Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

r.p.mcmurphy
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Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

Hallo zusammen,

ich möchte ein neues Thema eröffnen und bin gespannt, welche Antworten ich erhalten werde.

Ich denke ein wesentlicher Punkt für unsere Traurigkeit, Hilfosigkeit, Wut, ist die Gesellschaft, das System, in dem wir leben. Seit einiger Zeit verfolge ich die Pressemeldungen sehr intensiv mit (Spiegel, SZ, FAZ und Bild als "Gegenpol"). Es vergeht fast kein Tag, in dem nicht neue Skandale über die sog. "Eliten" der Gesellschaft aufgedeckt werden. Und diese "Eliten" echauffieren sich dann auch noch über die Faulheit, das Unvermögen, die mangelnde Risikobereitschaft etc. der restlichen Gesellschaft!

Es werden ständig neue Produkte auf den Markt geschmissen, ohne dass diese ausgereift sind. Noch schlimmer, bei vielen Produkten wird eine "Sollbruchstelle" mit eingebaut, das heißt, dass diesen Produkten von vornherein nur eine bestimmte Lebensdauer zugestanden wird, obwohl man sie ohne zusätzlichen Aufwand länger haltbar gestalten könnte. Aber der Konsument soll ja baldmöglich wieder was Neues kaufen, damit die Wirtschaft auch immer schön am Laufen bleibt... man denke nur an die Elektronikindustrie... mit ihrem ganzen Schrott.

Jeder Einzelne soll immer mehr Leistung bringen, ohne jedoch mehr Gegenleistung zu erhalten (Arbeitszeitverlängerung, weniger Gehalt, "Vertrauensarbeitszeit").

Der Einzelne wird einfach nur noch als Arbeitskraft, mit der man beliebig verfahren kann, und nicht mehr als Mensch angesehen --> geforderte Mobilität, Flexibilität, immer stärkere Zunahme von Zeitarbeitsfirmen (Arbeitssklavenhaltung). Immer mehr Leistung in immer kürzerere Zeit wird gefordert. Das Ergebnis muss erreicht werden, egal wie.

Wir leben längst schon in mafiösen Verhältnissen, die Politik kungelt mit der Wirtschaft und umgekehrt. Wobei die Wirtschaft, die Vorstände der AG's das eigentliche Sagen im Staat haben. Erpressungsversuche: Wenn nicht Gesetze nach unseren Vorgaben erlassen werden, verlegen wir unseren Standort in eine anderes Land. Nur diese Gesetze dienen nur dem einen Zweck, immer mehr und immer höhere Gewinne zu realisieren, und das alles auf Kosten der "normalen" Bevölkerung. Einige wenige kriegen ihren Hals nicht voll vor lauter Raffgier und die vielen anderen müssen dafür bluten.

Früher gesunde Unternehmen werden ausgeplündert, zerstört (Armaturenhersteller Grohe; die Firma Boss nimmt wohl leider einen änlichen Weg).

Keine Maßstäbe mehr, keine Moral, es herrscht nur noch purer Kapitalismus, das Recht des Stärkeren!

Ich erwarte spätestens in einigen Jahren die ersten gezielten, organisierten Anschläge auf "die Führer der Wirtschaft" seit den Anschlägen der RAF. Und... ich hätte null Mitleid, denn da würde es endlich einmal die Richtigen treffen.

Aber wahrscheinlich geht's dann erst recht in den absoluten Überwachungsstaat. George Orwell ist für mich jetzt schon ein Prophet. Ich empfehle jeden den Roman "1984" zu lesen. Pflichtlektüre! Vieles von dem was damals (1949 erschienen) beschrieben wurde, ist heute längst Realität. Sehr viele nehmen das einfach so hin. Das macht mir Angst!!!!

Bin gespannt auf Eure Antworten,
Patrick
TearsforFears
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von TearsforFears »

Sorry, aber dem kann ich mich nicht anschließen. Ich bin in der Welt rumgekommen, vor allem in der nicht-entwickelten. Ich muss ganz klar sagen: Wäre ich religiös würde ich Gott jeden Tag dafür danken, dass ich in Deutschland leben darf.

Ich bin froh, in einem Rechtsstaat zu leben, wo mich die Polizei nicht verhaftet, wenn ich meine Meinung sage, Ich bin froh, dass ich meine Regierung, mein Parlament, meinen Stadtrat wählen darf. Ich bin auch froh um unseren Pluralismus, der es mir erlaubt auch außerhalb der Wahlen Einfluß auf die Politik zu nehmen. Das tue ich auch als Mitglied einer großen Menschenrechtsorganisation. Andere tun das auch, z.B. Firmenchefs. Das ist ihr gutes Recht.

Ich werde jetzt wahrscheinlichm massiv abgewatscht, denn in D. ist es "in" immer rumzujammern. Ich bin davon seit Jahren geheilt.

Nix für ungut, ist halt meine Meinung (Pluralismus ermöglicht ja Meinungsvielfalt)
Grüße,
Tears
912318798
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von 912318798 »

Lieber Patti und Tears!

an Tears:
Du hast Recht:
Wir wissen eh nicht, wie gut es uns geht, und wer immer Dich für Deine Ansicht "abwatscht", hat in der Tat keine Ahnung!

für beide:
Das Problem, das Patrick anspricht, ist der visionäre Anteil der Orwell-Prophezeihungen.

Wenn Du Dir ansiehst, wie weit außerhalb unserer demokratischen Einflußnahme der Lauf der Welt kontrolliert wird (Saatgutkontrollen, Lebensmittelindustrie, Chemieimperien, Kriegshintergründe, Ernährungslobbiismus (!!!),...), muß einem als vernünftiger Mensch schon der Gedanke an das nahende Unheil kommen.
Glaub' ich.

Liebe Grüße und trotzdem einen schönen Wochenbeginn

wünscht Euch allen

Jojo
TearsforFears
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von TearsforFears »

Hallo Jojo,

nahes Unheil global gesehn? Seh ich auch so.

Unser System ist meiner Meinung nach aber nicht Teil des Problems sondern die Lösung. Wäre die ganze Welt demokratisch, dann hätten wir ein paar Probleme weniger. Und hätten erst alle Staaten so ein Sozialsystem wie wir *verklärt in die Ferne schau*

Ok, Zeit wieder runter zu kommen. Bei uns ist nicht alles so toll und manches könnte besser sein, aber wenn ich an die E-Länder und Krisengebiete die ich kennengelernt habe denke dann sage ich immer noch: Gott (ich glaub zwar nicht an Dich aber sei es drum) Danke dass ich Deutsche bin!

Grüße,
Tears
r.p.mcmurphy
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

Hallo Tears,

freut mich, dass Du mir geantwortet hast! Und sicher kannst Du Deine eigene Meinung haben, so wie ich meine Meinung habe.

Natürlich ist mir sehr bewusst, dass wir in einem Land leben, dass sich von den Zuständen in vielen anderen Ländern positiv abhebt. Keine Frage, da gebe ich Dir auch vollkommen Recht.

Nur ist mein Eindruck der, dass wir auf dem Weg sind, uns in sehr vielen Bereichen von unseren positiven Errungenschaften, teils gewollt, teils ungewollt oder unbedacht, zu verabschieden. Jedenfalls werden diese zurückgefahren.

Ein paar Stichworte:
- das schwindende "sozial" in der Marktwirtschaft
- die Tendenz zu immer mehr Überwachung
- damit verbunden, das Sammeln von unzähliger Informationen über den Einzelnen
- Quantität geht vor Qualität
- Verschiebung der Machtverhältnisse im Staat zugunsten der wirtschaftlichen "Eliten"
- zunehmende Radikalsierung oder Politikverdrossenheit in der Bevölkerung
- Verflochtenheit von Politik und Wirtschaft, dadurch tendenziell geringere Objektivität, größere Beeinflussbarkeit, Abhängigkeit

Ich belasse es jetzt einmal bei diesen Beispielen. Tears, Du wirst mir sicherlich zustimmen, dass dies die derzeitige Entwicklung ist. Es geht mir hier nicht um "Herumgejammere", sondern einfach darum Tatsachen festzustellen. Und festzustellen, welche Auswirkungen diese Tatsachen auf mich, aber auch auf viele viele andere womöglich haben.

Natürlich spielen bei jedem einzelnen (Depressiven) auch viele persönliche Faktoren als Grund für seine Krankheit eine Rolle. Aber die derzeitige Entwicklung in unserer Gesellschaft ist eher nicht dafür geeignet glückliche Menschen hervorzubringen.

Ich möchte hierbei als Vergleichsmaßstab ausdrücklich nicht sehr arme Länder oder irgendwelche Diktaturen anlegen. Es lassen sich immer noch welche finden, denen es schlechter geht.

Aber sind die Menschen woanders vielleicht nicht doch zufriedener, weil bescheidener?Leben wir nicht auch in einer Diktatur? In einer Diktatur des Geldes und des Profits?

Sollte man sich auch mal überlegen! Und, wie gesagt, mit Herumgejammere oder "In-sein-wollen" hat dies überhaupt nichts zu tun.

Viele Grüße,
Patrick
cybolon
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von cybolon »

Hallo Tears,

der Pluralismus ist etwas hoch Angenehmes.
Leider machen die Schafe wenig gebrauch vom saftigen Gras der Solidarität.
Wäre dem so, hätten nämlich Millionen von Rauchern einfach mal 4 Wochen keine Kippen mehr gekauft oder Millionen von Autofahrern einfach mal, überall wo es geht, das Auto stehen lassen usw.

Es fehlt im Wohlstand an Interesse dafür, von der Demokratie gebrauch zu machen.
Deshalb ist es die Regierung alleine, die ohne das Volk wirklich einzubeziehen, Entscheidungen trifft.

Naja, dann wäre da noch sie KlassenKluft:
In Deutschland besitzen 7% der Bevölkerung 90% des Umlaufvermögens. Die restlichen 10% teilen sich also 93%. Auf nur den Osten Deutschlands bezogen, teilen sich dort 2% den Kuchen von 90% des Uv.

Wir leben in einer, gottseidank friedlichen, aber sozial nur scheinbar(!) abfedernden DEMOKRATUR.

Anbetracht dessen, dass es weder Krieg, Terror, Hungersnot noch Seuchen gibt, stimme ich aber mit Dir überein, Tears: Ich möchte nicht woanders leben! Wer Dich abwatscht, macht sich unglaubwürdig.

@Patrick

"Noch schlimmer, bei vielen Produkten wird eine "Sollbruchstelle" mit eingebaut..."

Hähä, das erinnert mich an die Drucker von Deppson (Name geändert):
In die Drucker ist ein Zähler eingebaut worden.
Der Vorwand: Nach einer firmeneigenen Studie wurde festgestellt, dass, nach einer bestimmten Anzahl von Ausdrucken, das Reinigugsschwämmchen mit Tinte vollgesogen ist. Die Ausdrucke werden dann blass und verschmiert.
Das Ansinnen: Davor muss man den armen Verbraucher schützen. Deshalb erhält er, bei erreichen der ermittelten Anzahl, eine Fehlermeldung und einen Hinweis, sich mit dem Hersteller in Verbindung zu setzen, anstelle des gewünschten Ausdrucks.
Die Folge: Ein neuer Drucker wird empfohlen.
Die Reaktion: Die Schafe gehen kaufen. Denn ein Drucker kostet ja schon weniger, als seine Patronen (die das eigentliche Hauptgeschäft ausmachen).

Ein Journalist hat sich den Spaß gemacht, das, verständlicherweise nur schwer erreichbare, Schwämmchen auszubauen und zu reinigen.
Danach setzte er den Zähler, mit Hilfe einer Software, zurück.
Sein Drucker lieferte perfekte Ausdrucke, wie am ersten Tag.

Insgesamt sind solche Entwicklungen erschreckend und ersticken jeden Funken des Verständnisses. Auch hierin zeigen sich depressogene Faktoren, die unserer Gesellschaft Glaubwürdigkeit, Vertrauen und schließlich Lebensqualität nehmen.

Warum darf Autokraftstoff denn von einem Tag auf den anderen plötzlich 11 cent mehr kosten?
Noch besser: Ich wollte tanken, sah, dass auf dem Schild ein günstigerer Preis war, als anderswo. Als ich den Zapfhahn aus der Säule nahm, zeigte diese mir aber einen höreren Preis an. Als ich den Tankwart darauf ansprach, sagte er wörtlich: "Sorry, da kann ich nix machen, das machen die in (irgend ne Stadt), nein, eine feste Uhrzeit gibt es da nicht..." Dann deutete er auf das Schild, welches just in dem Moment seinen Preis anpasste. Wow, ich durfte es live erleben!
"Arschkipp (Name geändert) - Wir reissen ihnen 6 Beine aus!"

Für die Verantwortlichen würde ich gerne einen extra Supermarkt eröffnen. Wenn sie nach der Milch greifen und zur Kasse hechten, hat sich eben mal der Preis erhöht...

Komisch, hatten wir doch gerade hier im Forum ein Thema zur Regulierung durch Moderatoren.
Wie im Kleinen, so auch im Großen, nämlich dem Staat. Es täte letzterem gut, wenn er, anstelle peinlich genauer Tulpenlängen und Tomatengewichten bei der Einfuhr, seine Aufmerksamkeit mehr auf den Schutz seiner Schäfchen vor solchem Raubrittertum legen würde. Frühere Wegelagerer erbeuteten mal ne Schatzkiste mit 10.000 Dublonen. Heutige sahnen Milliarden ab.

Liebe Grüße
vom
cybolon

€: Ortho...
912318798
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von 912318798 »

Cybie!

d'accord!
FOKUS
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von FOKUS »

Hallo Patrick,

(ich beziehe mich mit meinem Antwortbeitrag auf Deine Threaderöffnung,
insofern habe ich die anderen Beiträge eher außer acht gelassen, ich bin nicht so schnell…zu mir, ich bin m, 48, 3 abgebrochenen Studiengänge, zurzeit ALG II Empfänger…)

ich kann Dir in vielem zustimmen, insbesondere was so Produktentwicklungen und Verbraucherbetrug angeht und ähnliche Diskussionen habe ich auch schon vor 20 Jahren geführt und ich kann noch viele bedrohliche Missstände hinzufügen: globale Umweltzerstörung, Vogelgrippe, Drogenhandel, Waffenhandel, Irak Krieg, Palästina Problem, neue atomare Bedrohungen, Hunger und Armut in der Welt, Afghanistankrieg, Diktaturen in Afrika, Kindersterblichkeit, Aids…

…oder das komplizierte Leben in Deutschland: Bürokratie, Sozialdarwinismus, steigende Energiepreise, Konsumterror, Korruption, Zunahme der Armut, Verkehrsprobleme, Ärztemangel, Steuerdschungel, Arbeitslosigkeit, Überschuldung von Privathaushalten, Gewaltkriminalität, Hartz IV, Massenentlassungen, Rechtsradikalismus, Jugendkriminalität, hohe Scheidungsrate, betrügerische Callcenter, Kürzung von Gesundheitsleistungen, Bespitzelung von Arbeitnehmern, Anstellung von Lobbyisten in Bundesministerien…

Wenn du diese oder andere gesellschaftlichen Verhältnisse anprangerst, frage ich mich, welche Konsequenzen ziehst Du daraus und was gibt es Dir, außer zunächst mal Deinem Unmut kundzutun, Dich vielleicht abzureagieren…wie gehst Du vom Gefühl her damit um. Dass es Dich aggressiv macht, habe ich herausgelesen …aber welches Gefühl stellt sich denn noch bei Dir ein…?

Trotz allem, können wir, trotz aller Missstände, froh sein, im „System“ Deutschland zu leben, verglichen mit den Lebensverhältnissen woanders auf der Welt. Es gibt Demokratie, Meinungsfreiheit, Sozialleistungen, Gewerkschaften, formale Rechtsstaatlichkeit, kritischen Journalismus…und es gibt, trotz Interessengezerre überall…einen „sozialen Frieden“…

Es ist für mich schon verführerisch, die vielen Missstände im Außen zu betrachten, die es nun mal gibt, aus der Depression heraus zu moralisieren, alles mit der Lupe zu betrachten, das lenkt von der Eigenverantwortlichkeit ab, das gibt eine Richtung für meine Aggression…es gibt einen Grund für meine Depression… ich kann mich an denen orientieren, denen es schlechter geht…ich bin krank, weil die Welt um mich krank ist…ich bin nicht ok., aber die Welt um mich herum, ist noch weniger ok. …das berechtigt mich zum Rückzug…

Und was ist mit den vielen Zeitgenossen, die sich mit den Verhältnissen besser arrangieren können, die (offenbar) mit ihrem Leben zufriedener sind…fehlt denen das Problembewusstsein, können die bessere Verdrängungsleistungen erbringen, haben die das System und die Werte besser verinnerlicht…?

Ich habe aber auch Phasen erlebt, in denen die Missstände als nicht so belastend erlebt habe und mich mehr auf meine Angelegenheiten konzentriert habe, ich mich besser abgrenzen konnte, insofern sehe ich, je nach Verfassung, eine selektive Wahrnehmung bei mir…

Aber was bleibt denn nun anderes übrig, als festzustellen, dass es Missstände und Konflikte gibt, die offenbar nicht lösbar sind, die relativ sind…sich von Idealvorstellungen und Idealwünschen zu verabschieden und für sich das Beste daraus zu machen…was immer es auch sein mag.

FOKUS
rm
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von rm »

gelöscht..... wegen Überempfindlichkeit meinerseits...
triste
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von triste »

Hallo Fokus,

klasse Beitrag!
In ähnlichen Diskussionen hier, in denen ich mich oft über diese Art von Depri-Denke des "Die-Schuld-im-andern-oder-im-System-suchen" geärgert habe, hätte ich es - wenn ich bei diesem Thema sachlich bleiben könnte- genauso und nicht besser formulieren können!

Gruß!
Virginia
r.p.mcmurphy
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

Hallo FOKUS,
Hallo Ihr anderen,

vielen Dank für Eure Antworten.

@ FOKUS

Ich hatte bei meinen Beispielen bewusst die globalen Probleme ausgeklammert. Wobei mir auch klar ist, dass diese zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Zustände hier vor Ort Einfluss haben.

Alle Beispiele, die Du aufzählst, kann ich nur unterstreichen!

Du fragst mich nach den Konsequenzen, die ich für mich ziehe.

- Seit fast eineinhalb Jahren sehe ich bei mir zuhause nicht mehr fern. Ich erspare mir damit diesen (fast) ständigen Sendemüll und eine gewisse Art von Volksverdummung. Diese Zeit versuche ich sinnvoller zu verbringen, z.B. mit Malen, Lesen, hier im Forum schlaue Beiträge schreiben etc.
- Ich versuche – wenn es passt – im Freundeskreis oder auch hier im Forum, die Leute zum Nachdenken anzuregen, ProblemBEWUSSTsein zu erzeugen. Natürlich nicht ständig und nicht täglich. Es gibt auch noch andere, erfreulichere Themen. Im Gegensatz zu manch anderem glaube ich immer noch daran, dass der Einzelne an den Zuständen etwas ändern kann.
- Da wären wir schon beim nächsten Thema. Ich denke vielen ist bewusst, dass die derzeitige Entwicklung nicht nur nicht richtig ist, sondern vielmehr direkt den Karren gegen die Wand fährt. Aber was bekommt man zu hören? „Da kann ich auch nichts dagegen tun.“ Darin impliziert oder auch wörtlich wird folgende Aussage getroffen : „Also mache ich mein Kreuzchen bei der nächsten Wahl wieder dorthin, wo ich es immer schon gesetzt habe.“ Wenn das früher jeder so gedacht hätte, gäbe es z.B. die DDR wohl immer noch oder hätten Anschläge im Dritten Reich niemals stattgefunden. Oder anders ausgedrückt: Wenn sich die großen Parteien immer mehr einander angleichen (die Grünen haben sich bei ihrem Marsch durch die Institutionen längst auch schon assimiliert bzw. wurden vom System gefressen), dann könnte ich auch gleich eine Einheitspartei installieren und die Sache hätte sich. Noch mal: Meiner Meinung nach haben hier in Deutschland längst nicht mehr Politiker und Parteien das Sagen, sondern die Interessensvertreter und Lobbyisten der großen Konzerne. Als Ursachen nenne ich hier mangelnde Fachkenntnis unserer Politiker, Verquickung zwischen Politik und Wirtschaft (Politiker in Aufsichtsräten etc.), Machtbesessenheit, Geldgier und damit Bestechlichkeit, eine zunehmende Oligopolisierung in der Wirtschaft und damit immer größer (Markt-)Macht in den Händen einiger weniger. Daraus ergibt sich ein Vorsprung der großen Konzerne an Ausstattung und Material und dadurch Einflussnahme auf die Politik. Ich werde folglich mein Kreuzchen bei der nächsten Wahl neben einer Partei setzen, von der ich glaube, dass sie zumindest die bestehende Parteienlandschaft etwas aufmischt und diese zu neuen Überlegungen und Ansätzen zwingt. Protestwahl, gut oder schlecht, hin oder her!

Ich werde (noch) nicht auswandern! Auch habe ich nicht vor, mich (partei-) politisch zu engagieren! Ich wünsche mir auch nicht die Mauer zurück. Nur falls jemand auf die Idee kommen sollte…

Wie gesagt, meine Hoffnung ist, dass sich noch ein bisschen am Rad drehen lässt. Noch. Auf der anderen Seite steigt immer mehr ein Gefühl der Hilflosigkeit in mir auf. Konkrete Beispiele: Stromanbieter, Tankstellen, Mobilfunkanbieter etc. Es bleibt zwar jedem überlassen, den Anbieter zu wechseln, aber was würde dies bringen? Mittlerweile tut man sich sehr schwer den Durchblick zu behalten, nicht auf Scheinangebote hereinzufallen. Ein konkretes Beispiel: Der Billigstromanbieter „E wie einfach“ ist nichts anderes als ein Unternehmen des E.ON-Konzerns. Dessen Erscheinungsbild unterscheidet sich aber grundlegend vom Mutterkonzern. Warum? Soll etwa der Stromnachfrager in die Irre geführt werden, um diesen Anbieter mit dem als Preistreiber verufenen E.ON-Konzern nicht in Verbindung bringen. Der E.ON-Konzern baut hier eine (Schein-)alternative auf und der kleine Mann fällt prompt darauf herein. Die Einnahmen fließen aber alle in dieselbe Schatzkiste…
Man fühlt sich irgendwie immer als der Gelackmeierte, fühlt sich beschissen und verarscht. Hilflos. Traurig. Wütend.

Eine ideale Welt gibt es nicht, aber idealere Zustände als die derzeitigen auf jeden Fall!

Viele Grüße,
Patrick
TearsforFears
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Registriert: 18. Jan 2008, 12:52

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von TearsforFears »

@ Fokus

@Patrick: Sorry, wenn ich etws grob war. Irgendwie bin ich halt die Falsche für Klagen über unsere Gsellschaft. Kurz nach Auslandsaufenthalten bin ich aber noch viel ungebießbarer bei diesem Thema, hast Glück gehabt, der letzte ist bald 2 Jahre her
r.p.mcmurphy
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

@ Tears

Kein Problem. Du hättest sicher auch noch drastischer formulieren und persönlicher werden können. Gut, dass Dein letzter Auslandsaufenthalt schon so lange her ist. Puuh!

Viele Grüße,
Patrick
triste
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Registriert: 22. Jun 2003, 16:38

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von triste »

Hallo Patrick,

dazu muss ich nun direkt etwas sagen, und zwar weil ich vor ein paar Monaten auch den Stromanbieter gewechselt habe. Sowas ist immer eine Qual für mich, da ich fast schon zwanghaft stundenlang alle Angebote durchlese, miteinander vergleiche, etc. Vor allem das Kleingedruckte birgt manchmal sogar gegenteilige Klauseln zu dem, womit im Fettgedruckten geworben wird, es ist also oft nur ein haarscharfer Unterschied zu Betrug und für jeden, der gutgläubig ist, ein Verlustgeschäft.
Mir ist damals schon aufgefallen, dass "E-wie einfach" einfach ein Marketing-Coup ist. Immer wenn ich in deren Werbung mitbekomme, in der mit Umweltbewußtsein und gegen die Abzocke "der Großen" geworben wird, schüttelt es mich und ich finde auch, dass das die reinste Verarsche ist.
Und doch - ich habe das damals bei meinen Recherchen erkannt und bin halt zu einem anderen Anbieter gegangen. Und diese Möglichkeit hat ja jeder.

Natürlich finde ich diese Art der Verbraucher-Verarsche auch widerwärtig, aber es gehört nun mal zum Marketing, sich immer neue Finten auszudenken, wie man neue Kunden gewinnt, so funktioniert ein Unternehmen nun mal. Und ich finde es hilfreich, ein wirtschaftliches Unternehmen eben nicht nur in Hinblick auf seine soziale Verantwortung zu beurteilen, sondern auch seine Priorität des Wachsen-Wollens zu berücksichtigen.
Im übrigen: den Stromanbieter zu wechseln, ist einfach. Man sollte halt nur nicht auf "E-wie einfach" hereinfallen

Gruß
Virginia
r.p.mcmurphy
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Registriert: 6. Mär 2006, 04:11

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

Hallo Jochen,

freut mich, dass Du mir zustimmst!

Dennoch zwei Anmerkungen:

Du schreibst "verblendet und hirnlos", wie wär's mit "verzweifelt und nachdenklich"?

Den von Dir verwendeten Begriff der "Hängematte" zu kommentieren, verkneife ich mir jetzt. Auch wenn's schwer fällt.

Im übrigen bin ich ebenso wie Du der Meinung, dass im Zweifel der Große Bruder aus dem Westen immer seine schützende Hand über uns halten wird - auch wenn wir dies irgendwann einmal überhaupt nicht mehr wollen.

Viele Grüße,
Patrick
FOKUS
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Registriert: 2. Apr 2008, 13:46

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von FOKUS »

@ Virginia,

Deine anerkennenden Worte gehen mir ja runter, wie klebriger Kakao…bitte mehr davon…

Marketingstrategien…? Der Zweck heiligt die Mittel…? Das halte ich für grenzwertig, weil diejenigen, die nicht clever genug sind, auf der Strecke bleiben…

Es passt zwar nicht ganz dazu, aber…
Ich hatte heute einen Anruf auf meinem AB, dass ich gewonnen hätte, ich sei ein Glückspilz hieß es, ein Sach- oder Geldgewinn bis zu 3.000 Euro, es war eine sympathische Computerstimme, und ich bräuchte nur eine 0900-er Nummer anrufen, dann würde mir der Gewinn schon ausgezahlt werden…
Dabei habe ich gar nicht an einem Preisausschreiben teilgenommen, ich Glückspilz…

…man stelle sich einen unbedarften Zeitgenossen vor, der da anruft, in einer Warteschleife oder einem Callcenter landet und abgezockt wird…
Eduard Zimmermann würde dazu sagen: „Das ist leider kein Einzelfall, meine Damen und Herren…“

@ Patrick

Dein Fernsehboykott ist mir zu pauschal, denn es gibt durchaus auch kritische und informative Berichterstattung…und wenn man kritisieren will, dann sollte man alle Informationsquellen nutzen…ist meine Meinung…

Und ich möchte noch mal die Frage aufwerfen (ich stimme Dir ja in vielen Ansichten wirklich zu, aber nicht in dieser Radikalität und pauschalem Rundumschlagen)

….bist Du nun depressiv, weil gewisse Verhältnisse so sind, oder nimmst Du gewisse Verhältnisse verstärkt und selektiv war, weil Du depressiv bist und dann dankbar dafür bist, Deinen Aggressionen eine Richtung geben zu können….? Wenn Du das auch mit in Betracht ziehen würdest, hieße es ja nicht, dass Du in Deiner Gesellschaftskritik den großen Rückzieher machen müsstest…für mich würde es bzw. hat es Einsicht in meine Motivation bedeutet…

Für mich, als ALG II Bezieher, nehme ich mir dadurch viel von einem moralisierendem Druck weg, von Schuldgefühlen, wenn ich mir die Zustände in der Welt so betrachte, da relativiert sich doch so einiges für mich…

Gruß
FOKUS
Nyx
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von Nyx »

Hallo Patrick, hallo Tears, hallo Fokus, hallo Ihr Lieben,

ich tu mir auch immer ziemlich schwer damit, Dinge auf das System oder die äußeren Missstände zu schieben. Natürlich gibt es sowohl gesellschaftlich als auch politisch Verbesserungsbedarf. Ich schaue mir kaum noch Anne Will & Co. (obwohl die ziemlich spitze ist ) an, weil ich mich zu sehr aufrege über die immer gleichen Themen, das Gerede, das nichts ändert. Das Sozialsystem finde ich, insbesondere im Vergleich mit anderen Ländern immer noch ziemlich großzügig. Und überhaupt, das hört sich in meinen Ohren so an, als wäre früher, wann auch immer das sein mag, irgendwie alles mal besser gewesen. War das so? Wann denn genau? Jedes Jahrzehnt sagen wir der letzten hundert Jahre hatte doch seine Probleme, und die waren größtenteils um einiges schwerwiegender, als die heutigen.

Das Problem, das m.E. heute herrscht, ist die Orientierungslosigkeit. Das fängt an bei der Frage welchen Stromanbieter oder Netzbetreiber ich wähle, geht über die Berufswahl weiter zur Berufsausübung bis hin zur Partnerschaft. Und zur Art, wie man überhaupt leben möchte. Grundsätzlich ist alles möglich. Es liegt nur an Dir selbst (zumindest immer mehr), die alten Vorgaben gibts nicht mehr (auch dafür haben die Generationen vor uns hart gearbeitet). Und alles muss möglichst perfekt sein. Auf jeden Fall muss der Job Spass machen. Das Privatleben sowieso. Jede Wahl sollte die richtige sein. Und das liegt natürlich zum Teil an der Suggestion, der wir ausgesetzt sind. Werbung: Ich hab einmal diese Lätta-Margarine gekauft und konnte es kaum glauben, sie schmeckt absolut durchschnittlich. Genauso die Jogurette und was weiss ich nicht alles. So ist das eben. Man muss das eben sehen, was es ist. Werbung. Marketing, nichts anderes.

VG
Nyx
RoadToNowhere
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von RoadToNowhere »

Ich denke ähnlich wie Virginia daß solche Ideen typisch Depri-Denke sind. Gabs da nicht sogar einen Ausspruch eines Dichters der den Begriff "Leiden an der Welt" als Synonym für Depressionen in den Raum warf? Komme aber absolut nicht drauf wer es war.

Der Begriff trifft jedoch (egal von wem er nun sein mag)- ich merke auch bei mir daß ich in meinen schlimme Phasen es immer besonders schrecklich finde wie große Teile der Gesellschaft miteinander, mit der Umwelt und letztlich mit sich selbst umgehen.

Gerade dann neige ich sehr zu idealistischen Weltverbesserungsideen, träume von Revolutionen durch die alles endlich gut und ehrlich und gerecht wird - oder vom Abhauen und Suchen nach meinem ganz persönlichen Paradies. Dumm nur daß ich weder imstande bin den barrikadenstürmenden Revoluzzer überzzeugend zu geben noch meine Schwierigkeiten mit mir selber hierzulassen und unbelastet abzuhauen und wirklich in jeder Hinsicht von vorne anzufangen. Vom Mut das alles tatsächlich anzufangen wenn man sich so klein fühlt daß man von der berüchtigten Teppichkante Fallschirm springen könnte mal ganz abgesehen.

Ergebnis: Erstarren, Frust, Heulen daß ja alle soooo gemein sind....tiefer in die Depression rein kann man kaum mehr fallen als bei dem Blick auf diese weltumspannenden unlösbar erscheinenden Probleme.

Wenns mir gut geht ist es anders: Dann kann ich mich mit Freunden darüber streiten ob es ökologisch sinnvoll ist für den Einkauf eines 20Liter-Rucksacks voll Essen bei einem Supermarkt der mit 15 Minuten Fußmarsch erreichbar ist einen PKW mit 1,4 Tonnen Leergewicht (ungefähr soviel wiegt ein Golf in der aktuellen Version) in Marsch zu setzen, kann Leute die ihre überzähligen Altpapierkartons neben den Sammelcontainern für Altglas abstellen darauf ansprechen daß der Schrott da gar nicht hin gehört oder ganz selbstverständlich für alle Wege im Nahbereich zu Fuß, per Rad oder per Bahn losturnen. Genausogut kann ich mich dann um die Auswahl nachhaltiger Produkte beim Kauf von Dienstleistungen, Energie, Kleidung oder irgendwelchen Konsumgütern kümmern, lese regelmäßig die Online-Petitionen an den Bundestag und unterstütze die die ich gut finde oder sorge dafür daß meine mir zu groß oder zu klein gewordenen Kleidungsstücke nicht in einer kommerziellen Altkleidersammlung sondern in der Kleiderkammer einer Organisation landen die damit Menschen hilft die noch weniger haben als ich. Lauter kleine Dinge mit denen ich in meinem Umfeld was tun kann - und vor allem hoffen kann daß es andere gibt die das gleiche tun weil ich sie in die "richtige" Richtung geschubst habe.

Tja - derzeit geht von diesen "guten" Dingen mal wieder sehr wenig, und ich hab auch das Gefühl daß das alles ziemlich aussichtslos ist und daß ich mehr große Worte mache als ich umsetze, mit dem Erfolg daß ich das Gefühl hab erst recht mies zu sein weil ich meinen Idealen und meinem moralischen Anspruch nicht genüge - und schon hat mich die Depri-Würgeschlange wieder voll im Griff.
Regenwolke
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Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von Regenwolke »

Zuallererst mal: Ich denke schon, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, einen ganz guten Nährboden für Depressionen bieten (was nicht heißt, daß die Menschen woanders nicht in sehr viel schlechteren Verhältnissen leben).
Ein (nicht grundsätzlich marxistisch gemeintes) Stichtwort ist da für mich die Entfremdung - wachsende Einsamkeit, Entwurzelung und Mangel an Sinnhaftigkeit sind für mich die Kehrseite von Modernisierung und Globalisierung. Natürlich kann man für sich selbst dagegen etwas dagegen tun, schließlich haben wir viel Freiheit und sehr viele Handlungsmöglichkeiten, aber grundsätzlich diesen Entwicklungen entziehen können wir uns nicht.

Das anzuerkennen sehe ich weder als Jammern noch als typisch depressives Denken. Im Gegenteil - Depression zeichnet sich doch häufig gerade dadurch aus, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Insofern glaube ich, daß das Argument "die anderen (wer auch immer) sind schuld" von Depressiven wohl eher seltener verwendet wird, als von psychisch Durchschnittsgesunden.
r.p.mcmurphy
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Registriert: 6. Mär 2006, 04:11

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

@ FOKUS

Ich habe keinesfalls behauptet, dass im Fernsehen NUR Schrott läuft, aber zu einem beträchtlichen Teil. Positive Ausnahmen stellen für mich vor allem Sendungen auf br-alpha dar. ARTE und Phoenix möchte ich hier auch noch nennen. Meinen Fernseher abzuschaffen war für mich zunächst einmal ein Selbsttest um zu sehen wie es sich ohne lebt, zum anderen ertappte ich mich immer öfter dabei, nach einer Runde Zappen nicht mehr zu wissen, welche Sendung ich mir davor eigentlich angesehen hatte.

Als pauschale Rundumschläge würde ich meine Ausführungen nicht bezeichnen. Ich hatte ja auch explizit einige Beispiele genannt bzw. habe versucht, meine Standpunkte zu begründen.

Zu Deiner Frage nach den Auslösern meiner Depression: ich persönlich sehe als Auslöser folgende drei Punkte an:

1. Das Ende eine kurzen Beziehung zu einer Borderlinerin
2. Familiäre Konflikte
3. Konflikte am Arbeitsplatz

Haben diese Punkte etwas mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland zu tun?

Kann es nicht sein, dass Depressive nicht per se eine etwas feinere Antenne haben als Nichtdepressive, man könnte auch sagen, ein dünneres Fell? Sie nehmen vielleicht feine Schwingungen deutlicher wahr?

Natürlich ist es auch immer leichter, die Schuld bei anderen zu suchen als bei sich selbst – als Selbstschutz sozusagen.

Ich habe mir auch schon öfter die Frage gestellt, ob mir die derzeitigen negativen Geschehnisse in unserer Gesellschaft nur deswegen so besonderes auffallen, weil ich sie bewusst suche und lese und hat es diese in ihrem „Schweregrad“ nicht ständig gegeben? Projiziere ich nur meine eigenen Schwächen zwecks eigener Exkulpation auf Politik und Gesellschaft? Oder ist es vielmehr tatsächlich so, dass wir uns aktuell auf einem sehr unguten Weg befinden, der vor einem Abgrund endet? Vielleicht trifft ja auch beides zu.

Viele Grüße,
Patrick
r.p.mcmurphy
Beiträge: 170
Registriert: 6. Mär 2006, 04:11

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

@ NYX,

Ich stimme Dir absolut zu, wenn Du schreibst, es herrsche Orientierungslosigkeit.

Mir fällt dazu spontan auch der Begriff Beliebigkeit ein.

Vielleicht stehen sich Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit auch direkt gegenüber und bedingen einander?

Ich verbinde Beliebigkeit mit
- schnellem Wandel, im negativen Sinne von „Fortschritt“
- fehlenden allgemeingültigen Richtlinien und Geboten
- unzutreffenden, übertriebenen, in die Irre leitenden Aussagen, Bildern (Werbung, Hochglanzmagazine, beschönigende Ausdrücke, z.B. „finaler Rettungsschuss“)
- Zuordnung einander völlig widersprechender Eigenschaften und Beurteilungen auf ein und dieselbe Sache (Stichwörter: Mode, Nebenwirkungen von Medikamenten, Schadstoffe in Kleidung etc.)

Es gäbe sicher noch mehr Beispiele. Diese Beliebigkeiten führen mM zu Orientierungslosigkeit. Wonach soll man sich richten, wenn nichts mehr von Dauer ist, wenn heute etwas gilt und morgen das genaue Gegenteil davon?

Orientierungslosigkeit führt mM zu Unsicherheit, mangelndem Selbstbewusstsein, Manipulierbarkeit etc. – und vielleicht in letzter Konsequenz direkt in die Depression?

Viele Grüße,
Patrick
horse4me
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Registriert: 16. Feb 2007, 15:55

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von horse4me »

Hi,
ich muss gestehen, dass ich nicht viel Zeitungen lese und auch die Nachrichten nicht oft höre/ansehe, denn das regt mich alles einfach viel zu sehr auf und zieht meine angeschlagene Stimmung nur weiter runter. Die ganzen Hiobsbotschaften, Veruntreuungsfälle und alles Andere meide ich derzeit lieber, mir reicht es schon, ab und zu vom Radiosender Stimmungssenker mitzubekommen. Wahrscheinlich fehlt mir das nötige Selbstbewusstsein, um darüber stehen zu können.
Alles was du bist, alles was du willst, alles was du sollst, geht von dir selber aus. (J.H.Pestalozzi)
r.p.mcmurphy
Beiträge: 170
Registriert: 6. Mär 2006, 04:11

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von r.p.mcmurphy »

Hallo Virginia,

Du bezeichnest das angesprochene Fallbeispiel richtigerweise ja selbst als „Verbraucher-Verarsche“ und „Finte“.

D.h., Du hast den Trick durchschaut. Es gibt aber genügend Leute, die diese unbestreitbaren Irreführungen und Manipulationen nicht bemerken, was ja auch deren eigentlicher Zweck ist.

Ich denke keineswegs, dass solche Gepflogenheiten zu tolerieren sind. Marketing kann doch auch gute Eigenschaften von Dingen hervorheben oder Dinge den Leuten immer wieder ins Gedächtnis rufen oder Dinge auffällig gestalten etc. Aber berechtigt Marketing zum Lügen? Muss man sich so etwas gefallen lassen, insbesondere wenn z.B. gesundheitsgefährdende Sachverhalte verschleiert oder verniedlicht werden?

Sicher bist auch Du nicht vor jeder Manipulation gefeit. Und ich glaube keinesfalls, dass auf diese Art ein Unternehmen funktionieren kann und darf.

Mit der Aussage, dass ein Unternehmen wachsen will, meintest Du wohl die ständige Zunahme des Unternehmensgewinns? Ich gehe davon jetzt mal aus. Bitte korrigiere mich, wenn es anders ist.

Hältst Du es dann für richtig, dass Unternehmen, die Gewinne erzielen, Leute ausstellen, nur um (zumindest kurzfristig) ihre Gewinne nochmals zu steigern? (Stichwort: Siemens, BMW)

Findest Du Unternehmen gut, deren einziger Unternehmenszweck es ist, die Mehrheit an anderen Unternehmen zu übernehmen, nur um die darin vorhandenen Ressourcen auszuplündern, eine kurzfristige Steigerung des Unternehmenswerts zu erzielen und dann die Unternehmen wieder abzustoßen, damit das nächste Unternehmen die Substanz dieses Unternehmens weiter ausquetscht, solange bis dieses ehemals florierende Unternehmen endgültig zerstört ist und Abertausende ihre Arbeitsplätze verlieren? (Stichwort Heuschrecken, Armaturenhersteller Grohe, aktuelle Tendenz bei Hugo Boss).

Sollte solchen Gepflogenheiten, im Hinblick auf soziale Verantwortung, nicht endlich ein Riegel vorgeschoben werden?

Viele Grüße,
Patrick
triste
Beiträge: 1061
Registriert: 22. Jun 2003, 16:38

Re: Unser System, unsere Gesellschaft als Ursache für Depression

Beitrag von triste »

Lieber Fokus,

gerne, gerne....hier: splash!

Du hast völlig recht: diejenigen, die nicht in der Lage sind, die Hintergründe zu beleuchten, oder die zu gutgläubig sind, oder die zu alt sind, oder... die bleiben in den genannten Beispielen auf der Strecke, werden in die Irre geführt und ausgenutzt. Da fallen mir z.B. auch die vielen Verschuldeten in unserem Land ein, die alle Opfer von Konsumzwang und undurchsichtigen Kreditmethoden wurden.
Ich persönlich habe an mein Verhalten und an das meiner engsten Freunde natürlich den Anspruch, sozial und human und pc zu agieren. Auf der anderen Seite finde ich es aber trotzdem ein wenig naiv, großen Konzernen vorzuwerfen, wenn sie ausgetüftelte Marketingstrategien entwerfen, um noch mehr Kunden zu gewinnen. Und mal ehrlich: war das je anders? Betrüger gab es schon immer und man musste doch schon immer auf der Hut sein, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Ok, früher war´s der selbsternannte Medicus, der auf dem Jahrmarkt Wunderwässerchen gegen alles verkauft hat, heute ist es gleich ein Riesenkonzern.... das ist zwar quantitativ nicht zu vergleichen. Aber: von denen soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft einzufordern, wo es heute nur noch ums Geld geht, das halte ich für komplett sinnlos.
(Ich selbst reagiere einfach als Konsument, der von bestimmten Firmen nicht mehr kauft, bzw. Fairtrade unterstützt , etc.. das ist zwar nur ein Tropfen auf den heissen Stein, aber mehr kann ich nicht tun).

Depressivität abzuleiten von der Kälte in der Gesellschaft, der Vereinzelung und Einsamkeit, Individualismus und Verherrlichung von Ellenbogenverhalten ist natürlich schon eine mögliche These, ich selbst wünschte mir sehr eine Familie und bin nicht gern allein. Und doch meine ich, dass jeder Einzelne die Möglichkeit hat, seine eigene Haltung zu den Ungerechtigkeiten dieser Welt zu wählen und sie zu leben, für sich und für andere.

Lieber Patrick,

ich weiß zwar, was Du meinst...und dennoch habe ich den Eindruck, dass Du alles sehr durch die Depri-Brille siehst, was ich verstehen kann, weil ich weiß, dass man in der Depression einen Tunnelblick hat und alles negativ bewertet. Aber ich glaube nicht, dass es Dir hilft, sogar beschönigende Ausdrücke verantwortlich zu machen für Orientierungslosigkeit... ok, da greife ich nun eine Sache aus Deiner Aufzählung heraus, wo Du sie als Ganzes gemeint hast. Ich meine, es macht Sinn, das Gute in der Welt zu sehen (nicht ohne den kritischen Blick zu verlieren, versteht sich). Das Stochern in den Missständen tut uns Depris nicht gut - das die-Situation-für-sich-selbst-verbessern aber sehr wohl!

Liebe Grüße
Virginia

EDIT:
Hallo Patrick noch mal, habe eben erst deine Antwort gesehen:
natürlich finde ich die von Dir genannten Konzerne NICHT ok und finde zum Kotzen, was die machen. Kleines Bsp.: mein nä. Handy wird erstmalig kein Nokia-Handy werden.

Natürlich wäre es mir lieber, diese Konzerne würden gut für ihre Mitarbeiter sorgen... sie tun es aber nicht und ich kann nichts daran ändern.
Wie gesagt: ich betrachte diese Entwicklungen nicht kritiklos, aber ich lasse mich davon auch nicht so runterziehen, wie Du. Eine Lösung, wie Du sie Dir wünscht, wird es nicht geben, also wozu den Don Quijote geben?
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