Die Falle der Vergebung

Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

@ otterchen - ich bin 53, aber was die Bewältigung anbelangt, noch mitten drin.

Dieser Erklärungsdruck, weshalb, wieso, warum es mit den Eltern nicht geht, der macht mich auch immer aufs Neue ganz fertig. Ich denke, es hat doch jeder so seine Lebenserfahrungen. Es gibt doch kaum eine Familie, in der Fälle, wie die unseren nicht vorgekommen sind. Weshalb sind die Menschen dann immer so ratlos, wenn es um die Eltern geht? Es müsste doch einfach genügen, wenn ein erwachsener Mensch, egal wie alt er ist, ob 20 oder 60, sagt, ich habe den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen und dafür gibt es Gründe. Es geschieht ja schließlich nicht aus einer Laune heraus.

Wenn ich dann so fragend angesehen werde, überkommen mich Schuldgefühle. Ich denke dann, wahrscheinlich bin ich nicht in Ordnung? Ich kann keine Eltern vorweisen, also bin ich nicht gesellschaftsfähig. Wahrscheinlich bin ich ein Gefühlsmonster oder werde für ein solches gehalten? So bringen uns unsere Eltern noch lange nach unserer Kindheit in Verlegenheit und Erklärungsnot. In einer familiendominierten Gesellschaft, ist es schwierig, anders zu sein. Selbst wenn die Gründe dafür auf dem Tisch liegen.

@imagine: Früher habe ich auch oft gedacht und es mir gewünscht, dass sich meine Mutter wenigstens ein Mal bei mir entschuldigt. Dass ich merke, sie ist einsichtig. Dass sie aufhört zu trinken. Es war ein großer Wunsch.

Weiter habe ich nicht gedacht. Ich habe mir nicht überlegt, wie ich mit dieser Entschuldigung umgehe oder wie eine trockene Mutter auf mich wirkt.

Ich habe es ja auch nicht erlebt. Es war ja nur Wunschdenken.

Wahrscheinlich hätte ich auch große Schuldgefühle bekommen.

Als Kind war ich ja nicht gerade feinfühlig gegenüber meiner Mutter. Ich habe sie oft laut angeklagt. Ich habe immer das Kind beim Namen genannt und ihr gesagt, sie solle endlich aufhören, zu trinken. Sie konnte mir nichts vormachen. Ich hatte sie schon recht früh durchschaut. Ich merkte immer, wenn sie ein Fahne hatte. Deshalb hasste sie mich auch ganz besonders.

Ich habe auch überlegt, ob da nicht doch schöne Dinge waren. Es kann sein. Manchmal hat sie mich mit in die Stadt genommen. Wir gingen ins Cafe. Ich bekam Eis oder Torte und sie Kaffee mit Kirschwasser. Das musste doch nicht sein, oder? Ich war da gerade 6 Jahre alt und wußte schon, dass Kirschwasser Alkohol ist.

Auf eine gute Erinnerung kommen hundert schlechte. Zu jedem alten Familienfoto habe ich eine Story, selten eine gute.

Eine Entschuldigung, das war mal mein Wunsch, heute wünsche ich es mir nicht mehr. Diese Zeiten sind nicht zu entschuldigen.

Ich wünsche allen eine gute Zeit, liebe Grüße, Lisa
otterchen
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von otterchen »

Hallo!

Lisa, Du sprichst mir aus dem Herzen. Wenn man dann noch hört "ich habe auch von meinen Eltern Schläge bekommen, und es hat mir nicht geschadet" könnte ich ausrasten. Wenn man dann nachfragt, sind es 2 Klapse gewesen - und ansonsten eine gute, nette Kindheit. Also ist beides doch nicht zu vergleichen.
Und ich WILL mich nicht rechtfertigen müssen! Anscheinend wird ein Kontaktabbruch zu den Eltern wohl nur gesellschaftlich akzeptiert, wenn SM vorliegt - alles andere KANN ja wohl nicht so schlimm gewesen sein. Ich hätte gute Lust, das irgendwie mal öffentlich anzuprangern.

Emriye: auch Dir kann ich nur zustimmen. Ich kann auch nicht irgendwem eine Ohrfeige geben, mich entschuldigen, und das gleiche dann regelmäßig wiederholen. Eine Entschuldigung nach vielen Jahren für all das, was passiert bzw. nicht passiert ist, ist demzufolge sinnlos/nutzlos/wertlos. Für mich jedenfalls. Dazu war es einfach zu viel über einen zu langen Zeitraum.

Ich möchte hiermit nicht sagen, dass ich das Vergessen/Verzeihen für unangebracht halte - im Gegenteil. Wer's kann: wunderbar. Ich will damit auch nicht relativieren (dann kann's ja nicht so schlimm gewesen sein) - nein, das will ich nicht!
Aber was da bei mir kaputt gegangen ist bzw. nie wachsen konnte, darf ich alles selbst wieder aus dem nichts aufbauen, und ich habe dabei keine Hilfe außer mir selbst und meinem Therapeuten. Und dem Forum

Wie Ihr merkt, stecke ich noch mitten drin im Thema, meine Reaktionen sind deshalb manchmal heftig.
Ich wünsche Euch trotzdem einen schönen Samstag
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Emriye2
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

Hallo Otterchen und Emriye,

ich habe diese Woche auch verschiedene Höhen und Tiefen hinter mir. Der Thread hat viel bei mir bewegt.

Neben den erdrückenden Erinnerungen, die bei mir aufkamen, bekam ich aber auch sehr viel Hilfe. Nicht zuletzt der Link, ist ein wahrer Segen für mich.

Ich bin froh, so intensiv meine Kindheit durchleuchtet zu haben. Ich habe jetzt auch die Bestätigung, dass meine kindlichen Wahrnehmungen keine Phantasie waren. Ich habe mich nicht getäuscht. Egal wie der Rest meiner Familie zu den selben Ereignissen steht, ich habe es so erlebt und ein ganzes Leben darunter gelitten.

Die Wahrheit meines Bruders, der nur um seinen guten Ruf besorgt ist, ist nicht meine Wahrheit. Ich kehre eine schlimme Kindheit, nur des guten Rufes Willen, nicht unter den Teppich.

Ich bin auch einen großen Schritt weiter. Mein Kontakt zu meiner Mutter ist nun auch von ihrer Seite unwiderruflich abgebrochen.

Ich bin weder verärgert noch bin ich traurig darüber. Ich bin erleichtert. Diese Nachricht, die ich heute bekam, war die beste der Woche. Endlich Ruhe. Meine Gedanken kreisen zwar noch, aber eher in Richtung Entspannung. Meine Mutter ist kein Thema mehr. Kein Geburtstag, keine Weihnachten, nichts, nichts, nichts, kein schuldgefühlbelastetes Denken mehr. Das ist so herrlich, so hätte es schon immer sein können. Hätte ich doch nur früher mal meinem Herzen so richtig Luft gemacht.

Und das alles nur, weil ich ihr vor Wochen ganz aktuell vorgeworfen habe, dass sie immer noch trinkt und früher ungeheuer viel getrunken hat. Das konnte sie nicht verkraften und nicht auf sich sitzen lassen.

Heute kam ein Brief vom Anwalt, ich solle jeglichen Kontakt - auch telefonisch - zu meiner Mutter unterlassen. Ebenso Behauptungen bezüglich ihres Trinkverhaltens oder ähnliche Äußerungen,ansonsten würde sie und ihr Göttergatte, wahrscheinlich auch mein Bruder, gerichtlich gegen mich vorgehen.

Das kann sie gerne haben. Wer sie kennt, weiß sie sowieso richtig einzuschätzen. Da braucht es nicht mein Zutun. Einschüchtern lasse ich mich auch nicht. Wir haben keinen gemeinsamen Bekanntenkreis. Aber ich muss ja nichts auf die Spitze treiben. Für mich ist wichtig und diesen Brief hebe ich mir sehr gut auf, dass sie keinen Kontakt zu mir will, dass sie ihn mir sogar verbietet. Damit bin ich aus allem raus.

Hätte ich doch nur schon vor 30 Jahren solch klare Worte gebraucht. Was wäre mir alles erspart geblieben. Kein Kontakt mehr, wie herrlich.

Mein Kontakt zu ihr bestand ja sowieso nur sporadisch und meistens auf ihre Anrufe hin oder ihre Nachrichten auf meinem AB.

Ich kann es noch nicht glauben. Ich bin frei.

Also nicht dass jetzt jemand meint, ich spinne. Das ist mein wirkliches Gefühl.

Vor einer Woche noch, fühlte mich ich leicht verstoßen. Sie wollte ja nicht, dass ich sie im Krankenhaus besuche. Das tat mir schon weh. Ich hatte auch wirklich Angst um sie. Aber sie hat sich auch in der Krankheit nicht geändert.

Briefe, wie ich ihn heute bekommen habe, hat sie in der Vergangenheit schon an alle möglichen Leute verschickt. Das ist so ihre Masche. Von den Empfängern hat sich wohl keiner wirklich was daraus gemacht. Warum auch? So wichtig ist sie nun wirklich nicht.

So hat mir meine Mutter, mit einer sicherlich negativ gemeinten Geste, eine große Freude bereitet.

Selbst von bösen Eltern, kann noch Gutes kommen.

Liebe Grüße, Lisa
Emriye2
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

otterchen
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von otterchen »

Hallo Lisa, hallo an alle, die hier mitlesen und -schreiben

Lisa, ich kann mir gut vorstellen, dass das befreiend sein muss! Aufatmen... sie will nicht mehr! Ich stoße mal mit Euch virtuell an... und drücke jedem von Euch ein virtuelles Glas Champagner in die Hand!
Ein wichtiger Tag für Lisa - auf Ihr Wohl!
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Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

Danke Emriye und Otterchen,

meine Mutter hat mir wirklich ein großes Stück Arbeit abgenommen. Das hätte sie schon viel früher tun können.

Eigentlich habe ich sie auch früher immer wieder wegen des Alkohols angegriffen. Vielleicht hatte sie damals vor meinem verstorbenen Mann angst. Jetzt, wo ich alleine bin, da hat sie es natürlich leichter, gegen mich zu schießen. Dass ich ihr dafür sogar dankbar bin, hat sie wohl nicht einkalkuliert. Also, irgendwie bin ich traurig, dass sie es früher nicht getan hat.

Heute ist wirklich ein wichtiger Tag für mich gewesen. Ich trinke später tatsächlich ein Gläschen Sekt (Champagner habe ich nicht im Haus, der ist mir auch ehrlich viel zu trocken).

So ein tolles Ereignis will begossen sein. Mein Brüderchen hat mein ganzes Mitgefühl, hoffentlich hat er noch viel Freude an seiner Mutter. Sie gehört ihm jetzt ganz allein, ob er schon weiß, was er sich da eingehandelt hat?

Liebe Grüße, Lisa
otterchen
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von otterchen »

Hallo Lisa,

hänge zwar selbst gerade in einem Loch, aber Dein letzter Absatz hat mich doch wenigstens lachen lassen! Dennoch... das ganze hat mich zum Thema Posttraumatisches Belastungs- bzw Stressyndrom geführt, und ich denke, ich sollte eine Traumatherapie machen (wenn ich nur wüsste, wie ich das anleiere?) Aber egal - ich freu mich trotzdem mit Dir!

Ich gönne mir gleich eine Weinschorle, werde Dir damit real zuprosten!
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Liber
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Liber »

Hallo Lisa,

irgendwie ist mir bei all der Freude und dem Zuprosten über den Schritt deiner Mutter nicht so ganz wohl.

Ich weiß nicht genau, was es ist, aber es klingt für meine Ohren noch etwas anderes als reine Freude mit durch.

Vielleicht ist es die Tatsache, dass SIE und nicht DU diesen Schritt getan hat.

Vielleicht bist doch Du nun wieder in der Opfer- statt in der Täterrolle.

Noch etwas fällt mir auf: Alkoholismus ist eine Krankheit und deine Mutter ist sehr krank. Natürlich entschuldigt das nicht ihr Verhalten dir gegenüber. Natürlich hätte sie etwas gegen ihre Krankheit tun müssen.

Trotzdem - es ist eine Krankheit und diese Krankheit verändert einen Menschen sehr stark. Sie kann Böswilligkeit und Hass auslösen.

Mit diesem Wissen könnte ja eventuell doch ein winziger Funke Verständnis möglich sein? Ich glaube einfach, dass nur über diesen Weg auch das innere Loslassen möglich ist.

Ich will damit deine Freude nicht trüben, nur darauf aufmerksam machen, dass die Freiheit wirklich von innen kommen muss. Ich denke, dass ein solcher Schritt, sich äußerlich loszusagen, noch nicht diese innere Freiheit schenkt.

Liebe Grüße

Brittka
rm
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Re: Die Falle der Vergebung @ Lisa und Euch alle (die nicht zu müde...)

Beitrag von rm »

..Also ich und mein Blechhaufen von PC. Ich könnte ihn aus dem Fenster schmeißen...!

Ich möchte Euch eigentlich nur sagen: mich BERÜHRT und freut die 'BEFREIHUNG', die ich u.a. aus Lisa's Beitrag höre.... ich finde dies auch GUT und RICHTIG!

....liebe Lisa, behalte diese SCHÖNEN Momente und GEFÜHLE in DEINEM Gedächtnis!! Dein UNTERBEWUSSTSEIN wird sie SPEICHERN -auch (und dessen solltest DU dir ebenfalls in diesen schönen Momenten ein GANZ kleines bißchen bewußt sein) wenn es WIEDER mal Tiefen geben sollte! DIE GEHÖREN auch ZUM LEBEN, so wie Sonnenschein, als auch Regen zur Natur gehört und sie OHNE BEIDE Teile nicht wachsen könnte.

WIR alle gehören ZUR NATUR, auch wenn manche Menschen meinen, sie wären die KRÖNUNG des UNIVERSUMS. Wir sind TEIL davon, nicht mehr und nicht weniger. Manche/ viele Lebewesen sind uns HAUSHOCH überlegen.

AM BEISPIEL von EMMA, unserer Labradorhündin bekommen wir es jeden Tag und jede Nacht wieder vor Augen gehalten: sensibler, achtsamer, auch oft rücksichtsvoller, aber auch leider manchmal abhängiger von uns Menschen sind z.B. die uns anvertrauten HUNDE....

Wir müssen dies nur ERKENNEN und die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen, nämlich auch ein wenig achtsamer, rücksichtsvoller mit uns selbst, mit unserem Partner, mit unserem Nachwuchs umgehen und nicht zuletzt AUCH mit unserer UMWELT...

Ja, das haben wir alles schon erkannt, aber was nützt es, wenn sich nur eine kleine MINDERHEIT daran orientiert....!? UND manchmal auch sogar TATEN folgen läßt....? Clown !..... Aber ich meine, jeder muß da seine Lösung für diese Frage finden.
ICH für meinen Teil bin durch EUCH hier schon ein Stück weitergekommen und habe u.a. erkannt und vielleicht auch schon ETWAS verinnerlicht, daß KEIN Mensch perfekt ist und ich es AUCH nicht zu sein brauche....

..meine Jugendzeit hat mir etwas anderes gelehrt, bzw. so ist es bei mir damals in meiner SEELE angekommen: immer perfekt sein müssen, ohne diesen PERFEKTIONISMUS ist man eine NULL, keine EIGENE Entscheidung treffen dürfen, alles 'vor-gekaut (zerkaut) zu bekommen....

Professoren, Doktoren, Künstler, Politiker, Pfarrer...alles in unserer Familie vertreten, was gilt da EINER, der zum ABI GEPRÜGELT werden mußte, der eigentlich 'NUR' ein VOGEL sein wollte, als ihn die Mutter fragte, was er mal werden wollte... ... ?!

ALLEIN schon wegen DIESEN Momenten des 'ERST einmal ERKENNENS'lohnt es sich, NICHT AUFZUGEBEN, sondern weiterzumachen, immer Schrittchen für Schrittchen..

...und auf diesem Weg bist DU, Lisa und vielleicht auch schon viel, viel weiter.... wie andere hier auch, ,auch wenn sie es vielleicht noch nicht wahrnehmen sollten/konnten... ich habe VIELES am eigenen LEIB erlebt und bin eigentlich erst durch meine Tiefen immer ein Stück weitergekommen...

Mein LIEBER Reinhart, bist wieder ganz schön weitschweifig (NICHT DU EMMA bist gemeint , sondern ICH..... )..*wisper*: Sie hat sich wieder hingelegt....beruhigt... ist friedlich ...

..also, was ich eigentlich NUR am Anfang sagen wollte : ich bin jetzt zuu müde, um noch etwas zu schreiben, weil ich mir heute abend außerplanmäßig ..
..(meine Mutter meinte immer, alles planen zu müssen, bis sie ihr ganzes Leben 'verplant' hatte.... )

....ein Kirchenkonzert angehört habe...einfach schön... und da bin ich erst richtig friedlich geworden.... deshalb sage ich mir jetzt: SCHLUSS; ENDE; AUS; Morgen ist auch noch ein Tag....
..da kann ich immer noch über VERGEBUNG meiner NÄCHSTEN INCL. MEINER SELBST (!) nachdenken!!!

*nachdenk* : könnte vielleicht noch ein winziges Thema beginnen , ehe ich nun wirklich zur Ruhe und Stille komme. Da ist mir EMMA schon WIEDER ein Stück voraus ..

Also bis morgen früh, Lieben Gruß, Reinhart + Emma,

P.S.: Mein 'neues Thema' soll heißen ... naja, irgendwie: Zeit für Dich, Zeit für mich... das stinkt aber irgendwie nach 'Eigenwerbung', oder Reinhart !?
Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

Hallo Brittka,

dass meine Mutter sehr krank ist, das weiß ich.

Sie trinkt seit gut 50 Jahren, mal mehr (in ihren jungen Jahren überalle Maßen) mal weniger.

Nicht nur ich, sondern viele andere, die sie liebten und mochten, waren verzweifelt, wollten sie retten. Sie ließ es nie zu.

Ich konnte nur durch die von mir geschaffene Distanz, mich vor ihren übelsten Übergriffen schützen. Sie konnte es nie ertragen, wenn es anderen gut ging. Hätte ich es je zugelassen, sie hätte mit aller Macht versucht, meine Ehe zu zerstören. Sie konnte an keinem Menschen ein gutes Haar lassen.

Von mir war die Distanz zu ihr immer gewollt. Aus voller Überzeugung, auch wenn es oft schmerzte. Die Hoffnung auf Änderung gibt man ja nie auf.

Jetzt, da ich weiß, dass auch von ihr kein Wunsch auf Kontakt mehr besteht, brauche ich mich vor ihren bittersüßen Annäherungsversuchen nicht mehr zu fürchten.

Ich bin wirklich erleichtert, weil ich jetzt weiß, dass ich da, wo meine Mutter ist, nicht mehr hingehöre.

Ich merke, wie ich ruhiger werde.

Ich sehe mich auch nicht als Opfer, sondern sehe vielmehr meinen Wunsch nach Distanz endlich akzeptiert, auch wenn sie es auf ihre Art umsetzte. Sie will immer den letzten Triumph haben. Den schenke ich ihr, wenn sie es so braucht.

Liebe Grüße, Lisa
BinAmEnde
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Registriert: 21. Aug 2006, 13:21

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von BinAmEnde »

...die Falle der Vergebung, oder anders formuliert: Wie bekämpfe ich meine Schuldgefühle!

Hier wurde diskutiert, ob und wann eine Entschuldigung noch Sinn macht und ab wann sie nur die vorhandenen Schuldgefühle verstärkt. Ganz ehrlich: Ich wünschte ich hätte das am eigenen Leib erfahren können, ob es einen Unterschied macht!

Die Schuldgefühle sind da! Und ich werde nie erfahren, ob es einen Unterschied gemacht hätte, wenn ich mich mit meinen Eltern jemals ausgesprochen hätte. Damals war ich nicht bereit dazu, und heute, wo ich bereit wäre, ist keine Gelegenheit mehr, da sie bereits seit Jahren gegangen sind. Manchmal, wenn ich am Grab meines Bruders stehe, spreche ich mit ihm darüber. Naja, ist natürlich ein Selbstgespräch, aber ich frage mich noch heute, warum er immer und immer wieder versucht hat, uns zu versöhnen, was ich ab einem bestimmten Zeitpunkt kategorisch abgelehnt habe. Wusste er etwas, was ich erst heute erkenne? Auch das werde ich nie mehr erfahren!

Eine besch...... Situation, sage ich Euch! Und die Schuldgefühle, das wenn und aber oder ob, bleibt bei mir. Denn wie soll ich das heute noch klären?!

Ich wünsche Jedem, dass er/sie zumindest die Möglichkeit hat, Vergangenes klären zu können. Denn ist die Möglichkeit erst einmal nicht mehr gegeben, bleiben die ewigen Zweifel, ob es evt. doch eine Möglichkeit gegeben hätte. Und das wünsche ich Keinem!

Liebe Grüße, Werner
imagine
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von imagine »

Hallo Werner,
ich verstehe dich gut, ich kann dir wieder nur aus meiner Sicht sagen, dass es nicht wirklich einen Unterschied macht.
Du schreibst von Schuldgefühlen, den Freunden der Depression!!!
Was kannst du mit ihnen anfangen, mal ehrlich?
Die Frage nach der Schuld ist sicher noch irgendwie wichtig, dass ist etwas völlig anderes.
Worin besteht also deine Schuld?
Du hast keine, denn du warst ein Kind.
Dinge, die nicht mehr zu ändern sind, muss man lernen anzunehmen.
Deine Eltern sind tot und begraben, daran kannst du nichts mehr ändern.
Vielleicht hat dein Bruder eine andere Beziehung zu euren Eltern gehabt, welche denn "richtig" war, lässt sich auch nicht mehr klären.
Irgendwann söllte jeder von uns die Dinge annehmen, die nicht mehr zu ändern sind -das bedeutet Loslassen-
Es ist schwer ungeklärte Dinge loszulassen, ich weiß das, aber willst du den Rest deines Lebens damit verbringen, dich zu fragen...
Vielleicht kann man es auch damit vergleichen, wenn man sich um Dinge sorgt, die noch gar nicht eingetreten sind.
Wieviel unnötige Angst lebt so in uns Menschen?

freundliche Grüße
imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
rajo1
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von rajo1 »

Hallo Denker,

danke für deinen Hinweis.

Deine Beiträge sind immer sehr anregend. Du bist sehr leseeifrig.

Ich habe gerade von A. Miller "Die Revolte des Körpers" gelesen.
Ein schwieriges Thema mit der Vergebung und der Wut.
Vielleicht ist das ganz persönlich und speziell nur zu beantworten. Einen allgemeinen Rat gibtes wohl nicht.
Gut es aber zu wissen, auch als Patient bzw. als Client.
Auch Therapeuten sind Menschen mit einer Vergangenheit und Gefühlen.

rajo
Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

Hallo Werner,

ich erlebe es gerade, dass Geschwister oft unterschiedliche Wahrnehmungen haben.

Mein Bruder, 3 Jahre jünger, seine Kindheit ist fast zeitgleich wie meine, in der selben Umgebung abgelaufen, er hat trotzdem teilweise andere Erfahrungen gemacht als ich und sieht folglich vieles anders. Gute Kontakte zur übrigen Verwandtschaft, wie ich sie hatte, hatte er nie. Für ihn waren Mutter und später der Vater die Bezugspersonen. Ich bin vor beiden immer geflüchtet. Aus gutem Grund.

Er ist auch ein Mensch, der um des guten Rufes Willen, so ziemlich alles unter den Teppich kehrt. Ihm ist die Außenansicht der Familie wichtiger als die intime, private Seite.

Als Erwachsener war er, mitsamt seiner Familie, 25 Jahre bei den Zeugen Jehovas. Eine totalitäre Einrichtung, in seinem Denken ist er immer noch dort.

So versucht er auch, mich einzuschüchtern, damit ich nichts über das Vergangene sage und ja nichts nach außen dringen lasse. Alles was ich sage, verniedlicht er. Er meint, es gäbe viele andere, die hätten schlimmere Eltern gehabt, als wir beide. Am liebsten würde er mich vors Gericht zitieren. Dass ich es wage, den Mund aufzumachen.

Da ich mich aber nicht vor meinem klitzekleinen Brüderchen fürchte, mache ich, wie ich es für richtig halte. Außerdem sind mir Menschen, die ein halbes Leben einer Sekte hinterher rennen, mehr als suspekt. Seinen guten Ruf, den hat er doch selbst schon lange vertan.

Ich habe sowohl Vater als auch Mutter auf die Vorgänge in der Kindheit angesprochen und keine Entschuldigung erhalten. Im Gegenteil, es wird alles bestritten.

Deshalb Werner, lass Dich nicht von Deinen Schuldgefühlen plagen. Für Dinge, die Deine Eltern getan haben, brauchst Du Dich nicht schuldig fühlen. Auch nicht dafür, dass Du nie versucht hast, ihnen die Hand zu reichen. Ich habe es getan und nur neue Qualen erfahren.

Es ist sehr selten, dass Eltern Reue zeigen.

Liebe Grüße, Lisa
seestern343
Beiträge: 6
Registriert: 22. Jan 2007, 19:20

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von seestern343 »

Hallo ihr Lieben
nun muss ich doch noch bevor ich zu abend esse etwas los werden .
Ich bin zutiefst erschrocken , auch erleichtert . Viele von euch schreiben hier , dass hätte von mir sein können . Ich beschäftige mich damit auch seid einiger Zeit u. finde es saugut das sich hier auch so viele dieser Thematik annehmen .
Nun hab ich aber echt hunger !
Ich wünsche allen einen schönen Abend !
Liebe Grüße vin
Seestern
Sigrid
Beiträge: 13
Registriert: 10. Jan 2007, 18:51

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Sigrid »

Hallo Werner, ich weiß ganz genau, was du meinst. Meine Mutter ist gestorben, als ich 14 Jahre war. Es ging zu schnell. Erst als ich erwachsen wurde, habe ich sehen können, was sie mir angetan hat. Ich konnte es mit ihr nicht mehr klären.
Mein Vater : Er ist vor 6 Jahren, mit 86 Jahren gestorben. Viele Jahre habe ich den Kontakt abgebrochen. Als er auf Hilfe angewiesen war, habe ich den Kontakt wieder aufgenommen.
Es war zu spät, etwas zu klären. Er war alt und hätte nichts mehr von dem verstanden, was mich beschäftigte.
Ganz im Gegensatz zu mir, hatte er keine Schuldgefühle. Er fühlte sich immer im Recht.
Solche Sprüche, wie : Eine Frau muss man schlagen, damit sie weiß, wer der Herr im Haus ist.
Uns Kindern gegenüber hatte er nie ein schlechtes Gewissen.
Viele Dinge, die ich nicht vergessen kann, oder verzeihen könnte.
Viel schlimmer ist, dass alles immer präsent ist. Wie gestern eben.
Ich werde es trotz 300 Std. Therapie nie wieder los.
Man muss irgendwie damit leben.
Ich sitze deswegen nicht ständig rum und bedauer mich, das wollte ich damit nicht sagen.
Es lebt in mir, macht mir Angst.
Die Wut war aber früher größer, sie ist nun nicht mehr so übermächtig.
Ich hoffe, dass ich mich verständlich ausgedrückt habe.
Liebe Grüße Sigrid
tomroerich
Beiträge: 3102
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von tomroerich »

Hallo,

entschuldigt, wenn ich hier als Quereinsteiger reinplatze. Aber ich habe hier ein paar Dinge über Vergebung gelesen, zu denen ich gerne etwas sagen würde.
Das Wort an sich ist schon vorbelastet durch christliches Gedankengut, das unterstellt, man müsse seinen Peinigern deshalb vergeben, weil sich das so gehört und weil es christlich und menschlich sei. Es wird also unterstellt, beim Vergeben ginge es um den Vorteil des Täters. Das ist eines dieser Missverständnisse, die die Dinge auf den Kopf stellen, denn der Kern der ursprünglichen Lehre dreht sich ganz und gar um die Möglichkeiten seelischer Befreiung und seelischen Wachstums und der Gedanke ist nicht, wie ich möglichst edelmütig meinem Peiniger verzeihen kann sondern wie ich mich selbst befreien kann.

Vergeben bedeutet auf diesem Hintergrund, dass man etwas fortgibt, sich befreit, etwas loslässt. Und das ist unmöglich, solange mich Gefühle von Wut, Hass, Trauer, Angst - die ganze negative Ladung eben -an die Vergangenheit binden. Es ist ganz einfach - solange ich diese Gefühle nicht aufgeben will, will ich auch nicht aufgeben, was mit mir geschehen ist. Ich öle immer aufs Neue die alten, rostigen Maschinenteile.

Meine Kindheit war kein Zuckerschlecken, deshalb glaube ich, mitreden zu können. Ich habe lange nicht loslassen können und mir passierte etwas sehr Ähnliches wie Imagine. Obwohl meine Mutter mich immer wieder bat, mir ihre Fehler zu vergeben, tat ich es nicht und sie starb, bevor ich meine Meinung ändern konnte. Erst jetzt erlange ich die Reife um sehen zu können, dass ich mich selbst in der Vrgangenheit festhalte, wenn ich eben NICHT vergebe. Meine Mutter war, wie alle anderen Menschen auch, selbst ein geprägter Mensch und sie wiederholte, was mit ihr geschehen war. Emriye, du hast gesagt, dass du kein Verständnis dafür hast, wenn Eltern an ihren Kindern wiederholen, was man ihnen angetan hat. Aber darauf läuft doch alles hinaus! Diese Dinge sind wie Zwänge. Sie zwingen zur Trauer, zur Wut, zur Wiederholung. Immer wieder und wieder bringen sie uns in die gleichen Situationen, lassen uns Beziehungen auf immer die gleiche negative Art sehen, lösen immer die gleichen Schocks aus. Vergeben ist nicht leicht, es ist Therapie nötig auf irgendeine Weise, um vergeben zu können. Es nur zu sagen, ist keine Vergebung sondern ein Lippenbekenntnis. Aber jedenfalls gibt es keine Freiheit ohne Vergebung. Man kann durch sie die Vergangenheit auflösen, so dass sie wird wie alles andere. Nicht mehr und nicht weniger bedeutend.

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
rm
Beiträge: 2209
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von rm »

Hallo Thomas,

ich finde deine Worte sehr beeindruckend, auch was die 'Vererbung'(wenn ich es richtig interpretiere) postiver oder negative Verhaltensmuster von einer Generation auf die andere angeht...

Ich kann es versuchen, bei meinen Kindern besser zu machen, aber oft ertappe ich mich bei ähnlichen 'Fehlern', die ich wohl von den Eltern übernommen hatte, wenn ich z.B. aus lauter Angst und Fürsorge meiner Tochter Entscheidungen abnehme, die sie besser selbst hätte treffen sollen... Ich mache sie in dem Moment unselbständiger, entscheidungsunfreudiger, unsicherer, sich selbst nicht über 'den Weg trauend'

.. so wie es meine Mutter auch mit mir/uns gemacht hatte (damals allerdings unter dem Motto, das, was WIR als Eltern sagen, gilt! Kennt ihr noch den Ausspruch >es wird gegessen, was auf den Tisch kommt< etc.etc. ?). Genauso sind damals MEINE Eltern von IHREN 'erzogen' worden!


Indem ich dies nun langsam erkenne, kann ich mich auch ein Stück weit von den Verletzungen ihrerseits distanzieren.
Ich habe oft mit meiner Mutter, wenn ich sie in der Vergangenheit besuchte, gestritten und dann knallten auch schon mal die Türen. Sie fing dann ab und zu zu weinen an und fragte unter Tränen, ob sie denn in ihrem Leben garnichts bei uns richtig gemacht hätte??
Ich war zuerst sprachlos. Dann aber sagte ich ihr u.a.:..... 'und wenn du uns auch nur die Fähigkeit mitgegeben hättest, in diesem Moment mit dir darüber zu sprechen, so ist das doch auch schon was.

Jetzt liegt sie in einem Pflegeheim, kann sich kaum noch bewegen, meint, sie wäre 43 Jahre (in wirklichkeit 86) und fühlt sich dem Anschein nach trotzdem nicht so unglücklich. Ich spreche mit ihr natürlich nicht mehr über o.g. Dinge, sondern nur noch über positive Langzeiterinnerungen.
Das tut ihr gut und sie freut sich, wenn ich komme..

Ich habe und werde die Vergangenheit nicht vergessen, aber ich kann jetzt schon besser damit leben, weil ich mir sage, SIE hat es nicht BESSER gekonnt. Ich versuche für MICH, langsam, Stück für Stück nicht nur die negativ erlebten Dinge, sondern auch die positiven aus meinem Unterbewußsein hervorzuholen und zu verarbeiten. Manchmal gelingt mir dies auch schon.

LG, Emma und Reinhart
maggy
Beiträge: 1150
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von maggy »

Lieber Thomas,

Danke , es tut gut zu wissen, dass es jemanden gibt, der Worte für das hat, was ich fühle und ausdrücken möchte.
Nur glaube ich, auflösen können wir unsere Vergangenheit nicht; denn was sich auflöst ist ja nicht mehr da. Ich habe für mich die Erfahrung gemacht, dass ich sie so wie sie war in meine Leben integrieren konnte, nachdem ich Schmerz, Wut und Trauer empfinden und zum Ausdruck bringen konnte; denn das, was sich irgendwann in uns eingeprägt (eingedrückt) hat, muss auch irgendwann wieder raus.

Alles Liebe
von
Maggy
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
BinAmEnde
Beiträge: 486
Registriert: 21. Aug 2006, 13:21

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von BinAmEnde »

Hallo imagine,

Du schreibst: "Wieviel unnötige Angst lebt so in uns Menschen?" Ich antworte: Noch zu viel! Vielleicht sogar viel zu viel!

Ich weiß zwar, dass Du besonders im Bereich "loslassen können" Recht hast, aber erstmal können! Da reitet meine Therapeutin auch immer drauf rum.


Hallo Lisa,

die Sache mit den Zeugen Jehovas habe ich bei einem sehr lieben Arbeitskollegen vor vielen Jahren mal miterlebt. War schrecklich, sowohl für ihn als auch für alle Freunde. Wobei er durch die Familie eingebunden wurde und mit der Erwartungshaltung nicht klar kam, sich innerlich stets wehrte, und schließlich daran zerbrach!
Vielleicht hast Du Recht, und es wäre besser gewesen, niemals auch nur zu versuchen, das verkorkste Verhältnis zu meinen Eltern zu korrigieren. Und ich weiß, ich sollte jetzt kein "aber" folgen lassen. Doch ich kann nicht anders. - Noch nicht! -

Hallo Sigrid,

als die Wut auf meine Eltern noch größer war, konnte ich merkwürdigerweise besser damit umgehen. Nun hat die Wut sich verzogen, und es bleibt dieser bittere Nachgeschmack, unfähig gewesen zu sein, es besser zu machen.

Wir verstehen das, nicht wahr?


Sorry, Denker! Wollte nur kurz auf die Worte an mich eingehen! Danke für den Thread. Bin mir dadurch wieder ein Stückchen näher gekommen!

LG - Werner
Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

Hallo Werner,

Du bist Dir durch diesen Thread ein Stück näher gekommen, mir geht es genauso.

Dieser Thread und hauptsächlich der Link Alice Miller ist für mich eine Offenbarung.

Ich kann so langsam begreifen, was mit mir als Kind damals geschehen ist. Wie sehr muss ich gelitten haben. Dinge, die ich längst verdrängt hatte, fallen mir wieder ein. Das alles macht es mir leichter, meine Eltern so zu sehen, wie sie sind.

Sie sind beide über 70, im Kopf noch vollkommen klar, senil werden sie wohl beide nie, deshalb wohl auch nie bemitleidenswert. Sie haben beide eine äußserst robuste Natur, trotz vielerlei Erkrankungen, richtige Stehaufmännchen, unerschütterlich.

Kraft, mich mit ihnen anzulegen, klärende Gespräche zu führen, die habe ich nicht. Das wäre aber notwendig, damit sie sich zumindest ein einziges Mal meine Geschichte anhören. Meine Kräfte habe ich in meiner Kindheit und Jugend, wegen dieser beiden zu sehr aufgerieben und vergeudet. Ich hätte sie zu anderen Dingen mehr gebraucht. Für die Schule, meine Ausbildung, meine eigene Familie.

Deshalb ist ein Kontaktabbruch für mich lebensnotwendig. Er tut mir auch gut. Was sie mir angetan haben, reicht aus, damit ich nie um sie trauern muss.

In meinem Leben gab es wichtigere und für mich bessere Menschen. Zum Glück.

Noch kurz zu den Zeugen Jehovas. Mein Bruder ging als erwachsener Mann zu dieser Einrichtung. Er nahm seine Frau und die kleine Tochter von 5 Jahren mit. Er und seine Frau haben sich hochgearbeitet, sie hatten eine ziemliche Position erreicht.

Meine kleine Nichte hatte dadurch eine sehr eingeschränkte Kindheit. In der Schule immer Außenseiterin. Ebenso in ihrer Jugend.

Zu meinem Bruder hatte ich in diesen 25 Jahren nur wenig Kontakt. Er durfte ja nicht.

Ich denke, diese Zeit hat ihn sehr geprägt. Er ist mir heute sehr fremd. Dieses nach außen den Schein wahren, das ist so eine Eigenschaft, die man wohl bei solchen Sekten sehr gut lernt und er lebt danach. Immer noch.

Liebe Grüße, Lisa
imagine
Beiträge: 1068
Registriert: 18. Jun 2006, 20:46

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von imagine »

Hallo Thomas,
du hast völlig recht, ich sehe dies genauso
Allerdings muss man durch all diesen Wust aus Wut, Trauer(war bei mir am wichtigsten)durch, bevor man wirklich vergeben/loslassen kann!
Ich möcht noch mal kurz auf die Trauer eingehen, ich habe mit allen Fasern, die in mir sind getrauert, ausschließlich um mich, um meine verlorene Kindheit, um mein Leben, danach ging es mir wirklich besser.
Irgendwann war dann auch die Wut und mit ihr der Schmerz weg.
Es war für mich wie eine Offenbahrung, denn mit dem Schmerz war auch meine Depression weg.
Ich bin heute auch noch kein fröhlicher Mensch, aber ich freue mich über vieles, kann wieder lachen, kann Kontakt zu Menschen aufnehmen und kann erkennen, wenn mir jemand nicht guttut.
Vorher war ich eingesponnen in meine Verbitterung.
Jeder muss wohl seinen eigenen Weg finden, ich versuche nicht, meinen Weg anderen aufzuzwingen, es würde ja auch überhaupt nicht funktionieren.
Vielleicht noch eine kleine Bemerkung zu den Zwängen: Ich habe alles anders gemacht in der Erziehung, aber dass ist bestimmt auch nicht der richtige Weg, denn er entsteht ja auch aus Zwang...
liebe Grüße
imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
imagine
Beiträge: 1068
Registriert: 18. Jun 2006, 20:46

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von imagine »

Lieber Reinhart,
ich bin beeindruckt, von der Klarheit deines Beitrags

Alles Liebe dir und Emma
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
Emriye2
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Registriert: 12. Sep 2005, 08:45

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

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