agent provokateur ?

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Rheinwind
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Registriert: 7. Jun 2007, 11:16

agent provokateur ?

Beitrag von Rheinwind »

Durch Gespräche mit Therapeuten und meine Aufenthalte in diversen psychosomatischen Kliniken habe ich etliche (für mich zum Teil unbekannte) Probleme kennengelernt. Mein Eindruck ist, daß der arbeitslose Jugendliche ohne Abschluß und Perspektive, der arbeitsmäßig Überforderte gleich welchen Alters, der von Mobbing Zermürbte, der vom Arbeitgeber Gedrungene, der von Prüfungsstress Verängstigte, der von der Zukunft Irritierte, der vom Eheleben Frustierte und Enttäuschte, der durch sein Elterhaus Verunsicherte und der durch ein Sexualdelikt Erniedrigte und Verstörte überhaupt keiner Medikamente bedarf. Er benötigt in den meisten Fällen (natürlich nicht allen) "lediglich" Jemanden, der ihn an die Hand nimmt und ihm einen für ihn spezifisch guten Weg aufzeigt. Mich würde einmal interessieren, wie ihr die Sache seht; klar gibt es Fälle, in denen die Medizin die Therapie ergänzen kann und zur Abwendung von Kritik für die weiblichen Leser, bitte "der" durch "die" ersetzen.
Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg, (1742 - 1799), deutscher Physiker und Meister des Aphorismus

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flocke
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: agent provokateur ?

Beitrag von flocke »

manchmal ist man aber so belasstet dass man medis zur unterstützung braucht um überhaupt min der lage zu sein jemanden an die hand zu nehmen oder jemanden die eigene hand nehmen zu lassen...

flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
Sonnensucherin
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Registriert: 11. Apr 2006, 13:28

Re: agent provokateur ?

Beitrag von Sonnensucherin »

hallo Provokateur....

natürlich ist das ziemlich herausfordernd, was Du darstellst. Und zweimal habe ich mir das durchgelesen.

Die Situationen (es sind ja nur einige Lebenssituationen) sind doch schon schwerwiegend genug. Sicherlich hast Du in anderen Threads schon gelesen, das ausgerechnet die meisten nahestehenden Verwandten und Bekannten nicht mit den Sorgen, Nöten, Krankheiten umgehen können.

Woher will man also diese Hand haben, wenn die Birne zu ist mit Gedanken, ob man diesen Tag überlebt, ob man die nächste Zeit überhaupt noch aus dem Bett will, wann man sich waschen muß, hat es überhaupt noch Zweck die Zähne zu putzen und sich zu kämmen?

Meinst Du wirklich, in einem solchen erbärmlichen Zustand reicht eine Hand?

Liebe Grüße
Sonnensucherin
Anita2
Beiträge: 408
Registriert: 4. Nov 2006, 19:39

Re: agent provokateur ?

Beitrag von Anita2 »

Hallo schwarzer Peter,
ich denke die Sache ist komplexer.
Ich habe gelesen, und bei mir trifft es auch zu, dass eine reaktive Depression gut durch Therapien und ohne Medikamente zu behandeln ist. Ja in solchen Fällen kann eine Medikation sogar hinderlich sein.

Im Gegensatz dazu ist eine Bi-Polare Depression wohl in erster Linie durch Medikamente zu behandeln und eine Therapie kann Unterstützend hinzu genommen werden.
Dies gilt wohl grundsätzlich, ich denke aber auch, es kommt auf jede einzelne Person an und in welchem Zustand diese Person sich befindet.
Ich denke, wenn mehrere Diagnosen, Sachverhalte zusammen kommen ist die Behandlung eben auch schwieriger. Ich will sagen, der Auslöser spielt eine Entscheidende Rolle und wenn zum Beispiel noch eine Sucht hinzu kommt verändert dies die ganze Situation.
Ich bin keine Fachkraft auf diesem Gebiet, nur sind dies meine Gedanken zu Deiner Darstellung bzw. Frage.

Wenn mehrere organische Erkrankungen zusammen kommen, kann es auch sein das die Medikation zu einer Erkrankung nicht optimal durchgeführt werden kann, da die Medikamente die andere Erkrankung noch verstärken können. Da müssen dann Kompromisse gefunden werden.
Viele haben ähnliche Symptome und trotzdem andere Auslöser und ich denke so unterschiedlich wie die Menschen im einzelnen sind, so unterschiedlich können auch die wirksamen Behandlungsformen aussehen.
Liebe Grüße
Anita
Rheinwind
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Registriert: 7. Jun 2007, 11:16

Re: agent provokateur ?

Beitrag von Rheinwind »

Sorry, natürlich ist gerade eine Erkrankung der Seele äußerst komplex und auch abhängig von der jeweiligen Person und dem Umfeld. Dennoch zur Information ein paar verkürzte Beispiele aus meinen Tagesklinikzeiten:

1. Ein Pfarrer (bipolar)
Die Medikation hat ihm letztlich nicht
geholfen, sondern eine Selbsthilfegruppe
wo er sich mit Leuten gleicher
Krankheit austauschen kann.
2. P.S. (w., jung, ohne Arbeit, Drogen)
Medikamente ohne Erfolg. Hier wurde ein
Sozialarbeiter benötigt.
3. Weiblich (Arbeits- und Eheprobleme)
Tavor, Trevilor...NICHTS. Dank einem
sozialen Dienst wohnt sie heute wieder
glücklich mit ihrem Mann zusammen und
hat Kraft für die Arbeitssuche.
4. Heike H. (Morbis C. u.a.)
Medikation überflüssig. Sie wurde mehr
oder weniger gegen ihren Willen in die
volle Rente geschickt. Medikamente hat
sie einfach nicht genommen; dank ihrer
Freunde hat sie jetzt ein paar kleine
Jobs, die ihr Freude machen.
5. Ute (Schwere Depression)
Medikamente haben nicht angeschlagen;
jetzt volle Rente und sie kann ihrem
Mann helfen und ihre Hobbys pflegen.
6. N.N. ("über"-intelligent)
Medis hat er weggeworfen; jetzt recht
zufrieden dank einer WG mit Stundenten
gleicher Problematik.
7. EGO (55, Schwere Depression/Herzinfarkt)
Ich brauche keine Pillen, ich brauche
Zeit/Rente. Nur ein Leben und ich möchte
schreiben, malen, Musik hören...

Trotz nur zwei Klinikaufenthalten könnte ich diese Beispiele (fast) endlos fortsetzen.
Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg, (1742 - 1799), deutscher Physiker und Meister des Aphorismus

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balduin.cruchot
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Registriert: 26. Apr 2005, 21:24

Re: agent provokateur ?

Beitrag von balduin.cruchot »

Du willst ja provozieren, deswegen versuche ich, nicht stinkesauer zu werden bei dieser Mail, die doch im Grunde nur ein weiteres Mal sagt: Depression gibt's eigentlich gar nicht, reißt Euch doch einfach mal zusammen, sucht Euch ein Hobby oder ein paar Freunde (vielleicht hilft Euch ein Sozialarbeiter dabei).
Du zählst viele Beispiele auf, für die das MÖGLICHERWEISE auch stimmt (das können wahrscheinlich weder Du noch ich beurteilen). Ich will nur ein einziges Gegenbeispiel nennen, das ich dafür aber ziemlich gut beurteilen kann Bei mir kam die Depri nämlich nicht durch Arbeitslosigkeit, Rente, Drogenmissbrauch etc. SIE WAR EINFACH DA. Ich war auch nicht traurig darüber, dass mein Mann mich verlassen hat, oder dass mein Kanarienvogel gestorben ist. Ich wusste nicht, warum ich so traurig war, und das war das Allerschlimmste. Ich habe mich durch 2 Psychotherapien hindurchgequält und mein ganzes Leben auseinander- und wieder zusammengeredet, mit dem Effekt, dass beide Psychologen sagten: Bei Ihnen ist einfach die biologische Komponente so stark, dass Sie Ihr Leben lang Medikamente nehmen werden müssen (das sagten sie allerdings erst am Ende der Therapie, als sie ihr Geld mit mir verdient hatten) Ich habe die Medis 2mal aus medizinischen Gründen absetzen müssen, und beide Male kam die Depri genauso so schrecklich wieder, und genauso grund- und sinnlos.
Schön, wenn Du es ohne Medis packst. Aber schließe daraus nicht, dass alle anderen das auch packen müssen.
Anke
kerry
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Registriert: 3. Nov 2006, 20:44

Re: agent provokateur ?

Beitrag von kerry »

Schenke jeden Tag ein Lächeln

und Du wirst Glücklich sein..
Regenwolke
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Registriert: 15. Apr 2006, 12:46

Re: agent provokateur ?

Beitrag von Regenwolke »

Huhu Rheinwind-Provokateur ,

daß Gesundung in jedem Fall durch pragmatische Lösungen und ohne Medis funktioniert, halte ich auch für eine Wunschvorstellung.

Aber ich glaub schon, daß da was dran ist, daß sie bei vielen dann Eintritt, wenn sie einen Weg gefunden haben, ihr Leben wieder lebenswert zu machen. Manchmal helfen Medis dabei, manchmal nicht.

Einen interessanten Artikel gab es in der "Psychologie Heute" von September. Es geht dort um die sogenannte "Recovery-Bewegung", die von den USA aus langsam hierher überschwappt. Im Unterschied zur klassischen Psychiatrie vermeidet sie pessimistische Krankheitsprognosen und geht davon aus, daß Genesung für alle psychisch kranken Menschen möglich ist. Zentral sind dabei
- die Hoffnung (in Krisenzeiten v.a. des Umfeldes und der Behandler), daß Zufriedenheit und Lebensqualität wieder erlangt werden können,
- das Gefühl, Einfluss auf seine Erkrankung und Lebenssituation zu haben
- sowie Sinnhaftigkeit bzw. das Gefühl, gebraucht zu werden.

Ich setz mal ein Zitat aus dem Artikel hier rein. Da gehts zwar um Schizophrenie, aber ich finds trotzdem interessant:

"So sind etwa die Verläufe [der Schizophrenie] in vielen Regionen der Entwicklungsländer deutlich besser als in Industrienationen. Das hochkomplexe und teure westliche Behandlungssystem führt nicht einmal annähernd zu ähnlich guten Gesundungsraten, wie es die Umstände in Entwicklungsländern offensichtlich vermögen. Eine bessere familiäre Einbindung wird als mögliche Ursache ... diskutiert. ...
Der amerikanische Psychiatrieprofessor Richard Warner... [fand] wider Erwarten ... keine besseren Gesundungsraten durch die Einführung der Neuroleptika in den 1950er Jahren. Stattdessen zeigte sich ein Zusammenhang zwischen geringen Gesundungsraten und schlechter wirtschaftlicher Situation: Eine hohe Arbeitslosigkeit unter psychisch kranken Menschen scheint die Genesungsraten zu reduzieren."

Daraus jetzt abzuleiten, daß Medikamente verzichtbar sind, wäre wohl ein Fehlschluss. Auf der anderen Seite zeigt es, daß es neben Medikamenten und Psychotherapie andere Faktoren gibt, die einen wesentlichen Einfluß auf den Krankheitsverlauf haben, und daß man gut daran tut, diese Faktoren zu stärken. Bei deinen oben genannten Beispielen ist das offensichtlich gelungen.

Lieben Gruß,
Regenwolke
triste
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Registriert: 22. Jun 2003, 16:38

Re: agent provokateur ?

Beitrag von triste »

Hallo Schwarzer Peter,

Die These, die Du aufstellst, wird immer gerne wieder diskutiert. Von Menschen, die entweder schlechte Erfahrungen mit Psychopharmaka gemacht haben oder von Menschen, die nie welche genommen haben. Oder - und das ist meine These - von Menschen, die eine (verborgene) Abwehr haben, ihren Zustand der Depression zu verlassen (denn der bietet u.a. auch Schutz!).

Meine Erfahrungen, die sich aus ca.8 eigenen AD-Versuchen und einem mehrjährigen Kampf mit der Depression sowie vielen vielen Gesprächen mit anderen Depressiven speisen, ist folgende:
Wer eine Depression als so quälend erfährt, dass er über einen längeren Zeitraum nicht mehr lebensfähig ist bzw. wiederholt von Suizidgedanken heimgesucht wird, der würde alles einnehmen, was diesen selbstzerstörerischen und unerträglichen Zustand ändert. Der erträgt die anfänglichen Nebenwirkungen, dem sind eventuelle, spätere gesundheitl. Folgen der Medikation ebenso wie akute (z.B. Gewichtszunahme, Libidostörung, etc.) EGAL. Einfach deshalb, weil alles besser ist, als den Zustand der Depression weiter ertragen zu müssen.
Diese Haltung ist NICHT, wie oft von Anhängern Deiner These postuliert, ein Zeichen von Schwäche, sondern im Gegenteil ein Zeichen für einen letzten Rest von Überlebenswillen.

Ich habe in meiner langjährigen Depressionserfahrung erlebt, dass überzeugte AD-Gegner immer diejenigen unter den Betroffenen waren, die eben irgendwie mit ihrere Erkrankung noch halbwegs aktionsfähig waren.
Diejenigen unter uns, die es nicht mehr geschafft haben, zu essen, sich zu waschen oder das Haus zu verlassen können sich einfach den Luxus solcher von Dir o.g. Überlegungen gar nicht mehr leisten, bzw., sind dazu schlichtweg nicht mehr in der Lage.

AD sind heute noch lange keine optimalen Medikamente. Das weiß jeder, der die Bedeutung des Wortes 'Nebenwirkung' selbst erfahren musste.
Aber doch helfen sie in vielen Fällen, Depressive wieder lebensfähig zu machen und verhindern den Suizid.

Ich akzeptiere es, wenn jemand für sich entscheidet, keine Psychopharmaka zu nehmen. Aber ich wehre mich entschieden, wenn von AD-Gegnern der Eindruck erweckt wird, dass diejenigen, die sie nehmen, nur zu schwach oder zu einsam oder zu arbeitslos waren, um ihr Leben auf die Reihe zu bekommen.
Das halte ich für nicht förderlich im Sinne einer Aufklärung über die Depression.
Ohne Dir nahetreten zu wollen: Was ist deine Intention hinter der Frage, die Du in deinem Anfangsposting stellst?
Denn die von Dir aufgezeigte Lösung für die verschiedenen individuellen Probleme ist doch wohl klar und bekannt:
Zuwendung, Gesellschaft von anderen, Liebe, Freundschaft, Miteinander.... das alles fehlt vielen unserer Mitmenschen und ist - so meine Meinung- zum Teil mitverantwortlich für den Anstieg von Depressionen.
Es als Allheilmittel (und noch dazu als einziges) für Depressionen zu sehen, ist aber doch zu kurz gedacht.

Die Heilung dieser schweren Erkrankung besteht aus vielen sich gegenseitig bedingenden Einzelfaktoren.
Medikamente sind nur ein Teil davon.

Gruß,
Virginia
Emriye2
Beiträge: 814
Registriert: 12. Sep 2005, 08:45

Re: agent provokateur ?

Beitrag von Emriye2 »

Liebe Virginia,

wow, wiedermal klasse Beitrag!!! Genau so sehe ich es auch....

Dir liebe Grüße

emriye
findulin
Beiträge: 191
Registriert: 13. Mai 2006, 12:33

Re: agent provokateur ?

Beitrag von findulin »

Hallo,
Klasse geschrieben Virginia.
Bei mir brach die Depression aus, als ich alles hatte,eine sichere Arbeit,einen lieben Mann,zwei Kinder,einen Freundeskreis und was dann,dann brach ein Trauma wieder auf!!!.Es gibt einfach zu viele Faktoren die etwas beeinflussen,und manchmal ist es nützlich im Leben etwas zu ändern,aber man muß die Kraft dazu haben,sich dem zu stellen.Und das geht nicht wenn man den ganzen Tag grübelt.
Lange genug habe ich mich geweigert,Medikamente zu nehmen.Erst als meine Welt vom Zusammenbruch bedroht war,habe ich gedacht,jetzt hast du eh nichts mehr zu verlieren,dann tu es mal und trotz Nebenwirkungen,war es der richtige Weg.
Hurra ich lebe noch,und noch viel besser ich kann mein Leben gestalten und genießen.
Das passt aber leider nun gar nicht zu deiner Theorie.

LG
Kathrin
Cookie
Beiträge: 290
Registriert: 26. Jun 2006, 17:55

Re: agent provokateur ?

Beitrag von Cookie »

Hallo Schwarzer Peter,
sag mal, woher weißt du denn, ob die Einnahme der Medis deinen Klinikkollegen nicht dabei geholfen hat, sich überhaupt helfen lassen zu können, von Sozialarbeiter, Freunden usw.? Dass sie durch die Einnahme von Medis vielleicht erst in der Lage waren, ihre Lebensumstände positiv zu verändern? Bist du Arzt? Oder Gott? Hellseher vielleicht?
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