Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

ANOVA
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von ANOVA »

Hallo Brittka,

>Ich glaube sowieso, dass wir von uns aus keine realistische Sicht darauf haben können und von daher auch nicht beurteilen können, wem es nun besser oder schlechter ging.

Da stimme ich Dir natürlich zu!

Vermutlich muss man bzgl. dem Ausmaß der Zerstörung auch einschränkend dazu sagen, dass Städte, die in industrieller oder politischer Hinsicht wichtig waren, generell mehr abbekommen hatten.

Ich bin halt in den beiden von mir genannten Städten aufgewachsen und habe immer ein seltsames Gefühl bekommen, wenn ich meinen Partner in Aachen besucht hatte und wir auf irgendwelchen Ausflügen an Soldatenfriedhöfen und Grenzwällen vorbeikamen...

Aber es spielt ja auch keine wirkliche Rolle, denke ich.

Liebe Grüße
Xenia
Helle
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Helle »

Hallo Steppenwolf,

sorry, ich habe das nicht richtig beschrieben:

Es waren immer nur Überlegungen.
Je nach Informationslage sprang den Therapeuten und mir die jeweilige "Mode" direkt in die Augen.
Stimmungsstabilisatoren nehme ich nicht. Ich hatte einmal eine Hympomanie mit schweren Depressionen gemischt, als ein Medikament schlagartig abgesetzt wurde (Entscheidung eines Arztes - dem das alles schrecklich unangehm war und der sich bei mir entschuldigt hat: guter Arzt).
Danach gab es ganz,ganz schwere Depris die mich Monate meines Lebens gekostet haben.


Geblieben ist nichts ausser der Depression.
Und meinem Temperament, dass ich wohl geerbt habe.
Brighty
Liber
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Liber »

>In Sachen Selbsterfüllung schreiben wir vielleicht aneinander vorbei? Ich meinte eher die unbewusste Komponente: Z.B. hat jemand als Kind verinnerlicht, dass er im Grunde nicht liebenswert ist, weiß das aber nicht unbedingt und verhält sich in einer Weise, die genau die gefürchtete Ablehnung provoziert. Fühlt sich aber jemand liebenswert und verhält sich unbewusst "angemessen", kann die Beziehung zu einem anderen Menschen trotzdem schief gehen.

Liebe Lee,

ich glaube, jetzt verstehe ich. Du meintest, jemand, der mit dem Gefühl lebt "ich werde sowieso wieder verlassen" provoziert das Verlassenwerden auch unbewusst und hält die sich selbsterfüllenden Prophezeiung dadurch auch wach und am Leben. Da stimme ich dir zu.

Aber es kann auch jemand, der nicht damit lebt, vom Partner verlassen werden. Klar, das ist so!

Aber das hat dann wohl nicht mit einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung, sondern - ja, womit zu tun? Mit dem Lauf des Lebens vielleicht ...


Lieben Gruß
Brittka
ANOVA
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von ANOVA »

Lee

>Oder auch Nord-Süd-Schiefe.

Nicht zu vergessen: der Ost-West-Exzess.

>Nicht umsonst zaudern auch die Gerichte, wenn es um die Bezeichnung "Persönlichkeitsstörung" oder "gestörte Persönlichkeit" geht: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Nun, das stimmt so nicht ganz. Zumindest im Strafrecht wird oftmals zu schnell eine PS-Diagnose vergeben, vor allem wenn es um Gutachten bzgl. Legalprognose geht.

>Liegt hier nicht u.U. ein moderner Attributionsfehler vor? Ein Anderer verhält sich sozial unangepasst, also liegt der "Schaden" in der Persönlichkeit ... Man selber vergibt ja nur einen Namen, d.h. handelt in einer Situation?

Hmm, ich glaube nicht so recht an einen Attributionsfehler. Denn die Diagnose wird ja nicht mal eben so verteilt, weil der Diagnostiker den Probanden unnormal findet. Man vergisst leicht, dass neben den für die einzelnen PS spezifischen Kriterien immer auch die allgemeinen Kriterien einer PS erfüllt sein müssen, vgl. z.B. die Vorbemerkungen zu den PS im ICD 10: Solche Verhaltensmuster sind meistens stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche des Verhaltens und der psychologischen Funktionen. Häufig gehen sie mit einem unterschiedlichen Ausmaß persönlichen Leidens und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher. Findet man vor F 60.-. Im DSM IV ist das, glaube ich, noch detaillierter beschrieben.

Natürlich läuft man immer Gefahr, jemanden durch diese Diagnose zu stigmatisieren. Andererseits bringt es nicht selten auch den Betroffenen Erleichterung, weil sie durch das Label von einer „Schuld“ freigesprochen werden. Erst dann können viele anerkennen, dass sie nicht selbst schuld an den Problemen sind.

Zur Frage, was an einer PS eigentlich stört kann ich Dir wärmstens die 6. Auflage vom Fiedler empfehlen: http://www.amazon.de/Pers%C3%B6nlichkei ... 56-7648517

Liebe Grüße
Xenia
Lee
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Lee »

Hi Xeni

>>>Solche Verhaltensmuster sind meistens stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche des Verhaltens und der psychologischen Funktionen

Vielen Dank für dieses Zitat. Es rückt die Definition von "Persönlichkeit" in meinem Lehrbuch zurecht, nämlich dass nur Stabilität im Verhalten, d.h. Berechenbarkeit Persönlichkeit ausmacht. Dein Zitat bedeutet, dass jemand, der immer unberechenbar handelt, Kontinuität zeigt. Und wenn nicht, auch. Das hatte ich übersehen. Gut, dass du in diesem Forum schreibst. Ich lerne viel von dir.

Zum Strafrecht: Vielleicht kenne ich zu viele Rechtsphilosophen. Kann gut sein, dass meine Erfahrung nicht repräsentativ ist.

Ich bin sehr gespannt, ob die Chronische Depression zur PS ernannt wird. Dann wird's in diesem Form noch bunter.

Viele Grüße

Lee
flocke
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von flocke »

Wie wäre es denn dann, wenn man keine Diagnose bekommt (viele bekommen sie ja erst spät, oder nur auf Anfrage gesagt)... Verhalten die sich dann gesnd/gesünder?
Warum sind sie dann in Behandlung?

Fakt ist, irgendetwas wird schon nicht stimmen am Erleben und Verhalten... Ich denke nun nicht dass irgendein Arzt einem aufgrund von Böswilligkeit die eine oder andere Diagnose gibt, er wird sich schon was dabei gedacht haben.

An Modediagnosen glaube ich nur bedingt, zumindest was Fachärzte angeht (Diverse Mütter/Erziehen vergeben mitunter sehr schnell "Möchte-gern-Diagniosen wie AD(H)S *stöhn*)
Ich denke ein Psychiater schüttelt Diagnosen nicht aus dem Ärmel, sondern bezieht sich auf Symptome (oder was glaubt Brighty z.B. warauf sich ihre Diagnosen bezogen haben???).
Dieses Nord-Süd-gefälle ist ein interessantes Phänomen und ich denke auch dass Ärzte mitunter lieber erstmal ein wenig kleiner anfangen als mit gestörter Persönlichkeit... wer aber lange Zeit jemanden kennt, wird, sofern er auf dem gebiet Ahnung hat, schon beurteilen können was jemand hat, oder nicht.

Ich meine, klar, Diagnosen ändern sich. So wären wir vor 200 Jahren nicht "Depressiv" gewesen, sondern hätten für das was wir haben den "Namen" bekommen, den es damals dafür gab, nach kriterien die es damals gab. Das hat aber nix mit "Modediagnose" zu tun, sondern mit Wissenstand, Erfahrung, Wandel....

Wenn wir uns unsere Diagnose aussuchen könnten, oder sagen wir mal dem was wir haben einen "Namen" geben könnten, welchen würden wir wählen? Ich denke jeder würde einen anderen wählen...
Ist das schlecht oder gut? Weder noch, jeder ist verschieden....
Nun ist es zwar wichtig auf jeden Individuelle einzugehen, mitunter ist das aber nicht möglich und da finde ich es dann schon wichtig sich auf Gemeinsamkeiten zu einigen, um möglichst vielen helfen zu können....

Ich meine um es mal an einem blöden Beispiel festzumachen. Nehemn wir mal Wintermützen und nehmen wir mal an in Duetschland gäbe es noch richtige Winter. Wie aufwendig wäre es denn jeden einzelnen Kopf auszumessen und jedem eine ganz individuelle Mütze zu machen? Klar, das wäre toll, die Mütze würde super passen, aber bis man fertig wäre, wäre der Winter vorbei und niemandem geholfen. Und das, jedes Jahr aufs neue...
Da ist es doch vorteilhafter, sich darauf zu einigen, dass jeder mensch einen Kopf hat und der eines Erwachsenen im Durchschnitt einen so und so großen Umfang hat und die Augenbrauen in etwas so weit vom chädelzentrum entfernt sind... dann noch ein paar Ausweichgrößen und Modelle... voila! Ein jeder wird eine warme Mütze haben, sodass ihm nicht die Ohren abfrieren... Wenn man dann mit dieser Standartmütze so garnicht zufrieden ist, kann man sich ja selber eine Stricken... dagegen spricht ja nichts. Nur ändert das halt nichts an der Tatsache dass man einen Kopf hat und im Winter friert. Nicht jeder kann das, oder kann sich das leisten (Kassenpatienten?) und wenn man sich dann auch noch einredte, man würde garnicht frieren, also auch keine Mütze brauchen, tja dann muss man halt auch seine Ohren verzichten und damit leben, dass einen die anderen blöd angucken, wenn man mit eisblauen Ohren durch die Gegend läuft....

Flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
otterchen
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von otterchen »

Hallo Flocke und hi an die anderen

Ich wäre zum einen froh gewesen, wenn ich die Diagnose Depression viel früher bekommen hätte. Bis dahin hab ich mich einfach nur "anders" gefühlt.

Ähnlich verhält es sich mit der Endometriose. Ich habe einige Zeit mit meinem damaligen Gynäkologen herumgebastelt, bis ich im Internet auf dieses Stichwort stieß. Als ich ihn darauf ansprach, ob ich sowas in der Art habe, meinte er "ja genau, genauer gesagt sogar... (blabla)".

Hallo?! Bin ich nicht mündig? Warum kann mir ein Arzt sowas nicht sofort sondern erst auf Nachfrage sagen?
Erst MIT dieser Diagnose konnte ich mich umfassend informieren und darauf einstellen. Und mittlerweile kann ich sogar besser damit umgehen.
Ohne diese Diagnose würde ich quasi "in der Luft hängen", mich wundern, was ich wohl habe.
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
flocke
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von flocke »

Habe nochmal editiert.... Ach ich liebe Vergleiche....

siehe oben...

Und nehmts mir nicht übel, dass ich Depris mit "frieren" und abfirierenden Ohren verglichen habe.

Flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
Lee
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Lee »

Hallo Flocke,

>>>Nun ist es zwar wichtig auf jeden Individuelle einzugehen, mitunter ist das aber nicht möglich und da finde ich es dann schon wichtig sich auf Gemeinsamkeiten zu einigen, um möglichst vielen helfen zu können....

Ja schoooooon, aber trotzdem soll Therapie doch auf jeden Einzelnen zugeschnitten und den Patienten eben keine 0-8-15-Therapie übergestülpt werden, um bei deinem Mützenbeispiel zu bleiben? So gesehen braucht's gar keinen Namen.

Aber du hast Recht, man kann nicht alle Wünsche erfüllen und jeder soll es so halten, wie er möchte.

Viele Grüße

Lee
flocke
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von flocke »

Ja, aber bei Medikamenten Beispielsweise? Da ist es einfach nicht anders möglich. oder wie soll das gehen? Da muss man die Standartmedis nehmen die es gibt und dann halt über Dosierung, Kombination etc. austarieren was passt (eine Mütze kann man auch iumschlagen wenns sein muss ) Nur ist es halt ohne "Namen" schwierig überhaupt ein Medi zu bekommen. Da sind verallgemeinerungen schon nicht schlecht finde ich (zum Beispiel wenn sich herausstellt, dass bei 99% der "Depressiven" Medikament XY negatve Nebenwirkungen hat).

Es sind natürlich nur Richtwerte, aber wenigstens die hat man. Sonst wäre jeder Patient ein absolutes Versuchskaninchen, niemand könnte von irgendwelchen Vorerfahrungen profitieren...

Und in der Therapie muss der Therapeut uch auf Standarts zurück greifen um erstmal anfangen zu können.... wenn sich dann herausstellt Taktik XY wirkt nicht, oder wirkt leicht abgewandelt besser... Na dann super! So machen!


Eine Name, eine Diagnose kann doch auch Mut machen. So nach dem Motto, das haben andere auch, da gibt es schon bewärte Mittel....


Flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
Lee
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Lee »

Da hast du auch Recht. 2:0 für dich, Flocke. Erfahrungswerte sind natürlich von Vorteil und können nicht nur Leid abkürzen, sondern auch Mut machen.
flocke
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von flocke »

Na, na, wenn dann unentschieden, DENN, ich habe bisher nur nicht gesagt dass ich Standardtisierte Sachen allgemein zumindest Skeptisch sehe und ich ganz klar sage, dass jeder Mensch verschieden ist.

Es gibt bei jeder (psychischen) Krankheit Symptome die vielleicht viele haben aber nicht jeder und nicht in einer bestimmten Konstellation...

Diagnosen, Namen, aber nicht selten einen bitteren Nachgeschmack, sie verleiten (im psychischen Bereich) nicht selten zu Abwertung, Schubladendenken etc. (wie ja bereits beschrieben). Dass ist dann aber Dummheit, Verbohrtheit, Ignoranz.... oder aber auch UNSICHERHEIT und ANGST von Seiten der Nicht-Betroffenen. Können wir ihnen das zum Vorwurf machen? besonders wenn sie bisher keine, oder schlachte Erfahrungen gemacht habe?! Ich denke nein.

so, jetzt schweife ich aber in den of-topic Bereich.

Also, können wir uns auf ein 2:2 einigen?

Flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
BeAk

Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von BeAk »

Liebe Lee,

zu Deinere Frage von oben.

Ich denke, das ein gut ausgebildeter Diagnostiker seine Pappenheimer kennt und nicht jedem Patienten erstmal eine PS anhängt.

Es war und ist für mich zu erkennen, das mir immmer als erstes Fragen aus dem Bereich der PS/BPS gestellt werden, obwohl ich die Diagnosekreterien nicht erfülle.
Meine neue V-Therapeutin hat dem Rechnung getragen, in dem sie mir eine kombinierte PS diagnostiziert hat.


Was die Dysthymie betrifft, so wurde diese erst vor einigen Jahren aus dem Bereich der PS herrausgenommen, hieß also vormals depressive Persönlichkeitsstörung.

Bist Du sicher, das man das jetzt wieder rückgängig machen will?
Lee
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Lee »

Ok, Flocke, unentschieden.

Hallo, Bea!

Sicher bin ich mir in Sachen Psychologie bei gar nichts. Das Fach ist zu groß, zu unübersichtlich, zu jung - und zu spannend. Ich habe diese Info von einem aktiven Psychiater. Welche Gruppierung da nun genau überlegt und ob die wirklich DEN Einfluss hat, kann ich allerdings nicht beurteilen. Wir werden es sehen.

Vielen Dank allen für die spannende Diskussion heute, mir geht's jetzt wieder gut.

Lee
BeAk

Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von BeAk »

Liebe Flocke,

sein Diagnose nicht mitgeteilt zu bekommen heißt nicht, keine zu haben.

Wer zum Arzt oder Therapeuten geht, bekommt immer eine Diagnose.
Schließlich muß dieser seine Bemühungen ja mit der KK abrechen.

Ein Behandler übt seinen Beruf ja nicht zum Zeitvertreib aus.
ANOVA
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von ANOVA »

Hi Lee,

danke für Dein Kompliment *schäm*.

Über die Frage, was die Persönlichkeit ausmacht, kann man sich trefflich streiten – ich denke mit Grauen an mein Vordiplom zurück, für das ich ungefähr eine Millionen Theorien zur Persönlichkeitspsychologie lernen musste.

Hier aber mal die allgemeinen PS-Kriterien aus dem DSM IV. Damit wird es vielleicht noch ein bisschen eindeutiger:
Ein charakteristisches und überdauerndes Muster von innerem Erleben
und Verhalten, das deutlich von kulturell erwarteten und akzeptierten
Normen abweicht und zu klinisch bedeutsamem Leid oder
Funktionsbeeinträchtigungen führt.
Das Muster manifestiert sich in folgenden Bereichen:
(1) Kognition
(2) Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen
(3) Affektivität
(4) Impulskontrolle
Die Abweichung ist stabil, beginnt in der späten Kindheit oder Adoleszenz
und kann nicht durch eine andere psychische Störung, organische Störung
oder deutliche Funktionsstörung des Gehirns erklärt werden.

Wichtig sind besonders: die Beeinträchtigung im sozialen Funktionsbereich und der durch das Muster entstehende Leidensdruck bei den Betroffenen (oder deren Umfeld ).

>Zum Strafrecht: Vielleicht kenne ich zu viele Rechtsphilosophen. Kann gut sein, dass meine Erfahrung nicht repräsentativ ist.

Naja, mit Rechtsphilosophie habe ich nix zu tun, sprich’ davon habe ich keinen Plan. Ich kriege das mit den PS nur im strafrechtlichen Bereich mit. Netterweise werden bei der Bewertung von Schuldunfähigkeit die PS unter „schwere andere seelische Abartigkeit“ subsumiert (vgl. § 20 StGB), was ich doch irgendwie diskriminierender finde als das Wort „Persönlichkeitsstörung“...

>Ich bin sehr gespannt, ob die Chronische Depression zur PS ernannt wird.

Ich glaube, die depressive PS gab es schon mal im DSM oder ICD (oder beiden)... Ausgangspunkt ist, glaube ich, dass man davon ausgeht, dass bei chronischen Depressionen bestimmte Persönlichkeitseigenschaften einen Rückfall der Depression wahrscheinlicher werden lassen oder eben die Depression aufrechterhalten. Man muss aber auch hier sehen, dass das keinesfalls heißt, jemand sei selbst schuld an seiner Erkrankung. Diese Persönlichkeitseigenschaften kann man auch als auf bestimmte Situationen gelernte Reaktionsmuster sehen, also quasi als Kompetenz. Aber ich habe da nicht wirklich Ahnung, oder besser gesagt: ich habe keine Ahnung vom Thema „depressive PS“.

>Dann wird's in diesem Form noch bunter.

Naja...

So, jetzt werde ich mich vielleicht mal um meine schon sehnsüchtig auf mich wartende Praktikumsliteratur kümmern, ich will in den nächsten Tagen ein Auswertungsschema vorstellen...

Liebe Grüße
Xenia
Lee
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Lee »

Danke, Xenia!
BeAk

Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von BeAk »

Liebe Lee,

ich glaube das die Analytiker allgemein mit dem System des ICD 10 nicht gerne Arbeiten, da es die Entstehung der Störung nicht berücksichtig und sich allein nach den vorhandene Symptomen richtet.

Aber leider müssen sie die ICD 10 verwenden, wie alle Diagnostiker.

Mein Ex-Therapeut und Analytiker sagte mal, er habe sich inzwischen daran gewöhnt, das die depressive Persönlichkeitsstörung jetzt zu den Affektiven Störungen zählt und Dysthymie heißt.
flocke
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von flocke »

Hallo Bea,

ja, stimmt eine Diagnose hat man trotzdem... deshalb kann ich nicht ganz verstehen, wie man sich gegen eine Diagnose wehren kann. Ich meine, wenn man mit der Behandlung bisher zufrieden war, kann das doch also nicht sooo daneben gelegen haben. Ein schlechter Therapeut macht bei der "richtigen" Diagnose doch keine bessere Arbeit, oder?

Nehmen wir mal an, jemand verhält sich wie ein Depressiver par excelenence (oh je Französisch ist lange her, ich hoffe das war richtig) und äussert sich bezüglich des Erlebens auch so, wie es im Buche steht (zumindest so, dass er laut ICD-10 als depressiv bezeichnet werden würde), behauptet aber von sich, "nee, klassivizieren kann man mich nicht, ich hab was anderes".... was wäre das dann? Ich bin mir nicht sicher, denn ich denke, wenn man leidet wird man nach Strohalmen greifen, Namen suchen, Erklärungen suchen, statt sich gegen alles zu verwehren...


Und nochmal zum Begriff "Modediaagnose". Für mich hat eine Diagnose wenig mit Mode zu tun. krank sein ist nicht chic, oder entspricht einem Trend, den jeder mal mitmachen möchte. Krank sein ist leiden. Was hat das mit Mode zu tun?

Dennoch, sind manche Umschreibungen attraktiver (wie Xenias Beispiel) zeigt, deshaalb kann ich schon verstehen dass man sich gegen bestimmte Bezeichnungen, zu mindest allgemein wehrt, dass man nicht daraus reduziert werden will...


Flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
flocke
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von flocke »

@michael,

ich antworte mal hier denn ich denke deine Antwort hat sich nur ein wenig verirrt...

Ja, zu groß sollte sie nicht sein und auch nicht viel zu klein...

Und bezüglich meiner Signatur, die ist eher als kleine Provokation gedacht. Ich benutze diesen Satz oft, wenn jemand "furchtbar" positiv ist, oder Dinge irgendwie sehr einseitig positiv beschrieben werden. Im allgemeinen herrscht dann, in sofern den Satz noch niemand kannte, erstmal Ruhe.... Maan denkt dann erstmal nach und wenn man dann zu dem Schluss kommt Optimisten wären Pessimisten mit Erfahrung bin ich im allgemeinen zu frieden...
Allerdings gab es Zeiten das entsprach dieser Satz meiner Lebenswirklichkeit. Wie gut dass wir uns entwickeln, neue Erfahrungen machen.
Mit diesem Satz zolle ich dieser zeit allerdings noch einen gewissen Tribut. Mittlerweile kehrt sich in zeiten der Depri zwar mein Weltbild und Slebstbild nicht mehr gänzlich um, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie sich absolute Hoffnungslosigkeit anfühlt, wie es ist wenn nicht mal der Kopf anders denken kann...

Flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
Schnarchi
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Schnarchi »

Hi Flocke

Dein Spruch funktioniert eigentlich in beide Richtungen. ...So wie fast alles im Leben mit mindestens zwei "Wahrheiten" behaftet ist.

Die Frage aller Frage ist nur immer....welche Seite guck ich mir an ?

Beide wollen/müssen beachtet werden, aber die Positive ist die Wertvollere; ...die Schönere, die Spannendere und die Lebendigere.

.....Auf übermäßiges Optimistentum reagiere ich allerdings auch gern mit schwarzem Humor .
steppenwolf1

Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von steppenwolf1 »

Hi zusammen,

jetzt hab ich hier etwas den Anschluss verloren, versucht alles nachzulesen.

@michael* : ein Ansatz ist bei mir auch, dass das Gesundwerden an dem "Funktionieren müssen" scheitert. was bedeutet denn Funktionieren:

- Leistungsfähigkeit im Job (ganz wichtig - auch um aus der Abhängigkeit des Staates/Steuerzahlers rauszukommen - wobei es auch einen anderen Weg gäbe ....)
-> diese Leistungsfähigkeit auch kontinuierlich besteht bzw. sogar gesteigert werden muss/soll

- und im Umgang mit Kollegen etc. nicht anzuecken (egal wie - blöd nur, dass alles was man macht oder nicht macht falsch ist)

Insofern bin auch sehr froh eine Reha machen zu dürfen, denn ohne würd ich es nicht schaffen (und hoffe, dass ich es mit schaffe - kostet auch eine Menge Geld )

Danke für das letzte Post - musste stellenweise schmunzeln

Auch der Mützenvergleich (@flocke) ... ja, irgendwie passend ... dabei hab ich mir sogern ne maßgeschneiderte Mütze gewünscht.

Ich denke nicht, dass ich die BL-Diagnose generell ablehne - ich hätte sie nur lieber nicht. Hab einfach schon zu schlechte Erfahrungen gemacht auch seitens sog. Fachleuten (und das nicht nur einmal). Hab auch oft? das Gefühl, wenn was angesprochen wird, dass gesagt wird ... "die bösen PSler" - aber das Thema hatten wir schon (Xenia )

So, werd mal meine Stricknadeln und Wolle suchen gehen ....

s.wölfin
Wander
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von Wander »

Hallo Bea, du hast geschrieben, dass bei einer PS die Fachleute meist sofort diagnostizieren. Ist die denn leichter zu erkennen als eine Depression z.B, die ich bei mir schon ganz alleine entdecken musste?

Ich war auch noch davon ausgegangen,dass eine chronische Depression als PS gilt, lese hier aber, dass dem nicht so ist.

Und hat einer eigentlich eine PS, wenn er/sie einen Leidendruck hat, aber sozial "funktioniert"?

Wenn ich über PS gelesen und gegoogelt habe, hatte ich immer den Eindruck, dass sie genau das Gleiche ist wie eine psychische Störung, nur eben chronisch. Das scheint´s aber nicht zu sein?

Alle, die hier die Diagnose PS habt: Findet ihr euch so anders als diejenigen, die "eure" Störungen auch haben, aber nicht als PS?

Verwirrte Grüße! Düne
flocke
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von flocke »

Kannst du deinen letzten Satz genauer erklären Düne?

Ich verstehe nicht ganz was du meinst


Flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
leich
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Re: Achtung: Diagnose als selbsterfüllende Prophezeiung

Beitrag von leich »

Hallo Helle.

ich mische mich mal eben unquallifiziert ein

Die Diagnose Depression nützte mir herzlich wenig, darüber ist schließlich noch so gut wie nichts bekannt
Diagnosen machen Kopfzerbrechen, gute Ärzte ignorieren sie, müssen jedoch der Kasse wegen eine Diagnose stellen.

Mit der Diagnose, Neurotisch - Depressiv konnte ich einwenig mehr anfangen, denn neurotisch sind wir Menschen alle einwenig und Depressiv können wir auch alle werden.

Borderlinestruktur in Kindertagen,- fand ich ebenfalls recht gewöhnlich, durchleben wir schließlich auch alle und das Schizotype Wesen setzte dann dem ganzen die Krone auf, das käme einem Genie gleich.
Der menschliche Geist ist einfach faszinierend, je klüger ein Mensch um so ausgeklügelter sein Wahnsystem.

In Co- Existenz leben wir Menschen auch alle, es sei denn wir verhalten uns autistisch und somit nahm der Wahnsinn mit meinen Diagnosen seinen Lauf, wenn ich nicht losgelassen hätte und alles in einen Topf gehauen hätte um dann zu schauen was wirklich mit mir los zu sein scheint.

Da ich das nicht alleine kann habe ich mir ein Netzwerk geknüpft, Menschen die gut auf mich aufpassen, einen soliden Freundeskreis.

Das sind allerdings Freunde, die mir nicht nur Freude bereiten.
Gerade eben habe ich mich mit einem Juristen unterhalten, der mir gestern Arroganz an den Kopf knalle und meinte, dass ich mich endlich entscheiden solle, was ich wolle.
Wenn ich in der Kirche etwas bewegen möchte, dann solle ich gefälligst wieder eintreten und mich hochdienen.

Demut ist immer wieder angesagt, da hat er Recht.

Ich ringe z.Z. um eine Freundin, die vollkommen abgedreht in Berlin hockt und hoffentlich ihre Diplomarbeit nicht schmeißt, die so gut wie fertig ist.

Sie hält den Kontakt zu mir und ich hoffe dass alles gut geht.

Mein Vater wird morgen operiert und meine Mutter ist mehr oder weniger hilflos alleine zu Hause. Da muß ich mich entscheiden was ich tue, wenn das System vollends zusammenbricht.
Notfalls werde ich einen Betreuer einsetzen und auf das Erbe verzichten.
Verabschiedet habe ich mich längst von meinen Eltern und dass Gott ihnen beisteht, das weiß ich.

Diagnosen sind ein müßiges Thema ein Unendliches.
Mich kostete dieses Thema meine letzten Nerven, erst mit der Beschäftigung fingen meine Schwierigkeiten so richtig an.

Herzlichst

Brosch
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