viel ist von der positiven Stimmung von gestern nicht übrig, ich versuche es gerade mit diesem Bericht wiederzufinden.

Doch, ich hab das Gefühl es hat was gebracht, allerdings bin ich mit meinen Medis ziemlich durcheinander geraten. Wär gut wenn meine Psychiaterin bald aus dem Urlaub zurück ist, um sie nach ihrer Meinung dazu zu fragen. Geschickterweise habe ich eine Kombination aus morgens 50mg Sertralin und abends 12,5mg Doxepin, wobei beim Einschleichen das Doxepin zuerst kam weil ich gar nicht schlafen konnte und regelrecht unter Strom stand, dann etwa 3 Wochen später zwecks Antriebssteigerung das Sertralin dazu. Das Doxepin hat mich anfangs ziemlich umgehauen - aber ich war froh überhaupt wieder schlafen zu können. Die Psychiaterin war überrascht daß ich mit so wenig auskam, nach ihrer Vorgabe hätte ich auf 25mg steigern sollen, was ich aber aus dem Gefühl heraus dann womöglich nur noch zu schlafen nicht getan habe. Das Sertralin dazu wirkte recht positiv, ich hatte das Gefühl auf einem guten Weg zu sein, drei Wochen später kam dann ein sehr enttäuschendes Erstgespräch mit einer Psychotherapeutin, das mich ziemlich umgeschmissen hat. Seitdem (das ist auch schon wieder drei Wochen her, ich hab gar nicht gemerkt wie die Zeit vergangen ist) hänge ich in einem ziemlich bösen Loch aus Inaktivität, dummerweise auch noch passend zum Jahresurlaub der Psychiaterin.

Au wei, ich glaub ich mute euch einiges zu mit diesem mega-posting.

Was fällt euch zu dieser Schilderung ein, wie würdet ihr weitermachen, irgendwie muß ich noch zwei Wochen überstehen bevor ich die Psychiaterin nach ihrer Meinung fragen kann.

Nach dem kleinen Erfolg von gestern denke ich, die Schlafentzugsgeschichte könnte helfen, wohl nicht diese Nacht die nächste Runde, aber vielleicht von Dienstag zu Mittwoch.

@Cool, da du da anscheinend etwas Erfahrung hast, was meinst du dazu?

So, jetzt geh ich erst mal ausgiebig duschen und hoffe daß ich danach was von euch lese - gern auch Sachen bei denen es nicht um den Schlafentzug sondern um anderes was euch sinnvoll erscheint für meine Situation.
cool
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von cool »

Liebe Road,

da dein Selbstversuch unterm Strich positiv war, *freu*, würde ich jetzt versuchen dich an einen normalen Schlaf-Wachrythmus zu gewöhnen.
Das heisst raus aus dem Bett und Schlafanzug.
Wenn es geht.
Mir hilft da eine Art Stundenplan wie damals in der Schule.
Möglichst 5 angenehme Aktivitäten am Tag planen und umsetzten. Das können auch kleine und kleinste Dinge sein.
Ein bisschen Pflicht neben der Kür hilft mir auch. Dabei aber auch nicht übertreiben.
Tagesstruktur heisst das verhaltenstherapeutische Zauberwort.

Wenn du noch mal Schlafentzug im Selbstversuch machen willst, dann bitte höchstens einmal in der Woche. Das ist nur meine Erfahrung. Zweimal in der Woche hat mich immer so geschlaucht, dass ich trotz Stimmungsaufhellung vor Erschöpfung nichts rechtes tun konnte.

Ich warne nur deswegen immer vor einem Selbstversuch, weil es eben auch tatsächlich gefährlich sein kann.
Du hast das sehr gut formuliert, z.B. wegen Bipolarität oder Suizidalität.

Ich habe auch mal irgendwo gelesen, dass entsprechender Schlafmangel (auch bei Gesunden) ähnlich wirken soll wie 0,5 Promille Blutalkohol. (Reaktionsvermögen,Konzentration,etc.)

Ob sich Schlafmangel auch auf Herz oder Kreislauf auswirken kann, weiss ich nicht.

Vielleicht meldest du dich hier regelmässig bis deine Behandler wieder da sind.

Ich drücke dir die Daumen

Cool
RoadToNowhere
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von RoadToNowhere »

Keine Ahnung ob es negative Auswirkungen auf den Kreislauf oder sowas hat - ich betrachte es einfach mal als Vorteil, daß ich seit Jahren an stark wechselnde Schlaf- und Wachphasen gewöhnt bin. Wenn das sooo schrecklich wäre, müßte ich wohl seit Jahren massive Beeinträchtigungen haben. Zumindest körperlich war ich aber durchaus leistungsfähig. Was Schlafmangel und Reaktion, Konzentration angeht - wenn ich böse bin sage ich das ist im Moment nicht sooo schlimm da ich kaum bis gar nicht autofahre und auch nur wenige Gelegenheiten habe die Konzentration im Sinne anspruchsvollerer geistiger Tätigkeit erfordern.

Tja, das Problem mit der Tagesstruktur...die ist mir zur Zeit reichlich abhanden gekommen.

Mal gucken...Tagespläne waren mir immer ein Horror, allerdings habe ich sie bisher auch im wesentlichen als Plan für meine Pflichten von Stundenplänen in Schule und Studium über Kalender in denen Termine eingetragen wurden bis hin zu Putzplänen für Keller und Treppenhaus oder wer wann fürs Mülltonnenrausstellen zuständig ist erlebt.

Wird ne Herausforderung einen Plan zu erstellen in dem beispielsweise steht 13-15h "spazierengehen" oder "Lieblingsbuch lesen" oder wasweißich. Wie weit sollte man gehen mit Tagesstruktur - allein die Vorstellung einen ganzen Tag durchzuplanen ist mir gruselig.

Aber ich glaub ich mach da mal einen anderen Thread zu auf, nicht daß hier durch den Titel Schlafentzug Leute die mir Tipps geben könnten gar nicht reinschauen.
juliane07
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Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von juliane07 »

Michael*:
Hallo,
dein Beitrag ist einfach gut und bringt es auf Punkt !
Auch mir hat mein Thera neben anderen kuriosen Dingen Schlafentzug anzudrehen versucht. Ich sagte ihn dann dass ich über dreißig ! Jahre das Vergnügen hatte Schicht zu arbeiten und das er wohl nicht mal so viele Tage / Nächte durchgearbeitet hätte wie ich Jahre und er somit Null Ahnung hat was es bedeutet in der Nacht nicht schlafen zu dürfen. Darauf hat er keine Antwort gehabt.
Über diese Jahrzehnte der Schichtarbeit konnte ich nie feststellen das "Schlafentzug" meine Stimmung anhob, im gegenteil dies hat mich letztendlich so ausgbrannt das ich mir eine schwere Depri einhandelte. Mein Neffe ist bzw war LKW Fahrer, sein berufsbedingter Schlafenzug hatte zur Folge das er bei Bolognia / Italien ca. 300 Meter Mittelleitplanke der Autobahn zusammenfaltete und anschließend gegen einen Brückenpfeiler krachte. Er hat überlebt, Gott sei Dank ! Eines ist ihm aber klar geworden, es geht nichts über regelmäßiges nächtliches schlafen und arbeitet nur noch am Tage.

Grüße
juliane07
HelH3
Beiträge: 1030
Registriert: 20. Dez 2007, 16:09

Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von HelH3 »

"Engel" alias Juliane,

wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Michael schrieb u. a.: "Hab' nur allerbeste Erfahrungen mit "Schlafentzug" und "Nachts wach zu sein ist für mich ein ......hm......ganz großes Mehr an Leben."

@ Road: Wenn du damit gut zurecht kommst, machs doch einfach weiter in dem Rahmen, den du in deinem Eingangsposting beschrieben hast - schaden kannst du dir damit ja eigentlich nicht. Es ist sicher einen Versuch wert. Und schlimmstenfalls kannst du dann immer noch ins Bett gehen

Gruß Helena
cool
Beiträge: 2797
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Habt ihr Erfahrungen mit Schlafentzug?

Beitrag von cool »

Was Manuela (Dendrit) und Juliane07 beschreibt, ist kein Schlafentzug im therapeutischen Sinne.

Daher habt ihr (so wie ich das lese) noch nie einen Schlafentzug im therapeutischen Sinne gemacht und könnt daher nicht wissen, ob so etwas bei einer depressiven Phase für euch hilfreich wäre.

Ich möchte nicht altklug erscheinen. Ich möchte nur aufzeigen, dass das evtl. eine Option für euch wäre, wenn ihr mal (wieder) wegen Depressionen in stationärer Behandlung seid.

Grüße Cool
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