seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Captain Kirk
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Captain Kirk »

Ein ganz praktisches alltägliches Beispiel.
Eine Person, nennen wir sie xy, findet ihr Portemonaie nicht auf Anhieb.

xys Konstruktion von Wirklichkeit: Sie nimmt von sich selber an, durch Einflüsterungen hervorgerufen - oder wie Thomas so schön sagt als ein "geprägtes und gewordenes Etwas in mir, das vorgibt Ich zu sein", dass sie schusselig ist und dass man und sie sich selber nicht vertrauen kann und dass sowieso der kleinste Fehler ein Riesenproblem wird das nieiemals wieder gutzumachen ist ... kurzum, das Pawlowsche xyProgramm startet automatisch: dass sie natürlich das Portemonaie verloren hat, dass der Finder sofort mithilfe der Bankkarte ihr Konto komplett leergeräumt hat und alles Geld das sie besitzt nun für immer und ewig verloren ist. Also, diese konstruierte Wirklichkeit stürzt xy in wilde Panik und hat die unangenehmsten emotionalen und körperlichen Folgen.

Und, ich zitiere Thomas nochmals weil er es immer so schön auf den Punkt bringt,
"Wenn ich mit Gefühlen auf eine Situation reagiere und ich weiß aber von den Gefühlen, dass sie der Situation nicht angemessen sind [...] dann bekämpfe ich das Gefühl, indem ich es zurückweise und innerlich laut zu mir sage, dass ich es nicht will."

Und Person xy konstruiert danach um. Sagt sich, dass sie nicht so schusselig ist wie angenommen oder eingeflüstert, dass auf sie Verlass ist und dass sie sich auf sich selber verlassen kann, dass das Portemnonaie nicht verloren sein muß sondern nur verlegt sein kann, dass selbst wenn es verloren sein sollte es auch brav abgegeben werden könnte, dass nicht sofort das Bankkonto leergeräumt würde usw. Eine andere, passendere Konstruktion von Wirklichkeit mit angenehmeren emotionalen Folgen.

Puh. So.


Gruß
c.
Nachttaube
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Nachttaube »

danke Thomas, dass Du schilderst wie Du damit umgehst. Einen ähnlichen Ansatz fährt mein Thera. Er benutzt dafür das Bildnis, dass es ein Negatives System in mir gibt, das eben diese neg. Gefühle erzeugt und auch weiterhin behalten will. Es würde zusammenbrechen, wenn ich mich selber besser behandeln würde, mich annehmen würde, mich schätzen würde usw. Es ähnelt dann auch die Vorgehensweise, nämlich, dass man selber distanzierter auf die neg. Gefühle und auf sich schaut. So kann dann auch diese neg. Gefühle von sich geschoben, gestoppt, oder doch zumindest bewußt gemacht werden.

geschätzter Captain, ich brauche keine Beispiele, mir ist der Sachverhalt klar.
Magst Du nicht über Deine eigenen Erfahrungen sprechen? (bin ich zu aufdringlich?)

alaaf
tomroerich
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von tomroerich »

Das mit dem negativen System in Dir, das diese Gefühle behalten möchte, halte ich für ein ganz zutreffende Beschreibung der Situation, Nachttaube.
Der Mechanismus, über den das funktioniert, wird in meinem Erklärungsmodell als Identifikation bezeichnet (hier ist es nützlich das Fremdwort mal umschreibend auszudrücken: Identifikation = "Ich-Ersetzung" oder "Gleichsetzung mit Ich") Diese Idee hat mir sehr viel Erleuchtung gebracht. Sie sagt aus, dass wir uns ständig mit dem identifizieren (unser Ich gleichsetzen!), was als Phänomen in unserem Bewusstsein auftaucht. Tatsächlich, wenn man die Dinge einmal so betrachtet und sich in dieser Weise beobachtet wird man merken, dass man wirklich zu jedem Augenblich sein Gefühl IST, der Gedanke IST, auch der Baum IST, den man betrachtet. Es lassen sich viele Belege dafür finden. Manchmal wird uns das auch bewusst- dann sagen wir, "ich war außer mir" (das trifft es genau!) oder wir haben mindestens das Gefühl, uns selbst nicht zu verstehen, was wir da getan oder gefühlt haben. Wir wurden sozusagen aufgesaugt- die beste Annäherung finde ich aber, dass wir uns bei diesem Vorgang selbst vergessen haben. Wir sind uns unserer selbst nicht mehr bewusst und je stärker ein Gefühl ist, das gilt insbesondere für negative Gefühle, umso tiefer und nachhaltiger ist diese Identifikation, diese Verschmelzung mit dem neg. Gefühl. Diese Aussage lässt sich leicht verifizieren. Man bedenke nur, wie schwer es ist, aus neg. Gefühlen auszusteigen, und wenn es nur ein Ärger ist.

Noch ein anderes Phänomen klärt sich so recht leicht- die Weigerung nämlich, diese neg. Gefühle loszulassen und auf sie zu verzichten. Es ist wirklichn kaum zu erklären und zu verstehen, wie Menschen an ihren neg. Gefühlen hängen als sei es das Beste und Wertvollste, was sie haben. Anstatt den Sinn des Wörtchens negativ als das zu nehmen, was er nun mal ist, schlecht nämlich, verteidigen sie ihre schlechten Gefühle manchmal noch leidenschaftlicher als ihre guten. Da wird integriert und gehätschelt und sich um Versöhnung bemüht, dass man sich nur wundern kann. Oder es wird behauptet, diese neg. Gefühle seien unbedingt notwendig, um sich orientieren oder etwas wahrnehmen zu können. Das kommt von der Identifikation- es wird so empfunden, dass diese Gefühle ICH sind. Oder wie dein Thera sagt, das neg. System will genau das bleiben, was es ist.

Um abzuschließen: 2 Dinge sind notwendig, um das neg. System zu besiegen: Ein klarer Entschluss und der Wille, die neg. Gefühle zu bekämpfen und zwar ohne Wenn und Aber sowie das, was ich "leben nach innen" nenne. Gemeint ist damit ein Hinwenden der Aufmerksamkeit nach innen- gar nicht in nachdenkender oder gar grübelnder Weise, auch nicht analysierend oder interpretierend. Sondern nur wahrnehmend, SICH wahrnehmend.

Tröröööö *Narrenkappe schwenk*

Thomas
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tomroerich
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von tomroerich »

Eine Frage, Captain,

wenn ich deine Eingangsfrage recht verstehe läuft dein Gedankengang darauf hinaus, ob man im Nachhinein eine durchlebte Situation so umdeuten kann, dass sie etwas anderes bedeutet? Vielleicht verstehe ich es nicht richtig aber dieser Versuch käme ja dann einer Lüge gleich, oder? Ich sage mir dann z.B. "meine Mama hat mich doch geliebt, nur habe ich es nicht bemerkt". So?

Ehrlich gesagt kann ich mir das kaum vorstellen. Was ich für entscheidend halte: Ob es wahr, unwahr oder sonstwie (aus heutiger Sicht) ist, ist nicht das, was uns krank machte. Krank machten uns unsere Gefühle, die sich in unserem Organismus niedergeschlagen haben in Form von Gewohnheit- sie prägten sich im Organismus ein und führen dort ein verdammtes Eigenleben

Schritt1: Die Erkenntnis der Überflüssigkeit dieser Gefühle, deren Verständnis als zwangsläufige Folge von äußeren Einflüssen und damit die Erlaubnis, jetzt anders zu fühlen. Schritt 1 ist eine Therapieaufgabe.

Schritt2: Die Bekämpfung dieser Gefühle und der Verhaltensweisen, die zu ihnen führen durch intrapsychische Beobachtung und die Anstrengung, sie abzulehnen und sich von ihnen nicht hinreißen zu lassen. Schritt2 ist eine Lebensaufgabe und kann nur alleine durchgeführt werden. Man sollte mit einfachen Anstrengungen beginnen wie z.B. dem festen Vorsatz, sich nicht mehr über andere Autofahrer (diese verdammten Idioten ) zu ärgern und seien die auch noch so dämlich. Es geht nicht um Recht oder Unrecht, es geht um den Erwerb der Fähigkeit, über seine Gefühle zu entscheiden! Ganz wichtig ist zu beobachten, wann es gelingt und wann nicht. Man wird herausfinden, dass es dann gelingt, wenn man "bei sich selbst" war.

Psssst, morgen schäft Nachttaube ihren Rausch aus, dann philosophieren wir weiter

Thomas
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Captain Kirk
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Captain Kirk »

Thomas schrieb:
>Eine Frage, Captain,

wenn ich deine Eingangsfrage recht verstehe läuft dein Gedankengang darauf hinaus, ob man im Nachhinein eine durchlebte Situation so umdeuten kann, dass sie etwas anderes bedeutet? Vielleicht verstehe ich es nicht richtig aber dieser Versuch käme ja dann einer Lüge gleich, oder? Ich sage mir dann z.B. "meine Mama hat mich doch geliebt, nur habe ich es nicht bemerkt". So?<



Nein. Nicht so simpel. Dabei geht es nicht darum die rosarote Brille aufzusetzen. Hab ich ja schon mal gesagt.
Ich habe ein anderes Beispiel. Ein Kind kam mit drei Jahren ins Krankenhaus und musste operiert werden, es lag einige Wochen isoliert auf der Krankenstation. Die Eltern durften nicht zu ihm. Zeitlebens hatte das erwachsene Kind das Gefühl von Verlassensein und dass seine Eltern es nicht liebten. Zudem Angst vor Krankenschwestern und Ärzten.
Weil es sich eine solche Wirklichkeit in der Einsamkeit der Krankenhausisolation, „gequält“ von Ärzten und Schwestern, als dreijähriges, verständlicherweise, so beurteilt, zusammenkonstruiert und erlebt hat. Im Lauf der Zeit wächst das Gefühl noch, weil es in der Fantasie immer abstrusere Formen annimmt, und durch Nahrungszufuhr durch die Erinnerungen immer monströser wird.

Die Chance besteht nun darin, dass das erwachsene Ich dem zitternden Kind in sich hilfreich zur Seite steht und die damalige Situation neu betrachtet. Dann kann er erkennen, dass die Konstruktion als Dreijähriger wohl passte, (wie die Landkarte von der weiter oben die Rede war) nach allem was er damals wusste. Es war schlimm für das Kind. Aber als 30jähriger passt diese Konstruktion eben nicht mehr. Er kann sie nun im Nachhinein neu konstruieren, indem er das Wissen eines 30jährigen benutzt. So kommt er heute zu neuen gesünderen Gefühlen und das Kind kann im besten Falle wieder ruhiger schlafen.



"Die therapeutische Arbeit besteht darin, die Geschichte neu zu erzählen und dabei die Bedeutung ihrer Inhalte zu verändern. Die Psychologie, die das Gedächtnis als eine Funktion studiert, durch die ein Gehirn Informationen dekodiert, speichert und abruft, ist für uns nicht von Nutzen, wenn sie nicht die Tatsache berücksichtigen kann, dass Erinnerungen der Patienten während der Sitzung nicht die abgerufenen Informationen sind, sondern eine Behauptung über bestimmte Dinge in einer Situation, die aktiv mit dem Therapeuten geteilt wird." (S.69 „Kurzzeittherapie und Wirklichkeit“. Hg.: Watzlawick, Nardone)

Also, statt auf die Suche nach einer >Wahrheit< zu gehen, wird sich auf die Bedeutung konzentriert, die jemand einer Situation zuschreibt. Gleichzeitig wird diese Bedeutung als eine Konstruktion begriffen. Und es geht nun darum, eine Wirklichkeitskonstruktion die nicht länger "passt", durch eine andere zu ersetzen, die besser passt.


Alice Miller kritisiert in ihrem Buch "Du sollst nicht merken" S.58 diese Art der Therapie,
weil der P. ihrer Meinung nach nochmals traumatisiert wird, wenn der Therapeut deutlich macht, dass es ihm lediglich um die "psychische Realität" geht. "Er findet keinen Menschen, der seinen Zorn voll begreifen kann und wird ihn deshalb nicht begreifen und zulassen"

Diese Auffassung steht dem radikalen Konstruktivismus, so wie ich es verstanden habe, diametral entgegen.
Au der einen Seite das Annehmen von Wirklichkeit und traumatischer Erfahrung - das Durchleben dieses Schmerzes, auf der anderen Seite das Annehmen von Konstruktion und somit der Möglichkeit etwas anderes als ein Trauma zu konstruieren. Das ist die Chance.


>Ehrlich gesagt kann ich mir das kaum vorstellen. Was ich für entscheidend halte: Ob es wahr, unwahr oder sonstwie (aus heutiger Sicht) ist, ist nicht das, was uns krank machte. Krank machten uns unsere Gefühle, die sich in unserem Organismus niedergeschlagen haben in Form von Gewohnheit- sie prägten sich im Organismus ein und führen dort ein verdammtes Eigenleben ) <


Ja…. Aber…. der radikale Konstruktivismus ist der Meinung, dass diese Gefühle stetig neu Nahrung bekommen, wenn sie tagtäglich durch eine "unpassende" Wirklichkeitskonstruktion gespeist werden. Ich kann diese Gefühle zwar verbieten, aber diese Art der Pädagogik behagte mir noch nie
Besser finde ich es, umzukonstruieren und so gesünderen Gefühlen Nahrung zu geben. Dann ist man auch freier, flexiblere Entscheidungen zu treffen und nicht mehr so behaviouristisch seinen fremden? Gefühlen und kranken Verhaltensweisen ausgeliefert. Weil
ich mir MEINE EIGENEN Gefühle heute und jetzt mache.


>zu ärgern und seien die auch noch so dämlich. Es geht nicht um Recht oder Unrecht, es geht um den Erwerb der Fähigkeit, über seine Gefühle zu entscheiden! Ganz wichtig ist zu beobachten, wann es gelingt und wann nicht. Man wird herausfinden, dass es dann gelingt, wenn man "bei sich selbst" war.<



Dem stimme ich zu. Spricht nichts dagegen wie ich finde
Es geht darum seine ganz eigene Wirklichkeit neu zu konstruieren in der Einflüsterungen nicht mehr die Macht und in der nicht mehr alles schrecklich grau und schwarz ist, sondern vielleicht auch mal ein bisschen blauer Himmel hervorblitzt.

So. Langsam werde ich hier zum Missionar des r.K. wie mir scheint ..wollte ich eigentlich nicht... Zum Glück gibt es viele verschiedene Ansätze und Theorien. Den für sich richtigen passenden zu finden ist die Kunst. Und manches Gleiche kommt auch im verschiedenen Gewand daher.


Dr. rad. Konstr. c.
adelgunde
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von adelgunde »

Hallo zusammen,
ich klink mich jetz einfach hier ein, denn das ist es, was ich auch will. Ich will die negativen Gefühle in ihre Schranken weisen, mich nicht mehr so abhängig von ihnen fühlen. Ich habe es mit einigen Entscheidungen zum Teil geschafft: meine wichtigste Entscheidung war wohl, daß ich nicht mehr leiden wollte. Entscheiden und dann auch gegen sich selbst durchsetzen. Mein Therapeut fährt da aber offensichtlich eine andere Schiene. Er meint, wenn ich die negativen Gefühle wegdrücke, dann holen sie mich über die Depression wieder ein. Es geht doch darum, wahrzunehmen, daß ich mich über etwas ärgere - idiotisch fahrende Autofahrer, zu spät kommende Freunde, verlegte Portemonnaies - und auch wahrnehme, daß ich mich ärgere. Dann sehe ich mir den Ärger an und entscheide mich: entweder ich verharre im Ärger, werde ihn los (wütendes schimpfen) oder ... Was ist die dritte Möglichkeit? Meinst Du, Thomas, daß Du ihn Dir ansiehst und ihn dann für der Situation nicht angemessen einstufst und wegdrückst? Also Hirn über Gefühl? Würde mein Therapeut wohl ablehnen. Aber ich finde das einen guten Gedanken. Du hast es weiter oben auch schon geschrieben, sich seinen Gefühlen hingeben, sich regelrecht daran laben, kann es das sein? Denke ich auch nicht. Eher so wie Nachttaube schrieb: das positive daran sehen und wiederholen, wiederholen, wiederholen. Was ich daran so anziehend finde ist, daß ich es selbst in der Hand habe, die Welt zu sehen. Nur, was tun, wenn ich den Schritt von mir weg nicht schaffe, um mich von außen zu betrachten?

Und wie unterscheidet Ihr zwischen den "Einflüsterungen" und dem wahren ICH? Das finde ich extrem schwierig. Ich habe darunter gelitten, daß meine Wahrnehmung von der anderer abweicht. Es ist und bleibt aber doch MEINE Wahrnehmung. Inzwischen weiß ich, daß davon vieles von der depressiven Brille geprägt war, aber war sie deshalb "falsch", die Wahrnehmung? Im Nachhinein sehe ich das so, aber in dem Moment? Wie machst Du das konkret? Sagst Du "stopp", das ist jetzt depressiv? Woran erkennst Du das?

Viele Grüße
Inga
Clown
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Clown »

«Und manches Gleiche kommt auch in verschiedenem Gewand daher. »

Ja, finde ich auch.

Ich sehe auch gar keinen Widerspruch zwischen A. Millers Position und der des Konstruktivismus oder der von Thomas.

Nämlich:
Die Gefühle, Erklärungen, die der Dreijährige in Captains Beispiel in und für seine Situation hatte, sind Tatsache, erlebte Wahrheit.

Mein Thera hat mir für meine leidvolle Situation, die ich noch früher, als Säugling, erlebt habe, vollständige 'Zustimmung, Anerkennung' gegeben, die mich sehr überzeugt und erleichtert hat.
Soweit ist der Standpunkt von Alice Miller erfüllt, finde ich.

Gleichzeitig habe ich in der Therapie gelernt und begriffen, dass ich heute auf Ereignisse immer noch mit der damals geprägten 'Gefühlsschablone' reagiere und dass das schon allein auf Grund der Tatsache, dass diese Schablone in der Vergangenheit entstanden ist, nicht auf das 'Hier und Jetzt' passen kann!
Das geht in Richtung Konstruktivismus.

Mein Ziel ist es jetzt jedoch, möglichst gar keine Schablone, gar kein Konstrukt bei der Wahrnehmung mehr zu haben. Den Thomas verstehe ich so, dass er darauf auch abzielt.

Das wäre dann wohl die Erleuchtung...Satori, wie es im Zen heißt...

Clown
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Captain Kirk
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Captain Kirk »

<«Und manches Gleiche kommt auch in verschiedenem Gewand daher. »
Ja, finde ich auch.<




>Mein Thera hat mir für meine leidvolle Situation, die ich noch früher, als Säugling, erlebt habe, vollständige 'Zustimmung, Anerkennung' gegeben, die mich sehr überzeugt und erleichtert hat.
Soweit ist der Standpunkt von Alice Miller erfüllt, finde ich.<

Das freut mich für Dich. Das ist so wichtig. Ich hätte mir das auch für mich gewünscht . Mein Therapeut war da etwas ruppigradikaler. Als ich frisch traumatisiert bei ihm erschien. Er "therapierte" mich, indem er alles was ich sagte als "alles Quatsch, alles Einbildung, selber schuld " betitelte und ein "Sehen Sie es doch mal so, dann gehts Ihnen besser...(hier folgte dann SEINE Sicht der Dinge) hintenanschob. Mein aktuelles von mir so erlebtes Trauma fand gar keinen Platz. Damals wußte ich noch nichts von "psychischer Realität" oder r.K. Er erklärte mir auch nichts.

Heute übersetze ich das so, dass er in seiner simplen radikalen Art den radikalen Konstruktivismus ebenso simpel und radikal verstanden hatte und meinte, ihn auf diese Art bei mir anwenden zu können um mir zu helfen. Gut gemeint (vielleicht), falsch verstanden, menschlich/therapeutisch voll daneben. Tatsächlich fühlte ich mich, wie Miller schrieb, ein zweites Mal traumatisiert. Naja. Inzwischen kann ich mir selber die Zustimmung und Anerkennung geben, die ich damals so bitterlich gebraucht hätte. Hat auch sein Gutes.Hat nur etwas länger gedauert.

Deswegen bin ich dafür, dass zwischen den verschiedenen Theorien ruhig auch mal ein interdisziplinärer Austausch stattfinden und nicht auf Teufel komm raus am Konzept festgehalten werden sollte. Und mir hätte eine Aufklärung über das Konzept/bzw. Theorie des Therapeuten gutgetan.



>Mein Ziel ist es jetzt jedoch, möglichst gar keine Schablone, gar kein Konstrukt bei der Wahrnehmung mehr zu haben. Den Thomas verstehe ich so, dass er darauf auch abzielt.

Das wäre dann wohl die Erleuchtung...Satori, wie es im Zen heißt...<


HHmmm...ich glaube das funktioniert im Leben nicht. Man hat doch immer irgendeine Konstruktion oder Vorstellung von Wirklichkeit, sei es bewußt oder unbewußt. Genauso wie man nicht nicht kommunizieren kann.

Wäre das was Ihr anstrebt nicht die Reise in die Transzendenz? Eine gänzliche Auflösung? Vielleicht auch nicht schlecht ...

Gruß
c.
Clown
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Clown »

Nee, nee, Captain,

ich strebe keine Reise in die Transzendenz an, was immer du dir darunter vorstellst!

Ich stimme dir wieder zu bei:

«Man hat doch immer irgendeine Konstruktion oder Vorstellung von Wirklichkeit, sei es bewußt oder unbewußt.»

Das ist ja das Kreuz, das wir tragen . Deswegen redete ich auch im Konjunktiv, 'wäre'....
Aber ich bin überzeugt, dass es schon einen Riesenunterschied macht, wenn ich das Freisein von Konstrukten als Ziel anstrebe, daran arbeite und darum kämpfe, wie Thomas sogar meint.

Dass du so besch.... Therapeuten begegnet bist, tut mir sehr leid. Um so mehr bewundere ich deine Stärke, die dich so weit gebracht hat, wie du jetzt bist!

Lieben Gruß,
Clown
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Captain Kirk »

... völlig losgehelöst von der erde ... schwebt das rahauhaumschiff völlig losgelöööhhöööhhöööhhhöööst ..... so ähnlich stelle ich mir die Reise in die Transzendenz vor

Danke für Deine Anerkennung. Tut gut und ich nehme sie gerne an.


Gruß
c.
Clown
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Clown »



Weiter so, Captain!

Clown
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tomroerich
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Inga,

weißt Du, was ich wirklich glaube? Dass negative Gefühle für überhaupt nichts gut sind. Sie sind einfach überflüssig und höchst schädlich. Sie sind nicht einmal dafür tauglich, mir zu zeigen, dass etwas mich bedroht oder dass ich mit etwas ein Problem habe. Wir könnten ganz auf sie verzichten und würden trotzdem nicht ein bisschen ärmer durch den Verlust sondern nur reicher. Aber vielleicht muss man zunächst mal definieren, was neg. Gefühle überhaupt sind. Sie sind dadurch charakterisiert, dass sie einen überwältigen und, ich sags mal so, den gesamten seelischen Raum ausfüllen, wenn sie auftreten. Typische und sehr schädliche Vertreter sind Wut und Ärger. Sie nehmen Besitz von meiner ganzen Person, so dass ich selbst Wut und selbst Ärger bin und auch so handele. Sie lähmen das Denkvermögen und lassen mich unvernünftig handeln, fressen wahnsinnig viel Energie und sorgen dafür, dass ich Probleme bekomme anstatt welche zu lösen. Sie sind unser tierisches Erbe. Es ist auch richtiger, sie als Emotionen zu bezeichnen. Emotion heißt "Hervorbrechung" und verdeutlicht den Unterschied zum Gefühl.

Für das Tier ist es völlig richtig und notwendig, ganz Angst, ganz Wut oder ganz Gier zu sein, denn es soll handeln ohne zu denken (was es nicht kann). Wir haben den Vorteil der Möglichkeit zur Selbstreflexion, mit deren Hilfe wir blitzschnell eine Situation erfassen können, wenn wir uns nicht von neg. Gefühlen benebeln lassen. Bei Wut und Ärger ist der gesamte Körper beteiligt, es werden Stoffe ausgeschüttet, die eigentlich durch Reaktion wieder abgebaut werden müssten, was aber so gut wie nie geschieht, denn wir schlagen nicht so einfach zu oder rennen erst mal 3 km um unsere Angst loszuwerden, wie Tiere das tun. Ich glaube, die nutzlosgkeit von neg. Gefühlen müsste einleuchten. Wenn nun jemand sagt, ohne seine Wut könne er ja einen Konflikt nicht erkennen oder der Antrieb zu seiner Lösung würde dann fehlen, dann würde ich dazu sagen, dass das nicht richtig beobachtet ist. Die Wut steht als Reaktion einer bereits erkannten Konfliktsituation da, sie ist nicht der Zeiger sondern das Dampfventil. Ich kann sehr gut und noch viel besser ohne Wut erkennen, um welche Art Konflikt es sich handelt und sehr viel differenzierter fühlen, wie wichtig oder unwichtig das nun für mich ist. Typisch Ärger z.B. ist ja, dass wir uns über Dinge ärgern können, die keinerlei Bedeutung haben sondern diese erst durch den Ärger bekommen.

Die angebliche Energie in Wut und Ärger, die dazu dienen soll, einen Konflikt zum eigene Vorteil zu lösen ist eine eindeutig negative Konfliktenergie und führt nicht zu wirklichen Lösungen sondern vielleicht bestenfalls zu Einschüchterung des Gegenübers. Es gibt ganz wenige Fälle nur, wo die blinde Energie der Wut wirklich passt und diese Fälle erinnern sofort ans Tierreich. Wenn mich ein Kampfhund angreift oder ein ähnlich tollwütiger Mensch, dann ist überwältigende Wut oder Angst die richtige Lösung.

Bleibt die Frage, was mit "weggedrückten Gefühlen" geschieht und die muss man sehr ernst nehmen. Zuerst mal die Abgrenzung gegen den Begriff "Verdrängung". Manche Menschen unterscheiden hier nicht sondern bezeichnen all das als Verdrängung, was nicht ausgelebt wird. Das ist so aber nicht richtig. Verdrängung setzt einen inneren Konflikt voraus, der ein neg. Gefühl zu einer verbotenen Regung macht und fast immer entsteht dieser Konflikt durch einen äußeren Anlass. Wenn ich nicht wütend sein darf, weil man mich sonst verdammt, dann entscheide ich mich nicht gegen meine Wut sondern ich gebe einem anderen Gefühl dem Vorzug- z.B. dem Gefühl der Angst, dann nicht mehr akzepiert zu sein. Was ich aber immer meine, ist Einsicht in den schädlichen Charakter der neg. Gefühle und daraus die Entscheidung, sie nicht mehr zu wollen. Das ist etwas völlig anderes und eine freie Entscheidung für die eigene seelische Hygiene und das eigene Wohlbefinden.

Ich würde z.B. jedem Depri, der seine Wut nicht spüren kann, niemals anraten, es dabei zu belassen, weil die ja schädlich ist. Er kann sich nicht gegen seine Wut entscheiden, solange er sie nicht fühlt und bliebe in seinem alten Konflikt stecken. Wenn man aber sich innerlich so weit aus seiner depressiven Haltung befreit hat, dass man sich wieder traut, sich zu ärgern und wütend zu sein ist die Befreiung von den neg. Gefühlen ein weitere Schritt in die Souveränität.

Jetzt das "Wegdrücken"... tatsächlich ist es schwer, Ärger oder Wut wieder loszuwerden, wenn sie sich einmal breit gemacht haben, das weiß jeder. Sie sind ein Selbstläufer und man muss erhebliche Energie aufwenden, um sie dann in den Griff zu bekommen. Deshalb ist es bereits zu spät, wenn man drinsteckt. Was man tun muss ist, den Augenblick der Entstehung bewusst zu erleben, sozusagen den Moment zu erwischen, in dem das Programm starten will. Jeder weiß- wenn man auf eine unangenehme Situation vorbereitet ist und weiß, das kann jetzt verletzend, ärgerlich oder sonstwas werden, dann ist es schon viel unwahrscheinlicher, dass man es dann auch wird (daran kann man sehr gut erkennen, dass neg. Gefühle keinesfalls die Rolle eines Erkenntnisprozesses spielen). Erwartet man also das neg. Gefühl bereits, kann man relativ leicht verhindern, dass es auftritt. Das zeigt deutlich, worum es geht- neg. Gefühle leben vom Überraschungsmoment. Sie können nicht mehr auftreten, wenn man bewusst bleibt. Das klingt jetzt unwahrscheinlich, aber genau so ist es. Neg. Gefühle benötigen für ihr Auftreten zwangsläufig Unbewusstheit, Verträumtheit, nicht bei sich selbst zu sein. Wenn ich aber mich selbst wahrnehme, dann werde ich den Augenblick erkennen, wo mich die Wut packen will oder der Ärger sich in mir breit machen will und in diesem Stadium kann ich das Programm noch leicht stoppen, wenn ich es will.

Da gibt es ja z.B. die berühmten schlechten Tage, an denen alles schief geht und man sich über alles und jeden ärgert. Ich denke, diese Tage sind vor allem deswegen schlechte Tage, weil man sich seiner selbst da weniger bewusst ist als an den guten. Es fehlt das Grundgefühl "ich fühle mich gut" im Sinne von "Es gelingt mir gut, mich zu fühlen". Wenn man nach innen einen guten Kontakt zu sich hat, fühlt man sich immer gut und neg. Gefühle haben geringere Chancen.

Boah, ist das wieder lang geworden Ich schreibe später noch was zu deiner Frage über die Unterscheidung zwischen Einflüsterungen und dem wirklichen Ich- finde ich nämlich sehr wichtig!

Schönen Abend wünscht

Thomas
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Clown
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Clown »

Weißt du, was ich mit deinen Beiträgen oft mache, Thomas?
Ich kopiere sie mir in eine Datei und dann unterteile ich sie in deutlich mehr Abschnitte als du das machst.

Und so lese ich sie sehr gerne und verstehe sie auch viel besser.

Clown

PS: Ich vermute mal, du willst verhindern, dass deine Beiträge noch länger aussehen als sie schon sind und sparst deshalb an den Absätzen?
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maggy
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von maggy »

Lieber Thomas,

ich hatte 4 Tage die wunderbarste aller Enkelinnen bei mir, unsere Sekretärin hat Urlaub und noch ein paar Sachen, die meine Zeit brauchen und schon habe ich hier ein paar Tage nicht gelesen und schaffe es auch nicht alles nachzulesen.
Sollte das, was ich schreibe, schon erwähnt worden sein, bitte ich um Nachsicht.

Ich kann vieles von dem, das Du über Gefühle schreibst, nachvollziehen, aber trotzdem weiß ich nicht, warum ich sie bekämpfen und in den Griff kriegen sollte.

Ich unterscheide bei meinen Gefühlen zwischen angenehmen, unangenehmen und neutralen Gefühlen. Die angenehmen genieße ich, die neutralen nehme ich fast nicht wahr, bzw. habe das Gefühl keine Gefühle zu haben und die unangenehmen? Mittlerweile begrüße ich sie; denn ich weiß, dass sie zwar im JETZT entstehen, aber die dazugehörenden Glaubenssätze sind schon uralt und deshalb muß ich auf diese Gefühle nicht hören. Sie waren sicher mal sehr wertvoll für mich und mein Überleben, aber ich kann ihnen heute Einhalt gebieten, mich bei ihnen bedanken, dass sie durch die Situation und den dazugehörenden Gedanken zwar auf die Idee kamen auftauchen zu müssen, aber ich sage ihnen, dass ich heute und in dieser Situation ganz gut ohne sie klarkomme. Ohne sie zu bekämpfen und ohne sie in den Griff bekommen zu wollen. Sie verschwinden einfach wieder. Sicherlich haben mehr als 2 Jahrzehnte Meditation dazu beigetragen, dass ich so mit meinen Gefühlen umgehe, aber gegen oder für sie zu kämpfen wäre mir einfach zu anstrengend.

Ich würde gerne noch ein paar Überlegungen dazu anführen, aber dafür müßte ich die postings erst alle lesen und das will ich heute nicht mehr .

Alles Liebe
und Gute Nacht
von
Maggy
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
tomroerich
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von tomroerich »

Liebe Maggy,
wenn Du so mit deinen negativen Gefühlen umgehst, umgehen kannst, dann besteht ja auch keinerlei Handlungsbedarf für Dich, denn dann empfindest Du ja deine neg. Gefühle nicht als negativ sondern als zu Dir gehörig. Du scheinst durch Einsicht oder eine Entwicklung dazu gekommen zu sein, diesen Gefühlen ihre Macht zu nehmen- Du bist so gut bei Dir, dass Du sie als das erkennen kannst was sie sind, Du glaubst nicht mehr an sie. Das ist aber das, was ich versuche, zu vermitteln. Aber was wäre, wenn Du tagtäglich von solchen Gefühlen gequält wirst, so dass sie Dir das Leben schwer machen und Dich bedrängen und unterdrücken? Mir geht es nur um verselbständigte Gefühle, die unkontrolliert und unkontrollierbar auftreten und eine Belastung sind.

Lieben Gruß

Thomas
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von tomroerich »

Liebe Deary,

ich habe Dich nicht vergessen aber der thread hat sich inzwischen anders entwickelt und ich kam etwas von meinen Gedanken ab.

Das, womit wir agieren, das ist meistens unserer äußerer Mensch, womit wir die Fähigkeiten haben, in der Welt "zutage zu treten...??"

Ja, genau so. Schau, es muss diese Anpassung an eine Umwelt ja geben, denn genetisch sind wir anscheinend ja festgelegt während sich die Umwelt ständig ändert für ein Wesen, das mit den immer gleichen Voraussetzungen in die Welt kommt. Mit bestimmten, sehr hoch entwickelten Fähigkeiten, die flexibel genug sein müssen, um sowohl im Mittelalter als auch heute zu bestehen. Die Persönlichkeit, der äußere Mensch, ist die Antwort auf seine Umwelt. Sie muss so gebaut sein, dass sie dieser Umwelt Rechnung trägt und ihre Anforderungen erfüllen kann.

Der innere Mensch ist dagegen etwas ganz anderes- er hat eher den Charakter einer Idee. Keine ganz bestimmten Eigenschaften, wie sie die Persönlichkeit hat sondern viel undifferenzierter, unbestimmter und freier, vielgestaltiger. Man kann das vergleichen mit der Idee, die ein Maler ausdrücken möchte oder besser noch ein Komponist. Er fühlt etwas in sich, und muss nun diese Idee in die Welt bringen und zwar mit den Mitteln, die diese Welt für ihn bereit hält. Er hat dafür Musikinstrumente, Sänger vielleicht und muss nun seinem Orchester seine Idee vermitteln.

Ebenso geschieht es auch dem inneren Menschen, wenn er sich von der Welt prägen lassen muss. Seine Idee, sein Inneres muss sich den Ausdrucksmöglichkeiten der Welt beugen, er muss einen Kompromiss finden denn die Welt ist unendlich viel enger und kleiner als die Möglichkeiten des inneren Menschen. Er kann nicht auf die Welt verzichten, er muss sich verbiegen lassen.

Dabei kann es leicht passieren, dass die ursprünglich gedachte Melodie, wenn die Umstände dem inneren Menschen gar keine Rechnung tragen und der Zwang zu groß wird, bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Das Orchester spielt ohne Dirigent irgend etwas vor sich hin, niemand weiß mehr, was er spielen soll und das Ganze klingt nicht mehr. Ich würde sagen, das ist eine Persönlichkeitsstörung, wenn die Melodie nicht mehr nur langweilig und uninspiriert klingt sondern schräg und kaputt.

Der Dirigent, das ist das Ich, das bist Du selbst. Und Deine Tätigkeit in der Welt, das ist das Orchester. Dein innerer Mensch ist die Idee, die in deinem Leben steckt und Deine Aufgabe ist es, gut zu dirigieren, damit Deine Melodie erklingen kann. Es ist der innere Mensch, der sich verwirklichen will aber es kann sein, dass er nur kaputte Instrumente vorfindet oder dass das Orchester nur halb besetzt ist und er es sehr schwer hat. Dann leidet der Dirigent.

Ein Mensch, den wir oftmals als "Persönlichkeit" bezeichnen, das ist ein Mensch ,der vielleicht ganz klar sein Ding macht, anderen dabei wohlmöglich hilft, der charismatisch ist.

Hier benutzt Du Persönlichkeit ganz anders als ich es tue. Was Du hier beschreibst ist ein Beispiel für eine wohlklingende Melodie, für die gelungene Synthese aus innerem und äußerem Menschen. Aber man muss vorsichtig sein. Manche Menschen sind so, dass sie auf einer Drehorgel eine faszinierende Melodie spielen, der alle hinterherlaufen. Aber es ist nicht die Melodie des inneren Menschen, es ist ein besonders gut trainiertes Orchester, das ohne Gefühl eine eingeübte Melodie abspult, die andere faszinierend finden. Solche Menschen sind in gewisser Weise eine Gefahr weil sie nur den Eindruck eines gelungenen Lebens erwecken.

So habe ich es auch mit dem Begriff Persönlichkeitsstörung gesehen, ...
Das innere Ich war trotzdem " voll in Ordnung..."


Ja, ich gebe Dir Recht. Selbst ein "Verrückter" ist in seinem Kern noch die ursprüngliche Idee geblieben. Das gruseligste Phänomen ist nicht ein kranker Mensch sondern ein glücklicher Dirigent, der etwas dirigiert, was mit seiner persönlichen Idee nichts mehr zu tun hat. Wie willst Du den dazu bringen, das zu dirigieren, was er soll? Der kranke Mensch dagegen versucht, sein Orchester wieder in Stand zu setzen, denn er ist ja unglücklich darüber, dass er die wunderbare Idee, von der er weiß, nicht umsetzen kann. Er hat jede Motivation, sein Orchester funktionsfähig zu machen und wenn er nicht nachlässt in seinen Bemühungen, wird er das schaffen. Aber wie willst du einen Dirigenten motivieren, der eine falsche Melodie spielt und sich dabei wohl fühlt?


Einen lieben Gruß von

Thomas
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Nachttaube
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Nachttaube »

negative Gefühle verbannen...?mh...

ich glaube an das Prinzip der Polarisierung. Also gehört zu pos. Gefühle auch neg. Gefühle

Maggy´s Unterteilung in schlecht, gut, neutral, das ist sicherlich der "normale" Weg.

Wir kennen ja auch überschäumende positive Gefühle: Verliebtsein, Freude, etwas geschafft haben, Sieg (nicht kriegerisch gemeint), ektase beim Tanzen, usw. Also erscheint es mir relativ normal, dass der Mensch auch neg. überschäumende Gefühle hat (z. B. wenn die Liebe nicht erwidert wird). Wichtig ist nur, diese zu kanalisieren.

Meine schwarze Seele hilft mir z.B. sehr kreativ zu sein: ich kann in den frühen Morgenstunden Gedichte schreiben, in der Nacht die schönsten Roben nähen...

Durch meine PS bin ich viel sensibler, kann Menschen besser verstehen, besser halten...
mein Spiel mit Masken befähigt mich, eine Bühnenshow abzulegen, ich bin sehr gut in Seminargestaltung... meine Angst verletzbar zu sein, kann ich gut in der Risikoanalyse von Projekten und Prozessen einbringen...

Nein, ich möchte meine sogenannten neg. Gefühle nicht bekämpfen. Ich möchte meine positiven Verstärken und die negativen Nutzen (aber nicht mehr unter ihnen leiden).
maggy
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von maggy »

Guten Morgen lieber Thomas,

Du fragst:
>Aber was wäre, wenn Du tagtäglich von solchen Gefühlen gequält wirst, so dass sie Dir das Leben schwer machen und Dich bedrängen und unterdrücken?<

Das läuft bei mir nicht nur unter "was wäre, wenn...", sondern das habe ich vor Jahren tatsächlich so erlebt. Ich habe ein halbes Jahr in meinem Schlafzimmer verbracht weil mich solche Gefühle bedrängten und quälten.
Heute kann ich sagen, dass ich einfach das Glück hatte gar nicht zu wissen was da in mir ablief. Wenn ich gewußt hätte, dass es negative Gefühle sind hätte ich vielleicht gegen sie gekämpft, oder auf die schlauen Sprüche meiner Umgebung gehört die da hießen: "reiß dich zusammen, das kriegst du in den Griff".
Nein, ich geriet an einen Therapeuten der sagte (also erstmal dachte er es wohl, später sprachen wir darüber): "na endlich fühlst du mal was" und gaaaaaaaaanz langsam konnte ich das was ich fühlte den Situationen zuordnen, zu denen das Gefühl ursprünglich gehörte und hatte auch Worte für das was ich fühlte.
Also, es ging erstmal darum das was ich fühlte überhaupt wahrzunehmen; denn mein Kopf hatte immer so wunderbare Erklärungen für alles was passierte, das Fühlen über Jahrzehnte in meinem Leben gar nicht vorkam, bzw. von mir nicht wahrgenommen wurde.

Du fragst in Deinem nächsten Posting:
>Aber wie willst du einen Dirigenten motivieren, der eine falsche Melodie spielt und sich dabei wohl fühlt?<

Wer oder was in mir entscheidet denn welche Melodie richtig oder falsch ist? Oder wird das außerhalb von mir entschieden?

Alles Liebe
von
Maggy
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Captain Kirk »

Hi Inga,

Du schriebst:>Es geht doch darum, wahrzunehmen, daß ich mich über etwas ärgere - idiotisch fahrende Autofahrer, zu spät kommende Freunde, verlegte Portemonnaies - und auch wahrnehme, daß ich mich ärgere. Dann sehe ich mir den Ärger an und entscheide mich: entweder ich verharre im Ärger, werde ihn los (wütendes schimpfen) oder ... Was ist die dritte Möglichkeit?<

Ich schreibe eigentlich die ganze Zeit über diese dritte Möglichkeit ...


Gruß
c.
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Clown »

Hallo Inga,

deine Frage nach der dritten Möglichkeit ist mir jetzt erst, bei c.'s Antwort aufgefallen...

Die dritte Möglichkeit sieht bei mir z.B. so aus: Ich konzentriere mich auf meine körperlichen Empfindungen, nehme sie auf eine rein physikalisch beschreibende Weise wahr ohne sie zu werten im Sinne von schmerzhaft oder störend.

Da stelle ich z.B. beim verlorenen Geldbeutel -

(ist mir letzthin tatsächlich in der Schule passiert, der Beutel wurde dann leer auf dem Rektorat abgegeben, und irgendein Schüler war um 90 Euro reicher ) -

fest, dass ich den Atem anhalte, Enge und Druck im Nacken, Schulterbereich spüre, es ist ein Ziehen da oder das Empfinden von Kälte... usw.

Im tatsächlich Wahrnehmen geschieht dann immer die Wandlung, Lösung.

Kannst du dir vorstellen, was ich meine?

Grüße von Clown
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von tomroerich »

Liebe Maggy,

Wer oder was in mir entscheidet denn welche Melodie richtig oder falsch ist? Oder wird das außerhalb von mir entschieden?


In gewisser Hinsicht ja. Ob das ein WER ist oder ein WAS, das ist eine neue Frage. Es könnte die Natur sein, was immer wir uns auch darunter vorstellen. Aber jedenfalls haben wir so etwas wie unsere eigene Natur in uns.

Thomas
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von maggy »

Lieber Thomas,

meine eigene Natur (also ich bezeichne das als das, wie ich ursprünglich mal gemeint war ) würde mich niemals mich wohlfühlen lassen, wenn ich tatsächlich die "falsche Melodie" dirigieren würde.


Würde Dir jetzt auch winken,
kann ich aber nicht, deshalb:

alles Liebe
von
Maggy
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Captain Kirk »

Liebe Maggy, sehr schön was Du schreibst: meine eigene Natur (also ich bezeichne das als das, wie ich ursprünglich mal gemeint war ) würde mich niemals mich wohlfühlen lassen, wenn ich tatsächlich die "falsche Melodie" dirigieren würde.
Sehr schön!


Wenn Du auch mal gerne winken möchtest..das geht so: Du schreibst ":hello:" (ohne die Anführungszeichen hinten und vorne)oder Du gehst auf -Hilfe zu Smilies- klickst ":hello:" an, kopierst und setzt es dann hier ein. Dann winkt es für Dich wenn Du willst.


Gruß
c.
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Clown »

Hallo Maggy,

«...würde mich niemals mich wohlfühlen lassen,...»

ich stelle mir vor, dass du das deiner gelungenen Therapie und deiner langjährigen Meditationspraxis zu verdanken hast, dass du so wahrnehmen kannst. Siehst du das auch so?

Dieses "Sich-Verfehlen wie man ursprünglich gemeint war" ist übrigens auch das Thema des Schauspiels 'Peer Gynt' (Henrik Ibsen, 1867). Peer soll deswegen am Ende seines Lebens vom Knopfgießer eingeschmolzen werden, zu erneutem Guss. Dagegen wehrt er sich vehement, er will sein Selbst nicht aufgeben, will nicht mit Hinz und Kunz in einen Topf. Der Knopfgießer behauptet aber, Peer sei nie er selbst gewesen, gerade deswegen soll er ja eingeschmolzen werden.

Nun ja, schließlich wird Peer gerettet...und liebe Frauen, was glaubt ihr wodurch? Jaaa...durch die Liebe von Solveig, die ihn, so wie er von Gott gedacht, ihr ganzes Leben in ihrem Herzen getragen hat...

solidarische Grüße
Clown
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Re: seelische verletzungen - Umdeutung -Heilung?

Beitrag von Captain Kirk »

Hi Clown, hier wechselt sich ja heute ein wunderbares Beispiel mit dem nächsten ab. Herrlich!

Ich werde mir gleich mal Solveigs Lied anhören.





Gruß
c.
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