Coming out

Sonnensucherin
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Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Hallo und gleichzeitiges Avis, das dies hier länger werden könnte.
Immer mal wieder, seit 2003 schaue ich hier rein, erst jetzt in 2006 habe ich mich angemeldet. Seit ca. zwei Monaten verfolge ich einige Berichte. Ich selbst bin manisch-depressiv, mein erwachsener Sohn ist boarderline.
Heftige Symptome sind bereits während meiner Ehe aufgetreten. Diese abrupten und viel zu schnellen Stimmungsschwankungen. Zum Beispiel:
Mein Ex-Mann und ich waren begeistete Rennradfahrer. Ein Wochenende war ich total euphorisch und wir fuhren am Tag ohne Mühe fast 200 km., das nächste Wochenende verzog ich mich Samstagfrüh bereits mit einer Flasche Whiskey in mein Bett, verdunkelte das Zimmer und kroch erst Sonntagabend wieder raus, um mich für die kommende Woche herzurichten. Diese "dunklen, versoffenen" Wochenenden habe ich fast schon zelebriert.
Irgendetwas wurde am Frühstückstisch gesagt, damit war es für mich klar, jetzt gehste ins Bett. Egal, Party bei Nachbarn war geplant, Ausflug mit Schwiegereltern, völlig egal.
Nirgends abgemeldet, einfach rübergeschlichen und die Flasche angesetzt, und schlafen.
Ich kann jetzt sagen, von 10 Jahren Ehe habe ich bestimmt insgesamt ein halbes Jahr so verbracht.
Excessiv habe ich dafür die restlichen Wochen und Monate verbracht. Ohne Alkohol, einfach nur den Rausch des Lebens. Viel Sport getrieben, erfüllte Liebe mit meinem Ex-Mann,
zauberhafte Gastgeberin, Stimmungskanone, sehr gepflegt und gutaussehend, funktioniert im Job, Everybodys Darling, glückliche Mutter eines "wohlgeratenen" Sohnes.
Bis die Zombiezeit kam. In diesen Jahren konnte ich es wenigstens noch steuern (dachte ich so) für das Wochenende. Damit wenigstens die Außenwelt nichts mitbekommt.
Dann trennte ich mich von meinem Ex-Mann.
Nahm einen Job im Außendienst an und wieder lebte ich nach Aussen Supertoll. Fuhr in Deutschland umher, die Kunden freuten sich über die immer gut gelaunte. Wie oft saß ich im Auto, und dachte ich kann nicht mehr fahren. Die Konzentration war nicht mehr vorhanden, mein Gedächtnis versagte, Kundennamen waren für mich auf einem Fremdworte, ich konnte mich nicht mehr artikulieren. Das waren kurze Phasen, aber dafür sehr heftig....schließlich verbunden mit der Angst, im Job zu versagen und diesen zu verlieren. Verloren habe ich diesen, jedoch nicht wegen meiner Krankheit. Die Firma entlies ihre Angestellten Aussendienstler und bot an, als freier Handelsvertreter unterwegs zu sein. Natürlich habe ich dies gemacht. Schließlich war ich Umsatzstark, was sollte passieren? Zudem, geboren mit Menschen umzugehen, die Herzen fliegen mir zu (sagte mir vor kurzem ein Freund).
Was soll ich sagen? Die Zyklen zwischen Zombiezeit (und glaubt es mir, ich sehe aus und bewege mich dann wie ein Zombie)und wie ich es nenne "gute Zeit" wurden kürzer und heftiger. Das war in 2003. Der tolle heiße Sommer. Kein Mensch hat was gekauft, alles war träge, ich habe viel Geld investiert, um bei den Kunden wenigstens präsent zu sein, habe kaum Umsatz gemacht. Zu diesem Zeitraum
hatte ich einen Freund und als ob ich das mit einem mittlerweile erwachsenen Sohn brauchen könnte, ich wurde schwanger. Hätte ich nie gedacht, das ich mal sagen müßte, das Kondom war kaputt. Am Tag des Abbruchs beendete ich die Beziehung. Nachdem ich mich fast zwei Monate erholte, fing das Martyrium an. Ich stürzte mich auf Männer. Es ging nur noch um Sex. Ohne Gefühle. Sobald ein Mann sentimental und verliebt rüberkam, würgte ich alles ab. Cut, und vorbei. Der nächste.
Daraufhin kamen immer schneller die dunklen Phasen, ich lag nur noch in meinem Bett, starrte die Decke an, schlief tagsüber und Abends machte ich mich schön (dies mit äußerstem Kraftaufwand) und ging auf Jagd.
Je Dunkler es in mir war, um so heftiger trieb ich das Sexleben. Dabei hatte ich wenigstens das Gefühl, zu Leben.
Eine gute Freundin (bis heute noch, Danke Dir Sandra) sagte immer: Um Gottes Willen, pass auf Deine Seele auf.
Dann auf einmal wurde ich gefordert. Mein Sohn zog wieder zu mir. Das war Wohnraummäßig kein Problem, ich hatte eine wunderschöne, große Wohnung. Als ich ihn sah, es ging ihm sehr schlecht, war es für mich klar, er kommt zu mir. Dort erlebte ich seine Panikattaken,
Ritzereien, Paranoiden Wahnvorstellungen...hautnah mit. Zu schwach, ihm zu helfen, bedurfte ich doch selbst Hilfe. Mein Sohn ging nicht mehr raus, verbarrikadierte sich in seinem Zimmer und hielt sich nur noch in diesen vier Wänden auf. Klar, wir redeten miteinander, trösteten uns...aber mal ehrlich, das war nicht wirklich die Hilfe, die wir bräuchten. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir von einem Mann diese Plattform empfohlen.
Zum Arzt zu gehen, ging nicht...denn mittlerweile war ich nicht mehr Krankenversichert. Konnte ich mir nicht mehr leisten. Dann ging alles ganz schnell, ich verlor mein Auto, konnte Rechnungen nicht mehr bezahlen und war auch nicht mehr fähig, raus zu gehen. Der Gerichtsvollzieher ging bei mir ein und aus. Manchesmal kam er einfach nur vorbei, um zu schauen, ob es mir gut ging. Dann kam er eines Tages vorbei, na chdem ich zwei Monate keine Miete mehr zahlte, mit der Räumung meiner Wohnung. Natürlich habe ich keine Post mehr geöffnet, zahlen konnte ich sowieso nichts mehr, also habe ich die Räumungsklage auch nicht gelesen. Er, der Gerichtssvollzieher versuchte mir, andere Wohnungen zu vermittlen, doch ich, ließ es zu, das ich mit meinem Sohn in eine Notwohnung kam. Ich wollte nur noch meine Ruhe, bekam Angstzustände, klopfte es an meiner Tür, klingelte das Telefon drehte ich durch. War ich mal fähig, für ein paar Stunden nur, etwas zu unternehmen, passierten mir Dinge, die ich heute nicht mehr erklären kann.Völlig irreale Sachen, welche in einer Komödie zum brüllen gewesen wären. Doch seinerzeit nicht zu erklären.
November 2004 war die Räumung in diese Notwohnung. Durch mein temporär noch vorhandenes Auftreten, habe ich die Sympathie der Ordnungsamtbeamtin auf meiner Seite gehabt. Diese hat mich in eine uralte, versiffte Dreizimmerwohnung untergebracht.
Sie sagte, da kommen sie auch wieder raus. Derselben Meinung war auch mein Gerichtsvollzieher. Und ich hatte erstmal Ruhe. Mit viel Putzerei, etwas Farbe und meinen Möbeln habe ich diese Wohnung zu einem kleinen, gemütlichen Refugium gestaltet. Dachte, jetzt bist Du auf dem richtigen Weg.
Fing wieder an, hinten am Waldrand zu joggen. Pflegte mich wieder intensiver. Nachbarn gab es auch. Alkoholiker, dem Leben gegenüber resignierte, welche irgendwann mal ebenfalls in diese Häuser geräumt wurden und Jahrzehnte bereits so lebten. Dazu kam, mein Sohn verfiel immer mehr in Aggressivität.

Ups, jetzt ist es bereits so spät und ich muß zum Dienst. Außerdem habe ich geschrieben was das Zeug hält. Sollte es jemanden interessieren, schreibe ich gerne weiter, nach Dienstschluß. Ist aber ohnehin länger geworden als geplant.

Es gibt diese "MännerPhase", dafür schäme ich mich sehr. Bin mittlerweile bei meiner zweiten Psychaterin und nicht mal die erste hat diese Geschichte erzählt bekommen. Bitte verurteilt mich nicht. Das halte ich nicht aus, mache mir jeden Tag Vorwürfe, das ich meinem Sohn nicht hlefen kann.

Allen einen wundervollen Tag,
Sonnensucherin
Tabby
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Re: Coming out

Beitrag von Tabby »

Ich kann nicht ahnen, was für dich als "Verurteilung" ankommt, ich versuche es mal mit wenigen Worten, die lediglich Feststellung und keine Verurteilung sind:

Ich lese:

Sucht - Sucht - Sucht

eine Sucht, jagt die andere.

Höher, schneller, weiter.....

Ein Kind muss dabei auf der Strecke bleiben.

Was "suchst" Du denn ?
Sonnensucherin
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Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Hallo Tabby,

Danke für die Feststellung. Unter dem
Aspekt "Sucht" habe ich das nie gesehen.
Jedoch "Suchen"...ja, gesucht habe ich immer.
Seit ich vier/fünf Jahre war, war ich auf der Suche.


Mein Sohn und sein Vater haben sich sehr gut verstanden. Mein Ex-Mann hat ihm eine extrem lange Leine gelassen, sein Spruch: Lass doch den Jungen. Der macht das schon.
Klar, ich war diejenige, welche in die Schule ging, diejenige welche ihn von Polizeistationen abholte, Anwälte besorgte, Gerichtsverhandlungen beiwohnte. Gespräche mit B.führte.
Beide gingen den Weg des geringsten Widerstands. Mein Sohn lief konform mit meinem Mann, und dieser setzte sich aufs Rennrad, versuchte ich zu reden.
Bis zum Schluß hieß es immer: Lass doch den Jungen, der macht das schon.
Nach der Trennung hat er von heute auf morgen
keinen Kontakt mehr zum Sohn gehabt.
Daraufhin brach mein Sohn erst zusammen.

Das Kinder auf der Strecke bleiben, scheint im Leben immer so zu sein. Die Spätfolgen sind nicht abzusehen.

Mir selbst wurde immer mitgeteilt, ich sei nicht meines Vaters Kind. Dieses habe ich mir angehört vom 18.ten bis zum 40.ten Lebensjahr. Einmal im Jahr ein Treffen, aus "moralischen" Gründen, wie es mein Vater so nannte. Bis "er" ein Alter erreichte, wo Seelenfrieden für ihn das wichtigste überhaupt war. Also hat er dann einen Test durchgeführt. Da meinte er gönnerhaft "Du kannst Vater zu mir sagen"
Seit diesem Tag und mit der Bestätigung wollte ich keinen Kontakt mehr zu diesem Mann.

Frage mich nochmal was ich suche......


Einen wundervollen Tag
Sonnensucherin
Tabby
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Re: Coming out

Beitrag von Tabby »

Du kannst die Vergangenheit nicht ändern, Sonnensucherin. Du gibst deiner Vergangenheit zuviel Macht über deine Gegenwart, das blockiert dir deine Zukunft.
lilly
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Re: Coming out

Beitrag von lilly »

Vielleicht hilft es Dir, wenn Du Dir sagst, dass die Vergangenheit vorbei ist. Hake sie ab - Du kannst nichts ändern.

Du lebst HEUTE, nicht gestern, und nicht morgen. Heute, heute, heute! Fange an, zu leben - jetzt!!!

Alles Liebe
Barbara
Marie14
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Re: Coming out

Beitrag von Marie14 »

Hallo Barbara,
ich mißbrauche jetzt mal diesen Thread um dir kurz Hallo zu sagen
Wie geht es dir denn? Lass doch mal von dir hören
deine Marie


Hallo Sonnensucherin,
dein Name spricht ja schon Bände.
ich glaube bevor du auch nur daran denken kannst deinem Sohn zu helfen, musst du dir helfen lassen, ganz dringend und zwar in einer Klinik
und meiner Meinung nach möglichst bald!!
Auch dein Sohn braucht Hilfe, es gibt Kliniken, die sich auf das Borderline Syndrom spezialisiert haben.
Danach müsst ihr sehen, wie ihr euer Leben wieder in den Griff kriegt
Alles Liebe und fange bald an ich wünsche euch beiden ganz viel Kraft
Marie
Wer einmal sich selbst gefunden hat, kann nichts auf der Welt mehr verlieren
stan
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Re: Coming out

Beitrag von stan »

Sonnensucherin, als ich Deinen Bericht las, dachte ich, es wären Teile aus meinem Leben.
Auch ich bin manisch-depressiv und zwar schon seit mehr als vierzig Jahren. Das weiß ich heute, aber länger als dreißig Jahre hat keiner von 16 Psychiatern die richtige Diagnose gestellt und mir wurden dem entsprechend falsche und süchtig machende Medikamente verordnet.
Die bipolare Störung (wie diese Krankheit heute genannt wird )hat mit Sucht nichts zu tun.
Sie hat bei mir schwere Narben hinterlassen,
ich musste meinen Beruf als Architekt aufgeben, verlor sehr viel Geld, hätte beinahe unsere Familie aufs Spiel gesetzt.
Heute lebe ich damit durch Medikamente und die Hilfe meiner Frau.
Du hast alles so gut beschrieben, ich kann mich in Deine Lage versetzen.
Aber Du brauchst kontinuierliche Hilfe durch einen guten Psychiater. Eventuell solltes Du Dich auf Lithium einlassen. Bei mir hat das leider nicht gewirkt.
Ich muß jetzt weg, aber ich würde mich gerne weiter mit Dir unterhalten.
stan
lilly
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Re: Coming out

Beitrag von lilly »

Hallo Marie!!!

Hoffe, Dir geht es gut. Schade, dass wir uns nicht mehr schreiben. Auch Brigitte vermisse ich.

Liebe Grüße
Barbara
Sonnensucherin
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Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Hallo Barbara,

Danke für Deine Antwort. Das ich an der Vergangenheit nichts ändern kann, so leidvoll es ist, weiß ich ja. Wenn ich dann endlich aus dem Zombiesein hervorkrieche, sage ich mir, ich lebe jetzt. Und dann muß ich mich mit aller Gewalt bremsen, das ich nicht ausflippe, weil ich voller Ungeduld alles erreichen und erleben will.
Das ist sehr schrecklich und so wahnsinnig anstrengend.
LG Sonnensucherin
Sonnensucherin
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Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Liebe Marie,

mein Sohn war sieben Wochen in einer Psychatrischen Klinik. Als ich ihn zum Vorstellungsgespräch dorthin brachte, habe ich ihn beneidet. Habe ihm das auch mitgeteilt. Mich hat es bekräftigt, endlich auch Hilfe in Anspruch zu nehmen. Habe am 21.12. letzten Jahres eine Kündigung erhalten und war ab diesem Tag am Ende. Im Januar habe ich sofort eine Psychaterin aufgesucht. Doch nachdem ich im März zusammenbrach, hat sie mir endlich Medikamente gegen die bipolare Störung gegeben. Jetzt bin ich bei einer anderen Psychaterin und ich denke, es wird besser laufen.
Als mein Sohn seinerzeit wie ein Häufchen Elend vor mir stand und sagte, ich bin soweit, ich will endlich Hilfe, habe ich ihn unterstützt in dieser Klinik einen Platz zu bekommen. Es hatte den Anschein, der Aufenthalt und die Therapie würden ihn stärken. Doch in seiner Wohnung hat er sofort aufgehört mit den Medikamenten. O-Ton: Der Scheiss bringt eh nix. Alles was ich ihm vorschlug, hat er abgelehnt. Es blieb mir nichts anderes übrig. Ich mußte mich aus Selbstschutz zurückziehen.

Danke für Deine Reaktion, lg Sonnensucherin
Sonnensucherin
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Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Hallo Stan,

auch Dir Danke für die mail.
Es ist pervers, aber es tut gut, wenn jemand schreibt, das es in seinem Leben so ähnlich zuging. Viele Bekannte haben sich abgewandt, wenn man von Dingen erzählte, die einem widerfahren. Nur eine Bemerkung dazu: Das ist harter Tobac.....
Gleichzeitig hat es mich verletzt, und habe mich erst recht zurückgezogen.

Ich litt letztes Jahr ständig unter Migräne, Fieber, Grippale Infekte. Meine Hausärztin sagte dann, sie sind Psychisch total fertig.
Ich gebe Ihnen Empfehlungen von Psychatern und Neurologen.
Jetzt bin ich seit Mitte April bei der zweiten Psychaterin. Diese hat mich beim Kennenlerngespräch "angehört" und interessiert nachgefragt. Das habe ich bei der ersten Seelentante nicht erlebt. Die hat immer irgendwelche imaginären Fussel von ihren Klamotten entfernt.
Die jetzige Psych. hat mich auch über Lithium aufgeklärt und meinte, ich solle mich ruhig im Forum mal umhören, wie die Erfahrungswerte dort sind. Fühle mich aufgehoben.

Dann hast Du lieber Stan, die Hölle erlebt.
Es ist doch schrecklich, wenn Du mitbekommst alles fällt auseinander und Du stehst davor und bist unfähig rechtzeitig darauf zu reagieren!?
Das Du dabei eine Partnerin hast, die diesen Leidensweg mit Dir erträgt und Dich trotz der üblen Verhaltensweisen (die sicherlich durch das Krankheitsbild auftreten) stärkt, ist ein sehr großes Glück.

Gerne würde ich mich weiterhin mit Dir unterhalten. LG und Alles Gute, Sonnensucherin
Sonnensucherin
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Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Hallo Ihr,
ich muß es einfach schreiben. Habe gerade begonnen, den Lebenslauf für meine neue Psychiaterin zu schreiben. Und ich falle, falle, falle.
Heute früh ging es mir noch relativ gut, diesen Lebenslauf schob ich die ganze Zeit vor mir her. Irgendwie bin ich es leid, auf den alten Dingen herumzukauen. Und ich weiß ja, ich kann es nicht mehr ändern. Aber es verfolgt mich und macht mich mürbe. Verbunden mit der Scham, wenn ich an bestimmte Situationen denke.

Es gab in meiner Ehe zehn, meist wunderbare Jahre. Die letzten drei waren genau das Gegenteil. Im Gegensatz zu vielen anderen Beziehungen, haben wir viel miteinander geredet.

Ich schreibe einfach mal los:

Solange ich denken kann, hat meine Mutter nur gemeckert, geschrien, geschimpft. Meine Erinnerung geht zurück, bis ich ca. 4 Jahre alt war. Mein Vater war eher derjenige, mit der angenehmen Stimme und Stimmung. Er nahm mich mit zum Angeln, ich habe nach Regenwürmer gewühlt, eingeweichtes Brot zu Kgeln geformt. Einmal hat er in seinem Laden ein Bild gemalt, es war eine schöne, blonde Frau. Ich fragte ihn, wer das denn sei. Und daraufhin sagte er, das bist Du.
Und ich kann mich noch daran erinnern, das er ein Grundstück gepachtet hatte, mit verschieden großen Anglerteichen. Zwischen diesen Teichen verliefen größere und kleinere Bäche. Auf diesem Grundstück war eine Blockhütte. Ich spielte dort und rannte so durch die Gegend, und trat aus Versehen in so einen kleineren Bach. Mein Vater sagte: Geh mal zu Mutti und mach dir die Füsse trocken. Und meine Mutter hat mich angebrüllt, ausgezogen und ich mußte am Ofen sitzen bleiben. durfte nicht mehr raus.

Klar, heute weiß ich, das einfach keine trockenen Klamotten da waren. Aber das hätte sie mir anders erklären können. Immer diese Schreierei.
Seinerzeit saß ich mucksmäuschenstill vor dem Ofen und habe still geheult.
Leute ich war vier, allerhöchstens 4,5 Jahre alt.
Denn das war dann die Zeit, als mein Vater abhaute. Abends hatten die beiden noch Krach.
Sie schliefen in getrennten Räumen. Am nächsten Morgen wollte ich zu meinem Vater ins Bett. Aber er war nicht da.
Ging rüber zu Mutter und sagte, Papa ist nicht da. Wieder schnauzte sie mich an: dann ist er Angeln. Und sie drehte sich um.
Könnt ihr Euch das vorstellen? Ich lief runter und schaute in den Raum, wo er seine Angelrüstung verstaute. Doch die war da.
Ich wieder hoch (verdammt, dasd als Kleinkind) und sagte, die Angeln sind aber hier. Und meine Mutterschnauzte mich wieder an, und schlief einfach weiter.

Tja, mein Vater war abgehauen.

Habe ihn erst mit Achtzehn wieder gesehen.
Bis ich 40 jahre wurde, habe ich immer wieder von ihm gesagt bekommen, ich sei nicht sein Kind. Sooft er sich bei mir meldete sagte er dies. Wir waren mit seiner neuen Frau essen, egal....irgendwann kam dieses Thema auf den Tisch. Da er mit seiner neuen Frau kein Kind bekam, lies er sich untersuchen und es wurde festgestellt, er war unfruchtbar. In den Kindertagen einen Unfall gehabt, dieser Unfall wäre der Auslöser für die Unfruchtbarkeit. Ergo, ich konnte nicht sein Kind sein.
Von meiner Mutter bekam ich immer zu hören,
was für ein Arschloch mein Vater sei, sie einfach sitzen zu lassen, er zahlte keinen Unterhalt.
Schenkte er mir etwas, dann immer mit dem Spruch: eigentlich müßte ich das ja nicht, bin ja nicht Dein Vater, aber aus moralischen Gründen.
Und ich Blöd....habe mich nie gewehrt.
Immer die Schnauze gehalten. Gekuscht bei meiner Mutter, den Mund gehalten bei meinem Vater. Kurz vor meinem vierzigsten Geburtstag kam er auf die Idee, lass uns einen Test machen. Natürlich.....er war mittlerweile in einem Alter, wo er Frieden sucht. Wirklich Arschloch....aber sagen kann ichs halt nicht.
Und ob ihr es glaubt oder nicht. Ich habe bis vor zwei Jahren um Beider Liebe und Anerkennung gebuhlt, gebettelt.

Ich weiß, vielen vielen Kindern ging und geht es schlechter, und ich hasse es, das ich mich im Selbstmitleid suhle. Manchesmal (bin ohnehin nur ganz selten bei ihr) sitze ich da, höre meine Mutter erzählen, beobachte Sie und dann spielt sich ein Filmchen ab. Wünschte mir, ich könnte ihr einfach mal eine scheuern.
Das konnte sie nämlich, wunderbar und superschnell. Hat mich oft geschlagen. Und mich oft und lange als Blöde hingestellt.
Doch jetzt, in ihrem Alter auf einmal, will sie mich ausnutzen. Sie will doch tatsächlich mit mir über Gefühle sprechen. Will mal in den Arm genommen werden. Ich tu es nicht.
Innerlich grins ich und denke mir: Jetzt willst Du Absolution von mir.....ne....
Solange sie nicht zugibt, das sie mich wie Scheisse behandelt hat, kommt von mir nix rüber.

Hässlich wie ich mich verhalte. Vor allem hilft es keinem von uns.
Aber jetzt kann ich nicht mehr darüber schreiben. Dieser Film, diese Bilder kommen mir vor, als ob das alles erst Gestern passiert ist. Und es zieht mich immer weiter runter. Vielleicht liest dies ja jemand.
Wir würdet Ihr Euch verhalten?

Traurige Sonnensucherin
mape
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Re: Coming out

Beitrag von mape »

Schwierige Frage liebe Sonnensucherin. Es ist nicht richtig von Eltern immer über den gerade abwesenden schlecht zu sprechen. Aber warum sollten Eltern immer alles richtig machen? Vielleicht solltest du mal mit deiner Mutter reden, ihr sagen wie weh sie dir getan hat. Aber ich denke du bist da eher wie ich - du willst nicht darüber sprechen. Vielleicht aus Angst, vielleicht aus Stolz. Man geht der direkten Konfrontation aus dem Weg. Vielleicht schreibst du ihr mal einen Brief? Ich weiß nicht, es vergiftet die Seele zu hassen. Mich hatte mal ein Mann sehr ausgenutzt, nieder gemacht, wollte mich quasi umbringen. Ich habe ihn gehasst, habe ihm die Pest an den Hals gewünscht, verflucht, irgendwann habe ich Frieden geschlossen mit meiner Vergangenheit. Ihm nicht verziehen, ich hasse den Kerl immer noch und wenns mir so ist, verfluche ich ihm auch, aber ich bin ruhiger geworden. Allerdings versteh ich auch gut, wenn man keinen Frieden möchte. Ich kann auch schwer vergessen. Finde den Weg, bei dem du dich noch im Spiegel ansehen kannst.

Dein coming out liest sich ziemlich schockierend. Dies "Alles-Egal-Gefühl" kenn ich gut, nur hat es bei mir noch keine so großen Kreise gezogen. Respekt, dass du nicht aufgegeben hast. War Suizid je ein Thema für dich? Ich hoffe sehr, du gehst deinen Weg. Ich kenn dich zwar erst seit ein paar Tagen, aber du erscheinst mir als sehr herzlich. Ich wünsch dir alles Gute... LG mape
Emily
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Re: Coming out

Beitrag von Emily »

Hallo Sonnensucherin,

was du erlebst hast als Kind, war schlimm. Ich würde nicht versuchen, es herunterzuspielen, denn es WAR definitiv schlimm, und es tut mir leid für dich, dass du dies alles erleben und erleiden musstest.

>>> Ich weiß, vielen vielen Kindern ging und geht es schlechter,

Das Leid eines Kindes ist für dieses ganz spezielle Kind immer das Schlimmste. Ob man später als Erwachsener erkennen kann, dass andere Kinder Schlimmeres durchgemacht haben, ist für ein Kind in der Altersphase, in der du dich damals befunden hast (ca. 4J.) kein Thema. Es leidet, und zwar maßlos. Du hast die Lieblosigkeit der Mutter erlebt, du hast das Verlassenwerden durch den Vater erlebt. Zu allem Überfluss hatte er auch noch Zweifel an seiner Vaterschaft und hat diese Zweifel dann auch noch an dir ausgelassen. Wie schlimm das alles für ein kleines Kind sein muss, können oder wollen sich manche Eltern wohl leider nicht bewusst machen.

>>> und ich hasse es, das ich mich im Selbstmitleid suhle.

Ich denke nicht, dass man deine Gefühle von Enttäuschung und Schmerz als "Selbstmitleid" verstehen sollte. Ich glaube eher, dass du trauerst. Du trauerst um etwas, das hätte so und so sein können, das aber eben so nicht war. Du trauerst um die Liebe und das Verständnis, die deine Eltern ihrem Kind hätten schenken sollen, die sie dem Kind aber - aus welchen Gründen auch immer - vorenthalten haben. Du trauerst, weil deine Mutter mit Schreien und Schlägen leider schnell bei der Hand war und dir so massive Ängste eingejagt hat. Du trauerst um den sehr schmerzhaften Verlust von Vertrauen und Geborgenheit. Diese Trauer würde ich zulassen. Sie ist ein ganz wichtiges Gefühl, Trauerarbeit ist daher ja auch ein ganz wichtiger Prozess. Und vielleicht hört diese Trauerarbeit für Kinder, die so sehr vernachlässigt wurden, auch niemals auf. Daher wäre es gut, die schmerzlichen Gefühle zuzulassen, wenn sie auftreten. Durch die Erinnerungen an ein solches Trauma immer wieder durchzugehen, kann dabei helfen, den Schmerz zu lindern.

LG,
Emily
Sonnensucherin
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Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Hallo Ihr Lieben,

Danke für Eure Antworten. Nachdem ich hier anfing zu schreiben...ich konnte dann nicht mehr. während der Fahrt zu meiner Psychiaterin wich dieser Film einfach nicht aus meinem Hirn. Es spulte ständig weiter. Auf der Fahrt habe ich oft zu mir gesagt: Stop jetzt. Hör auf damit. Aber es hat nicht aufgehört.
Die Praxis habe ich betreten mit einem schlechten Gewissen. Habe dies auch gleich angesprochen (der fehlende Lebenslauf). Frau Dr. sagte, jetzt machen se aber halb lang. Deshalb müßen sie sich doch nicht aufregen.
Das tat gut.

Wir kamen während des Gespräches auf meine Ehe zu sprechen. Und auf die Zeit danach....Au Backe.

Das war heute echt heftig, und mir geht es ziemlich besch......
Werde mir jetzt eine Decke nehmen und mich runter an den Fluß legen. Einfach mal in den Himmel schaun.

Und mir über eines Klar werden. Ich will mich nicht mehr Kampflos fertig machen lassen.
Ein Verhalten habe ich mir in den Jahren zugelegt, was ich gerne los werden möchte.
Ich möchte endlich in der Lage sein, klar und deutlich Grenzen zu setzen. Bis hierhin und nicht weiter. Und nicht alles und jeden Entschuldigen und die Schuld bei mir suchen. Und obendrein auch noch die Klappe zu halten, obwohl ich platze. Ich muß nicht mehr ARTIG sein.

Oh, wie ich es hasse, wenn ich Eltern erlebe und höre, wenn diese ihren Kindern sagen:
Wenn Du artig bist, kriegst Du das und das....

Da könnt ich ausflippen.

Jetzt ist aber auch gut....
Ihr Lieben, danke nochmal und einen angenehmen Abend

Alles Liebe für Euch,
Sonnensucherin

Übrigens: Heute habe ich mir Trauben gekauft. Diese aber nicht so nett neben den Blumen arrangiert. Gleich vernichtet.....
Und jetzt aba an den Fluß
Stoffel77
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Re: Coming out

Beitrag von Stoffel77 »

Hallo Sonnensucherin,
Erstmal ein ganz liebes Aufmuntern.
Ich denke, Eltern haben niemals eine Entschuldigung, ihre Kinder schlecht zu behandeln. Ich bin jetzt selber Mutter, und wenn ich mich irgendwann mal dabei erwische, wie ich meinem Kind das Gefühl gebe, unnütz, wertlos oder ungeliebt zu sein, dann will ich mir selbst eine runterhauen.
Das Thema Eltern ist hier schon oft gewesen, ich habe inzwischen die Theorie, dass Depressionen zu einem großen Teil durch das Verhalten der Eltern ausgelöst werden können. Wenn Sie dem Kind das Gefühl geben, nicht wichtig und geliebt zu sein. Vielleicht hat dein Ex das eurem Sohn durch seine"lass ihn doch"Haltung vermittelt, nicht so wichtig zu sein? Nur ein dummer Gedanke, fühl dich bitte nicht angegriffen.

Geniesse das schöne Wetter, alles Gute.
Stoffel
stan
Beiträge: 56
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Coming out

Beitrag von stan »

Grüß Dich, Sonnensucherin, ich hatte vorgestern ein ziemlich ausführliches Posting
losgelassen. Aber als ich auf 'Senden' klickte, stürzte der Computer ab und alles war weg. Ich werde es in den nächsten Tagen noch mal versuchen, heute nur die Frage: Hast Du mit Deiner Ärztin über ein Phasenprophylaktikum gesprochen ?
Mir geht es im Augenblick so gut, dass meine Familie schon eine Manie befürchtet. Ich gehe alle 4 Tage zu meinem Psychiater und nehme auch zur Dämpfung ein Neuroleptikum (Perazin).
Schreib mal wieder!
LG stan
Sonnensucherin
Beiträge: 312
Registriert: 11. Apr 2006, 13:28

Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Hallo ABC,

Danke im Nachhinein für das Aufmuntern.
Gerade ging es mir mal vier Tage wieder gut,
heute Morgen der totale Absturz.
Ich kann gar nicht viel sagen und schreiben.
Nur so viel, ich bin froh, das es dieses Forum gibt und somit auch Menschen wie Du.

LG Sonnensucherin
Sonnensucherin
Beiträge: 312
Registriert: 11. Apr 2006, 13:28

Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Hallo Stan,

Danke für Deine Nachricht.
Bin heute nicht fähig zu schreiben. Tut mir leid.
Ich fühle mich angenommen und Danke Euch,
Sonnensucherin
Ingrid2
Beiträge: 117
Registriert: 13. Jan 2006, 19:46

Re: Coming out

Beitrag von Ingrid2 »

Liebe Sonnensucherin,

leider habe ich dein Posting heute erst entdeckt und einige Parallelen zwischen uns festgestellt:

"Solange ich denken kann, hat meine Mutter nur gemeckert, geschrien, geschimpft. .... Und meine Mutter hat mich angebrüllt, ausgezogen und ich mußte... sitzen bleiben. durfte nicht mehr raus.

.... Aber das hätte sie mir anders erklären können. Immer diese Schreierei.

Ich weiß, vielen vielen Kindern ging und geht es schlechter, und ich hasse es, das ich mich im Selbstmitleid suhle.
...
Solange sie nicht zugibt, das sie mich wie Scheisse behandelt hat, kommt von mir nix rüber. ...
...Hässlich wie ich mich verhalte. Vor allem hilft es keinem von uns."

Wie du siehst gibt es viele Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede. Meine Mutter konnte auch lieb zu mir sein (aber leider -finde ich- zu selten). Ich habe häufig versucht mit ihr über meine Kindheit zu sprechen, was häufig damit endete, dass sie darüber jammerte, dass sie doch nur das beste für mich gewollt habe. Eingesehen hatte sie bisher nur, dass sie mich zu selten oder gar nicht gelobt hatte. Aber letztlich hat sich bei ihr und bei mir nicht viel verändert, so dass wir häufig im Streit auseinandergingen.

Gestern, als es mal wieder um meine/unsere Vergangenheit ging (um einen speziellen Abschnitt in meinem Leben), hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, dass sie mich verstanden hat... Und sie hat mich um Verzeihung gebeten. Ich hoffe, dass dies ein "Wendepunkt" in unserer Beziehung wird.

Ich würde einen Punkt in eurer Beziehung herausgreifen, an dem sie dich besonders schlecht behandelt hat und versuchen, immer und immer wieder deine Sichtweise von damals zu schildern, so dass sie es wirklich einsehen kann und ihr Unrecht eingesteht. Dann wirst du ihr (vielleicht) verzeihen können.

Denn du weißt ja selbst, dass es dir nicht hilft, wenn es weiterhin so zwischen euch läuft wie bisher.


Liebe Grüße

Ingrid
Trümmerpaula
Beiträge: 116
Registriert: 3. Mai 2006, 21:05

Re: Coming out

Beitrag von Trümmerpaula »

Liebe Sonnensucherin, liebe Ingrid.

Ich habe zwei Jahre lang keinen Kontakt zu meiner Mutter gehabt. Wir hatten eine... wie soll ich es beschreiben?... Hass/Liebe ?!?
Sie hat nicht (lange) geschrien, wenn ich in ihren Augen was verbrochen hatte - sie hat geschwiegen. Tagelang.
Ich stand immer im Zugzwang, ihr beweisen zu müssen, dass ich sie liebe, zu ihr stehe, zu ihr halte, sie bewundere, usw.
Ich war immer der Spielball meiner Eltern, die sich, als ich sechs war, getrennt haben.
Ich habe meinen Vater (aber) sehr geliebt - und so war jeder (heimliche) Gang zu ihm auch gleichzeitig ein Affront gegen meine Mutter - für sie!
Das aber nur kurz zu meiner Kindheit...

Jedenfalls habe ich meine Mutter irgendwann aus meiner ersten Wohnung geschmissen... ich war ihre Beschuldigungen leid, ihre Beleidigungen. Ich vermochte es nie, es ihr Recht zu machen.
In den 2 Jahren hat sie sogar versucht, Kontakt zu mir aufzubauen. Geburtstagskarten, Beileidskarte zum Tod meines damaligen Freundes. Doch dieses Mal schwieg ich. Denn ich war zutiefst verletzt - kämpfe heute noch damit!!!
Doch ich habe immer gesagt, wenn ihr was passiert, bin ich da - stehe auch in der ersten Reihe. Auf mich ist Verlass - ob sie es glaubt oder nicht.

Sie wurde krank. Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Ich erfuhr zunächst nur von ihrem Krankenhausaufenthalt.
Und dann war ich da. Wie ich gesagt hatte...
Und ich hatte eine panische Angst.
Sie durfte nicht sterben - nicht bevor
- ich ihre Liebe zu mir nicht bestätigt fühlte
- ich ihr nicht sagen konnte, dass ich sie liebe und das immer getan habe und sie dies NIEMALS in Frage hätte stellen müssen.
Und ich wollte einfach das Gefühl haben, dass auch ich, genauso wie meine Schwestern, eine von ihr bin. Dass ich GENAUSO dazugehöre.

Ich hatte diese Chance.
Und ich glaube - trotz Krebs und auch ohne, dass ich Vergangenes klären konnte und auch obwohl ich wieder Vieles eingesteckt habe -
wir haben das Beste daraus gemacht.
Ich weiß, uns beiden wurde die Endlichkeit des Lebens vor Augen gehalten - und so hatten wir die nötige Motivation daran zu arbeiten, dass wir uns wenigstens im Guten voneinander verabschieden konnten.
Wir hatten ein Jahr - dann starb sie.
Es war ein hartes Jahr. Ein viel zu Kurzes. Überschattet durch den Tod meines Vaters während dieser Zeit. Auch mit dem Schatten unserer ewigen Streitereien.
Ich habe heute (genug) daran zu knacken, dass ich mit ihrem Schweigen 'gefoltert' wurde - und jetzt kann ihr Schweigen ja auch nicht mal mehr gebrochen werden, denn sie ist ja nicht mehr da

Was ich euch aber sagen will ist nicht, dass ihr jetzt in Panik ausbrechen sollt, weil Mütter irgendwann sterben. Man kann auch an Beziehungen mit ihnen arbeiten, wenn sie nicht mehr da sind.
Was ich euch aber trotzdem sagen will:
gebt ihnen eine Chance, so weit ihr es könnt und es euch mit EUCH SELBST vereinbaren könnt, dass sie MIT EUCH arbeiten können.

Ich weiß, diese Ur-Mütter gibt es fast nirgendwo, wie sie in Kinderbüchern stehen und wie wir sie uns alle wünschen.
Sie wirken so, wie sie es zu dem Zeitpunkt in ihrem Leben am Besten wissen und gewusst haben - wie wir auch.

Das entschuldigt nicht alles - wir haben trotzdem das Recht wütend zu sein - vielleicht sogar, uns abzuwenden.
Ich gräme mich nicht, weil ich 2 Jahre keinen Kontakt zu meiner Mutter wollte, um mich zu schützen...
Aber ich bin heilfroh, dass ich noch eine Chance bekommen habe!
Es ist nicht alles geklärt - gerade heute und auch, weil ich Therapie mache, kommt so vieles hoch - und ich KOCHE innerlich und ich will mich gegen diese Muster wehren und ich möchte AUSBRECHEN...

Wägt es ab. Gründlich.
Ich will nicht besserwisserisch sein - vielleicht bin ich einfach nur neidisch, weil eure Mütter noch leben und ihr noch eine Chance HABT, es mit ihnen zu versuchen....

Mit lieben, traurigen und auch mitfühlenden und 'Mut-machen-wollenden',
versöhnenden Grüßen

Claudia
wanderin
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Re: Coming out

Beitrag von wanderin »

winnie
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Re: Coming out

Beitrag von winnie »

Claudia: Danke!

Gruß,
Winnie
Lisa23

Re: Coming out

Beitrag von Lisa23 »

An alle "glücklos, leidende Töchter"......,

@Louise: Liebe Louise, jeder Mensch, jede Tochter, jede Mutter ist ein Einzelfall und doch gleichen sich unsere Schicksale oft so fatal. Ich kann vieles was Du geschrieben hast unterstreichen und bin gedanklich meine eigene Familie durchgegangen, mit meiner Frage, warum war/ist meine Mutter so?

Zu meiner Oma hatte ich als Kind ein sehr gutes Verhältnis, wir haben uns geliebt. Meine Oma hatte 4 Töchter, meine Mutter war die jüngste. Die drei großen Töchter haben ihre Mutter geliebt und respektiert, meine Mutter hat ihre Mutter gehasst und sich ihr gegenüber mehr als respektlos verhalten. Warum?

Meine Oma konnte sich Ihren Mann sehr wohl aussuchen. Sie hatte mit meinem Opa eine sehr gute Wahl getroffen. Sie hatten trotz zweier Kriege ein perfektes Leben. Der Wendepunkt war wohl meine Mutter. Sie wurde 1936 geboren, meine Oma war 36 und der Opa 41. Wahrscheinlich waren sie zu alt und überfordert. Die älteste Tochter war schon 19 und die bis dahin jüngste 10 Jahre alt. Meine Mutter wurde von ihren älteren Schwestern verwöhnt wo es nur ging, sie hatte quasi 4 Mütter und durch die Geburt ihres ältesten Cousin 1938, noch einen kleinen Bruder, sie wuchsen gemeinsam auf.

Meine Mutter, in die heutige Zeit versetzt, würde sie sicher in die Rolle des aufmüpfigen girlie passen. Ein kleines Biest, das von allen trotzdem geliebt wird.

Als das kleine Biest erwachsen wurde und selbst Nachwuchs bekam, hatten aber selbst ihre allerliebsten Schwestern kein Verständnis mehr für ihre Auswüchse. Es gab viele Auseinandersetzungen und viele Zeiten, wo keiner mehr etwas von ihr wissen wollte. Zu sehr hatte sie sich zu oft daneben benommen.

Ich war Zuschauerin und leidtragende dieser Familienstreitigkeiten. Meine drei Tanten, ich habe sie geliebt, genau wie meine Oma. Ich konnte und kann es nicht verstehen, weshalb sich meine Mutter so ins Abseits manövriert hat. Heute lebt nur noch sie. Sie war die Jüngste.

Auch sie konnte sich ihren Mann selbst aussuchen. Die ganze Familie war gegen ihn. Mit Recht. Dass sie ihren Kopf durchsetzte, war normal und so tat sie es. 5 Jahre später die Scheidung. Mein Bruder und ich, 2 Kinder ohne Eltern. Zum Glück sprangen die Großeltern ein und auch die Tanten haben sich gesorgt. So durften wir wenigsten bei anderen erleben, wie es sein könnte.

Ab meinem 17zehnten Lebensjahr habe ich viele kontaktlose Jahre zu Mutter und Vater. Viele Versuche, ein harmonisches Miteinander zu ermöglichen, sind gescheitert. Es geht einfach nicht und ich will auch nicht mehr.

Meinen 3 Tanten (zwei davon sind schon 1969 und 1973 gestorben, die letzte vor 8 Wochen) und meiner Oma trauere ich noch immer nach. Ich stelle mir oft vor, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich diese Frauen länger um mich gehabt hätte? Was hätten wir noch alles gemeinsam erleben können? Viele schöne Tage.

Bei meiner Mutter weiß ich, dass es viele Tage mit Streit und Leid werden würden. Darauf kann ich dankend verzichten. Ich will nicht stellvertretend das abbekommen, was vorher ihre Schwestern und ihre Mutter ertragen mussten.

Ich denke auch oft darüber nach, dass unser Leben irgendwann zu Ende geht. Meine Mutter ist auch jetzt auch 70. Früher dachte ich, im Alter, da wird sie ruhiger und zugänglicher. Das war ein Irrtum. Leider.

Danke, wenn ihr bis hierhin gelesen habt und danke für euer Verständnis für eine weitere Mutter-Tochter-Geschichte.

Mein Fazit ist, wir können sie noch so sehr lieben, sie werden es nicht verstehen, sie leben in einer ganz anderen Welt.

Liebe Sonnensucherin, es ist ja Dein Thread und ich habe Dein coming-out gelesen. Wahrscheinlich sind wir alle so durch die Erlebnisse mit unserern Müttern gebeutelt, dass wir gerade noch die Nase über Wasser halten können um nicht zu ertrinken. Ich bin mir heute ganz sicher, der Grundstein für unsere jetzige Erkrankung wurde damals gelegt. Das sage ich heute, über 50 Jahre danach. Wir haben in der Kindheit viel an Kraft verloren, heute fehlt sie uns. Wir sind mehr aufgebraucht, als andere, bei denen es besser lief.

So, jetzt widme ich mich wieder dem Tagesgeschehen und wünsche allen ein schönes Wochenende.

Liebe Grüße, Lisa
Sonnensucherin
Beiträge: 312
Registriert: 11. Apr 2006, 13:28

Re: Coming out

Beitrag von Sonnensucherin »

Ihr Lieben Alle,

ich war jetzt seit einigen Tagen nicht mehr in diesem, meinem Thread.
Vielen Dank für Eure aufmunternden, tröstenden Worte.
Doch Ihr Lieben, genau das ist es ja, weshalb sich bei mir seit Jahrzehnten diese Hoffnung auf ein "besseres" Miteinander nährt.
Meine Mutter wird jetzt 64 Jahre. Sie hatte 12 Geschwister und ist das jüngste der Mädchen (fünf an der Zahl). Meine Großmutter ist eine sehr liebevolle Frau mit zuviel Arbeit, Kriegswirren, und doch klarem politischen Geist gewesen. Sie hat während des Krieges zu ihren zwölf Kindern noch ein jüdisches Nachbarsmödchen dazu genommen. Sie erzählte immer: wer wollte denn da durchblicken, welches Kind nicht von mir ist?
Kleine, liebe und doch starke Frau war sie.

Meine Oma hat mich, als mein Vater abhaute, sehr oft betreut. Und ich war dort auch sehr gerne. Wir Enkel, meine Cousins, Cousinen und ich waren sehr gerne bei ihr.
Als ich vierzehn Jahre war, führte sie einen langen Todeskampf. Sie hätte es anders verdient. Was mich heute noch verfolgt: Meine Mutter hat immer gesagt: Kinder haben nichts auf einer Beerdigung zu suchen. Ich konnte keinen Abschied nehmen. Jahrelang besuchte ich meine Oma am Grab und redete mit ihr. Auch als ich schwanger war, und meine Familie und mein "angeblichnichtErzeuger" mich drängten abzutreiben. Ich hielt immer Zwiesprache mit ihr. Jahrelang....habe ich von ihr geträumt, war zornig, das ich keinen Abschied nehmen konnte. War zornig auf meine Mutter, das sie so einfach über meinen Kopf hinweg entschieden hat. Ich war vierzehn, total eingeschüchtert und sehr nah am Wasser gebaut. Schrie meine Mutter wieder eine ihrer Entscheidungen, fügte ich mich.
Ohnmächtig und machtlos etwas zu entgegnen.
Ständig rannte ich mit einem Klos im Hals und Wasser in den Augen durch die Gegend. Versuchte ich etwas zu erklären schossen mir gleich die Tränen; schrie sie wieder (ich hasse nicht nur wie sie schreit, sondern auch noch das sie es mit dem hessischen Dialekt schreit): Bist Du Blöd? Was soll die Heulerei! Hör auf zu heulen.

Sch... jetzt bin ich wieder bei "Muttern" gelandet.

Zurück zu meiner Oma. Wie gesagt, jahrelang, fuhr ich an ihr Grab. Egal, betrog mich mein Mann wieder mal "ehrlich" (ich wußte ja immer Bestens über die Frau oder den Mann Bescheid) , benötigte ich Kraft, wollte ich einfach mal heulen. Ich fuhr ans Grab.
Nach der Trennung von meinem Mann, konnte ich auch Abschied von meiner Oma nehmen.
Diese Geschichte ist jedoch unglaublich und ich traue es mich niemanden zu erzählen. Gott sei Dank war eine Freundin anwesend, die alles miterlebte. Besser, heute denke ich, durch diese Freundin war es mir erst möglich.
Ich besuchte diese Freundin (Kroatin) eines Abends, wir wollten uns eigentlich über meinen Mann unterhalten (sie, ihr Mann und wir waren Jahrelang befreundet).
Irgendwann sagte sie, ich solle ihm verzeihen und meinen Frieden schließen. Daraufhin sagte ich, das ist doch längst passiert. Was mich total belastet, ist der fehlende Abschied, die fehlenden Worte, der Kuss von meiner Oma.
Und sie nahm meine Hände und sagte, dann tu Du es, lass sie gehen und in Frieden.
Und was dann passierte ist wirklich verrückt:
Es wurde kühl und es roch nach Rosen....kennt ihr diesen süßen, intensiven Duft einiger Rosen, welche nach Pfirsich duften? Dieser Duft war so intensiv und schön. Ich hatte eine Gänsehaut und roch diesen Duft. Immer wieder roch ich....sog es auf. Nur einige Sekunden. Dann war es vorbei.
Meine freundin und ich, wir schauten uns an,
und sie sagte, das war Deine Oma....ich saß da und heulte...und merkte ich wurde ruhiger.
Ich weiß, das hört sich unglaublich an. Fakt ist: im Moment, als es kühl wurde hielten wir beide uns an den Händen. Meine Freundin konnte keinen Duft irgendwie versprühen. Wir sassen beide auf dem Sofa und starten uns an.
Irrsinnig....und doch, kurze Zeit später erfuhr ich von einer Tante, das die Gräber geräumt wurden. Ich bräuchte nicht mehr auf den Friedhof, Oma läge nicht mehr dort.
Wisst Ihr, ich lebe jetzt direkt am Wasser.
Und schau ich aus dem Fenster, seh ich über den Fluß ans andere Ufer. In dieser Stadt hat meine Oma gelebt, ich einige Jahre als Kleinkind auch. Und würde nicht alles zugebaut sein, könnte ich auf ihr Wohnhaus schauen. Die Kirchturmspitze seh ich immer, sie hat direkt nebenan gelebt. Und schau ich da rüber, grins ich, und grüße....Danke Oma.



Ich weiß, ich weiß..das alles ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Doch nehme ich mir heute Zeit, den Lebenslauf für meine Psychiaterin zu schreiben. Und ich werde sehr oft hier drin sein. Und ich weiß, das hört sich verrückt an, was mir mit Oma passiert ist. Bevor ich in diese Situation kam, habe ich immer über parapsych. gelacht. Und hätte ich keine Zeugin, würde ich das niemals erzählen. Eine Zeitlang dachte ich auch, so , jetzt biste total durchgeknallt. Wenn Du das erzählst, wirst Du eingewiesen.

Jetzt erstmal Pause.....hat mich ganz schön geschlaucht. Werde mich aus dem Fenster lehnen, meinen Kaffee trinken und nach "drüben" schauen und mich freuen.

Sonnensucherin
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