Gratwanderung: Leidensdruck aushalten od. Medikamente

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sabine

Gratwanderung: Leidensdruck aushalten od. Medikamente

Beitrag von sabine »

Hallo, mal wieder lebe ich mit allen bekannten Begleiterscheinungen einer Depression. Mal halte ich meinen Tag aus, mal nicht. Wenn nicht, muss ich nur allein sein und weinen. Von Lebensfreude keine Spur - nur aushalten. Alternativ könnte ich Tabletten einnehmen, von denen mir aber nicht versprochen werden kann, ob sie helfen. Habe das letzte Jahr nur Antidepressiva genommen. Gewirkt haben sie immer nur ca. 1/4 Jahr lang. Dann nahm ich andere Tabl. und es dauerte wieder ca 2-3 Wochen bis sich Wirkung zeigte. Jetzt nehme ich seit drei Wochen nichts ein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich nicht mehr kann. Fühle mich in einem Teufelskreis. Kann auch nicht zu meinem Arzt gehen. Offi
waltraut
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von waltraut »

Liebe Sabine, warum kannst du nicht zu deinem Arzt gehen? Wenn du dich so schlecht fühlst,ist Absetzen auf eigene Faust sehr riskant! Lieben Gruß Waltraut
ruth
Beiträge: 62
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von ruth »

Hallo Offi, kann dich so gut verstehen, aber gib nicht selber auf!! Denk immer ganz fest dran: Es geht vorbei!! Es wird besser!! Medikamente helfen auf jeden Fall die Brücke wieder schneller zu schlagen. Ruf deinen Arzt an oder geh zu einem anderen. Vor allen Dingen zieh dich nicht zurück! Tu was und wenn es nur! schreiben im Forum ist. herzlichen Gruß Rupa
chris37
Beiträge: 174
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von chris37 »

hallo, ich habe mich heute früh für zwei tage krankschreiben lassen, weil ich seit tagen herzrasen, schlaflosigkeit, aufruhr usw. spüre.dazu eine ganz miese laune bis hin zum stupor, kann stundenlang sitzen und starren. ausser, wenn ich hier schreibe. nun war der leidensdruck so gross, dass ich die ärztin aufsuchte. wir sprachen über die jetzige lage und wie sie noch im januar bis mitte februar war. also höhenflug und jetzt stufenweise absturz. das kenne ich von früher, entfuhr es mir in der praxis, ich beschrieb die leichten bis mittleren euphorischen phasen und den wechsel zur depression, wobei ich früher nicht so sehr litt unter der gedrückteren stimmung. jedenfalls, sie war in ihrem element und wollte mir schon lithium verschreiben, da sie mich mittlerweile als manisch-depressiv einstuft.(?) oder, sagte sie, es gäbe auch noch was anderes, vielleicht besseres in meinem fall, carbamazepin, ein antiliptikum. ich fiel fast vom stuhl, ein deutliches nein kam von mir, panik stieg hoch, ich lehnte es rundheraus ab. ich fragte sie, warum reden sie nicht mal mit mir, ich kann doch nicht ernsthaft diesen druck durch solche hammerpillen wegdrücken. nun, sie überzeugte mich soweit, dass ich mir eine schonfrist von zwei wochen erbat, in denen ich alles wissenswerte nachlesen möchte über die genannten medis. ich möchte hinzufügen, diese ärztin geniesst einen ausgezeichneten ruf und hat mich zu 100% gut betreut die letzten 15 monate. ich vertraue ihr also. ich bin ratlos. ganz zitterig seit tagen und verunsichert. nun, ich bin es mal losgeworden jetzt, aber eine tiefsitzende angst hat mich gepackt, ich weiss nicht, ob ich das machen soll mit den medis. ich frage mich, ist das wirklich der einzige weg jetzt, genauso gut könnte ich ja "abwarten", bis es von selbst besser wird und aushalten bis dahin. naja, das wird fast nicht möglich sein. meine sorge ist,dass nicht nur die dunkle phase aufgefangen wird, sondern auch die helle, intensive (schöne)abgeschwächt durch die genannten medis. keiner kann mir die entscheidung abnehmen, klar, aber mir vielleicht erfahrungen mitteilen. das wäre schön. besonders zum antiliptikum. einen lieben gruss an alle chris37
waltraut
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von waltraut »

Liebe Chris, Ruhe bewahren - Kein Grund zur Aufregung! Carbamazepin ist neben Lithium ein klassisches Mittel zur Prophylaxe bei Depressionen. Es gibt im Archiv einen thread "Carbamazepin",in dem sich auch Dr.Niedermeier dazu äußert. Es ist ursprünglich ein Mittel gegen Epilepsie und mehr oder weniger zufällig wurde entdeckt,daß es vorbeugend bei Depressionen wirkt.Mein Arzt hat es mir auch gerade angeboten. Ich habe gerade gestern geschrieben,wie das ablief: Da ich im Moment wieder Depressionssymptome habe,schlug er mir das Mittel,über das wir schon früher gesprochen haben,wieder vor. Ich sagte ihm,daß ich es (noch) nicht möchte. Bei einem AD habe ich die Kontrolle,ob und wieviel ich brauche,ein Prophylaktikum (heißt das so?) muß ich möglicherweise lebenslang nehmen,ohne zu wissen,ob es in einem Jahr z.B.überhaupt noch nötig ist. Stell dir vor,mein Arzt sagte"das versteh ich ja,aber ich wollte es Ihnen anbieten" und damit war das erst mal gegessen. Nun habe ich im Moment keinen so großen Leidensdruck wie du,ich weiß auch nicht,wie deine Diagnose genau lautet,aber für alle Fälle möchte ich dir auch die Angst vor dem "Hammer" nehmen. Ich habe eine chronische schwere Darmerkrankung,die zu mehreren Operationen geführt hat. Dazwischen bekam ich Cortison. Es gibt in Einzelfällen so etwas wie eine Cortisonabhängigkeit,d.h.immer wenn ich das Cortison absetzen wollte - wegen der starken Nebenwirkungen -,ging es wieder los. Ich nehme nun seit drei Jahren ein Medikament zur Vorbeugung,das sonst bei Krebs und MS eingesetzt wird. Ich war auch entsetzt,als mein Arzt mir das vorschlug. Aber ich hatte keine Wahl. Ich habe seit diesem Tag keinen Rückfall gehabt und habe keinerlei Nebenwirkungen.Alle paar Monate mache ich eine Blutuntersuchung,das ist alles. Liebe Chris,ich nehme jetzt fast 15 Jahre lang ADs (warum schon so lang,ist ein andres Thema und muß dich nicht schrecken), und ich kann dir versichern,ich habe in den letzten beiden Jahren Schöneres erlebt als in meinem ganzen Leben vorher. Ich kann Schönheit voll genießen und noch dazu viel bewußter. Hab keine Angst davor!! Es ist so viel bei dir aufgewühlt worden,es ist nicht verwunderlich,daß es dich rumhaut! Ganz lieben Gruß Waltraut
chris37
Beiträge: 174
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von chris37 »

liebe waltraut, da momentan die wasserleitung bei mir ständig defekt ist, habe ich wieder mal geweint. danke für deine informationen und deine lieben worte. es macht sinn, ja, ich erinnere mich jetzt, dass die ärztin sagte, jetzt und heute gibt es das medi nicht, sie stecken ja mittendrin in der depression/angstphase. ich bekomme sie frühestens dann, wenn diese beschwerden abgeklungen sind. sie sah es an meinem gesicht, als ich hereinkam, starr wie eine maske. ich nenne das in gedanken dann immer mein "nullgesicht". das verwunderliche für mich ist, dass ich hier im forum weit aus offener und tiefer grabe als während der bzw. den therapien. ich bin klein und schutzlos geworden wie seit langem nicht. viele gefühle mag ich nicht, ich möchte sie wieder loswerden. es dreht sich immer alles um verluste, immer wieder.... und deshalb meine zweifel an neuen medis. nun, wenn sie helfen können, werde ich es wohl versuchen. ich bin so traurig, ich fühle einen sturm von empfindungen, die alle ins nichts zielen. es ist auch die melancholische seite in mir, und, weisst du, ich hab solche angst, dieses zu verlieren. ich habe nicht viel mehr als das, die fähigkeit, viel und tief zu fühlen. es führt zu nichts. entschuldige meine abschweifungen. ich möchte dich umarmen und dir dank sagen. traurig chris37
inka
Beiträge: 285
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von inka »

liebe chris, du schreibst, die ärztin wollte dir lithium verschreiben? ich selber habe damit keine erfahrungen, aber grad gestern habe ich davon im fernsehen gehört. bei bio. da ging es um depressionen. und einer der gäste, ein regisseur (dessen namen ich vergessen habe) war depressiv und ihm hat lithium geholfen. er sagte er hätte es drei jahre lang genommen. wollte ich dir nur schreiben. das was er erzählte klang gut. liebe chris, viele grüße inka
waltraut
Beiträge: 926
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von waltraut »

Liebe Chris, ich kann (muß) dich noch mal beruhigen. Meine melancholische Seite ist voll da und ich fange gerade an,ihr ihren Platz in meinem Leben zuzugestehen... Gute Nacht! Waltraut
chris37
Beiträge: 174
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von chris37 »

liebe waltraut, das mache ich auch, es tut nur so weh... aber betäuben will ich mich auch nicht. ein teil von uns ist so, ich bin noch dabei, herauszufinden, was nicht zu mir gehört, was krank ist. es verwirrt mich alles. lieben gruss auch an inka chris37
Albert Keim
Beiträge: 346
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von Albert Keim »

Hallo Chris, Du äußerst Zweifel zur Prophylaxe mit Medikamenten. Ich kann da manches verstehen. Abgesehen von den Spätfolgen, Carbamazepin kann nach Jahren der regelmäßigen Einnahme auf die Leber gehen, hat sich für mich das auch grundsätzlich gestellt. Ich habe trotz meiner depressiven Zustände keine Medikamente genommen. Ich habe mich durchgearbeitet, das war ein langer mühsamer Weg. Aus dem Kompetenznetz-depression kommt dazu der Kommentar, ja das gibt es, sozusagen als Ausnahme, aber diese Aunnahme ist sehr lebendig. Eine Entscheidung für oder wider Medikamente ist eine sehr persönliche Entscheidung. Ich beneide niemanden darum, wünsche nur, das der/die Betreffende das sorgsam für sich abwägt. Ob solch eine Entscheidung richtig oder falsch ist, das ist die falsche Frage. Da müsste man fragen, Was kann ein Mensch vertragen? Ist er bereit, mit Medikamenten zu leben oder nimmt er die Mühsal des steinigen, steilen Weges über Höhen und Tiefen mit allen Gefahren auf sich? Ich will niemandem etwas vormachen, jeder muss seinen eigenen Weg finden. Alles Gute mit lieben Grüßen Albert
ruth
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von ruth »

Hallo, schalte mich hier auch mal kurz ein. Auch ich gehöre zu den Leuten die ohne Medis sich durchgebissen haben. Ich lehne sie absolut nicht ab und habe auch erlebt wie notwendig sie in gegebenem Fall sind. Habe selber viele Sorten ausprobiert, aber die Unsicherheiten und Ängste vor Nebenwirkungen und Spätfolgen waren für mich immer schlimmer als die Depression selbst. Bei jeder Sorte habe ich auch immer in vollem Umfang die Nebenwirkungen zu spüren gekriegt. (Vielleicht weil ich mich zu sehr darauf fixierte) Seit 6 Jahren geht es immer ein Stückchen Bergauf. (Zeitweise mit Therapie).Mühsam aber es geht. Gruß Ruth
heike56
Beiträge: 1126
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von heike56 »

Liebe Chris, die Entscheidung für Lithium ist sicher nicht einfach. Ich habe mich dagegen entschieden, weil das Trevilor mir hilft, und ich auch nicht manisch-depresssiv bin. Ich kann nur die Erfahrungen meines Arztes hier schildern. Er sagt, ganz viele Patienten denen Lithium geholfen hat, würde er nicht mehr sehen, weil sie nur noch zum Hausarzt zur Spiegelkontrolle gehen und das Thema Depression in ihrem Leben keine Rolle mehr spielt. Die Depression führt schon zu einer Tiefe im Empfinden und zu einer Nähe zu Menschen, wo ich auch Sorgen hätte, dass ich zu oberflächlich würde, wenn es ganz weg wäre. Aber vielleicht würde ich es dann nicht mehr vermissen. Andererseits wir sind ja geprägt durch unsere jahrelangen Erfahrung mit Depressionen und vielleicht bleiben die positiven Eigenschaften, die wir entwickelt haben, ja trotz Lithium erhalten. Liebe Chris, ich wünsche dir alles Gute! Einen ganz lieben Gruss Heike56
chris37
Beiträge: 174
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von chris37 »

albert, ruth, liebe heike, danke für eure offenheit, ganz besonders auch für kritische meldungen. alles hat ja zwei seiten. es ist genau das. da ich mich seit geraumer zeit sowieso nicht mehr gesund fühle, die kranke seele greift auf den körper über, ist meine angst vor spätschäden da, und sie ist realistisch. ich bin nun ganz behutsam mit meiner entscheidung, noch habe ich nichts entschieden. ich wäge noch ab, letztlich hängt es auch davon ab, wie lange dieser zustand jetzt anhält und ob ich noch etwas anderes finde, was mich über diese durststrecken bringen könnte. die verlockung aber, dass ich mich dauerhaft besser fühlen könnte, ist riesig. danke nochmal für eure antworten, es ist eine unglaubliche hilfe für mich. liebe grüsse chris37
inka
Beiträge: 285
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Beitrag von inka »

liebe heike, du schreibst: ..."wo ich auch Sorgen hätte, dass ich zu oberflächlich würde, wenn es ganz weg wäre..." das finde ich interessant, weil es mir im moment so geht. ich gehe manchmal mit einer leichtigkeit an menschen heran, die mir lange zeit unbekannt war. hinterher erschrecke ich mich, weil ich bemerke wie leicht es war. ein smalltalk zum beispiel. wie leicht und auch wie oberflächlich. zu anfang habe ich mich dann über mich gewundert oder sogar geärgert und angst bekommen. wie konnte ich nur so obeflächlich sein? und jetzt? ich finde es nicht schlimm. im gegenteil. ich glaube das ist leben. mache beziehungen sind eben einfach nur leicht und oberflächlich. für den moment sozusagen. andere dafür tiefer. inka
sam
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Beitrag von sam »

Hi Heike und Inka, ich führe, wenn ich mein Medi nehme, alle möglichen Gespräche, zum Glück auch oberflächliche. In der Depression ist mir das unmöglich, aber ich merke, wie gut es mir tut, das auch zu können und zu mögen. Die Fähigkeit zur "Tiefe" geht mir sicher nie wieder verloren. Ich denke, jeder Mensch, der eine große Krise erlebt hat, entwickelt sie. Man kann einfach den Schmerz anderer im wahrsten Sinne des Wortes nachfühlen, aber andererseits auch wieder unbeschwerte Kontakte haben, weil durch die teils oder völlig überwundene schlimme Zeit auch die Hoffnung größer geworden ist, so etwas zu überwinden. LG Sam
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