Depression und Glaube

stan
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Depression und Glaube

Beitrag von stan »

Bei Prof. Volker Faust (Ulm/Weissenau)gelesen(sinngemäß), dass der Depressive oft auch seinen letzten Halt, den religiösen Glauben, verliert. Wie ist eure Erfahrung damit? Bei mir ist es so, obwohl da sicher auch noch andere Faktoren mitspielen.
HG stan
angi
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von angi »

könnte gut stimmen...also auf eineige Menschen zutreffen. Trifft auch auf mich zu. Kenne aber auch keine wissenschaftlichen Belege dazu.
5MS8

Re: Depression und Glaube

Beitrag von 5MS8 »

Hallo Wolp,

das würde mich wirklich interessieren: Wie war dein Glaube VOR der Depression? Was war für dich wichtig? Woran hast du geglaubt? Hat dein Glaube dein Leben bereichert oder aber belastet?


@angi
Und wie war es bei dir? Was war dein Glaube, und was war gut daran?
Im übrigen glaube ich nicht, dass im Bereich des Glaubens irgendetwas wissenschaftlich belegt werden kann, sonst wäre (entschuldige die Trivialität dieser Aussage) es ein Wissen, über das wir verfügen.

"Gott" - das ist für mich etwas, worauf ich in 48 Lebensjahren noch keine Antwort gefunden habe, worüber ich mir aber gerade in sehr depressiven Phasen viele Gedanken mache, ohne bis jetzt eine Antwort gefunden zu haben.

Frau58
angi
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von angi »

Hallo Frau58,
ich glaube du hast mich falsch verstanden?! ich meinte: ich kenne keine wissenschaftlichen Belege dafür, ob depressive Menschen oft ihren Halt im Glauben verlieren. dass das für depr. Menschen zutrifft kann ich mir aber gut vorstellen.
gundi2
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von gundi2 »

Hallo,

ich kann mir nicht vorstellen, dass es da große "Gesetzmäßigkeiten" gibt zwischen Depression und Glauben (Glauben woran?).

Mir ging es so, dass mir bei einer schubweise auftretenden Depression, die ich selbst als mehr oder weniger plötzlichen Krankheitseinbruch erlebt habe, mein Glaube - zusammen mit der Hoffnung und letzlich auch Erfahrung, dass das wieder vorbei geht - über weite Phasen ziemlich geholfen hat. Aber es gab auch Momente, wo es mir sehr schlecht ging und ich dann auch nicht mehr an Gott glauben konnte.

Jesu letzte Worte am Kreuz waren: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" - Wenn wir uns zeitweilig von Gott verlassen fühlen, ist das sicher "normal", und es gibt da auch keine Patentrezepte, wie man damit umgehen kann. Jeder Mensch glaubt anders, auch wenn er zu einer der großen Kirchen gehört; und jede Depression ist anders. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein länger andauernde Depression auch den ganzen Glauben ins Schwimmen bringen kann.

Es würde auch mich interessieren, was ihr für Erfahrungen in dieser Beziehung gemacht habt!
gundi2
imagine
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von imagine »

das ist wirklich eine interessante Frage und sie ist absolut nicht einfach zu beantworten.

Ich denke, wenn man in einer tiefen Depression steckt, dann ist es auch mit den Glauben schwierig, weil sich Hoffnungslosigkeit und Glauben gegenseitig ausschließen.

Ich hatte schon einige Glaubenserlebnisse, die mich normalerweise an ETWAS glauben lassen, dass ich persönlich als höhere Macht bezeichne.

Auch das vergleichen mit Jesus am Kreuz gefällt mir gut, denn das ist es doch was wir in der Depression erleben.

Wir fühlen uns verlassen von den Menschen, aber auch von Gott.

Es lohnt sich, darüber nachzudenken und ich bedanke mich für diesen Thread

imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
stan
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von stan »

Ich bin im katholischen rheinischen Milieu aufgewachsen, man kann also nicht sagen "streng katholisch", sondern eher liberal. Mein Glaube war eher eine Hoffnung, dass es etwas gibt, was dem Universum einen Sinn gibt, auch wenn wir das nie verstehen werden. Dass daraus auch für das Zusammenleben der Menschen gewisse Regeln entstanden sind, die überzeitliche Geltung haben. Eigentlich bin ich, um es mit Peter Glotz zu sagen, ein "katholischer Agnostiker". Aber ich frage mich, wieso nur der Verstand und der wissenschaftliche Beweis zählen sollen, wo wir doch alle erleben, dass Intuition und Emotion das Leben und das Denken so stark beeinflussen.
Vor der Depression, das war bei mir: vor 50 Jahren, ich weiß nicht mehr, ob ich da überhaupt über solche Fragen nachgedacht habe. Ich habe einfach in den Glaubenstraditionen gelebt. Aber dass der Verlust des Glaubens etwas mit meiner Krankheit 'bipolare Depression' zu tun hat, davon bin ich fest überzeugt. Es wäre noch viel zu sagen, aber ich mache jetzt mal Schluß.
LG stan
imagine
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von imagine »

Hallo Stan,
leider habe ich im Moment starke Kopfschmerzen, würde aber gern am Ball bleiben, dass was du schreibst interessiert mich sehr.
bis bald, alles Liebe
imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
sewi
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von sewi »

über meinen freund und mich kann ich sagen, dass wir uns in der kirche am sichersten fühlen.

zwar habe ich jetzt endlich nach jahrelangem spießrutenlauf inkl. demütigem jahrelangem betteln und flehen seit feb. 2005 endlich den notwendigen kompetenten psychotherapeuten auf kassenkosten, aber das gibt uns auch keine sicherheit.

wir sind der ansicht, bei menschen kann man nie sicher sein (egal ob psychiater oder psychotherapeuten), weil es eben auch nur menschen sind.

wir sind der ansicht, man kann alles verlieren - den job, die wohnung, die familie, die freunde, die zukunftspläne (soweit vorhanden), das vertrauen in die mitmenschen, alles ersparte, die ganze würde, die letzte hoffnung, die gesundheit, alles geld, alle sicherheiten kann man so schnell verlieren - aber gott und den glauben kann einem, was da auch kommt, niemand wegnehmen.

in dem augenblick, wo die welt untergeht, in den stunden, wo der finale komet auf die erde zurast, oder auch im augenblick von hunger, not, obdachlosigkeit, extremer verlassenheit, wird man mich sicher nicht bei meinem psychotherapeuten finden - sondern in der kirche.

Weltenwandlerin
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von Weltenwandlerin »

Hallo Wolp!

Bei mir war und ist eher so, dass sich durch meine Erkrankung mein Glaube, bzw. Spiritualität weiter entwickelt und verfestigt hat.

Ich bin zwar christlich sozialisiert, aber eher buddhistisch/esoterisch orientiert. Vieles, was der Buddhismus lehrt, hat sich für mich "bewahrheitet", ganz besonders in der Depression.

Lg, Mika
Werden kennt kein Ende. Der Strom fließt weiter. Jeder Augenblick ist neu. Der Schmerz des Wachsens: der Mühen wert! (Bruno-Paul de Roeck)
Nachttaube
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von Nachttaube »

ich glaube, ich wurde gläubisch erzogen. Obwohl Lüge, betrug und offensichtlich gegensätzliches Handeln zum Glauben tagtäglich waren, obwohl ich von meiner Mutter angestiftet wurde, zu belügen, zu betrügen.

Dennoch habe ich geglaubt und fest daran geglaubt, dass mir Gott helfen würde. Ich fühlte mich nicht nur einsam, sondern auch grundsätzlich anders als alle anderen, mein Gerechtigkeitssinn, mein Gefühl von Gut und Böse wurden weltlich immer verlacht und ich hoffte auf den Glauben.

Viele verzweifelte Jahre später habe ich eingesehen, dass so ein Glaube zu naiv ist. Ich konnte dem Glauben nicht mehr folgen, trat aus der Kirche und bis heute glaube ich nicht an einem Gott wie es die christliche Kirche lehren will.

Heute weiß ich, dank der heutigen Psychiatrie, dass ich eine Persönlichkeitsstörung habe. Zur Regulierung benutze ich oft Methoden, die dem Buddhismus angelehnt sind. Aber einen Glauben werde ich wohl nicht mehr finden wollen
Stoffel77
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von Stoffel77 »

Hallo,
Ich denke ich habe durch die Krankheit den Gauben eher noch stärker erlebt, da ich so sehr nach einem Sinn gesucht habe/suche.
Ich habe oft mit Gott gehadert, warum das jetzt sein muss, dass ich mich so schrecklich fühle, womit ich das verdiene.
Wenn ich mal wieder so weit war, dass ich mich xxxxx (darf man hier ja nicht schreiben), habe ich Ihn gefragt, warum denn nicht, ob Er das nicht verhindern will. Mag jetzt blöd klingen, aber ich habe Antwort bekommen. Nicht so wie eine Stimme im Kopf (soo krank bin ich nicht), aber wie etwas was mir klar wurde und Erhörung meiner Bitten.
Also ohne in Details zu gehen, nur das Ergebnis: Wenn ich leben will, wird Er mir helfen weiter zu leben, irgendwie. Aber wenn ich unbedingt sterben will, wird Er mich nicht abhalten, es zu versuchen. Das ist mein freier Wille, selbst wenn Er das vielleicht bedauert.
Vielleicht wird im entscheidenden Moment entwas passieren , ich hab ja nie...

Jetzt sind in meinem Leben andere Umstände eingetreten, die auch irgendwie göttlich sind und meinem Leben einen Sinn geben. Mein Kind ist für mich ein Abbild Gottes. So etwas wunderbares kann nicht menschengemacht sein.

Nun, das war vielleicht alles ein bischen salbungsvoll, sonst rede ich nicht so. Bin recht zurückhaltend mit meinem Glauben.
Hoffentlich versteht ihr trotzdem, was ich meine.
Gruß
ABC
imagine
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von imagine »

Hallo ABC, ich verstehe genau was du meinst!!!!
Und KINDER sind wirklich ein Gottesgeschenk,
auch meine Tochter hat mich weiter leben lassen, also auch da bin ich deiner Meinung.

Wenn du dich über deine Gedanken an Sui. austauschen möchtest, es gibt im Depriforum einen guten Thread, in dem man über alles schreiben kann, was einem zu diesem Tabu Thema bewegt, ich lese zwar nur mit, man muß sich auch anmelden, aber die Menschen dort haben wirklich was zu sagen...
Freundliche Grüße
imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
stan
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von stan »

Hallo Nachttaube, kannst Du mal etwas näher ausführen, was Du aus dem Budhismus übernommen hast? Oder ein Buch empfehlen? Wie bist Du darauf gekommen?
Gruß stan
5MS8

Re: Depression und Glaube

Beitrag von 5MS8 »

Auch mich interessiert dieses Thema nach wie vor SEHR - ist vielleicht sogar (zumindest wenn ich meine Vergangenheit anschaue) auch so etwas wie ein "Lebensthema". Muss dazu aber den Kopf frei haben, ich schreib später sicher nochmal was dazu.

Frau58
imagine
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von imagine »

Hallo Frau 58,
das würde mich sehr freuen, denn auch mich begleitet dieses Thema schon sehr lange.

Das Kinder ein Geschenk Gottes sind, lässt sich daran feststellen, dass sie im Grunde fix und fertig sind, wenn sie auf die Welt kommen und die Erziehung zwar wichtig, aber nicht entscheidend ist.

Ich will hier niemand seine traumatische Kindheit wegnehmen und auch nicht bezweifeln, dass man viel kaputt machen kann.

Trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung, wenn alles halbwegs normal abläuft, sind Kinder der Faktor, der Eltern verändert

Nächtliche Grüße
imagine, die alt genug ist zu wissen, wo die Kinder herkommen
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Nachttaube
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von Nachttaube »

hallo Wolp,
tatsächlich habe ich nur bruchstücke der buddhistischen Lehre für mich erschlossen. Das heißt, dass ich die Achtsamkeits-Meditation gut für mich annehmen kann (das praktiziere ich auch). Also Wahrnehmen und nicht beurteilen, die Gedanken fließen lassen.

Das ich mich darauf einlasse, hat mit meinem früheren Therapeuten zu tun, der hat ZEN-"Buddhismus" ausgeübt, mir einige Dinge erzählt. Das hat mich neugierig gemacht und so bin ich auf den Weg.

Dieser Therapeut hat mit auch Qi-Gong näher gebracht, ist zwar chinesich, aber ich denke, dass die Richtung für mich ausschlaggebend ist.

Ich bin noch suchend und kann Dir also keine Tipps geben

gruß
5MS8

Re: Depression und Glaube

Beitrag von 5MS8 »

Hallo miteinander,

es sind ja schon viele Gedanken zu diesem Thema zusammengekommen, so dass ich gar nicht mehr auf jeden eingehen kann, wie ich das gerne wollte.

Ich bin geprägt worden von einem bayerisch-ländlich-bäuerlichen Katholizismus (also die ganz "extreme Variante" ). Heute setze ich ein Smilie dahinter, aber wenn man als Kind (und auch bis ins Erwachsenenalter hineinreichend) davon geprägt ist, ist das eigentlich alles andere als augenzwinkernde Fröhlichkeit.

Der sonntägliche Kirchgang war bei uns PFLICHT, und hätte man (auch später, als Jugendliche(r), dem nicht Folge geleistet - der Sonntag wäre für diesen Sünder gelaufen gewesen!! Das soll nur eine kleine Illustration meiner diesbezüglichen Erfahrungen sein.

Als ich dann allein bzw. später mit meinem Mann lebte und auch nicht mehr in einem Dorf sondern in München, habe ich den christlichen Glauben von einer eher positiven Seite erlebt. Ich/wir fühlten uns zu nichts mehr verpflichtet, haben uns aber aus freien Stücken unserer damaligen Pfarrei sehr verbunden gefühlt, zumal dort viele junge Familien engagiert waren, die so nach und nach ihre Kinder bekamen, so wie wir auch. Meine Depression war auch damals sicher schon vorhanden, aber es waren eher Episoden mit längeren symptomfreien Phasen dazwischen.
Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass eine solche Gemeinschaft durchaus stabilisierend auf einen Depressiven wirken kann, wobei ich aber glaube, dass das nicht unbedingt eine religiöse Glaubensgemeinschaft sein muss.

Anfang der Neunziger Jahre (wir wohnten nicht mehr in dieser Pfarrei aber noch in München) bröckelte dann mein Glaube immer mehr. Der damalige Krieg im ehemaligen Jugoslawien war irgendwie der äußerliche Anlass dafür. Ich empfand diese Ereignisse (die Bilder waren ja im Fernsehen präsent genug) als so schrecklich, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass es einen Gott gibt. Ich glaube, damals habe ich endgültig den Glauben an einen "persönlichen" (guten) Gott verloren.

Andererseits bekam ich in dieser Zeit auch unsere drei Kinder. Ich erinnere mich noch heute an diese tiefe, mit Worten nicht zu beschreibende Dankbarkeit, die ich dafür empfand. Gleichzeitig hatte ich das Bedürfnis, diese Dankbarkeit auch an jemanden zu "adressieren", und ich dachte mir: Wenn es wirklich einen Gott geben sollte, dann wird er schon wissen, dass sie ihm gilt.

Im Großen und Ganzen ist das eigentlich meine Haltung geblieben, auch was meine Depression betrifft. Eine sehr ungeklärte, diffuse Haltung, aber ich habe das Gefühl, für mich ist das so richtig.

Allerdings ist, nach einer eher sehr areligiösen Phase, in den letzten Jahren mein Bedürfnis nach Spiritualität gewachsen. Eine Zeit lang habe ich mich sehr mit dem Buddhismus auseinandergesetzt, gerade während sehr depressiven Phasen. Mittlerweile glaube ich, dass das nicht unbedingt mein Weg ist, aber ich schätze viele Elemente des Buddhismus noch immer sehr.

Vom Katholizismus fühle ich mich endgültig befreit, vor allem auch von diesen tiefen Schuldgefühlen (wofür, wusste ich eigentlich nie so recht...), die mir ganz automatisch mit diesem Glauben vermittelt wurden. Mittlerweile kann ich auch wieder etwas mit christlicher Spiritualität anfangen, vor allem Anselm Grün oder Willigis Jäger oder Wunibald Müller (um nur einige zu nennen) verdanke ich viele bereichernde Gedanken. Und, obwohl ich schon jahrelang keine Gottesdienste mehr besuche, gehe ich manchmal auch sehr gerne in eine Kirche und lasse die Stille auf mich wirken und in depressiven Phasen tut mir das irgendwie auch gut - einfach diese Stille und auch die Schönheit des Raumes (egal ob bayrische Barock- oder moderne Kirche).

Die Leidenstheologie des Christentums lehne ich nach wie vor entschieden ab. Diese Verherrlichung des (Kreuzes-)Todes - dagegen empfinde ich eine regelrechte Aversion. Ich möchte mich auch gleichzeitig entschuldigen, wenn ich bei manchen von euch mit dieser Aussage religiöse Gefühle verletze, aber mir kommen jetzt noch die Tränen, wenn ich daran denke, wie sehr diese Art von Glauben mich jahrelang belastet hat.

Vor zwei Jahren ist ein Mensch gestorben, der mir so unsagbar viel bedeutet hat - wozu den Tod auch noch verherrlichen? Schlimm genug, dass er manchmal auf so gewaltsame und schreckliche Weise in unser Leben einbricht.

Ich merke, dass ich eigentlich gar nicht so klar formulieren kann, inwieweit Depression und Glaube sich bei mir gegenseitig beeinflusst haben:

- Dass mein ursprünglicher, strengkatholischer Glaube meiner Kinderzeit meine Depression eher noch begünstigt hat, halte ich für wahrscheinlich.

- Dass der Glaube an bzw. die Hoffnung auf einen gütigen Gott einem in der Depression einen letzten Halt geben kann, kann ich mir auch vorstellen.

- Dass meine Suche bzw. mein Bedürfnis nach Spiritualität (die aber nicht unbedingt einem bestimmten Glauben entspringt) meine Gedanken oft "weitet" und aufhellt, erfahre ich immer wieder mal. Ebenso, dass ich mich mittlerweile an der Stille und der Schönheit eines Kirchenraumes erfreuen kann und manchmal auch dort wieder mehr zu mir selber finde, was mir gut tut.

Es gibt ein Gedicht von Rilke, dass mir sehr aus der Seele spricht und sehr gut wiedergibt, wie ich mich in der Depression fühle; und das zusätzlich am Schluss etwas zum Ausdruck bringt, worauf ich SO SEHR hoffe, auch wenn ich letztlich doch sehr "kleingläubig" bin...

Frau58



Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

(Rainer Maria Rilke)
samaya
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von samaya »

Hallo Wolp,

mit großem Interesse, habe ich eure Unterhaltung gelesen. ich habe selbst nie aa etwas glauben können, so bin ich groß geworden. bei uns gab es nichtmal einen weihnachtsmann. und schon immer war ich auf der suche nach erklährungen. wie wohl jeder hier. die lehren buddhas finde ich bestechend ehrlich, einfach und genial. für die praxis braucht man natürlich übung es gibt da ein buch, welches ich jedem interessierten menschen gern empfehle: "Buddhismus kurz und bündig" von Steve Hagen ISBN 3-442-21544-7.
Lieben Gruß
Sam
imagine
Beiträge: 1068
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von imagine »

Liebe Frau 58,
du hast das so schön geschrieben und auch dieses Gedicht ist so wunderschön, ich kenne es, aber es bewegt mich immer wieder.

Ich habe jahrelang auch nicht glauben können, aus ähnlichen Grünen, wie du, ja, ichhabeihn sogar auf die Probe gestellt und danach war es endgültig vorbei.

Aber es gibt da auch Erlebnisse, wo ich mich gelenkt fühlte, als Werkzeug sozusagen.

Diese Erkenntnis hat mich unglaublich glücklich gemacht, ich war plötzlich nicht mehr allein.

Leider kann ich nicht immer auf das Erlebte zurückgreifen und es gibt Stunden, Tage, mitunter Wochen, in denen ich mich als der einsamste Mensch unter der Sonne fühle.

Vielleicht ist es das, wie ich die Depression beschreiben würde, eine grenzenlose Einsamkeit, die nicht real ist, aber als real erlebt wird.

In diesen Momenten fehlt mir mein Glaube ganz und gar, aber wenn diese Phase überwunden ist, dann kehrt auch die Hoffnung wieder...

Liebe Grüße
imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
5MS8

Re: Depression und Glaube

Beitrag von 5MS8 »

Liebe Imagine,

danke für deine Antwort.

Du schreibst: "Vielleicht ist es das, wie ich die Depression beschreiben würde, eine grenzenlose Einsamkeit, die nicht real ist, aber als real erlebt wird".
Ja, genau so empfinde ich das auch! Es ist zwar nur EINE Erscheinungsweise der Depression, aber eine sehr wesentliche. Und das, obwohl ich eigentlich ein sehr weitgespanntes soziales Netz habe / hätte, aber in der Depression habe ich manchmal schon fast panische Angst, wenn auch nur das Telefon läutet.

Ich selber empfinde es mittlerweile gar nicht mehr unbedingt so, dass ich nicht glauben kann. Vielleicht (und da muss ich wirklich selber nochmal drüber nachdenken) habe ich eben diese Art von Gottesbeziehung, wie ein Mensch sie eben haben kann, dem über weite (und zudem sehr prägende) Phasen seines Lebens die Erfahrung von Vertrauen- und Sich-fallen-lassen-Können gefehlt hat. Ich schreibe das nicht etwa in einem weinerlichen Ton, es ist dies eine psychologisch-sachliche Feststellung; mittlerweile kann ich es wirklich so sehen.

Auch wenn ich nicht wirklich an einen (guten) Gott glauben kann: Ich HOFFE darauf, dass es ihn gibt, und ich hoffe auch darauf, dass nach dem Tod noch "etwas" kommt und ich z.B. einem Menschen wieder begegnen darf, der nicht mehr am Leben ist und den ich so sehr vermisse, aber darüber möchte ich mehr nicht schreiben.

Wenn es Gott gibt, dann weiß ich genau, dass er auch mich nicht übersehen und übergehen wird, denn letztlich bin ich ja "guten Willens".

Und worüber ich wirklich oft dankbar bin: "Trotz allem" glaube ich sehr an "die Menschen": dass jeder, der nicht durch widrige Umstände in seinem Leben ganz kaputt gemacht worden ist, in seinem Innersten die Sehnsucht nach einem guten Zusammenleben mit seinesgleichen trägt und auch bereit ist, das Seine dazu zu tun. Vielleicht klingt das naiv, aber ich erlebe in dieser Hinsicht eigentlich mehr Gutes als Enttäuschendes (obwohl es natürlich auch letzteres gibt und ich sicher auch manchmal andere enttäusche). Das ist ja auch ein Grund, warum ich so sehr unter meiner Depression leide, weil ich mich dann völlig von anderen isolieren MUSS - ich ertrage dann keinen Kontakt.

Vielleicht kann ich einfach nicht an einen nicht-sichtbaren, nicht-berührbaren etc., letztlich also abstrakten Gott glauben und brauche eben Menschen als Vermittler, mit denen ich zumindest ansatzweise das leben kann (im Geben und Nehmen), was "man" sich allgemein von Gott erhofft.

Aber: Alles, was sich zwischen Menschen an Gutem ereignen kann, hat letzlich irgendwo eine absolute Grenze. Und gerade DAS ist ja die große Hoffnung, die man (auch ich) mit Gott verbindet: Dass er auch noch Dinge vermag und Hilfe in Situationen geben kann, wo kein Mensch mehr etwas tun kann.
Fragen und keine Antwort...

Lieber Gruß

Frau58
imagine
Beiträge: 1068
Registriert: 18. Jun 2006, 20:46

Re: Depression und Glaube

Beitrag von imagine »

Hallo Frau 58,
vielen Dank für deine Zeilen, ich werde apäter uasführlicher darazf eingehen, im Moment bin ich so verzweifelt, dass es mir nicht gelingen würde,
ich denke du verstehst das
Liebe Grüße imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
5MS8

Re: Depression und Glaube

Beitrag von 5MS8 »

Liebe Imagine,

und WIE ich das verstehe!
Auch ich war gestern in einer Situation, wo ich im Grunde nur noch ein kleines Kind war, das nach seiner Mutter gerufen hat und SO SEHR gewartet und gehofft hat, "sie" möge doch antworten.

Ich hoffe, du liest diese Zeilen JETZT, wo du vielleicht auch so sehr wenigstens ein kleines Zeichen von Gehört- und Verstandenwerden brauchst, so wie das gestern bei mir war.

Übrigens habe ich in keinster Weise die Erwartung, dass du auf meine Überlegungen zu Glaube und Depression etwas antwortest. Wenn du willst freut es mich natürlich, aber ich hoffe, du empfindest kein Gefühl der Verpflichtung.

Alles Gute für dich, komm bald wieder heraus aus dieser Tiefe!

Lieber Gruß

Frau58
Onkel_Albert
Beiträge: 52
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Re: Depression und Glaube

Beitrag von Onkel_Albert »

Ihr Lieben,

ich kenne mehrere Beispiele von Depression in Pfarrersfamilien,
wobei nach meiner persönlichen Meinung das eigene Unvermögen,
den Ansprüchen zu genügen, eine wesentliche Ursache sein dürfte.

Das, was uns in einer Depression fehlt, ist die Hoffnung.

Ich kenne Gottesdienste, in denen immer drei Kerzen angezündet werden:
eine bunte - die Kerze des Lebens,
eine rote - die Kerze der Liebe,
eine grüne - die Kerze der Hoffnung.

Das ist schlicht, aber nicht banal,
und gerade deswegen kann es berühren.


--------------------------------------

Ein jegliches hat seine Zeit,

und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde ...

(Prediger Salomo)
imagine
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Registriert: 18. Jun 2006, 20:46

Re: Depression und Glaube

Beitrag von imagine »

Hallo ihr Zwei, ich hatte gestern schon mal geschrieben, aber wahrscheinlich mal wieder nicht auf Abschicken gedrückt, das passiert mir ab und an.
Liebe Grüße an euch beide seid lieb umarmt Frau 58, auch wegen der Vorkommnisse in deinem anderen Thread, das wäre auch was für dich Albert, leider sind nun die schönen Bilder fast alle weg, aber die Rosen sind wunderbar und auch das Bild vom Meer würde dir gefallen
Sei lieb gegrüßt und liebevoll umarmt von imagine und na du weißt schon
imagine
Schweigen ist die unerträglichste Art der Erwiderung (Chesterton)
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