Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Hallo Tears,

ja, das ist eine schwierige Frage. Vielleicht ist die auch gar nicht zu beantworten. Aber vllt. ist es auch wichtig sich die Frage zu stellen (ist ja auch selbstreflektierend) - es ist ja nun so, dass sich Geschichte wiederholt, wenngleich auch auf einer anderen Ebene.

Nachdenkliche Grüsse, s.wölfin
deca_53
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von deca_53 »

Hallo,

ich denke schon, dass es gesellschaftliche Ursache für Depressionen und andere psychische Erkrankungen gibt. Und ich möchte es auch begründen.
Der Mensch ist nämlich ein soziales Wesen und er braucht um glücklich zu sein und ein befriedigendes Leben führen zu können, den Umgang mit anderen Menschen, dh er braucht die Liebe, die Zuneigung, die Anerkennung, das Lob und er braucht das Gefühl sich zu einer Gruppe zugehörig zu laufen, egal ob eine kleine Gruppe (zb Familie) oder vielleicht die ganze Gesellschaft. Das Zugehörigkeitsgefühl ist überaus wichtig für uns.
Weswegen ist zb mobbing so schlimm? Weil der Mensch aus der sozialen (Betriebs)gemeinschaft ausgeschlossen wird.
Die soziale Veranlagung des Menschens und seine Bedeutung für unser seelisches Wohlbefinden erklärt einem fast jeder Therapeut, besonders die Individualpsychologie setzt sich damit sehr auseinander (Encouraging-Training).
Es gibt auch einen guten Vortrag von Theo Schoenacker dazu.

Das Wesen des Kapitalismus ist dagegen erklärtermaßen antisozial. Der Mensch nicht als ein soziales Wesen, sondern nur noch als Kostenfaktor. DAS MACHT MENSCHEN SEELISCH KRANK! Und nicht nur die Tatsache, dass der Kapitalismus ein in eine Wirtschaftsform gegossener Egoismus ist und auch nicht nur die Tatsache, dass sich in dieser unsolidarischen Gesellschaft die Stärkeren an den Schwächeren vergreifen.


Wer nicht nur klagen will, sondern sich mit Thematik ernsthaft beschäftigen will, dem empfehle das Buch "Die Schock Strategie -Der Aufstieg des Katastrophen- Kapitalismus von Naomi Klein. Das öffnet Augen.

Und im Übrigen:
wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!
r.p.mcmurphy
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

Hallo p_lyng,

ich stimme Deinem Beitrag uneingeschränkt zu.

Vielleicht noch eines dazu: In unserer Gesellschaft wird mehr und mehr Mobilität eingefordert. Schön und gut, nur kann ich mein in langen Jahren aufgebautes soziales Umfeld nicht einfach in den Koffer packen und mitnehmen. Wer dennoch dem Ruf des Unternehmens folgt, für den besteht die Gefahr, in einer fremden Stadt zu vereinsamen. Aber eine höhere Gehaltseinstufung macht das Ganze ja wieder mehr als wett...

Viele Grüße,
Patrick
albert
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von albert »

<<<<Aber eine höhere Gehaltseinstufung macht das Ganze ja wieder mehr als wett..>>>>>>>

Hallo Patrick,

ich finde, das ist ein Knackpunkt: kann ein Mehr an Geld die emotionale Armut aufwiegen?
Ich glaube nicht, dass der Kapitalismus je abgeschafft werden kann. Aber es gibt einen Gegenpol: die Fähigkeit von Menschen sich einander zu zuwenden.

Ich bin soweit gekommen, dass ich gewisse Aufträge ablehne, bzw. kein Angebot abgebe, weil die damit verbundenen Vorschriften jegliche Flexibilität vermissen lassen. Es geht nicht allein ums Geld, sondern um das Dominanzstreben einer Führungsschicht. Wer die Vorschriften nicht schluckt, wird runtergebügelt. Divide et impera ist eine alte, aber bewährte Herrschaftsweise. Die Menschen werden gegeneinander ausgespielt.

Ich kann in meiner Arbeit mehr sehen, als nur Geld zu verdienen. Für eine bessere Welt zu arbeiten, bedeutet für mich zweierlei:
1. Mehr Einblicke in kausale Zusammenhänge, also Grundlagenarbeit, verbunden damit
Offenheit im Umgang miteinander und freier Austausch von Informationen dazu
2. Dem Menschen ist ein Harmoniebedürfnis angeboren, mir speziell wohl mehr als anderen.
Wollte ich diesem Bedürfnis nicht nachgeben und für den Ausgleich zwischen den Interessen arbeiten, würde ich krank werden.

Das Beste tue ich, wenn ich beides verbinde, die fachliche Arbeit und die Arbeit für Menschen. Ich bin mir bewusst, dass ich damit auf heftigen Widerstand stoße, kann aber nicht davon ab. Damit bin ich bei meiner Situation als Opfer gelandet. Jammern hilft mir nicht, es gibt nur eins: weiterarbeiten. Das Bewusstsein einer Lebensaufgabe veranlasst, auch weiterhin den Kopf hochzuhalten – trotz weiterer Handlungen von außen, die depressogen wirken.

Gruß
Albert
FOKUS
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von FOKUS »

Hallo wölfin,

ich möchte nicht auf Deinen Beitrag eingehen, weil ich das Gefühl habe, dass nur noch mehr Missverständnisse entstehen, wer von uns beiden die mehrheitlich verursacht, lasse ich mal dahingestellt.
Es tut mir leid, wenn Du Dich von mir angegriffen gefühlt hast oder ärgerlich geworden sein solltest, das lag nicht in meiner Absicht.

Unabhängig davon, haben wir versucht, unsere Sichtweisen auszutauschen und wenn uns der jeweilige Zugang dazu fehlt, dann ist es zwar bedauerlich, aber nicht so leicht zu ändern.

Damit möchte ich es bewenden lassen.

Lieben Gruß
FOKUS
FOKUS
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von FOKUS »

Hallo p_lyng
(deca_53)

In einem Personalgespräch unter vier Augen, hat mir mal mein „Dienstvorgesetzter“ (10 Jahre jünger als ich, Berufsanfänger, neu im Betrieb, soziale Einrichtung) mit Eiseskälte gesagt: „Herr T……., Sie sind zu teuer.“

Ich bin wütend geworden…und habe gefragt, was er denn damit bezwecken wolle und und was er von mir erwarte, was ich dazu sagen solle, und wenn ihm was nicht passen würde, möge er mir eine Änderungskündigung vorlegen, aber nicht so einen Spruch von sich geben…

Der Gleiche hat anderer Stelle mal zu mir gesagt, wenn ich krank werden würde, sollte ich Antibiotika nehmen, damit ich arbeitsfähig bliebe…im Nachsatz kam dann: „ach nee. Ich darf das ja gar nicht sagen, ich bin ja kein Arzt“… oder „Ich bin ihr Dienstvorgesetzter, für mich ist das Gespräch beendet…!

Ich musste im Verlaufe der Zeit, ca. 4 Jahre, noch weitere Kränkungen einstecken müssen…ignorieren meiner Arbeitsleistungen, Kürzung meiner Wochenarbeitszeit…der hat aus meiner Sicht, was Personalführung angeht, so alles mit mir falsch gemacht, was falsch zu machen geht…okay, ich habe mich auch provozieren lassen, und bin zu einem großen Teil mitverantwortlich an dem Zerwürfnis…
Ich habe eben auch erlebt, dass dieser „Chef“, wenn er sich nicht hinter seiner Rolle, hinter seiner Position verstecken kann, ein ziemlich armer Wicht ist…und nicht viel übrig bleibt…und das habe ich ihn spüren lassen…

…und ich habe mich aber immer zur Wehr gesetzt, und das für mich mögliche durchgesetzt, aber irgendwann war das Rückzugsgefecht zu Ende und ich verlor meinen Teilzeitarbeitsplatz, in dem ich einem Auflösungsvertrag zustimmen musste…

Was will ich damit sagen?

Hierarchiedenken, Machtausübung um der Macht willen, Eitelkeit, Unterdrückung…sind vielleicht auch zutiefst menschlich, und nicht nur „System“ abhängig, und wenn diese „Unwerte“ des Systems verinnerlicht sind, dann trägt das so eine unreife Persönlichkeit auch in eine Soziale Einrichtung hinein.

Übrigens, dieser „Chef“ ist Pastor in einer Kirchengemeinde und ich war da als Hausmeister angestellt.

Gruß
FOKUS
albert
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von albert »

Hallo Fokus,

damit hast du den Zwiespalt in unserer Gesellschaft beleuchtet. Ein Pastor, der für das Seelenheil seiner Schäfchen verantwortlich ist und ihnen helfen soll, Gefährnissen für die Seele zu entkommen, und Konflikte innerhalb der Gesellschaft zu minimieren, sieht sich in der Situation, eine knallharte Entscheidung treffen zu müssen wegen den Finanzen: mit Eiseskälte gesagt: „Herr T……., Sie sind zu teuer.“

Das ist mit Verlaub gesagt, einfach nicht vereinbar, aber für den Berufsstand des Seelsorgers nicht neu. Jahrhundertelang haben Pfarrer, katholische und protestantische, ihr Einkommen damit aufgebessert, dass sie weitere Funktionen übernommen haben, z. B. weltliche Aufgaben wie als Standesamt, den Bauern auf dem Dorf Geld leihen, oder schwierige Jugendliche zur Erziehung aufnehmen. Wieweit hat sich daran etwas geändert, soweit heute soziale Einrichtungen von den Kirchen unterhalten werden? Haben sich die Tätigkeitsbereiche verschoben?

Wenn ich mir ansehe, welche Mühen aufgewendet werden in nicht-europäischen Kulturkreisen, um Spannungen zu vermindern und zu beseitigen und vergleiche dagegen den Aufwand, den im Land ein Therapeut für die Arbeit an den psychischen Problemen, die durch Hierarchien und Kostendenken verursacht wurden, abrechnen darf, dann ist da ein sehr großer Unterschied.

Ich habe in meinem Berufsleben Kränkungen, Herabsetzungen, Mobbing usw. mitgemacht. Ich wurde deshalb krank, nicht nur depressiv, auch mit körperlichen Symptomen und eines Tages habe ich mir gesagt, das mach ich nicht mehr mit, habe auf Arbeitsaufträge verzichtet.

Besser gesund und arm, als reich und krank.
Jammern kann mal gut sein, zeitweise als ich aus der Depression hoch kam, hat es mir gut getan. Heute heißt es weiter arbeiten.

Gruß
Albert


PS:
zum Unterschied z. B. bei der Rückführung des psychisch Kranken in die Gesellschaft:
wird der Betroffene freundlich empfangen auf einem Fest, das seine Familie für die Arbeitskollegen oder die Dorfgemeinschaft gibt
oder
versteckt sich der Betroffene, verschweigt seine Erkrankung und sucht sich so unauffällig so möglich zu machen?

Ich kann letzterem nichts abgewinnen, sage aber auch nicht jeden Tag und jedem Menschen, dass ich psychische Probleme habe.
Die Grenze ziehe ich dann, wenn ich überfordert werde und zuviel von mir erwartet wird.

Um es deutlich auszudrücken:
es gibt Strukturen in unserer Gesellschaft, die depressogen wirken.
Wie verhält sich die Gesellschaft dazu?
Wie verhalte ich mich dazu?
FOKUS
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von FOKUS »

Hallo Albert,

„sieht sich in der Situation, eine knallharte Entscheidung treffen zu müssen wegen den Finanzen: mit Eiseskälte gesagt: „Herr T……., Sie sind zu teuer.“

Nö, Du siehst das so nicht ganz richtig…vielleicht wurde es nicht deutlich…sein Ausspruch war nicht überlegt gewesen, es war keine Mitteilung im Sinne einer Entscheidung, sondern mehr ein impulsiver „mobbing Spruch“, den er mit Kälte drauf los geplappert hatte…mehr so ein dumpfes Unbehagen mir und der Finanzlage gegenüber…als wenn ich für meine Einstellung damals vor 5 Jahren und der Bedingungen verantwortlich zu machen wäre…ich bin sachlich gesehen, die völlig falsche Adresse dafür gewesen…wenn er mich aber in dem Moment treffen, kränken und ärgern wollte, herzlichen Glückwunsch, Ziel erreicht….(Es dauerte ja dann noch einige Monate, bis es zu den konkreten Folgen kam…) Und es war von diesem Erlebnis an klar, dass wir in diesem Leben keine Freunde mehr werden konnten.

Es hat mich umso mehr gekränkt, als dass mir in den damaligen vergangenen 5 Jahren, als sein Vorgänger im Amt war, Anerkennung für meine Arbeit, insbesondere für besonderes Engagement in einzelnen Projekten, ja fast vorsätzlich verweigert wurde, vielleicht denkt man in Kirchenkreisen ja immer an „Gotteslohn“, und den solls ja bekanntlich woanders geben.

Aber ich sehe mich nicht nur in der Opferrolle, ich denke, dass ich auch ziemlich ausgeteilt habe, um mich selbst zu bewahren, auch wenn es um den Preis der Angst um meinen Arbeitsplatz war…und das war zuweilen recht stressbehaftet…Schlafstörungen, Magenschmerzen, Verdauungsprobleme…

Albert, vielen Dank für Deine Rückmeldung, aber es ist mir zu allgemein gehalten und gegen Verallgemeinerungen habe ich mich mit meinen Beiträgen in diesem Thread schon ausgiebig ausgesprochen. Ich möchte nicht die Kirchengeschichte bemühen, wenn es für mich um Kränkungen und gegen mich gerichtete Übergriffe meines Arbeitgebers in jüngerer Vergangenheit geht. Ich würde mich freuen, wenn Du magst, konkrete Erlebnisse aus Deiner Perspektive zu berichten…das wird dann lebendiger…greifbarer…

Ich möchte noch über ein Erlebnis mit dem Vorgängerpastor berichten, und neben der damals psychisch belastenden Komponente, denke ich, dass es auch einen gewissen Unterhaltungswert hat.

Ich hatte gerade meinen Job angefangen und war noch etwas naiv und unerfahren am neuen Arbeitsplatz, als mich der damalige Pastor fragte, wie ich denn in die Gemeinde im Rahmen eines Gottesdienstes eingeführt werden wolle…es würde da so verschiedene aufwendige oder schlichte Zeremonien geben…

(dazu muß ich anmerken, dass ich dem zuständigen Gremium bei meiner Einstellung klar mitgeteilt hatte, dass ich wenig bis keinen Bezug zu religiösen Inhalten hätte und ich mich eher nur mit den sozialen Arbeitsfeldern, na ja…identifizieren… könnte)

Ich antwortete, also wenns unbedingt sein müsse, dann so schlicht wie möglich,- ich dachte daran, kurz aufzustehen und shake hands, und gut is.
Nun…ich habe schon gemerkt, dass der Pastor schon größeres Zeremoniell im Sinn hatte…Entscheidung wurde vertagt…

Dann traf ich ihn später im Treppenhaus und er sagte Hände reibend zu mir, mit glänzenden Augen, dass er es groß aufziehen wolle, gemeinsames Einmarschieren in die Kirche, Niederknien, Hand auflegen und was nicht noch alles…hätte noch der Propst, der Bischoff und der Vorsitzende der deutschen Bischoffsynode gefehlt…

Nach dieser Begegnung habe ich dem Vorstand unmissverständlich deutlich gemacht, dass ich mich nicht instrumentalisieren lassen will, dass ich mich nicht als Kulisse missbrauchen lassen will, und dass das Ganze an eine seelische Vergewaltigung grenzt…und…meine Einführung komplett ausfällt …
Dass ich kein Tanzbär bin, sondern als Hausmeister angestellt wurde, habe ich aber lieber nicht gesagt…

Im Laufe der Zeit konnte ich immer wieder beobachten, dass es eine Spezialität des Herrn Pastor war, bei jeder sich bietenden Gelegenheit irgendwelche Schäfchen für seine Zwecke zu instrumentalisieren, vorzuführen, als Objekte zu missbrauchen…aus Eitelkeit, Machtausübung oder was auch immer…unter dem Deckmantel der Christlichkeit…

So eine ähnliche Instrumentalisierung habe ich auch in meiner Primärsozialisation erlebt, und deshalb reagiere ich auf so ein Vorgehen besonders allergisch.

Übertragen auf die Arbeitswelt in unserer Gesellschaft, sehe ich ebenfalls, dass viele Arbeitnehmer als Objekte und Manövriermasse angesehen werden, instrumentalisiert werden, entfremdet arbeiten müssen, Geld dafür bekommen und durch Konsum ihre Fremdbestimmung kompensieren können…mal sehr verkürzt formuliert…

Gruß
FOKUS
steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Hallo Fokus,

ok, dann belassen wir es dabei.

(hallo alle Mitleser und -schreiber)

nein, darf ich doch nochmal was aufgreifen ?

Hierarchiedenken, Machtausübung um der Macht willen, Eitelkeit, Unterdrückung…sind vielleicht auch zutiefst menschlich, und nicht nur „System“ abhängig

Ich weiss, es ist eine allgemeingültige Aussage, aber ich finde diese sehr nachdenkenswert.

Können wir die Gesellschaft durch eigenes Denken, Tun und Handeln (denken und darüber zu diskutieren, halte ich für den ersten Schritt, um später ins handeln zu kommen) verändern ?

Puh, das ist echt schwer. Ich denke auch nicht, dass Planwirtschaft eine Alternative ist , aber das soziale Marktwirtschaft eine Alternative zur freien Marktwirtschaft sein kann und wir immer weiter daran arbeiten sollten, dass das soziale nicht verloren geht - im Gegenteil. Und, dass es ausgeweitet werden kann, auf die ganze Welt. (ich weiss, idealistisch)

Von daher finde ich Alberts Posting richtig gut. Und auch die Erläuterungen, dass es Ihm nicht vorangig ums Geld geht (nur um das eigene Überleben zu sichern - mit Spassfaktor[wie gross der ist, ist bei jedem unterschiedlich und liegt auch an den Ansprüchen]). Und diese gehen sehr weit auseinander und scheinen sich auch zu verändern, je mehr Geld man in der Tasche hat. Wieder nur das liebe Geld ....
Aber trotzdem an andere zu denken und vllt. auch der Gerechtigkeit halber auf eigene Ansprüche (oberhalb der Existenzgrenze zu verzichten [oder besser zum Teil zu verzichten])

Warum schreibe ich das ? Ich bin kein Wirtschafter und auch kein Unternehmer. Insofern habe ich da nicht so viel Ahnung und auch jede Menge Fragen.
z.B. Muss es sein, dass ein Unternehmen immer grössere Gewinnne machen muss (mal abgesehen davon, die Inflation auszugleichen) ? Aber warum müssen die Wachstumsraten höher als die Inflation sein und immer mehr als im Vorjahr (gut, wenn keine Rücklagen sind)? Und warum gibt es bei vielen (sehr vielen) Arbeitnehmern keine Gehaltserhöhung (die m.E. v.a. bei Einkommensschwachen existentiell sein kann)? Und warum genehmigen sich Vorstand, Führungsriege mehr Gehaltserhöhung als die Inflation ? Würde es denn nicht auch bedeuten, dass wenn Einkommensstarke auf einen Teil des Gehalts verzichten, um Einkommenschwachen eine Angleichung zu ermöglichen ? Würde es denn nicht auch einen Konjunkturaufschwung bedeuten, wenn viele Menschen, mehr Einkommen hätten ? Das würde dann doch auch den Unternehmen gut tun, da ja der Umsatz wächst ? ... da gibt es viele Fragen.

Soviel zum wirtschaftlichen Teil. Vllt. ist kann ja jemand antworten ?

Und nun die Frage, ob genau diese Strukturen und Entwicklungen, durch das System oder durch den Menschen selbst verursacht werden. Und ich muss sagen, dass ich geneigt bin, letzteres zu denken. Aber vllt. ist ja beides ?

Einzelne Fragen zielen auf den Leistungsgedanken (zur Gewinnmaximierung) ab. Der Mensch ist nun mehr nur noch Maschine, um die Produktion voranzutreiben. Und das halte ich für depressionsfördernd.

Wer eine Firma hat, kann natürlich dem entgegen handeln. Wie weit wird er kommen ? Ich denke, man muss unterscheiden. Eine Firma, die genug Umsatz produziert, um alle zufrieden zu stellen (und Rücklagen aufbauen kann), kann es sich auch erlauben, sozial zu sein.
Aber was ist mit Firmen, die am Existenzminimum krebeln (Black hat es beschrieben). Die können sich das eben nicht erlauben und kämpfen daher ums Überleben mit allen Strategien, die das System bereitstellt. Das ist Kapitalismus, meiner Meinung nach.
Hinzu kommt natürlich noch die Seite des Käufers/Kunden. Der möchte natürlich das bestmögliche Produkt zum niedrigsten Preis. UNd da sind wir beim Thema, was Virginia schon angesprochen hat, dass jeder durch sein Kaufverhalten beitragen kann. Jeder, der es sich leisten kann (ist wie bei den Unternehmen).
Je weniger Leute sich das leisten können, desto mehr werden die billigsten Angebote genutzt und desto weniger Umsatz machen die anderen (wie z.B. kleine Läden). Das ist meiner Meinung nach eine Abwärtsspirale (kein Kreislauf) - wie bei der Depression, was ? *gg* Und so sehe ich auch unsere gesellschaftliche Entwicklung. Je mehr die Leute mit der Existenz zu tun haben, desto egoistischer werden sie (was nur natürlich ist und ich glaube, das würde jedem von uns so gehen).

Das soziale Denken, und Aufträge absagen oder keine Angebote machen, geht so lange, wie man es sich leisten kann. Darüber hinaus, hängt natürlich das existentielle Bewusstsein an den Ansprüchen der einzelnen. Es gibt Menschen, die können z.B. ohne Ihren Plasmabildschirm nicht existieren. Andere hingegen begügen sich mit einem altmodischen normalen Fernseher. Oh, und welch Wunder, der hat sogar ein Bild (das selbe übrigens wie der Flachbildschirm )

Wo die Grenze ist, wann wer auch sozial denkt, ist bei jedem unterschiedlich, denke ich. Z.B. halte ich auch die propagierten Spenden der Stars und Sternchen für Werbung im eigenen Sinne (das nur am Rande).

Ist die Gesellschaft oder das System nun depressionsfördernd ? Ein ganz klares ja - denn genau dieses System beruht auf dem Menschenbild, das der MEnsch egoistisch ist. (und unterschiedliche luxuriöse Ansprüche hat)
Aber ich stimme auch uneingeschränkt zu, dass jeder versuchen kann, anders zu denken und zu tun, als das System vorgibt, was sein müsste (also anstatt Gewinnmaximierung, sozialer Ausgleich etc. .... alles hängt irgendwie miteinander zusammen).
Eine abschlussfrage möchte ich noch stellen (wegens des letzten Abschnittes).

Würde dann die Marktwirtschaft noch funktionieren ?

Viele Grüsse, s.wölfin
albert
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von albert »

Ja Wölfin,

du hast hier das Kernproblem gestellt:

die menschliche Gesellschaft hat sowohl zentrifugale wie zentripetale Kräfte.
Welche dieser Kräfte überwiegen?

Hallo Fokus,

danke für deine Ausführungen.
Ich werde aus meinen Erfahrungen mit Behörden, die ganz ähnlich mit den deinigen sind, berichten.
Bitte versteh, dass ich mich gerade am Arbeitsplatz befinde. Ich werde mir übers WE Zeit nehmen, dir ausführlich zu antworten.

Gruß
Albert
FOKUS
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von FOKUS »

Hallo Wölfin,

nur zwei Bemerkungen zu Deinen Ausführungen über wirtschaftliche Zusammenhänge:

Ich glaube, dass Du bei Deiner Betrachtung die Globalisierung außer acht lässt, und Deutschland ist nun mal vorwiegend vom Export abhängig, und im weltweiten Wettbewerb gelten viel härtere Bandagen und Wachstumsgesetze, als in der sozialen Binnenwirtschaft.
Außerdem werden viele unserer Konsumgüter im Ausland produziert, zu menschenunwürdigen Bedingungen, weil die Sozialstandards in den Schwellenländern wesentlich niedriger sind- da wird rausgepresst was geht…

Ein Beispiel, aus meiner Erinnerung, hoffentlich gebe ich es richtig wieder, zumindest sinngemäß:
Chinesische Wanderarbeiterinnen nähen Duschvorhänge für IKEA, 1000 km von ihren Familien getrennt, 12 oder 14 Stunden Schichten, 6 Tage Woche, Unterbringung in 8,10 oder 12 Bett-Räumen, Produktionskosten 1,90 €, IKEA verkauft das Produkt für 20.- €, und rühmt sich, dass sie durch eine Erhöhung der Bezahlung um 20 Cent, die Sozialstandards verbessert zu haben…
In China werden Frauen, Mütter ausgebeutet und Ikea macht in Deutschland auf „Familie“…

…und noch eine Bemerkung zu:
„Ich bin (noch?) nicht bereit, mich hier komplett "nackisch" zu machen und in einem öffentlichen Forum muss das auch nicht sein.“

Es geht mir hier nicht um komplett „nackisch“ um „nackisch“ willen, nicht um Bloßstellung, sondern um Reflektion der eigenen Lage, und wieviel „nackisch“ oder nicht, kann jeder doch selbst bestimmen, hängt doch vom Vertrauen ab, in sich, in die anderen, vom gegenseitigem Verständnis und vom Interesse…. Und auch vom Abstand zur eigenen Problemlage…von der Abgrenzungsfähigkeit…von der Fähigkeit, sich mitzuteilen…das ist doch auch keine Forderung, sondern ein Angebot von mir…

Im Übrigen gibt es zwischen „komplett nackisch“ und „Wintermantel“ ja wohl noch reichlich genug Abstufungen, und graduelle Möglichkeiten…es ist für mich ja schon fast vorsätzlich von Dir, wie falsch Du mich verstehen willst…

…und noch mal, es bringt aus meiner Sicht nicht so viel für die eigene Persönlichkeitsentwicklung, verallgemeinernd herumzuschwadronieren, wenn man sich weigert oder Angst davor hat, über ganz eigene persönliche Erfahrungen zu berichten und zu analysieren, Ursachenforschung zu betreiben.
Sicher ist es eine Gradwanderung und wie tief jeder einsteigen kann und möchte, bleibt jedem selbst überlassen, ist eine Frage der Eigenverantwortung.

Ich habe in meinen Beiträgen an Albert und p_lyng schon mal angefangen, über meine persönlichen Erfahrungen zu berichten…für mich und für andere, wenns hilfreich ist...

Und was in einem „öffentlichem“ Forum geht und nicht geht, und was und wieviel es für mich bringt, ist unter anderem jene Frage, die ich mir stelle…Ausgang…offen

Ich hoffe, jetzt dass Du es nicht als persönlichen Angriff ansiehst und Dir nur den Schuh anziehst, der Dir passt...

Hallo Albert,
ich freue mich auf eine Antwort von Dir und hoffe, nachdem Du Dich sehr allgemein mitgeteilt hast, dass wir „mehr Butter bei die Fische bekommen“….oder ich würde den Thread etwas umbenennen wollen:

„Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression…und was ich damit zu tun habe…

Lieben Gruß
FOKUS
albert
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von albert »

Hallo Fokus,

danke für die Anteilnahme; „mehr Butter bei die Fische bekommen“…heißt das…, oder hast du eine gute Butter, um die Fische zu braten?


„Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression…und was ich damit zu tun habe…“

Ich würde noch noch weiter gehen und fragen, was kann ich tun, wie kann ich mich verhalten, um nicht neu in Depresssionen zu fallen? Ich komm nicht umhin, Zustandsbeschreibungen zu liefern, teils in früheren Beiträgen im Forum, teils als längere Ausführung auf der Homepage.

Ich stehe mitten im Berufsleben und habe mir lange überlegt, was ich wie sagen kann.
Ein kleines Kind darf sagen, dass der Kaiser nackt ist und ohne Kleid durch die Straßen prozessiert. Aber ich als Erwachsener, darf ich Wahrheiten aussprechen?


Gruß
Albert
steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Hallo Albert,

"Aber ich als Erwachsener, darf ich Wahrheiten aussprechen?
"

Nein, nicht so direkt. Man lernt im Laufe seines Lebens, Dinge zu umschreiben, schön zu reden, zu verpacken - um nicht anzuecken, etc. ...
Aber was für Wahrheiten ? Subjektive eigene Wahrheiten ? Oder objektive Fakten ?

Hallo Fokus,

erstmal zu den Fakten:

Ich glaube, dass Du bei Deiner Betrachtung die Globalisierung außer acht lässt

stimmt, die habe ich aussen vor gelassen.
Aber macht sie es nicht noch schlimmer ? Du hast es ja beschrieben, Ausbeutung - warum ? Gewinnmaximierung.
Klar man könnte sagen, ich kaufe nicht mehr bei Ikea, und wenn es viele machen, wird sich der Konzern wundern. Wo kaufe ich dann ? bei Höffner, Sconto ? Und die produzieren nicht im Ausland und verkaufen dann hier (oder in Frankreich - ist ja egal und tut nichts zur Sache) ? Wenn dem so ist, werden sie aber vllt. bald durch den Konkurrenzdruck dazu gezwungen sein. (das ist jetzt nur Beispielhaft um die Situation zu beschreiben)
Und dann werden die Vorstände sich fragen, warum sie Umsatzeinbussen haben und der Kunde kann öffentlich seine Meinung kundtun - im Internet z.B. (oder Zeitung oder oder oder - such Dir was raus).

Jetzt kommt das Aber (hab immer zuviele Abers, hoffe, Du verzeihst mir): wenn die Menschen immer weniger Geld in der Tasche haben bis sie das Existenzminimum erreicht haben von mir aus, oder auch schon eher, werden sie dort kaufen wo es am billigsten ist. (zwangsweise) - so steigt aber der Konkurrenzdruck wieder - was zur Folge hat ....

Ich plädiere für fairen Handel. (die Frage ist, wie man den erreicht)

Hm, auch wenn manche das Wort nicht mehr hören können: keine gerechte Verteilung - nicht nur innerhalb eines Industriestaates, sondern auch zw. Industriestaaten und Entwicklungländern und auch innerhalb eines Entwicklungslandes.

Interessant dazu die Zahlen, die Cybolon weiter oben geschrieben hat (kannst ja mal nachschauen)

Im Übrigen gibt es zwischen „komplett nackisch“ und „Wintermantel“ ja wohl noch reichlich genug Abstufungen
ja, das ist wohl so und ich vergesse das wohl manchmal.

Wenn du auch in anderen Threads lesen würdest (tust du ?), dann wüsstest Du, dass ich sehr wohl schon von eigenen Erfahrungen geschrieben habe. (und im übrigen ersetzt ein Forum keine Therapie)

Die Überschrift des Threads war:
Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

da kann man sicher eigene Erfahrungen dazu bringen und war bestimmt auch gewünscht. Aber man kann das auch sachlich betrachten und die Argumente, durch Beispiele und Fakten belegen. (Beispiele können eigene Erfahrungen sein) - das habe ich nie bestritten und mehrfach gesagt, dass man in beide Richtungen diskutieren kann.

es ist für mich ja schon fast vorsätzlich von Dir, wie falsch Du mich verstehen willst…

genau, ich verstehe Dich vorsätzlich falsch. Schon klar. Ich will Dich falsch verstehen, weil ich grad Bock habe, mich mit Dir zu streiten oder was ? Wenn Du mir schon so ans Bein p... , dann geb ich das auch zurück. Vllt. ist der Satz, den Du mir da vor die Füsse knallst, deine eigene Intention.

So long,
s.wölfin

P.S. Dein Beispiel mit den chinesischen Wanderarbeitern war gut
steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Hab was vergessen.

wenn der Konkurrenzdruck wächst, wächst auch der Druck auf die Mitarbeiter des Konzerns (oder der Firma).

Immer mehr Leistung, immer schneller, höher und weiter. Begünstigt meiner Meinung nach BurnOut und in Folge dessen auch Depressionen.
Wir sind halt keine Maschinen.

Wer weniger leistungsfähig ist und mit dem Druck nicht so umgehen kann, bleibt auf der Strecke (wird durch einen anderen leistungsfähigeren Menschen ersetzt).

s.wölfin
Holgi
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von Holgi »

Kurz und schmerzlos auf den Punkt getroffen !

Nichts weiter hinzuzufügen.

Außer vielleicht - Ersatzteillager MENSCH -

Viele Grüße

Holgi
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FOKUS
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von FOKUS »

Hallo Albert,

„mehr Butter bei die Fische bekommen“ ist sprichwörtlich von mir gemeint für „konkret werden“, bzw. „konkreter werden“, das hattest Du ja weiter oben angekündigt… „Ich werde aus meinen Erfahrungen mit Behörden, die ganz ähnlich mit den deinigen sind, berichten.“

„Ich würde noch weiter gehen und fragen, was kann ich tun, wie kann ich mich verhalten, um nicht neu in Depresssionen zu fallen?“
Ich habe ja insgesamt 17 Jahre TP Therapie hinter mir und kann die Frage vielleicht mit „Ursachenforschung in eigener Sache“ beantworten, ich möchte da aber nur für mich sprechen…zu verstehen, zu analysieren im Sinne von erfühlen, aufspüren…welche Erlebnisse in meiner kindlichen Biographie belastend für mich waren, welche Parallelen in meinem heutigen Erleben für mich zu finden sind…gibt es was, das sich wiederholt…wo war ein zuviel, wo war ein zu wenig, was hat mich besonders belastet…ein (sehr) weites Feld und nicht so einfach zu erschließen…

„Ich habe in meinem Berufsleben Kränkungen, Herabsetzungen, Mobbing usw. mitgemacht. Ich wurde deshalb krank, nicht nur depressiv, auch mit körperlichen Symptomen und eines Tages habe ich mir gesagt, das mach ich nicht mehr mit, habe auf Arbeitsaufträge verzichtet.“
Diese Frage hast Du Dir ja schon im Ansatz selbst beantwortet…besser für Dich zu sorgen…eine Grenze zu für Dich zu ziehen…so Richtung „burn-out“ vermeiden, würde ich mal spekulieren…

„Ich komm nicht umhin, Zustandsbeschreibungen zu liefern, teils in früheren Beiträgen im Forum, teils als längere Ausführung auf der Homepage.“

Meinst Du damit, dass Du überwiegend nur „Zustandsbeschreibungen“ abgibst, und Dich somit eher nur auf der Symptomebene bewegen kannst, habe ich das so richtig verstanden?
„Ich stehe mitten im Berufsleben und habe mir lange überlegt, was ich wie sagen kann.
Ein kleines Kind darf sagen, dass der Kaiser nackt ist und ohne Kleid durch die Straßen prozessiert. Aber ich als Erwachsener, darf ich Wahrheiten aussprechen?“

Das übersteigt jetzt mein Vorstellungsvermögen, was Du mit diesen, für mich, rätselhaften Andeutungen meinst? Also, bischen genauer wäre schon nicht schlecht…

Mir fällt allenfalls dazu ein, dass „erwachsen“ für mich bedeuten würde, mein „kindliches ich“ gut in mir integriert zu haben…und bei mir ist der Eindruck entstanden, als wenn du da eine Trennung vornimmst…aber ich kann da nur spekulieren…


Gruß
FOKUS
steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Diese Frage hast Du Dir ja schon im Ansatz selbst beantwortet…besser für Dich zu sorgen…eine Grenze zu für Dich zu ziehen…so Richtung „burn-out“ vermeiden, würde ich mal spekulieren…

das ist schon richtig, aber was, wenn es um die Existenz geht ? Oder wenn man eben nicht auf staatl. oder elterliche oder oder angewiesen sein will/kann ? Oder wenn man versucht zu reflektieren, dass man es sich in seiner Krankheit auch bequem machen kann ?
Ganz so einfach ist es meiner Meinung nach auch nicht.
Beispiel: Jemand macht sein Diplom fertig und bekommt nur eine Praktikumsstelle, in der er erst mit den letzten Pfennigen lebt, die als Student noch nebenher verdient hat und ansparen konnte, danach mit Hartz4 und Vollzeit. Die zuerst freiwillige KV hat die Firma als geringfügig Beschäftigter noch zugesteuert, wurde dann bei Bezug von Hartz4 abgezogen. Natürlich strengt sich derjenige an, immer in der Hoffnung übernommen werden zu können. (am Ende die grosse Enttäuschung)

Ok, man muss sich ja bewegen, faul auf dem Hintern zu sitzen bringt nicht vorran. Also weggehen (das problematische wurde bereits erwähnt) ... derjenige wird schwer depressiv, Kontakte zur Familie auch aufgrund der Entfernung abgebrochen.

Was wäre die Alternative gewesen ? Nicht weggehen, Hartz4 (Halbtagsjobs sind/waren rar - denn es ist leider so, dass Unternehmen 100% Arbeitskraft haben wollen)
Bewerbungen in noch einer anderen grossen Stadt - Angebote Praktikumsstellen. Abgelehnt.
Machen wir keinen Hehl daraus, dass der Begriff Praktikumsgeneration keine Fiktion ist.
Weitere Alternative. Bezug von Hartz4 und zu Hause sitzen. Hilft das ? Bestimmt auch nicht.
Insofern (mal wieder und schon 10 mal geschrieben): Mittelweg, den es m.E. nicht immer gibt.
Es gibt weitere Beispiele von Betroffenen - viele aus helfenden Berufen, wie Altenpflege etc. oder eigene Verwandte pflegen - da ist es manchmal nicht möglich einfach eine Grenze zu ziehen, wenn man weder von Verwandten, noch von staatlicher Seite Hilfe bekommt. Und jetzt nicht, man kann ja darum kämpfen. So lange wie der Kampf dann dauert, ist der Verwandte verstorben.

So, jetzt kannst Du bei den Bsp. wieder sagen, geht es nicht genauer ? Das ist alles viel zu oberflächlich.

Sicher kannst Du Dich selbst reflektieren und Deine Geschichten erzählen, dein Herz ausschütten etc.

Aber m.E. haben deine Ausführungen meiner Meinung nach nur noch entfernt etwas mit dem Thema zu tun. Zumindest stellst Du (meiner Meinung nach !) keinen Bezug dazu her.

Deshalb denke ich, solltest Du eigene Themen aufmachen, wie z.B. "Konkretes = tiefgründig und -sinnig, selbstreflektierend", "abstakt = oberflächlich", "meine geschichte", "was mache ich falsch", oder Mobbing oder oder ...

Oder Du stellst konkret einen Bezug zur Überschrift her ?

s.wölfin
steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Hi zusammen,

ich frage mich, warum v.a. in den Industriestaaten die Depression auf dem Vormarsch sind. Das muss doch einen Grund haben ?
Soweit ich weiss, erkrankten auch Kinder an Depression, wobei man lange dachte, dass Kinder nicht depressiv werden können.

Zum Thema, Depression in den Industriestaaten gibt es unterschiedliche Aussagen. (wobei das System ja global besteht):

http://www.unibas.ch/index.cfm?uuid=8B9 ... how_long=1

Die Zeit schrieb 2004 (schon bissl her), dass die Ursachen der Depression nicht ganz klar ist.

http://www.welt.de/print-welt/article33 ... ermut.html

Andere behaupten, dass Depression aufgrund von Mangelerscheinungen entstehen. Na ja, ziemlich verwegen, wenn man es nicht beweisen kann.

http://members.aol.com/brpaktiv/page/seiten/sei_310.htm
(das hab ich nicht ganz gelesen, da es mir zu viel wurde)

http://www.depressions-sprechstunde.de/ ... hinter.htm

Aber es gab auch Aussagen/Artikel die beweisen sollten/bewiesen, dass Depression nicht nur in den Industrienationen vorkommt:

Ein leider immer noch häufiges Vorurteil ist, dass es den Menschen bei uns einfach zu gut geht und deshalb viele psychische Krankheiten auftreten. Es wird davon ausgegangen, dass die Menschen in "Entwicklungsländern" zwar arm, aber glücklich seien. In der neuesten Ausgabe des British Medical Journal wird das Gegenteil bewiesen. Nach Untersuchungen in Zimbabwe wird beispielsweise von Patienten unbefangen über psychische Krankheiten berichtet. Die meisten depressiven Patienten gehen dort davon aus, dass ihre Beschwerden von "zuviel Denken", übernatürlichen Ursachen oder sozialen Stressfaktoren herrühren."

http://www.depressions-sprechstunde.de/ ... ng0109.htm

das würde meiner ursprünglichen Aussage widersprechen.

Ich habe mal eine Umfrage gelesen (finde sie leider nicht wieder). Kann auch keine Aussage über Rahmenbedingen treffen und von daher, wie repräsentativ das ist..

Es ging darum, dass Menschen aus der Bevölkerung befragt wurden, was sie denken, der soziale Verantwortung übernehmen sollte:
Zur Auswahl stand 1) der Staat 2) die Bevölkerung 3) die Unternehmen.
Ich denke, wir waren uns einig, dass jeder selbst was tun kann und muss. Aber ich war doch etwas erschrocken, dass ganze 2% der Meinung waren, dass Unternehmen soziale Verantwortung übernehmen sollten. Wie die restl. 98% zw. Staat und Bevölkerung verteilt war, weiss ich nicht mehr.

2% ? Ist das nicht ein bisschen wenig ?

Gruss, s.wölfin

P.S. wer andere Infos hat, Links, Studienergebnisse, etc. pp. - würde ich gerne lesen und andere vllt. auch ?

s.wölfin
steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Sorry, für eine weitere beitrag, aber es ging mir schon oft durch den Kopf und es ist ... na ja...

Könnte es nciht sein, dass die eigene Depri, die eigene PS, das Versagen und die Unfähigkeit, und die damit verbundene Nutzlosigkeit in der Gesellschaft auch eine Art Auslese sein ? (in Skandinavien, Dtl., Schweiz, Niederlande ... vielleicht weniger als anders wo oder gerade) ... so nach dem Darwinschen Prinzip nur nicht auf die Natur bezogen sondern auf die menschl. Gesellschaft/die Menschheit?
Ich weiss, dass das Thema S. aus gutem grund nicht angesprochen werden darf, was mich daran hindert, weiter zu erklären.
Und mir ist bewusst, in welche Richtung der Gedanke geht und auch um den geschichtlichen Hintergrund - was um Gottes Willen nicht heisst, dass ich mit dem gewissen Darstellungen aus dem Buch konform gehe.
FOKUS
Beiträge: 85
Registriert: 2. Apr 2008, 13:46

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von FOKUS »

Hallo Wölfin,

Zitat
"Diese Frage hast Du Dir ja schon im Ansatz selbst beantwortet…besser für Dich zu sorgen…eine Grenze zu für Dich zu ziehen…so Richtung „burn-out“ vermeiden, würde ich mal spekulieren…"

Meine Betrachtung war eine Antwort auf die Aussage, die Lage von Albert. Auf seine individuelle Situation, auf seine Möglichkeiten…nur die von Albert…und zwar nur ansatzweise, und spekuliert…mehr nicht…ein kleiner Gedanke dazu…nur bezogen auf Albert…

Bei anderen ist die Lage und sind die Möglichkeiten mehr oder weniger ähnlich, anders oder ganz anders…vergleichbar, weniger vergleichbar oder überhaupt nicht vergleichbar…

Die Lage die Du da schilderst, (Deine eigene oder eine fiktive ??), ist offenbar ganz anders…und in Deiner, für mich, empörten Art der Fragestellung lese ich die Vorhaltung heraus, das mein Versuch der Antwort auf Albert, nicht auf die von Dir geschilderte (verzweifelten?) Lage anzuwenden sein kann…

Da praktizierst Du aus meiner Sicht, hier eine Diskussionswegelagerei und legst Dich auf den Hinterhalt eines Weges, den ich gar nicht gegangen bin…und auch nicht gehen wollte…für mich eine Phantomdiskussion…eine Beziehungsverschiebung...

Nähmen wir mal an, eine hochkarätige Expertenkommission würde alles Material, was jemals von Menschen zum Thema „Ursachen von Depressionen“ hervorgebracht wurde, genauestens untersuchen und würde zu dem abschließenden und unumstößlichen Urteil kommen: „Jawoll, Depressionen werden ausschließlich von gesellschaftlichen Umständen verursacht, Prost!“
Welchen Vorteil hätte das dann für die Betroffenen? Welchen Nachteil hätte das für die Betroffenen?

Ansonsten, und ich habe es ja nun mehrfach versucht, ist für mich eine Auseinandersetzung mit Deinen Aussagen, Deinen Rückmeldungen und Deinem Diskussionsstil wenig konstruktiv und es wird mir jetzt auch insgesamt zu uferlos…

Zitat
„Hallo wölfin,

ich möchte nicht auf Deinen Beitrag eingehen, weil ich das Gefühl habe, dass nur noch mehr Missverständnisse entstehen, wer von uns beiden die mehrheitlich verursacht, lasse ich mal dahingestellt.
Es tut mir leid, wenn Du Dich von mir angegriffen gefühlt hast oder ärgerlich geworden sein solltest, das lag nicht in meiner Absicht.

Unabhängig davon, haben wir versucht, unsere Sichtweisen auszutauschen und wenn uns der jeweilige Zugang dazu fehlt, dann ist es zwar bedauerlich, aber nicht so leicht zu ändern.

Damit möchte ich es bewenden lassen.

Lieben Gruß
FOKUS“


Und damit möchte ich es mit Dir,
von meiner Seite aus und an dieser Stelle, wirklich bewenden lassen.

Lieben Gruß
FOKUS
steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Ja fokus, Du hast Recht.
r.p.mcmurphy
Beiträge: 170
Registriert: 6. Mär 2006, 04:11

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

Hallo Wölfin,

nachdem Du Dir die Mühe gemacht hast, einige Artikel herauszusuchen und ins Forum zu stellen, möchte ich Dir nun auch antworten.

Ich habe die Artikel teilweise gelesen, teilweise überflogen. Hiernach könnte man wohl sagen, dass es eine genetische Veranlagung zur Depression gibt. Negative äußere Umstände können den tatsächlichen Ausbruch einer Depression dann hervorrufen. Da es anscheinend in den Industriestaaten im Vergleich zu Entwicklungsländern vermehrt Menschen mit Depressionen gibt, sind hierfür wohl die spezifischen sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen Unterschiede in den beiden Ländergruppen die Ursache. Vielleicht auch die klimatischen – besseres Wetter => tendenziell weniger Depression? (ernsthafte Frage)

Was sind nun die oben aufgeführten Unterschiede im Einzelnen? Meiner Meinung nach gibt es in den Entwicklungsländern im Vergleich zu den Industriestaaten

- Intaktere Familienstrukturen
- Weniger Konkurrenzkampf untereinander (gegenseitige Unterstützung)
- Sichtbarere Leistung des Einzelnen (Landwirtschaft, Handwerk)
- Weniger Informationsflut in den E-Ländern
- Stärkere Ausprägung von Religiosität, allgemein gesprochen: Werte
- Weniger Beeinflussung / Manipulation durch Werbung (=> künstliche Erzeugung immer neuer Bedürfnisse, die vorher gar nicht da waren => Stress)
- damit verbunden: verstärkte Achtung und Verantwortungsbewusstsein gegenüber Dingen und der Umwelt
- Bewahrung althergebrachter Methoden = bewährte Methoden
- Kein blinder Aktionismus => weniger Orientierungslosigkeit
- Mehr körperliche Betätigung

Es gäbe sicher noch mehr Dinge zu erwähnen.

Als Folge daraus könnte man ableiten, dass in den Industriestaaten der Anteil der Menschen, bei denen Depressionen offen zum Ausbruch kommen, gesenkt werden könnte, wenn dort die oben aufgeführten Punkte tendenziell mehr Beachtung fänden. (Dies gilt sicherlich auch für eine Reihe weiterer Erkrankungen)


Anderes Thema:

Du wirfst die Frage nach einer gesellschaftlichen Auslese auf. Ich denke, es gibt diese auf jeden Fall. Meiner Meinung nach ist eine solche Auslese in einem reinen Kapitalismus (freie Marktwirtschaft) systemimmanent. Durch die derzeit tendenziell zu beobachtende Rückführung der sozialen (Abfederungs-)Komponente in unserer Markwirtschaft und einer gleichzeitigen Fokussierung auf rein monetäre Aspekte (Dominanz der Finanzwelt aufgrund fehlender Regelungen) wird die Schere gleichzeitig an beiden Enden immer weiter geöffnet.
Diejenigen, die dies verursachen bzw. nicht genügend gegensteuern, müssen sich die Frage gefallen lassen, wie sie mit den immer mehr Menschen verfahren wollen, welche durch das Raster fallen. Und falls sie diese Frage wirklich ehrlich beantworten würden, spätestens dann wäre es wohl vorbei mit dem sozialen Frieden…

Viele Grüße
Patrick

PS: In der Kürze liegt die Würze!
steppenwolf1

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von steppenwolf1 »

Hallo Patrick,

du hast dir die Mühe gemacht, die Links zu studieren - danke !, zu überfliegen (habe auch nciht alle komplett gelesen) - nur ich dachte, es wäre wichtig bei dem Thema auch ein paar relevante Texte und auch kontroverse zu diskutieren.
Deine Aufzählung zw. Industriesattaten und Entwicklungsländern:
- beim ersten ist mir so aufgefallen: INtakte Familiebnverhältnisse ... und der erste Gedanke, der mir kam, in Afrika gibt es viele AIDSwaisen. Weiter kam ich nicht mehr ... sorry, dass ich nichts weiter begründen kann oder kontrovers diskutieren kann. aber ich werde versuchen, noch so gut ich kann zu antwoten ....später

danke Dir für Deine Antwort und Gedanken zum Thema .....

Morgen !! !

Gruss und gute Nacht , s.wölfin

P.s. soorry , schaffs heu t nimmer
albert
Beiträge: 1284
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von albert »

Hallo Wölfin und Fokus,

ich bin frisch vom WE zurück, war auf einem Fach-Symposium und mir ist in dieser Zeit bewusst geworden, dass ich mich in einer Krisensituation befinde. Der folgende Beitrag möge einen tieferen Einblick geben. Ich kann nicht umhin darauf zu verweisen, dass dies meine individuellen Erfahrungen sind, die mit Sicherheit nicht auf andere zu übertragen sind.

Ich finde, dass die Identifizierung mit der Arbeit eine Voraussetzung ist für das erfolgreiche Leben. Ich kann nur alles tun, um eine Identifizierung zu erreichen gegen alle Fremdbestimmung und Erwartungen durch Vorgesetzte und Auftraggeber. Meine Wirklichkeit besteht aber zunächst in einem Abhängigkeitsverhältnis.

Man hat mir einen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt trotz meines Alters – wenn ich wollte, könnte ich die Hände in den Schoß legen und Rente beantragen. Bei meinen 59 Jahren würde der Antrag sofort wohlwollend bearbeitet und wahrscheinlich genehmigt werden. Aber ich will das nicht.


Ich sehe meine Krisensituation als Auseinandersetzung über Machtansprüche. Als Berufsanfänger hatte ich wenig Möglichkeiten, eigene Ideen ein zu bringen, da hieß es, sich ein zu fügen in bestehende Gruppen und Projekte. Und heute höre ich:

„Wer die Musik bezahlt, bestimmt, welches Stück gespielt wird.“

Soweit Hausbesitzer immer das gleich sichere Schloss für Ihre Türen verlangen, ist der Satz richtig. Eines Tages fangen die Lokalreporter an, vermehrt über Wohnungseinbrüche zu berichten und nach der Zeitungslektüre nimmt das subjektive Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung zu. Die Hausbesitzer suchen im Branchenverzeichnis und im Baumarkt nach besseren Schlössern für ihre Türen, das dem Werkzeug der Einbrecher standhält. Die Firmen des Schlosserhandwerks stehen unter einem Konkurrenzdruck. Um am Markt erfolgreich zu sein, müssen sie Veränderungen in der Nachfrage beachten und sich darauf einstellen. Im übertragenen Sinne bedeutet das, dass sie nicht immer nur die alten hergebrachten Musikstücke anbieten können, sondern auch Neukompositionen im Angebot führen müssen.

Leider gibt es im Dienstleistungsbereich Branchen, in denen der Wettbewerb durch staatliche Subventionen verzerrt oder gar unwirksam wird.

Als freiberuflicher Sachverständiger hatte ich von der Industrie- und Handelskammer die Auflage, unabhängig zu arbeiten. Ich habe mich oft gefragt, unabhängig von wem? Darf ich auch unabhängig von den Amtsleitern arbeiten? In den Ämtern laufen die Fäden zusammen und das staatliche Geld wird als Zuschuss verteilt. So ist für einen unabhängig denkenden Sachverständigen das Scheitern programmiert.

Solche Vorkommnisse wie mit einem Pastor kenne ich zur Genüge. Einer meiner Vorgesetzten hatte z. B. den Tick, einen Besprechungstermin zu vereinbaren und als ich mal zur vereinbarten Stunde kam, zeigte er mir auf seinem Terminkalender, dass die vereinbarte Stunde schon vor zwei Tagen hätte stattfinden sollen. Ich habe mich damals nicht weiter aufgeregt ob solcher Machtdemonstration.

Am Ende meiner Anwesenheit auf jener Arbeitsstelle weigerte ich mich aber, mehr als das vertraglich vereinbarte an Leistung zu erbringen und danach wurde jener Tick auch bei den jüngeren Kollegen angewandt. Ein Teil des Personals hat das Spiel durchschaut, einem anderen Teil ist die Muffe gegangen. So habe ich es mir später erzählen lassen.

Hier zeigt sich der Mangel an Persönlichkeit im Führungspersonal, sonst wäre es nicht soweit gekommen. Das ist aber in Deutschland ganz normal, die Erziehung und Schulbildung hat nicht Persönlichkeitsbildung im Vordergrund, sondern legt Wert auf sachliche Bildung –im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern. Im Hintergrund stehen andere Fragen, die nicht ausgesprochen werden dürfen.

„Gotteslohn“ klingt schön, dieser Terminus ist in Deutschland weit verbreitet und wird nicht nur im kirchlichen Bereich verwendet, da kann ich ein Lied von singen. Bei der oben beschriebenen Machtdemonstration über den Terminkalender ging es darum, das zu verwirklichen, nur wird der Terminus nicht vom Arbeitgeber verwendet. Die Untergebenen nehmen das Wort im Gespräch unter sich in den Mund, nicht gegenüber den Vorgesetzten.

Das Ritual einer offiziellen Vorstellung oder Verabschiedung zwecks Begrüßung ist als solches gut, finde ich. Schlecht wird es erst, wenn ein Bimbamborium darum gemacht, damit die beteiligten Personen als unantastbar und abgehoben erscheinen. Den Hintergrund darin sehe ich in einer autoritären Struktur und in einer gehörigen Portion Narzissmus.

Ich erinnere mich an die Inbetriebnahme einer Belüftungsanlage. Der Betreiber der Anlage hatte alle Fachleute und die Prominenz eingeladen, es war eine richtige Feier im Festzelt als Festveranstaltung mit zugehöriger Ausstellung und neben dem Rednerpult war überdimensioniert ein schuhkartongroßer Einschaltknopf montiert, unübersehbar für alle Anwesenden. Der Geldgeber für die Anlage, ein Behördenleiter durfte diesen roten übergroßen Knopf zwecks Inbetriebnahme drücken. Ich habe ihn nie mit glänzenderen Augen gesehen als in jener Sekunde.

Seitdem kann ich mir vorstellen, was Narzissmus ist. Für solche Regierungsbeamte reduziert sich die Arbeit weitgehend auf das Geldproblem. Es wird über die Verteilung von Geld regiert. Die Zeiten des äußeren Zwangs sind heute ja vorbei.

Das Schlimme ist: die Betroffenen nehmen das an und hin; sie sacken das Geld ein und machen dann, was ihnen beliebt. Ich habe in der Amtszeit jenes Behördenleiter nicht einmal erlebt, dass ein Bußgeld verhängt worden wäre wegen Verstoßes gegen einen Paragrafen des zuständigen Gesetzes. Der Amtsleiter verstand sich als erster Sachwalter seiner Branche, benahm sich als Meinungsführer und wollte von „seinen Leuten“ gestreichelt werden.

Die Betroffenen wollten es mit ihm nicht verderben wegen dem Geld. Im Amtszimmer bimmelte im zehn-Minuten-Takt das Telefon. Solche Zuwendung und Hilfeheischung war Balsam für die Seele des Amtsleiters. Ich habe nie einen Anruf von ihm persönlich erhalten. Das lief immer über den Techniker im Amt. An diesem Umstand zeigte sich, dass es zuallererst um Machtausübung ging, etwas das mir persönlich gegen den Strich ging, weil ich sachorientiert bin.

Jener Amtsleiter war kein Einzelfall. Ich kenne die LAWA-Empfehlungen zur Beprobung und zur Probenbearbeitung. Eine Landesanstalt macht daraus Vorschriften.
(LAWA = Länderarbeitsgemeinschaft für Wasser)

Die Probenahme wird als Lohnauftrag an freiberufliche Sachverständige vergeben.
Die Anstalt gibt die gesammelten Proben zur Bearbeitung weiter als Lohnauftrag. Damit gibt sie auch die Fachkompetenz für die Proben ab – aber die Hand will sie darauf haben und dafür werden die LAWA-Empfehlungen zu Vorschriften gemacht, deren Einhaltung kontrolliert wird.

Als Folge ist eine Erstarrung zu beobachten und die Abschottung vom Rest der Welt, von internationalen neuen Entwicklungen, auch solchen im eigenen Land, denn neue Erkenntnisse könnten die Berechtigung von jahrzehntelang bewährten Arbeitsvorschriften und die Amtsautorität der behördlichen Sachbearbeiter in Frage stellen. Neue Entwicklungen gelten zuerst als Störung.


Folgen der Abschottung: Isolation, Misstrauen gegenüber Außenstehenden und die Versuche, diese in eine Abhängigkeitsverhältnis zu bringen. Außenstehende werden verletzt und blockiert, sofern sie nicht zuarbeiten, sich zum Zuarbeiter degradieren lassen.

Das ist die Wirklichkeit, in der ich stehe und dann sagt einer:
„Wer die Musik bezahlt, bestimmt, welches Stück gespielt wird.“

Draußen außerhalb vom Wintermärchen Deutschland wird längst eine andere Musik gespielt, die nicht im Repertoire der Landesanstalten enthalten ist, und es gibt eine Nachfrage nach Neukompositionen. Ich habe auf einem internationalen Symposium gesehen und gehört, wie immer wieder mit neuen Gesichtspunkten und Fragestellungen die ungelösten Probleme der Untersuchung und Bewirtschaftung angegangen werden – der eine mehr oder weniger erfolgreich.

Ein Sachbearbeiter in der Landesanstalt sagt kalt zu mir über meine Arbeitsergebnisse: „Das ist nicht bewiesen.“
Ich kann darauf nicht viel sagen. Denn eine Hypothese in der Wissenschaft kann nicht bewiesen werden, sie kann nur falsifiziert werden. Solange sie in mehreren Versuchen nicht falsifiziert worden ist, steht sie im Raum. Mit dem kurzen Satz vom Nichtbeweis enthebt sich der Sachbearbeiter des Bemühens um eine Falsifizierung und drückt sich vor der fachlichen Auseinandersetzung.

Um es zu wiederholen: das sind meine individuellen Erfahrungen. Ob sie auch für andere gelten oder übertragbar sind, kann ich nicht beurteilen.

Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich Polaritäten in der Gesellschaft sehe. Auf der einen Seite das Streben nach geordneten Verhältnissen und die Ausübung von Einfluss, da sind durchsetzungsfähige Menschen ohne Anfälligkeit für Depressionen gefragt.

Auf der andren Seite ist mein persönliches Streben völlig gegenteilig. Ich frag nicht nach Geld. Ich will Wahrheiten. Das geht nicht anders als über Transparenz und ich muss so naiv sein wie ein Kind und die gefundenen Wahrheiten öffentlich aussprechen, auch wenn gerade der Kaiser vorbeispaziert. Denn wenn ich mich an den Dienstweg halten würde….

Das einzige Zugeständnis besteht darin, dass ich keine Realnamen nenne, sondern die Wahrheit verkleide.

Einem Abteilungsleiter habe ich es mal erklärt: 95 % des Raumes sind mit Ordnung gefüllt, 1 % mit Chaos. Meine Aufgabe besteht darin, Ordnung in meinen chaotisch aufgehäuften Stapel an neuen Informationen zu bringen. Das kann ich nicht allein. Ich brauch Hilfe von Menschen aus dem Ordnungsbereich. So besteht im Idealfall eine breite Zone des Austausches, ich schätze mal, die 4 % des Raumes einnehmen kann. Der Abteilungsleiter hat dieser Erklärung sogar zugestimmt und später kam es doch gegenteilig von ihm.

Das ist wie gesagt ein Idealfall, den ich versuche, mit Hilfe von Kontakten ins Ausland zu erreichen. Meine Wirklichkeit in Deutschland sieht so aus, dass Ordnungsleute mit Hilfe von Eroberungsstrategien diese 4 % eindrücken, sich bis 99 % ausdehnen und auch das restliche 1 % gerne noch schlucken würden. Austausch ist im Land nur möglich, soweit die Hierarchie das erlaubt.
Das ist die depressogene Situation, in der ich stehe; mit allem was dazugehört. Ich kann mich nur immer wieder mit allen Kräften dagegen wehren, suchen, wo ich Unterstützung finde und mich soweit möglich von negativen Einflüssen fernhalten. Um nicht wieder neu in eine Depression zu rutschen.

Denn ich sehe klar aus meiner eigenen Deprilaufbahn, dass ich eine genetisch bedingte Veranlagung zu Depressionen habe, die auf äußere Auslöser wartet.

Sodele, es ist viel geworden, ich speichere diesen Beitrag ab, werde ihn vor Feierabend heute im Forum wieder großenteils löschen, ihn überarbeiten und an anderer Stelle ins Internet setzen. Einen ähnlichen Beitrag hatte ich schon mal auf der Hp. Aus mir bisher unerklärlichen Gründen ist er weggerutscht. Er ist aber gespeichert und ich werde ihn wieder veröffentlichen.

Grüße
Albert

PS:
Noch eine Bemerkung zur Verbreitung von Depressionen außerhalb von Industriestaaten; ich empfehle dazu die Lektüre des Buches Saturns Schatten - Die dunklen Welten der Depression von Andrew Solomon.

Ich denke, dass damit nur ein Teil der Fragen angesprochen worden ist,
die Diskussion wird weitergehen.
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