seelischer Missbrauch und Depression

susan
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seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

"....
Seelischer Missbrauch.

Diese Art des Missbrauchs ist besonders schwer zu erkennen. Es handelt sich dabei um die Gewalt der Worte, um das dem Opfer gegebene Gefühl der Wertlosigkeit. Selbst für das Opfer ist es manchmal nicht einfach zu erkennen, dass ihm Unrecht getan wird, denn vor allem bei seelischem Missbrauch wird die Tat vom Opfer heruntergespielt und verharmlost. Worte hinterlassen keine sichtbaren Verletzungen, die Wunden sind aber nicht weniger schmerzhaft.

Ein Kind z. B. muss Eindrücke verarbeiten, für die es noch nicht reif genug ist.

Das sind z.B. Erpressungen, Demütigungen, Verspottungen, Beschimpfungen. Auch übermäßiges Kontrollieren (z. B. der Post oder des Umgangs) oder Manipulation (z. B. für oder gegen eine bestimmte Person) sind seelischer Missbrauch. Das Kind in eine Erwachsenen-Rolle zu drängen (wenn ein Elternteil fehlt/krank ist), oder Zuneigung und Zärtlichkeiten zu verweigern gehören auch zu seelischem Missbrauch. Ebenso das Einreden von "Du bist dumm/hässlich/faul", "Du bist wertlos/zu nichts nutze" ... o.ä.
..."

Dieses Thema beschäftigt mich sehr. Ich frage mich z.B. ob durch seelischen Missbrauch Depressionen schon im frühen Kindesalter entstehen können oder latent vorhanden sind, auch welche Möglichkeiten von "Spätschäden" es geben kann und wie man damit umgeht.

Viele Jahre hatte ich das Bild einer glücklichen Kindheit in mir. Ich habe meine Eltern idealisiert und so war ein Hinsehen auf die "Schattenseiten" nicht möglich. Nun sehe ich vieles anders und ich versuche so gut es geht die Vergangenheit in mein jetziges Leben zu integrieren - leider gelingt mir das nicht.

Wer hat ähnliche Erfahrungen gemacht?

Gruss
Susan


flocke
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von flocke »

Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
Dendrit
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von Dendrit »

Hallo Susan,

ich weiß nicht, ob ich da irgendwie dazu gehöre. Einige Deiner Aufzählungen sprachen mich schon an und habe mir sie mir gegenüber nie gesehen. Wie ich das beschreiben soll, weiß ich nicht, deshalb trau ich mich mal etwas auszuholen.

Inwieweit nun Misshandlung und Missbrauch für "spätere" Jahre (also ca. nach der Einschulung) mitbetrugen, kann ich natürlich nicht sagen. Jedenfalls: beide Elternteile wurden jeweils schon im frühsten Kindesalter verbal misshandelt.

Äußerungen wie: "Ich wollte dich überhaupt nicht." "Du machst nichts richtig." etc. musste sich mein Vater vor den tätlichen und später manchmal beinahe tödlichen Angriffen seiner Mutter anhören. Dementsprechend von einem extrem ins andere verfiel er im Erwachsenenalter - entweder wir Kinder haben ALLES richtig gemacht oder "wie kann man nur!" Hypersensibel, alles verdrängt, mit dem Beruf verheiratet. Jetzt Burn-out Stufe 2. Durch die Therapie und Handlungsweisen meiner Mutter/seiner Frau kommt vieles hoch, sah in ihr seine Mutter, wollte sich wehren - geht ja irgendwie nicht, weil dann das Bewusstsein kommt "Hey, das ist deine Frau." und verzieht sich in sein Büro. Im nächsten Monat beginn er mit der Therapie.

Meine Mutter wuchs in der Opferrolle eines Opfers auf. Ihre Mutter in der zweiten Generation missbraucht, meine Mutter später auch, jeweils jedoch nicht vom Vater. Inwieweit also die Erziehung eines Opfers dem Kind weitergegeben wird und eigentlich der depressionsbedingten bzw. verbale Angriffe im Babyalter Einfluss nehmen - ??? Später, nach dem Schuleintritt kam schließlich Missbrauch hinzu. Dementsprechende "Vorsichtsmaßnahmen" (vor männlichen Übergriffen) mussten meine Schwester und ich - teilweise schon erdulden. Seit 3 y in Therapien und anderes Zeug, was nichts mit dem Missbrauch zu tun hat, kommt hervor. Aber der spielt ja trotzdem 'ne Rolle, drum weiß ich nicht, ob das noch zu Deiner Frage zählt.

Na, und dann sind wir Kinder wiederum durch die Erziehung zweier Opfern aufgewachsen. Dazu kamen "Erziehungsmethoden-Mode" hinzu, z.B. einem Frühchen nicht so viel Liebe schenken, es könne sich nur wichtig fühlen und daraus würde nur ein sehr egoistischer Mensch werden. Und noch anderes. Zu meiner Person: definitiv mit 4½ y psychische Auffälligkeiten, nach Klinikaufenthalt ab dem Alter von 11 y immer wieder Depri's, die allerdings erst 2002/2003 diagnostiziert wurde. Bis dahin wurde das meiste auf meine Epilepsien und den Antiepileptika geschoben, wovon ich aber einiges weiß, dass es keine NW sind/waren.

Spätfolgen? Durch den Tod eines Mädchens totaler Ausbruch, 11 mon später in der Geschlossenen, bei der Depri diagnostiziert wurde. Damit umgehen? Weiß nicht, bin immer noch in der Phase des "nicht-akzeptierens" - ist zwar widersinnig, ich weiß. Einfach kann ich sagen: brav zu den Behandlern gehen und Medikamente (ohne Spielerei) zu nehmen.

Du schreibst: ich versuche so gut es geht die Vergangenheit in mein jetziges Leben zu integrieren - ich musste schmunzeln: ich lebe in der Vergangenheit und unmittelbarer Zukunft. Ich tu mich mit der Gegenwart schwer.

Ich hoff, dass etwas dabei war, was Du mit Deiner Frage im Sinn bzw. gemeint hast.

LG, Manuela
susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Hallo flocke,

danke für deine Antwort. Mir geht nicht darum, jemand anzuklagen bezw. die Schuld zu geben. Wichtig für mich ist einzig und allein, Zusammenhänge zu erkennen, um das Gefühlschaos, das zeitweise in mir brodelt, zu "entknoten" und mich von schädlichen "Verknüpfungen" zu befreien.

Ich verharre auch nicht in der Opferrolle - mir ist klar, dass ich jetzt etwas zu tun kann ohne dafür "bestraft" zu werden, auch dass es in der Gegenwart die Chance auf ein Leben gibt, das frei von Bevormundung, Benutztwerden und seelischer Gewalt ist. Vor mir liegt also etwas, wonach ich "nur" greifen brauche - doch ich tue mich schwer damit, mir etwas davon zu nehmen - doch ich denke, step by step könnte ich es schaffen

Alles Gute für dich!

Gruss
Susan


maggy
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von maggy »

Liebe Susan,

oh ja, dieses Thema hat mich über Jahre gefangen gehalten und beschäftigt.

Erstens der Satz meiner Mutter:

Ich glaub du bist verrückt.

Egal was ich machte es war für sie wohl immer sehr "schräg". (Heute weiß ich, dass das, was ich machte, auf sie wohl sehr provokant gewirkt hat, bzw. sie war geschockt, gar nicht so wegen meiner Taten, sondern wegen der anderen Leute).

Ja und ich hatte, als ich dann erwachsen war, über Jahrzehnte die Angst verrückt zu werden, zumal ich eine Patentante habe, die in unserer Familie immer als "Die Verrückte" galt.
Nun habe ich aber noch 2 Schwestern (eine älter, eine jünger als ich) und als mir dieser Satz, der mein Leben so bestimmt hatte, bewußt wurde, habe ich mit ihnen darüber gesprochen. Sie lachten und sagten: Ja, das hat unsere Mutter doch ständig gesagt.
Also, für mich heißt das, dass nicht jeder auf alles gleich reagiert, bzw. für den einen ist das seelischer Mißbrauch und für den anderen eine "Macke", die zu dem anderen Menschen gehört.

Zweitens, der Satz meines Vaters:

Du kannst machen was Du willst, das wird sowieso nichts.

Auch an diesem Satz habe ich über Jahrzehnte "geknabbert", was mir aber auch erst viel später bewußt wurde.
Irgendwann habe ich mir, und nur mir , bewiesen, was ich in diesen 55 Jahren schon alles gemacht - und zwar hervorragend gemacht - habe.

Liebe Susan Du schreibst:
>und ich versuche so gut es geht die Vergangenheit in mein jetziges Leben zu integrieren<

Das habe ich auch lange versucht, aber diese Form von Integration war für mich nicht möglich. Ich glaube, weil es für mich einfach so war, auch wenn andere es anders erlebt haben.
Transformation war für mich das "Zauberwort" um in der Gegenwart damit Leben zu können. Das was mir passiert war z.B. in meinem jetzigen Leben als sehr übertrieben darstellen.
Als ich vor 20 Jahren in der Klinik Roseneck war und diese Angst verrückt zu werden und in eine geschlossene Abteilung eingewiesen zu werden äußerte, sagte der Chefarzt zu mir, ich sollte doch mal probieren da hin zu kommen, das sei nämlich gar nicht so einfach. Er hatte recht.

Und heute bin ich oft ganz gern ver-rückt, wenn ich sehe was viele Menschen um mich herum als "normal" bezeichnen, dann rücke ich doch gerne ein Stückchen davon ab .

Alles Liebe
von
Maggy
-------------------------------------------

Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
petzi

 

Beitrag von petzi »

susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Hallo Manuela,

so wie du es beschreibst, dass generationsmäßig vieles weitergeben wird - meist unbewußt und in dem vollen Glauben, es besser zu machen als die Vorgänger!, habe ich es durch Familienaufstellungen sehen können.

Und gerade darum bin ich der Meinung, dass das nicht die "Schuld" eines Einzelnen ist, sondern da vieles mitreinspielt, von dem man mitunter nicht mal weiß. Zu oft wird z.B. das Thema Suizid totgeschwiegen über Generationen hinweg, doch der Schmerz und das damit verbundene Leid hinterläßt Spuren, die sich in die Seelen einbrennen und trotz aller Bemühungen, zu vergessen und neu anzufangen, kommt es zu neuen "Taten" und "Erziehungsfehlern".

Ich wünsche dir sehr, dass du trotz aller Verstrickungen und dem, was man dir mit auf den Weg gegeben hat, einen Weg gehen kannst, der dich spüren läßt, dass Leben lebenswert ist.

Alles Gute dafür!

Liebe Grüße
Susan


susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Liebe Maggy,

schön, dass wir uns mal wieder begegnen
Das mit der Verrücktheit ist schon ver-rückt. Kennst du das Buch "Veronika beschließt zu sterben" Hier mal kurz, worum es geht:

"...
Mit "Veronika beschließt zu sterben" hat Paul Coelho ein faszinierendes Buch über Normalität und Anderssein geschrieben, über die nötige Prise "Verrücktheit", die es zum Leben braucht. In einer klaren Sprache wendet er sich dagegen, in einer hektischen Welt das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Seine Botschaft lautet: "Folge Deinen Träumen".
..."

Dieses Buch hat mir ein guter Bekannter empfohlen, zu dem ich über meine Ängste verrückt zu werden - auch ich hatte sie - gesprochen habe. Beim Lesen musste ich erkennen, dass ich so ver-rückt gar nicht bin und das tat gut. Und so wie man dir sagte, ist es wirklich ziemlich schwer, dahin zu kommen

Sätze wie sie deine Eltern sagten, hinterlassen Spuren und mit Sicherheit kannst du stolz sein, heute frei von diesen "seelischen Mauern" zu sein.

Das du es auf deine Art geschafft hast, der Vergangenheit die Macht über dein jetziges Leben zu nehmen, war sicher nicht einfach - um so schöner, dass du einen Weg für dich gefunden hast.

Alles Liebe für dich!
Susan


Leni2
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von Leni2 »

Liebe Susan,

"Viele Jahre hatte ich das Bild einer glücklichen Kindheit in mir. Ich habe meine Eltern idealisiert und so war ein Hinsehen auf die "Schattenseiten" nicht möglich."

Mir ging das auch immer so und erst in den letzten Jahren habe ich mir bewußt gemacht, was alles schief lief. Ich mache immer noch neue Entdeckungen und weiß mittlerweile, dass vieles eigentlich ziemlich schlimm war in meiner Familie. Ich hab mir das selbst nicht so bewußt gemacht, weil es wohl einfach zu sehr weh tut. Aber meine Thera meinte letztens, ich hätte ja schon ganz schön viel mitgemacht. Vor ein paar Jahren hätte ich das strikt abgestritten.

Nachdem ich das so erkannt hatte, habe ich einige Jahre eine unheimliche Wut auf meine Eltern gehabt und das war für mich sehr heilsam. Es ist mir bewußt geworden, dass ich wirklich das unschuldige Kind war, dem Unrecht angetan wurde. Es ist nicht meine Schuld, auch wenn ich jetzt die Verantwortung für mich trage. Diese Trennung zwischen mir und meinen Eltern zu vollziehen und wirklich klar zu sehen, was passiert ist, war für mich sehr wichtig.

Ganz hilfreich ist da auch das Buch von Susan Forward "Vergiftete Kindheit", das sich mit verschiedenen Formen von Mißbrauch beschäftigt.

Es gibt bestimmt die unterschiedlichsten Gründe für Depressionen, aber bei uns sind alle meine Geschwister und ich "auffällig". Mein Bruder hat auch starke depressive Tendenzen und wir haben alle drei große Probleme mit Vertrauen und Nähe/Beziehungen. Das ist für mich einfach kein Zufall.

Liebe Grüße!

Lena
Alles, was man über das Leben lernen kann, ist in drei Worte zu fassen: Es geht weiter!

susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Hi Petzi,

mit dem Wort "Missbrauch" tue ich mich auch schwer, dennoch finde ich ihn passend - habe mehrmals in der Therapie darüber gesprochen, nachdem ich jahrelang alles verharmlost hatte, ist mir dann die Tragweite der seelischen Verletzungen bewußt geworden (kein Selbstmitleid, sondern eine reine Feststellung!)

Was meine Eltern angeht, so bin ich mir schon bewußt, dass sie ihre Geschichte haben, die sie geprägt und geformt hat. Das Buch "Versöhnung mit den Eltern" von William F. Nerin hat mir geholfen, zu dieser Sichtweise zu gelangen. Dennoch sind die Gefühle zu ihnen heute sehr ambivalent. An guten Tagen gelingt mir das Verzeihen mehr, geht es mir schlecht, mischen sich die Gefühle und ich habe Probleme, das Gestern vom Heute zu trennen.

So sehe ich meine Therapie auch als heilenden Schritt auf dem Weg zur inneren Freiheit

Schön, dass es dir möglich geworden ist, loszulassen und ein eigenständiges Leben zu führen. Das war bestimmt auch nicht einfach.
Weiterhin alles Gute für dich!

Liebe Grüße
Susan


susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Liebe Lena

ich glaube, dass die Annahme und Akzeptanz der Vergangenheit ein grosser Schritt auf dem Weg der Heilung ist. Es ist auch der Weg, sich selbst zu finden und nicht jemand zu sein, der weitab seines Selbst den Bedürfnissen anderer entsprechend lebt.

Es hat auch deshalb so lange gedauert, bis ich die Wahrheit erkennen konnte, weil meine Geschwister ihre Erziehung ganz anders erlebten - für sie gab es keinen Mangel, keinen Schmerz und so kam ich mir immer vor wie ein "Aussenseiter".

Ich fragte mich auch zeitweise, ob ich nicht einfach nur zu übersensibel war oder das "falsche" Kind für diese Eltern. Ich merkte schon, dass einiges schieflief, es anzusprechen wagte ich jedoch nicht. Noch heute ist kein offenes Gespräch mit meinen Eltern möglich. Kannst du mit deinen Eltern über die Vergangenheit reden?

Dass du Wut spüren konntest ist ein gutes Zeichen. Unterdrückte Wut sucht sich immer ein Ventil und oft läuft es darauf hinaus, dass man sich selbst schadet - wohl auch aus Angst vor Ablehnung und Liebesentzug. Sicher bringt es nicht viel, alles im Detail begreifen zu wollen, doch wenn Zusammenhänge erkennbar werden, kann alles verständlicher und transparenter werden - so dass Vergangenes heilen kann.

Danke für den Buchtipp!

Liebe Grüße
Susan


Bellasus
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von Bellasus »

Liebe Susan,

hier muß ich mich einfach zu Wort melden, denn ich zweifele nicht an dem Zusammenhang.

Gibt es aber vielleicht ein anderes Wort für Missbrauch? Damit verbinde ich einen großen Anteil an Vorsatz, den unsere Eltern vermutlich ganz überwiegend nicht hatten (im Zusammenhang mit seelischem Missbrauch, bei dem anderen ist es was ganz anderes).

Wenn Eltern überfordert, selber unsicher sind, eigene Probleme haben, dann können sie es wohl oft nicht besser, dann kommen Sätze wie
"sei doch icht immer so empfindlich"
"nimm dich nicht so wichtig"
"anderen geht es viel schlechter"
"du bist ja verrückt", "du tickst ja nicht ganz richtig"
Dazu zähle ich auch das sehr unterschiedliche behandeln von Geschwistern. Wie soll ein Kind verstehen, das permanent obige Sätze zu hören bekommt, dass die Mutter den kleinen Bruder wie eine Löwin gegen den strengen Vater verteidigt und das immer noch tut, als die "Kinder" beide über 30 waren?

Da lebt die (bzw. meine) Mutter ihre eigenen Probleme aus, benutzt ihre Kinder, um eigene Bedürfnisse zu erfüllen, denn ihren erwachsenen Sohn loslassen war für sie wohl eine echte Katastrophe.

Dass sich das alles auswirkt, finde ich nicht (mehr) verwunderlich, obwohl ich bis vor wenigen Monaten immer wieder dachte: War es denn wirklich so schlimm? Reicht das als Grund dafür, wie es mir geht? Ein ganz deutliches "Ja" von meiner Thera gab mir Entlastung für das, was war.

Das, was ich bzw. jeder von uns heute und in Zukunft aus seiner Geschichte macht, dafür sind ausschließlich wir selbst verantwortlich, das ist richtig.
Um diese Verantwortung zu übernehmen, muss ich aber erst die Zusammenhänge verstehen, erst dann kann ich mich lösen von dem was war bzw. es als nun mal vorhandene "Basis" annehmen für das, was kommt.

Mir hilft es jedenfalls sehr (und erschreckt mich nicht weniger), wenn ich meine Erinnerungen einordnen kann, und sehr viele davon bekommen dann wirklich das Etikett "seelischer Missbrauch".

Sorry, habe eure Einträge noch gar nicht gelesen, sondern einfach losgeschrieben, bestimmt wiederholt sich einiges.

Fühle mich euch irgendwie gerade ganz nah, liebe Grüße
Annette

P.S. Das Buch "Sie haben es doch gut gemeint" von Geiger-Bütler paßt gut zu diesem Thema, finde ich




www.depressionsliga.de

- Betroffene für Betroffene -
susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Liebe Annette,

schön, dass du hier bist Danke auch für deinen Beitrag in "step by step", werde demnächst mehr dazu schreiben.

Ich habe diesen thread eröffnet, weil ich sehr angefüllt bin mit diesem Thema, weil mir viele Gedanken dazu durch den Kopf schwirren und ich das Gefühl habe, das alles mal etwas sortieren zu müssen. Dabei helfen mir die Beiträge hier sehr

"...War es denn wirklich so schlimm? Reicht das als Grund dafür, wie es mir geht? Ein ganz deutliches "Ja" von meiner Thera gab mir Entlastung für das, was war."

Genau so habe ich es auch erlebt. Irgendwie dachte ich immer, es steht mir nicht zu, Kritik an meinen Eltern zu üben - hört sich vielleicht komisch an.... Aber da war ständig eine innere Stimme, die es mir regelrecht verboten hat, über das zu sprechen, was eigentlich die Wahrheit war. Doch gerade darin lag das Problem und so dachte bezw. redete ich eher alles schön, verglich mich mit anderen, denen es viel schlimmer ging - kommt dir bestimmt bekannt vor - und spielte die eigenen Erfahrungen und Misstände runter. Heute weiß ich, dass das der falsche Weg war und ich kann alle körperlichen Symptome als Zeichen für unterdrückten seelischen Schmerz sehen.

Das Wort "Missbrauch" habe ich in dem Zusammenhang ja nicht erfunden Klar klingt es hart, aber steht es uns nicht auch zu zu sagen, dass es Sch... war, was da mit uns passierte? Welches Wort wäre treffender? Nein, sie taten es nicht mit Vorsatz, sie meinten es gut mit uns (das Buch passt wirklich gut hierher, da gebe ich dir Recht )

Mir geht es auch darum, ein Fundament zu errichten, auf dem sich stehen läßt und von dem aus man sich auch mal einen Schritt vorwärts wagen kann ohne gleich ins Bodenlose zu fallen.

Für den Rest der Woche viel Kraft und Durchhaltevermögen!

Liebe Grüße
Susan


Bellasus
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von Bellasus »

bin gerade noch da

Dises Thema lag bei mir vor Weihnachten ganz obenauf, und ich kann nachfühlen, wie sehr dich das beschäftigt.

>verglich mich mit anderen, denen es viel schlimmer ging<
ja sicher kenne ich das nur zu gut, und ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich meine Bedürfnisse hinter die anderer Menschen stelle - nach dem Motto: ich kann ja noch, aber dem anderen kann ich das nicht zumuten, dass er für mich auf etwas verzichtet oder etwas tut, nicht einmal dass er für mich Kompromisse eingeht. Lieber komme ich dem anderen zu 100% entgegen - nein, KAM ich entgegen, denn es hat sich ja schon viel geändert.

Mir kam gerade noch der Gedanke, dass wir uns durch diese intensive Beschäftigung mit dem was war von unseren Eltern lösen, und auch klarer sehen, dass die alles dem kleinen Kind geschehen ist, dass es aber heute vorbei ist. Und wenn die Eltern heute noch so weitermachen - denn die wenigsten von ihnen ändern sich ja mit uns - dann haben wir heute die Möglichkeit, das "Spiel" nicht mehr mitzumachen - wir sind nicht mehr auf die Fürsorge und Versorgung der Eltern angewiesen, auch wenn sie das nicht wahrhaben wollen.

Ich weiß, wie das alles innerlich aufwühlt, und ich kann berichten, dass ich seit der Thera-Stunde gestern etwas in mir spüre, dass ich "Leben" nennen möchte. Ich fühle mich nicht mehr nur wie eine Hülle ohne eigene Substanz, sondern da ist wirklich etwas, das MICH ausmacht.
Das heißt nun nicht, dass es mir gerade sonderlich gut geht, aber es ist anders, etwas neues, und möglich wurde das sicher nur durch meine Auseinandersetzung mit eben diesem Thema (neben vielen anderen, aber das ist schon ein Kernthema).

Susan, dein Gefühl sagt dir schon, wie du das alles für dich verarbeitest - und vergiß nicht: Du hast Helfer

Nun noch einen ruhigen Abend
Annette

P.S. @all: Habe inzwischen gelesen, dass unsere Erfahrungen sich wohl zum großen Teil decken - einerseits gut sich nicht allein zu fühlen, andererseits schrecklich, wie viele Kinder so aufwachsen.




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- Betroffene für Betroffene -
deary
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von deary »

Dear Susan, dear All !!!!

Den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Depressionen und einer wie auch immer gearteten traumatischen Kindheit wird wohl niemand ernsthaft bestreiten können...

Was mich betrifft, so ist dieser Begriff sehr zutreffend auf das, was in meiner Kindheit abgelaufen ist, und was ich Stück für Stück verarbeiten /aufarbeiten muß.
Und ich finde den Begriff seelischer Missbrauch dabei SEHR zutreffend.

Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, was Petzi in dem Punkt geschrieben hat.
Der Begriff Missbrauch wird da sicher nicht inflationär verwendet, denn bei körperlicher sexueller Zudringlichkeit spricht man ja auch von Missbrauch.

Ich kenne aus meinem persönlichen Umfeld eine junge Frau, die missbraucht wurde, im körperlichen Sinne. Und eine andere lernte ich während einer Therapie in einer Klinik kennen,kann mir also sehr gut ein Bild davon machen, was dieser körperliche Mißbrauch anrichten kann...

Was mir in der Kindheit widerfahren ist, war subtiler, und ich möchte auch nicht gerne meine ganze Geschichte nochmal hier ausbreiten, zumal ich das schon hier im Forum getan habe ....

Aber ich gehe soweit zu sagen, dass eben dieser subtile "seelische Missbrauch" -(bei mir trifft einfach dieser Begriff ins Schwarze , wie ich das mir Widerfahrene beschreiben würde)-
SCHLIMMER sein KANN, als der körperliche Missbrauch, in seinen Folgen....

Gut, dieses "SEIN KANN" ist jetzt wieder korrespondierend zu den anderen Beiträgen,
in denen von Euch anklang, dass eben nicht jeder auf die erwähnten Situationen gleich reagiert.
Da kann ich mich Euren Aussagen nur anschließen.

@ Maggy:

Sehr sympathisch, wie Du beschreibst, dass Du lieber ein bißchen ver-rückt sein willst, bei dem was viele als " normal" bezeichnen...
Ich fühle genauso....

@ Susan:
Zufälligerweise lese ich gerade von Paulo Coelho" der Alchimist", deshalb fand ich Deinen Buchtipp sehr interessant.
Danke dafür.

Auch in diesem Buch geht es darum, dass man seinen Traum auf jeden Fall leben sollte.
Allerdings geht der Autor da sehr weit, nämlich, dass es eine Lüge sei, dass man teilweise vom Schicksal bestimmt sei.
Er stellt die These auf, dass man es 100 % selbst in der Hand hat.
Ich kann das nicht so ganz nachvollziehen, glaubte immer bisher , dass beides ein Menschenleben bestimmt, Handlungen des freien Willen,aber eben auch Schicksal.

Aber trotzdem toll zu lesen, ....
Aber das nur nebenbei....


Oh, wie spät ist es denn geworden???
"schreck auf"
Wünsche Euch allen eine geruhsame Nacht...


Liebe Grüße
deary
Leni2
Beiträge: 471
Registriert: 10. Aug 2005, 18:00

Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von Leni2 »

Liebe Susan und ihr anderen!

Bei mir ist es auch so, dass meine Geschwister nichts negatives über ihre Kindheit sagen. Ich konnte bisher nie darüber mit ihnen reden, weil sie meine Eltern verteidigen. Ich bin die "Nestbeschmutzerin", sagte mein Thera mal, weil ich die Sachen anspreche, die keiner hören will. Es ist die Solidarität eines Systems, das aufrecht erhalten bleibt, damit man sich nicht mit dem Schlimmen auseinandersetzen muß.
Ich sehe aber trotzdem, dass es auch bei meinen Geschwistern Spuren hinterlassen hat.

Mit meinen Eltern reden kann ich darüber kaum, mit meinem Vater gar nicht, mit meiner Mutter manchmal und nur ganz zaghaft. Es ist schwer, weil sie selbst Depressionen hat und tatsächlich selbst sehr schwere Zeiten hat. Ich bin da etwas zwiespältig, denn wenn ich meine Eltern entschuldige, heißt das, das ich wieder die Verantwortung übernehme. Und das haben wir ja schon unsere ganze Kindheit über gemacht, obwohl wir die Kinder waren! Es ist schwer bei emotionalem Mißbrauch, denn bei sexuellem Mißbrauch z.B. ist es viel einfacher, die Verantwortung beim Vater zu lassen, auch wenn er selbst eine schwere Kindheit hatte.
Manchmal würde ich gern meinen Eltern einfach schwarz auf weiß sagen, wie es wirklich war (und das empfiehlt auch Susan Forward in ihrem Buch) und sie nicht weiterhin mit Samthandschuhen anfassen. Ja, sie hat mich mißbraucht, wenn sie mir z.B. ständig ihre Eheprobleme erzählte! Sie sieht das auch ein, aber sie sieht sich dann als Opfer ihrer Psyche und ich soll sie wieder trösten.
Aber dann denke ich mir, was nützt die Konfrontation und bin froh, dass meine Mutter mittlerweile ansatzweise etwas eingesteht. Wie gesagt, bin da noch nicht ganz entschieden.

Das Wort Mißbrauch klingt zwar hart, aber als Kind hat man immer Tendenzen, die eigenen Eltern zu entschuldigen, einfach weil man auf sie angewiesen ist. Da ist es ganz gut, wenn man sich als Erwachsene mal so drastisch vor Augen führt, was passiert ist. Wenn es nicht schlimm gewesen wäre, würden wir doch nicht so viele Jahre noch darunter leiden, oder? Und dass das aufhört ist wichtig!

So, vielleicht etwas drastische Gedanken...

Wünsche euch allen eine gute Nacht!

Lena
Alles, was man über das Leben lernen kann, ist in drei Worte zu fassen: Es geht weiter!

petzi

 

Beitrag von petzi »

susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Liebe Annette,

in der Therapie geht immer wieder mal um dieses Thema und dann wird in mir so einiges in Gang gesetzt, was ich aber heute besser "kontrollieren" kann als noch vor einiger Zeit. Da kam eine Gefühlslawine und ich war dem total ausgeliefert. Somit hat sich also eine ganze Menge geändert.

Dass die Eltern sich mitändern, passiert wohl in den wenigesten Fällen - wenn überhaupt. Ich habe mir lange Zeit ein Stück Verständnis ihrerseits gewünscht - immerhin habe ich den Scherbenberg nicht allein produziert. Doch von dieser Vorstellung musste ich mich trennen, weil sie in viel zu starren Mustern gefangen sind, da ist der Blick nach links und rechts versperrt und erst recht der zurück

Dann zu spüren, dass ich damit ziemlich allein dastehe ohne ein Wort des Trostes oder der Einsicht, war wohl der Punkt, an dem ich mich auf den Weg gemacht habe - im Nachhinein war das gut so, denn mit Trost und Zuspruch hätte ich die Opferrolle evtl? nie verlassen. Heute bin ich zwar noch oft traurig, was das Verhalten meiner Eltern angeht, aber ich kann das mit etwas Abstand sehen und denke, dass durch jede Art von Veränderung ihr System zusammenbrechen brechen kann, mir aber ist Wachstum und Veränderung möglich - eine Chance?

Wie du schon sagst, sind wir imgrunde nicht so allein und man DARF die Hilfe, die reell da ist, in Anspruch nehmen und es ist kein Versagen, wenn man es nicht allein schafft. Diese Sätze muss(te) ich mir immer wieder sagen, denn tief in mir sind andere "Wahrheiten" verankert, die genau das Gegenteil behaupten. Unterstützung zu bekommen fühlt sich gut an und wenn man es dann zwischendurch schafft - oft zwar noch unsicher und wackelig - ein paar Schritte allein zu gehen, ist das doch ein Gefühl, das Mut macht, weiterzugehen.

Dass du dich spüren kannst, ein Funken Leben in dir wahrnimmmst, ist doch ein Zeichen dafür, dass du auf einem guten Weg bist. Und ich wünsche dir, dass dieses Gefühl sich ausbreitet in dir und dass du bei allem, was du tust, bei dir bleiben kannst, so dass das bei-dir-ankommen ein immer währender Moment des Glücks und der Freude sein wird.

Dir und allen hier einen schönen Tag!

Liebe Grüße
Susan


susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Liebe Deary,

subtil, das trifft es genau! Es war keine Sache von ein-, zweimal, die da passierte, es war ein Prozess der allmählichen Verformung - so jedenfalls bei mir - und was am Ende dabei herauskommt, ist ein Mensch, der weitab von dem ist, was ihn eigentlich ausmacht. Klar ist auch, dass je länger dieser Prozess andauert, um so schwerer wird es, den Weg zu sich wieder zu finden.

So beschäftigt mich immer wieder die Frage, was mich eigentlich ausmacht und inwieweit es mir möglich ist, authentisch zu sein - was für mich soviel bedeutet wie "im Einklang mit mir selbst zu sein".

Es gibt eine schöne Geschichte dazu aus dem Buch "Die Farben der Wirklichkeit" sie heißt "Der Baum", hier http://www.ritas-spurensuche.de/1_gedanken/der_baum.htm kann man sie nachlesen (Lieben Gruss an Siggi an dieser Stelle )

Sich zu finden ist oft mühsam, weil man mit Neuem, Ungewohntem in Berührung kommt, was Angst machen kann bzw. verunsichert. Die Reise zu sich selbst kann aber auch neugierig machen und inspirieren - sich auf unbekanntes Terrain zu wagen wird am Ende belohnt mit einem Gefühl des Einsseins mit sich und dem, was uns umgibt.

Liebe Grüße an alle
und danke für Eure Gedanken zu dem Thema
Susan


Lee
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von Lee »

susan
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Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Liebe Lena,

auch meine Geschwister verteidigen meine Eltern - somit suche ich auch nicht (mehr) das Gespräch mit ihnen - wir reden bla, bla, wenn wir uns sehen - leider Das Wort "Nestbeschmutzer" finde ich ziemlich hart Fühlst du dich so? Ich hatte und habe noch oft das Gefühl, allein zu sein innerhalb meiner Familie (Eltern und Geschwister), einfach anders, nicht dazugehörig. Während ich anfangs dachte, dass ausschließlich mit mir was nicht stimmen kann, bin ich nun zu der Erkenntnis gekommen, dass das nicht in jedem Fall richtig sein muss. Ich passe da zwar nicht rein, was auch traurig ist, aber ihre Andersartigkeit ist mindestens genau so "verkehrt" wie meine

Ich finde nicht, dass du, wenn du das Verhalten deiner Eltern entschuldigst, die Verantwortung für ihr Handeln übernimmst. Es heißt doch nur soviel, dass du sehen kannst, dass ihre eigene Geschichte da eine große Rolle spielt, dass sie selbst Spielball des Lebens gewesen sind und oft gar nicht anders konnten, als sich so zu verhalten, wie sie es taten. Die Verantwortung trägst du auf keinen Fall und wenn du dich von diesem Denken trennen kannst, bist du freier und offener für dein eigenes Leben.

Den Impuls, es ihnen mal klar zu sagen, wie man sich gefühlt hat und wie sehr man sich benutzt, missbraucht oder was auch immer.... hat, kenne ich auch. Es ist in Momenten der Ohnmacht, die mich ab und zu noch ergreift, auch der Wut darüber, dass es gerade SO gelaufen ist. Damit will ich dann nicht (wieder) allein dastehen und so wünsche ich mir, sie sollten doch wissen, worum es geht, sie sollten doch Antworten auf meine Fragen haben, auch meine Wunden sehen - wenn nicht sie, wer dann? Wünsche dieser Art bringen mich aber kein Stück weiter, denn inzwischen habe ich begriffen, dass sie selbst tief in einer Ohnmacht stecken und dass sie gar nicht rauswollen da - im Gegensatz dazu will ich vieles ändern - da trennen sich unsere Wege.

Sie haben sich ihr "Gefängnis" selbst konstruiert bezw. konstruieren müssen! - das will ich ihnen auch nicht nehmen. Doch sie spüren und wissen?, dass ich das alte Spiel nicht mehr mitspiele, dass ich heute für ihre Bedürfnisse nicht mehr zuständig bin.

Liebe Grüße
Susan


susan
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von susan »

Hi, liebe Lee,

schön, wieder von dir zu lesen

Es ist verständlich, dass das Verhalten deiner Eltern tiefe Spuren bei dir hinterlassen hat und dass es sich noch heute auf dein Leben auswirkt und dir grosse Probleme macht. Ich kann dir nur immer wieder Mut machen, dir trotz aller negativen Erfahrungen, die du in Sachen Therapie gemacht hast, nochmals Hilfe zu suchen - es gibt nicht nur SOLCHE Therapeuten.

Du bist ein wertvoller Mensch und ich wünsche dir sehr, dass du den Mut und die Kraft hast, dich aus den jetzigen "Fesseln" zu befreien, um neue Wege zu gehen, die dir das Gefühl geben, wieder lebendig und lebensfroh zu sein.

Meine mail-adresse kennst du - auch der Weg ist immer noch offen - wenn du magst...

Liebe Grüße
Susan


Bellasus
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Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von Bellasus »

>Wünsche dieser Art bringen mich aber kein Stück weiter, denn inzwischen habe ich begriffen, dass sie selbst tief in einer Ohnmacht stecken und dass sie gar nicht rauswollen da - im Gegensatz dazu will ich vieles ändern - da trennen sich unsere Wege.<
Genau, Susan! Das Bedürfnis, sich den Verursachern mitzuteilen, ist immens stark - und es zeigt, wie weit wir uns immer noch in der Position des Kindes befinden. Warum wollen wir uns den Eltern denn mitteilen? Im Wesentlichen doch, um eine Reaktion zu erhalten: Betroffenheit, Entschuldigung, das Eingeständnis, dass sie Fehler gemacht haben. Letztendlich, mit unseren Problemen angenommen zu werden. Ich für mich jedenfalls kann jedenfalls sagen, dass es nicht rein darum geht, meiner Mutter einfach nur zu sagen, wie es war für mich. Ich will auch etwas von ihr. Und wenn ich das dann nicht bekomme (wovon ich ausgehe), ist es mit Sicherheit schlimmer, als wenn ich das Thema gar nicht angeschnitten hätte.

Vielleicht ist dieser Wunsch nach Verständnis irgendwann nicht mehr so stark, und dann wird es vielleicht möglich, den Eltern zu spiegeln, was sie ausgelöst haben, ohne dass das eigene Befinden von der Reaktion darauf abhängig ist.

Solange wir sozusagen noch von einem Windhauch umzupusten sind, tut es uns sicher nicht gut, etwas von den Eltern zu erwarten. Ich bin deswegen völig auf Tauchstation meiner Mutter gegenüber, jetzt schon 2 Jahre und sichern noch eine ganze Weile lang.

Zum Begriff Mißbrauch: Etwas Falsches wird nicht besser, wenn es unbeabsichtigt oder sogar mit guter Absicht geschieht. Wo ist aber die Grenze, wo die Eltern hätten erkenne können/ müssen, dass sie aufgrund ihrer eigenen Geschichte unangemessen handeln? Damals war es auch noch nicht üblich, sich professionelle Hilfe zu holen.
Trotzdem ist ganz klar, dass die seelischen und körperlichen Übergriffe nicht hätten sein dürfen, und mir tat es sehr gut, der Wut darüber Ausdruck zu geben. Da war ich überhaupt erst in der Lage, meine Eltern nicht mehr ständig zu entschuldigen und zu schützen.

Insofern ist es für mich auch ein Zeichen von Gesundung, den Begriff Mißbrauch gelten zu lassen.

@Lee: *einfach nur drück*

Annette




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heike56
Beiträge: 1126
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von heike56 »

Liebe Susan, liebe Mitleser

schön, dass Du diesen Thread angefangen hast. Das meiste wurde dazu schon geschrieben.
Das Wort Mißbrauch finde ich in diesem Zusammenhang schwierig. Aber es scheint sich in der Therapie immer mehr durchzusetzen.
Für mich ist das Thema so komplex, dass ich meine Gedanken dazu nicht richtig geordnet bekomme.
Aber ich finde es sehr interessant, was ihr hier schreibt. Vielleicht hilft es mir meine Gedanken besser zu sortieren.

Mir fällt spontan ein Gedanke dazu ein. Wenn ich als Kind schon von einem Elternteil keine Wertschätzung erfahren habe, lasse ich mich später auch von anderen so behandeln, wie es mir nicht gut tut. So lange ich dieses Muster nicht durchschaue, lasse ich mich mißbrauchen.

Denn so lange ich diese Strukturen nicht erkannt habe, ist es für mich "normales" Verhalten.

Ob es eine Auswirkung auf meine Depression hatte, weiß ich nicht sicher. Ich denke, wenn ich keine Veranlagung zur Depression hätte, wäre sie durch mein Erlebtes auch nicht unbedingt ausgebrochen.
Da aber eine familiäre Anlage da ist, hat das Erlebte den Ausbruch vielleicht gefördert.

Wenn ich das hier lese, habe ich ein Gefühl von Verbundenheit.

Liebe Grüße an alle

Heike 47
Emily
Beiträge: 1217
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: seelischer Missbrauch und Depression

Beitrag von Emily »

Liebe Susan, hallo alle anderen,

ein sehr berührender Thread ....

Mir fällt auf, dass sich viele, die hier schreiben, nach etwas sehnen, das man auf ganz verschiedene Weise beschreiben könnte: Wiedergutmachung, Anerkennung der erlittenen Verletzungen durch die Eltern, eine Entschuldigung von ihnen für das falsche Verhalten, Verständnis für eure Enttäuschungen. Es ist ganz normal, sich das zu wünschen, schließlich waren die Verletzungen tief und nachhaltig. Aber ich glaube nicht, dass sich diese Eltern, die heute bereits der Seniorengeneration angehören, überhaupt noch in der Lage sehen würden, wirkliches Verständnis zu zeigen und eine tiefgehende Annäherung durchzuführen. Auf all diese Probleme angesprochen, würden sie so reagieren: Abwimmeln, Verständnislosigkeit, viele Erzählungen über all das, was IHNEN damals von ihren eigenen Eltern angetan wurde und wie streng und häufig auch verletzend doch die DAMALIGE Erziehung durch ihre eigenen Eltern war. Verglichen mit ihrer eigenen Kindheit wird ihnen eure Kindheit vermutlich beinahe als das "Paradies auf Erden" erscheinen.

Das Erleben der eigenen Kindheit ist immer etwas total Subjektives. Was eure Eltern erlebt haben (Kriegserlebnisse, Hunger, Krankheiten, eigener Missbrauch etc.) war ohne Frage sehr schlimm. Dass ihr eure Kindheit teilweise auch als sehr negativ erlebt habt, können sie wohl eher nicht begreifen, denn im Vergleich zu ihren eigenen Erlebnissen werden sie eure Erlebnisse als wesentlich angenehmer und schöner bewerten. Dass ihr das so überhaupt nicht seht, wird für sie aufgrund der Generationenproblematik letztlich kaum verständlich sein.

Ich könnte mir vorstellen, dass das sehr weh tun kann. Aber ich finde, es hilft letztlich vielleicht doch weiter, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, dass tiefgreifende Gespräche über die Problematik eurer Kindheit wirklich noch möglich sein und zu einer nachhaltigen Veränderung eurer Beziehung zu euren Eltern führen werden. Ausnahmen wird es geben, das will ich nicht bestreiten. Aber die Regel wird es nicht sein.

Zu eurem Glück braucht ihr ja auch gar keine "Absolution" oder "Erlaubnis" eurer Eltern für eure Gefühle. Ihr entscheidet über eure Gefühle, dürft euch ganz bewusst "erlauben", von eurer Kindheit enttäuscht zu sein. Eure Gefühle damals und heute hatten und haben ihre Berechtigung, genauso wie die Gefühle eurer Eltern wegen ihrer eigenen schlimmen Kindheitserlebnisse. Vielleicht schafft man es, dass man beides NEBENEINANDER stehen lassen kann. Dann gewinnt man Abstand, und der ist notwendig.

Grüße an alle,
Emily
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