Kognitive Fehler bei Depressionen!

Regenwolke
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Regenwolke »

Guten Morgen,

hab schon ein paarmal zu schreiben versucht, aber irgendwie gehts heute nicht, bin zu unruhig, weil ich gleich für ein paar Tage wegfahre.

Allen hier jedenfalls ein schönes Wochenende und eine weitere gute Diskussion,
Regenwolke
schatzi
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

Hi,
in einem Forum Gefühle zu zeigen, ist meines Erachtens nicht möglich.
Wie will meinem Gegenüber Tonfärbung, Physiognomie, Haltung, Gestik, Mimik in wohlgemeinter oder aggressiver Art vernünftig rüberbringen.
Wie will ich ihn in den Arm nehmen können, wenn ihn meine Worte gerade verletzten oder er vor Glück in den Himmel springen mag.
Meine gemachten Erfahrungen, sicherlich subjektiv, sind was diese Belange angeht, eher enttäuschend.
Ich habe als Mitleser in einem E-bay Forum Sachen gelesen, die Leute anderen Menschen vor die Füße warfen, die sehr wahrscheinlich im persönlichen Kontakt eine Massenschlägerei verursacht hätte.

Auch in diesem Forum habe ich in verschiedensten Threads gelesen, wie sehr Menschen durch diese anonyme Art der Kommunikation frustriert und abgewertet wurden.

Ich für meinen Teil, kann hinzufügen, daß ich sehr daran interessiert bin, die Etikette und die Nettikette stets zu wahren. Mir liegt es nicht daran, mein wieder erlangtes Selbstbewußstein möglichst schnell an anderen nun ausprobieren zu wollen.

Nein, im Gegenteil, ich achte jeden Menschen so wie er ist und versuche über seine mir geschenkten Zeilen eine objektive Meinung zu bilden um ggffls. hilfreiche Inhalte abzuleiten.

Das klingt natürlich etwas nach innerer Mauer, Distanziertheit und Apparate-Patienten-Mentalität. Da ich persönlich mit meiner Krankheitsgeschichte sehr viel zu bearbeiten habe, versuche ich möglichst viel Erfahrungen und da liegt "der Hase im Pfeffer", möglichst viele angenehme Erfahrungen zu sammlen, wie z.B. vorher geäußerte Aktivitäten zu Gitarre spielen oder Musik zu hören.

Auf Grund einer Sackgasse bedingten Denkweise bzw. Grundannahme, habe ich leider verlernt, das Wertgefühl über Dinge die mir gut tun zu finden, sondern eher zu suchen in der Anschaffung von Wertgegenständen Häusern, Autos, Pelze, Schmuck um mich besonders wertvoll fühlen zu können, nach Freud: sog. "Profilneurose".

Viele andere Therapien waren nicht in der Lage, diese aus der Kindheit angelegte Denkweise auch nur im gerignsten aufzudecken und bearbeitbar zu machen.
Dewegen ich sehr oft kontrovers an andere Therapiearten herangehe, ohne den Anspruch Perfektion bemühen zu wollen.
Ich freue mich besonders über Menschen, die ebenfalls an Hand ihrer bisherigen Krankheitsgeschichte, zu detaillierten Meinungen Stellung nehmen können um für einen selbst evtl. neue Herangehensweisen aufzuzeigen und zu erklären.

Ich befinde mich zur Zeit an der Schwelle, die depressive Spirale in kleinen Schritten herauszutapsen um über diese mir Wert gebenden guttuenden und Vertrauen schaffenden Aktivitäten, irgendwann den Rand dieser Spirale zu erreichen um das Licht zu sehen, wie es sich nach langer Zeit des Schattens anfühlt.

Meine Aktivitäten für heute sind geprägt neben dem Führen des Erfahrungstagebuch durch Körperpflege und sportliche Aktivitäten.

Grüße bohneberger
Denker
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Denker »

Hallo bohneberger,
okay, ich respektiere deine Einstellung. Aber du hast recht: Es klingt schon ein wenig nach innerer Mauer.
Was mir noch so durch den Kopf geht, wenn ich deine Postings so lese: Alles sehr theoretisch, als ob du deine Depressionen am Schreibtisch verstehen lernen könntest. Die Beschäftigung mit Theorien ist gut und schön, aber der Weg aus der Depression ist nicht nur ein Weg der Erkenntnis, sondern auch der Gefühle.
Bis ich eine Sache oder ein Problem loslassen kann, laufen in etwa folgende Schritte ab:
1. Intellektuelle Erkenntnis (z.B. darüber, wie ich in meiner Kindheit psychisch misshandelt worden bin. Damit habe ich vor ca. 25 Jahren begonnen!)
2. Zorn und Wut über die Dinge, die man mit mir gemacht hat. Es hat sehr lange gedauert, bis ich über das, was ich schon so lange wusste, auch wirklich wütend werden konnte!
3. Trauer. Wenn ich die Wut zulassen kann, kommt irgendwann die Trauer von ganz alleine.
4. Loslassen, freisein! Hab ich noch nicht ganz geschafft.

Gruß
Denker
schatzi
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

Hallo Denker,

Dein Eindruck von innerer Mauer und Konfliktbewältigung rational am Schreibtisch ist treffend.

Ich versuche den Mechanismus der Depression zu begreifen um über logische Schlußfolgerung den AHA-Effekt herbeizuführen ohne schmerzenden Feldversuch.

Das kann natürlich nicht funktionieren und gehe daher Schrittchen für Schrittchen.

Ich muß Verstehen können um es zu packen.

Meine innere Mauer ist entstanden aus tiefem Mißtrauen gegenüber allen Menschen.

Besonders nach Elternfiasko, Scheidung, berufl. Prägung, Firmeninsolvenz usw. usw. bin ich in keinster Weise mehr bereit, Menschen zu trauen.

Sogar meinem verstorbenen Hauskater, hatte ich seinerzeit beschuldigt, extra in den Kindersandkasten gemacht zu haben.

Meine Gartenbepflanzung entsprach 2 riesengroßen grünen Mauern, heute erst begreife ich wieso.

Nun muß ich mühsam lernen, wohin diese Abkapselung und der Rückzug geführt haben.

Die verhaltenspsychotherapeutische Unterstützung hat mir erst Einblicke erschaffen, die mir überhaupt nicht klar waren, wieso, warum, weswegen und wie gehts denn da wieder raus!

Herzlichen Dank

bohneberger
BeAk

Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von BeAk »

Lieber Bohneberger

Lieber Denker, was Du beschreibst ist Tiefenpsychologie.

Bohneberger scheint diese Vorgehnsweise aber nicht einzuleuchten, ihm liegt die Verhaltenstherapie mehr.
schatzi
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

In der Hand die Laterne haltend warte ich auf die Erleuchtung, die ich schon Anfang der 90ziger Jahre in Form einer Gestalttherapie versuchte zu erlangen.

Nach mehreren Anfragen bei fachkundiger Ärzteschaft, gings dann Anfang 2000 nochmals in die tiefenpsychologische Abteilung, nicht ohne vorher im Laufe der Jahre sich mit Fachliteratur von

F. Perls (Gestalt),
S. Freud (Analyse),
A. Miller (Analyse),
C. Rogers (Gespräch),
H. Petzold (integrative Therapie),
E. Chopich/M.Paul (Innerbonding)
A. Ellis (Kognitive VT)
M. Seligman (Sozialpsychologie),
F. Schulz v. Thun (Kommunikationspsychologie)

auseinander gesetzt zu haben.

Soviel zu Heim- und Einleuchten.

Schöne Grüße

bohneberger
Denker
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Denker »

Liebe Bea,
was ich hier beschrieben habe, ist in erster Linie meine persönliche Erfahrung.
Ich empfinde meine Therapie als eine Mischung aus tiefenpsychologischer und VT und finde das auch ganz gut so. Meine Therapeutin geht da sehr auf meine augenblicklichen Bedürfnisse ein, egal ob ich gerade über traumatische Erlebnisse aus meiner Kindheit erzählen möchte oder über den aktuelle Stress am Arbeitsplatz. Ich glaube sowieso, dass der Draht zum Therapeuten viel wichtiger ist, als die Schule, der er angehört.
VT mag einem vielleicht manchmal etwas verkopft und theoretisch vorkommen. Aber auch hier geht es um Gefühle, und zwar ganz konkret um die Gedanken, die bestimmte Gefühle auslösen. Diese Gedanken kann man in der VT bearbeiten.
Gruß
Denker
Kuhlmann
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Kuhlmann »

Hallo zusammen,

ich habe die Beiträge mit großem Interesse gelesen, weil ich mich häufig auch sehr hilflos fühle. Ich bin dann nicht mehr ich, sondern nur noch der kleine Junge, der sich vor Angst zusammengekrümmt hinter der Gardine versteckt und sich dem was kommen könnte hilflos ausgeliefert fühlt.

Zudem kann ich Bohneberger gut nachempfinden. Das "Intellektualisieren" von Empfindungen ist éin Versuch, mit der Krankheit Depression umzugehen. Ich kann nicht sagen, dass ich sämtliche veröffentlichte Literatur zum Thema gelesen habe, aber es sind schon etliche Bücher. Meine Versuche, die Anregungen diverser Autoren umzusetzen, sind fehlgeschlagen. Wenn mich die Depression in ihren Fängen hat, bin ich zwar in der Lage die Texte zu lesen, aber bei weitem nicht imstande, auch nur ein Komma davon umzusetzen. Was mir im Übrigen in nicht depressiven Phasen ebenfalls nicht gelingt. Das verstärkt meine Hilflosigkeit noch. Ich bin nicht in der Lage, auch nur ein Jota von dem umzusetzen, was Autoren verschiedenster Ausrichtung vorschlagen. Jämmerlich.

Während meines Klinikaufenthaltes wurde ich einer sogenannten "kleinen" Gruppe zugeteilt. Diese bestand aus sechs Patienten und einem Therapeuten. Zu allen Fragestellungen konnte ich etwas sagen, nur an mich ließ ich niemanden heran. Auf den Vorwurf eines Gruppenmitgliedes, ich würde eine Mauer um mich errichten, so dass die anderen mich nicht erreichen könnten, gab ich den Ball an die Gruppe weiter, die daraufhin für mich Partei ergriff und meinte, dies könne man so nicht sagen. Ich hatte es wieder einmal geschafft.

Mit der Zeit lernt man, die Mauer um sich herum zu hegen und zu pflegen. Was natürlich nicht richtig ist, denn hinter der Mauer sitzt ein hilfloses, in seinen Gefühlen verletztes Wesen, das sehnsüchtig auf Hilfe von außen wartet. Ein bedauernswertes Dasein. Da wir hinter der Mauer oft auf Misstrauen und Unverständnis Außenstehender treffen, die sich in unsere Situation weder hineindenken noch -fühlen können, verstärkt sich die Symptomatik noch.

Manchmal gehe ich durch die Straßen, nach außen wie ein gestandener selbstbewußter Mann, der sich innerlich aber elend fühlt und sich am liebsten mit seinem ganzen gefühlten Elend unter der nächsten Bank verkriechen möchte.

Ich habe noch nicht so viele Beiträge verfasst und muss mich noch einfinden. Deshalb geht manches noch durcheinander. Die Art, wie in diesem Thread miteinander diskutiert wird, ist für mich wirklich hilfreich.

Viele Grüsse

Wolf
schatzi
Beiträge: 761
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

Hallo Wolf,

Depressionen zu intellektualisieren ist mir zu eigen und viel lieber und nützlicher, als andere Menschen mit etwaigem Rumjammern oder sonstigen Leidensäußerungen zu nerven, wobei es sich nebenbei um Zeitverschwendung handelt.

Ich gehe mit der Krankheit im Stillen um und ziehe mich so zurück wie eine kranke Katze oder ein lieber Kater.

Es nützt sodann sehr wenig, wenn andere angeblich gesunde Menschen ohne nötigen Intellekt oder Sachverstand versuchen auf dieses Krankheitsbild oder den Stimmungsverlust eingehen zu wollen.

Es handelt sich um einen zu gut abgeschlossenen Regelkreislauf hinter hohen Mauern des stillen Leidens, zu dem sehr häufig noch nicht einmal Therapeuten einen Zugang finden.

Wie übrigens äußerst treffend von Dir beschrieben wurde und ich selten solch einen präzisen Kommentar hier dazu gelesen habe.

Durch das Befassen mit entsprechender Fachliteratur über die Jahre, bin ich was psychische Erkrankungen angeht, sehr interessiert, informiert und hellhörig geworden.

Besonders die Arbeit mit irrationalen Gedanken der kognitiven Verhaltenstherapie halte ich zur Zeit für wirksame ultima ratio.

Alle psychotherapeutischen Maßnahmen wurden von mir zu dem Zwecke begonnen, die schon früh erkannten Erscheinungen besser erklärbar zu machen oder zu beseitigen.

Defizite in der Familienanamnese in Verbindung einer hohen Vulnerabilität führten nach einer emotionalen Kränkung und Stressbelastung zum Krankheitsausbruch.

Wobei ich eindeutige Hinweise habe, daß die männliche Depression sich zur Gänze von der weiblichen Depression unterscheidet.

Liegt sicherlich auch daran, daß wir mit auf den Weg bekommen haben, "Indianer kennen keinen Schmerz" und "richtige Männer weinen nicht"! Soviel zum Thema Mauern und Rückzug.

Teile mir doch bitte mit, welche Therapiemaßnahmen Du bereits durchlaufen hast und von welchen Du den Eindruck hattest wieder in den "Sattel" aufsteigen zu können.

Grüße

bohneberger
deary
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Registriert: 17. Jun 2005, 13:05

Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von deary »

Hallo Ihr!

Dies ist eine interessante Diskussion, wie ich finde.

Auch ich habe alles zum Thema Depressionen gelesen, was mir halt so vor die Nase kam, an "intellektualisieren" habe ich dabei nie gedacht. Denn die andere Seite, den Austausch mit Menschen habe ich mindestens ebenso gesucht.

Gejammert habe ich übrigens viel! Da man -wenn man eine Depression hat- aber erst mal viel aushalten muß - weil sie eben nicht so von heute auf morgen weg ist, hat das für mich Sinn gemacht...
( aber ich bin auch eine Frau )
Wenn es im Rahmen bleibt, halte ich rumjammern sogar für hilfreich, und nicht etwa für Zeitverschwendung , wie Du schreibst, Bohneberger.... Vielleicht ist "rumjammern" auch das falsche Wort, es ist irgendeine Ausdrucksmöglichkeit des bestialischen Leidens, das man in der Depression hat.( und an dieser Stelle scheinen sich männliche und weibliche Depressionen auch nicht sonderlich zu unterscheiden.)
Man kann darüber reden, es hinausschrein, malen, töpfern, aber es muß irgendwie raus.
( Das Töpfern soll an dieser Stelle mal einen leicht ironischen Unterton haben, weil ich es bis jetzt in jeder Klinik in der Beschäftigungstherapie GEHASST habe, DIESE Art des Ausdrucks.)
In diesem Forum hast du mit der Diskussion hier auch schon eine Menge Zeit verbracht, und dabei geschickt auch viel von Deinem Leid verpackt , abgeschickt , an uns Leser losgeworden, ...
Und ich halte das nicht für Zeitverschwendung.

Ich habe auch einiges über die kognitive Verhaltenstherapie gelesen, die nach Ellis.
Das Buch darüber gehört eigentlich zu meiner Lieblingsliteratur über Depressionen.

Eine Verhaltenstherapie habe ich gerade mit 60 h hinter mir, hat aber nix, niente, nüscht gebracht, außer dass ein Geldtransfer von meiner Krankenkasse zu meiner ziemlich unfähigen Therapeutin stattgefunden hat.

( Was ich schon in der Mitte der Therapie gemerkt habe, aber trotzdem die Therapie zu Ende gemacht habe, aus verschiedenen Gründen)

Jetzt bin ich so klug wie zuvor, und wende mich nun der Tiefenpsychologie zu.
In einer Abteilung für Psychotraumatologie war ich schon.( in einer Klinik)

Aber ich denke , die Suche wird noch viel länger dauern als bei meiner ersten Therapeutin, denn jetzt bin ich richtig verunsichtert,( was bei einer Therapie/Therapeutin alles falsch laufen kann) und will "alles" richtig machen, damit ich diesmal wenigstens einen Schritt weiter komme....

Ich finde es interessant, dass Du einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Depressionen siehst.
Hast Du mal das Buch von Ruedi Josuran und Verena Hoehne gelesen?
Ich habe dies kürzlich getan , nach einem Tipp hier aus dem Forum. Es heißt: "Mittendrin und nicht dabei."
Dabei war es erstaunlich, wieviel Gemeinsamkeiten es aber im Erleben von männlichen und weiblichen Depressionen gibt.

Noch was, was mir am Rande aufgefallen ist:
@ Bea: Du schreibst, dass Du dich selbst für "einfach strukturiert" hälst.
Seltsamerweise kommt das bei mir nach deinen Beiträgen zu urteilen nicht so an.
Vielleicht ist auch dies eine depressiv-negative Etikettierung Deiner selbst , die so nicht ganz stimmt? Und damit, -um beim Thema zu bleiben:
Eine kognitive Verzerrung!

Ich habe mir überhaupt schon öfters die Frage gestellt, ob jemand, der WIRKLICH simpel strukuriert ist, wirklich so massiv an Depris erkranken kann.
OK, bekannt ist, dass es in allen Altersgruppen, verschiedensten Gesellschaftsformen und allen Schichten vorkommt, ...
Aber so ein ganz einfach strukturierter Mensch, grübelt der überhaupt so viel über Sinn und Unsinn seines Tuns?

Ich dachte bisher eigentlich, diese Menschen haben es in gewisser Hinsicht einfacher.
Aber vielleicht stimmt das auch gar nicht.

Liebe Grüße
deary
Kuhlmann
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Kuhlmann »

Hallo,

meine bisherigen Therapieerfahrungen erschöpfen sich in einem achtwöchigem Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik sowie einer zwanzigstündigen ambulanten Verhaltenstherapie.

Diese Erfahrung reicht natürlich nicht aus, um zum einen den Stab über eine Therapieform zu brechen und zum andern eine Form als Non plus Ultra zu bezeichnen.

In diesem Zusammenhang finde ich ein Statement der Psychotherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin in einem Interview mit Psychologie-Heute. Der Titel lautet: "Die Zentrierung auf die frühe Kindheit ist falsch". Es geht um das Thema Resilienz.

Nun das Zitat: "...Wir wissen inzwischen, dass es Menschen gibt, die sich mit oder ohne Phsychotherapie entscheiden, dass sie nie mehr Opfer sein wollen und sich entsprechend verhalten..."

In Zusmmenhang mit ihrer Tätigkeit in der Beratungsstelle für Flüchtlinge und Asylbewerber hatte Frau Welter-Enderlin mit Menschen zu tun, die fast alle Gewalt erlitten.

"Der Leiter dieser Einrichtung hat eine sehr skeptische Haltung den so genannten Traumatherapien gegenüber. Denn auch er stellt fest, dass diese Therapien das Trauma oftmals festschreiben. Natürlich ist es wichtig, das Geschehene anzuschauen. Aber Traumatherapien lassen keine andere Möglichkeit zu, als Opfer zu bleiben. Und auch die Betroffenen selbst, misshandelte Bosnier oder Türken beispielsweise, sagen: Wir wissen, dass wir Schreckliches erlebt haben. Wir brauchen niemanden, der uns das erklärt. Aber wir brauchen Menschen, die uns zeigen, wir wir jetzt unseren Alltag bewältigen können." (Zitate aus Psychologie Heute September 2005 S.25 ff.)

Ein befreundeter Arzt, der mich in Krisensituationen versucht aufzufangen, sagte einmal: "Sie haben eine große Kraft in sich."

Meine Kindheit war zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Überlebenskampf, den ich für mich und meine Geschwister führte, und in dem ich als zehnjähriger wie ein Erwachsener denken und handeln mußte. Damals begannen sich bestimmte Denk- und Verhaltensmuster sowie Gefühlsstrukturen auszubilden, die, obwohl die Situation nun schon Jahrzehnte vorbei ist, immer noch mein Leben bestimmen.

Dabei treffe ich im Alltag wie alle Menschen auf Problemstellungen, die einen seelisch Gesunden nicht weiter beängstigen. Bei mir werden sofort die "Stellhebel" im Kopf bewegt, in eine vorhersagbare Position mit absehbarem Ergebnis. Diese Ergebnis ist häufig der Übergang in eine depressive Phase.

Um zur Frage zu kommen, inwieweit Therapien mir als Depressivem helfen können. Ich bin der Meinung, dass ich niemanden benötige, der mit mir die Ereignisse durchkaut, die zum Status Quo führten. Ich benötige jemanden, der mir in entscheidenden Situationen hilft, mein tägliches Leben so zu gestalten, dass ich halbwegs lebensfähig bin.

Sicher bietet die kognitive Therapie hier viele Möglichkeiten.

In einer depressiven Phase jedoch, die geprägt ist von Schuld-, Unzulänglichkeitsgefühlen und Gefühlen starker Hilflosigkeit, verpuffen die Denkansätze dieser Therapieform bei mir. Ich weiß dann, dass es so etwas gibt. Aber das ist gerade so, wie ein Ertrinkender den Rettungsring am Ufer sieht, er für ihn jedoch unerreichbar ist.

Das ist auch ein Grund dafür, dass ich in diesem Forum schreibe. Vielleicht gibt es jemanden, der aus einer ähnlichen Situation heraus Wege gefunden hat, damit umzugehen.

Viele Grüsse

Wolf
BeAk

Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von BeAk »

Liebe Deary,

ich gebe zu, ich habe etwas untertrieben. Nun ja, zeitweise kommt es mir so vor, als wenn es hier im Forum eine Akademikerüberhang gibt. Und gemessen an Akademikern bin ich halt schlichter strukturiert. Es ist halt immer eine Frage des Vergleichs, aber im Grunde fühle ich mich, so wie ich bin, ganz in Ordnung.


Lieber Wolf,

ich mache gerade gegenteilige Erfahrungen bei der Bearbeitung meines Traumas. Mir tut es gut, das Vergangene zu besprechen auch wenn es schmerzhaft ist. Ich gewinne neue Erkenntnisse, lerne Situationen neu zu bewerten und finde dadurch allmälich zu meinen Emotionen der Gegenwart. Habe mich von nichtangemessenen Gefühlen Personen und der traumatischen Situationen gegenüber, lösen können (Scharm, Schuld =Täterintrojekt und die Liebe zum Täter). Für mich sind das große Erleichterungen die sich sehr positiv auf meine seelische Gesundheit auswirken.
Ich kann viel besser meine Gefühle wahrnehmen und denke, das ich dadurch auch der Depression viel weniger Möglichkeiten geben mich aus der Bahn zu schmeißen.

Für mich macht tiefenpsychologische Traumatherapie Sinn.
schatzi
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

Hallo,

wer feststellt, dass er trotz aller Anstrengungen nichts bewirken kann, der wird früher oder später resignieren und aufgeben. Wer von Haus aus davon überzeugt ist, "sowieso nichts machen zu können", wird es gar nicht erst versuchen. Das Grundgefühl, hilflos und ohnmächtig zu sein, hat dramatische Auswirkungen sowohl auf die Befindlichkeit als auch auf das Verhalten: Es lässt jede Initiative erlahmen, macht depressiv und reduziert die Lernfähigkeit.

Der renommierte amerikanische Sozialpsychologe Martin Seligman hat für dieses Ohnmachtssyndrom 1975 den Begriff "Gelernte Hilflosigkeit" geprägt. Seine Theorie besagt, dass Hilflosigkeit vorhersagbar drei Störungen nach sich zieht:

1. Motivationsverlust: Wer erwartet, dass die Ereignisse unkontrollierbar sind, für den gibt es keinen vernünftigen Grund mehr zu versuchen, sie dennoch zu beeinflussen - damit würde er sich nur zusätzliche Frustation einhandeln. Infolgedessen ist der Handlungsantrieb bei Hilflosen sehr gering; sie neigen zu Passivität und Apathie.

2. Lernbehinderung: Wer davon überzeugt ist, dass die Dinge sich seiner Kontrolle entziehen, ist kaum noch dazu in der Lage, Möglichkeiten zu entdecken, wie er noch Einfluss nehmen kann - seine Lernfähigkeit ist beeinträchtigt. Die Überzeugung, nichts machen zu können, wird zur sich selbst erfüllenden Propehzeiung.

3. Erst Furcht, dann Depression: Wer sich als ohnmächtig ansieht, reagiert mit Niedergeschlagenheit; einem Zustand, den Seligman zunächst als Hilflosigkeit- oder später als Hoffnungslosigkeitsdepression bezeichnete. Die erste Reaktion auf Kontrollverlust ist jedoch Angst und Reaktanz, das heißt, das heftige Bemühen, die Kontrolle wiederherzustellen.

Hilflosigkeit entsteht im Kopf - wer sich als hilflos ansieht, ist hilflos.

Ähnlich wie Pawlov konnte Seligman an Hand experimenteller Befunde bahnbrechende Erkenntnisse in den siebziger Jahren herausfinden, denen ich sehr viel Aufmerksamkeit widme um für mich optimistischere Versuche aus diesem Hilflosigkeitskreislauf zu entwickeln.

Vielleicht ist auch hierin erklärbar, wieso viele Trauma-, Mißbrauchs- und Kriegsopfer nicht automatisch mit Depressionen reagieren, weil sie sehr wahrscheinlich anders darüber denken können bzw. Hilflosigkeitssymptome nicht entwickeln.

Kann durch diese Erkenntnis eine Therapieauswahl getroffen werden oder bearbeitet Psychotherapie verschiedenster Ansätze gleichsam den Begriff "Gelernte Hilflosigkeit"?

Ich hoffe, mein Text liest sich nicht zu intellektuell oder akademisch, aber wenn man etwas tiefer der Frage nachgehen möchte: "Wie wirkt Psychotherapie?" - kommt man leider nicht daran vorbei, diese Materie etwas zu vertiefen.

Grüße

bohneberger

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Denke lieber was du willst. Seneca
Regenwolke
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Regenwolke »

Hab den Thread jetzt nochmal überflogen, und weil mir zu den letzten Postings doch ein paar Gedanken durch den Kopf schwirren, will ich Zu später Stunde noch ein bißchen Intellektualisieren

Wolf, Du zitierst aus dem Interview mit Rosmarie Welter-Enderlin, die ich eigentlich schätze. Ich kenne einige sehr gute Bücher von ihr, aber das, was sie zur Traumatherapie sagt, finde ich sehr einseitig, man hat den Eindruck, daß Frau Welter-Enderlin da nicht sehr gut bescheid weiß.

Es gibt zwar unterschiedliche Vorgehensweisen in der Traumatherapie, aber viele Traumatherapeuten betonen, daß nicht die Arbeit an den traumatischen Erlebnissen, sondern die psychische Stabilisierung zentral ist. Sie orientieren sich dabei stark an den Ressourcen (=Fähigkeiten und Kraftquallen) der Patienten und setzen sehr auf die "Resilienz" (d.h. die psychische Selbstheilungs- und Widerstandskraft). Bei den neueren Büchern von Luise Reddemann, einer der bahnbrechendsten deutschen Traumatherapeutinnen, steht die "Resilienz" sogar total im Vordergrund, d.h. es geht nicht um die Frage: "was habe ich Schreckliches erlebt", sondern, "was hat mir geholfen, schwierige Situationen zu bewältigen, und wie kann ich diese Fähigkeiten jetzt für mich nutzen".

Dazu paßt auch das Thema "gelernte Hilflosigkeit", denn jedes traumatische Erlebnis ist von Ohnmacht und Hilflosigkeit begleitet, man kann der Situation tatsächlich nicht entkommen. Die Hilflosigkeit entsteht dabei nicht nur gedanklich, sondern (wiedermal) gleichzeitig im Fühlen, Denken und Körpererleben, und zwar aufgrund der realen Bedrohung (die Vierjährige hat gegen den eindreschenden Vater keine Chance).

Später tauchen dann die entsprechenden Gefühle und Gedanken in Situationen auf, wo man eigentlich nicht hilflos ist, sondern handeln könnte, das alte Denk- und Handlungsmuster hat sich verfestigt. Tatsächlich gibts aber immer auch Leute, die ohne jede therapeutische Hilfe traumatische oder zumindest belastende Erlebnisse gut verarbeiten können, und nicht mit psychischen Störungen reagieren, also besonders "resilient" (psychisch widerstandsfähig und flexibel) sind. Es wird viel rumgeforscht, was denn diese Resilienz ausmacht und wie man sie fördern kann, ein Faktor ist zum Beispiel die (der Hilflosigkeit entgegengesetzte) Einstellung, daß man durch Handeln etwas bewirken und eine schwierige Situation verbessern kann.

Könnte jetzt noch mehr schreiben, aber ich bin totaaaaaal müde.
Deshalb verweise ich auf die hilfreiche Wikipedia-Seite:
http://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz

und gehe dann ins Bett.
Gute Nacht,

Regenwolke
BeAk

Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von BeAk »

Lieber Bohneberger, liebe Regenwolke,

ja, das was ihr beide beschreibt, ist verhaltenstherapeutische Vorgehnsweise.

Wer das was Bohneberger beschreibt 1., 2., 3. an sich bemerkt ist in der Verhaltenstherapie warscheinlich gut aufgehoben.

Auf mich traf aber nur 3. zu. Das waren meine Gefühle während der Depression meines behandlungsverweigernden Mannes.

Alles andere, auch das Trauma, das Regenwolke beschreibt, habe ich völlig anders erlebt und deshalb auch die Verhaltenstherapie als für mich nicht passend empfunden.
Regenwolke
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Regenwolke »

Oh, da war jemand noch länger wach, als ich...

Liebe Bea,

was ich beschrieben habe, ist nicht die verhaltenstherapeutische Vorgehensweise, sondern die sogenannte PITT (Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie) nach Luise Reddemann und alle traumatherapeutischen Konzepte, die ihr nahe stehen oder von ihr beeinflußt sind. Das sind - soweit ich das beurteilen kann - recht viele.

Reddemann ist Psychoanalytikerin und hat ihr Konzept u. a. auf dem Hintergrund der psychoanalytisch/tiefenpsychologischen Theorie entwickelt. Es gibt jedoch tatsächlich viele Abweichungen von der "normalen" psychoanalytischen und auch tiefenpsychologischen Arbeitsweise. Die wichtigste ist wohl, daß zunächst nicht "aufdeckend", sondern stabilisierend gearbeitet wird. Auch die konsequente Arbeit an Ressourcen und Selbstheilungskräften unterscheidet die PITT von der üblichen tiefenpsychologischen Therapie, bei der die Arbeit an konflikthaften Bereichen im Vordergrund steht. Dann gilt die PITT als "übendes Verfahren", weil konkret geübt wird, wie man sich bei Angst, Gefühlsüberflutung etc. durch geeignete Imaginationen helfen kann. Darin liegt eine Nähe zur VT, und die PITT wird tatsächlich auch von vielen Verhaltenstherapeuten eingesetzt, obwohl sie "aus dem anderen Lager" kommt, weil sie sich mit der VT so gut verbinden läßt.

Ob man in einer Therapie (egal welcher Schule) an einem Trauma direkt arbeiten kann, hängt m. E. von der Stabilität des Patienten und von der Art des Traumas ab, es gibt Menschen, denen es große Erleichterung verschafft, wenn sie über das Geschehene sprechen und die entstanden Gefühle mitteilen können, es gibt andere, die sind damit überfordert, weil sie von Gefühlen und Erinnerungen überflutet werden, die sie dann nicht mehr stoppen können.

Bei Dir scheint die tiefenpsychologische Vorgehensweise ja gut zu funktionieren, wobei ich bei dem, was Du darüber schreibst (Auseinandersetzung mit Scham- und Schuldgefühlen, Täterintrojekten etc.) schon vermute, daß Deine Therapeutin sich mit der Traumatherapie, wie ich sie beschrieben habe, ein bißchen auskennt und davon auch Elemente einsetzt (wie z. B. die Arbeit an Täterintrojekten).

Grüße,
Regenwolke
Regenwolke
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Regenwolke »

Vielleicht noch als Ergänzung:

Ich glaube nicht, daß kognitive VT für die Bewältigung eines Traumas ausreicht (s. meine obigen Beiträge), unter anderem deshalb nicht, weil Traumata im Gedächtnis anders gespeichert und verarbeitet werden, als andere Erlebnisse und die reine Arbeit an Gedanken und Einstellungen gar nicht an die "abgespaltenen", oft nichtmal richtig in Sprache zu fassenden traumatischen Erlebnisse heranreicht.

Das widerspricht übrigens nicht dem, was Seligman herausgefunden hat, das Konzept der "erlernten Hilflosigkeit" ist immer noch aktuell, nur ist seit den 70er Jahren eben viel neues Wissen über das Gedächtnis, die Bedeutung von Emotionen usw. hinzugekommen.
schatzi
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

Als gegenwärtige Paradigmen (Beispiel, Muster) der Psychopathologie lassen sich benennen:

das biologische Muster
"Psychische Störungen werden durch biologische Prozesse verursacht. Das biologische Beispiel ist Begründung für direkt körperbezogene Therapiemaßnahmen, insbesondere der Psychopharmakotherapie.

das psychoanalytische tiefenpsychologische Muster
"Psychische Krankheiten basieren auf unbewussten Problemen". Kindheitserfahrungen sind wesentlich für die Persönlichkeitsbildung; Ursachen und Zweck menschlichen Verhaltens sind nicht immer offensichtlich. Freie Assoziation, Deutung, Übertragung und Gegenübertragung sowie Abwehrmechanismen sind Beispiele für therapiebestimmende Begriffe.

humanitische und existenzielle Beispiele:
"Gestörtes Verhalten ändert sich am ehesten, wenn dem Patienten seine Motive und Bedürfnisse bewußter werden". Klientenzentrierte Therapie, existenzielle Therapie, Gestalttherapie haben die Annahmen gemeinsam, dass der Mensch von Natur aus gut und leistungsfähig sei, und durch Einsicht, mit freiem Willen und Eigenverantwortung persönliche Entfaltung erreicht.

lerntheoretische Beispiele
"Abweichendes Verhalten wird auf dieselbe Art und Weise erlernt wie normales Verhalten". Wesentlich sind Prinzipien der klassischen Konditionierung, der operanten Konditionierung und des Modell-Lernens. Mit der Verhaltenstherapie werden Änderungen auf der Grundlage experimenteller Erkenntnisse zu Lernvorgängen angestrebt.

das kognitive Beispiel
"Wie strukturiert der Mensch Erfahrungen, wie gibt er ihnen Sinn, und wie setzt er gegenwärtige Erfahrungen in Beziehung zu im Gedächtnis gespeicherten Erfahrungen?"
Bei kognitiver Verhaltenstherapie werden Gedanken, Wahrnehmungen, Urteile und Selbsteinschätzungen in Ergänzung lerntheoretischer Muster einbezogen.

Weder eines dieser Paradigmen noch die Summe aller genannten ist in der Lage, das Gesamt der Genese und Therapie psychischer Störungen (Davison, 2002) vollständig zu erklären.

Alle vorgestellten Psychotherapiearten versuchen über bestimmte Herangehensweisen den Zustand Resilienz (Fähigkeit des Stehaufmännchens, aufrechte Haltung, Widerstandsfähigkeit) und des Copings (Krankheitsbewältigung) zu erreichen bzw. erklärbar zu machen.
Es gibt bis jetzt leider noch nicht der Weisheit letzten Schluß, welche Therapie zu welchem Zeitpunkt, welche Symptome und Erkrankungen am besten beseitigt um die v.g. Einstellungen zu erreichen.
Richtig ist sicherlich, daß schwerste Traumata wohl eine besondere Stellung in der Behandlung einnehmen und mir soweit bekannt, meist schulenübergreifend behandelt werden. Siehe PITT, EMDR, Tiefenspychologie und kognitive Verhaltenstherapie als Mix mir häufiger bei Anfragen genannt wurde.
Plausibilität, was denken oder fühlen Menschen mit Resilienz bzw. "Stehaufmännchenhaltung" nach aller schwersten Lebensereignissen, kann ich bisher nur vermuten.
Ist überhaupt Psychotherapie in der Lage, derartig genetische Voraussetzungen wieder herzustellen oder waren diese im Einzelfall niemals vorher vorhanden?

Grüße

bohneberger

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Triebwerk im Keller der Seele

Mehr noch als durch Psychoanalyse und Traumdeutung ging Sigmund Freud aufgrund seiner Sexualtherorie in die Geschichte ein. Doch gerade seine Ideen von Ödipuskomplex und frühkindlichem Triebleben galten lange als überholt - bis sie nun von Neurowissenschaftlern ausgelüftet werden.

Der Spiegel Nr. 18/29.04.06
Anita2
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Anita2 »

Hallo Bohneberger,
ich lese Deine Postings mit sehr viel Interesse. Finde mich darin wieder. Ich bin aus der Kindheit heraus mehrfach traumatisiert und habe auch eine familiäre Vorbelastung und eine wiederkehrende schwere Depression. Dies alles ist mir erst seit dem Klinikaufenthalt bewusst.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich alles weit weg, in Erdlöcher, oder so vergraben.
Ich habe Reaktionen gezeigt, die ich für normal hielt und doch weit überzogen waren.
All dieses ist mir nun bewusst und ich konnte sowohl durch die Tiefenpsychologie als auch durch die Kognitive Therapie für mich neue Ansätze finden. Mit den Theorien der Kognitiven Therapie (habe ich mir über Fachliteratur angeeignet) komme ich gut zurecht und dies bekomme ich über positive Rückmeldungen auch bestätigt.
Zusätzlich mache ich eine Gestalttherapie.
Mir geht es inzwischen viel besser, habe immer noch Rückfälle die aber schwächer werden.
Ich bin mir mittlerweile um viele Geschehnisse bewusst, kann sie aber meist wieder ins Erdloch schieben und nur in der Therapiestunde hervorholen.
Ich war immer sehr optimistisch denkend und glaube, dass mir dies nun zugute kommt.
Ich habe den Eindruck, dass es "die Therapie" schlechthin , nicht gibt. Ich denke so unterschiedlich wie die Menschen sind, so unterschiedlich sind die Depressionen, so unterschiedlich ist auch der Umgang damit und so unterschiedlich sollten auch die Ansätze der Therapie sein.
Mir ist es gleich aus welcher Schule die Theorien stammen, für mich ist wichtig, dass ich die Zusammenhänge verstehe warum ist was wie und wie kann ich dieses Verändern (bin halt ein Kopfmensch).
Am Anfang von allem steht aber der Wille, etwas verändern zu wollen.

In diesem Sinne,
liebe Grüße
Anita2
schatzi
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

Hallo,

Kopfmenschen haben es häufig viel schwerer, weil sie von ihrem Kontingent und Spektrum ausgepägter sind als Menschen, die erst garnicht in diese Bereiche hineingelangen können.

In einem Fachbericht über Psychiatrie habe ich gelesen : "Dumme haben keine Neurosen, da sie soweit garnicht denken können!".

Ohne sich nun etwas darauf einbilden zu können, vielleicht ausgeprägter geboren worden zu sein oder sich entwickelt zu haben, ist für mich in diesem Zusammehang interessant, wie man evtl. diese "Robustheit" (Fachbegriff Resilienz) gegenüber Lebensschwankungen erreichen bzw. erhalten kann.

Wenn meine Angst vor Bestrafung zurückkehrt, bin ich leider in der Lage über alle Ecken in feinstem Detail sämtliche Unwägbarkeiten auszumalen, die vielleicht im ungünstigsten Falle auftreten könnten.

Diese Katastrophenangst begleitet mich nun schon über Jahre und haut mich regelmäßig vom Teppich.

Leider haben sich diese Auswirkungen chronifiziert, sodaß wenn der Anlass zwar verschwunden ist, der Angstzustand aber leider bleibt.

Auf die Frage wovor ich denn Angst habe, stehen auch meistens ganz reale bedrückende Lebensereignisse an, z.B. Tod, Insolvenz, Bußverfahren, Prüfungen, Infizierung, Trennungen, einfach Existenzverluste die Angst machen können, aber bei mir sich in Form generalisierter Angszustände manifestieren.

Wenn andere zu mir sagen, 'nun steck doch nicht den Kopf in den Sand', hatte ich bereits leider schon monatelang Sand eingeatmet!

Im Rahmen einer zur Zeit unter wissenschaftlicher Beobachtung laufenden kognitiven Verhaltenstherapie, hoffe ich, dieses Kopf-Angst-System zu durchbrechen um vielleicht mal irgendwann stabiler meiner Leben zu bestreiten.

So ist mein Leben ständig vergleichbar mit einem hoppelden Kaninchen, welches hinter jedem Strauch und Stein eine aufgerichtete Königskobra erwartet.

Grüße

bohneberger

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Unser Löwenkopfkaninchen heißt übrigens 'Möppel"!
Anita2
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Anita2 »

Hi Bohneberger,
das mit dem differenzierteren Denken hat mir mein Internist auch gesagt. Naja ich weiß nicht.
Bei mir ist die Angst und der Selbstschutz nur sehr spärlich ausgeprägt, hat laut meinem Psychiater mit meiner Kindheit zu tun.
Ich kann also nur über meine Arbeit mit den automatischen Gedanken und dem Umgang an meine Kindheitserinnerungen erzählen.
Ich habe zwei Hälften in meinem Kopf, eine offene und eine gesperrte Hälfte. In der gesperrten Hälfte gibt es keine Gefühle, die sind hier ausgeblendet.
Sobald diese Erinnerungen kommen, schiebe ich diese in die gesperrte Hälfte und wenn ich bei meiner Therapeutin bin, kann ich die da wieder rausholen. Die Abstürze sind dann häufig sehr heftig.
Die automatischen Gedanken überprüfe ich sofort auf ihren Wahrheitsgehalt und so kann ich dann die Endlosschleife verhindern.
Die größten Schwierigkeiten habe ich mit den Gedanken und den dazu aufkommenden Gefühlen, nicht angenommen zu sein. Hier ist bei mir die Verzerrung am stärksten. Mittlerweile schaffe ich es hier meine Emotionen unten zu halten und erst meine Gedanken einer Realitätsprüfung zu unterziehen.
Hier lasse ich mich manchmal noch Fallen, wenn ich zu Hause bin und keine Kraft mehr habe.
Ich weiss nicht, ob ich das jetzt verständlich rüber bringen konnte. Vielleicht kannst Du ja damit etwas anfangen.
Liebe Grüße
auch an "Möppel"
Anita2
schatzi
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

Hallo und herzlichen Glückwunsch,

das ist ja fast Idealzustand des kognitiven Therapieansatzes, die Gedanken auf Realitätsbezug sofort überprüfen bzw. in der Therapie aus der gesperrten Seite hervorholen zu können.
Da kannst Du aber stolz auf Dich sein, so mit irrationalen Gedanken umzugehen, bevor sie schlimmeres anrichten können.
Das will ich auch lernen und trainieren!

Grüße

von bohneberger und Hase Möppel
Anita2
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von Anita2 »

Hallo Bohneberger,hallo Möppel,
danke für das Lob!
Meine Therapeutin sagte mir, dass Menschen mit traumatischen Erfahrungen öfters diese Fähigkeit entwickeln.
Wie Du siehst, die Natur gibt einem das Gegenmittel mit. Vielleicht muss man es nur finden und weiterentwickeln. Ich denke das Training ist das A und O. Aber wem schreibe ich dass. Du weist ja bestens Bescheid und Du wirst es auch schaffen.
Es lohnt sich. Mit dem Erfolg stellt sich auch der Spass und die Neugierde ein, neues zu probieren.
So geht es mir zumindest. Ich bekomme sehr viele positive Rückmeldungen und die geben mir viel Kraft. Ich bin immer noch sehr unsicher, aber ich mache weiter.
Wir haben durch die Krankheit ganz neue Möglichkeiten, an die andere nie heran kommen. Ich wäre vor meiner Krankheit auch nie auf solche Gedanken gekommen. Ich hatte von all diesen Dingen bis März 06 keine Ahnung.
Manche laufen den Jakobsweg um sich selbst zu finden, wir haben unseren eigenen Weg gefunden.
Mache also weiter, der Lohn dafür ist gewiss.

Liebe Grüße
Anita 2
HannaLena
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von HannaLena »

Hallo an alle,

bin neu hier, daher erstmal eine kurze Vorstellung von mir: derzeit 44 Jahre alt, Diagnose rezidivierende Depression, gestellt vor fünf Jahren, aber vorhanden schon seit meinem 7. Lebensjahr (wenn nicht noch länger), Grundursache traumatische Kindheitserfahrungen (und nicht nur da). Medikamente: Citalopram 20 mg/tgl., womit ich sehr gut zurecht komme. Psychotherapie seit knapp fünf Jahren = ca. 100 Sitzungen bisher. Enthalten sind darin Elemente so einiger Richtungen, meine Therapeutin versteht es hervorragend, immer grade das herauszupicken, was für mich grade am ehesten hilfreich sein könnte.
Geselle mich hier einfach mal dazu, gerade diese Diskussion regt mich an, mich zu beteiligen.

Greife dann mal das erste Posting des Threads auf:

zu 1:

Da kann ich zustimmen, kenne ich gut, allerdings nur während meiner depressiven Phasen. In guten Zeiten kann ich dagegen sehr gut differenzieren und alle Schattierungen wahrnehmen, neige allerdings gelegentlich zum Übermaß. Kann dann auch wieder negative Folgen haben, s. zu 4.

zu 2.:

ebenfalls wie bei 1.

zu 3.:

Damit habe ich generell ein Problem, da ich nur sehr schwer vertrauen kann. Ich wage es oft auch kaum, Positives anzunehmen, weil ich automatisch davon ausgehe, dass es sich früher oder später sowieso zum Negativen hin verändert. Wird zwar stetig besser, bedarf aber schon noch ´ner Menge Arbeit, das zu ändern.

zu 4.:

Uuuuuh! Voll erwischt *gg* Läuft bei mir unter "automatische Annahmen". Ich befinde mich in dieser oder jenen Situation und nehme automatisch an, dass dieses oder jenes als nächstes passieren wird bzw. mein Gegenüber bestimmt dies oder das denkt...grauslig! Ich kann allgemein ganz gut Dinge abschätzen oder Menschen einschätzen und liege damit oft auch richtig. Nur hängt es halt immer wieder mal auch von meinem jeweiligen Zustand ab, von meinem eigenen Gefühlserleben...ich erkenne dann oft, dass ich da Dinge auf andere übertrage, die gar nicht zu ihnen gehören.

zu 5.:

einfach zustimme

zu 6.:

Jein. Es muss keineswegs wahr sein, was ich gerade fühle. Z.B. jemand sagt mir zu, irgendwohin mitzukommen, was mir äußerst wichtig ist und sagt im letzten Moment ab, weil ihm etwas dazwischenkommt. Kann bei mir leicht das Gefühl von absoluter Verlassenheit auslösen, obwohl ich vom Verstand her haargenau weiß, dass es der Situation gar nicht angepasst ist. Das Gefühl an sich ist echt und trotzdem ist es nicht wahr, dass ich verlassen BIN.
Andererseits kann ich Unwahres nicht fühlen, höchstens wahrnehmen, dass es unwahr ist.

7.:
"Ich hätte sollen, warum hab´ ich nicht..."...stimmt, führt gern zu Resignation und...Rückzug.

8.
Hm. Bezogen auf Ich-Etikettierungen kann ich zustimmen, bezogen auf andere...nein.

9.
Autsch, ja. Und immer sehr darauf bedacht, es für mich zu behalten, weil mein Verstand ja durchaus weiß, dass es nicht immer der Realität entspricht.

Ich glaube, es gibt durchaus Gedanken, die zur Depression führen, ebensoviel aber auch erzeugt die Depression an sich solche Gedanken. Und ich kann destruktive Gedanken eben nicht einfach ändern, um mich besser fühlen zu können bzw. der Depression aus dem Weg zu gehen. Dazu bin ich in so einigem derart konditioniert worden, dass es sehr tief eingefahren ist. Mir bleibt also nichts anderes, als die alten eingefahrenen Wege zu verlassen und neue anzulegen. Das Schwierige daran ist die Tatsache, dass ein tief eingefahrener Weg wesentlich besser erkennbar ist als einer, der erst noch angelegt werden muss.

Wie Psychotherapie wirkt? Ich habe ehrlich nicht die geringste Ahnung. Meine Therapeutin hat mir im zweiten oder dritten? Jahr mal gesagt, ich würde mich eigentlich komplett selber therapieren...aber ohne sie wäre ich ziemlich aufgeschmissen.

sonnige Grüße

HannaLena
Seien wir realistisch, wagen wir das Unmögliche (Che Guevera)
schatzi
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Re: Kognitive Fehler bei Depressionen!

Beitrag von schatzi »

Hallo,

das habe ich hier besonders häufig gelesen, dass die Depressionen vor den depressionen erzeugenden Gedanken da waren und es schier unmöglich ist, diesen eingeschlagenen Pfad nun wieder zu verlassen.

Es geht nicht darum sich einfach formelhafte andere Gedanken einreden zu wollen, sondern über bestimmte Aktivitäten - vielleicht Imagination, Sport, Malen, Musik hören, Kontakte etc. - günstigere Denkweisen mit nachfolgenden Gefühlen zu entwickeln.

Die in den letzten Beiträgen häufiger genannte Resilienz bildet hierüber eine Einheit in gegenseitiger Ergänzung.

1.Trauma,
2.Gedanke (z.B.: ist das schrecklich, ich bin hilflos, ich werde sterben),
3.Gefühl (z.B.: Depression, Angst),
4.Verhalten (z.B.: Rückzug).

Richtig ist zu hinterfragen, welches Verhalten - Glaubenssätze, Aktivitäten schaffen es mich resillient zu stabilisieren?

Diese Widerstandsfähigkeit würde ein anderes Verhalten in Krisen bewirken um nicht Angst- oder Depressionen erzeugen zu müssen.

Belegt durch eine TV-Sendung die Menschen in Afrika zeigte, die täglich von schwersten Hungersnöten und Armut betroffen sind, aber keinerlei Verbitterung gegenüber dem Leben zeigten oder psychische Erkrankungen entwickelten.

Diese Menschen begegnen uns tagtäglich, die mit schwersten Diagnosen oder Schicksalsschlägen umgehen können, ohne jemals daran zu denken abtreten zu wollen oder psychisch krank zu werden.

Was haben diese Menschen, was ich nicht haben kann, mir aber in mühseliger Psychotherapiearbeit versuche anzueignen?

Grüße

bohneberger
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