Angehörige verdrängen Krankheit

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shahri
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von shahri »

Hallo zusammen.

Ich habe ein ernsthaftes Problem mit meiner Familie meine Krankheit betreffend, und weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich weiterhin damit umgehen soll. Die Problematik ist folgende:
Ich bin vor etwa fünf Jahren das erste Mal stationär in Therapie gewesen wegen diverser psychischer Probleme, die sich bereits seit Jahren aufgestaut hatten (die ganze Schulzeit über). Nach dem Abitur war ich dann zehn Wochen stationär, kein halbes Jahr später noch einmal zwölf Wochen. Damals wurden mir verschiedene Persönlichkeitsstörungen (Borderline, selbstunsichere Persönlichkeit, depresssive Persönlichkeit) sowie eine rezidivierende Depression diagnostiziert. Meine Psychiaterin hat meine Erkrankung mitlerweile als chronisch bezeichnet (es geht mir schon viel besser als in der akuten Phase, in der ich in der Klinik war, aber wirklich gut geht es mir eigentlich nie). Ich komme mit der Erkankung mittlerweile klar, studiere, bin kurz davor wenigstens einen ersten Abschluß zu machen. Aber ich habe trotzdem - zeitweise - immernoch heftige Einschränkungen mein Leben betreffend.
Aus finanziellen Gründen wohne ich bei meinen Eltern, was eigentlich auch gut funktioniert. Das Problem, das ich allerdings immer mehr sehe, ist, dass meine Eltern scheinbar völlig vergessen haben, dass ich eben nicht 'normal' im üblichen Sinne bin, und nach wie vor nicht dauerhaft funktionieren kann, wie sie es erwarten. Mir werden mittlerweile wieder die gleichen Vorwürfe gemacht, die ich mir anhören musste, bevor sie von meiner Krankheit erfahren haben, wie: du bist faul, du kommst bloß mit dem Hintern nicht hoch, stell dich nicht so an, arbeiten und studieren muss auch gleichzeitig gehen, du bist ja selbst schuld, dass du bei uns wohnen musst, du strengst dich nicht genügend an.
Frei nach dem Motto "du bist doch wieder gesund" bzw. "du hast gefälligst endlich gesund zu sein". Natürlich würden sie das nie so formulieren, es ist vermutlich auch schlichtweg sehr schwierig für sie (zieht sich ja jetzt alles schon sehr lange hin und belastet sie natürlich auch, das verstehe ich). Aber ich habe das Gefühl, völlig ignoriert zu werden. Leute die ich einmal die Woche sehe, bemerken an kleinsten Veränderungen meines Verhaltens, dass es mir nicht gut geht, und meine Eltern ignorieren selbst konkrete Aussagen meinerseits darüber, wie es mir geht, bzw. machen sich sogar lustig: da werde ich auch gerne mal als pubertär bezeichnet.
Das erschreckende ist, dass sie beide wissen müssten, wie die Realität aussieht, denn zum einen kommen sie aus der Gesundheitsbranche (Pflege), und zum anderen kennen sie die Depression auch selber (mein Vater hatte zwei depressive Episoden). Dass sie so tun, als wäre bei mir jetzt alles wieder wunderbar, finde ich vor allem deswegen schwierig, weil ich ihren Erwartungen nicht gerecht werden kann. Sicher wäre ich gerne gesund, aber zur Zeit sieht es halt anders aus.

Was zum Teufel soll ich machen? Ich habe sie schon mehrfach darauf hingewiesen, dass das ganze nicht „vorbei“ ist. Dass ich die Problematik immer noch habe: keine Reaktion. Ich merke zudem, dass es mir wieder schlechter geht, da ich die Tatsache, dass ich nicht ernstgenommen werde, sehr verletzend finde. Das führt dazu, dass ich selber verletzend werde, was ich eigentlich gar nicht möchte. Wenn das nicht so wäre, würde ich ja sagen: sollen sie es doch verdrängen. Aber das funktioniert nicht, jedenfalls nicht, solange wir zusammen wohnen müssen. Daran lässt sich aber momentan nichts ändern.

Das war jetzt länger, als ich wollte... Vielleicht hat ja jemand bis zu Ende gelesen und hat eine Idee, wie ich meinen Eltern klar machen kann, dass ich noch immer krank bin? Ich will nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, aber wenn mir ständig Vorwürfe meiner Krankheitssymptome wegen gemacht werden, habe ich damit schon ein Problem.


Shahri
AvantGarden
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Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von AvantGarden »

Hallo Shahri,

das hört sich ja nicht so toll an. Ich kann mir vorstellen, dass Ihr - Deine Eltern und Du - einfach zu eng zusammen seid. Ich bin/war seit letztes Jahr März depressiv, wohne aber schon seit 10 Jahren nicht mehr zu Hause (bin auch schon 34 Jahre). Ich hab festgestellt, dass ein bisschen Abstand gut tut. Meine Eltern, besonders meine Mutter, haben immer zu mir gehalten und geholfen, aber trotzdem musste man auch "weg" können - sowohl meine Eltern von mir als auch umgekehrt. Gerade wenn Dein Vater auch schon mal krank war und das mit Sicherheit auch Auswirkungen auf die ganze Familie hatte, ist eine Trennung auf Dauer wohl unabdingbar. Ich kann mir vorstellen, dass sich Deine Eltern einfach nicht mehr ständig damit befassen wollen, so gemein das auch klingt.
Du solltest Dir sobald das möglich ist, vor allem finanziell, eine Wohnung oder ein WG-Zimmer suchen (letzteres würd ich vorziehen, da bist Du nicht allein). Du wirst sehen, das wirkt Wunder.

Einen anderen Rat hab ich jetzt auch nicht für Dich.

Wünsch Dir weiterhin viel Kraft und alles Gute.
** Jeder Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag (Charlie Chaplin) ""
jochen
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Registriert: 2. Jul 2008, 10:32

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von jochen »

Ich kenne das Problem auch. Dass das Umfeld irgendwie die Tragweite der Krankheit nicht erkennt (oder erkennen will). Andererseits will man selbst auch kein Mitleid. Insofern ist auf der Seite der Gesunden oft auch ein großes Maß an Unsicherheit vorhanden.

Vor dem Entschluss zum Auszug solltest du dir eindeutig klar werden, ob es nicht eine Flucht wird, nach der sich einiges wiederholt. Grund: Du nimmst dich ja mit.
BeAk

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von BeAk »

Liebe Shahri,

ich sehe es genau so wie Dani. Du bist erwachsen und somit für Dich selber verantwortlich, auch wenn du krank bist.

Deine PS wirst Du warscheinlich, auch bei erfolgreicher Therapie, noch ein paar Jahre mit Dir rumschleppen. Eine Dysthymie hat man oft Jahrzehnte, eventuell ein Leben lang.

Der Wunsch Deiner Eltern ist, das Du ein erwachsenes selbständiges Leben in Eigenverantwortung führst.
Auf Deine Gesundung kann niemand, auch du selber nicht, warten.

Das Leben schreitet voran, Du solltest in Deinem Leben Deinen Weg gehn.
Mach Dir mal Gedanken darüber und las Dich von Deiner Therapeutin beraten, wie Du Dein Leben am besten in Deine Hand nehmen kannst.

Ich vermute, das auch ein Rückfall in die Krankheit Deine Eltern nicht davon überzeugen wird, Dich weiterhin wie ein kl. Kind an der Hand zu führen.
shahri
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von shahri »

Hallo zusammen.

Ich möchte ganz sicher nicht wie ein kleines Kind an die Hand genommen werden, Bea, im Gegenteil. Ich möchte lediglich in Ruhe gelassen werden. Ich denke nicht, dass das zu viel verlangt ist.
Dani: ich habe bereits außerhalb gewohnt, und bin wie gesagt nur aus finanziellen Gründen wieder zurück zu meinen Eltern gezogen. Gleichzeitig arbeiten und studieren hat mich auf Dauer überfordert (zeitweise geht es, aber halt nicht immer, z.B. wenn stressige Klausuren etc. anstehen). Hätte ich das Geld, würde ich sofort wieder ausziehen. Wenn ich meinen B.A. fertig habe (nächstes Frühjahr), bekomme ich auch wieder einen Studienkredit für die Gebühren, dann wird das wieder möglich sein. Ich werde also im nächsten Jahr definitiv wieder ausziehen, ich habe nur keine Lust, mich bis dahin jeden Tag fertigmachen zu lassen. Es geht mir um die Überbrückung bis dahin.
Ich warte auch nicht einfach darauf, dass es mir irgendwann besser geht, Bea, ich arbeite schwer daran, seit Jahren, und die Tatsache, dass ich mein Studium trotz allem mit durchaus guten Noten geregelt bekomme zeigt wohl, dass ich mich nicht hängen lasse. Meine Therapeutin hatte mir eine schöne, dumme Ausbildung empfohlen, weil ich ein Studium sowieso nicht schaffen würde, wegen der Menschenmasen etc., aber siehe da: es geht doch. Hätte ich auf die gehört wäre ich heute Friseuse oder würde bei Aldi kassieren für den Rest meines Lebens. Da finde ich es doch wesentlich eigenverantwortlicher, wie ich mich entschieden habe - alleine. Ein Therapeut ist wohl der letzte der einem sagen kann "wie man sein Leben in den Griff kriegt".

Alles was ich mir gelegentlich wünsche, ist ein wenig mehr Verständnis von Seiten meiner Eltern. Wenn das nicht machbar ist, möchte ich wenigstens in Ruhe gelassen werden (ich brauche halt für alles etwas länger, aber ich mache es!)
Andere Leute die ich kenne, mit ähnlichen Problemen wie ich, sind mittlerweile komplett arbeitsunfähig geschrieben worden und werden den Rest ihres Lebens gar nichts mehr tun. Von daher würde ich nicht sagen, dass ich mein Leben nicht im Griff habe, bloß weil ich im selben Haus wie meine Eltern wohne (was nützen einem Ehe, Kinder, eigene Wohnung, wenn es einem doch nicht besser geht und man nur Zuhause rumsitzt und von Hartz 4 lebt?).
BeAk

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von BeAk »

Liebe Shari,

Du wohnst im Haus Deiner Eltern, im ihrem Einflußbereich, lebst von ihrem Tisch.

Sie werden Dich nicht in Ruhe lassen.

Beantrage Bafög und zieh aus.
flora80
Beiträge: 3620
Registriert: 24. Mär 2003, 18:48

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von flora80 »

Liebe Shahri,

ich liege gerade in den letzten Zügen meines Studiums, hatte aber währenddessen oft mit ähnlichen Problemen zu tun, wie du sie beschreibst, auch wenn ich seit Jahren allein wohne.

Meine Eltern und vor allem mein Bruder haben auch nie sehen wollen, was ich trotz allem geleistet habe und das hat mich immer sehr getroffen. Meine Eltern haben mich auch wegen des Geldes ganz oft unter Druck gesetzt, auch unbewusst. Ich habe mich immer wie eine Versagerin gefühlt, eine Enttäuschung für alle, u.s.w. Seit meiner Kindheit hatte ich das Gefühl, dass mein Leiden und meine Empfindungen "zu viel" für alle sind und deshalb gar nicht erst gesehen werden.

Für deine Eltern ist es der einfachere und bequemere Weg, sich nicht damit auseinanderzusetzen und so zu tun, als sei alles wieder in bester Ordnung bzw. dir Faulheit und eigene Schuld zu unterstellen. Im Grunde genommen werden es ihre eigenen Schuldgefühle sein, die sie so (momentan ja auch erfolgreich) auf dich abwälzen. Das ist zumindest eine Vermutung von mir, in meinen Ohren klingt es sehr danach.

Ich kann das Dilemma, in dem du dich befindest sehr gut verstehen... Hast du das Gefühl, dankbar sein zu müssen, obwohl sie so wenig Verständnis für dich zeigen? - Das wäre nämlich eine ziemlich klassische Version von emotionaler Erpressung dir gegenüber, die nicht so selten ist. Mein Weg aus der Falle war, mich emotional unabhängiger von ihnen zu machen, kein Verständnis mehr zu erwarten, sie einfach denken zu lassen, was sie wollen, ohne das Gegenteil beweisen zu müssen. Entweder sie nehmen mich so, oder sie lassen es. Denk immer daran, dass du vielleicht im Moment finanziell abhängig bist, aber deshalb noch lange nicht alles mit dir machen lassen musst. Vielleicht kann es helfen, sie einmal ganz offen und ehrlich darauf anzusprechen, weshalb sie so tun, als seist du gesund. Sag ihnen, dass du nichts für ihre Schuldgefühle kannst und dass es in ihrer eigenen Verantwortung liegt, diese zu bewältigen. Du bist nicht dafür verantwortlich, die gespielte heile Welt deiner Eltern aufrecht zu erhalten, in der du das schwarze Schaf bist, ohne das doch alles so viel einfacher wäre...

Das Thema berührt mich emotional sehr, weil ich jehrelang mit ähnlichen auf mich abgewälzten Dingen kämpfen musste. Vielleicht trifft das auf deine Situation nicht zu, aber einiges dessen, was du beschreibst, lässt mich da ganz stark dran denken. Kannst du damit was anfangen, oder liege ich da völlig falsch?

Lieber Gruß, Flora


@ Bea, das mit dem Bafög geht nicht so einfach, wenn man schon länger studiert. Und Studienkredit geht ja offenbar auch nicht, wie Shahri weiter oben schon schrieb. Insofern wird der Vorschlag nichts nützen...
penelope
Beiträge: 73
Registriert: 11. Apr 2008, 21:16

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von penelope »

hallo shahri
ich kenne das selbst sehr sehr sehr gut. du hast zwei möglichkeiten.
a) du versuchst dich ihnen zu erklären
b) du versuchst dich nicht mehr zu erklären, zumindest deinen eltern nicht.

bei fall a) deutet alles darauf hin dass du auf ihr verständnis hoffst. das wird sehr schwer, wenn du es ihnen recht machen möchtest. das wird zermürbend für dich.
ich habe mich für b entschieden, und es hat mir eine art respektabstand gebracht. du musst entscheiden was du tun willst.
ich habe abstand genommen, nicht immer alles erklärt und auch nur über belangloses mit ihnen gesprochen. ich fühlte mich besser, weil nicht so enttäuscht. und sie merkten dass sie nicht mehr zu mir vordringen und besser behutsam sind wenn sie noch was mit mir zutun haben wollen. klingt hart , aber als depressive muß man nicht immer nur alles runterschlucken.

verstehst du was ich meine?
shahri
Beiträge: 14
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von shahri »

Hallo Flora und Penelope,

ich danke euch vielmals für eure Antworten, es scheint ja doch Leute zu geben, die das Problem verstehen. Egal wen man fragt, immer heißt es bloß: beantrage doch Bafög und zieh aus, das ist aber tatsächlich nicht so einfach wie Nichtstudenten sich das vorstellen. Meine Eltern verdienen zu viel Geld als das ich BaföG bekommen würde, den Studienkredit bekommt man nur bis einschließlich 10. B.A. Semester - ich komme jetzt ins elfte (habe aber nur zwei Semester den Kredit bekommen, weil ich bei Einführung dieses Systems leider schon im 8. Semester war...) Ein Antrag auf Studiengebührenbefreiung war eine Katastrophe.
Vermutlich habt ihr Recht, und ich sollte versuchen, zumindest auf eine gewisse Art Abstand zu bekommen, wenn es schon räumlich nicht geht. Ich verstehe mich eigentlich gut mit meinen Eltern, weshalb mir das vermutlich so schwer fällt.
Ich habe tatsächlich oft das Gefühl, ich müsste ihnen eigentlich dankbar sein (das wird ja auch von einem erwartet: sei doch dankbar, du bekommst sogar noch Geld von uns, obwohl du so ein Versager bist...) und sie untertützen mich ja auch auf gewisse Weise und haben mich sehr, sehr unterstützt als es mir damals so extrem schlecht ging. Da habe ich schon das Gefühl, ich müsste als Gegenleistung wenigstens einen Einserabschluß machen, dann könnten sie wenigstens ein bißchen mit mir prahlen. Ich wäre auch gerne schon fertig mit dem Studium, aber ich bin schon froh, dass ich das Ende jetzt in Aussicht habe - vor ein paar Semestern noch habe ich schon beim Betreten des Campusgeländes Panikattacken bekommen. Ständig Kurse belegt, hingegangen, für die Teilnahme erforderliche Aufgaben erledigt - und diese dann nicht abgegeben, weil ich mich nicht in die Dozentensprechstunde getraut habe. Bis vor die Tür des Seminarraums gegangen und wieder umgedreht und nach Hause gefahren... Solche dämlichen Sachen! Das habe ich größtenteils in den Griff bekommen. Aber das sieht natürlich keiner, der das Problem nicht hat. Der sieht nur Semester und Noten. Standardfrage: wann bist du endlich fertig...? wann bist du endlich fertig... wann endlich???

Ich denke, ich werde noch einmal versuchen, meine Eltern darauf anzusprechen. Wenn es nichts ergibt - dann halt nicht. Sagt sich so einfach... ist aber wohl das beste, dann mal etwas Abstand zu halten.

Ich danke dir für deinen Beitrag, Flora. Das hat mir schon etwas weitergeholfen.
BeAk

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von BeAk »

Hallo zusammen,

man kann Studienkredite bei der Hausbank beantragen, zu den gleichen Sätzen wie gewöhnliche Hypotheken. Bei Absicherung auf ein Gebäude, zu günsigem Zinsatz.
Dann müßten allerdings die Eltern bürgen.

Ich habe das selber gemacht, allerdings ohne Elternbürgschaft.

Liebe Shahri, es ist beachtlich welche Fortschritte Du gemacht hast, bleib am Ball und laß sie Dir nicht von Deinen Eltern gefährden.
penelope
Beiträge: 73
Registriert: 11. Apr 2008, 21:16

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von penelope »

hi shahri
wenn ich noch was sagen darf:
ich weiß nicht was du studierst aber es stresst dich ungemein. und die vielen erwartungen. du schuldest niemanden etwas. jemand der einem hilft geht nicht davon aus dass er dafür etwas zurückbekommt. ansonsten wäre es ein tausch und keine hilfe.
schuldgefühle sind immer da. wie man damit umgeht, wie man sie verarbeitet weiß am besten der therapeut. aber vielleicht ein tipp: auch wenn der stress des studiums riesig ist, gönne dir auch was. machs heimlich nur für dich. geh ins kino. oder was auch immer dein hobby ist. mach was nur für dich, für dich alleine. dann klappt es mit dem studium auch leichter.
und wenn deine eltern deine situation nicht verstehen auch wenn du sie nochmal darauf ansprichst, dann nimm es nicht persönlich. sie stoßen wohl an ihre grenzen, denk dir, sie brauchen länger um das zu begreifen. lass sie zu dir kommen, halte abstand bis sich der ton geändert hat. und selbst wenn nicht, du hast nicht versagt.
setz dir ein ziel für nach dem studium. jetzt mal nicht heiraten und kinder kriegen, sondern was simples kleines aber dir wichtiges. dir ausmalen wie du die einrichtung von deiner eigenen ersten wohnung haben willst. auch wenn du es dir nicht leisten kannst. solche phantasien sind sehr wertvoll.
kopf hoch, du schaffst das, und wenn du schon schreibst "angehörige verdrängen" was, und von "verdrängen" die rede ist, kann das nur heißen, dass du den überblick hast. denn sie wissen ja nicht dass sie verdrängen. du musst nur aus deiner situation das beste rausholen.
ich drück dir die daumen.
shahri
Beiträge: 14
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von shahri »

Wunderbare Idee Bea,
mich einfach mal hemmungslos verschulden ist sicher gut. Vor allem wird mir die Bank auch sofort einen solchen Kredit in Form einer weiteren Hypothek auf das Haus meiner Eltern hinterherwerfen, wo ich a) ein sagenhaftes Studienfach habe, bei dem die Berufsaussichten sowieso schon nicht besonders gut sind, und b) bald das doppelte der normalen Studienzeit erreicht habe. Die werden sich hüten mir Geld zu geben, verpflichtet sind sie dazu nämlich nicht. Davon abgesehen werde ich mir ganz bestimmt nicht noch den Klotz eines solchen Kredites ans Bein hängen. Der Studienkredit den ich bisher hatte ist wenigstens halbwegs sozialverträglich gestaltet und ich werfe meine fragile Zukunft nicht einem rein auf Gewinn angelegten Großkonzern in den Rachen. Mit einem solchen Kredit wäre der Druck, erfolgreich und schnell durch das Studium zu kommen nur noch größer und die Chance dass ich versage damit ebenso.

Interessant finde ich auch, dass du mir einerseits vorschlägst, ich solle ausziehen und ein eigenverantwortliches Leben führen, andererseits sollen meine Eltern mit ihrem Haus, also ihrer Altersvorsorge (!) für einen Kredit für mich bürgen. Das finde ich sehr widersinnig. Damit mache ich mich nur noch mehr von ihnen abhängig.

Ich werde also wohl oder übel in den sauren Apfel beißen, und das knappe Jahr versuchen, so gut wie möglich mit der Situation klarzukommen. Ohne großes Trara mich etwas von meinen Eltern zurückziehen, wenn es nötig ist.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie einfach die Welt für manche Menschen Funktioniert. Jedes Problem hat eine ganz einfache Lösung. Wenn das für dich so klappt, Bea, ist das schön, aber meine Welt funktioniert anders. Trotzdem lieben Dank.
BeAk

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von BeAk »

Liebe Shahri

die Welt ist nicht einfach, das Leben auch nicht.
Es noch komplizierter machen, indem man versucht andere Menschen zu ändern, bringt aber auch nichts.

Nur Du allein kannst wissen, was für Dich das größere Übel ist.
LucyLost
Beiträge: 11
Registriert: 16. Mai 2008, 10:10

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von LucyLost »

Hallo Shahri!

Ich bin auch Studentin mit einigen Umwegen und "unnötigen" Semestern auf dem Buckel, bin im 11. Semester, aber schon 31 Jahre, und kann mir sehr gut vorstellen, wie es Dir geht.
Zwei Dinge möchte ich sagen:
1. Du scheinst Dich im Großen und Ganzen mit Deinen Eltern gut zu verstehen. Du hast keine Verpflichtung sie mit einem super Abschluss glücklich zu machen. Du musst vorallem Dich selbst glücklich machen.
Ich wollte ersteres auch sehr lange, denn schließlich hat meine Mutter bis vor 1 Jahr mein Leben fast komplett finanziert oder zumindest gut bezuschusst, obwohl sie selbst nicht viel hatte. Ich dachte, das sei wohl das Mindeste: Sie zahlt, ich liefere (einen guten Abschluss, die perfekte Tochter etc.). Eigenen Ansprüche, Bedürfnisse zählen nicht, weil ich sonst ja undankbar erscheinen könnte. Es war ein Riesendruck, der da auf mir lastete und wohl auch dazu beigetragen hat, dass ich in die Depri gerutscht bin (hab erst seit gestern die "amtliche" Diagnose...).

2. Vor über einem Jahr habe ich beschlossen, mich finanziell unabhängig zu machen und habe bei der kfw einen Studienkredit beantragt. Der ist absolut sozialverträglich, man hat 25 Jahre Zeit ihn (in Kleinstraten ab 25€/Monat) abzuzahlen und er wird elternunabhängig vergeben. Es ist zwar natürlich hart, wenn man sich bewusst macht, welch Schuldenberg sich da auftürmt und man momentan (!) keine wirklich gute Zukunft für sich sieht, aber der Gewinn ist: Ich fühl mich unabhängiger und nicht mehr so unter Druck, Leistungsdruck ggü. meiner Mutter. Das ist (für mich) wesentlich mehr wert, als die Schulden...

Kurz und gut, was ich sagen will:
1.Schuldgefühle und das Gefühl eine Versagerin zu sein, hab ich für mich als Symptom der Depris erkannt.
2.Unabhängigkeit von den Eltern hilft ungemein, um zu sich selbst zu finden. Und mein Mantra: Schulden sind "nur" Geld. Was bedeutet Geld im Zusammenhang mit dem eigenen Wohlbefinden, Freiheitsgefühl und der eigenen Gesundheit?

Kopf hoch!
LG
L.
Zehlendorf1
Beiträge: 7
Registriert: 28. Mai 2008, 20:14

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von Zehlendorf1 »

Hallo Shahri,

wir haben vor einer Weile schon mal miteinander geschrieben. Ich musste mich aber mit einer neuen Adresse anmelden, weil der alte Zugang irgendwie nicht mehr klappte.

Ich weiß nicht genau, wie alt du bist, ich schätze so 24/25? Der Zeitpunkt, zu dem „Kinder“ unabhängig sein können, schiebt sich immer weiter nach hinten, speziell bei Studenten, ganz besonders bei psychischen Erkrankungen. Das verursacht für beide Seiten eine völlig unmögliche Situation.

Ich kenne deine Eltern ja nun nicht. Wollen sie, dass du ein besonders gutes Examen absolvierst, wollen sie „stolz“ auf dich sein? Lass dir das nicht gefallen, es steht ihnen nicht zu! Möchten sie hingegen nach vielen Jahren wieder an sich selbst denken, ihr eigenes Leben führen, selbstverdientes Geld auch für sich selbst ausgeben? Darauf haben sie ein Anrecht. (Wie das juristisch aussieht, ist etwas anderes, da haben wir ja schon mal drüber geschrieben.) Zum Selbständigsein gehören eine eigene Wohnung und ein eigenes Einkommen.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Haut deiner Eltern nach der Vorgeschichte inzwischen ziemlich dünn geworden ist. Speziell wenn dein Vater selbst emotional keine „Säule in der Brandung“ ist. Ich weiß nicht, wie realistisch deine Studienplanung ist, und du benötigst mehr Zeit als andere. Das soll kein Vorwurf sein, ich kann mir gut vorstellen, dass das bei deiner Erkrankung nicht anders geht. Deine Eltern können dich nicht „in Ruhe“ lassen, weil du sie ja auch nicht „in Ruhe lassen“ kannst, solange sie dich finanzieren und ihr zusammenlebt. Haben sie wirklich „vergessen“, dass du krank bist, oder machen sie sich vielleicht gerade deshalb Sorgen, und zwar nicht nur um dich, sondern auch um sich selbst?

Ich habe selbst ein Zweitstudium auf Darlehensbasis absolviert und zahle bis heute immer noch an einigen (kleineren) Restbeträgen. (Durch Kindererziehung und Arbeitslosigkeit hat sich alles in die Länge gezogen.) Nein, das ist überhaupt nicht prima, wenn man mit Schulden ins Leben starten muss, aber gehen tut das! Die Frage ist, was für dich erträglicher ist: Deine Eltern „aushalten“ oder Schulden machen. Welche Handlungsmöglichkeiten haben eigentlich deine Eltern, wenn sie die Situation unerträglich fänden – ihr eigenes Kind vor die Tür zu setzen???? Deine Einschätzung, dass es keine Option ist, das Haus deiner Eltern zu belasten, teile ich!

Du reagierst sehr heftig auf Beas Antworten. Keiner sagt, dass dein Weg einfach ist oder dass es simple Lösungen gibt. Aber an der Situation sind doch deine Eltern genauso wenig „schuld“ wie du, sie ist eine Konsequenz deiner Krankheit (und einer Gesellschaft, die sich ihrer Verantwortung für ihren Nachwuchs nicht stellt. Ich halte es für eine absolute Katastrophe, wenn Erwachsene, egal ob krank oder nicht, von ihren Eltern finanziert werden müssen, und würde persönlich gerne höhere Steuern zahlen, wenn ich dann für meine erwachsenen Kinder nicht mehr aufkommen müsste.) Dass deine Eltern einen „einfachen und bequemen“ Weg gehen, wie Flora schreibt, möchte ich stark bezweifeln! Und damit Kinder kein Bafög bekommen, müssen Eltern heutzutage wirklich nicht sehr reich sein!

Anna
Monas
Beiträge: 366
Registriert: 3. Apr 2008, 19:49

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von Monas »

Hallo Sahri Ich verstehe Dich sehr gut, bei mir sind es nicht meine Eltern sondern mein Mann, der meine Krankheiten nicht versteht bzw noch nichtmal gewillt ist sie verstehen zu wollen
statt dessen werde ich beschimpft, besonders schlimm wenn ich wiedermal stationäre Hilfe brauchte
selbst Gespräche mit den Ärzten lehnt er ab
einmal gab ich ihn ein Buch damit er sich wenigstens mal über meine Krankheiten belesen kann, er gab es mir zurück mit der Bemerkung, damit würde er sich nur anstecken
ich finde es wichtig das man wenn man zusammen wohnt auch über die Krankheiten bescheid weiß, denn so versteht man ja auch die ganzen Verhaltensweisen,
ich verstehe Dich auch das deine Situation nicht so leicht zu verändenr ist gerade auch wenn man krank ist,dann wird es zu einem Kreislauf,die man wird nicht beachtet, die Depressionen verschlimmern sich und ein Ausweg wird immer komplizierter, weil man immer mehr beschäftigt damit ist gesund zu werden stabil zu werden, aber wie kann man das bei nicht beachtung,bei Demütigungen
auch vertsehe ich dich wenn du sagst das du deinen eltern ja auch dankbar bist, das kenne ich auch ich denke auch, naja mein Mann hat ja auch viel gutes getan,nur im die Situation nicht noch schlimmer erscheinen zu lassen
es ist so leicht gesagt,zieh doch aus, mach was, aber es ist sehr schwer, ich kenne das
flora80
Beiträge: 3620
Registriert: 24. Mär 2003, 18:48

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von flora80 »

Hallo Shari,

ich finde, dass du in der Tat in einer sehr belastenden Situation steckst, die sicher nicht unlösbar ist, aber eben auch nicht so easy, wie es sich für manche darstellt.

Was "Rechte" von Eltern angeht, so stimme ich Anna voll und ganz darin zu, dass sie es tatsächlich irgendwann verdient haben, wieder unabhängiger zu sein und nicht noch ein erwachsenes Kind mit durchfüttern zu müssen. Andererseits ist das glaube ich nicht unbedingt der Punkt und ich gehe mal davon aus, dass du deinen Eltern das so auch zugestehen würdest, wenn sie denn dieses Bedürfnis anmelden würden.

Meine Erfahrung ist, dass es ganz oft aber nicht so ist, dass klare Verhältnisse geschaffen werden, sondern dass es oft ganz viel unterschwellige Vorwürfe, etc. gibt. Und letztendlich hat es mir selbst in solchen Situationen nie geholfen, wenn mir jemand erklärt hat, wie benachteiligt und arm dran meine armen geschlagenen Eltern doch mit mir "schwierigem" Kind sind. Ich finde, dass auch Eltern es lernen müssen, sich mit Problemem offen auseinanderzusetzen und aktiv zur Lösung beizutragen. Wenn sie das nicht wollen, dann dürfen sie sich schlichtweg aber auch nicht beschweren, wenn man "undankbar" ist. Mir hätten klare Ansagen deutlich mehr geholfen, als unterschwelliges hin und her schieben von Verantwortungen. Ich habe irgendwann für mich entschieden, dass ich einfach kein schlechtes Gewissen mehr habe, wenn ich Geld von meinen Eltern bekomme, weil sie es freiwillig tun, ich sie nie dazu gezwungen habe und ich im Gegenteil mehrfach darum gebeten habe, bitte einfach klar und deutlich zu sagen, was sie wollen. Da sie das aber seltenst getan haben, lehne ich es ab, Verantwortung für sie zu übernehmen, indem ich rate, was sie möchten. Dafür sage ich selbst aber umso klarer und deutlicher, was ich möchte, empfinde, etc. Ich glaube nicht, dass du deinen Eltern egal bist, aber es könnte schon sein, dass sie enttäuscht sind, nicht das perfekte Wunschkind zu haben. Tja. So ist das Leben. Sie haben sich für Kinder entschieden und Eltern ist man eben nun einmal ein Leben lang, auch wenn Kinder natürlich irgendwann groß und unabhängig werden. Aber ich finde es unfair, ein "funktionieren" von dir zu erwarten, von dem sie (sofern sie nicht einen IQ unter 80 haben) wissen, dass du es aufgrund einer Krankheit nicht leisten kannst. Du kannst Verantwortung für dich übernehmen, indem du klare Grenzen ziehst und sagst, was du brauchst, um dein Studium beenden zu können. Sie haben im gegenzug die Chance, ihre Bedürfnisse ebenfalls klar zu äußern. Dann könnt ihr versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Wenn sie das nicht wollen, dann brauchst du aber auch kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Du bist nicht dafür verantwortlich, dass deine Eltern ihre Bedürfnisse klar machen. Mein Motto lautet da "sprechenden Menschen kann geholfen werden" ...

Ich finde es total wichtig, sich emotional zu distanzieren und nicht mehr darauf zu warten, die Anerkennung zu bekommen, die man von ihnen schon sein Leben lang nicht bekommen hat. Seit ich es nicht mehr erwarte, bekomme ich sie übrigens plötzlich. Es gibt einen Weg, auch ohne sich komplett von den Eltern loszusagen, vor allem, da ich mal annehme, dass sie dir ja im Grunde genommen helfen wollen. Aber ein rumeiern um nicht ausgesprochene Bedürfnisse und Wünsche hilft niemandem etwas. Sag klar und deutlich, was los ist und gib ihnen die Chance, das gleiche zu tun, sonst haben sie dich einfach emotional in der Hand und das ist es ja letztendlich, was die Situation so unerträglich macht, oder? - Ich habe jetzt mehr oder weniger von meinen eigenen Erfahrungen geschrieben, weil du ja oben angedeutet hast, dass du es ähnlich empfindest. Vielleicht helfen dir diese Gedanken ja weiter. Ich gehe davon aus, dass du deine Eltern weder ausbeutest, noch grundsätzlich von Ihnen verlangst, dich zu unterstützen oder ihre Seite nicht sehen kannst. Vielmehr fühlt es sich für mich so an, als gehe es dir gerade darum, eine Lösung zu finden, die für euch alle gut ist, bei der aber eben klar ist, was machbar ist und was nicht. Und das ist ein, wie ich finde, berechtigtes Anliegen.

Lieber Gruß, Flora
winnie
Beiträge: 1683
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von winnie »

Hallo Flora,

verallgemeinerst Du das Ganze nicht ein wenig?
Ich bezweifle ja gar nicht, daß es solche Eltern gibt, wie Du sie anprangerst.
Aber es gibt sicherlich genauso viele, die nur zu gerne ihren Kindern helfen würden. Finanziell UND gesundheitlich. Sie fangen es vielleicht nicht immer ideal an, klar - aber wie wollen wir hier entscheiden, wie die Eltern ticken? Vielleicht sind sie ja genauso ratlos. Vielleicht kriegen sie auf alle Hilfsangebote nur die Antwort "Mensch, laß mich halt endlich in Ruhe!". Vielleicht sind sie ja irgendwann auch mal am Ende ihrer Kraft - auch Eltern sind nur Menschen, und sehr oft kann man ihnen nicht verdenken, daß sie das Verhalten ihrer erwachsenen Kinder irgendwann nur noch als rücksichtslos und egoistisch empfinden, weil sie sich selbst einfach nur noch ausgenutzt fühlen.
Wie gesagt, auch Eltern sind nur Menschen, auch sie haben das Recht, daß man sie nicht nur als einzig für das Wohlergehen ihrer erwachsenen Kinder existenzberechtigt ansieht.

Was natürlich nichts damit zu tun hat, daß man bei Angehörigen (und das nicht nur bei studiumfinanzierenden Eltern!!!) leider tatsächlich immer wieder die Einstellung sieht "Jetzt könntest du doch wirklich allmählich mal wieder normal werden!".
Das allerdings mit einer Forderung nach Dankbarkeit gleichzusetzen, finde ich ein wenig daneben. Das Gefühl, dankbar sein zu MÜSSEN, geht schließlich nicht von den Eltern aus, nicht wahr...? Und wie man damit umgeht, ist auch nicht deren Sache. Vorwürfe gegen vermeintliche Forderungen sind daher wohl an DIESER Stelle etwas unangebracht. Jeder sollte hier einfach mal ein wenig bei SICH bleiben und keine Dinge miteinander vermischen, die im Grunde nichts miteinander zu tun haben.

Grüße von
Winnie
flora80
Beiträge: 3620
Registriert: 24. Mär 2003, 18:48

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von flora80 »

Liebe Shahri,

wie ich oben geschrieben habe, geht es weitestgehend um meine eigenen Erfahrungen mit dem Thema. Eltern sind Menschen und machen Fehler, genau wie wir alle und das sehe ich ganz klar auch so und ich werfe das auch keinem vor. Ich hoffe, dass du meinen Punkt, dass es im Grunde genommen darum geht, darüber offen zu reden und nicht zu schweigen, damit sich eben keine unterschwelligen Schuldgefühle aufbauen, die eigentlich durch ein offenes Gespräch aus dem Weg geräumt werden könnten, so verstanden hast. Ich habe es so erlebt, dass das oft nicht passiert und das macht die Sache kompliziert und ermöglicht erst das Gefühl von (emotionaler) Abhängigkeit. Ich sage explizit nicht, dass alle Eltern "so sind", sondern, dass ich es so erlebt habe und dass ich glaube, dass es da Parallelen geben könnte. Ob das so ist, kannst nur du wissen. Es geht keinesfalls darum, Forderungen zu stellen, sondern darum, mit offenen Karten zu spielen und zwar auf beiden Seiten.
Noch einmal der Hinweis, dass ich ausschließlich von meinen persönlichen Erfahrungen berichte und keinesfalls sage, dass Eltern per se nicht mit offenen Karten spielen. Schuldgefühle entstehen immer in einem selbst, jedoch gibt es Situationen, die ein entstehen solcher eher begünstigen. Dazu zähle ich persönlich vor allem den großen Raum für Spekulationen, der sich um nicht Ausgesprochenes herum bildet. Ein klärendes, offenes Gespräch, hat diesen Raum für Spekulationen in meinem Erleben immer sehr viel kleiner werden lassen. Ich vermute, dass deine Eltern sicherlich daran interessiert sind, dass es dir besser gehen kann, denn du schreibst ja, dass du ansonsten ein ganz gutes Verhältnis zu ihnen hast. Ich habe meinen eigenen Umgang mit der Situation verändert, indem ich aufgehört habe, etwas von ihnen zu erwarten, das ich nicht bekommen werde. Und mein veränderter Umgang hat irgendwie die ganze Situation verändert und irgendwann haben sich auch meine Eltern ganz anders verhalten. Das war aber ein langer Prozess.


Liebe Grüße, Flora
Zehlendorf1
Beiträge: 7
Registriert: 28. Mai 2008, 20:14

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von Zehlendorf1 »

Hallo Flora,

ich finde, dass du das Problem ziemlich ausschließlich aus „Kindersicht“ angehst.

1. Was würde es Shahri helfen, wenn ihre Eltern „ihre Bedürfnisse klar äußerten“ im Sinne von: „Du bist alt genug, sieh zu, wie du durchkommst!“ Anständige Eltern tun sowas nicht, weil sie ihren Nachwuchs lieben und ihres eigenen Lebens nicht froh würden, wenn sie wüssten, dass dieser perspektivlos auf der Straße sitzt.

2. Wenn Eltern sich „bewusst“ für ein Kind entscheiden, sind sie in der Regel heutzutage so Mitte 20. Als ich mich für mein ältestes Kind entschieden habe, war ich 27, das ist medizinisch betrachtet eher alt, aber immerhin 2 Jahre jünger als dieses „Kind“ heute ist. Auf die Idee, dass mein Sohn im Jahre 2008 immer noch kein Ende seiner Ausbildung absehen und ich damit irgendwie noch befasst sein könnte, wäre ich nicht im Traum gekommen. Stell dir mal vor, du bekämst heute ein Kind, könntest du wirklich „Verantwortung“ für etwas übernehmen, was im Jahre 2036 sein würde?? Niemand weiß, was dann sein wird, und du wärst übrigens nicht einmal derselbe Mensch wie heute.

In der Psychologie hat man lange Zeit Elternschaft ziemlich „mystifiziert“. Biologisch ist beim Menschen das Aufziehen von Nachwuchs auf 10 bis 15 Jahre angelegt, kulturell auf vielleicht Anfang 20. Das hat nichts damit zu tun, dass man seine Kinder auch danach noch liebt und an ihnen interessiert ist – aber doch auf einer völlig anderen Ebene! „Normal“ in meinen Augen wäre, dass die Kinder sich loslösen, weil sie selbst das wollen, und die zurückgebliebenen Eltern diese Situation verkraften lernen müssen, nicht umgekehrt! Die Zeit des Kindergeldbezuges ist gerade auf 25 Jahre begrenzt worden. Das sind die Vorstellungen, die der Gesetzgeber diesbezüglich hat.

Kleine Kinder halten Eltern für allmächtig, müssen sie auch. Erwachsene wissen, dass ihre Eltern auch nur schwache Menschen mit ner Menge eigener Problemen sind. Übrigens würde ich „Dankbarkeit“ und „Schuldgefühle haben“ etwas mehr unterscheiden! Wenn mir jemand freiwillig hilft, obwohl er das nicht muss, ist ein freundliches „Dankeschön“ nicht verkehrt. Schuldgefühle müsste ich nicht haben, denn er täte es ja freiwillig. Wobei – wie gesagt – es mit der „Freiwilligkeit“ von Eltern in solchen Fällen so eine Sache ist. Dankbarkeit heißt ja nicht, dass ich vor dem anderen nur noch auf dem Bauch liege und alles mache, was der von mir will!

Ich denke mal, dass eine Menge Probleme, die du und Shahri da so schildern, darauf beruhen, dass Menschen durch die finanzielle Situation zu einem Miteinander gezwungen werden, das beide Seiten so nicht wollen, aber aushalten müssen. Meine private Erfahrung ist auch, dass man als „Gesunder“ nicht immer offen sagen „kann“, was man will bzw. denkt, weil der andere solche „Offenheit“ nicht unbedingt jederzeit aushalten kann. Man nimmt stillschweigend Rücksichten bzw. „akzeptiert“ Verhaltensweisen, die man sich von einem Gesunden ganz bestimmt nicht gefallen lassen würde. Der „Kranke“ merkt, dass man nicht alles sagt, sondern Gedanken und Gefühle zurückhält. Dann werden eventuell „unterschwellige Vorwürfe“ interpretiert, was alle Beteiligten extrem belastet. Oder es platzt einem, weil man unter Druck steht, mal der Kragen und man sagt Sachen, die einem hinterher Leid tun. Das gilt für beide Teile! Das einzige, was hier wirklich helfen würde, ist eine räumliche und finanzielle Trennung, das sieht Shahri doch ganz richtig.

Naja, wie Winnie so schön und sachlich anmerkt, wir alle interpretieren hier und können überhaupt gar nicht wissen, wie Shahris (oder deine Eltern) in Wirklichkeit sind. Es ist eine Tatsache, dass Eltern und Kinder sich gegenseitig ganz böse verletzen können! Und dass ihr an euren Eltern leidet, glaube ich völlig ohne Einschränkung. Aber du schreibst doch selbst, dass es vor allem auf eure eigene innere Einstellung ankommt: Einem Erwachsenen geht es doch, salopp gesagt, mehr oder weniger am A… vorbei, ob er von seinen alten Eltern (!) Anerkennung bekommt, er hat ganz andere Bezugspartner!

Anna


Hallo Shahri,

ich finde, dass du hier schon oft äußerst vernünftige Gedanken vertreten hast und dich mit deiner Situation sehr tapfer auseinander setzt. Du hast dich hier auch nicht mehr geäußert. Kann das sein, dass dein erstes Schreiben aus dem Eindruck einer aktuellen Auseinandersetzung heraus entstanden ist und dass du das Ganze inzwischen selbst schon wieder distanzierter siehst? Könnte ich gut nachvollziehen!
Alles Gute und lass dich nicht unterkriegen!

Anna
flora80
Beiträge: 3620
Registriert: 24. Mär 2003, 18:48

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von flora80 »

Hallo Anna,

Bedürfnisse klar äußern bedeutet nicht, dass es dann automatisch so eintreten muss, sondern, dass es dann eine Basis gibt, auf der man sich gegenseitig entgegenkommen kann.

Ansonsten habe eigentlich nichts Gegenteiliges von dem gesagt, was du jetzt beschrieben hast. Dass eine räumliche Trennung wünschenswert wäre, ist natürlich richtig, aber wohl offenbar nicht möglich. Deshalb muss es eben darum gehen, auf beiden Seiten offen zu sein, um einen Kompromiss zu finden, der die Spannungen auf beiden Seiten reduziert. Und das geht eben nur, wenn mit offenen Karten gespielt wird. Ich finde nicht, dass das eine ausschließliche Kindersicht ist.



Liebe Shahri,

falls du dich nicht mehr öffentlich dazu äußern möchtest, kannst du mir gern eine Mail schreiben, mein Profil ist offen. (auf den Kopf über meinem Nick links klicken)

Lieber Gruß von Flora
shahri
Beiträge: 14
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Angehörige verdrängen Krankheit

Beitrag von shahri »

Hallo.

Ich möchte mich sehr bedanken für die vielen Beiträge, die sich noch ergeben haben. Ich hatte mich zeitweise nicht mehr gemeldet, weil mich gewisse Beiträge etwas geärgert haben, und ich nicht unfreundlich werden wollte. Solcherlei gute Ratschläge gibt einem jeder; um die zu bekommen, muss ich hier kein Thema in einem Spezialforum öffnen.
Ich hatte das Thema nicht aus einem konkreten Anlass, einem Streit z.B. heraus verfasst, sondern weil es halt ein wichtiges Thema für mich ist. Ich denke, ich sehe die Sache recht objektiv, ich weiß ja wo die Probleme liegen, ich weiß nur manchmal nicht genau, wo ich ansetzen soll um sie zu lösen, bzw. brauche Ewigkeiten für jeden Schritt. Daher wollte ich wissen, wie andere mit soetwas umgehen. Vielen Dank hier vor allem an diejenigen, die ähnliche Probleme haben bzw. hatten wie ich und hier geantwortet haben, es tut schon gut, zu wissen, dass andere mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpfen. Ich werde das ganze jetzt noch aussitzen, bis ich den Abschluß habe, das ist doch ein guter Zeitpunkt für einen Schnitt. Finde ich. Bis dahin kann ich einiges organisieren, dann wird das auch keine übereilte, fluchtähnliche Katastrophe.

Vielen Dank also an alle, die etwas konstruktives zu sagen hatten, ich weiß das zu schätzen.
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