Hilfe,mein Mann...

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waltraut
Beiträge: 926
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von waltraut »

Liebe Sigrid, ich antworte dir hier auf dein letztes posting unter "Antidepressiva". Mit der Gummiwand hast du es leider genau getroffen. Es dringt nicht durch. Ich will versuchen,dir als Betroffene zu schildern,was während der schlimmsten Zeit im Depressiven vorgeht. Es fing an mit Gefühlen der Unlust,der Gereiztheit,dann kamen sehr bald extreme Minderwertigkeitskomplexe,Versagensängste,schließlich wurde ich immer leerer und gefühlloser. Meine Gedanken kreisten nur noch um mich,die Sinnlosigkeit meines Lebens, Schuldgefühle, Verzweiflung,der Wunsch mich zu verkriechen,aufzulösen und am liebsten nicht mehr da zu sein. Jeder Versuch,an mich heranzukommen,war vergebens. Ich zog mich nicht nur selbst zurück,ich fühlte mich auch in mir eingesperrt,wie unter einer Glasglocke,nichts konnte mich freuen,ja wenn etwas schön war,vertiefte das meine Verzweiflung,weil ich es zwar sah,aber nicht in mich einlassen konnte. Ich sah,was geschah,aber es konnte mich nicht berühren,die Tatsache,daß alle unter mir litten,vor allem mein Mann,bestätigte mir meine Wertlosigkeit!!! Ich hab dann allerdings professionelle Hilfe gesucht und nach langen Jahren geht es mir jetzt ziemlich gut. Ich habe mir seitdem viele Gedanken gemacht darüber,was ich meinen Angehörigen zugemutet habe. Wenn du willst,findest du hier unter Angehörige,z.B. im thread "Vom Ex-freund betrogen.." eine Menge darüber. Dein Problem wird natürlich total verschärft dadurch,daß dein Mann nicht akzeptiert,daß er krank ist. Laß dir doch von Thomas die Broschüre schicken,in der sehr sachlich der ganze Komplex beschrieben wird. Vielleicht liest sie ja dein Mann,wenn du sie rumliegen läßt? In jedem Fall darfst du nicht dich selber mit hinunterziehen lassen,d.h.es ist absolut richtig,wenn du auf Distanz gehst. Ich halte es auch für möglich,daß das deinen Mann zur Besinnung bringt,daß er begreift,daß er etwas tun muß. Ich will dir gern weitere Fragen beantworten,wenn ich kann und wünsche dir viel Kraft. Alles Liebe Waltraut
tiger
Beiträge: 63
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von tiger »

Liebe Sigrid, kauf die bitte das Buch "Wenn der Mensch, den du liebst, depressiv ist". Es ist für Angehörige. Mir hat es sehr viel geholfen. Informiere dich gut im Forum und durch andere Informationen. Es schützt dich selber vor einer Depression und hilft das euere Kommunikation nicht ganz zum Erliegen kommt. Ich würde erst mal auf Distanz gehen und das nötige Wissen nachholen. Die Stimmung des Partners prüfen und bei einer guten Stimmung ein sanftes klärendes Gespräch suchen, wo Ihr offen euren neuen Bedürfnisse darlegt. Vielleicht kann ein Team entstehen, das konstruktiv gegen die Depression ankämpft. Es wäre für euch beide, die schönste Form, die schwierige Zeit zu durchlaufen. Es ist jedoch sehr schwer. Du kannst Deinen Mann nicht gesund machen und du musst deine Erwartungen sehr tief anlegen. Es liegen viele Rückschläge vor dir. Mach dir ein Bild zuvor davon. Du kannst nichts planen und auch nicht spontan auf deinen Mann zugehen. Deine Kommunikation muss ganz vorsichtig werden. Depressiv Leute sehen alles mit der schwarzen Brille. Finde heraus, welche Art von Depression er hat. Indem oben genannten Buch sind Zeitangaben darin. Es hilft dir. Aber er wird gesund und es kann wieder alles gut werden. Es kostet viel Energie und Geduld. Gruß tiger
Sigrid Delvoye
Beiträge: 14
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von Sigrid Delvoye »

Hallo Tiger, Hallo Waltraut, danke für Euren Beitrag. Ich muß vielleicht ein wenig ausholen. Die erste Diagnose meines Mannes (außer körperlichen Beschwerden) war Hirnleistungsdefizit. Also habe ich mich informiert zu allem bezüglich Alzheimer. Da die Krankheit aber seit Jahren nicht dem Bereich Alzheimer entspricht/verläuft und die Krankheitsbeschreibungen sich zu einem hohen Prozentsatz überlappen und Depression auch im Alzheimer Krankheitsbild eine große Rolle spielt und weil es in der Familie meines Mannes väterlichseits Depression und Suizid häufiger gibt, bin ich seit einigen Monaten der festen Überzeugung, daß die Depression zu 95 % meinen Ehemann beeinträchtigt. Da aber die Hirnleistungsschwäche als Diagnose steht, habe ich bei vielen (sehr erfolgreichen Versuchen) ihn zu stützen einfach zu viel auf diesen Bereich geschoben und hingenommen. Damit ist der (glaube ich jedenfalls) nun entstandene Teufelskreis gefestigt worden. Meine Nerven sind wie ein Seidenfaden - es kommt immer öfters vor, daß ich ihn anschreie - und ich überlege oft - bei aller Liebe - wo bleibt mein Leben? Ich habe auch nur vielleicht 70 Jahre und kann nur jetzt leben. Und ich schwanke zwischen Liebe, Mitgefühl, Verantwortung und Wut. Und zum Schluß überwiegt immer Liebe und Mitgefühl. Aber das hat mich ja in diesen Teufelskreis gebracht, in dem der Kranke Macht über mich und mein Leben ausübt und mein Leben zerstört. Ich habe seit Monaten nicht mehr gelacht und mich des Lebens gefreut. Seit Wochen habe ich Weinkrämpfe bei den kleinsten Anlässen und bin in der Zwischenzeit auch keine Freude mehr für meine Tochter (27 Jahren) oder für Freunde. Dies ist doch alles zerstörerisch für meinen Mann und die Familie. Gestern war er so depressiv - ganzer Tag im Bett - geweint usw., daß ich aus Angst (es kommt eine erneute Katastrophe) den Arzt gerufen habe. Der hat meinen Mann angesprochen auf einen Klinikaufenthalt. Hat er kategorisch und energisch abgelehnt. Der Arzt hat wegen der deutlich geäußerten Selbstmordgefahr geäußert, es wäre eventuell eine Zwangseinweisung möglich. Doch dies möchte ich nicht - ich weiss nicht, was dies für meinen Mann für Konsequenzen hat - und ob er mir nach Klinikaufenthalt dafür nicht die Hölle heiß macht. Ich weiß in der Zwischenzeit nicht mehr - was ist normal - wie lange kann und will ich dieses Leben noch führen. Bei allem was schon passiert ist müßte ich ihn schon lange vor die Tür gesetzt haben - aber aller Logik zum Trotz - ich liebe ihn und will für ihn da sein und ihm helfen. Aber ich kann so nicht mehr weitermachen. Für mich ist auch sehr schlimm, daß ich auch meinem Mann nicht mehr trauen kann. Ich habe ihn schon oft beim Lügen ertappt. Er zieht sich in eine Welt zurück mit der er Leben kann, die er sicher auch als Gerüst braucht um existieren zu können, da er sehr wohl merkt, daß er nicht mehr leistungsfähig ist und mit diesen kleinen oder großen Lügen rechtfertigt er seinen Zustand. Wie das alles einzuordnen ist - ich kann es nicht mehr - ich sehe nur: er leidet unendlich. Was sich daraus für Fragen an Euch ergeben können weiß ich auch nicht. Aber vielleicht erkennt irgend jemand etwas und kann mir die Augen öffnen, denn irgend etwas habe ich offensichtlich in den vielen Jahren nicht gesehen/erkannt. Ich mühe mich seit Jahren um Informationen aber es ist ein Punkt angekommen an dem es nicht mehr weiterzugehen scheint. Herzliche Grüße Sigrid
waltraut
Beiträge: 926
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Beitrag von waltraut »

Liebe Sigrid, das klingt wirklich schlimm. Ich nehme an,daß dein Mann zur Zeit nicht arbeitet? Du hast mit Liebe und Verständnis nicht erreichen können,daß er die Notwendigkeit,Hilfe zu holen,einsieht.Ich wüßte bei bestem Willen nicht,wo du etwas übersehen hast. Und da es so nicht weiter geht,für euch alle nicht,mußt du wohl einen anderen Kurs versuchen. Du hast erwähnt,daß du einen guten Hausarzt hast. Mein Vorschlag ist,daß du dich mit ihm und dem Nervenarzt berätst und dann deinen Mann vor die Alternative stellst,sich behandeln zu lassen bzw.freiwillig in eine Klinik zu gehen oder du läßt ihn allein. Ich bin mir voll bewußt,daß dir das unendlich schwer fallen würde,aber es besteht die kleine Chance,daß er genug erschrickt,um einen ersten Schritt in die richtige Richtung zu tun. Ich habe an mir beobachtet,daß ich einen schlechten Zustand in Gegenwart meines Mannes eher aufrechterhalten habe (unbewußt natürlich!) als wenn ich auf mich allein gestellt war (wenn er weg mußte z.B.). Als Depressiver sucht man ja Halt,und so lang der immer noch da ist,hat man unter Umständen nicht genug Motivation selbst aufzustehen. Ich denke,es ist ähnlich wie beim Alkoholiker. In beiden Fällen handelt es sich um eine sehr schwere lebensgefährliche Krankheit,aber in beiden Fällen hat nur der Kranke selbst den Schlüssel zu seiner Heilung in der Hand. Er muß - notfalls durch Härte - dazu gebracht werden,ihn zu benutzen. Aber sprich erst noch mit seinen Ärzten darüber. Wenn es dir zu gefährlich vorkommt,ihn sich selbst zu überlassen,dann bleibt dir die Alternative der Zwangseinweisung, ganz egal was er später mal dazu sagt.Wobei ich sicher bin,daß er dir einmal dankbar dafür sein wird! Es geht jetzt um euer beider Leben. Ich hoffe für euch, Waltraut
tiger
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Beitrag von tiger »

Hallo Sigrid, ich verstehe dich ja. Du hast eine lange schöne Zeit mit Ihm verbracht hast und aus Frau in natürlich Nähe geben willst. Es ist Zeit vergangen und eine schwierige Phase ist bei euch schon lange. Dein Mann hat eine Krankheit, die für alle Beteilligten eine große seelische Last darstellt. Man ist nur begrenzt für den anderen verantwortlich. Dein Körper und deine Seele schicken dir eindeutige Zeichen. Du solltest reagieren. Vielleicht suchst du selber auch für dich eine Betreuerin. Es wäre nicht schlecht. Ich schließe mich Waltraut an. Es sind Fachleute gefragt und ohne externe Hilfe, wird ein großes Leid in eurer Familie entstehen. Unsere Oma ist jetzt 90, wir haben Sie seit 2 Jahren in ein Pflegeheim gegeben. Dafor haben wir Sie 5 Jahre gepflegt. Die Last war groß genung. Besuche sind auch schön und können viel Nähe geben. Vor Ratschläge will ich mich lieber drücken. Es sollen andere machen. Gruß tiger
Sigrid Delvoye
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Beitrag von Sigrid Delvoye »

Hallo Tiger, hallo Waltraut, euere Nachricht hat mich tief getroffen. Erst habe ich unkontrolliert geheult. Aber es ist wohl so, daß diese Reaktion so heftig war, weil es Kernaussagen sind, die ich für mich langsam annehmen muß. Den ersten Schritt, Besprechung mit dem Hausarzt, habe ich heute vor mir. Die anderen möglichen Schritte muß ich erst für mich verarbeiten und akzeptieren können. Dafür brauche ich noch Zeit. Allgemein will ich mich bei allen, die mir seither eine Nachricht zukommen ließen, herzlich bedanken. Es ist schön, daß es Menschen gibt, die voll und ganz mitfühlen können. Da diese Krankheit sich fast 100 % nur in der Familie bzw. Partnerschaft abspielt und auch der Kranke nach außen hin nur "Normal", sanft, freundlich etc. erlebt wird und sich auch so darstellt, weiß nur jemand, der diese Krankheit, egal aus welcher Perspektive miterlebt hat, was für Verzweiflung, Kummer und Schmerz ausgehalten werden muß (auch der Kranke). Und ich habe nur in den ersten Jahren in Worten ausdrücken können, was tatsächlich mich so schmerzt. Nun bin ich überrascht, wenn ich Antworten lese, die auf fast leise Andeutungen von mir, den Kern des Problems aufnehmen und ausdrücken können. Liebe Grüße Sigrid
waltraut
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Beitrag von waltraut »

Liebe Sigrid, ganz großen Respekt vor deinem Mut! Ich möchte dich ganz herzlich drücken und dir alle guten Wünsche schicken, Waltraut
Sigrid Delvoye
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Beitrag von Sigrid Delvoye »

Liebe Waltraut, Danke für Deine Nachricht. Vor lauter Nervenflattern, wegen der Situation und weil ich wirklich Internet-Neuling bin, habe ich Deine E-Mail ungelesen gelöscht. Ich würde mich freuen, wenn Du mir Deine Nachricht nochmals zukommen lassen würdest. Lieben Dank und Gruß Sigrid
waltraut
Beiträge: 926
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Beitrag von waltraut »

Liebe Sigrid, ganz großen Respekt vor deinem Mut! Ich möchte dich ganz herzlich drücken und dir alle guten Wünsche schicken, Waltraut Das mit dem Löschen passiert mir auch...
Sigrid Delvoye
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Beitrag von Sigrid Delvoye »

An Alle, die mich in den letzten Tagen begleitet haben, Diese Woche war für mich das schlimmste seit langem. Alle, die sich nach meinem Hilferuf an mich gewendet haben, haben mich verständnisvoll begleitet und mich weitergebracht. Gestern hatte ich das Gespräch mit dem Hausarzt und es ist mir eine riesige Last vom Herzen gefallen. Nur kurz: er hält eine Behandlung auch für dringend nötig. Und durch die Begleitung, die ich in den letzten Tagen durch Euch erfahren durfte, konnte ich meine Einstellung zu meinem Mann überdenken und ändern. Die größte Last, die ich mit mir herumgetragen habe ist die, daß ich fest glaubte, für meinen Mann - da er krank und schwach ist - die Verantwortung tragen zu müssen. Nun sehe ich meine Verantwortung nicht im Verhindern von irgend welchen Vorgängen, sondern im vorantreiben in Richtung Behandlung/Therapie auch dann wenn es für meinen Mann, der immer noch uneinsichtig ist, schmerzhaft ist. Aus einer Situation, in der ich mich gefangen hielt und aus der ich keinen Ausweg mehr sah, konnte ich durch Eure Hilfe heraustreten und sehe einen Weg vor mir, der die Situation verändern wird. Und egal wie die Situation sich ändert - das "Gefängnis" ist durchbrochen. Aus ganzem Herzen Grüße ich Euch alle Sigrid P.S.: Herzlichen Dank auch an mein "Mäuschen" (meine Tochter), die unseren Austausch als stiller Gastleser begleitet hat und zusätzlich Unterstützung gab.
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