Dickes Selbstbild in dünnem Körper

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Wander
Beiträge: 295
Registriert: 16. Jan 2008, 14:43

Dickes Selbstbild in dünnem Körper

Beitrag von Wander »

Hallo Zusammen, neulich habe ich in einer TV-Talkshow einen Beitrag gehört, wie er meiner Erfahrung nach auch absolut auf den Umgang mit meiner Depression zutrifft.

In der Talkshow ging es zu einem anderen Thema, nämlich ums "Übergewicht". Und dort war eine Diskussionsteilnehmerin, die mal 170 kg gewogen hat und mit Hilfe einer magenverkleinernden OP dauerhaft 100 kg verloren hatte.
Sie erzählte dann, dass damit ihre körperlichen lebensbedrohlichen Beschwerden zwar weg waren, eine Riesenerleichterung, aber sie sich psychisch gar nicht wirklich besser fühlte, weil sie im Spiegel praktisch immer noch sich als Dicke sah. Nun war sie eine "Dicke im dünnen Körper".

Dann machte sie Psychotherapie, um diesen Mechanismus zu analysieren und ihre Dicken-Biographie zu erkennen und die Verletzungen zu bearbeiten.

Als sie das hinter sich hatte, ging es ihrem Selbstbild aber immer noch nicht besser, denn nun war sie "Eine WISSENDE Dicke im dünnen Körper."
Sie wusste nun zwar alles, aber geändert hatte das ihr Selbstbild und ihr Auftreten nach innen und außen nicht.
Erst als sie mit gezielter Körperbeit begann, änderte sich das und heute ist es sehr gut.

Ich bin nicht dick, aber genauso erging es mir auch mit meiner Depression. Ich habe jahrzehntelang privat und psychotherapeutisch unterstützt `rumanalysiert und alles verstanden und bearbeitet, was bei mir an psychischen Altlasten da ist. Und das war auch wichtig, wenn auch aus heutiger Sicht viel zu lange und auch irreführend, weil ich keine schlimmeren Altlasten habe als Millionen von Nichtdepressiven
.
Als ich mich dann für ein AD entschied, wurde ich Gott sei Dank symptomfrei. Nun war die innere Trostlosigkeit weg, was schon eine wirklich RIESENverbesserung war, keine Frage. Ich war mehr als dankbar.

Dennoch: Aber zufrieden und aktiv? Hmmm....Eigentlich fühlte ich mich noch immer genauso wie immer, wenn auch ohne Trostlosigkeit und dem ständigen Grübelzwang und der Antriebslosigkeit.

Nun fing ich an, mit Hilfe einer Meditationstechnik und anschließend noch einer Verhaltenstherapie, meine inneren Überzeugungen mal zu entdecken und diese langsam, zäh, aber Schritt für Schritt zu erkennen und zu überschreiben mit realistischen Überzeugungen. Denn meine inneren Prägungen sind die von vor Jahrzehnten, die heute und auf mich und den Zeitgeist und meine Lebenssituation gar nicht mehr passen.

Also war ich eine " WISSENDE Depressive mit depressiven Mustern im symptomfreien Körper", bis ich anfing, wo ich noch mitten dabei bin, meine gedanklichen und damit emotionalen Muster direkt zu bearbeiten.

Eigentlich hätte ich mir da wohl, was den reaktiven Teil meiner Depression betrifft, Jahrzehnte des Auf-der-Stelle-Tretens ersparen können.

Genauso, wie ich meine SSRI auch schon 10 Jahre eher hätte entdecken sollen und damit den endogenen Teil bearbeiten.....

Grummelnde Grüße! Düne
Nyx
Beiträge: 397
Registriert: 31. Jan 2007, 14:42

Re: Dickes Selbstbild in dünnem Körper

Beitrag von Nyx »

Hallo Düne,

vielen Dank für Deinen sehr ansprechenden Beitrag! Eines fiel mir auf: Ich finde, Du solltest wirklich stolz auf Dich sein, dass Du Dir Deine inneren Welten, Überzeugungen und Prägungen überhaupt genauer ansiehst und versuchst, zu ändern, was geändert werden sollte. Das ist ein sehr schwieriger Weg, der viel Mut und Ausdauer erfordert. Und es muss der richtige Zeitpunkt da sein, man muss dafür bereit sein. Also quäle Dich nicht mit Gedanken, von wegen Du hättest viel früher anfangen können! Wichtig ist doch nur, dass Du Deinen Weg gehst, und zwar jetzt.

Alles Gute von Nyx
cooki3
Beiträge: 494
Registriert: 27. Jul 2006, 12:42

Re: Dickes Selbstbild in dünnem Körper

Beitrag von cooki3 »

Wander
Beiträge: 295
Registriert: 16. Jan 2008, 14:43

Re: Dickes Selbstbild in dünnem Körper

Beitrag von Wander »

Hallo Nyx, eigentlich stimmt das, was du schreibst. Siehste, bin ich mal wieder sehr perfektionistisch!!! Danke für deinen Hinweis!

Hallo Jochen, natürlich gibt es Werte und Prägungen, die so wertvoll und zeitlos sind, dass ich sie behalten möchte. Und überhaupt ist es ja so schwer, alte "Programmierungen" zu ändern, dass ich das sowieso nur da tue, wo sie zerstörerisch in mir wirken.

Wenn ich von meinen negativen abwertenden Gedanken überfallen werde, dann sind es allermeistens Leistungsmaßstäbe, die meine Eltern vor mehr als 30 Jahren an mich stellten. Meine Mutter war da sehr aggressiv fordernd und machte davon auch abhängig, wie liebevoll oder brutal sie verbal mit mir umging.

Stelle dir bitte vor,dass ich im depressiven Zustand der letzten Jahrzehnte mich innerlich ständig in hektischen Dialogen vor meiner Jugendzeit-Mutter rechtfertigte, jahrzehntelang und ohne dass sie überhaupt da war.
Ich scheine also ein sehr stark ausgeprägtes aggressives Über-Ich zu haben, das auf mir herumprügelt, auch wenn ich heute viel älter und lebenserfahrener bin als meine Mutter war, als sie mich erzogen hat und ja auch in gänzlich veränderten Lebensumständen lebe.

Es ist für mich nicht mehr angemessen und zeitgemäß, mich innerlich vor meiner Jugendzeit-Mutter zu rechtfertigen, die vom damaligen Alter her meine Tochter sein könnte und damals Ansprüche stellte, die aus den 1950er Jahren stammen, als sie selber heranwuchs.

Die Werte und Prägungen, die ich von meinen Eltern erworben habe, die ich als zeitlos wertvoll erachte, die behalte ich ja.

Aber die anderen nicht.

Wird es so klarer?

Lieber Gruß! Düne
Radlerin

Re: Dickes Selbstbild in dünnem Körper

Beitrag von Radlerin »

bei mir ist das phänomen, dass ich eigentlich als sehr schlank gesehen werde. wenn leute mich sehen, sagen sie auch, dass ich recht schlank bin.

aber ich fühle mich unwohl in meinem körper.ich kann mich schlecht im spiegel angucken. ich finde mich immer zu dick. ich bin aber NICHT magersüchtig. nur, wenn man sich selbst nicht mag findet man immer etwas, was einem stört.

das hat alles mit meinem selbstwertgefühl bzw. der wertlosigkeit zu tun.
cooki3
Beiträge: 494
Registriert: 27. Jul 2006, 12:42

Re: Dickes Selbstbild in dünnem Körper

Beitrag von cooki3 »

Ada
Beiträge: 41
Registriert: 27. Okt 2007, 23:35

Re: Dickes Selbstbild in dünnem Körper

Beitrag von Ada »

Liebe Düne,

ich finde mich in dem was Du beschreibst sehr wieder....Ich bin in meiner Analyse gerade dabei zu erkenne, welche Prägungen und Muster mich beherrschen...ich mache jedoch keine reine Analyse, sondern meine Therapie beinhaltet auch, das finden von anderen Glaubenssätzen und wie man mit diesen alten Muster umgeht, sie enttarnt und sich ihnen nicht beugt, wenn sie zerstören...eine vorherige VT war bei mir leider fast wirkungslos, da sie meine leisungsorientierten Muster nur unterstützte,,,meine Frage an Dich ist, wie genau Du diese Veränderung deiner Muster umgesetzt hast? Oft ist es so, dass ich die Muster erkenne, sie aber nicht ändern kann, denn das ist meine Wahrheit und das war sie sehr lange und auch wenn ich erkenne das mir diese Wahrheit nur schadet, sagt mir mein Über ich das die Wahrheit nur diese Wahrheit ist....ich habe das Gefühl, dass sich die alten Muster einer Veränderung sehr wieder setzen...
Ich hoffe, Du verstehst was ich meine ???
es würde mich wirklich sehr interessieren, wie Du die Umsetzung geschafft hast, ich finde es sehr schwer, aber es macht mir Mut, dass es gelingen kann, wie man an Dir sieht
Liebe Grüße
von Ada
Wander
Beiträge: 295
Registriert: 16. Jan 2008, 14:43

Re: Dickes Selbstbild in dünnem Körper

Beitrag von Wander »

Hallo Radlerin, das, was du vor dem Spiegel erlebst, ist ja auch irgendwo eine "Dicke im dünnen Körper", ohne jemals dick gewesen zu sein.
Das kenne ich ja nun selber auch aus Jahrzehnten. Die depressive Wahrnehmung ist ja halt krankhaft verzerrt und was die Schlankheit angeht, ist ja die Selbstwahrnehmung auch bei gesunden Frauen und erst recht jungen Mädchen meist ebenso verzerrt.
Darum stecken ja, was das Äußere angeht, hinter der Depression bei uns meist ganz normale falsche Selbstbilder.
Viele gesunde Menschen haben ja auch falsche und quälende Selbstbilder, aber sie sind halt nicht depressiv und nicht so drauf angewiesen, sich hier emotionale Erleichterung zu verschaffen.

Hallo Ada, meine VT hat mir eigentlich fast ein Jahr lang nur immer gebetsmühlenartig auf alle emotionalen Abstürze und Schwankungen, die ich schilderte, gesagt: "Und was haben Sie zuvor gedacht?"
Das ging mir schon teilweise auf die Nerven, weil ich oft Stein und Bein geschworen hätte, dass ich diese Emotion schon immer habe und sie einfach da ist oder kommt ohen Gedanken zuvor.
Meine VT sagte mir aber, ich müsse, allerdings nicht verbissen, immer beim Abrutschen in schlechte Stimmungen nach den Gedanken zuvor fahnden, auch wenn ich erst gar keine entdecke. Das braucht Übung.

Mit der langen Zeit fand ich viele Gedanken und konnte mir zu den uralten Komplexen, Schamgefühlen und Schuldgefühlen, die aus jüngster Kindheit stammen, schon die Erziehungssätze denken, die hinter der aggressiven Reaktion meiner Eltern stand, auch wenn ich den genauen Wortlaut nicht mehr weiss.
Beispiel: Wenn mir heute etwas herunterfällt oder ich stolpere, löst das in mir oft eine intensive Aggression auf mich selbst aus. Das ist so alt wie ich. Meine Eltern reagieren darauf heute noch aggressiv, wenn es einem von uns geschieht. Als Kleinkind habe ich also gelernt, dass dies schändlich ist, etwas fallen zu lassen oder zu stolpern, ohne dass mir jetzt der genaue Wortlaut dazu einfällt. Es kann auch einfach ein völlig wütendes Fauchen oder mich am Arm wegreißen meiner Eltern gewesen sein. Etwas sehr Aggressives und Abwertendes in jedem Fall, ob mit oder ohne Worte.

Jedenfalls fand ich viele uralte Erziehungsinhalte aus Elternhaus, Großelternhaus und Schule, die mich als Kind intensiv gedemütigt und entwertet haben.

Und mein eigenes heutiges Über-Ich kontrolliert mich heute genauso gnadenlos und aggressiv weiter. Als mir dann aber die einzelnen Sätze oder Motive hinter meinen negativen Stimmungen so allmählich aufgingen, begriff ich natürlich auch, wie idiotisch und völlig unangemessen sie sind. Und was eindeutig Blödsinn ist, entlastet dann auch emotional.

Beispiel: Jahrzehntelang dachte ich, dass ich ein höchst trottelhafter Mensch bin, der mehr stolpert und fallen lässt als andere und eigentlich eine wandelnde Peinlichkeit bin, ein Mosaikstein im "Versagerinnen-Geamtbild". Dass ich ein Leben führte, das ein Trottel gar nicht hin bekäme, interessierte dabei nicht.

Seit mir aber klar ist, dass diese meine Ansicht daraus resultiert, dass erwachsene Menschen (meine Eltern) einem Kleinkind keine ungeübte Bewegung durchgehen ließen (welch eine Grausamkeit), hat die Ansicht keine Grundlage mehr. Mir ist klar, dass sie mehr über meine Eltern als über mich aussagt.

Ist das klarer?

Lieber Gruß! Düne
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