Die Falle der Vergebung

Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

Hallo JoJo,

ob ich soviel mehr Erfahrung habe, das weiß ich nicht. Ich bin nur älter.

Natürlich habe auch ich Angst, dass mein Sohn sich von mir abwendet. Ich habe auch Angst, einiges verkehrt gemacht zu haben. Diese Angst steckt sehr tief. Ich bin keine Glucke. Ich habe immer gearbeitet und wollte es auch. Heute habe ich Angst, dass er als kleines Kind, zu sehr auf mich verzichten musste.

Vielleicht habe ich auch deshalb soviel Angst, als Mutter versagt zu haben, weil meine Mutter so eine Totalversagerin war. Aber ich hatte eine Oma und die war auch nicht perfekt, aber eine gute Mutter.

Also unsere Kinder sind nicht so doll anspruchsvoll. Das waren wir doch auch nicht. Ich denke, die rein menschlichen Fehler, die jeder von uns hat, die bekommen wir nie angekreidet, da muss es schon härter gewesen sein.

Deshalb mach Dir keine Sorgen, es ist sicher ok.

Liebe Grüße, Lisa
imagine
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von imagine »

Liebe Jojo,
das glaube ich dir, diese Angst hatte ich auch und vielleicht kommt der Tag, an dem meine Tochter mit mir abrechnet?
Zur Zeit ist er nicht in Sicht, aber wer weiß?
Damit müssen wir alle leben.
Ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten erstaunlich viel geleistet und gegeben habe.
Ich habe dabei übertrieben, hätte konsequenter sein müssen, konnte das aber nicht auf Grund meiner eigenen Erfahrungen.
Ich konnte nie Grenzen setzen, wenn mich die hilflosen Augen meines Kindes angesehen haben, war ich machtlos.
Das hat ihr mit Sicherheit geschadet, denn sie hat ganz wenig Frusttoleranz.
Dafür kann sie sehr viel, kann sich recht gut behaupten und ist ziemlich sozial eingestellt.
Allerdings ist sie auch recht egoistisch.

Fehler machen wir Alle, je nachdem, wie unser Leben und unsere Kindheit verlaufen sind.

Wir haben ein sehr enges Band.
Allerdings und das finde ich sehr schade, konnte meine Tochter, dadurch dass sie sich auf meine Seite stellen wollte, kein Verhältnis zu ihrer Großmutter aufbauen.
Sie leidet darunter bis heute, meine Mutter hat sie auf ihre Weise sehr geliebt.
Ich wollte und wußte das damals nicht, sonst hätte ich mich anders verhalten.
Das Drama ist eben, dass meine Mutter starb, als meine Tochter erst 9 Jahre alt war und so konnte sich das Verhältnis nie entkrampfen.
Meine Tochter hat deshalb große Schuldgefühle.
Es ist so verdammt schwer, alles oder zumindest viel richtig zu machen...
Viel Kraft dir

imagine
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Emriye2
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

Sigrid
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Sigrid »

ich hätte zu dem thema soviel zu sagen,aber das kann ich garnicht alles schreiben.
auf jeden fall ist es richtig, man kann auf viellerlei weise misshaneln undvernachlässigen. alles ist grausam.
ich habe auch nicht alles richtig gemacht, sicher auch durch meine eigene geschichte. aber ich habe alles gegeben .gefühl gehör und verstand. ich habe es besser gemacht,als meine eltern. das war mein anspruch.
ich liebe mein töchter, 21 und 19 jahre alt über alles.ich bekomme ganz viel wieder.
aber diese stete gradwanderung, die hat mich auch sehr krank gemacht.
es war immer ein kampf.
vergebung ? ich kann verzeihen, ein wenig, aber vergessen werde ich es nie, was sie mir angetan haben. ich bin nicht körperlich misshandelt worden, der psychoterror war sehr schlimm.
otterchen
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von otterchen »

@ all

vielen Dank für Eure Antworten... irgendwie komme ich mir wenigstens VERSTANDEN vor...

Wenn aus dem Umfeld jemand mitbekommt, dass ich den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen habe, kommt zumindest Unverständnis (ja, wenn ich "normale" Eltern gehabt hätte, hätte ich den Kontakt ja auch gehalten!), wenn nicht sogar Vorwürfe. Oder der mehr als seltsame Vorschlag meines Ex: ob er (und meine Schwester...) nicht mal mit meinen Eltern reden sollten, und wenn die sich dann entschuldigen, müsse das doch beizulegen sein. Ich hab gedacht, ich verstehe die Welt nicht mehr. Als könnte mit einer Entschuldigung (und wie ernst würde die dann wohl sein) die ganze Sache aus der Welt geschafft werden? Es war doch nicht nur EIN Vorfall - es waren Jahre, viele lange Jahre, die entweder nur negativ oder bestenfalls neutral verlaufen sind, aber all das, was wirlich schön sein sollte in der Kindheit, war einfach nicht vorhanden! Himmel, mir fallen jetzt schon wieder zig Beispiele ein, die aber den Rahmen sprengen würden (obwohl... ich sollte das vielleicht wirklich irgendwo irgendwann mal niederschreiben und veröffentlichen).

Hmmm... aber das mit der "Opferrolle" bringt mich natürlich doch zum Nachdenken. Ich weiß, dass ich sehr viel Wut angestaut habe (hab leider nur 1x die Erfahrung mit Aggressionsabbau gemacht, was hat das gut getan!) und mich diese aufgefressen hat. In mir ist aber immer noch sehr viel Wut und Schmerz, und das muss irgendwie raus. Ich hoffe, dass ich in meiner Therapie, die gerade erst angefangen hat, diesen Punkt in Angriff nehmen kann.

Euch alles Liebe - vergebt/verzeiht/erkennt, wenn Ihr könnt, aber lasst Euch um Himmels Willen nicht einreden, das sei Pflicht. Schlechten Menschen muss man nicht verzeihen - warum sollte es anders sein, wenn es die eigenen Eltern sind?
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

Hallo Otterchen,

da sprichst Du einen Punkt an, mit dem ich auch sehr schlecht zurecht kam.

Den Kontakt zu meiner Mutter habe ich ja auch immer wieder abgebrochen. 10 Jahre Sendepause, ein kurzes Intermezzo, 10 Jahre Sendepause. Das verstand kaum jemand.

Es gab immer wieder Leute, die glaubten, mich und meine Mutter zusammenführen zu müssen. Selbst gegen meinen ausgesprochenen Willen. Diese kurzen Intermezzos fanden immer auf die wunderbaren Ratschläge meiner gutmeinenden Verwandten und Bekannten statt. Für mich mit den schlimmsten Folgen.

Und all die Erklärungsversuche, warum, weshalb? Das sich entschuldigen müssen, für etwas, wozu man gar nichts kann. Wieso geht es vielen Menschen einfach nicht in den Kopf, dass man zur Mutter, die nie eine war, keinen Kontakt hält? Wieso glauben alle, Mutter Theresa spielen zu müssen.

Wenn mir mal wieder jemand so kommt, dann werde ich mir diese Respektlosigkeit mir gegenüber nicht mehr gefallen lassen. Dieses Spiel macht niemand mehr mit mir. Ich habe meine Gründe, wer das nicht akzeptiert, kann sich entscheiden, ich oder meine Mutter. Uns beide zusammen gibt es nicht. Wer deshalb meint, mich nicht mehr mögen zu können, der soll es tun.

Solche Spielchen kann man nur mit uns machen. Mit uns, die wir schon so viel erleiden mussten. Solange wir uns das gefallen lassen, zieht sich die Tragödie der Kindheit, durch unser ganzes Erwachsenenleben.

Wir sind Kinder ohne Eltern. So etwas soll es geben. Wer das nicht kapiert, ist fehl am Platz.

Liebes Otterchen, die bist glaube ich, noch jünger als ich. Halte durch. Lass Dich nicht klein machen. Freunde und Lebenspartner kann man sich aussuchen. Wer nicht loyal zu uns steht, der hat uns nicht verdient.

Liebe Grüße, Lisa
Jojo
Beiträge: 26
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Jojo »

Liebe Lisa, liebe imagine,

danke für eure Antworten an mich.

Ich denke halt desöfteren: Meine Mutter ist/war krank... Sie konnte/wusste es nicht besser. Und hat sich bestimmt nicht bewusst vorgenommen, mir meine Zeit zuhause (und leider noch danach ) zur Hölle zu machen.
Und sie war es ja auch nicht allein.

Ich kann es halt auch nicht besser als es mir möglich ist (oder doch?...).
Das meiste mache ich GANZ anders, ich habe Respekt vor meiner Tochter, seitdem sie auf der Welt ist, staune über sie und freue mich, dass sie ziemlich gut klar kommt - obwohl sie mir dadurch auch manchmal fremd ist. Wie mir Menschen, die ihren Platz hier gefunden haben, die ihr Leben, ihren Alltag leben, halt fremd sind.
Aber: Sie hat eine Mama, die eben dieses Leben in Frage stellt. Dadurch, dass sie nicht klar kommt, evtl. nicht einmal arbeitsfähig ist, oft in gar nichts einen Sinn sieht.
Die sich hängen lässt, gerade auch zuviel trinkt, in der Wohnung mitunter Kette raucht und vorm PC abhängt. Die ihrer Tochter Beschäftigungen vorschlägt, zu denen sie sich selbst nicht aufraffen könnte (was meinem Kind natürlich nicht entgehen wird...). Die kein Vorbild dafür sein kann, wie man mit Menschen/Konflikten umgeht, weil ihr die Kontakte fehlen.
Die nur theoretisch unheimliche tolle soziale Kompetenzen besitzt, die ihr von Pädagogik- und Psychologie-Profs bescheinigt wurden und werden. Die emotional aber auf dem Stand eines - ja was eigentlich? - ist. Denn ein Kind hat mehr "echte" soziale Kompetenzen als ich. Hatte in der Regel auch schon mit wenigen Lebensjahren mehr Gelegenheit, diese zu erlernen, als ich in meinem relativ reifem Alter.

... Irgendwie fällt es mir leichter, in der 3. Person über mich selbst zu sprechen. War aber nicht beabsichtigt, hat sich nur so ergeben ...

Ich denke, meine Tochter hätte später auch allen Grund, mir immense Vorwürfe zu machen
Obwohl auch unsere Beziehung noch sehr innig ist und auch immer schon war (allerdings ist meine Tochter ja noch recht jung, 10 Jahre).
Im übrigen war ich aber auch nie "gluckenmäßig" drauf, worüber man sich eigentlich wundern könnte.

Und auch wenn meine Tochter nicht altklug im negativen Sinne ist - was sie alles so durchschaut, macht mir schon Angst und nimmt ihr selbst mitunter die (altersgemäße) Unbefangenheit im Kontakt mit anderen.

Liebe Grüße,

Jojo

P.S. @ Lisa: Ja, dieses Unverständnis kenne ich auch gut. Sogar mein bester (und eigentlich einziger) Freund, der recht viel über mich weiß, findet den Bruch mit meiner eigenen Mutter unverständlich.
Neulich hat meine Mutter ganz unerwartet angerufen. Das (und eine darauf folgende mail) hat mich dermaßen fertig gemacht, dass ich (erneut) davon überzeugt bin, dass es keine Beziehung mehr geben kann.

Gute Nacht!
Denker
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Denker »

@ emriye
als ich gestern meinen PC anmachte, war ich überwältigt von der Vielzahl der Antworten. Zu fast jeder Antwort fiel mir etwas ein, was ich gerne geschrieben hätte. Und genau da kommt mir dann mein Perfektionismus in die Quere: Ich will jedem antworten, ich will einen wertvollen Beitrag leisten, ich möchte mich gut und verständlich ausdrücken...
Und plötzlich sehe ich einen Berg vor mir, den ich gar nicht mehr bewältigen kann und verschiebe das Schreiben auf Morgen.Oder Übermorgen...
Ich denke nicht, dass Mani oder Bohni ähnliche Probleme haben.

@all
Jetzt mal ein paar ganz unsortierte Gedanken von mir dazu:

Ich habe mal den Spruch gelesen: Depression ist nach innen gerichtete Wut. Also kann es doch nicht so schlecht sein, seine Wut rauszulassen. Ich glaube, es wird dann zu einem Problem, wenn man in dem Zustand der Wut verharrt. Hass ist schließlich auch nicht das Gegenteil von Liebe. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit und erst die Gleichgültigkeit macht uns frei.

Meine persönliche Erfahrung dazu: Ich habe mehrere Phasen durchlaufen bzw. stecke noch in diesem Prozess:
1.) Der Verstand begreift so langsam, was in der Kindheit passiert ist, die Gefühle sind aber nicht zugänglich (bei mir mindestens 20 Jahre lang)
2.) Es bildet sich so etwas wie Mitgefühl für das Leiden des kleinen Kindes, was ich einmal war. Die Gefühle werden nach und nach intensiver.
3.) Wut und Zorn, weil ich erkenne, dass man mir meine Kindheit gestohlen hat, dass man mich physisch und emotional missbraucht hat.
4.) Trauer über den unwiederbringlichen Verlust der Kindheit.
5.) Loslassen können.
(Meine Thera findet diesen Weg übrigens ganz typisch)

An alle Eltern hier im Forum:
Ich kann gut verstehen, dass ein solcher Artikel bei euch auch Schuldgefühle weckt. Manchmal bin ich froh, dass ich keine eigenen Kinder habe, denn ich bemerke schon, dass ich manches sogar an unserem kleinen Hund wiederhole, was in meiner Erziehung schief gelaufen ist. Jeder sagt, dass ein Hund erzogen werden muss! Ist doch prima. Also befiehlt man ihm ganz willkürlich irgendwelche Dinge. Hauptsache Gehorsam! Das Tier muss lernen, sich unterzuordnen, ich bin der Boss!

Wenn mein Vater mich mal wieder geschlagen oder angebrüllt hatte, ist er später zu mir gekommen, und hat mir einen Zehnmarkschein in die Hand gedrückt. Das war seine Art der Entschuldigung. Er hat nie mit mir darüber geredet, nie gesagt, dass es ihm vielleicht leid tut.

Ich glaube nicht, dass Kinder fehlerfreie Eltern brauchen, sondern Eltern, die zu ihren Fehlern stehen. Dann müssen diese Kinder den Fehler nicht bei sich suchen.

Ich danke allen für ihre tw. sehr persönlichen Beiträge in diesem Thread. Es tut gut, nicht alleine zu sein und nicht mehr schweigen zu müssen!

Gruß
Denker
ils_pixent9
Beiträge: 1149
Registriert: 6. Jul 2006, 21:37
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von ils_pixent9 »

BinAmEnde
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von BinAmEnde »

Obwohl ich eigentlich nicht mehr teilnehmen wollte, lässt mich dieser Thread nicht los. Ist fast zwanghaft.

Vielen hier sind Dinge passiert, mit denen ich mich sehr, sehr schlecht auseinandersetzen kann und es daher am liebsten vermeide. Dennoch möchte ich hier etwas aus meiner Jugend schildern. Ich war etwa 12 J. alt, hatte gerade meine erste, heftige Trotzphase durchgemacht und mich schon damals komplett von meinen Eltern abgenabelt, da schwor ich mir, sollte ich jemals eigene Kinder haben, ihnen nie, nie, nie anzutun, was meine Eltern mir im emotionalen Bereich angetan haben! Ich habe es bis heute nicht vergessen und wenn ich mich ertappe, dass ich in ähnliche Verhaltensmuster verfalle, wie ich sie damals selbst erfahren musste, suche ich schnell den Kontakt zu ihnen, um mich zu entschuldigen und erklären. Wir suchen dann gemeinsam einen Weg, wie wir in Zukunft damit besser umgehen können. Das hat sogar in den letzten 3 Jahren funktioniert, als ich schon tief in meiner depressiven Entwicklung steckte.

Warum auch immer, kann ich meinen Kindern gegenüber all die Leere, die mich manchmal erfüllt, ausblenden. Und ich wünsche mir sehnlichst, dass dies niemals aufhören möge.

Kinder sind unsere Zukunft! Sie haben es verdient, mit Respekt groß werden zu dürfen. Was wir ihnen antun, wird sich an unserer Gesellschaft später rächen.

Ich hoffe Ihr versteht, was ich sagen wollte. Ich musste das loswerden, sorry.

Liebe Grüße, Werner
Kudelka
Beiträge: 139
Registriert: 24. Jan 2006, 12:15

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Kudelka »

wieso sorry ? ich finde das war ein wunderbarer Beitrag....
Emriye2
Beiträge: 814
Registriert: 12. Sep 2005, 08:45

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

Emriye2
Beiträge: 814
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

Denker
Beiträge: 645
Registriert: 11. Apr 2005, 13:55

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Denker »

Liebe emriye,
du hast mich nicht unter Druck gesetzt - ich habe mich dazu entschieden, dir zu antworten (auch wenn der Vergleich mit Manni ganz schön provokativ war!).

Werners Post finde ich auch sehr wichtig. Genau das wollte ich in meinem Part an die Eltern zum Ausdruck bringen.

Einen ganz lieben Gruß an alle, die dieser Thread hier nicht mehr loslässt von Denker, der eben manchmal lieber denkt als schreibt.
Emriye2
Beiträge: 814
Registriert: 12. Sep 2005, 08:45

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

Lisa23

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Lisa23 »

Hallo Denker,

ich lese schon 3 Tage bei Alice Miller. Hinter Deinem Link ist ja so viel verborgen, ein wahrer Schatz.

Danke für diesen Thread und den Link.

Liebe Grüße, Lisa
Liber
Beiträge: 1491
Registriert: 4. Jun 2006, 18:09

Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Liber »

Hallo Ihr Lieben,

obwohl ich mich bisher hier noch nicht gemeldet habe, bin ich die ganze Zeit schon in diesem Thread "dabei".

Vergebung - auch mein Thema!

Beziehungsweise würde ich lieber "Loslassen" dafür sagen.

Gegen den Begriff "Vergebung" bin ich auch sehr skeptisch eingestellt, denn er hat für mich viel von dem pseudo-gläubigen Aspekt, bei dem sich mir die Haare sträuben.

Im kirchlichen Sinn tritt Vergebung ja dann ein, wenn ich meine Sünden "bereue".

Wie kann ich aber Eltern etwas vergeben, wenn sie es nicht einmal erkennen, was sie getan haben, geschweigen denn bereuen?

Das Loslassen ist für mich dagegen etwas anderes. Es würde bedeuten, wirklich für mich und mein Leben die Verantwortung zu übernehmen - und sie nicht mehr anderen Menschen zuzuschieben, auch nicht den Eltern und dem, was sie damals getan oder unterlassen haben. Solange ich in Wut und Hass an sie denke, bleibe ich ja immer noch mit ihnen verbunden.

Dies Loslassen ist sehr schwer! Und ich bin sicher, man muss durch all die Phasen durch, die Denker genannt hat. Dazu gehören auch die Wut und der Hass auf die Eltern!

Ansonsten ist dieses "Vergeben" wirklich nur Unterdrücken all der eigenen Gefühle. Ich habe das immer wieder versucht, aus dieser schädlichen pseudo-religiösen Haltung heraus, aber es ging mir damit keinen Deut besser. Die Depression blieb unverändert. Kein Wunder, wie mir heute klar geworden ist!

Und ich habe mich damit sogar selbst noch weiter schlecht gemacht, weil ich gespürt habe, ich könne meinen Eltern ja gar nicht wirklich vergeben. Weil ich doch noch immer etwas von ihnen möchte. Weil das kleine Kind in mir immer noch wartet und hofft und sich sehnt nach der Liebe der Eltern. Weil es wütend und traurig ist für all das, was es nie bekommen hat.

Deshalb liegt für mich eigentlich der Schlüssel im Loslassen. Und im Akzeptieren.

Dahin ist es für mich noch ein weiter Weg, das spüre ich.

Ich habe selbst Kinder und habe oft große Angst, was ich ihnen angetan habe und antue,in meinen Krankheitsphasen, durch mein Suchtverhalten, oft unabsichtlich, ohne es selbst zu wissen geschweige denn zu wollen.

Einen großen Unterschied sehe ich aber zwischen mir und meinen Eltern. Ich bin bereit, darüber zu reden, darüber nachzudenken, bereit, etwas zu verändern und vor allem bin ich bereit, mich bei meinen Kindern zu entschuldigen.

Ob das genügt???

Liebe Grüße

Brittka
Denker
Beiträge: 645
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Denker »

Liebe emriye,
es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Vielleicht hätte ich in meinem Beitrag noch einen Smiley einfügen sollen, aber das ist nun mal nicht so meine Art.

Liebe Lisa,
es würde mich riesig freuen, wenn dieser Link dir und anderen weiter helfen würde. Auch wenn es manchmal weh tut...

Liebe Brittka,
du hast geschrieben:
"Einen großen Unterschied sehe ich aber zwischen mir und meinen Eltern. Ich bin bereit, darüber zu reden, darüber nachzudenken, bereit, etwas zu verändern und vor allem bin ich bereit, mich bei meinen Kindern zu entschuldigen.

Ob das genügt??? "

Wenn meine Eltern so gewesen wären, hätte das alles verändert! Davon bin ich überzeugt.

Alles Gute für dich und deine Kids und einen ganz lieben Gruß an alle aktiven Poster und stillen Mitleser in diesem Thread
Denker
otterchen
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von otterchen »

Hallo Lisa,

kann Dir nur zustimmen. So sehe ich das eigentlich auch. Bis halt auf die Momente, wo es die Reaktionen der lieben Mitmenschen einem wieder schwer machen, und dann kommen doch die Zweifel, die Selbstvorwürfe etc...

Aber ich habe wirklich versucht, das ganze mit etwas Abstand zu betrachten. Ich bin in mich gegangen, wollte ganz ehrlich zu mir selbst sein: waren da wirklich keine Gutenachtgeschichten? keine Umarmungen? kein Trösten? kein Miteinander-Spielen? kein Blick, der sagte "ich bin stolz auf dich"? kein Wort "ich vertraue dir"? kein "wir sind für dich da"? ...

Nein. Nichts davon. Nur das Gegenteil. Und das löst Schmerz und Wut aus. An diesem Punkt bin ich leider immer noch und würde gerne wissen, wie man darüber hinweg kommt.
--------------
Übrigens: ich bin 44. Und Du?
--------------

@ Denker
Ich bin anscheinend bei Punkt 3 & 4 angekommen (wobei... wo siedelst Du den "Schmerz" an? das ist das, woran ich gerade hänge)

Meine Schwester (11 Jahre älter) hat die Kindheit übrigens um einiges besser weggesteckt, sie ist wohl aus anderem Holz?? Dennoch: wir beide hatten nie den Wunsch verspürt, Kinder zu bekommen.


@ Werner_Dachte_mal
Wunderbar - nein, bewundernswert!

@ all
Bitte entschuldigt, ich schreibe im Moment irgendwie recht wirr und impulsiv. Ich hoffe, das ich keinen damit verletze oder sonstwie negativ berühre. Ansonsten bitte mitteilen - ich kann meine Texte ja noch überarbeiten (ggf. löschen).

So, Schluss erstmal... mir fehlen die Worte... ich will mich um das kleine Kind in mir kümmern - und weiß gar nicht so recht wie *seufz*
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imagine
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von imagine »

Hallo @ all,
im Moment finde ich es recht schwierig hier zu schreiben, allerdings beschäftigt mich dieses Thema eben auch!!
Ihr denkt alle so viel darüber nach, ob euch eine Entschuldigung geholfen hätte!!
Ich kann nur für mich selbst sprechen: MIR hat sie nicht geholfen, sondern das Gegenteil bewirkt.
Wie soll man Wut auf eine Mutter haben, die aufgehört hat zu trinken, der die Schuld auch bei andern Dingen klar ist???
Bei mir hat das, wie ich heute weiß, nur noch mehr Schuldgefühle ausgelöst, denn eine Entschuldigung, auch so ernstgemeint, wie die meiner Mutter kann die Veletzungen nicht wegnehmen,oder abschwächen.
Es hat dazu geführt, dass ich mich weder innerlich, noch äußerlich von meiner Mutter abwenden konnte.
Ich habe sie "gehasst", es ist nicht das richtige Wort, vielleicht wäre verantwortlich gmacht besser, aber ich war niemals frei, denn auf eine sehr schlimme Weise habe ich sie auch geliebt.
Als sie dann starb und sich mir dadurch entzog, konnte ich nicht aufhören zu schreien, so verzweifelt war ich.

Nun, dass ist lange her, ich kann heute sagen, ich bin frei, aber es hat lange Zeit des Trauerns und der Wut gebraucht, deshalb kann ich auch Denkers Phasenmodell zustimmen, es müssen all diese Phasen durchlebt und durchlitten werden, vielleicht kann die Reihenfolge eine andere sein, manchmal muss man durch die selbe Phase auch mehrmals??!!

Bei mir war es so, dass ich irgendwann aufhören konnte, mich selber zu hassen, danach konnte ich loslassen.

Denker, es täte mir sehr Leid, wenn ich dir mit der Verbitterung unrecht getan hätte.
Bei mir kam das so an und vielleicht ist eine gewisse Verbitterung auch normal, ich war selbst nicht frei davon, diese Phase hat mir mit Sicherheit am meisten den Weg verbaut

imagine
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

imagine
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von imagine »

Liebe Emriye,
Ich danke dir!!
deine imagine
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Liber
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Liber »

Liebe Imagine,

eine Entschuldigung kann nichts ungeschehen machen, da hast Du recht.

Aber sie könnte einiges bewirken, dann wenn sie in der Situation, "rechtzeitig" kommt. Wenn sich meine Eltern damals als Kind jemals bei mir entschuldigt hätten, hätte ich gespürt, dass sie auch auch meine Position sehen, dass sie nachfühlen können, wie es mir ergangen ist und ergeht. Ich hätte mich von ihnen wahrgenommen gefühlt.

Es wäre grundlegend anders gewesen als dieses: "Das ist gar nicht so, das bildest du dir bloß ein", das ich oft hören musste, bis ich schließlich nichts mehr sagte und vor allem meinen eigenen Gefühlen nicht mehr trauen konnte.



Ich verstehe gut, dass die Entschuldigung deiner Mutter, als du schon erwachsen warst, Schuldgefühle bei dir ausgelöst hat, weil du ja nun "offiziell" keinen Grund mehr hattest, wütend auf sie zu sein.

Und es ja doch warst, einfach weil das alles nicht ungeschehen zu machen ist und du darunter ja auch trotz der Entschuldigung deiner Mutter nach wie vor littest.

Es ginge mir wahrscheinlich genauso!

Vielleicht hätte ich sogar das Gefühl, meine Eltern machten es sich "zu leicht" mit diesen paar Worten für etwas, was mein ganzes Leben beeinträchtigt hat.


Wenn ich mich bei meinen Kindern für etwas entschuldige, dann muss auch irgendeine Konsequen daraufhin erfolgen. Ich muss mein Verhalten in dieser Hinsicht ändern. Oder sie dürfen mich darauf hinweisen, wenn ich es wieder "so" mache. Sonst ist eine Entschuldigung ziemlich wertlos.

Und vielleicht empfinden wir auch deshalb eine Entschuldigung der Eltern, wenn wir schon längst erwachsen sind, als fragwürdig bzw. zu "leicht". Sie hat keine realen Konsequenzen mehr.

Das sind meine Gedanken für den Moment dazu, ich habe das Gefühl, zu dem ganzen Thema wäre noch viel zu sagen !

Liebe Grüße

Brittka
imagine
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von imagine »

liebe Brittk,
ich verstehe, was du meinst, verstehe es wirklich.
Ich farge nochmal, wo fängt die Schuld an, ab wann wird sie unentschuldbar?
Ich denke, es ist bei jedem Menschen verschieden und es kommt auf die Art der Verletzung an, auf die Stärke, desjenigen, der verletzt wurde.

Es ist ein schwieriges und emotionales Thema
Es gibt vermulich keine Lösung, die auf alle zutrifft, es kommt sogar darauf an, als das wievielte Kind man geboren ist, so viele Faktoren spielen eine Rolle....

Ich denke mir aber, dass es der Weg über das Loslassen sein muss, aber wirklich wissen tue ich es nicht

Liebe grüße imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
Emriye2
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Re: Die Falle der Vergebung

Beitrag von Emriye2 »

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