Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

rm
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Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von rm »

Anläßlich meines letzten Themas bekam ich folgende Antwort (hoffe, Du verzeihst mir, daß ich Dich zitiere, liebe Clown)

>«Wie komme ich aus dieser Kiste wieder raus? »<>Gar nicht, lieber Reinhart, denn du hast es dir schön bequem darin eingerichtet, ist doch kuschelig da drin! Und was draußen ist, weißt du nicht, ist unklar, neu, fremd, wer weiß schon, ob es so gemütlich ist wie in deiner Kiste?<>Gelle?Gut's Nächtle,Clown<

Es ist schon seltsam, flieht mann/frau unbewußt oder bewußt in eine Depression, um dem Leben 'da draussen' zu entkommen, wählt man von den Übeln das vermeintlich leichtere? Oder was könnte einen dazu veranlassen, in die Depression zu steuern, Krankheitsgewinn zu erzielen

Was meint Ihr?

PS. Sorry, daß ich schon wieder ein Thema begonnen habe, aber es erscheint mir wichtig.

Gruß Reinhart
DepriXX
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von DepriXX »

Hi
ich wollte schon immer depressiv sein oder irgend eine andere psychische Erkrankung haben, weil ich dachte, das macht Spass.

Es war mein Traum!
--

liebe grüße

.::. DepriXX .::.



obsidiana

Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von obsidiana »

Lieber Reinhart,

ich denke es sind Muster die wir übernehmen. Als Kind sind wir auf solche Muster angewiesen und stricken da mit... Ich würde es nicht als Flucht bezeichnen sondern eher als etwas scheinbar gesund erlerntes... aber eben dieses war ein krankmachendes Muster das wir erlernten.

Und nun gilt es das Muster aufzudröseln, neu sein eigenes zu stricken und dafür bedarf es viel Mut da wir meinen eine scheinbare, sichere Ebene verlassen.

Aber der Mut lohnt sich

LG obsi
tallgirl
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tallgirl »

Hallo Reinhart,

also, ganz so einfach wie Du es hier unten beschreibst, ist die Depression sicher nicht gestrickt. Wenn es so wäre, dann wüssten wir ja alle woran es liegt und wie wir es bekämpfen können….frei nach dem Motto….das Leben ist mir zu Zeit ein wenig zu schwer, ich komme mit der Arbeit/Freunden nicht mehr zurrecht also flüchte ich in eine Depression….(ist natürlich jetzt ein bisschen überspitzt dargestellt)

Wie wir alle wissen, ist eine Depression eine schwere Krankheit und oftmals wissen wir nicht, warum und wann sie wieder ausbricht.

Sicher, es gibt immer zwei Seiten eines Schwertes und es mag vielleicht auch Menschen geben, die sich so zu sagen in eine Depression flüchten…..aber ist es dann nicht auch eine Reaktion unseres Körpers auf eine Situation, derer wir nicht mehr gewachsen sind???
Ich denke, dass, wenn man sich „gut“ fühlt, das Leben ein „Abenteuer“ sein kann dass man gerne eingeht, wenn allerdings eine Depression uns „lahm“ legt, dann ist auch das „Leben“ an sich nicht mehr machbar, Folge dessen ziehen wir uns zurück.
Liebe Grüße



Angie



Du kannst die Wellen nicht stoppen. Du kannst nur lernen, auf ihnen zu reiten.
TearsforFears
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von TearsforFears »

Hallo Reinhard,

erinnert mich an Thomas Mann "Der Zauberberg". Lungentuberkulose als Flucht vor dem Alltag in die idyllische Bergwelt und in ein schräges Patientenkollektiv. Naja, im Forum hier sind wir nicht so abgedreht wie die Typen vom "Zauberberg".

Aber im Ernst: Depression macht keinen Spaß. Ich kann mir echt nicht vorstellen, wie man es sich in einer Depression "einrichten" kann. Aber vielleicht leigt das an mir. Bin gespannt was hier noch für Postings kommen.
Grüße,
Tears
maggy
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von maggy »

Lieber Reinhard,

ich glaube nicht, dass wir dem Leben da draußen entkommen wollen.

Wir haben vielleicht einfach kein Drehbuch dafür.
Der Film, den wir in unserer Kindheit und Jugend "gespielt" haben, hatte ein Drehbuch, das heute nicht mehr paßt. In unserer Kindheit haben wir, um uns zu schützen Rollen "gespielt", die damals sehr sinnvoll und Lebens-Not-Wendig waren.
Die Erfahrungen, die wir heute machen, sind immer noch durch die Filter unserer Vergangenheit getrübt. Erst wenn wir diese Filter beseitigen kommt der Erwachsene zum Vorschein, als der wir wirklich mal gemeint waren.
Und solange wir dieses Drehbuch, bzw. das Gerüst dafür nicht haben ist es sinnvoll, dass wir uns zurückziehen. Ich habe damals immer gesagt, dass ich mich wie hautlos in dieser Welt bewege. Die alte Haut paßt nicht mehr und die neue ist noch nicht gewachsen, somit bin ich sehr verletzlich.
Es mag Menschen geben, denen das wie eine "Flucht aus der Realität" vorkommt! Klar...Flucht aus IHRER Realität; denn wir brauchen unsere eigene .

Alles Liebe
von
Maggy
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
tomroerich
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Reinhart,

spannendes Thema und auch tabuisiert, wie ich finde. Das merkt man auch an den teilweise etwas gereizten Antworten. Aber ich wills gleich sagen: Ich finde, da ist unbedingt was dran, wenn auch nicht in jedem Fall.

Gestern Abend war ich bei einer Ausbildungsgruppe des AKL, um denen etwas über Depressionen zu sagen und da hörte ich es wieder, was auch ich ganz persönlich in meiner Begleitungsarbeit von Suizidgefährdeten häufig erfahren habe, nämlich genau die Aussage von Clown. Wenn man mit Menschen in krisen arbeitet, dann kann man sich dieses Eindrucks auf Dauer einfach nicht erwehren. Manch einer begegnet jedem Vorschlag, wie man etwas ändern könnte mit einem routinemäßigen "Ja, aber". Man benötigt teilweise unendliche Geduld, weil man als Begleiter recht schnell mitbekommt, dass es erhebliche Widerstände dagegen gibt, etwas an der krank machenden Situation zu ändern.

Aber langsam. Was heißt denn "Sich in eine Krankheit flüchten" überhaupt? Es heißt sicher nicht, dass man sich eine Krankheit macht und es heißt auch nicht, dass man sich bewusst für eine Krankheit entschließt. Denn das kann kein Mensch. Krankheit ist Reaktion oder Zufall oder Infektion oder sonst etwas aber sicherlich nicht das Ergebnis eines bewussten Willens.

Aber vielleicht ist sie die besser erscheinende Alternative, wenn man sie erst einmal hat? Stellen wir uns mal eine Beziehung vor, eine Partnerschaft, in der einer der Partner sehr leidet und dann eine Depression bekommt. Durch Therapie und eigene Einsicht wird erkannt, dass dieser Zusammenhang besteht aber das muss nicht dazu führen, dass die Beziehung aufgegeben wird. Vielleicht sind sehr große Ängste da, diesen Schritt zu tun, was ja auch verständlich ist. Und dann passiert es, dass die Depression nicht aufgegeben werden kann, weil sie trotz allem Leid dennoch als die bessere Alternative angesehen wird. D.h. die Depression "fordert" eine Einsicht des Betroffenen in seine eigene Beziehungsabhängigkeit aber sie wird verweigert.

Ich glaube, das ist nicht selten. Allgemein gesprochen wird dem Kranken irgendwie klar, dass er sein seitheriges Leben nicht so gelebt hat, dass es ihm gut bekommt. Aber wie soll er ein anderes führen? Er müsste etwas ändern, er müsste sich ändern, damit sich etwas ändert und davor haben manche große Angst. Sie wollen sich dem einfach nicht stellen sondern beharren auf den alten Mustern, weil sie glauben, dass die Muster sie selbst sind und nicht nur Muster. Sie haben Angst vor dem Verlust ihrer Identität. Und dann kann es sein, dass sie nicht hören wollen, was die "Dame in schwarz" zu sagen hat, sondern sie lieber als Dauergast bei sich beherbergen wollen.

Grüße von

Thomas
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Clown
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von Clown »

Lieber Reinhart,

ich glaube auch nicht, dass Depris dem realen Leben entkommen wollen.

Du fragst (dich?), ob und wenn ja, welchen Gewinn du - wovon denn eigentlich genau? - hast?

In deinem vorherigen Thread fragtest du 'wie komme ich aus dieser Kiste wieder heraus'. Auf diesen Begriff der 'Kiste' bezog ich mich mit der Antwort, die du hier noch einmal zitiert hast.

Was hast du nun gemeint mit dem Begriff 'Kiste'? Ich habe ihn so verstanden, dass es nicht die Depression ist. Die ist m.E. eher die Folge vom Hängenbleiben in so einer Kiste.

Sondern ich habe nachfolgende Schilderungen als deine Kiste verstanden - habe ich dich vielleicht falsch verstanden? (Zitate sind aus deinen verschiedenen Postings im Thread 'depr. und neurot. Anteile - und nun?')

«...hartnäckig bestärkt mich mein 'Über-Ich' in der Annahme, nur noch Blödsinn auf diesem Bildschirm zu produzieren...ich hab mittlerweile oft das Gefühl, 'weniger' zu werden, mich selbst zu reduzieren. ....

...was soll ich da noch von mir halten?....

...Es ist schon so, daß anscheinend die Gebote/ Verbote meiner Mutter auch noch heute in mir nachwirken und mich beeinflussen. Die oft mahnenden Stimmen habe ich mir wohl zueigen gemacht und sie laufen im HINTERGRUND immer mit.... »

Liebe Grüße,
Clown

PS: Warum es für dich 'angenehmer' wäre, wenn ich auch mal Schwächen zeigen könnte, finde ich auch wieder eine Frage, die dich weiterbringen könnte...

Und: Nimm es doch einfach als meine Schwäche, dass ich hier immer so 'unschwach' auftreten will!
Abgesehen davon habe ich natürlich jede Menge Schwächen und neurotischer Verhaltensmuster (meine Zeugin: Maruschka! ), es ist einfach nicht mein Weg, das hier im Forum zu bearbeiten.
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
Hete
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von Hete »

Hallo,

ich bin seit langem depressiv (Dystyhymie und schwere Episoden) und ich denke, dass es wirklich eine Flucht der Seele und teils auch den Körpers ist. Beide könnten die Realität nicht ertragen, das was geschieht nicht aushalten, beide haben keine Lösungsmöglichkeiten erlernt ih ihrer Entwicklung, beide sind unbedarfte"Kinder". Und was machen Kinder, wenn sie die Welt nicht sehen wollen, sie machen einfach die Augen zu- in der Annahme, dass dann nicht da sei, was ihnen Angst macht oder in der Annahme, dann selbst nicht gesehen zu werden, sie bauen sich Höhlen und verstecken sich, sie ergeben sich in Tagträume usw.
Unser Job ist es nun wohl, diesem Kind (vielleicht ist es unserer "Inneres Kind"),an die Hand zu nehmen und Lösungsmöglichkeiten anzubieten, ihm zu lernen, wie es mit dem Leben umgehen kann.

Wenn wir das nicht schaffen, keine Kraft haben und uns hilflos fühlen, dann machen wir im wahrsten sinne des Wortes - die Augen zu-, kriechen in unsere Höhle (= Bett) und weigern uns den Monstern des Lebens gegenüberzutreten.

Ich hatte in der Klinik emotionales Kompetenztraining und diese Therapeutin forderte uns immer auf nach einer ganz winzig kleinen Situation zu suchen, in der wir das schon einmal konnten, was wir jetzt nicht mehr zu können glauben, uns zu erinnern und immerwieder zu erinnern, welche Fähigkeiten wir schon einmal hatten.

Nach dem Motto, gestern habe ich diese oder jenes geschafft, heute geht es nicht, ABER ich versuche es morgen nocheinmal, weil ich weiß, ich konnte es schon einmal - ein ganz klein wenig....

Hete- auf der Suche nach dem Weg ins Leben
rm
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von rm »

Wow... muß das alles erst mal 'sacken' lassen...Viel Stoff zum Nachdenken...

an alle hier!
lieben, aber müden Gruß von mir, der in den letzten Tagen/Wochen 1 von 5 Medikamenten ausgeschlichen hat *stolz*

Reinhart
ANOVA
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von ANOVA »

Hallo Thomas,

>Ich finde, da ist unbedingt was dran, wenn auch nicht in jedem Fall.

Tja, Du sagst es. Meine Erfahrung in diesem Forum ist es, dass Menschen, die sich nicht nach Lehrbuch innerhalb einiger Monaten "bessern", gerne mal unterstellt wird, sie hätten es sich in ihrer Erkrankung gemütlich gemacht.

Deshalb muss man m.E. sehr darauf achten, in welchem Kontext so eine Aussage gemacht wird. Oftmals ist es leider nur eine Reaktion von Menschen, die überfordert damit sind, dass sich das Gegenüber nicht so verhält, wie man es von ihm verlangt.

Edit: Für den Betroffenen ist das u.U. eine ziemlich schmerzhafte Erfahrung, weil es eben nicht so ist, dass er es sich bequem gemacht hat, sondern er vielmehr aus irgendwelchen Gründen daran gehindert ist, dysfunktionale Muster aufzugeben.

Deshalb finde ich es immer problematisch, jemandem so etwas zu sagen.

In manchen Therapiemanualen (z.B. DBT) findest Du daher auch sehr eindeutig formuliert, dass es nicht so ist, dass Patienten sich nicht genug anstrengen oder sich nicht verändern wollen.

Gruß

Xenia
912318798
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von 912318798 »

Grüße Euch alle!

Ich kann hier nicht so die analytischen Momente anführen, nur was ich in dieser Frage gefühlt habe, als es bei mir so richtig losging:

Die latente Vorgeschichte, die wir alle kannen, passiert ohne richtige Wahrnehmung und dann, eines Tages bricht man zusammen.

Die Fragerei beginnt:
Was ist los mit mir?
Warum heule ich ständig?
Warum zittern meine Hände angesichts einer Aufgabe?
Warum kann ich nicht mehr, was ich gestern noch konnte?

Fragen über Fragen...

Erst die erste Krisensitzung mit meiner Thera hat zutage gefördert, dass ich erkrankt war.
Krank, nicht abgewrackt, nicht vertrottelt, nicht dies oder jenes niedrige Phantom ohne Namen.

Der Zustand ist zum Begriff geworden und substanziell und damit begreifbar, bekämpfbar.

So gesehen war ich an jenem Tag erleichtert, zu hören: "Sie haben Burn-Out-Syndrom und durchleben jetzt eine schwere Depression!"

Jetzt war Platz für Selbstmitleid, die Flucht, die Auszeit...
Diese „Freiheit“ allerdings kam erst nachdem ich erkrankt war!

Als Gewinn, eine legitime Ausrede für nicht Erreichtes gefunden zu haben, kann ich die Depression nicht sehen.
Auch nicht als Ruhekissen.

Liebe Grüße und bleibt stark

Jojo

@Depri: etwas hart formuliert, aber nicht grundfalsch (Smilie mit Augenzwinkern)
912318798
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von 912318798 »

Ja, und ich MÖCHTE raus!
Hätte ich beinahe vergessen zu sagen!

Jojo
Liber
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Registriert: 4. Jun 2006, 18:09

Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von Liber »

Hallo zusammen,

nein, das Verharren in krankmachenden bzw. depressiven Mustern ist wirklich kein "Wollen" - es ist vielmehr ein Gefühl des Gelähmtseins, des Ausgeliefertseins.

Wenn dann jemand sagt, "tu doch dies oder das" ist es, wie wenn er einem Nichtschwimmer, der am Ertrinken ist, zuriefe "schwimm doch endlich!".

Und der Nichtschwimmer fühlt sich nicht nur am Ertrinken sondern auch noch als Versager, weil er einfach nicht schwimmen kann ....

Und doch ist etwas dran an dem, was schon gesagt worden ist. Denn: warum lernt der Nichtschwimmer denn nicht selbst schwimmen?

Oder, wenn er es denn doch mal gelernt hat - warum vergisst er in bestimmten Situationen, dass er es kann? Warum verfällt er in diesen Situationen in Hilflosigkeit, in eine Art Lähmung, anstatt zu schwimmen?

Ich kenne solche Situationen - sie triggern mich in einer Weise, dass meine Fähigkeit, zu schwimmen (die ich mir ja mühsam erworben habe) wie verschwunden ist. Um beim Bild zu bleiben: ich sinke ab, treibe ausgeliefert im Wasser - falle in ein depressives Loch, verbunden mit Krankheit, wie auch die letzten Tage wieder geschehen.

Jetzt geht es darum, zu schauen, was hier abglaufen ist, was in MIR abgelaufen ist. An welchem Punkt ich vergessen habe, dass ich schwimmen kann.

Darin liegt irgendwo der Schlüssel.

Liebe Grüße
Brittka
ANOVA
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von ANOVA »

Hallo Brittka,

>Jetzt geht es darum, zu schauen, was hier abglaufen ist, was in MIR abgelaufen ist. An welchem Punkt ich vergessen habe, dass ich schwimmen kann.

So sehe ich es auch. Und das Problem (naja, eigentlich ist es keins) ist eben, dass manche Menschen mehr Übung brauchen als andere bzw. dass jeder Mensch Übung braucht, bevor er das Gelernte zuverlässig umsetzen kann. Und während des Übens gehören eben Rückschläge dazu. Wenn man dann jedoch - vielleicht unbeabsichtigt - als Nichtwoller hingestellt wird, wird es immer natürlich schwieriger, wieder Mut zu fassen und auf ein Neues versuchen, zu schwimmen.

Gruß

Xenia
maggy
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von maggy »

Hallo Brittka,

danke für das gehaltvolle Beispiel.

Die Muster, die wir uns früher zugelegt haben und die unser über-leben sicherten sind uns so in "Fleisch und Blut" übergegangen (war früher ja auch sinnvoll, sonst würden wir vielleicht gar nicht mehr leben)dass wir in einen Automatismus verfallen, der nur noch Flucht, Kampf oder Totstellen zuläßt.
Ich habe es geschafft und schaffe es immer wieder neu in solchen Situationen erstmal 3 mal tief Luft zu holen. Klappt wunderbar; denn danach kann ich mein Reptiliengehirn als solches erkennen und Herrin meiner Gedanken werden.
Es erfordert allerdings immer noch sehr viel Mut nicht gleich zu reagieren sondern mich darauf zu besinnen, dass das einzigste was ich wirklich in diesem Leben brauche die Luft zum Atmen ist; und der Rest kommt dann automatisch hinterher und so wie ich es brauche.

Alles Liebe
von
Maggy
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
steppenwolf1

Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von steppenwolf1 »

Ich denke nicht, dass es um das beabsichtigte oder bewusste Verharren in der Depression ging. Vielmehr geht es doch vllt. um unbewusste Vorgänge, denen wir alle unterliegen. Jeder geht halt anders damit um.

Das Beispiel Schwimmen finde ich sehr schön. Aber wenn wir irgendwann nicht mehr absaufen wollen, müssen wir lernen zu schwimmen.
Manche tragen lieber einen Schwimmring, anstatt selbst schwimmen zu lernen. (Damit meine ich nicht ADs). Und ich selbst fühle mich sicherer, im Notfall eine Schwimmhilfe haben zu können, aber meinen Weg möchte ich doch allein bis zum Ziel schwimmen können.

Und Thomas schrieb doch, dass es nciht auf jeden zutrifft. Aber auch ich finde das Thema spannend und keines wegs abwegig. (aus verschiedenen Erfahrungen heraus).

s.wölfin
912318798
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von 912318798 »

An Thomas, zu Deinem Beitrag erstellt am 05/03/2008 16:50-

Aber unsere Gesellschaft verläuft sich ja zurzeit in diese „der schwarzen Dame zuhören und ihren Mahnungen Folge leisten“ - Mentalität!

Soll heißen:
Wer schlau ist, merkt, dass an seiner Ehe (das Beispiel in Deinem obigen Beitrag ) schon lange nicht mehr alles okay ist. Anstatt sich mit der Dame als Dauergast zu arrangieren (soll heißen, an den Problemen zu arbeiten, Toleranz zu üben, etc.), geht man hin und beendet den Schrecken, man trennt sich.

So.

Wie geht es jetzt weiter?
Schreckensfrei?
Gesichert?
Keine Ängste mehr?
Allein und unabhängig?
Die Scheidungskinder, kein Problem mehr, weil der depressive oder anderweitig schwierige Part weg ist?

((Hier an Alle: Dies ist nur ein Beispiel. Bitte keinen Angriff in meinem Statement finden!))

Ich weiß nicht so recht, Du scheinst hier einem Rezept zu huldigen.
Ich finde schon, dass man seinen Hintern bewegen muss.
Dass das Leben kein Vergnügungspark ist, sollte den Menschen schon früh transportiert und stets vor Augen gehalten werden.

Die neue Generation läuft den Problemen davon, unter dem Vorwand der Suche nach der klügeren Alternative.

So, das musste jetzt aber gesagt werden.

Liebe Grüße und bleibt stark

Jojo

Pardon, wenn nicht thementreu!
Caroline1
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von Caroline1 »

Hallo jojo,

Du schreibst: "Wer schlau ist, merkt, dass an seiner Ehe (das Beispiel in Deinem obigen Beitrag ) schon lange nicht mehr alles okay ist. Anstatt sich mit der Dame als Dauergast zu arrangieren (soll heißen, an den Problemen zu arbeiten, Toleranz zu üben, etc.), geht man hin und beendet den Schrecken, man trennt sich."

Nö, ich sehe das anders: wenn ich mich mit der Dame als DAUERGAST arrangiere, arbeite ich eben NICHT WIRKLICH KONSEQUENT an den Problemen, sondern schiebe sie vor mir her, ich druckse herum, mache auch mal was, aber nichts wirklich Entscheidendes. Es gibt durchaus Depressionen, die Dauernährstoff aus einer schlechten Partnerschaft beziehen und denen wird der Boden durch Beharren in dieser Situation eben nicht entzogen, im Gegenteil, sie werden permanent gedüngt und somit eternalisieren sie sich gerne.....

Das ist natürlich alles verkürzt und leicht überspitzt dargestellt, aber ich kann diesem Beispiel schon sehr gut folgen, ich habe solche Beispiele bereits mehrmals in meinem privaten Umfeld erlebt, nicht zuletzt bei mir selber. Zumindest muss in solchen Fällen ganz gewaltig an der Partnerschaft gearbeitet werden, damit sich die Depressionen in Richtung Tür/Ausgang bewegen.....

Ein Beenden einer solchen Beziehung bedeutet dann nicht, dass man "einen Schrecken" beendet, sondern dass man einer grundlegenden Ursache der Depressionen das Wasser abgräbt. Das bedeutet natürlich sehr lange und harte Arbeit und sollte niemals übers Knie gebrochen werden, das versteht sich von selbst.

Gute Nacht,

Caroline
912318798
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von 912318798 »

Guten Morgen, Caro!

Also muß ich mich doch wiederholen:
Die Ehe sei hier, wie in Thomas' Beitrag ganz oben nur als Beispiel für unser gegenständliches Problem angeführt.

Es könnte auch jedes x-beliebige Problem(?)-Thema sein.

Aber, wie auch schon gesagt, entfernen wir uns vom Thema dieses Fadens.
Was ich mit meinem Beitrag zum Ausdruck bringen wollte, ist einzig
Die neue Generation läuft den Problemen davon, unter dem Vorwand der Suche nach der klügeren Alternative.

und dass der langzeitige Gewinn dieser Flucht fragwürdig ist,

und gehört gar nicht hier her.

Tut mir leid, dass das jetzt zum Ehe-Krise-Thema ausartet.
Das wollte ich nicht!

Mit um Entschuldigung bittend grüße ich Euch an diesem wunderschönen Morgen

Jojo
kaitain
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von kaitain »

tomroerich
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

Hi Jojo,

ich bin gewiss der Letzte, der Flucht aus Problemen als Rezept empfehlen würde. Ich bin aber auch der Letzte, der einem, der auf einem Ameisenhaufen sitzt, zurufen würde: "Harre aus, es findet sich eine Lösung!"

Mir ging es auch nicht um gesellschaftliche Tendenzen sondern um einen individuellen Umgang. Trotzdem ein kurzes Statement dazu. Ich sehe einen wichtigen Unterschied, ob sich zwei große Egos in einer Ehe nicht zusammenraufen können (und das scheint mir die heutigen Tendenzen zu begründen) oder ob sich jemand in einer Beziehung selbst als Opferlamm zur Schlachtbank führt. Oder im Beruf. Oder sonstwie. Ich kenne genug Menschen, bei denen es so zu sein scheint und denen sollte man nicht sagen "Harre aus" weil das ihr Problem ist, auszuharren.

Später dann, wenn sie gescheitert sind oder krank, hört man diese Töne: "Aber ich wollte doch immer nur für alle das Beste!" (Wobei sie sich selbst davon wohl ausnehmen?) Wer kennt nicht solche Menschen, vielleicht die eigene Mutter? Aber das, was sie als "das Beste" vorschieben ist nur Angst davor, das eigene Leben zu entfalten. Ja, sie benutzen sogar andere in ihrer Umgebung dafür, ihr Opfer bringen zu können. Da wird ein Drama inszeniert und kein Leben aber es wird so enrnsthaft inszeniert, als sei es das Leben. Es ist Leben, so wie sie es verstehen und gelernt haben. Und diese Macht ist stark genug, auch Krankheit und Depression willkommen zu heißen als Ausdrucksmittel dieses Konzeptes.

Grüße von

Thomas
Betroffene für Betroffene

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tomroerich
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Kaitain,

Anscheinend ist Leid einfacher zu ertragen, als die angst vor dem neuen unbekannten. Oft stelle ich mir die Frage warum es mir mit einem „Feindbild“ besser geht, in aller Regel bin ich mein eigenes Feinbild, aber auch der Arzt, das Amt, die Anderen. Ich habe für mich oft das Gefühl, dass ich wie an einem megastarken Gummiseil immer wieder in mein Loch zurückgezogen werde. Dieser Zug ist stärker als jeder Wunsch und jeder Versuch, jede Erkenntnis da raus zu kommen.

Ja genau das meine ich. Dabei ist das nicht nur bei einem Depri so. Jedem geht es mit einem Feindbild häufig besser als mit der Realität. Feindbilder ermöglichen, Widerstände zu rechtfertigen, die man in sich selbst hat. Weil man die Realität nicht annehmen kann, benötigt man sie. So sind Feindbilder letzten Endes ein Kampf gegen sich selbst.



Thomas
Betroffene für Betroffene

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maggy
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von maggy »

Ja, lieber Thomas,

so ist das und solange LEIDEN (in den alten Mustern verharren)
einfacher ist als LÖSEN (ändern der eingefahrenen Gewohnheiten)
wird sich daran auch nix ändern.

Also...wir brauchen einfache Lösungen .

Alles Liebe
von
Maggy
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
rm
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von rm »

Brittka schrieb:

>..Und doch ist etwas dran an dem, was schon gesagt worden ist. Denn: warum lernt der Nichtschwimmer denn nicht selbst schwimmen?
>Oder, wenn er es denn doch mal gelernt hat - warum vergisst er in bestimmten Situationen, dass er es kann? Warum verfällt er in diesen Situationen in Hilflosigkeit, in eine Art Lähmung, anstatt zu schwimmen?<

Schönes Beispiel von Dir, Brittka und es gehen mir - auf mich bezogen - viele Gedanken ungeordnet durch den Kopf u.a.:

Konnte ich überhaupt jemals schwimmen und was verstehe ICH unter schwimmen? Hat man mir beigebracht, nur Weltrekordschwimmer sind wirkliche Schwimmer?

Ist es etwa unbewußt 'wohltuender', gerettet zu werden, Aufmerksamkeit/ Zuneigung zu bekommen, die auf anderen Wegen viel schwerer zu erlangen wäre?

Ich glaub, jetzt gehe ich wieder zu hart mit mir in's Gericht, meine eigenen Fragen ziehen mich runter.... . Schalte erstmal den PC ab und gehe raus...

LG Reinhart

N.S. Wie ich sehe, hinke ich meinem 'eigenen' Thema/ Euren Antworten meilenweit hinterher. Sehe, mein Hirn schwächelt und das schon länger!
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