Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

cybolon
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von cybolon »

Hallo Jojo,

jemand hat mir mal gesagt, dass die Depression eher gebildete Leute trifft, als "einfache".

"Starke und Gefühlvolle bekommen Depressionen", sagte meine Thera, "weil sie dazu fähig sind".
Tröstet auf's erste Hinhören nicht wirklich, gell? Hat mich aber beflügelt, weiter daran zu arbeiten.

"Wie Du siehst, Road, gibt es viele Mensche, die mit den formalen Ansprüchen der Gesellschaft nicht mehr klar kommen.
Ich frage mich, ob dafür immer nur wir Schuld sind."

Da war doch im Dezember mal hier so ein super Satz, ähnlich, wie:

"Ich schaffe es schon immer öfter, den
Erwartungen der Anderen NICHT zu entsprechen."

Dem ist nix hinzuzufügen!

Es sprach
Dr. Sal. Depr.
cybolon

*Nur starke Leute bekommen schwere Aufgaben.*
kormoran
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von kormoran »

hallo road,

ou. schxxx. schon wieder. bei all dem schönen gerede dass der mensch dinge annehmen, loslassen, in seine geschichte integrieren kann, stehen wir doch vor unabänderlichen dingen die jetzt akut einfach nur xxx sind. da lässt sich nix schönreden und nix nachholen. in den vergangenen jahren hatte ich oft diesen gedanken: es ist doch UNWÜRDIG wie der mensch solche unerhörten verwundungen oder lücken im leben überhaupt überleben, wieder lachen und zufrieden sein kann. eine freundin hat mir das dann so nahegebracht: die wunden verschwinden ja nicht aus unserem leben. aber sie vernarben. wie spüren sie manchmal noch aber wir können weiterleben. ist so, und auch du wirst es schaffen.

wie gesagt, so lange wir uns in diese dinge verbeißen, haben wir keine kraft und konzentration frei für neues.

weißt du was? vielleicht stehst du eigentlich auf der sperrfläche einer straßengabelung. das gefährt hat gar nichts. du musst nur in einem passenden augenblick reversieren und beherzt in eine der beiden richtungen weiterfahren. für die entscheidung aber darfst du hilfe in anspruch nehmen. schade um jeden tag wo du dort stehst.

zur wut: es gab hier vor einiger zeit threads zu dem thema, wie man diese ungeheure kraft in sich unschädlich entlassen kann. vom in die luft boxen über in ein kissen schreien über bäume verprügeln. tu das - bitte! die unterdrückte wut blockiert!

also, gehen wir beide (wenn die sturmgefahr nicht mehr so groß ist) raus, bäume hauen?

und noch ein anderer gedanke: würdest du dich dazu überwinden können, in eine gruppe zu gehen (selbsthilfe- oder therapeutische gruppe?) um mit diesen masken und vermitteln von gefühlen erfahrungen zu sammeln?

alles liebe
kormoranin
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von kormoran »

@ jojo:

1. Die regional-typische Frisur

????

2. Die regional-typische Ausdrucksweise
oh verdammt, ich bin überführt, integrationstest in deutsches forum nicht bestanden?

3. Dein Name, den der zurzeit meist diskutierte Vogel in der Steiermark trägt.
Berühmt geworden, weil nach seinem Aussterben daselbst sehr zum Unmut der dortigen
Fischzüchter und Wildheger wiedereingebürgert und sich jetzt unkontrollierbar vermehrend.
aber am bodensee ist auch kormorankrieg!!!
echt, in der steiermark auch?

die tiefere bedeutung meines nicks verrate ich aber nicht, und auch nicht meine wirklichen koordinaten!

grüße von irgendwo nach weißdergeierwo,
kormoranin
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von kormoran »

zurück zum thema, ich nochmal.

MASKEN

es ist nämlich so, dass ich euch auch sehr um diese fähigkeit beneide. ihr könnt viel leichter draußen funktionieren und in die gesellschaft/arbeit zurückgehen.

bei mir scheint es so, dass jeder einfach beim gartentor hereintrampelt und sieht was mit mir los ist, ob ich will oder nicht. zu leicht öffne ich das tor, die hecke ist nicht dicht genug, ich schaffe es nicht, zu schauspielern. WOHER NEHMT IHR DIE KRAFT DAZU??
ich kann nur "zumachen", aber das spüren die leute ja, dass da was nicht stimmt. und wo schwäche zu spüren ist, da wird gerne hingehauen.

frustriert
k.
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von RoadToNowhere »

Gerade habe ich etwas erschreckendes wiedergefunden. MASKE war ein Stichwort bei dem es "Klick" gemacht hat.

In der Schule vor über 20 Jahren hatte ich einen Deutschlehrer der uns Schüler im Zusammenhang mit moderner Lyrik zum Gedichteschreiben motiviert hat. Ich fand es spannend und habe mehr geschrieben als im Unterricht gefordert war.

Da mein Vater zu sowas überhaupt keinen Draht hatte, bin ich mit meinen Werken zu meiner Mutter. "Wie findest du das?" - "Du mit deinem allgemeinen Weltschmerz und Weltuntergangsgetöse (die 80er mit Ost-West-Konflikt und den Ängsten für die besonders Tschernobyl steht...), und das Geschreibsel ist noch nicht mal gut. Brotlose Kunst!"

Immer wieder das gleiche Muster: Kreative aber unkonventionelle und keine materiellen Vorteile versprechende Ideen wurden abgeblockt - und die Kraft mich zu wehren und mein eigenes Ding zu machen hatte ich nicht weil jede dieser Ideen mit Liebesentzug oder Versagung der finanziellen Unterstützung sanktioniert wurde.

Also habe ich brav gelernt zu funktionieren, hab was solides gelernt, hab zwischendurch ein paarmal rebelliert und auch da nicht erkannt daß ich mir hätte Hilfe holen müssen um mich aus diesem ganzen Berg von Konventionen und Ansprüchen die überhaupt nicht meine waren zu befreien und meine eigenen zu suchen, die nie hatten zu Tage kommen dürfen.

Es tut wahnsinnig weh zu sehen daß dieser inzwischen über 20 Jahre hohe Schuttberg mich am Leben, am Atmen, am Ich-Sein hindert. Und ich hab's noch nicht mal gemerkt, so sehr war ich damit beschäftigt wunschgemäß zu funktionieren.

Vielleicht würde ich es heute anders in Worte fassen, aber die Idee hinter dem Gedicht ist ganz eindeutig mein großes Thema.


Die Maske

Wie ist er?
Der eine sagt:
Der ist super, gut gelaunt,
ein Sunnyboy!
Kann gar nicht sein,
ein Langeweiler,
uninteressant!

Aber wer ist er wirklich?
Der Sunnyboy?
Der Langeweiler?
Keiner kann es sagen.
Ob er selbst es weiß?

Wer bin ich? - ich!
Wie bin ich? - wie ich eben bin!
Warum sieht mich der eine so
und der andere ganz anders?
Sunnyboy - Langeweiler?
Ich bin keins von beiden!

Warum weiß keiner,
wie ich wirklich bin?
Verletzlich.
Empfindlich.
Warum sieht das keiner?
Bin ich vor anderen anders?

Wie bin ich vor mir selbst?
bin ich >das< wirklich?
912318798
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von 912318798 »

Grüß Euch, Ihr Lieben!

an Horst:
So ist ein "Salbaderer" gleichzusetzen mit einem "Dampfplauderer" in der zeitgemäßen Diktion?

Du erinnerst Dich an dieses damalige Thema mit der Erwartungshaltung?
Ich bin erstaunt über dieses Maß an Aufmerksamkeit!

(An dieser Stelle ist sich ein gelber Fleck mit einem Gesicht und der berühmten, japanischen Ehrenbezeugung vorzustellen, als Zeichen der Hochachtung!)

Bei aller Abneigung gegen das zwanghafte Verhalten gegenüber Anderen müssen wir letztendlich doch zugeben, dass sich eine gewisse Form ernötigt, um den Umgang brauchbar zu halten.
Ich denke, hier unterscheidet sich Dein Problem von Road’s.

Deine Thera ist wirklich nett, wenn sie uns dieses Attest mit der Intelligenz stellt.
Leider fühle ich mich ganz und gar nicht entsprechend ihrer Behauptung,
hingegen viele Andere hier trifft es voll.

Und hat nicht van Gogh schwere Depressionen gehabt, Mozart Vergnügungssucht, Beethoven was weiß ich und alle Deep Purple Mitglieder ein massives Drogenproblem?

Wir sind also zumindest in allerbester Gesellschaft!

An Kormoranin:
Schade, dass mein Blitzkurs beim Eff π Ei nicht gut genug war, um Dich enttarnen zu können!
Es gab tatsächlich – von Bekanntschaft wegen – eine entsprechend anzubringende Assoziation.
Natürlich werden wir unsere Anonymitäten hier respektieren!
(Aber kommst Du also vom Bodensee?)
(Und wenn Du keine Steirerin bist, bist Du dann Pädagogin?)

Zu den Masken:
Es ist, wie ich es verstanden habe, gerade das Problem, dass man diese Maskerade nicht mehr aushält.
Nach dem oben erwähnten guten Umgangston (korrekt sein genügt!), wollen wir nicht ins Extrem fallen, wie so oft von uns gefordert wird.
Sei nicht traurig darüber, wenn Du diesen Bedarf nicht wirklich hast!

Sich zu verschließen ist die eine Möglichkeit, einem Angriff entgegenzuwirken.
Ich zitiere mich selbst, wenn ich anführe, dass dies jedoch in letzter Konsequenz zum Kokoning führt, was, wie wir wissen, alles nur noch verschlechtert.
Ja, schwache Opfer werden gerne geschlagen, doch mit Stärke und diesem erhobenen Haupt, das hier unlängst jemand zitiert hat, können wir vermutlich mehr erreichen.
(Wenn ich mich reden höre, glaube ich, morgen ist alles oke ...)

Es tut weh, sich ständig im Rückzug zu befinden, ich weiß das sehr gut.
Kopf hoch, liebe Kormoranin!

An Road:
Das ist nett, Dein Gedicht.
Wenn ich mir eine Antwort erlauben darf: Das Individual, das wir alle in uns tragen, macht uns zu dem was wir sind.
Niemals wird jemand so tief in uns blicken können, um zu sehen, was uns bewegt, wonach wir uns sehnen…
Auch nicht die noch so gute Analytik!
Deshalb sind unsere psychischen Krankheiten so schwer zu behandeln.
Deshalb gibt es Missverständnisse.
Der Katze Schnurren ist des Hundes Knurren, des Hundes Japsen ist der Katze Kreischen,
dabei sind beide gute Wesen.

Und die andere Angelegenheit:
Keiner sieht, wenn ich Durst habe, aber alle sehen, wenn ich betrunken bin…

Jetzt erkenne ich auch , wie schwer es sein muß, sich so gar nicht mitteilen zu können, wie z. B. zu sagen:"Ich liebe Dich!"
Vielleicht mit einem kräftigen Anlauf bei der richtigen Gelegeheit, und du öffnest die Schleusen?

Wir tragen diese Bürde, ständig die vertanen Möglichkeiten zu betrauern, anstatt sich den neuen zu öffnen.
Lass uns nach vorne blicken!


Liebe Grüße und bleibt stark

Jojo
RoadToNowhere
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von RoadToNowhere »

Puh...mir gehts...ich weiß gar nicht so recht wie. Ich hab erstmal geheult.

Seit ichweißgarnichtwielange konnte ich das nicht, das Gefühl von Druck, von Tränen die raus wollten/mußten aber nicht konnten ist was schlimmes. Die Flutwelle quer durch Deutschland die ich irgendwo erwähnt hab wars zwar noch nicht, ich hatte totale Angst wenn ich mich jetzt gehen lasse könnte ich nie wieder aufhören zu weinen...

Eine seltsame Mischung aus Erleichterung, Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit.

Ich hab es geschafft den Kern der Geschichte beim Namen zu nennen. Als Teenie in der 10. Klasse schon.

IDENTITÄTSSUCHE

Und keiner hat mir Mut gemacht loszuziehen um die Sterne vom Himmel zu holen.

Man hat mir die Flügel gestutzt als ich anfangen wollte zu fliegen.

Und als Jahre später die wichtigsten Schwungfedern neu gewachsen waren, wußte ich gar nicht was man damit tut, bin rumgehampelt von einem Ast zum andern, mehr flatternd als fliegend und im wesentlichen abwärts.

Aber die die mir hätten zeigen sollen wie man fliegt sind nicht mal in der Nähe geblieben. Und schon gar nicht haben sie mich für die Versuche gelobt. Ob sie überhaupt kapiert haben, daß sie mir das Fliegen nicht beigebracht haben, aber selbstverständlich erwartet haben, daß ich es schaffe mich am Boden mit krabbeln und hüpfen fortzubewegen?

Au Mann, nun schreib ich völlig wirres Zeug, ich verstehs selber nicht - wie sollt ihr es da verstehen und vielleicht was dazu sagen können?
cybolon
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von cybolon »

Ach Road,

es kommt mir ganicht wirr vor!
Und besser kann man diese elende Erfahrung auch nicht beschreiben.

@Kormoranin:
"...ich schaffe es nicht, zu schauspielern. WOHER NEHMT IHR DIE KRAFT DAZU??"

Nun, eigentlich ist es überdimensional kraftraubend, den ganzen Tag "seine" Rolle zu spielen. Denn es ist ja nicht wirklich die eigene. Auf eine perverse Art und Weise verleugnen wir ständig unser wahres Naturell und irgendwann brechen einige von uns unter dieser Last zusammen. Sich selbst immer happy zu geben und als Strahlemax die größten Frechheiten, Bosheiten, Verachtungen und Vernachlässigungen über Jahre hinzunehmen, hat uns doch schließlich hierher gebracht!

@Jojo:
"Deine Thera ist wirklich nett, wenn sie uns dieses Attest mit der Intelligenz stellt.
Leider fühle ich mich ganz und gar nicht entsprechend ihrer Behauptung,
hingegen viele Andere hier trifft es voll."

Jojo, Dein ganzer Beitrag sprüht förmlich vor Geist, Bildung, Gewandtheit und Einfühlsamkeit. Das alleine nehme ich hier zum energischen Widerspruch!!!

Es ist 3:56 Uhr, ich traue mich mal wieder nicht ins Bett, weil ich Angst habe, dass ich morgen wieder...

Naja, war seit einigen Tagen das erste Mal wieder ein schweres Leben für mich, heute.
Habe mir aber nix anmerken lassen. Irgendwie schaffe ich es jetzt, mir einzureden, dass es mir schneller besser geht, wenn ich mich so verhalte. Hä! Und damit sind wir wieder bei den MASKEN angelangt.

Konfuzius sagen: "Wenn Ziel erreichen wollen, müssen verhalten und handeln, als haben Ziel schon erreicht."

Konfuzius aber auch sagen: "Setzen an Ufer von Fluss und warten bis Leichen der Feinde vorübertreiben."

So lallten die Alten
doof über'n Hof
mit Rauch aus dem Bauch
die Nasen im Rasen
Schon rannten die Tanten
in Horden nach Norden
mit Schnaufen beim Laufen
mit Wut in die Flut
Weil heute die Leute
den Westen verpesten
und Kinder wie Rinder
statt bleiben nur treiben
Wie lustig statt frustig
ist's hüben wie drüben
im Falle dass alle
statt hasten mal rasten
und flach übers Dach
Narzissen anpissen
Doch nein darf nicht sein
dem Otto sein Motto
Mit Soße in der Hose
laut auf die Braut
Es modern und lodern
die kranken Gedanken
man sieht dass man flieht
das Ich ist an sich
nicht wichtig nur pflichtig
Nur Meinung statt Einung
für Reiche und Gleiche
lässt Jeden nur reden
Drumm handeln und wandeln
wir Kleinen und weinen
ist Gnade zu schade?

Nonsens ohne Konsens
cybolon
kormoran
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von kormoran »

liebe road!

lass dich einmal umarmen...

sorry, was du beschreibst ist weder wirr noch unverständlich. schwer fassbar wenn eine mittendrin ist. ich will nicht oberlehrerhaft daher kommen, aber diesen moment wenn nach langer zeit wo nur so ein ansteigender druck da war, ich endlich ein weinen zulassen konnte, mit einer heidenangst dass ich ins bodenlose falle wenn ich dem nachgebe, den habe ich vor einigen monaten erlebt. ich bin nicht untergegangen aber ich will nicht an diese angst denken und wie schwierig das war.

mir geht dieses bild mit den flügeln sehr nahe, wie du das beschreibst. wir beide wurden auf total gegensätzliche weise in unserer entwicklung gehemmt: dir haben sie die flügel gestutzt, darauf geschaut, dass du nur eine sichere existenz hast; mich haben sie in überbehütung mitsamt den flügeln in einen topf gesetzt und wenn ich versucht habe, mich loszustrampeln und um autonomie geschrien, haben sie den aufgesperrten schnabel gestopft.

in beiden fällen haben aber offenbar die eltern ihre vorstellungen in die kinder projiziert - die einen die materielle sicherheit, die ihnen vielleicht selbst gefehlt hat, die anderen haben versucht durch die kinder weiterzuleben, sie zu versorgen wie topfpflanzen, nicht beachtet dass sie da eigenständige wesen in die welt gesetzt haben die ihre flügel üben müssen und schlicht DAZU DA sind, einmal allein zu fliegen.

in beiden fällen wurde die person, der mensch mit seinen potenzialen, nicht gesehen. es ging darum, was wir einmal darstellen sollen. den stolz unserer eltern, die normentsprechung, die erwartungen der gesellschaft. egal, was da drin eigentlich auf entfaltung gewartet hat. die haben ein kleines vögelchen gekriegt und haben es blind auf topfpflanze hin erzogen.

ich hab dein gedicht länger im hinterkopf liegen lassen. und mit dem was du heute schreibst, kommt das wirklich ganz klar hervor:

Warum weiß keiner,
wie ich wirklich bin?

...

Warum sieht das keiner?
Bin ich vor anderen anders?
Wie bin ich vor mir selbst?
bin ich das wirklich?

es ist doch ein ur-menschliches bedürfnis, dass wir von den menschen die uns nahe und lieb sind, "erkannt" werden, als das gesehen und angenommen, was wir im kern wirklich sind. sowohl in übertriebener liebe als auch in übertriebener anpassung und materieller sorge geht der blick der eltern an dem wunderbaren potenzial des ihnen anvertrauten menschleins komplett vorbei.

und später ?
wir machen es unseren mitmenschen offenbar auch schwer, uns zu sehen. du hast dich schon als zehntklässlerin gefragt, warum dich keiner sieht. und gleichzeitig schon gemerkt, dass du selbst nicht so genau weißt, wer die eigentlich ist (was in dem alter freilich normal ist). das tragische ist dass wir offenbar nicht so gut geschafft haben, in dieser kritischen zeit, der pubertät und dem erwachsenwerden, klarheit über unsere IDENTITÄT zu finden, und uns zu versichern, dass wir so GUT sind und uns so annehmen und selbst für uns einstehen dürfen. jetzt hast du diese masken und dahinter eine große ratlosigkeit. totale verunsicherung?

hast du das buch "das heimatlose ich" von holger reiners gelesen? allein schon wegen des konzepts vom ich, das heimatlos ist, kann ich es dir ans herz legen.

road, du bist auf der straße zu dir selbst (hat glaub ich schon einmal jemand anderes vorgeschlagen zu deinem nick), meinst du nicht?

viele liebe grüße
*mutmach*
kormoranin
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stateira
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von stateira »

Hallo RoadToNowhere,

Deine frage, ob diese "sprachlosigkeit" evtl. der anfang der depression war, kann man wahrscheinlich mit 'ja' beantworten.
Dazu sehr sehr interessant (auch zum thema 'verlust der lebensfreude'):
"Alexithymie und Anhedonie bei psychosomatischen Patienten"
eine Dissertation von Andreas Krüger
Psychosomatische Abteilung der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf

Alexithymie = Unfähigkeit od. Schwierigkeiten, Gefühle in Worte zu fassen
Anhedonie = Lebensfreude

Sehr schwer zu lesen, aber lohnend!

liebe grüsse
suse
RoadToNowhere
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von RoadToNowhere »

Der Brocken war wichtig...ich danke euch allen:jap:

und ich komme im Moment auch etwas in Bewegung - habe es heute mit ziemlich viel Anschieben geschafft Wäsche zu waschen, einzukaufen und im Park spazierenzugehen.

Bin platt und schaffe es wenigstens halbwegs mir zu sagen "Wenn du davon platt bist obwohl das längst nicht das ist was du mal gewuppt hast dann ist es wohl in deinem jetzigen Zustand mehr als Ausreichend"
cybolon
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von cybolon »

Genau so und nicht anders, Road!

Und nicht vergessen: BELOHNUNG !!!

Hast's verdient!
kormoran
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Re: Sprache und Unaussprechliches als Ausdruck seelischen Leidens

Beitrag von kormoran »

liebe road,

es liegt was in der luft...

(hier wo ich bin vordergründig knoblauch"duft", da der bärlauch sprießt)

ich hab heut von einer teilnehmerin der selbsthilfegruppe einen ganz tollen satz geschickt bekommen, und den möchte ich dir weitergeben, weil er vielleicht passt, zu deinem nick, zu den aktuellen entwicklungen:

"die wege entstehen beim gehen"
von cicero

(falls die absenderin im forum sein sollte, bin ich jetzt wohl enttarnt )

manchmal geht fast nur stillstand - dann aber am besten bewusst ("heut zieh ich mich zurück, tanke kraft, und gestehe mir das ohne schlechtes gewissen zu").
aber sonst müssen wir uns einfach auf den weg machen, und wenn die schritte noch so klein sind.

by the way: *lob* *lob*
liebe grüße
kormoranin
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