Gedanken: Warum depressiv?

Poolshark
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Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Poolshark »


Der folgende Beitrag darf nicht als Romantisierung der Depression verstanden werden.
Es handelt sich um eine Aufreihung depressiver Gedanken und irgendwo dazwischen um die Frage, ob man der Krankheit Gutes abgewinnen kann.
Depression ist hässlich, bösartig und kann es in puncto Heilungsresistenz mit jeder schweren Infektionskrankheit aufnehmen.
Die Defensivmechanismen meiner Depression sehen unter anderem so aus wie beschrieben und sollen keine Anleitung zum Nachmachen sein, sondern vielmehr zur Diskussion anregen, wie man persönlich und nicht medizinisch diese Krankheit bekämpft und ob und was man aus ihr lernen kann.

Ist es die Depression die unser Leben bestimmt? Oder ist jeder Mensch und jedes Lebewesen depressiv und sind wir diejenigen die dem nicht standhalten?
Sehen wir Dinge, die nicht da sind, oder sehen wir die Dinge, die andere nicht sehen? Ist unser Weltbild und das unseres Selbst getrübt oder sind wir nicht ignorant genug, die niederschmetternde Erkenntnis auszublenden, weil sie zu keinem anderen Ergebnis führt, als zur Depression?
Sind wir mit uns selbst verfeindet, weil wir uns aus lauter Selbsthass Schaden zufügen wollen, oder ist die Depression ein innerer Sensor, der uns zwingt, sich mit uns selbst auseinanderzusetzen, in uns zu gehen und den Unruhestifter zu finden?

Ich denke darüber nach, was ich alles sein könnte, wenn ich nicht depressiv wäre.
Und dann denke ich darüber nach, was ich alles nicht wäre, wäre ich gesund.
Ein Depressiver ist sensibel, erahnt hinter jeder makellosen Fassade eine Ruine.
Ich sehe Dinge, die andere nicht bemerken.

Ein strampelnder Käfer in einer Regenpfütze, der um sein Leben ringt, während ich meines wegwerfe. Ich rette den Käfer, gelobe Besserung und mache weiter wie bisher. Die Lektion trifft mich wie ein Güterzug, ich bin verletzt, aber ich habe nichts gelernt.

Das erste welke Blatt am Baum vor dem Fenster, kurz bevor der Herbst beginnt. Die schönsten Rot- und Gelbtöne, die diese Welt zu bieten hat, stammen von abgestoßenen, verrottenden Blättern. Die Erkenntnis drängt sich mir auf wie Reiseübelkeit.

Wie die Luft schon im Februar nach Frühling riecht. Wie sich die Nackenhaare aufstellen, kurz bevor ein Gewitter beginnt.
Wie sich all diese Dinge mit Leichtigkeit ins Bewusstsein stehlen.
Sie berühren mich, weil ich meine depressive Seele schutzlos mit mir herumtrage. Und ich bin so dumm und frage mich ob ich diesen einen Augenblick hergeben würde, für ein Leben ohne die tiefe, bittere Depression, ohne Selbstmaterung und Verzweiflung, ohne all die Verschwendung von Zeit und Energie.
Die Kleinigkeiten des Lebens entzücken das depressive Herz, aber schon der kleinste Windhauch bricht es entzwei - ein schlechter Tausch.

Ich erinnere mich daran, dass die Welt schon immer einen seltsamen Beigeschmack hatte, soweit ich zurückdenken kann, trotzdem frage ich mich, ob ich mich irgendwann in meinem Leben für die Depression entschieden habe.
Es wäre einfacher sie zu bekämpfen, wenn sie sich nicht so gut in meinen Charakter integriert hätte. Ein Stück der Depression bin ich. Ein Stück von mir ist Depression und es ist schwer herauszufinden, wovon ich mich trennen kann und wovon ich mich trennen muss und ob am Ende noch genug von mir übrig ist oder das Leben über dass ich all die Zeit nachgedacht habe, schon längst vorbei ist, wenn ich mich damit arrangiert habe.

Es ist vermutlich wie mit dem Laufen, tut man es ohne darüber nachzudenken, funktioniert es. Stellt man es in Frage, weil es so unglaublich ist, stolpert man.

Die Erkenntnis bringt mich kein Stück weiter, ich halte mich fest an der Depression, weil sie die einzige Konstante in meinem Leben ist, vielleicht auch deshalb, weil ich mich an allem festhalte, was nicht gut für mich ist.
Passive aggressive bullshit.

Ich horche in mich. Die Depression verstummt und lauscht zurück.
"Ich bin viel schlauer als Du", sage ich.
Sie sagt ich bin ein Idiot und ich fühle mich idiotisch.
Ich bin kein Idiot. Ich habe Idioten gesehen und die waren glücklich.
"Hässlich biste obendrein!", fügt sie hinzu.
Ich stoße den Gedanken von mir und fühle ihn trotzdem.
"Macht das einen Unterschied?", will ich erwidern, doch das ist keine rhetorische Frage.
Es sollte keinen Unterschied machen.
"Aus der Pubertät bin ich raus", finde ich und bin gespielt gelassen.
"Nein bist Du nicht", sagt sie.
Ich verbringe Stunden damit herauszufinden, warum nicht.
Ich finde keine Antworten und frage: "Warum tust Du das?"
Eine Zeit lang ist es bedrohlich still in meinem Kopf.
"Du kleiner Scheißer ...", zischt sie. "Wenn ich es nicht tue, tut es jemand anders."
Und als ich beginne, es zu verstehen, infiziere ich mich erneut.
Für einen Augenblick hatte ich die Idee, dass sie mir helfen könnte, den richtigen Weg zu finden. So als müsste ich nur die richtige Abzweigung nehmen und sie würde für immer verstummen, zufrieden über die richtige Wahl. Die Depression ist nicht tief, sie ist bodenlos.
Sie sagt: "Das Leben ist nicht schwer, es ist hoffnungslos."
Und ich habe heute nicht die Kraft, mich dieser Logik zu entziehen.
Ich bin depressiv.
cybolon
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von cybolon »

Hallo Anne,

danke!

Selten habe ich, seit ich mich mit der Depression auseinandersetzen muss, so treffende, zielgenaue und teilweise sogar schöne (romantische) Beschreibungen gelesen!

Auch, wenn Deine Zeilen mich traurig gemacht haben, sind sie gleichzeitig zum Heulen schön!

"Oder ist jeder Mensch und jedes Lebewesen depressiv und sind wir diejenigen die dem nicht standhalten?"

Es gibt ja tatsächlich die Theorie, dass alle Menschen depressiv sind aber nur einige werden durch Lebensumstände zu SYMPTOMTRÄGERN...

"Ich sehe Dinge, die andere nicht bemerken."

Die "neue" Achtsamkeit, die wir auf uns richten, wenden wir auch auf Andere an. Wir können vielleicht garnicht anders.
Auch mir geht es so, dass ich mir die Menschen ganz anders betrachte. Ich achte auf Dinge, die sich in ihrer Mimik, Körperhaltung, Gestik oder schlicht in ihren Augen zeigen.
Als gäbe es nicht schon genug Anlass, traurig zu sein, lade ich mir deren Leid auch noch auf. "Lamm Gottes, das Du trägst die Schuld der Welt..."
Es ist erschütternd, dass ich jetzt meinem Gegenüber sofort ansehe, ob er schon gelitten hat. Ich habe Angst!
Angst, vor der Weisheit.
Was wird sie mich noch alles erkennen lassen?
Wiviele Schrecken werden sich mir noch offenbaren?
Oder, wird sie mich stark machen?
Werde ich durch sie in der Lage sein, die Urgewalten der Natur, ihre Schönheit, ihren Nutzen und ihren ewigen Kreislauf zu verstehen und zu würdigen?

Wenn Manitou die Blätter bunt färbt, möchte ich mit ihm als Bruder durch die Wälder ziehen. Die Geborgenheit meines Wigwams mit ihm teilen und am warmen Feuer die Pfeife mit ihm rauchen. Wird der große Geist aus den Dingen zu mir sprechen, wenn ich einmal weise bin?
Mir ist kalt und das Wild zieht weit vor uns her. Die Felle haben wir an die Alten und die Kinder verteilt. Ich habe Hunger und der Schnee bedeckt die kleinen Pflanzen. Wir Jäger haben auf die Mahlzeit verzichtet, damit die Kinder nicht weinen. Unseren Durst stillen wir durch Schnee. Er schmeckt fade, nach dem weißem Mann, der unten, am Fluss, eine Stadt gebaut hat. Die Frauen schweigen und ziehen tapfer mit uns den Berg hinauf. Ich bin müde und wir müssen in der Nacht wachsam sein. Die Wölfe heulen. Es wird dunkel. Wir dürfen kein Feuer machen um unentdeckt zu bleiben.
Die Alten werden von uns getragen oder auf Bahren geschleppt. Meine Hände sind wund. Die Hunde haben aufgehört, zu bellen. Ob wir morgen welche töten müssen, um essen zu können? Der Medizinmann hat den Feind in seinem Becher gesehen. Der Häuptling hat 10 Krieger vorausgesandt, ob sie wiederkehren?
Die weise Frau ist nicht mitgezogen. Manitou hat sie gerufen, sie wartet darauf, dass er sie in die ewigen Jagdgründe holt.

Manitou hat die Blätter bunt gefärbt.
Er spricht aus den Dingen zu mir. Er sagt mir, wie sich Andere fühlen. Er lässt mich spüren, dass ich würdig bin, das Leid zu sehen. Ich bin traurig. So traurig, dass ich in die Höhle des großen Bären gehen könnte, um seine Jungen mit meinem Fleisch zu sättigen.
Aber der große Geist sagt mir, dass ich noch lange beim Stamm bleiben soll. Wie soll ich dem Stamm dienen, wenn ich traurig bin? In den Augen der Kinder ist so viel Hoffnung. Meine Füße tragen mich obwohl ich immer schwerer werde. Meine Ohren hören obwohl ich immer tauber werde, sodass ich die Worte nicht richtig verstehe. Meine Augen tränen, es schmerzt mich die Traurigkeit eines jeden, den ich ansehe. Meine Zunge ist gelähmt und spricht eine fremde Sprache. Wenn ich schlafen möchte, sehe ich zu viele Bilder. Wenn der neue Tag kommt, bin ich müde und traurig.
Wenn die Alten von den Monden erzählen, als der weiße Mann noch nicht da war, werden wir stolz und doch wieder traurig. Wölfe reißen Lämmer um zu essen. Warum reisst der weiße Mann unsere Kinder? Er hat zu essen, er hat es warm und doch tötet er das Wild. Manitou zeigt mir viele traurige Bilder. Er schickt das Wild nach Süden und lässt die Flüsse gefrieren. Der Medizinmann hat gesagt, er schaut sich meine Bilder an, wenn wir einen Wigwam aufgestellt haben. Bis dahin werde ich diese Bilder in mir tragen müssen, die mich so traurig machen.
Die Augen der Kinder sind so hoffnungsvoll.
Manitou schenkt ihnen schönere Bilder.
Die Augen der Alten sind so gelassen.
Manitou schickt ihnen die Bilder ihrer Väter.
Die Augen der Frauen sind so klar.
Manitou gibt ihnen die Bilder des Sommers.
Die Augen der Krieger sind wachsam.
Manitou gibt ihnen die Bilder des Sieges.
Die Augen der Jäger, meine Augen, sind so traurig. Manitou zeigt mir das Leid.
Das Leid meines Volkes.
Mein Leid.

Liebe Grüße
vom
cybolon
imagine
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von imagine »

Liebe Anne,
ich gebe deinem Nachschreiber recht, es ist wunderschön ge- und beschrieben, aber stimmt es auch?
Nein,ich denke nicht.
Ich glaube, dass es Menschen gibt, die schwermütig sin, denen das leben nicht leicht fällt, die auch ein Stück Befriedigung in ihrer Schwermut finden, aber eine Depression ist etwas, was man nicht hinnehmen sollte, etwas, dem man sich nicht unterordnen sollte, auch wenn es mitunter verführerisch und einfach erscheint

Liebe Grüße
imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
Poolshark
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Poolshark »

Vielen Dank für eure Gedanken.
Deine Manitou-Geschichte hat mich auch sehr berührt, cybolon.
Sie beschreibt so ziemlich das Gefühl, dass ich bei meinen Gedanken auch hatte.
Du bist Dir nicht sicher, ob Du verflucht oder gesegnet bist, mit alldem was Du siehst.
Mir persönlich fehlt die Weisheit, von der Du gesprochen hast. Wenn ich zu all meiner Einsicht auch noch weise wäre, dann wäre ich nicht depressiv, glaube ich.
Dann hätte ich vielleicht das Werkzeug, das mir fehlt, aus dem was ich weiß, die richtigen Schlüsse zu ziehen, anstatt mich von davon erschlagen zu lassen.

Ich schreibe viel um die Dinge zu verarbeiten, die ich nicht verstehen kann.
Eigentlich sollte es gar nicht so bildhaft und melancholisch werden, ich denke nur so viel darüber nach, warum ich oder andere depressiv sind.
Es gibt viele Theorien zur Entstehung von Depression und ich selbst habe mir, solang ich mich auch schon mit der Thematik beschäftige, noch kein Bild machen können.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich es als Krankheit abheften kann, ich bin schon zu lang depressiv um Krankheit und Charakter klar voneinander trennen zu können.

@imagine
Mir ging es gar nicht so recht um "Stimmigkeit". Ich habe niedergeschrieben, was mir immer wieder im Kopf rumkreist, ohne es großartig zu bewerten.
Ich wollte auch nicht behaupten, dass ein Depressiver die Depression hinnehmen sollte, ganz im Gegenteil.
Der Kern dieser Krankheit ist für mich der ständige Zwiespalt und die Tatsache, dass falsche Gedanken Sinn machen, wenn man mittendrin steckt - ganz gleich, wie vernünftig man vorher war.
Und obwohl die Depression so furchtbare Qualen verursacht, bin ich nicht in der Lage mich daraus zu befreien. Wenn ich mich verbrenne, ziehe ich doch auch die Hand aus dem Feuer ...

Also, mein Text ist keine Ode an die Depression. Ich habe mich nur beim Denken beobachtet.
Ich bin nicht gern depressiv, ich frage mich nur, wer ich wäre, wäre ich "gesund" und warum das alles passiert.
cybolon
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von cybolon »

Hallo Anne,

"Mir persönlich fehlt die Weisheit, von der Du gesprochen hast."

Mir auch !!!
Aber ich wünsche sie mir.

Wir lernen in der Therapie und hier im Forum und durch Lernen kommt Wissen, Weisheit.

Unsere Hoffnung schöpfen wir daraus, daß wir weiser werden wollen, um mit der Depression besser leben zu können oder noch lieber: Sie los werden.

Na, ich hoffe natürlich, wir brauchen dafür nicht so lange, bis der Herbst unseres Lebens da ist (Manitou färbt die Blätter bunt...).

Über das "Warum" nachzudenken ist hilfreich, da wir so den Weg hinaus finden könnten.

Liebe Grüße
vom
cybolon
*Dem doch (noch) nicht so weisen Indianer vom Stamm der Indigo*
tomroerich
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Anne,

wie kommt es, dass depressive Menschen die Welt oft so genau und tiefgründig sehen können? Schauen sie so genau hin, weil sie depressiv sind oder wurden sie depressiv, weil sie so genau hingeschaut haben?

Mir kommt es so vor, als würden sie in ihr etwas suchen. Sie wenden bald jeden Stein um, ob es hier ist oder dort ist und finden doch immer nur ihre eigene Einsamkeit und Leere. Tatsächlich, dort draußen ist nichts. Ein Spruch aus dem Evangelium des Thomas heißt: "Jeder, der die Welt erkannt hat, hat eine Leiche gefunden. Und wer eine Leiche gefunden hat, steht über der Welt."

Eine niederschmetternde und hoffnungslose Sichtweise? Nicht für mich. Jemand sagte mal: "Depressive haben keine Heimat mehr in dieser Welt und noch keine in in der anderen." Welche andere denn? In der inneren. Existiert die denn überhaupt? Natürlich, woher käme sonst die äußere?



Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
Poolshark
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Poolshark »

"wie kommt es, dass depressive Menschen die Welt oft so genau und tiefgründig sehen können? Schauen sie so genau hin, weil sie depressiv sind oder wurden sie depressiv, weil sie so genau hingeschaut haben?

Genau das ist die Frage, die sich 'nem Depressiven aufdrängt. Ich persönlich möchte denken, dass es meine Krankheit ist, die alles in ein fahles, trübes Licht taucht.
Meine Vernunft sagt mir, dass es nur Leben gibt, wenn es stirbt. Dass Freude nur sein kann, wenn man weiß, was Kummer ist.
Aber die Depression ist oft stärker als die Vernunft und dann sitzt man in seinem Zimmer und grübelt sich das Leben kaputt, ohne es wirklich erlebt zu haben.
Vielleicht haben wir nur irgendwann in unserem Leben, die falschen Erfahrungen gemacht oder die falschen Schlüsse daraus gezogen ...

"Jeder, der die Welt erkannt hat, hat eine Leiche gefunden. Und wer eine Leiche gefunden hat, steht über der Welt."

Das ist nur eine Seite der Medaille.

"Selig der Mensch, der gelitten hat. Er hat das Leben gefunden."

Für mich als (depressiver) Mensch, gilt es nun mit dieser Erfahrung umzugehen. Es kann sicher nicht Zweck dieser Erkenntnis zu sein, mein Leben lang in dieser Leichenstarre zu verharren.
BeaU
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von BeaU »

Liebe Anna,

Dein Beitrag ist sprachlich sehr schön, nur geht diese romantisierende Betrachtung völlig an der Realität vorbei. Ich sitze auch gern an einem Bachufer, schaue dem Spiel der Wellen zu und sehe Lichtkringel auf dem Waldboden tanzen. Und wenn dann ein scheues Reh auf der Waldlichtung erscheint …. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geweint habe. Aber mit einer Depression, wie ich sie bei meinem Mann mehrmals erlebt habe, da wäre die Romantik vorbei. Wenn die Angst so groß ist, dass ein Patient – nicht mein Mann – drei Tage eingeschlossen in der Toilette sitzt und fast verdurstet aufgefunden wird? 13 – 15 % Lebenszeit-Suizide nach einer major depression, diese Zahl spricht eine andere Sprache.

Ich kann nur vor dieser Deiner Betrachtungsweise warnen, sie spielt denen in die Hände, die sagen: Reiß Dich zusammen! So schlimm kann das doch nicht sein! Selbst ein niedergelassener Psychiater sagte zu meinem Mann: „Herr B., Sie haben doch nicht den Durchhänger einer Frau in den Wechseljahren“, womit er einen Teil der hier vertretenen Depressionen der Lächerlichkeit preisgibt.

Die Selbsttäuschung, die darin besteht, dass man meint, man nehme Dinge in der Depression wahr, die einen an Erkenntnis über die Gesunden erheben, ist trügerisch. Ein krankes Gehirn gewinnt keine Erkenntnis von irgendeiner Relevanz, ebenso wenig, wie der vermutlich erhebende Augenblick einer Aura vor einem epileptischen Anfall (Dostojewski Der Idiot). Ein epileptischer Anfall ist eine schwere Störung des Gehirns, bei der Depression steht der strenge Nachweis noch aus. Am ehesten leuchtet mir persönlich der Erklärungsansatz von Holsboer ein: Die Depression ist eine Entgleisung des hypophysären Stresssystems. Wer mal in einer schweren Depression gestörte Herz-/Kreislaufdaten über Monate hatte (Ruhepuls 120, 180/105 mm Hg, im Normalzustand Puls 50 120/60 mm Hg), der ahnt, dass an dieser Hypothese etwas dran sein könnte. Die Tatsache, dass in der nächsten depressiven Phase alles, was man in der vorhergehenden Psychotherapie gelernt hat, einfach weg ist, spricht eine deutliche Sprache.

Also lassen wir Novalis, Hölderlin und Goethe bei einer Depression in der Tasche, in einer schweren Phase reicht es nicht zum Verstehen, manchmal noch nicht einmal für den hochkomplizierten Vorgang des Lesens. Und glaubt auch nicht, dass Ihr durch Schonung oder das Gegenteil irgendetwas verändert, die Depression braucht ihre Zeit, meistens geht sie weg und kein Arzt weiß, warum, die Pharmaindustrie schon gar nicht. Der eine Therapeut sagt Euch: Schonen Sie sich, verbrauchen Sie nicht soviel Kraft. In der Psychiatrie oder der Rehaklinik werden sie dagegen gnadenlos nach 1 – 2 Stunden Schlaf zum Frühsport geweckt. Oder man raubt Euch den letzten Schlaf in der Schlafentzugstherapie (Prof. Bauer, Psychiatrie Freiburg).

Wenn man sich mit dem Gedanken vertraut macht, dass die Depression mindestens zum Teil eine evolutionäre Entgleisung ist wie Krebs, Diabetes, Kreislauferkrankungen in unterschiedlichem Grade auch, bewahrt man sich vor Enttäuschungen. Dass es nach einer Kette von teilweise sehr schweren Phasen auch eine dauerhafte Rezession geben kann, beweist mein Mann. Aber für den hat sich noch kein Pharmakonzern interessiert, ihm verkaufen sie nur selten noch ihre Pillen, außer Lithium. Sein Rezept: Ausdauersport bis zum Abwinken, er ist auch mit 120 Ruhepuls!! In einer schweren Depression noch täglich 7 – 14 km in bergigem Gelände gelaufen. Und ein Wahnsinnstipp: Er hat eifrig die Psychiater gewechselt, bis er den maßgeschneiderten fand. Das kann ich nur empfehlen, es geht ja um Euer Leben und wenn man so viele Psychiater / Therapeuten gesehen hat, wie mein Mann, hat man auch viel Quatsch gehört, einem hat er es auch gesagt.

BeaU

Etwas anderes: Da hat mir ein Scherzbold in mein offenes Postfach die Vermutung geschrieben, ich sei ein Pferd von 1,80 m/ 90 kg mit einem zu hohem Testosteronspiegel. Das ist nicht der Fall! Meine Maße: 163 m/ 54 kg, aber ich bin trotzdem ein schwer verdaulicher Brocken. Der Schreiber der o. a. Bösartigkeit würde bei mir die Eingangsprüfung nicht bestehen – in einer Disziplin, die er nicht erwähnt hat. Er ist sicher 185/ 78 IQ: Schreibtischhöhe + 20.
Poolshark
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Poolshark »

Liebe Bea,
in meinen letzten Beiträgen habe ich einiges geschrieben, um meinen Anfangspost ein wenig zu relativieren.
Ich möchte hier auch noch einmal einige Dinge klarstellen, um nicht falsch verstanden zu werden.
- Depression ist nicht schön
- Depression ist nicht romantisch
- Depression ist Gedankenkrebs
- Ich bin schwer depressiv und nicht nur so 'n bisschen melancholisch
- Ich bin mir dessen bewusst, dass man diesen Thread falsch verstehen kann
- Mein Posting ist keine Ode an die Depression!
- Es ist vielmehr ein Einblick in eine depressive Psyche.

Ich kann Dir deshalb jeden Deiner Sätze unterschreiben. Ich habe lediglich versucht in Worte zu fassen, was mir immer wieder in den Sinn kommt und bin mir bewusst, dass ich das aus dem Loch einer schweren depressiven Phase heraus tue.

"... nur geht diese romantisierende Betrachtung völlig an der Realität vorbei."

Richtig, und genau das ist das Problem. Wenn ich depressiv bin, geht die Realität total an mir vorbei.

"Ich kann nur vor dieser Deiner Betrachtungsweise warnen, sie spielt denen in die Hände, die sagen: Reiß Dich zusammen!"

Ich möchte auch ausdrücklich vor mir warnen.
Aber diese Gedanken sind nunmal da und wir müssen alle lernen, mit Ihnen umzugehen.
Ich hatte das Bedürfnis, mich genau darüber auszutauschen.
Auch geht es hier um keine Betrachtungsweise, es ist für mich ein Gedankenexperiment. Ich will nicht für den Rest meines Lebens depressiv sein, ich will gesund werden und versuche rauszufinden wie.

"Die Selbsttäuschung, die darin besteht, dass man meint, man nehme Dinge in der Depression wahr, die einen an Erkenntnis über die Gesunden erheben, ist trügerisch."

Das sehe ich im Prinzip ähnlich. Aber der Nachweis, dass es sich bei einem depressiven Hirn tatsächlich um ein krankes Hirn handelt, ist noch nicht erbracht.
Deshalb stelle ich zur Diskussion, dass ich krank geworden bin, weil in meiner (sozialen) Entwicklung Dinge falsch gelaufen sind und dass ich jetzt nicht einfach Pillen schlucke und Tanz- und Singtherapien mache, sondern mich ernsthaft mit mir auseinandersetzen muss.
Und das man sich als Depressiver oft "überlegen" fühlt, weil man denkt man hätte das Leben durchschaut ist eben auch ein Symptom. Diese Problem habe ich versucht zu beschreiben, indem ich mir selbst in den Kopf geschaut habe.

"Wenn man sich mit dem Gedanken vertraut macht, dass die Depression mindestens zum Teil eine evolutionäre Entgleisung ist wie Krebs, Diabetes, Kreislauferkrankungen in unterschiedlichem Grade auch, bewahrt man sich vor Enttäuschungen."

Nur eine Theorie von vielen. Ich halte sie für sehr wahrscheinlich, vielleicht mach' ich 's mir damit aber auch zu einfach und stelle es deshalb zur Diskussion.

Ein weiterer Gedanke ist, was ich alles von meinem (depressiven) Ich aufgeben muss.
Ich weiß, dass diese Schonung, von der Du redest, ebenfalls Gift für mich ist.
Je mehr Zeit vergeht, in der ich ohne Beschäftigung und Aufgaben bin, desto depressiver werde ich.
Jedesmal, wenn ich etwas aufschiebe oder jemandem absage, ebne ich der Depression den Weg.
Immer wenn ich einen Song höre, der mich berührt, sinkt mein Schutzwall gegen die Depression.
Es gibt Bücher die ich nicht lesen und Filme die ich nicht sehen kann, weil ich emotional so instabil bin.
Ich kann nicht wie andere, mal einen Tag lang einfach so vor mich hinträumen, meinen Gedanken nachhängen oder im Bett liegenbleiben.
Ich habe das Gefühl, dass ich immer aufmerksam sein muss, ob ein Gedanke depressiv oder philosophisch ist, damit er nicht meinen Verstand vernebelt und ich wieder abrutsche.
Und ich denke, Du hast Recht, mein Beitrag ist viel depressiver, als er philosophisch ist, deshalb hab eine kleine Bedienungsanleitung hinzugefügt.
Aber ich glaube die meisten von euch sind differenziert genug um trotz der Überdosis Melancholie zu verstehen, was dahintersteckt.
BeaU
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von BeaU »

Warum depressiv? Die Frage zu stellen, ist beim heutigen Kenntnisstand naiv.

Aber ich kenne einen, der es vielleicht in 10 Jahren weiß. Er promovierte in Würzburg über die biochemischen Grundlagen der Depression, machte in England einen Doktor in medizinischer Informatik, war jahrelang in den USA in der Forschung tätig und kam jetzt kurz zurück, um sich an der Uni Mainz mit einer Habilitation die Option auf den Professor zu sichern. Ein junger Kerl, so Mitte 30.

Aus diesem Holz sind die Leute geschnitzt, die dieser Geißel der Menschheit vielleicht den Garaus machen werden, er hält allerdings auch nichts von Esoterik etc. *lach*.

BeaU
Maria
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Maria »

Also mein Bruder ist auch Professor und zwar in USA an einer der renommiertesten Unis auf der Welt, ätschibätschi!
BeaU
Beiträge: 44
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von BeaU »

Liebe Anna,

ich danke Dir sehr für Deine Korrekturen zu meiner Kritik, ich habe bisher nur diesen einen Beitrag von Dir gelesen. Eine Überraschung für mich: Soweit sind wir gar nicht auseinander. Im Augenblick habe ich aber nicht die Zeit, näher darauf einzugehen, ich bin auch nur mittelbar betroffen. Vielleicht später einmal, aufmerksam gelesen habe ich Deine Antwort auf jeden Fall.

Aber ich denke mein zweiter Beitrag kann Mut machen: Es wird von hochbegabten Menschen an dieser Krankheit gearbeitet und zwar nicht nur in der Pharmaindustrie. Nur sollten die Leser in diesem Forum sich eines abschminken: Dass es allen Ärzten und Therapeuten um die Patienten geht (vielen ganz sicher, ich will niemandem das Ethos des Hippokratischen Eid absprechen). Wer in der Forschung ganz vorn ist, dem geht es wohl häufig nur um den Glanz eines Nobelpreises und das, was in den Lehrbüchern der nachfolgenden Generationen steht.

Womit wir ganz weit vom Thema abgekommen sind. Auch mein George hat einmal gedacht, in der Wissenschaft Karriere zu machen. Pustekuchen, die Depressionen haben alle berechtigten Hoffnungen zerschmettert.

Aber wir sind beide zufrieden, er war an der Börse ein As, soviel hätte er in der Wissenschaft nie verdient. Und ich bin froh, ihn losgeworden zu sein, das musste ich hier reinsetzen, gerade, weil er mitliest.
BeaU
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von BeaU »

Maria,

der war schwach! Ich habe nicht ohne Grund den vollen Namen in den Beitrag gesetzt. Aber wenn Dein Bruder auch Prof. in den USA ist: Vielleicht kennen die beiden sich?

BeaU
Poolshark
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Poolshark »

"Warum depressiv? Die Frage zu stellen, ist beim heutigen Kenntnisstand naiv."

Daran ist nichts naiv, das ist natürliche, angeborene Neugier auf das Warum.
Gäbe es diese Neugier nicht, dann gäbe es auch keine Forschung.
Naja, vermutlich sind auch die Millionen Erkrankten und die Aussicht auf enorme Gewinne aus pharmazeutischer Produktion ein ausreichender Anreiz.

Für Depression gibt es bislang noch keine zuverlässige Behandlung.
Nur 'n Haufen Chemie und viele unterschiedliche Therapiemöglichkeiten.
Soll ich etwa darauf warten, dass irgendein medizinischer Emporkömmling mit Nobelpreis-Ambitionen das nächste Medikament entwickelt oder setz ich mich ernsthaft mit mir auseinaner?
Ich weiß, ich werde nicht gesund ohne Hilfe, aber die "Stimulation" der eigenen regenerativen Fähigkeiten ist auf keinen Fall falsch.
Dass bei einem Depressiven die Gefahr besteht, bei der Suche nach dem Warum verloren zu gehen, ist eine andere Geschichte.
Gruß, AnnE.
cybolon
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von cybolon »

Hallo Ihr Lieben,

"Und das man sich als Depressiver oft "überlegen" fühlt, weil man denkt man hätte das Leben durchschaut ist eben auch ein Symptom."

@Anne:
Ich halte das nicht für ein Symptom. Allerdings haben wir beide ja auch eigentlich etwas anderes ausgesagt. Nämlich, dass es uns erschreckt, durch die neue Achtsamkeit, auch in die Gemüter anderer Menschen zu blicken. (Gar blicken zu müssen, denn es ist nicht zu übersehen.) Deswegen fühle ich mich aber nicht erhaben oder überlegen. Im Gegenteil, man erschrickt, weil man das auch noch mitnehmen muss, ob man will oder nicht.

@BeaU:
Die Evotution hätte ich in diesem Thread eigentlich nicht erwartet. Was Depression angeht, bin ich ein überzeugter Anti-Darwinist.

Danke für Deine Warnungen!
Ich denke, das hat Dir Anne bereits gut beantwortet. Trugschlüsse werden von uns Depressiven übrigens genauso 1.000 Mal "wiedergekäut", wie alle anderen Gedanken.
Will damit sagen: Wir passen bestimmt auf!

"Ein krankes Gehirn gewinnt keine Erkenntnis von irgendeiner Relevanz..."

Außerhalb der depressiven Phasen lerne ich im Moment mehr, als ich für die Fürherscheinprüfung oder irgendeine Klassenarbeit jemals gelernt habe.
Denn auch ich möchte nicht in der Depression für immer hängenbleiben.
Innerhalb der depressiven Phasen versuche ich, leider auch (noch?) oft vergeblich, dieses Wissen anzuwenden. Aber das Wissen ist vorhanden. Die Hoffnung ist dadurch zwar da aber nicht fühlbar. Wie hilfreich es ist, wenn dieses Fünkchen Hoffnung, die bessere Kenntnis der "Krankheit", vorhanden ist, brauche ich hier hoffentlich nicht darzulegen.

Schön, dass Du Goethe erwähnt hast!
Goethe, dessen krankes Gehirn, welches keine Erkenntnis von irgendeiner Relevanz gewann,
verfasste Weltliteratur damit.
Da darf ich ja jetzt bald hoffen.

Fazit für mich:
Außerhalb der depressiven Phasen lerne ich's.
Innerhalb der depressiven Phasen vergesse ich's?

cybolon
*der Mann mit den 2 Gehirnen*

P.S. Mir hilft schon manchmal etwas Gelerntes dabei, mich aus der "Grübelfalle" herauszuhalten.
cybolon
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von cybolon »

Edit: Romantik kann schön, kann aber auch traurig sein. Diese "Krankheit" ist eine ernste. Kein Widerspruch!
Aber wir, Anne und ich, bestehen nicht zu 100% nur aus Depression. Klaro?
Sie ist hoffentlich nur eine Eigenschaft unter vielen!
Wenn wir es auf diese Weise schaffen, zu beschreiben, wie wir uns damit fühlen, dann ist es in Ordnung. Eine beabsichtigte "Verniedlichung" der Depression ist auch meiner Meinung nach, trotz einer gewissen Romantik, hier nicht zu finden.
Maria
Beiträge: 609
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Maria »

der war schwach! Ich habe nicht ohne Grund den vollen Namen in den Beitrag gesetzt. Aber wenn Dein Bruder auch Prof. in den USA ist: Vielleicht kennen die beiden sich?

Hast du denn deine illustren Bekannten und Verwandten auch mal gefragt, ob sie gerne ihren Namen in einem Depri-Forum nachlesen wollen, wo die Bea und der George ihre Privatangelegenheiten ausbreiten? Findet es dein Mann oder Ex-Mann denn gut, was du hier so an hämischen Bemerkungen über ihn ablässt? Ich jedenfalls finde vieles in deinen Beiträgen wirklich unerträglich.

Ob mein Bruder wirklich Prof ist nicht - das kannst du glauben oder nicht.

Gruß von Maria
Clown
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Registriert: 8. Nov 2004, 18:22
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Clown »

Liebe Maria,

mir geht es wie dir, und ich suche noch nach einem Weg, damit umzugehen.

Wie geht es dir denn so?

Liebe Grüße ins Schwäbische!
Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
tomroerich
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von tomroerich »

Hi Bea,

ich war von 1994 bis 2000 krank. Seitdem gehts mir eigentlich ganz prima. Aber nicht nur das. Es geht mir irgendwie besser als vor der Krankhheit. Dieses "besser" zu quantifizieren oder zu definieren ist allerdings kaum möglich. Es hat damit zu tun, dass die Depression mich von einer Reihe von illusionären Vorstellungen befreit hat, die ich mir über das Leben und meine Person gemacht hatte. Sie zwang mich zu einem tiefen Nachdenken über mich selbst - während und hinterher. Durch sie kam eine neue Qualität in mein Leben und zwar dadurch, dass sie mir zeigte, was fehlt, wenn das Leben von einem weicht. Seitdem weiß ich z.B., dass ich bei jeder Wahrnehmung auch fühle. Selbst dann, wenn ich nur einen Bleistift anschaue. Ich weiß es, weil ich erlebt habe, dass dieses Komponente fehlte. Da war er ohne Sinn, der Bleistift und unterschied sich nicht mehr von einem Löffel, der ebenso sinnlos war.

Deshalb kann ich deiner Betrachtung nicht recht folgen, die sich für mich anhört, als könne man einfach Störungen im Gehirn haben von denen sich klar sagen lässt, dass sie eben solche sind. Bezugslos und isoliert vom wahrnehmenden Individuum wie eine Grippeinfektion. Das habe ich nun wirklich völlig anders erlebt. Es wird natürlich immer dieser Standpunkt sein, den tüchtige Menschen wie Dr.Teufel einnehmen. Welchen sollten sie auch sonst einnehmen? Nur eines wird er nie wissen können und auch keiner seiner Kollegen: Was Depression in meiner individuellen Welt bedeutet, was ich an ihr nützlich finde für mich, was sie ausdrückt und erklärt, zu welchen Gedanken und Leistungen sie hinführt. Dazu müsste er ich sein. Er kann nur eine künstliche Annahme darüber, was gesund ist, zu seinem Maßstab machen. Aber wann ein Patient meint, nun sei er gesund, darauf wird er wohl auch hören müssen.

Die Gefahr einer Verherrlichung der Depression besteht sicherlich nur bei denen, die sie nicht kennen, da habe ich wenig Sorge. Größer ist in meinen Augen die Gefahr, sie eben nicht als Teil des eigenen Existenz annehmen zu wollen und zu übersehen, dass sie Dinge heilen kann von denen man nicht einmal wusste, dass sie unheil sind.

Annes Tiefsinn gefällt mir. Er hat eine eigene Qualität, die ich verstehen kann. Eben das hat sich ja bei mir durch die Depression eingestellt. Nicht, dass die Depression das erzeugt hätte, sie hat es nur freigelegt. Er war verschüttet unter dem sog. normalen Leben. Was ist schon das normale Leben? Geld verdienen, Kinder kriegen, ein bischen Spaß und Leid und ne Kiste aus Holz. Interessant wird es erst, wenn man hinter das normale Leben geht aber dazu muss es wohl angehalten werden. Depression ist für mich sehr viel mehr als eine Störung, weil die Evolution gepfuscht hat. Sie ist Sehnsucht nach Antworten auf grundlegende Fragen, Trauer über etwas Ungelebtes, sie ist Suche. Sie zeigt, dass Mensch in einem fragilen Gleichgewicht lebt und dass es darunter sehr tief herunter geht. Aber auch darüber sehr hoch hinaus?



Thomas
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BeaU
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von BeaU »

@Horst: Du magst Anna? Ich fühle als Frau: Das ist kein Fehler!

@an alle: Dieser Thread fängt an, mich zu faszinieren. Auf Horst muss ich aber später einmal (vielleicht morgen) gesondert eingehen. Insbesondere freut mich, dass ich hier ohne Häme akzeptiert werde, auch wenn meine Position eine Außenseiterposition ist.

Liebe Anna,
„Soll ich etwa darauf warten, dass irgendein medizinischer Emporkömmling mit Nobelpreis-Ambitionen das nächste Medikament entwickelt oder setz ich mich ernsthaft mit mir auseinander?“
Ich finde den Ehrgeiz nicht verwerflich, zumindest haben diese Leute meist kein Privatleben, die Ehen gehen auseinander und am Schluss profitieren davon die Menschen, die ihre Depression im Sessel auskurieren. Verzeih mir den Spott, ich bin nun einmal so, er ist aber nicht gegen Dich gerichtet.
„Soll ich etwas darauf warten …“
Ja, unbedingt. Es wird Dir nach meiner Überzeugung kaum etwas anderes übrigbleiben. Meine Erfahrungen mit Depressionen bei meinem Mann gehen dahin, dass jede Art von Einsicht, Introspektive, Alternativer Medizin, Esoterik, Spiritualität, selbst Psychotherapie an einer schweren Depression wirkungslos abprallen (Prof. Glatzl, Depression, schon etwas angestaubt). Zu den beiden ersten Rubriken empfehle ich Richard Dawkins, habe ihn hier schon zweimal empfohlen, er ist meine Leib- und Magenlektüre neben – momentan - den Brüdern Karamasow.

Es ist ein Irrglaube, auch von Menschen die selbst an einer leichten Depression erkrankt sind, dass nur der Antrieb, die Emotionen und gewisse vegetative Körperfunktionen in einer schweren Depression betroffen sind: Es geht viel weiter: Die mentalen Fähigkeiten sind ebenso impaired. Mein Mann hat über drei Monate jeden Abend, wenn es ihm besser ging, geglaubt, der Höhepunkt sei überschritten und am nächsten Morgen war er wieder im Loch. Das geht dann hin bis zum depressiven Wahn, eine sehr hässliche Geschichte. Wie soll da noch irgendeine Einsicht umgesetzt werden?

Für mich ist es ganz klar: Sinnvoll kann nur sein, die Arbeitsgruppen in der Depressionsforschung zu verfolgen und wenn möglich auf den Zug aufzuspringen, wie es mein Mann bei Prof. Holsboer versucht hat. (In einer anderen Umgebung hat er das Ziel nur knapp verfehlt: Er wollte in die Versuchsgruppe von Prof. Bauer Freiburg (Schlafentzugstherapie) und es war schon alles Paletti, da fragte ihn der OA, ob er AD´s nähme und er sagte Ja. Und der grinste nur und sagte ihm, dass sie ihr Forschungsprojekt nur mit Patienten durchführten, die vorher keine Medikamente hatten). Nun ja, hinterher stellte es sich heraus, dass es ganz gut war, denn der Prof. hatte einen Prozess am Hals, weil ihm ein Patient ohne AD´s ins Jenseits entkommen war.

Liebe Anna, mein Mann und ich haben viel über Depression gelesen, mein Mann hat viele Psychiater bemüht und wir haben versucht, bestimmte Warnsignale in der Prodromalphase zu erkennen. Alles vergeblich! Mein Mann hatte 1994 bereits sieben Phasen, als er zu Prof. Faust kam.

Prof. Faust hat meinem Mann alle Kernerkenntnisse zur endogenen Depression mitgeteilt (Begriff ist heute anscheinend obsolet). Auffallend war dabei, dass die Phasen praktisch über Nacht begannen und am Morgen fast bis zum Vollbild ausgeprägt waren und zweimal auch über Nacht endeten. Wie kann man da eine Kausalität zu irgendeinem Ereignis oder Vorgang erkennen? Eine Plausibilitätsbetrachtung liefert auch, dass eine einfache Erkenntnis/ Lösung kaum existieren sein kann, wenn Leute von dem wissenschaftlichen Format eines Prof. Faust, der Tausende von Schwerkranken, die stationär im PLK Reichenau waren, analysiert hat, diese übersehen haben sollten.

Ihr dürft von mir keine Lobeshymne auf die Esoterik erwarten - und aufgrund dieser Logiklastigkeit kann ich einfach nicht glauben, dass es irgendwo in der Natur einfache Lösungen gibt, selbst etwas scheinbar so Einfaches wie das Dreikörperproblem lässt sich nur näherungsweise mit Computern lösen. Und schon die Wirkungsweise eines simplen AD überfordert unsere exakten Vorhersagen, weil die Randbedingungen, ja noch nicht einmal die Variablen, bekannt sind, ich habe irgendwo über die Wirkung des Sertralin bei meinem Mann geschrieben.

Liebe Anna: Du bist mir irgendwie sympathisch, Du argumentierst nach meiner Meinung vernünftig, das ist keine Überheblichkeit von mir, Dein Drang, etwas zu erkennen, ist eine intelligente Reaktion auf Deine Situation und doch würde ich Dir raten: Lies schöne Literatur, höre die Musik, die Du liebst (für mich ist es nur einer, Du kennst die Einteilung von Glen Gould: Bach – non Bach), gehe in die Natur und warte. Und wenn DU mich fragst, wie mein Mann von der Scheisse losgekommen ist: Ich weiß es nicht, vermute aber, es war das Lithium, weil er eine klassische endogene Depression hat, die gut auf Medikamente anspricht.

Ansonsten: Sport. Er hat sich heute eine Scheibenbremse in sein MTB einbauen lassen, weil er eine Reparatur hatte, die im Werk durchgeführt werden müsste, die Zeit hat er nicht: 360 € incl. Einbau, fast so teuer, wie bei einem PKW.

BeaU
BeaU
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von BeaU »

@Maria,

meinst DU, dass solche Leute hier lesen?

BeaU
cybolon
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von cybolon »

Hallo BeaU,

erst freust Du Dich, dass wir Dir ohne Häme hier begegnen, dann sowas:

"@Horst: Du magst Anna? Ich fühle als Frau: Das ist kein Fehler!"

Wie kommst Du dazu?

Persönlich kenne ich Anne nicht.
Aber, was sie schreibt!
Und das tut sie übrigens, so vermute ich einfach mal, mit ihren Händen, unter Zuhilfenahme eines, meiner Meinung nach gebildeten, rhetorisch sehr gut herangereiften Geistes, in einem, eventuell durch fehlerhaften Stoffwechsel zeitweilig beeinträchtigten, Gehirn.
Das erkenne ich übrigens, ohne jemals studiert zu haben und bin mächtig stolz darauf!

Ich fühle als Mann, dass Du mich provozieren willst!

Liebe Grüße
vom
cybolon
*der auch fasziniert ist*
Poolshark
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von Poolshark »

Die Antwort auf die Frage "Bin ich krank oder stimmt etwas in meinem Leben und mit meinen Ansichten nicht?" ist meiner Meinung nach:
Depression muss individuell behandelt werden.
Es gibt Leute wie Thomas die sagen:

"Es hat damit zu tun, dass die Depression mich von einer Reihe von illusionären Vorstellungen befreit hat, die ich mir über das Leben und meine Person gemacht hatte. Sie zwang mich zu einem tiefen Nachdenken über mich selbst - während und hinterher.

Jetzt kann natürlich jemand behaupten "Dann war er eben nicht wirklich krank.", aber bislang lässt sich Depression nur an subjektiver Erfahrung messen.

... als könne man einfach Störungen im Gehirn haben von denen sich klar sagen lässt, dass sie eben solche sind. Bezugslos und isoliert vom wahrnehmenden Individuum wie eine Grippeinfektion.

Eben. Ein Krebskranker hat einen Tumor. Ich habe infizierte Gedanken, schlechte Gefühle, die scheinbar aus dem Nichts auftauchen.
Es fällt mir schwer zu glauben, dass es dagegen eine allumfassende Behandlung gibt.
(Abgesehen von Amputation halsabwärts. -.-)

... doch würde ich Dir raten: Lies schöne Literatur, höre die Musik, die Du liebst.

Du hast selbst erwähnt, wie Du erlebt hast, dass selbst der einfache Vorgang des Lesens in einer depressiven Phase zum Problem wird.
Und das ist bei mir nicht anders.
Mein Lieblingssong klingt plötzlich profan.
Mein Lieblingsbuch langweilt mich.
Ich vergesse, worum es mir im Leben ging.

Was mir in so einer Phase hilft, ist zu wissen, dass die Stumpfheit des Geistes Teil einer Krankheit ist - ein Symptom, das vorrübergehen wird.
Und damit diese Gewissheit abrufbar ist, wenn Chaos herrscht im Kopf, muss ich mich damit auseinandersetzen.

Ich soll auf einen Arzt warten, der mich gesund macht?
Wenn ich von Depressionen geheilt werden will, muss ich an mir arbeiten, das ist eine der wenigen Gewissheiten, die mir meine Grübeleien und jahrelange depressive Praxis gebracht haben.
Natürlich brauche ich medizinische Hilfe, aber trotz aller Medikamente und Therapien bin ich mit meinen Gedanken allein und muss lernen damit umzugehen, denn sie werden nie ganz verschwinden.
BeaU
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von BeaU »

@Maria,

Was mir hier immer wieder auffällt: Die Antworten richten sich gegen die Person, nie gegen den Inhalt. Hast Du inhaltlich nichts zu sagen?
In der Physik misst man Größen üblicherweise mit kleineren Maßstäben. In der Psychologie ist ein Lehrsatz, dass man kleinere Intelligenzen gut einschätzen kann, größere aber nicht. Deshalb ist es ein Gebot der Vorsicht, bei nicht einzuschätzenden Intelligenzen eine defensive Haltung einzunehmen.

@Horst

Das war ganz einfach: Anne war mir sympathisch, Du auch. Beide seit ihr etwas esoteriklastig, warum sollte ich Euch also in meiner Phantasie nicht verbandeln?

@Clown
„mir geht es wie dir, und ich suche noch nach einem Weg, damit umzugehen“.

Such weiter, ich wage zu bezweifeln, dass Du ihn findest. Weißt Du, was eine Nullaussage ist? Nun, Du hast nicht Mathematik studiert.

Jetzt muss ich mich aber sputen, der Nachfolger von George kommt, er hält sich zumindest dafür, ich befürchte, über eine Nacht wird er nicht hinaus kommen.

BeaU
BeaU
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Re: Gedanken: Warum depressiv?

Beitrag von BeaU »

Der letzte Beitrag entstand mit 0,75 l Wein (Guntersblumer Steig Terrasse Riesling 2006 Kabinett), ich glaube der neue Mann wird mich schlafend vorfinden. Aber ins Bett will er mich ja so oder so haben.

BeaU
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